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Dollmätsch um 1840, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIII 110.
Inhaltsverzeichnis
1 Joseph Bernhard Dollmätsch
1.1 Quelle
1.2 Werk
1.3 Literatur
Joseph Bernhard Dollmätsch
Gastwirt, Oberbürgermeister, Mitglied der Ständeversammlung, * 22. März 1780 Karlsruhe, † 8. Mai 1845 Karlsruhe, ev., ∞ Johanna Ring, mindestens 11 Kinder.
Dollmätsch stammte aus einer Gastwirtsfamilie, übernahm 1802 die väterliche Wirtschaft „Zum Rappen“ in der Langen Straße 99. Um 1818 verpachtete er sie und bezog das Haus Kronenstraße 19. Sein Onkel Ludwig Leonhard Dollmätsch führte die Gastwirtschaft „Zum römischen Kaiser” und versah das Amt des Stadtrechners.
Dollmätsch übernahm am 23. Oktober 1808 die Stelle als Aktuar bei der Stadt, ab 14. Juni 1809 die Ratschreiberfunktion. 1809 entwickelte Dollmätsch für die Volkszählung in der Residenzstadt und in dem benachbarten Klein-Karlsruhe ein einheitliches Formular. Nach der Eingemeindung Klein-Karlsruhes 1812, bei der sich Dollmätsch führend engagierte, wurde er am 9. Dezember 1812 als Bürgermeister Wilhelm Christian Griesbach beigeordnet, der damit zum ersten Oberbürgermeister von Karlsruhe wurde. Diese Funktion übernahm Dollmätsch am 6. April 1816.
1812 hatte sich Dollmätsch mit Griesbach für die Etablierung einer Musikunterrichtsanstalt eingesetzt, die 1814 um eine Singanstalt erweitert, Vorläufer des Badischen Konservatoriums wurde. In seine Amtszeit fiel der Rathausneubau nach Plänen Friedrich Weinbrenners, den er 1825 beziehen konnte, ebenso die Einweihung der Wasserleitung von Durlach 1824, die erste moderne Wasserversorgung der Stadt. Die Gründung eines Schulfonds zur Verbesserung der städtischen Schulbildung 1829 ging ebenso auf seine Initiative zurück wie die Anlage der Pfandbücher. 1824 gehörte er unter anderen mit Johann Gottfried Tulla und Friedrich Weinbrenner der Kommission zum Bau eines nicht realisierten Rhein-Alb-Kanals an, der die Stadt mit dem Rhein verbinden sollte.
Dollmätsch war von 1822-1828 Abgeordneter der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung. Er trat nicht sonderlich hervor, bemerkenswert ist aber sein Kommissionsbericht im Januar 1823 zur vorausgegangenen Motion des Liberalen Duttlinger „Über die Besserung der Juden“.
Für seine regierungstreue Einstellung wurde er zum 18. September 1830 als Oberrevisor im Innenministerium in den Beamtendienst übernommen. 1824 erhielt Dollmätsch das Ritterkreuz des Zähringer Ordens und 1827 die Ernennung zum Kammerrat. 1960 wurde eine Straße in Karlsruhe nach ihm benannt.
Jürgen Schuhladen-Krämer 2012
Quelle
GLA 76/1654 (Dienerakte).
Werk
Feierliche Worte gesprochen bei der Einweihung des neuen Rathauses in der Residenzstadt Karlsruhe, den 28. Januar 1825, von Carl Baumgärtner, Stadt-Director und Bernhard Dollmätsch, Ober-Bürgermeister, Karlsruhe o. J. [1825]; Bernhard Dollmätsch (Hrsg.): Sämmtliche Gesetze, Verordnungen, Verfügungen und Anordnungen, welche in den Markgrafschaften und in dem Großherzogthum Baden über Gegenstände der Orts-Polizei seit dem Jahre 1712 bis 1832 erschienen sind, und nach den Bestimmungen des vierten Capitels der Gemeinde-Ordnung durch d. Bürgermeister vollzogen werden, Karlsruhe 1836.
Literatur
Susanne Asche: Residenzstadt - Bürgerstadt - Großstadt. Auf dem Weg von der Residenz zum Industrie- und Verwaltungszentrum 1806-1914, in: Susanne Asche/Ernst Otto Bräunche/Manfred Koch/Heinz Schmitt/Christina Wagner: Karlsruhe - die Stadtgeschichte, Karlsruhe 1998, S. 194-354, S. 204-206; Deutsches Biographisches Archiv, MF 247.
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Version vom 16. Mai 2019, 12:54 Uhr von Stadtarchiv1 (Diskussion | Beiträge) (→Johannes Sembach)(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Johannes Sembach
Gastwirt, Bürgermeister, * 5. März 1671 Karlsruhe, † 20. August 1720, ev., ∞ Maria Barbara, 1 Sohn
Der am 24. März 1718 von 55 Bürgern gewählte erste Karlsruher Bürgermeister Johannes Sembach stammte aus Straßburg. Der Sohn eines Kaufmanns heiratete noch in Straßburg Maria Barbara Sembach, 1693 kam dort ein Sohn zur Welt. Wohl zwischen 1703 und 1710 zog die vermögende Familie nach Mühlburg, wo Sembach mit seiner Frau zwei Wirtshäuser betrieb.
1714/15 ließ sich Sembach in Durlach als Hintersasse nieder und wollte noch 1715 in Karlsruhe in der späteren Kronenstraße ein modellmäßiges Haus bauen. Stattdessen übernahm er wenig später die Waldhornwirtschaft in der Löwenkranz Gasse, heute Waldhornstraße, die bereits vor der Stadtgründung bestanden hatte und 1712 erstmals als „Golden Waldhörnle“, eine Schenke für Fuhrleute und Waldarbeiter, erwähnt ist. Sembach erweiterte 1717 das Gasthaus um ein daran stoßendes Eckhaus an der Waldhornstraße zur Langen Straße in der Nähe des Durlacher Tores. Die damals noch einzige Gaststätte in der jungen baden-durlachischen Residenz war ein Treffpunkt der Bürger. Die dadurch gewonnene Popularität Sembachs war sicher ein Grund, dass er 1718 der erste Bürgermeister der Stadt wurde. Er erhielt eine Besoldung von 45 Gulden im Jahr.
In den Wirtshausräumen war in den Anfangsjahren der Stadt die Lateinische Schule zu Gast, hier wurden bis zur Fertigstellung eines eigenen Rathauses im Jahr 1728 etliche Ratssitzungen abgehalten. Welches Ansehen Sembach auch bei Hof genoss, zeigt die Übernahme der Patenschaft für seine Enkelin 1718 in der Schlosskapelle durch Markgraf Karl Wilhelm und dessen Gemahlin sowie durch weitere Mitglieder des Hofstaates.
Sein Sohn Johannes und die Witwe führten nach dem plötzlichen Tod Sembachs am 20. August 1720 das Gasthaus zum Waldhorn noch fast vier Jahrzehnte weiter.
Ernst Otto Bräunche 2018
Literatur
Peter Pretsch: Biographie Johannes Sembach, in: Blick in die Geschichte Nr. 107 vom 19. Juni 2015, https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick107/sembach (Zugriff am 12. Februar 2018); ders.: Johannes Sembach. Der Bürgermeister, in: Karl Wilhelm 1679 – 1738, Große Landesausstellung Badisches Landesmuseum Karlsruhe vom 09.05. bis 18.10.2015, München 2015, S. 174-175.
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Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS III 1994.
Hans Michael Frank
Jurist, Generalgouverneur im Generalgouvernement Polen, * 23. Mai 1900 Karlsruhe, † 16. Oktober 1946 Nürnberg, kath., ∞ 1925 Maria Brigitte Herbst, 5 Kinder.
Als Sohn eines Rechtsanwalts in Karlsruhe geboren, wuchs Hans Frank ab 1903 im bayerischen Rotthalmünster und seit 1908 ohne die Mutter, die den Vater verlassen hatte, in München auf. Nach dem Abitur studierte Frank in München, Kiel und Wien 1919-1923 Jura und wurde 1924 in Kiel promoviert. 1926 legte er das Staatsexamen ab und ließ sich als Anwalt nieder.
Im Anschluss an die Niederschlagung der Münchner Räterepublik im April 1919 schloss sich der nicht mehr zum Kriegseinsatz Gekommene dem Freikorps des Franz Ritter von Epp und der Thule-Gesellschaft an, wurde 1919 Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) und 1923 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Als Rechtsanwalt avancierte er zum Verteidiger zahlreicher Nationalsozialisten, darunter Hitler in dutzenden Verfahren, gründete 1928 den Vorläufer des NS-Rechtswahrerbunds und galt als „Parteijurist“ der NSDAP.
Bereits vor 1933 häufte Frank Ämter an, wurde 1930 Mitglied des Reichstags (MdR), 1933 kommissarischer bayerischer Justizminister und organisierte die Gleichschaltung. 1934 wurde er Reichminister ohne Geschäftsbereich. Mit Wirkung zum 26. Oktober 1939 wurde Frank Generalgouverneur der nicht vom Deutschen Reich annektierten, sondern besetzten Teile Polens (Generalgouvernement) mit Dienstsitz in Krakau. Trotz Konflikten mit Hitler um die Rolle der Justiz im Nationalsozialismus und persönlicher Feindschaft zu Heinrich Himmler und anderen im inneren NS-Führungszirkel behielt Frank auch nach 1942 seine Position. Seine antipolnische und menschenverachtende Herrschaft sowie Verantwortung für hunderttausendfachen Mord sorgten für seinen Ruf als „Schlächter von Polen“. Er war maßgeblich mitverantwortlich für die Ermordung von Juden in den Vernichtungslagern im Generalgouvernement. Am 4. Mai 1945 wurde er in seiner Villa nahe Neuhaus bei Schliersee von der US-Armee verhaftet, der er seine Tagebücher übergab, Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde Hans Frank am 1. Oktober 1946 schuldig gesprochen, zum Tod verurteilt und hingerichtet.
Jürgen Schuhladen-Krämer 2013
Quelle
Stanislaw Piotrowski (Hrsg): Hans Franks Tagebuch, Warschau 1963.
Literatur
Dieter Schenk: Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt a. M. 2006; Niklas Frank: Der Vater. Eine Abrechnung, München 1987.
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Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 106 vom 20. März 2015
×
Titelseite des Geburtstagsgeschenks für Karlsruhe von 1815. Foto: Stadtarchiv
Titelseite des Geburtstagsgeschenks für Karlsruhe von 1815. Foto: Stadtarchiv
In Kürze wird die Originalausgabe des "Statistischen
Gemäldes der Residenzstadt Karlsruhe und ihrer
Umgebungen" von 1815 auf der Seite mit den digitalen
Angeboten des Stadtarchivs Karlsruhe ins Netz gestellt.
100 Jahre Karlsruhe
Ein Geburtstagsgeschenk mit
Langzeitwirkung
von Ernst Otto Bräunche
"Die eingetretene Epoche der ersten hundertjährigen
Jubelfeyer unserer Residenzstadt Karlsruhe giebt mir die
angenehme Veranlassung, dem deutschen Publikum ein
ausführlicheres Gemälde derselben darzustellen." So
leitete Theodor Hartleben 1815 sein "Statistisches
Gemälde der Residenzstadt Karlsruhe und ihrer
Umgebungen" ein. Obwohl es sich nicht um eine Geschichte
der noch jungen Stadt handelt, kann man dieses Werk als
erste größere Gesamtdarstellung mit einem Schwerpunkt
auf der Darstellung von Daten und Fakten über Karlsruhe
bezeichnen.
Theodor Hartleben
Der am 24. Juni 1770 in Mainz geborene Verfasser Theodor
Hartleben war zu diesem Zeitpunkt schon bei der Direktion
des Neckarkreises als Kreisrat bzw. Geheimer Rat tätig.
Zuvor war der seiner Personalakte zufolge vor allem in
eigenen Besoldungsangelegenheiten durchaus
streitbare Jurist von 1793 bis 1795 Fürstlich
Speyerischer Hofrat und Amtmann der Stadt Deidesheim im
Hochstift Speyer, ehe er an die Universität Salzburg
wechselte. 1803 zum Landesdirektionsrat in
Kurpfalz-Bayern und ordentlichen Professor des
Staatsrechts und der Polizeiwissenschaften an der
Universität Würzburg ernannt, wurde Hartleben 1806
Landesregierungsrat in Sachsen-Coburg, ehe er 1808
eine Professur in dem inzwischen badischen Freiburg
antrat. Seine fundierten Kenntnisse über Karlsruhe bekam
er dann während seiner dreijährigen Tätigkeit in der
Kreisdirektion des Pfinzkreises im benachbarten
Durlach. Von dort wurde er 1813 an die Direktion des
Neckarkreises nach Mannheim versetzt, wo er sein
"Statistisches Gemälde" verfasste. Vorarbeiten hatte
er aber schon in Durlach geleistet, als er dem Werk "den
größten Theil seiner Erholungsstunden" widmete. Das
Statistische Gemälde von Theodor Hartleben, der nach der
Scheidung von seiner ersten Frau schon wieder
verheiratet war, als er in badische Dienste getreten
war, hat also im Wesentlichen den Stand von 1813.
Das Statistische Gemälde der Residenzstadt
Karlsruhe
Voller Empathie mit der Stadt bescheinigt der Verfasser,
dass Karlsruhe "der Epoche nah" sei, "wo man es nicht, wie
in der jüngeren Zeit, nur eine schöne Hauptstadt, sondern
vielmehr eine der schönsten Residenzstädte Deutschlands,
mit der wenige einen Vergleich aushalten, wird nennen
dürfen." Tatsächlich war Karlsruhe schon seit mehreren
Jahren eine Stadt im Umbruch mit vielen Baustellen.
Im Jahr 1771 waren die seit 1565 getrennten badischen
Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach nach dem
Aussterben der baden-badischen Linie wieder vereinigt
worden. Dieser Zusammenschluss und erst recht der
Aufstieg Badens zum Großherzogtum 1803/06 hatten
unmittelbare Auswirkungen auf die Stadt und das
Stadtbild. Aufgrund der Zunahme der Behörden, des damit
verbundenen Zuzugs aus Baden-Baden und der Verstärkung
des Militärs, aber auch durch andere neue Stadtbewohner
stieg die Bevölkerungszahl deutlich an. 1815 wurden
15.128 Einwohner gezählt, womit sich die Zahl seit 1771
ungefähr verdreifacht hatte. Mit dem Anwachsen der
Bevölkerung war natürlich auch eine Zunahme der Bebauung
verbunden. Lag die Zunahme der Gebäude in den ersten 50
Jahren durchschnittlich bei 6,6 im Jahr, stieg sie
zwischen 1765 und 1813 auf fast das Doppelte, auf 11,9
Gebäude, an.
Die expandierende Stadt beschreibt Hartleben in drei
umfangreichen Kapiteln. Ein knapper "Blick auf die
Geschichte der Residenzstadt Karlsruhe" bescheinigt,
dass sich "nur wenige grause, dagegen aber viele
glückliche Ereignisse" finden lassen. Schon Hartleben
musste aber feststellen, dass keine "geschriebene oder
gedruckte authentische Bestätigung der Muthmaßungen von
dem eigentlichen Grunde des Entstehens" der Stadt zu
finden sei, bis heute Anlass für allerlei
Spekulationen. Deutlich umfangreicher fällt das
Kapitel "Mathematische und physische Topographie" aus,
u. a. mit Informationen über die meteorologischen
und geologischen Verhältnisse, das Klima sowie die
Straßen und Gebäude der Stadt. Das Hartlebensche Urteil
über die in der ersten Bauperiode bis zum Erlass einer
neuen Bauordnung im Jahr 1754 entstandenen Gebäude fällt
eher zurückhaltend aus, denn es "waren verschiedene
Baumeister thätig, deren einige doch mehr in die Reihe der
Werkmeister als der Baukünstler zu zählen sind."
Die Vorstellung der zweiten Epoche der
Stadtentwicklung beginnt Theodor Hartleben mit einem
Loblied auf den Markgrafen Karl Friedrich, den er an
anderer Stelle als Friedrich den Weisen preist und der "in
allem planmäßig handelnd", die "Nothwendigkeit schöner
öffentlicher Plätze für Märkte und Messen, die Anlegung
eines Kaufhauses, eines Rathauses in der Mitte der Stadt,
in dessen Nähe sich zugleich humane Gefängnisse und
Niederlagen für die Apparate zu den Policey-Anstalten
befinden" erkannt habe.
Seinen Rundgang beginnt Hartleben mit den fünf Toren, dem
Rüppurrer Tor, dem Mühlburger Tor, dem Linkenheimer Tor,
dem Durlacher Tor und dem Ettlinger Tor. Seit 1764 waren
die Planungen aufgenommen worden, die Stadt über die
südliche Grenze, die Lange Straße, hinaus zu vergrößern.
Als erste Radialstraße wurde die Kronenstraße 1765 als
Neue Rüppurrertor Straße, später Schwanenstraße durch
Klein Karlsruhe verlängert, weitere Straßen folgten nach
1781. Neue Stadtgrenze war seit 1795/96 die Kriegsstraße,
so genannt nach den auf ihr an der Stadt
vorbeiziehenden Truppen. Größere neue Straßen waren die
Zähringerstraße (1809), vormals Querallee, die
Erbprinzenstraße (um 1800), die Stephanienstraße
(1814), vormals Grünwinkler Allee, und die
Akademiestraße (1812). Insgesamt zählt Hartleben 27
Haupt- und Nebenstraßen. Seit 1813 waren die Häuser, 940
an der Zahl, neu mit Hausnummern durchgezählt worden.
Positiv hob Hartleben hervor, "dass die Karlsruher längst
über Vorurtheile aufgeklärt, einen beträchtlichen Theil
ihrer Wohngebäude mit Blitzableitern gesichert haben."
Den größten Teil seines Werkes widmet der Verfasser der
Statistik. Ausführlich beschreibt er den physischen,
politischen, geistigen und kirchlichen Zustand der
Einwohner sowie die bürgerliche und kirchliche Verfassung.
Blicke auf die Umgebungen, fünf Beilagen und zwei Anhänge
- eine Übersicht der in Karlsruhe und der Region
vorkommenden Flora sowie ein mit "Litterarisches
Karlsruhe" überschriebenes Verzeichnis aller 1813 in
Karlsruhe lebenden Schriftsteller - beschließen das
Werk.
Der Dank der Stadt Karlsruhe
Die Initiative dazu ging weder von staatlichen noch von
städtischen Institutionen oder Personen, sondern
eindeutig von dem Autor selbst aus. 100 Jahre nach der
Stadtgründung gab es andere Probleme, wie Friedrich von
Weech in seiner 1895-1904 erschienenen Stadtgeschichte
schreibt: "Das Jahr 1815 wurde, als der letzte Tag des
'entscheidenden, ewig denkwürdigen' Jahres 1814 sich zu
seinem Ende neigte, feierlich eingeläutet. Mit dem
Neujahrstag begann das Jubeljahr der Stadt Karlsruhe, von
dessen Erbauung man im bevorstehenden Juni 100 Jahre zu
zählen hatte. Niemand ahnte, daß dieser Monat neue
kriegerische Entscheidungen für den ganzen Weltteil
bringen würde, hinter deren Bedeutung der Gedenktag der
Erbauung Karlsruhes in wesenlosem Schein zurücktreten
mußte." In der Tat begann am 18. Juni 1815 die Schlacht
von Waterloo.
Wenn dieses erste große Karlsruher Stadtjubiläum dennoch
nicht ganz folgenlos geblieben ist, so liegt dies an dem
Buch des auch durch zahlreiche juristische
Publikationen hervorgetretenen Theodor Hartleben.
Obwohl die überaus lobende Darstellung des regierenden
Fürstenhauses und vor allem die Widmung für Markgräfin
Amalie Friederike, das "edle Vorbild für alle Gattinnen
und Mütter", keinen Zweifel lassen, dass es dem Verfasser
erst in zweiter Linie um die Stadt selbst und deren
Einwohner und Verwaltung ging, wusste diese das Werk
durchaus zu würdigen: Sie überreichte ein Geldgeschenk in
Höhe von 12 Gulden, als Hartleben Bürgermeister und Räten
der Stadt am 7. Februar 1816 ein Exemplar seines Werkes
schenkte. Für das Gegengeschenk bedankte sich Hartleben
artig: "Es wird mir eine der angenehmsten Empfindungen
seyn, wenn Euere Wohl- und Hochedelgebohren meine
Wünsche für das schöne und gute Karlsruhe in dessen erstem
Jubeljahre als Ausflüsse meiner Empfindungen aufnehmen
und dem Gemälde einen Platz in Ihrem Archive gönnen."
Dieses Archiv wurde erst 70 Jahre später gegründet,
Theodor Hartleben und sein Werk haben im Stadtarchiv
aber bis heute den diesem ersten fundierten Überblick über
die Stadt angemessenen Platz.
Dr. Ernst Otto Bräunche, Leiter Stadtarchiv &
Historische Museen, Stadt Karlsruhe
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick106/karlsruhe1815
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 107 vom 19. Juni 2015
×
Friedrich Ostendorf.<br />StadtAK 8/PBS oIII 565
Friedrich Ostendorf.StadtAK 8/PBS oIII 565
×
Friedrich Ostendorfs Grab auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe. Foto: privat
Friedrich Ostendorfs Grab auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe. Foto: privat
"Auf dem Felde der Ehre gefallen"
Zum Gedenken an Friedrich Ostendorf
von Hansmartin Schwarzmaier
Auf dem Karlsruher Hauptfriedhof befindet sich sein
Grab, eigentlich ein dreiteiliges Monument. In der Mitte
liegt die schwere Steinplatte, die es abdeckt, darauf
eine Bronzetafel mit den Lebensdaten des
Verstorbenen: "Hier ruht Friedrich Ostendorf, Dr. Ing.
h.c., Professor der Architektur an der Technischen
Hochschule Karlsruhe. Geboren zu Lippstadt den 17. Oktober
1871, gefallen als Kompagnieführer auf der Lorettohöhe am
19. März 1915". Auf einer danebenstehenden Säule, auf
der eine Blumenschale steht, noch einmal: "Hier ruht
Friedrich Joachim Ostendorf", Geburts- und Todesdatum. Und
dahinter, vor der Friedhofsmauer, eine Reliefplatte.
Auf ihr sieht man zwei Genien, geflügelte antikische
Figuren, sie flankieren einen von Säulen begrenzten
Innenraum, in dessen Mitte sich eine Brunnenschale
befindet. Die darunter stehende Inschrift ist ein
lateinisches Zitat aus Vitruvs Schrift "Über den
Architekten". INGENIUM und DISCIPLINA, so heißt es dort
- und dies symbolisieren auch die beiden Genien - ,
kennzeichneten den wahren Architekten, denn sein von
der Zucht strengen methodischen Denkens (disciplina)
bestimmtes Handeln und sein erfinderischer Geist
(ingenium) seien untrennbar miteinander verbunden. Mit
diesen Worten hat die Karlsruher Hochschule ihren Kollegen
geehrt, der dieses Idealbild als Künstler, als Gestalter
und als Lehrer verkörpert habe. Man hatte den Leichnam des
14 Tage zuvor in Frankreich gefallenen und zunächst auf
einem Kriegerfriedhof in Lens begrabenen Ostendorf nach
Karlsruhe überführt, um ihn dort am 29. März 1915 in einem
bereits bestehenden Familiengrab beizusetzen. Schon
am Ort seines Todes hatte es eine bewegende Trauerfeier
gegeben; viele seiner Schüler, die in seinem
Frontabschnitt eingesetzt waren, hätten ihm dort das
letzte Geleit gegeben, und dies wiederholte sich in
seiner Heimatstadt. Einer von ihnen, der Leutnant Hans
Schmidt, ein Karlsruher Architekt, beschreibt den
Sturmangriff auf die feindliche Stellung am
Lorettoberg mit den überschwänglichen Worten eines
Heldengedichtes, als ob er nicht die mörderischen
Kämpfe dieser Material- und Schlammschlachten an der
Somme miterlebt hätte, und in der Heimat fand man ebenso
bewegende Worte zum Heldenkampf eines Mannes, dessen Tod
man als unersetzlichen Verlust beklagte. Heute, hundert
Jahre danach, gibt uns dies Anlass darüber nachzudenken,
was man damit ausdrücken wollte.
Der Architekt. Das unvollendete Werk eines
Frühvollendeten
Den Karlsruhern braucht man Ostendorf nicht
vorzustellen. Den repräsentativen Eingangsplatz der
Gartenstadt in Rüppurr, die unmittelbar vor dem Krieg
nach seinen Plänen angelegt und von ihm künstlerisch
betreut worden war, hat man damals nach ihm benannt, 20
Jahre danach erhielt auch die auf den Ostendorfplatz
hinführende Straße seinen Namen. 1907 ist Ostendorf als
ordentlicher Professor an die TH berufen worden, wurde
bautechnischer Referent im Badischen
Finanzministerium, und so zeichnet er u.a.
verantwortlich für den Neubau der
Staatsschuldenverwaltung am Karlsruher Zirkel, der,
1913 fertig gestellt, den 2. Weltkrieg nahezu intakt
überstanden hat. Und auch sein eigenes Wohnhaus in der
Weberstraße, in einem nach der Jahrhundertwende erbauten
Villenviertel zwischen Moltkestraße und Haydnplatz, an
dem die bedeutendsten Architekten der Stadt mitgewirkt
und ihre Spuren hinterlassen haben, lässt sich noch
besichtigen (S. Gerhard Kabierske, Blick in die
Geschichte Nr. 83). Der vor 5 Jahren erschienene erste
Band einer Schriftenreihe des Südwestdeutschen Archivs
für Architektur des KIT ist ihm gewidmet. Er ergänzt und
erweitert das umfangreiche Schrifttum über Ostendorf,
von dem, wie es dort heißt, noch so viel zu erwarten
gewesen wäre und der doch ein reiches, fast möchte man
sagen ein vollkommenes Werk hinterlassen hat, das
richtungweisend wurde. Dass ihm der Krieg einen
Schlusspunkt setzte, dem Leben des Professors eine Wende
gab, soll das Thema dieser Betrachtung sein. Es ist bis
dahin in den üblichen Bahnen eines hochbegabten jungen
Mannes aus gut bürgerlichem Hause verlaufen:
Architekturstudium in Stuttgart, Hannover, Berlin,
berufliche Tätigkeit als Architekt, Professur in Danzig
und, wie gesagt, seit 1907 an der angesehenen Karlsruher
Hochschule neben Hermann Billing, Joseph Durm, Max Läuger,
Walther Sackur, dem Kunsthistoriker Albrecht Ernst
Brinckmann und anderen. Er hielt Vorlesungen zur
Geschichte der deutschen Kirchen- wie der deutschen
Profanbaukunst, zur Geschichte des Möbels, zu Theorie
und Praxis des Entwerfens. Sein großes Werk "Sechs Bücher
vom Bauen" war im Entstehen; sein Kollege und Freund
Walter Sackur, der den Krieg überlebte, sollte es
weiterführen. Ihm verdanken wir den warmherzigsten und
einfühlsamsten Nachruf auf Ostendorf. Von allen gerühmt
wird sein enges, ja vertrautes Verhältnis zu seinen
Schülern, die ihn verehrten und liebten. Die Schüsse von
Sarajewo haben diese akademische Normalität
beendet.
"Zu den Fahnen geeilt"
Ostendorf schreibt am 26. August 1914 an das Badische
Kultusministerium: "…habe ich die Ehre mitzuteilen,
daß ich mich als Offiziersstellvertreter der mobilen
Truppe zur Verfügung gestellt habe und daß ich
infolgedessen verhindert bin, meine Vorlesungen
abzuhalten. Ich bitte daher, mich bis auf weiteres zu
beurlauben und zugleich mir zu versichern, daß im Falle
meines Todes die Ansprüche meiner Frau und meiner Kinder
auf Pension derselben bleiben wie bisher". Ostendorf hat
sich also als Reservist zum frühest möglichen Zeitpunkt
freiwillig zu seiner Truppe gemeldet und dies nicht in der
Stimmung einer nationalen Euphorie, sondern im Wissen um
die Todesgefahr, die ihm drohte. Der Karlsruher
Stadtpfarrer Franz Rohde sagte es am Grabe: "Als der
Verstorbene in der Krieg zog, ist er nicht hinausgestürmt
wie ein 19jähriger; er hat erst reiflich erwogen und dann
getan, was ihm die heilige Pflicht gebot. Seinen Soldaten
im Felde wurde er, wie einst seinen Schülern, ein Freund,
ein Führer und ein leuchtendes Vorbild". Eingetreten
ist Ostendorf bei den Garde-Leibgrenadieren, den
109ern, deren Kaserne in der Moltkestraße nur wenige
Schritte von seinem Haus in der Weberstraße lag, neben der
Kadettenanstalt. Unmittelbar gegenüber lag auch das
elterliche Wohnhaus des Karl von Babo (S. Blick in die
Geschichte Nr. 101). Diesem, dem jungen Berufsoffizier,
ist Ostendorf wenig später an der Front wieder begegnet.
Doch dessen anfängliche Kriegsbegeisterung wird man
bei Ostendorf wohl nicht finden. Der 43jährige Vater von
fünf Kindern, der schwer beschäftigte Hochschullehrer
hätte sich wohl, wenn er dies beantragt hätte,
zurückstellen, vielleicht sich vom Wehrdienst befreien
lassen können, wie es andere getan haben. Für Brinckmann,
der sich als Kraftfahrer freiwillig gemeldet hatte,
stellte die Fakultät den Antrag, ihn an der Universität zu
belassen, wo er Besseres leisten könne als bei der Truppe,
was dann auch genehmigt wurde, um den Unterricht aufrecht
erhalten zu können. Denn die meisten Kollegen Ostendorfs,
der noch ältere Hermann Billing, der gleichaltrige
Walter Sackur und selbst der fast 60jährige,
hochangesehene Adolf v. Oechelhaeuser, sind "zu den
Fahnen geeilt", und mit ihnen viele der Studenten, die
hinter ihren Lehrern nicht zurückstehen wollten. Diese
Vorbildfunktion führte sie in einen Krieg, den sie wohl
realistischer gesehen haben als ihre Schüler, freilich
nicht mit den furchtbaren Folgen, die sich schon im
ersten Kriegsjahr abzeichneten.
Ostendorf wurde, wie üblich, schon nach kurzer Zeit zum
Leutnant befördert und bald danach auch zum
Kompanieführer: der Verschleiß war groß, als die jungen
Offiziere an der Spitze ihrer Einheiten in das feindliche
Feuer liefen. Karl von Babo, der von Beginn an im Elsass
und in Lothringen an der Front stand, berichtet am 10.
September 1914 nach Hause: "12. Kompanie… Feldwebel,
Oberbaurat, Professor und Leuchte der Wissenschaft
Ostendorf, ein sehr netter Herr, den wir alle sehr gern
haben." Das Regiment befindet sich damals im
lothringischen Baccarat, einem hart umkämpften Ort, wo
wenig später der badische Sozialdemokrat und
Abgeordnete Ludwig Frank gefallen ist, auch einer von
denen, die nicht geschont wurden und sich selbst nicht
geschont haben. Wenig später, am 18. Oktober 1914, heißt
es dann: "Wir sind also noch … in treuer
Waffenbrüderschaft mit Leutnant Schmidt 12. Kompanie
(s.o.), den frischgebackenen Leutnants Laubinger 9.
und Ostendorf 12 (Kompanie). Gestern Abend haben wir hier
unter der Erde den 44. Geburtstag Ostendorfs bei Huhn,
Sekt und 1a Pfirsichkuchen gefeiert..." (es war der 43.
Geburtstag). 14 Tage später ist Karl von Babo gefallen.
Viel ließe sich aus seinen Briefen zitieren, in denen er
mit viel Galgenhumor über Hunger und Entbehrungen
schreibt, über den Schlamm, der sie förmlich zudeckte, die
Läuse, die sie quälten, Situationen, die dem Jungen aus
großbürgerlichem Hause bisher fremd waren und der erst
lernen musste, "mit den Fingern zu essen". So klingt es
auch in einer Postkarte an, die Ostendorf am 27. September
an die Frau seines Kollegen Theodor Rehbock, des späteren
Rektors der TH, schrieb. Er bedankt sich für die Socken,
die sie ihm geschickt hat und die ihm willkommene Wärme
bescheren, Wärme auch im weiteren Sinne, denn er freut
sich über alle Zeichen der Verbundenheit mit den
Freunden in der Heimat. Diese Karte ist übrigens das
einzige direkte Briefzeugnis aus Frankreich, das sich
von Ostendorf erhalten hat. Doch die Realität erfahren wir
auch aus der dickleibigen Regimentsgeschichte der
109er: "Der Ausbau der Stellungen schritt trotz des
unausgesetzten Geschoßhagels rüstig fort. Zum ersten
Male wurden unter Leitung des Leutnants d.R. Ostendorf,
seines Zeichens Professor und bekannter Architekt an der
Technischen Hochschule Karlsruhe, damit begonnen,
Unterstände als minierte Stollen auszuheben. …". Auch der
Ostendorf-Schüler und Leutnant Otto Stein, zuvor
Karlsruher Baupraktikant, betreibt dieses Metier
meisterhaft. Welche Zynik: Der Architekt, der kurz zuvor
eine prachtvolle Villa in Heidelberg erbaut hatte, wird
nun seine Kenntnisse aufbieten müssen, um begehbare
Grabenanlagen und Unterstände im Schlamm der Champagne
ausheben zu lassen. Bald danach wird er, der ein Buch über
die Baukunst der Zisterzienser geschrieben hat,
erleben, wie die Kapelle Notre Dame auf dem Lorettoberg,
wie das Schloss in Souchez zum Trümmerhaufen werden.
Das Todeskommando
Das Stichwort "Loretto" kennzeichnet eine der
grauenhaftesten Schlachten des Weltkriegs. Beim
Vormarsch der deutschen Truppen zur Kanalküste konnten sie
in Flandern eine Hügelkette besetzen, um die
Lorettokapelle unweit von Lens, dem Etappenort dieses
Frontabschnittes in der Industrielandschaft des
Artois. Im sich anbahnenden Stellungskrieg des Winters
1914 wurde das Gebiet mit Gräben, Unterständen und Stollen
ausgebaut, mit Stacheldraht befestigt und in der
Folgezeit in erbitterten Kämpfen verteidigt. Ein kleiner
Hügel, die sog. Kanzelstellung, war jedoch in
französische Hand zurückgefallen, und so erging der
Befehl, diese strategisch wichtige Anhöhe, eine
Schlüsselstellung, müsse unverzüglich zurückgewonnen
werden, koste es was es wolle. Es war ein Todeskommando,
zu dem alle verfügbaren Kräfte in den Kampf geschickt
wurden, und in der Regimentsgeschichte liest man, "daß
jeder, der es wagte, im feindlichen Feuerregen zur
Kanzel anzusteigen und gegen die sie krönende Feste
anzustürmen, mit dem Leben abzuschließen hatte". Viele
hätten am Nachmittag zuvor noch einen Gruß an die Lieben
daheim gesandt. Hans Schmidt in seiner Schrift über die
"Badischen Leibgrenadiere bei Loretto" beschreibt den
Kampf am 19. März in allen Details: Ostendorf sei an der
Spitze seiner Kompanie in den feindlichen Kugelhagel
gestürmt und tödlich getroffen worden, ebenso wie die
Leutnants der Nachbareinheiten. Der Totenfeier auf dem
Friedhof in Lens, mit allem militärischen Gepränge, mit
Musik und Ansprachen, widmet er ein eigenes Kapitel. Seine
Formulierungen um den Heldenkampf und erhabenen Tod
für das Vaterland erheben sich zu Wagner'schem Pathos und
jeder der Redner nutzte sie aufs Neue; man liest sie heute
mit Befremden wenn nicht mit Schaudern.
Wir können hier abbrechen. Doch zwei Betrachtungen
sollten am Schluss stehen. Der Kanzelsturm vom 19. März
steht am Anfang einer eskalierenden militärischen
Offensive, in deren Folge in den kommenden Monaten mehr
als 100 000 Soldaten auf beiden Seiten das Leben verloren.
Auch im französischen Generalstab war man zu der
Erkenntnis gekommen, das Hügelchen um die
Lorettokapelle (165 m hoch) sei die Schlüsselstelle der
gesamten sich verfestigenden Frontlinie, und so haben
die Marschälle Joffre und Foch eine ganze Armee in den Tod
geschickt, um im Verlauf mehrerer Monate einen
Geländegewinn von knapp 2 km verbuchen zu können. Diese
sinnlose Strategie rat- und konzeptionsloser Generäle
wurde einem vermeintlichen Erfolg untergeordnet, der
unzählige Todesopfer in Kauf nahm, sie sogar bei jedem
Angriff einkalkulierte. In den hehren Reden am Grabe
Ostendorfs klingt dies nur an, und es hat noch lange
gebraucht, bis man es auch aussprechen konnte. Doch man
fühlte das Wissen um seine Todesbereitschaft, die bei
ihm markanter zu sehen ist als bei seinen jungen
Studenten. Dies zu verstehen fällt uns schwer, und man hat
den Jubel, mit dem die Soldaten in den Krieg gezogen sind,
in Frage gestellt, das Deutschlandlied, mit dem die
Studenten von Langemarck in den Tod gestürmt sein sollen.
Doch wenn die Freunde Ostendorfs die Lauterkeit seines
Charakters, die Unbedingtheit seines Tuns rühmen, ihm
auch im entsetzlichsten aller Kriege Pflichterfüllung
und vorbildhaftes Leben bescheinigen, so sollte man
dies nicht als Floskeln abtun. Dass man in Deutschland,
ebenso wie auch im Nachbarland Frankreich, glaubte, seine
Genies, seine geistige Elite auf dem Schlachtfeld opfern
zu müssen, dies kennzeichnet eine Tragödie
ohnesgleichen, und es genügt nicht, nach hundert Jahren
die Gedenktage der Toten würdig zu begehen. Schon am 26.
September 1914 war der erst 27jährige August Macke in der
Champagne gefallen (am selben Tag wie der Heidedichter
Hermann Löns), und sein Freund Franz Marc versuchte, die
tiefe Erschütterung, die Trauer um den Tod des
kongenialen jungen Malers in Worte zu fassen. Doch auch
er, der Kriegsgegner, hat als Offizier seine
"vaterländische Pflicht" erfüllt, und so ist er, am
letzten Tage bevor man ihn von der Front abrufen wollte,
am 4. März 1916 bei Verdun gefallen. Dort ist
Deutschlands Zukunft verblutet!
Dr. Hansmartin Schwarzmaier
Der Autor ist Historiker, Leiter des Badischen
Generallandesarchivs Karlsruhe i.R.
Lit.: Walter Sackur, Zum Gedächtnis an Friedrich
Ostendorf (Berlin 1919). - Das 1. Badische
Leib-Grenadier-Regiment Nr. 109 im Weltkrieg 1914-1918,
bearb. von Rudolf von Freydorf (Karlsruhe 1927), insbes.
S. 222 ff. mit Bildern. - Badische Leib-Grenadiere bei
Loretto. Nach den Aufzeichnungen von Leutnant Hans
Schmidt hrsg. von Major a.D. Piper (1917). - Joachim
Kleinmanns, Ostendorf. In: Bad. Biographien NF Band VI
(2011), S. 301 ff. mit weiterer Lit.- Gerhard Kabierske,
Ein gebautes Manifest. Das Ostendorf-Haus in der
Weberstraße 3. in: Blick in die Geschichte Nr. 83 vom 19.
Juni 2009; desgl. in: Friedrich Ostendorf - Bauten und
Schriften, hrsg. von Joachim Kleinmanns (Salzburg 2010),
hier S. 29-44. - Herrn Kabierske habe ich für viele
weiterführende Informationen zu danken. -
H.Schwarzmaier, Briefe von der Front an die Karlsruher
Heimat. in: Blick in die Geschichte Nr.101 vom 3. Januar
1914, darin zitiert die ungedruckten Briefe Karls von
Babo, jetzt im GLA Karlsruhe. Dort auch die Personal- und
Militärakten aller hier gen. Personen. - Franz Marc.
Briefe aus dem Feld 1914-1916 (München 2014).
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick107/ostendorf
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 107 vom 19. Juni 2015
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Erster Karlsruher Stadtrechnungsband mit einer von Bürgermeister Johannes Sembach unterschriebenen Abrechnung. Stadtarchiv Karlsruhe R 1
Erster Karlsruher Stadtrechnungsband mit einer von Bürgermeister Johannes Sembach unterschriebenen Abrechnung. Stadtarchiv Karlsruhe R 1
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Gasthaus "Zum Laub", Kaiserstraße 16, um 1920. Foto: StadtAK 8/PBS oXIVe 1194
Gasthaus "Zum Laub", Kaiserstraße 16, um 1920. Foto: StadtAK 8/PBS oXIVe 1194
Biographie Johannes Sembach
Im von Markgraf Karl Wilhelm im September 1715 erlassenen
Privilegienbrief, der möglichst viele Menschen anlocken
sollte, sich in der neuen Residenz Karlsruhe
niederzulassen, war auch festgehalten worden, eine
niedere Gerichtsbarkeit für das neue Gemeinwesen
einrichten zu wollen. Im März 1718 wollten 55 Bürger der
jungen Stadt nun selbst eine Gemeindeordnung geben,
nachdem das Vorhaben ins Stocken geraten war und sie
wählten den Waldhornwirt Johannes Sembach zu ihrem
Bürgermeister, von dem kein Porträt überliefert ist.
Sembach war am 5. März 1671 in Straßburg als Sohn einer
Kaufmannsfamilie geboren und lutherisch getauft worden,
wie jüngste Recherchen durch den Verfasser in den
Straßburger Kirchernbüchern ergeben haben. Der Genealoge
Armin G. Meyer fand weitere Daten zur
Familiengeschichte heraus: Sembachs Vater Balthasar
starb 1703. Vielleicht hatte der Sohn von ihm Vermögen
geerbt. Sein Wegzug von Straßburg hing vielleicht aber
auch damit zusammen, dass die Stadt 1681 durch Annektion
französisch geworden war. Protestanten wurden zwar im
Gegensatz zum übrigen Frankreich nach dem 1685 erlassenen
Edikt von Nantes dort weiter geduldet, durften aber keine
öffentlichen Ämtern mehr bekleiden. 1693 war dem Ehepaar
Johannes und Maria Barbara Sembach 1693 noch in Straßburg
ein Sohn geboren worden. Wohl zwischen 1703 und 1710 zog
die kleine Familie nach Mühlburg, wo Sembach mit seiner
Frau zwei Wirtshäuser betrieb, wie es in den Mühlburger
Kirchenbüchern und einem Einwohnerverzeichnis
überliefert ist.
Im Vorfeld der Stadtgründung von Karlsruhe zog Sembach mit
seiner Familie 1714/15 von Mühlburg nach Durlach und wurde
dort Hintersasse. Noch 1715 wollte sich Sembach in
Karlsruhe in der späteren Kronenstraße ein modellmäßiges
Haus erbauen. Wenig später übernahm er jedoch die
Waldhornwirtschaft, damals die einzige Gaststätte in der
neuen Residenz, die bereits vor der Stadtgründung
bestanden hatte und 1712 erstmals erwähnt wird. Der
Schlussstein des Gebäudes hat sich noch erhalten und ist
heute im Karlsruher Stadtmuseum ausgestellt. (siehe
Blick in die Geschichte, Bd. 1, 1994, S. 282 ff.) Sembach
erweiterte 1717 das Gasthaus um ein daran stoßendes
Eckhaus an der Waldhornstraße zur Langen Straße in der
Nähe des damals dort noch befindlichen Durlacher Tores.
Hier wurden in den Anfangsjahren der Stadt die
Lateinische Schule und die Ratssitzungen abgehalten.
Sembach selbst scheint mit seiner neuen Funktion als
Bürgermeister überfordert gewesen zu sein, denn seine
mangelnde Zuverlässigkeit bei der Führung der
Stadtrechnungen wurde des Öfteren beklagt und er
scheint auch keine Ratsprotokolle geführt zu haben.
Obwohl anfangs hoch angesehen -bei der Taufe seiner
Enkelin 1718 in der Schlosskapelle waren als Paten der
Markgraf und dessen Gemahlin und andere Mitglieder des
Hofstaates anwesend-, wurde sein Tod am 20. August 1720 im
Kirchenbuch nur noch lapidar erwähnt. Das Gasthaus zum
Waldhorn wurde von seinem gleichnamigen Sohn und der
Witwe noch fast vier Jahrzehnte weitergeführt. Der
Schwiegersohn von Johannes Sembach junior, Heinrich
Lung, erwarb die Wirtschaft 1758, riss sie ab und erbaute
an ihrer Stelle eine neues der Bauordnung von 1752
entsprechendes zweistöckiges Haus, "mit 12 Stuben, 6
Kammern, 23 Gastbetten und Stallungen für 24 Pferde".
Auf dieses Gebäude wurde damals das Schild "Zum Drachen"
übertragen. Im 19. Jahrhundert wurde es als Gasthaus zum
Ritter betrieben und in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts war es das "Laub", von dem sich ein Foto im
Stadtarchiv erhalten hat. Nach Kriegszerstörung und
Wiederaufbau befindet sich an seiner Stelle heute das
große Mietshaus Kaiserstraße 18 mit einer Buchhandlung im
Erdgeschoss.
Dr. Peter Pretsch
Der Autor ist Leiter des Karlsruher Stadtmuseums
im Prinz-Max-Palais.
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick107/sembach
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 109 vom 4. Dezember 2015
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Wohnhaus des Privatiers Hermann Kröncke, Jahnstraße 6-8, Grundriss des Erdgeschosses, 1883. StadtAK 8/BOA P93
Wohnhaus des Privatiers Hermann Kröncke, Jahnstraße 6-8, Grundriss des Erdgeschosses, 1883. StadtAK 8/BOA P93
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Wohn- und Geschäftshaus auf dem Grundstück des Gasthauses "Stadt Straßburg", Kaiserstraße 113, Fassadenansicht zur Kaiserstraße, 1880. StadtAK 8/BOA P462
Wohn- und Geschäftshaus auf dem Grundstück des Gasthauses "Stadt Straßburg", Kaiserstraße 113, Fassadenansicht zur Kaiserstraße, 1880. StadtAK 8/BOA P462
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Kälber- und Schweinemarkthalle des Schlacht- und Viehhofs, Durlacher Allee 62-66, Grund- und Aufriss der Südfassade, 1909. StadtAK 8/BOA P726
Kälber- und Schweinemarkthalle des Schlacht- und Viehhofs, Durlacher Allee 62-66, Grund- und Aufriss der Südfassade, 1909. StadtAK 8/BOA P726
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Perspektivische Ansicht der Häuserfront Stephanienstraße 94-96, Fassadenansicht, 1902. StadtAK 8/BOA P2073
Perspektivische Ansicht der Häuserfront Stephanienstraße 94-96, Fassadenansicht, 1902. StadtAK 8/BOA P2073
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Durlacher Schwimmbad, Plan der Gesamtanlage, Alte Weingartener Straße 40, 1947. StadtAK 8/BOA P4318
Durlacher Schwimmbad, Plan der Gesamtanlage, Alte Weingartener Straße 40, 1947. StadtAK 8/BOA P4318
Ein Projekt des Stadtarchivs Karlsruhe
Die Rettung historischer Bauakten
von Patrick Sturm
Das Stadtarchiv Karlsruhe widmet sich seit einigen
Jahren der Erhaltung historisch wertvoller Bauakten. Seit
Mai 2015 wird die Rettungsaktion mit neuem Personal
forciert. Ziel ist die dauerhafte Erhaltung der
historischen Karlsruher Bauakten. Dies betrifft sowohl
den Archivbestand als auch die Bauakten bis 1945 aus der
laufenden Registratur des städtischen Bauordnungsamts.
Maßnahmen zur Bestandserhaltung stehen dabei im Fokus.
Zusätzlich werden Konzepte zur Überlieferungsbildung,
zur Erschließung und zur Nutzung erarbeitet. Somit handelt
es sich um eine umfassende Maßnahme, die mehrere
archivfachliche Dienstleistungen verknüpft. Doch
warum wird gerade Bauakten eine so große Bedeutung
beigemessen und weshalb sind sie in ihrem Bestand so
stark gefährdet?
Bauakten als Quellen historischer
Forschung
Bauakten sind zentrale Bestände in jedem
Kommunalarchiv. Im Vergleich zu anderen Kommunen
besitzt die ehemalige badische Residenzstadt Karlsruhe
eine ausgezeichnete Überlieferungssituation.
Verschont von kriegsbedingten oder anderweitigen
Verlusten sind die historischen Bauakten der Stadt seit
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast vollständig
erhalten und bieten eine hervorragende
Quellengrundlage für die Bearbeitung eines breiten
Spektrums an historischen Fragestellungen. Vor allem
für die Baugeschichte als einem zentralen Aspekt der
Stadtgeschichte handelt es sich um aussagekräftige
Quellen. In gleicher Weise gilt dies für die
Architektur- und die Kunstgeschichte. Abgesehen von
der Entstehung und Entwicklung einzelner Gebäude ist die
Genese stadtbildprägender Häuserzeilen und Stadtviertel
aus den Unterlagen zu rekonstruieren.
Die Bauakten dokumentieren auch das Wirken namhafter
Architekten in Karlsruhe, so zum Beispiel Hermann
Billing, Curjel & Moser oder Hermann Reinhard Alker.
In diesem Kontext sind die Entwurfszeichnungen von
besonderem Interesse, geben sie doch Schlaglichter auf
geplante, aber nicht immer auch umgesetzte Bauvorhaben,
zeigen also Planungsalternativen auf. Bauakten
stellen damit oftmals die einzigen Zeugnisse für die
Planung und Entstehung von Gebäuden dar.
Handelt es sich in erster Linie um Quellen zum Bauwesen,
geht der Informationsgehalt doch über Bauplanung und
-ausführung sowie bauliche Angaben zu Gebäuden hinaus. Die
Bauakten veranschaulichen etwa die Interaktion
zwischen den an einem Bauvorhaben beteiligten Akteuren
- Bauherr, Architekt, Bauverwaltung. Auch lassen sich
die Unterlagen zur Bearbeitung von Fragestellungen zur
Besitzgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte,
Rechtsgeschichte sowie Verkehrsgeschichte und nicht
zuletzt zum Brandschutzwesen gewinnbringend nutzen.
Zudem sind es wichtige Quellen für die Denkmalpflege.
Zentraler Inhalt der Bauakten ist das umfangreiche
Planmaterial. Von Grundrissen, über Schnitte und
Aufrisse hin zu Außenansichten und Situationsplänen
findet sich ein breites Portfolio an illustrativen wie
auch informationsreichen Darstellungen. Zum Teil
sind Details von Fensterfronten, Toren, Schaukästen und
dergleichen hervorgehoben. Die Pläne visualisieren,
unterstreichen und ergänzen die schriftlichen
Ausführungen.
Die Gefährdung des
Quellenbestandes
Handelt es sich bei Bauakten um einschlägige Quellen für
Forschungen zur Geschichte der Stadt Karlsruhe, so ist
ihr Erhaltungszustand vielfach sehr schlecht und ihr
Bestand mitunter stark gefährdet. Die kontinuierliche
Nutzung durch Bauherren, Architekten,
Immobilienmakler oder Wissenschaftler hat ihre
Spuren vor allem bei den älteren Akten hinterlassen. So
sind mechanische Schäden in Form von Rissen und
bestoßenen Rändern zu nennen. Von früheren
Instandsetzungsversuchen zeugen
Selbstklebestreifen, die sich allerdings negativ auf
die Haltbarkeit des Papiers auswirken. Starke Schäden
weisen die auf die Größe der Akten zusammengefalteten
Pläne auf. Sie sind vielfach an den Faltstellen
eingerissen oder bereits auseinandergebrochen. In
besonderem Maße ist das Pergaminpapier angegriffen. Im
Laufe der Jahrzehnte wurde es sehr brüchig, so dass viele
Pläne nur noch in Einzelteilen vorliegen. Die älteren
Bauakten haben sich zudem braun verfärbt, was auf den
hohen Säuregehalt im Papier hinweist. Dadurch altert das
Papier schneller und wird brüchig - ein Zerfallsprozess
ist im Gang.
Maßnahmen zur Rettung der historischen
Bauakten
Was wird getan, um die Bauakten zu retten? Ein erster
Schritt war die Überführung der historischen Bauakten
aus dem städtischen Bauordnungsamt in das Stadtarchiv,
die Anfang Oktober 2015 abgeschlossen wurde. Dort
angekommen werden sie derzeit im Archivsystem Augias
erfasst und in säurefreie Archivboxen verpackt. Nach
Abschluss der anschließenden Restaurierungs- und
Konservierungsmaßnahmen erfolgt die dauerhafte Lagerung
der Bauakten in den klimatisierten Magazinen des
Stadtarchivs.
Der hohe Säuregehalt im Papier erfordert eine Entsäuerung
der Bauakten. Bei dem hierzu eingesetzten
Massenverfahren wird der pH-Wert des Papiers in einen
leicht basischen Bereich (pH 7,5-9,5) angehoben und ein
sogenannter alkalischer Puffer in das Papier
eingebracht. Die Behandlung verlangsamt den
Alterungsprozess des Papiers, der durch den hohen
Säuregehalt beschleunigt wurde. Um weiteren
Nutzungsschäden vorzubeugen, werden die Bauakten
digitalisiert. Das alte, brüchige Papier und die
Oberrandheftung erschweren diesen Arbeitsgang. Liegen
die Digitalisate vor, erfolgt die Einsichtnahme künftig
am Bildschirm. Dies erlaubt unkomplizierte,
ortsunabhängige Recherchen. Auch lassen sich
Reproduktionen rascher anfertigen.
Eine besondere Herausforderung stellt die
Restaurierung der beschädigten Pläne dar. Die Archivare
nehmen sie aus den Bauakten heraus und fädeln
Platzhalter ein. Restauratoren setzen die mitunter in
Einzelteile zerbrochenen Pläne wieder zusammen und
stabilisieren stark angegriffene Stücke mit
Japanpapier. Nach der Restaurierung werden die Pläne
digitalisiert. Aus Gründen der Bestandserhaltung
kommen die Pläne nach der Restaurierung nicht zurück in
die Akten. Stattdessen werden sie in Kartenschränken
planliegend aufbewahrt.
Mit der Übernahme einer Restaurierungspatenschaft
kann jeder Interessierte die Rettung des kulturellen
Erbes der Stadt Karlsruhe unterstützen. Eine Patin/ein
Pate wählt dabei eine oder mehrere Bauakten und/oder Pläne
aus, und spendet für deren Instandsetzung. Die Wahl kann
auf das eigene Haus, den Firmensitz oder ein anderes
beliebiges Gebäude fallen. Zur ersten Orientierung
finden sich Informationen und eine Liste
restaurierungsbedürftiger Bauakten und Pläne im
Internet (s.u.). Gerne kann man bei Interesse auch
Vorschläge und Wünsche zu bestimmten Gebäuden äußern oder
Fragen zu einer Patenschaft an das Stadtarchiv
Karlsruhe richten.
Projektinformationen und
Präsentationen
Das Stadtarchiv ist bestrebt, kontinuierlich über das
Projekt und dessen Fortgang zu berichten. Ebenso ist es
ein Anliegen, die Bauakten als wichtige Quellen für die
Stadtgeschichte zu präsentieren und ihren historischen
Wert zu veranschaulichen. Dazu dient der
Internetauftritt www.karlsruhe.de/historischebauakten,
wo die Bauakten vorgestellt sowie Einblicke in das
Projekt und die verschiedenen Arbeitsschritte gegeben
werden. Aktuelles zum Projekt wird regelmäßig auf Facebook
(www.facebook.com/karlsruhe.stadtgeschichte) gepostet.
Ab September 2016 werden historische Bauakten in zwei
Ausstellungen zu sehen sein. Als Teil der
Sonderausstellung "Waren. Haus. Geschichte: Die
Knopf-Dynastie und Karlsruhe" im Karlsruher Stadtmuseum
ist die Baugeschichte des ehemaligen Kaufhauses der
Familie in der Kaiserstraße - heute Karstadt - im Spiegel
der Bauakten nachzuzeichnen. Weitere Einblicke in die
inhaltliche und thematische Vielfalt, aber auch zu den
Erhaltungsmaßnahmen wird es in den Räumen des Vereins
Architekturschaufenster e.V. in der Waldstraße 8
geben.
Mit Bauakten liegen aussagekräftige Quellen zu vielen
stadthistorischen Fragestellungen vor, die
ausgezeichnete Nutzungsmöglichkeiten bieten. Das
Stadtarchiv Karlsruhe als Bewahrer des Gedächtnisses der
Stadt sichert mit dem Projekt "Rettung historischer
Bauakten" auch mit Unterstützung von Paten und Patinnen
den einzigartigen Quellenfundus zur Stadt- und
Baugeschichte. Wichtige Teile des kulturellen Erbes der
Stadt werden gerettet, für künftige Generationen bewahrt
und für die Nutzung zugänglich gemacht.
Dr. Patrick Sturm, Stadtarchiv Karlsruhe
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick109/bauakten
kurier_160617_030_HP_035
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 1
Karlsruher stadthistorische Beiträge Nr. 111·17. Juni 2016
Johann Michael Ludwig Rohrer
Von dem Baumeister, der in jüngster Zeit als „großer Meister kleiner Formen“ Würdigung fin- det, existiert kein zeitgenössisches Bild. Nur ein Fantasieportrait in einem Glasfenster des Ettlinger Rathauses von 1960 (s. o.) zeigt Rohrer bei der Übergabe seines Plans für den Wiederaufbau der St.-Martins-Kirche an Markgräfin Sibylla Augu- sta. Ihr und seit 1727 ihrem Sohn Ludwig Georg diente Rohrer 25 Jahre als Hofbaumeister und schuf in dieser Zeit einige der schönsten barocken Bauwerke des Landes Baden, in denen sich Anre- gungen der französischen Baukunst, des rö- mischen Hochbarock sowie des süddeutschen und Wiener Spätbarock finden.
Geboren wurde Rohrer 1683 in Tissau in Nord- böhmen (heute Otro in-Tisová) als Sohn des Mül- ler-, Zimmer- und Brunnenmeisters Michael An- ton Roher, der im Dienst von Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg stand und an dessen Re- sidenz in Schlackenwerth (heute Ostrov nad Ohří) arbeitete. Er ging wohl bei seinem Vater in die Lehre und übersiedelte mit der ganzen Familie 1697 nach Rastatt. Der Grund dafür war, dass der Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, der Türkenlouis, mit seiner Ehefrau Sibylla Augusta, der Enkelin des Herzogs von Sachsen-Lauenburg, in seine Heimat zurückging, nachdem sich seine Hoffnung König von Polen zu werden, zerschla- gen hatte. Dort in Rastatt ließ er sich von Domeni- co Egidio Rossi eine neue Residenz bauen. Da es in Rastatt aber nicht genügend Handwerker gab, zog die gesamte Schlackenwerther Bauhütte, und damit auch die Familie Rohrer, nach Rastatt.
Nach dem Tod des Türkenlouis 1707 übernahm die 32-jährige Markgräfin Sibylla Augusta die Re- gentschaft. Aus Kostengründen und wegen Ausei- nandersetzungen mit Rossi ernannte sie 1707 den erst 24-jährigen Rohrer zum neuen Hofbaumei- ster. In den darauf folgenden 25 Jahren verant- wortete Rohrer die Um- und Anbauarbeiten am Rastatter Residenzschloss, dem ältesten und zweitgrößten südwestdeutschen Barockschloss. Er plante das Lustschloss Favorite mit Park und Ere- mitage in Rastatt, die Kirche St. Valentin in Dax- landen (1715) sowie die Einsiedlerkapelle (1715), die Schlosskirche (1719 – 21) und die Pagoden- burg (1722) in Rastatt. 1723 – 1727 plante er – von Sibylla Augusta ausgeliehen – im Auftrag des Fürstbischofs von Speyer, Damian Hugo von Schönborn, in Bruchsal den Ausbau des Kammer- flügels des Schlosses, die Orangerien sowie das Damianstor und entwarf die ersten Pläne für das Corps de Logis. Ab 1728 plante der Baumeister für Sibylla Augusta in Ettlingen den Wiederaufbau sowohl des im pfälzischen Erbfolgekrieg zer- störten Ettlinger Schlosses wie der ebenfalls zer- störten St. Martinskirche. Deren Fertigstellung er- lebte Rohrer nicht mehr. Er starb in Ettlingen am 24. April 1732 und hinterließ seine Ehefrau Maria Franziska mit zwei 1711 und 1713 geborenen Söh- nen. Manfred Fellhauer
1683 – 1732 Foto: Stadtarchiv
Fortsetzung Seite 2
Als im Sommer vor 80 Jahren in Spanien Militärs unter General Franco gegen die demokratisch ge- wählte Regierung putschen, machen sich „Spani- enkämpfer“ aus Deutschland auf den Weg – auch aus Karlsruhe. Die einen sitzen in Maschinen der Luftwaffe oder auf Dampfern wie der „Usamaro“ – in Zivil und getarnt als „Union Reisegesellschaft“, die anderen – oft schon aus ihrer Heimat vertrie- ben oder geflohen – kommen auf Bergpfaden über die Pyrenäen, als „Urlauber“ mit dem Zug von Pa- ris über Perpignan nach Barcelona, auf Fähren von Marseille über Mallorca ans Festland. Die einen sind Wehrmachtssoldaten mit Sold, Front-Zulage und Vorab-Beförderung, die anderen sind meist Arbeiter, Nazi-Gegner aus verschiedenen Par- teien, ab 1933 oft in „Schutzhaft“ im KZ Kislau.
Terroristen und Waffen aus Karlsruhe für die Militär-Putschisten
Aus Karlsruhe kommt der adlige und hochdeko- rierte Luft-Terrorist der Nazi-Söldner-Truppe „Le- gion Condor“, der am 26. April 1937 den Tod auf Guernika warf. Die Fregatte „Karlsruhe“ kreuzt vor der spanischen Küste, angeblich zum Schutz der dort lebenden Deutschen, tatsächlich aber als Teil der Seeblockade, um Lieferungen für die rechtmäßige Regierung Spaniens zu verhindern. Die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Karlsruhe, konkret das Zweigwerk Lübeck, liefert ab 1936 Patronen für die „Legion Condor“.
Die anderen „Spanienkämpfer“ aus Karlsruhe
Die Namen der Verteidiger der spanischen Re- publik aus Karlsruhe fehlen in ihrer Stadt. An ei- nen wird zwar erinnert, im Museum für Literatur am Oberrhein und im Stadt-Wiki Karlsruhe fehlt jedoch, was Carl Einstein ab 1936 gemacht hat,
Karlsruhe – Spanien:
(K)eine Erinnerung von Brigitte und Gerhard Brändle warum er so handelte und warum er in den Tod floh. Wäre er nicht Kunsthistoriker gewesen, wäre auch er vergessen gemacht worden wie die bisher namenlosen Antifaschisten, gehörten sie doch zum niederen Volk, waren Färber, Kraftfahrer, Mechaniker, Metallarbeiter, Schlosser und Schrei- ner, meist Facharbeiter, auch ein Meister. Einer hatte Jura studiert, aber auch er fiel der partiellen Amnesie anheim: Rechtsanwalt August Hoffmann ist erst ab 1945 als SPD-Stadtrat genannt. Bei den zwölf Jahren davor fehlt, dass er vor 1933 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegen die NSDAP kämpfte, dass er 1936 in Spanien in der Fliegerstaffel André Malraux gegen die Putschis- ten kämpfte, dass er 1939 im Lager Gurs einge- sperrt war und die Nazis ihn 1943 über das Ge- fängnis Karlsruhe ins KZ Dachau verschleppten. Das Reichssicherheitshauptamt begründete die weitere „Schutzhaft“ mit: „… ist anzunehmen, dass Hoffmann aufgrund seiner marxistischen Ge- sinnung, die er durch aktive Teilnahme am span. Bürgerkrieg betätigt hat, seine Freiheit zu weite- ren staatsfeindlichen Umtrieben missbrauchen werde“.
Über Gurs und Karlsruhe ins KZ Dachau ver- schleppen die Nazis auch Emil Hoffmann, Adolf Kempf und Eugen Seidt. Otto Schmuck überlebt Gurs und dann die vier Jahre Zuchthaus im Ge- fängnis Karlsruhe und im Zuchthaus Ludwigsburg. Fritz Birk ist nach 1942 im Zuchthaus Ludwigsburg und ab 1944 im KZ Flossenbürg eingesperrt.
Motive der Spanienfreiwilligen: „gegen die NS-Gewaltherrschaft in Deutschland“
Eugen Seidt flieht 1935 nach Frankreich, bevor er ab 1936 bei den Internationalen Brigaden im Bataillon Edgar André kämpft und dann Kraftfah- rer im Sanitätsdienst wird. Nach der Befreiung schreibt er: „Ich habe auf der Seite der rechtmä- ßigen republikanischen Regierung in Spanien am Kampf gegen die NS-Intervention teilgenommen. Der Kampf gegen die von der NS-Regierung nach Spanien beorderte ‚Legion Condor‘ war zugleich ein Kampf gegen die Festigung der NS-Gewalt- herrschaft in Deutschland“. Seidt überlebt die La- ger Gurs und Le Vernet, die Gefängnisse Karlsru- he und Ulm und das KZ Dachau.
Carl Einstein antwortet 1938 auf die Frage zu seinen Motiven: „Das ist die einzige nützliche Sa- che, die es zur Zeit gibt. Und weil ich die Monoto- nie eines faschistischen Europa nicht aushalten will. […] Ich bin gekommen, weil die Spanier das einzige Volk sind, das nicht erlaubt, dass es ver- kauft wird, obwohl alle Welt sich anstrengt, es zu verkaufen. […] Wir müssen diese Leute hier mit allen Mitteln verteidigen. Denn, wenn wir nach al- ledem hier noch in Freiheit schreiben und malen können, dann ist dies – wortwörtlich – nur dem spanischen Widerstand zu danken. Ich wusste von Anfang an, dass ich in Spanien meine eigene Ar- beit, die Möglichkeit, als freies Individuum zu denken und zu fühlen, verteidigen würde“. Ein- stein kämpft, obwohl Mitglied der KPD, in der Co- lumna Durruti der Anarchosyndikalisten. 1938 er- scheint die Broschüre „Die deutsche Intervention in Spanien“, in der er Waffenlieferungen für Fran- co aus Deutschland mit Dokumenten, Lieferschei- nen etc. nachweist – bisher weder übersetzt noch
Der Karlsruher Spanienkämpfer Karl Ganz alias Kurt Bürger wurde 1946 SED-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg und kurz vor seinem Tod Ministerpräsident. (Briefmarke der DDR 1974)
4 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
Herausgeber / Redaktion: Dr. Manfred Koch Herstellung: Badendruck „Blick in die Geschichte“ online ab Nr. 61/2003 unter: www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/ blick_geschichte/ausgaben.de
Vieles an Wegen und Straßen, an dem man achtlos vorübergeht, hat aufgrund eines hohen Kulturwertes eine eingehende Betrachtung ver- dient. Wegkreuze gehören zu diesen Kulturdenk- malen. Sie sind stille, eindrucksvolle in Stein ge- hauene Zeugnisse eines unerschütterlichen christ- lichen Glaubens früherer Generationen. Vor allem in Gegenden mit katholischer Bevölkerung war es Brauch, auf freiem Feld, an einer Wegkreuzung, einem Weg oder einer Straße Weg- oder Flur- kreuze aufzustellen. Die unterschiedlichsten Gründe bewegten die Menschen zur Errichtung. Oft dienten sie als Orientierung für Reisende, Wanderer und Pilger.
23 unter Denkmalschutz stehende Wegkreuze befinden sich heute im Stadtgebiet, neun davon sind im Stadtteil Daxlanden, dem ehemaligen Fi- scherdorf der katholischen Markgrafschaft Ba- den-Baden anzutreffen. Eines der eindrucksvolls- ten ist das am Ende der Lindenallee, Anfang der Valentinstraße bei der Einmündung in die Aga- thenstraße. Die Inschrift auf dem gekehlten So- ckel des Sandsteinkreuzes überliefert die Stifter und das Entstehungsjahr: „Sein Blut floß, und/ er starb o Mensch/ für deine Sünden/ errichtet/ von Johan Kutterer und/ dessen Ehefrau eine gebohr/ ne Litzerin 1795“. Die Balkenenden sind als Drei-
pässe mit Engelsköpfen ausgebildet. Am Kreuzes- stamm findet sich ein Totenschädel mit gekreuz- ten Knochen. Der Schädel am Fuß des Kreuzes hat mehrfache Bedeutung: Zum einen weist er auf Golgota (Schädelstätte) hin. Andererseits soll er der Schädel Adams sein, wodurch gleichzeitig Je- sus als der „neue Adam“ erscheint, der den Tod besiegt.
Nach einem Eintrag in den Daxlander Kirchen- büchern weihte Pfarrer Heil am 12. Juli 1795 das Kreuz, das ursprünglich bei der Appenmühle auf- gestellt war. Das Vikariat der Diözese Speyer in Bruchsal (Daxlanden gehörte zu diesem Zeitpunkt noch zur Diözese Speyer) verlangte von dem Bür- ger und Schwarzadlerwirt Johannes Kutterer, dass er zur Unterhaltung des Kreuzes 15 Gulden in den Heiligenfonds (alte Bezeichnung für den Kirchen- fonds) zahlen sollte. Kutterer weigerte sich und so ordnete das Vikariat an, das Kreuz „an einen son- stigen ehrbaren Ort“ verbringen zu lassen. Das mag der Grund sein, warum er das Kreuz bei der Appenmühle aufgestellen ließ. Dort war einst die Ziegelei des Schultheißen und Schwarzadlerwirts Hanns Martin Gartner, Großvater von Johannes Kutterer. In dieser Ziegelei wurden 1713 – 1715 die Backsteine und Dachziegel für den Bau der St.-Va- lentins-Kirche hergestellt. Wann man das Kreuz an den Hammweg versetzen ließ, ist nicht bekannt. Bis 1939 stand es auf dem Grundstück des Fuhrun- ternehmers Artur Kästel, Hammweg Nr. 31. Dort war es auch Station bei den Flurprozessionen.
Das stark beschädigte Kreuz wurde 1968 von dem Karlsruher Künstler Tomas Jungvirt restau- riert und fehlende Teile in Lindursan-Beton er- gänzt. Heute, knapp 50 Jahre später ist das Kreuz erneut reinigungs- und sanierungsbedürftig.
Carlsruher Blickpunkte
Wegkreuz in Daxlanden von Manfred Fellhauer
Foto: Stadtarchiv
straße lieferten Büros auch Entwürfe, die heute Unverständnis hervorrufen. So hatten zum Bei- spiel die Architekten Willett und Bingler vorge- schlagen, den Schlosspark bis zum Adenauerring mit Wohnungen für 20 bis 25 000 Menschen zu be- bauen. Die Schlossruine sollte abgerissen werden und einem Hotel Platz machen. Letztendlich konnte diese Verirrung trotz eines Gemeinderats- beschlusses mit nur einer Gegenstimme gebannt werden.
Für die Kaiserstraße entstand ein Bebauungs- plan, dessen Umsetzung wir heute in großen Tei- len sehen. Die Bauflucht der nördlichen Kaiser- straße blieb bestehen, während Neubauten auf der Südseite ab dem ersten Obergeschoß um sechs Meter zurückgerückt werden mussten. Da- für konnten beidseitig sechs Geschoße errichtet werden. Es war vor allem ein Kompromiss mit den Grundstückseigentümern. Die heute teilweise vorhandenen Aufsätze auf die flachen Vorbauten sind Bausünden späterer Jahre. Für die Markt- platzseite wurde mit den Kolonnaden aus ver- kehrlichen Gründen eine Sonderlösung erreicht. 1953 erfolgte, beginnend mit dem Bau Kaiserstra- ße 74 an der Nordseite des Marktplatzes eine auch für die weiteren Projekte verbindliche Änderung der Dachlandschaft. Anstatt des bis dahin vorge- sehenen Satteldaches musste ein Attikageschoss mit Flugdach gebaut werden.
Eine Besonderheit waren die Lieferhöfe hinter den Hauptbaukörpern. Sie sollten der Ver- kehrsentlastung für die Kaiserstraße und einer un- gestörten Anlieferung dienen. Ab 2006 bemühte sich die Stadtplanung mit der Aufwertung dieser bis dahin vernachlässigten, für die Öffentlichkeit aber wertvollen Räume mit unterschiedlichem Er- folg.
Ein Bauvorhaben am Schlossplatz entzündete 1954 wieder die Debatte zwischen den Richtungen „historisch anmutender Wiederaufbau“ oder „neue Architektur“. Im Januar fiel eine Wettbew- erbsentscheidung für den Neubau der Landeskre- ditanstalt im Sinne des neuen Bauens in dem vor- gegeben städtebaulichen Rahmen. Im März be- gann die Diskussion um die Frage „Wiederaufbau des Landratsamtes im Sinne Weinbrenners“ oder eines Neubaus. Vor allem der Bund Deutscher Ar- chitekten (BDA) verfocht eine zeitgemäße Archi- tektur. Bemerkenswert ist die damalige intensive Berichterstattung in der lokalen Presse.
Verbreiterung der Rheinstraße mit noch abzureißenden Bauten (Bildmitte). Foto: Stadtarchiv
Es folgte eine Art Wiederaufbau mit einem zu- sätzlichen Geschoss. Mit dem Auszug des Land- ratsamtes und der Nachfolgenutzung durch das International Department kam es zur Jahrtau- sendwende zu einem Umbau.
Stadtumbau und Sanierung
Nicht die Altstadt, das „Dörfle“, wurde das erste Sanierungsprojekt nach dem Krieg, sondern die Mitte Mühlburgs. Nach dem Projekt „Mühlburger Feld“ enthielt der zweite Teil der Planung für Mühlburg (1952) die Verbreiterung der großen Rheinstraße. Eine Verkehrsplanung mit dem Ziel einer leistungsfähigen Straßenverbindung nach Süden war damit Auslöser für den ersten größeren Stadtumbau in Karlsruhe. Die zahlreichen Kriegs- zerstörungen hinterließen Ruinen, deren Wieder- aufbau an derselben Stelle nicht der geplanten Neuordnung entsprochen hätte. Die Nordseite er- hielt eine durchgehende neue Bebauung mit fünf- geschossigen Wohn- und Geschäftsgebäuden an der zurückversetzten Bauflucht. Die Architektur ist typisch für eine innerstädtische Bebauung der
1950er Jahre. Der ehemalige Haltestellenpavillon am Entenfang vor dem aus derselben Zeit stam- menden Postgebäude ist ein gelungenes Beispiel dieses Stils.
Die Atmosphäre der Rheinstraße leidet unter ih- rer Breite, der Funktion als Durchgangsstraße und einem fehlenden attraktiven zentralen Bereich. Die nun abgeschlossenen Umbaumaßnahmen im Rahmen des Sanierungsprogramms Soziale Stadt sowie die geplanten Vorhaben beim Entenfang werden zur weitern Aufwertung der Mitte von diesem Stadtteil führen.
Ein besonderes, aber bisher wenig gewürdigtes Projekt verdient gerade heute eine besondere Be- achtung als Beitrag zur Quartiersentwicklung und Verbesserung des innerstädtischen Klimas. Ab 1953 wurde der Südstadt-Grünzug realisiert. Da- mit entstand eine Fuß- und Fahrradverbindung mit kleinen Parkanlagen und Spielplätzen vom Stadtgarten quer durch die dicht bebaute Süd- stadt bis zum neuen Quartier Südstadt-Ost. Die schrittweise Umsetzung dauerte bis in die 1980er Jahre. Es ist ein Beispiel für das Bohren dicker Bretter in der Stadtplanung.
kurier
2 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
veröffentlicht, ein angesichts der aktuellen Rüs- tungsexporte gebotenes Reprint. Nach dem Sieg der Putschisten wird er 1939 im Lager Argelès in Südfrankreich interniert, kommt wieder frei, geht nach Paris, wird wieder eingesperrt, wahrschein- lich im Lager Bassens bei Bordeaux. Er weiß, was ihn wohl bald erwarten würde: „Man wird mich internieren, und französische Gendarmen werden uns bewachen. Eines schönen Tages werden es SS-Leute sein. Aber das will ich nicht. Je me fou- trai à l’eau. Ich werde mich ins Wasser werfen!“ Sein zweiter Selbstmordversuch ist erfolgreich: Am 7. Juli 1940 wird seine Leiche aus dem Fluss Gave de Pau bei Boeil-Bézing geborgen.
Vom Hinterhaus in der Karlsruher Bahnhofstraße in das Schweriner Schloss
Hinweise auf Karlsruher, die wie Einstein bei den Anarchisten kämpften, sind spärlich: Der See- mann Theodor Haag wird im französischen Wüs- tenlager Djelfa in Algerien von britischen Truppen befreit, die letzte Meldung vom Zimmermann Phi- lipp Urban stammt von 1939 aus Nîmes.
Hermann Hertz, wie Einstein aus einer jü- dischen Familie stammend, überlebt; nach seiner Flucht 1938 in die USA fehlt jede Spur. Er war Mit- glied der Sozialistischen Arbeiter-Partei, einer lin- ken Abspaltung von der SPD.
Bei der SPD sind August Hoffmann, Franz Deck und Johann Heinz. Die beiden Letztgenannten
schließen sich in Frankreich der Résistance an, Deck überlebt, Heinz, Mitglied des Maquis Bir- Hakeim, wird 1944 von der NS-Wehrmacht er- schossen. Josef Eckl und Emil Maisch können aus Lagern bzw. Arbeitskompanien entkommen und sind in der Résistance gegen die Hitler-Truppen aktiv.
Fast zwei Drittel der Spanienfreiwilligen aus Karlsruhe sind Kommunisten, die meisten auch Gewerkschafter. Alle mussten ab 1933 aus ihrer Heimat fliehen. Einer von ihnen ist Kurt Bürger, 1894 geboren als Karl Ganz. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, in einem Hinterhaus in der Bahn- hofstraße wohnhaft. Als Schlosser wird er Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Ab Fe- bruar 1933 arbeitet er im Untergrund als „Kurt Bürger“ gegen die Nazis. Verrat aus den eigenen Reihen zwingt ihn zur Flucht. In der UdSSR ist er 1934 verantwortlich für die Veröffentlichung von Dokumenten und Berichten unter anderem aus dem KZ Dachau unter dem Titel: „Aus Hitlers Konzentrationslagern“. Die Schrift, illegal nach Nazi-Deutschland geschmuggelt, steht schnell auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Reichsschrifttumskammer. Ein Reprint dieses Zeugnisses des frühen Widerstands steht noch aus. 1936 ist er als „Karl Eiche“ zuerst beim Stab der Internationalen Brigaden in Alba- cete, dann kämpft er im Bataillon Edgar André. In seinem Tagebuch steht am 24. Februar 1937: „Ich denke an die Verbrechen der faschistischen Ban-
diten in Albacete und Valencia. Wieder sind meist Frauen und Kinder ihre Opfer. Die faschistischen Flieger, die unbefestigte, friedliche Städte (meist in der Nacht) mit Bomben belegen, sind die feigs- ten Mordbuben in der Kriminalgeschichte aller Jahrhunderte. [...] Wehe dem Volk, das wehrlos ist gegenüber den Mächten der Reaktion“.
Im April 1937 muss er wegen einer Erkrankung nach Paris. Nach einer Operation kehrt er 1938 in die UdSSR zurück. 1945 kommt Bürger aus dem Exil und ist von 1946 bis 1951 SED-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg. Am 20. Juli 1951 wählt ihn der Landtag zum Ministerpräsidenten, acht Tage später stirbt er nach einem Herzanfall.
In der DDR erinnerte an ihn eine Briefmarke. Der Name Heinz steht auf einem Denkmal in den Cevennen, für Einstein gibt es in Boeil-Bézing ei- ne Gedenktafel. Sie und die anderen Spanienfrei- willigen harren der Wahrnehmung und noch mehr der Würdigung in Karlsruhe. Der Bomber-Pilot aus Karlsruhe war 1957 wieder integriert in sei- nem Metier, verabschiedet ihn doch die Bundes- wehr 1971 mit allen Ehren. Die anderen „Spanien- kämpfer“ müssen zum Teil bis 1975 um Entschädi- gungen streiten.
1996 verleiht die spanische Regierung auf ein- stimmigen Beschluss des Parlaments den Freiwil- ligen der Internationalen Brigaden in Anerken- nung ihrer Verdienste die spanische Ehrenbürger- schaft. 20 Jahre später fehlt ein solches Signal – nicht nur in Karlsruhe.
Der abgebildete Plan der Karlsruher Innenstadt basiert auf dem bekannten von Weinbrenner he- rausgegebenen Stadtplan von 1822. Er zeigt de- tailliert den baulichen Zustand von 1826 mit den geplanten, erhaltenen, archivalisch erwiesenen, lediglich Weinbrenner zugeschriebenen und sei- nen zerstörten Bauten. Dies ergibt an einigen Stel- len Situationen, wo sich Gebautes und Geplantes unvereinbar überlagern. Die Visionen Weinbren- ners von seiner Stadt werden somit ebenso nach- vollziehbar wie die Spuren seines Schaffens im Karlsruhe unserer Tage.
Die Achse Schloss-Ettlinger Tor
Das bereits 1798 von Weinbrenner entworfene Haus Staatsrat Wohnlich am Rondell entsteht bis 1800 (zerstört), ebenfalls im Jahr 1800 baut Wein- brenner das Lusthaus im Markgräflich Hochberg- schen Garten (zerstört) dann das eigentliche Pa- lais, 1803 – 1814 (nach Kriegsverlusten verändert). 1801 baut Weinbrenner sein eigenes Haus am südlichen Ende der Schloss-Straße (Abbruch 1873). 1803 entsteht das Ettlinger Tor als monu- mentale Triumphpforte (Abbruch 1872). Ebenfalls 1803 der Entwurf eines herrschaftlichen Wohn- hauses im Nordosten des Rondells. Im Südwesten wird die Bebauung 1804 beschlossen durch Eck- haus und anschließendes Haus des Hofmetzgers Reuter, beide wohl von Weinbrenner (Abbruch nach 2000), sowie durch das mittig angelegte Haus des Schreinermeisters Stemmermann, 1809 (nicht erhalten). 1805 das Haus des Generals von Beck, Schloss-Straße 23 (nicht erhalten).
Grundlage für die Planungen am Marktplatz ist der Plan von 1797. Der eigentliche Marktplatz, 70 x 65 Meter, wird gerahmt von eingeschossigen Boutiquen für Handwerker und Fabrikanten (nicht gebaut). Im Westen des Marktplatzes 1804 das Haus für Hoffaktor Kusel, Schloss-Straße 6 (er- halten), und 1812 das Haus für die Kaufleute Schmieder und Füsslin, Schloss-Straße 4 (wieder- aufgebaut). Östliche Platzwand ebenfalls Wein- brennerbauten: für den Zimmermeister Ludwig Weinbrenner, für den Hofjuwelier Dreßler, den Hofuhrmacher Schmidt, den Cafetier Meyer, Schloss-Straße 7 bis 13 (Wiederaufbauten). Im gleichen Block 1809 das nicht erhaltene Haus des Handelsmannes Weisinger, Lange Straße 135, und rückseitig 1811 das erhaltene Reformierte Pfarr- haus, Kreuzstraße 12. Nördlich des Marktplatzes 1815 das Gasthaus „Zum schwarzen Bären“, Gast- wirt Reuter, Lange Straße 70 (Abbruch nach 1920), und nach 1804 das Haus Vorderer Zirkel 13 des Hofagenten Seligmann, Entwurf wohl von Wein-
brenner (zerstört). Der südliche verengte Teil des Marktplatzes, 45 x 90 m groß, wird von Rathaus und Stadtkirche beherrscht. Der Rathausbau be- ginnt 1805 mit dem Nordflügel, ab 1821 mit dem eigentlichen Rathausbau (mit Veränderungen er- halten). Bau der Evangelischen Stadtkirche 1807 bis 1816, der südliche Flügel des Gymnasiums schon 1803. Der Kirchenbau nimmt Elemente des antiken Tempels auf (nach Wiederaufbau erhal- ten). Der nördliche Flügel der Gymnasiumsbauten entsteht 1823 – 24.
Lange Straße mit Zähringerstraße und angrenzenden Bereichen
Dreigeschossige, zu beiden Seiten der Langen Straße 1806 geplante Kolonnaden, in den An- fangsfeldern Arkaden, sollten die Flucht der Häu- ser vereinheitlichen (nicht verwirklicht). 1820 wohl von Weinbrenner geplant das Haus Schlos- ser Rau, Lange Straße 128, (nicht erhalten), und 1809 vom Bauamt – Weinbrenner – geplant das Haus Kammerdiener Gebhard, Waldstraße 47 (nicht erhalten). Ein unausgeführter Entwurf Weinbrenners, wohl in der Langen Straße zwi- schen Herren- und Ritterstraße. 1813/14 das Mu- seum Ecke Lange Straße/Ritterstraße (1918 abge- brannt). 1811 Haus Kammerdiener Eichelgrau, Ritterstraße 18, und 1814 Haus Sattler Schmidt, Ritterstraße 20 (beide nicht erhalten). In der Zähringerstraße 45 plant Weinbrenner 1815 ein größeres Wohnhaus für die Handelsleute Schmie- der und Füsslin. 1826 am südlichen Ende als An- bau Haus Blechnermeister Beyer. Daneben, Zähringerstraße 47, 1815 das Haus Maurermeister Holb. Gegenüber, Zähringerstraße 66, das 1816 wohl von Weinbrenner gebaute Haus Kammerdie- ner Frech. Zähringerstraße 53 das 1827 wohl von Weinbrenner erbaute Haus Karoline und Friede- rike Häckher. Es folgt 1809 das Haus Lange Straße 58, Hofbedienter Kasten, und ebenfalls 1809 ge- genüber an der Kleinen Kirche, Kreuzstraße 11, das Haus Schnabel (beide nicht erhalten). Vor 1816 das Haus Adlerstraße 14, Bierbrauer Hem- berle, Ecke Lange Straße, 1816 gegenüber das Haus Weinwirt Eichelkraut, Lange Straße 119 und 1810 das wohl von Weinbrenner entworfene Haus Gürtlermeister Sollway, Adlerstraße 18 (alle drei Häuser erhalten). Die Synagoge ist der erste mo- numentale Bau Weinbrenners in Karlsruhe, 1798 errichtet (1871 abgebrannt). Das Haus Josef und Seeligmann Ettlinger Ecke Lange Straße / Kro- nenstraße 26, wird 1801 errichtet (nicht erhalten). An der Waldhornstraße 18 entsteht 1811 – 12 das Haus Staatsrat Fischer, 1815 daneben Nr. 20 Haus
Einnehmer Bodmer (bis auf Reste nicht erhalten). Weiter südlich in der Waldhornstraße 30 / Ecke Lange Straße, das 1817 genehmigte Haus Han- delsmann Hirsch (Abbruch nach 1916), an der Ecke Zähringerstraße das wohl 1818 gebaute Haus Witwe Dollmätsch, Waldhornstraße 38 (Ab- bruch 1974). In der Zähringerstraße 1813 das wohl von Weinbrenner entworfenen Haus Apotheker Sommerschuh (Adresse Kronenstraße 21) als An- bau an ein Eckhaus, und 1811 das Haus Schlosser Müller, Zähringerstraße 2 (beide nicht erhalten).
Nordwestliche Innenstadt
Das Kanzleigebäude entsteht 1803, es wird nach Teilabbruch 1955 umgebaut. Das beherr- schende Gebäude am westlichen Schlossplatz ist das 1806 – 08 gebaute Theater (1847 abgebrannt). 1807 plant Weinbrenner eine Lehranstalt für Mi- neralogie und Botanik, sie wird nicht gebaut. Bau der Pflanzenhäuser im Botanischen Garten ab 1807 (nicht fertiggestellt). Die im Jahr 1809 ge- plante Erweiterung der Akademie wird nicht rea- lisiert. Im nordwestlichen Stadtbereich 1815 das Eckhaus Handelsmann Ettlinger, Innerer Zirkel 26 (erhalten) und das Eckhaus Postrat Braun, Linken- heimer-Tor-Straße 15 (nicht erhalten). Ebenfalls Linkenheimer-Tor-Straße die Wasser- und Stra- ßenbaudirektion 1828 nach Plänen Weinbrenners gebaut (zerstört).
Südwestliche Innenstadt
1802 beginnt der Bau des Sommerschlösschens für Markgräfin Amalie im Erbprinzengarten, an der Südostecke des Gartens entsteht 1802 der Go- tische Turm, an der Südwestecke ein Vogelhaus. Verbindung zum nördlichen Gartenteil durch ei- nen unterirdischen Gang. Das 1804 gebaute Haus Witwe Kammerrat Lidell, Erbprinzenstraße 19 / Ecke Ritterstraße (teilweise erhalten). Weiter westlich am Ludwigsplatz das wohl von Wein- brenner für Posamentier Lang 1808 erbaute Eck- haus Erbprinzenstraße 33 / Ecke Kleine Herren- straße und Waldstraße (mit großen Verände- rungen erhalten), und das ebenfalls für Lang 1809 – 14 angebaute Haus Waldstraße 57a. Das Haus Erbprinzenstraße 22 entstand 1818 – 19 für den Hofmaler Kunz. Ein nicht ausgeführter Ent- wurf Weinbrenners ging voraus. Die Katholische Stadtkirche wird 1808 – 14 erbaut. Sie ist aus einem Quadrat entwickelt, die Mitte wird von einem überkuppelten Rundraum eingenommen. 1820 – 22 das Ständehaus (zerstört). Zwischen Herren- und Ritterstraße liegt der Garten der
Ein Stadtplan in axonometrischer Darstellung
Weinbrenner. Bauten und Projekte in Karlsruhe von Peter Thoma
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 3
Stadtplan in axonometrischer Darstellung. Zeichnung: Peter Thoma
Markgräfin Friedrich (Prinzessin Christiane) mit dem 1817 begonnenen Bau eines großen Palais, unter der Villa ein Durchgang, ein Arkadengang im Süden verbindet das Hauptgebäude mit dem Lusthaus an der Kriegsstraße, an der Nordseite ein Pflanzenhaus in neugotischem Stil (alle 1894 ab- gebrochen).
Karlstraße
Die Karlstraße ist eine wichtige Nord-Süd-Ver- bindung im Westen des Stadterweiterungsplans von 1812 und 1818. Weinbrenner baut die Infante- riekaserne 1804 – 1805. Südlich des Ludwigs- platzes plant er möglicherweise 1816 das Eckhaus Karlstraße 21 des Gastwirtes Groß, und 1813 – 1815 für Gastwirt Wichtermann Karlstraße 27 (beide nicht erhalten). 1822 baut am Karlstor, Karlstraße 47, Ecke Herrenstraße, Zimmermeister Küentzle sein Haus, ein Entwurf Weinbrenners wird nicht
ausgeführt. Die Münze beschließt die Karlstraße im Norden, ihre Ausführung ab 1826 erlebt Wein- brenner nicht mehr.
Nordöstliche und Südöstliche Innenstadt, Achse Fasanenstraße
Das Eckhaus Innerer Zirkel 10, Hofbuchdrucker Müller, wird 1811 gebaut (nicht erhalten). Das Haus Spitalstraße 41, Regierungsrat Reinhard, entsteht 1813 (stark verändert erhalten). Die Churfürstliche Bauverwaltung wird 1806 westlich der Achse der verlängerten Fasanenstraße an der Langen Straße angelegt, aber nur teilweise ausge- führt und später abgebrochen. Östlich der Achse liegt die Kavalleriekaserne (Abbruch 1898). Drei kleinere Gebäude Weinbrenners im östlichen Be- reich der Innenstadt: der Fischmarkt hinter der Kleinen Kirche, die Suppenküche in der Spital- straße und die Leichenhalle.
Zusammenfassung
Weinbrenners Umgang mit dem städtischen Raum ist am Marktplatz zu sehen: Von Norden be- trachtet staffelt sich der Platz in Raumschichten nach Süden, den Kulissen eines Theaters vergleich- bar. Diese Raumschichten steigern sich in der Höhe von den niedrigen Boutiquen über die dreigeschos- sigen Lyzeumsbauten zur höheren Stadtkirche, die wiederum vom Turm überragt wird. Für den Be- trachter, der sich auf dieser Bühne bewegt, ergibt sich ein dramatischer Perspektivwechsel von nah zu fern, von niedrig zu hoch, der verwirrend und ir- rational auf ihn wirkt. Dies ist die Idee des Roman- tischen Klassizismus Weinbrenners.
Literatur: Hea-Jee Im: Karlsruher Bürgerhäuser zur Zeit Friedrich Weinbrenners, Mainz 2004; Arthur Valdenaire: Friedrich Wein- brenner, Karlsruhe 1926. In der Online-Ausgabe wird eine Langfassung dieses Beitrags ver- öffentlicht.
Am 4. April 1945 war für Karlsruhe mit dem Ein- marsch der Franzosen der Zweite Weltkrieg und die NS-Herrschaft faktisch zu Ende. Ein Erinnern an diesen, 70 Jahre zurück liegenden Tag wäre im Jubiläumsjahr 2015 nicht unpassend gewesen. 12 000 Menschen aus Karlsruhe hatten ihr Leben gelassen, an der Front oder bei den Bombardie- rungen. 60 000 lebten noch in Karlsruhe. Vor dem Krieg waren es noch 185 000 gewesen. 135 Luftan- griffe führten zur Zerstörung von circa 36 Prozent der Bausubstanz der damaligen Stadt. Von den 57 000 Wohnungen blieben nur 12 000 unbeschä- digt, 12 000 waren total zerstört. Die westliche In- nenstadt war stark in Mitleidenschaft gezogen.
Neben der Trümmerbeseitigung und Schutträu- mung, der Reparatur der Infrastruktur und des Baubestandes war der Wiederaufbau der Innen- stadt als städtisches und regionales Zentrum von besonderer Wichtigkeit. Später erforderte der
Wohnungsbau besondere Anstrengungen auch wegen der starken Zunahme der Bevölkerung durch die Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten. Die Schutträumung und der Wiederaufbau funktionierten in Karlsruhe relativ gut dank der Ende 1945 gegründeten „Aufräumungs-Arbeits- gemeinschaft-Karlsruhe“ (AAK) mit 35 Firmen des Baugewerbes.
Die innere Stadt
Wiederherstellung der alten städtebaulichen Ordnung oder der Bau einer neuen Struktur, wa- ren Fragen in vielen deutschen Städten unmittel- bar nach dem Krieg. Hannover und Kassel stan- den für eine neue Stadt. Münster und Freuden- stadt sind Beispiele für die generelle Beibehaltung des Stadtgrundrisses, der Parzellenstruktur und der lokalen Bautradition. Die teilweise noch funk-
tionierende Stadttechnik unter der Oberfläche, in- takte Keller und die Eigentumsstruktur spielten ebenfalls eine Rolle.
In der städtischen Denkschrift von 1946 „Karls- ruhe wird wieder aufgebaut“ hatte sich die dama- lige Stadtverwaltung grundsätzlich positioniert. Der Fächergrundriss und die Lage der Kaiserstra- ße als Rückgrat und Geschäftsstraße sollten beibe- halten werden. Ebenso wurde auf das baukünstle- rische Erbe der Stadt hingewiesen. Die ersten Überlegungen der Stadtplanung für den Wieder- aufbau fanden aber keine Zustimmung, weshalb der „Ideenwettbewerb zur Erlangung von Ent- würfen für die städtebauliche und architekto- nische Ausgestaltung der Kaiserstraße in Karlsru- he vom Marktplatz bis zur Hauptpost“ Ende 1947 ausgelobt wurde. Trotz der Beibehaltung des Strahlengrundrisses, des Marktplatz-Ensembles als „Denkmalinsel“ sowie der Lage der Kaiser-
Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg (Teil 1)
Karlsruhe wird wieder aufgebaut von Harald Ringler
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2 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
veröffentlicht, ein angesichts der aktuellen Rüs- tungsexporte gebotenes Reprint. Nach dem Sieg der Putschisten wird er 1939 im Lager Argelès in Südfrankreich interniert, kommt wieder frei, geht nach Paris, wird wieder eingesperrt, wahrschein- lich im Lager Bassens bei Bordeaux. Er weiß, was ihn wohl bald erwarten würde: „Man wird mich internieren, und französische Gendarmen werden uns bewachen. Eines schönen Tages werden es SS-Leute sein. Aber das will ich nicht. Je me fou- trai à l’eau. Ich werde mich ins Wasser werfen!“ Sein zweiter Selbstmordversuch ist erfolgreich: Am 7. Juli 1940 wird seine Leiche aus dem Fluss Gave de Pau bei Boeil-Bézing geborgen.
Vom Hinterhaus in der Karlsruher Bahnhofstraße in das Schweriner Schloss
Hinweise auf Karlsruher, die wie Einstein bei den Anarchisten kämpften, sind spärlich: Der See- mann Theodor Haag wird im französischen Wüs- tenlager Djelfa in Algerien von britischen Truppen befreit, die letzte Meldung vom Zimmermann Phi- lipp Urban stammt von 1939 aus Nîmes.
Hermann Hertz, wie Einstein aus einer jü- dischen Familie stammend, überlebt; nach seiner Flucht 1938 in die USA fehlt jede Spur. Er war Mit- glied der Sozialistischen Arbeiter-Partei, einer lin- ken Abspaltung von der SPD.
Bei der SPD sind August Hoffmann, Franz Deck und Johann Heinz. Die beiden Letztgenannten
schließen sich in Frankreich der Résistance an, Deck überlebt, Heinz, Mitglied des Maquis Bir- Hakeim, wird 1944 von der NS-Wehrmacht er- schossen. Josef Eckl und Emil Maisch können aus Lagern bzw. Arbeitskompanien entkommen und sind in der Résistance gegen die Hitler-Truppen aktiv.
Fast zwei Drittel der Spanienfreiwilligen aus Karlsruhe sind Kommunisten, die meisten auch Gewerkschafter. Alle mussten ab 1933 aus ihrer Heimat fliehen. Einer von ihnen ist Kurt Bürger, 1894 geboren als Karl Ganz. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, in einem Hinterhaus in der Bahn- hofstraße wohnhaft. Als Schlosser wird er Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Ab Fe- bruar 1933 arbeitet er im Untergrund als „Kurt Bürger“ gegen die Nazis. Verrat aus den eigenen Reihen zwingt ihn zur Flucht. In der UdSSR ist er 1934 verantwortlich für die Veröffentlichung von Dokumenten und Berichten unter anderem aus dem KZ Dachau unter dem Titel: „Aus Hitlers Konzentrationslagern“. Die Schrift, illegal nach Nazi-Deutschland geschmuggelt, steht schnell auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Reichsschrifttumskammer. Ein Reprint dieses Zeugnisses des frühen Widerstands steht noch aus. 1936 ist er als „Karl Eiche“ zuerst beim Stab der Internationalen Brigaden in Alba- cete, dann kämpft er im Bataillon Edgar André. In seinem Tagebuch steht am 24. Februar 1937: „Ich denke an die Verbrechen der faschistischen Ban-
diten in Albacete und Valencia. Wieder sind meist Frauen und Kinder ihre Opfer. Die faschistischen Flieger, die unbefestigte, friedliche Städte (meist in der Nacht) mit Bomben belegen, sind die feigs- ten Mordbuben in der Kriminalgeschichte aller Jahrhunderte. [...] Wehe dem Volk, das wehrlos ist gegenüber den Mächten der Reaktion“.
Im April 1937 muss er wegen einer Erkrankung nach Paris. Nach einer Operation kehrt er 1938 in die UdSSR zurück. 1945 kommt Bürger aus dem Exil und ist von 1946 bis 1951 SED-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg. Am 20. Juli 1951 wählt ihn der Landtag zum Ministerpräsidenten, acht Tage später stirbt er nach einem Herzanfall.
In der DDR erinnerte an ihn eine Briefmarke. Der Name Heinz steht auf einem Denkmal in den Cevennen, für Einstein gibt es in Boeil-Bézing ei- ne Gedenktafel. Sie und die anderen Spanienfrei- willigen harren der Wahrnehmung und noch mehr der Würdigung in Karlsruhe. Der Bomber-Pilot aus Karlsruhe war 1957 wieder integriert in sei- nem Metier, verabschiedet ihn doch die Bundes- wehr 1971 mit allen Ehren. Die anderen „Spanien- kämpfer“ müssen zum Teil bis 1975 um Entschädi- gungen streiten.
1996 verleiht die spanische Regierung auf ein- stimmigen Beschluss des Parlaments den Freiwil- ligen der Internationalen Brigaden in Anerken- nung ihrer Verdienste die spanische Ehrenbürger- schaft. 20 Jahre später fehlt ein solches Signal – nicht nur in Karlsruhe.
Der abgebildete Plan der Karlsruher Innenstadt basiert auf dem bekannten von Weinbrenner he- rausgegebenen Stadtplan von 1822. Er zeigt de- tailliert den baulichen Zustand von 1826 mit den geplanten, erhaltenen, archivalisch erwiesenen, lediglich Weinbrenner zugeschriebenen und sei- nen zerstörten Bauten. Dies ergibt an einigen Stel- len Situationen, wo sich Gebautes und Geplantes unvereinbar überlagern. Die Visionen Weinbren- ners von seiner Stadt werden somit ebenso nach- vollziehbar wie die Spuren seines Schaffens im Karlsruhe unserer Tage.
Die Achse Schloss-Ettlinger Tor
Das bereits 1798 von Weinbrenner entworfene Haus Staatsrat Wohnlich am Rondell entsteht bis 1800 (zerstört), ebenfalls im Jahr 1800 baut Wein- brenner das Lusthaus im Markgräflich Hochberg- schen Garten (zerstört) dann das eigentliche Pa- lais, 1803 – 1814 (nach Kriegsverlusten verändert). 1801 baut Weinbrenner sein eigenes Haus am südlichen Ende der Schloss-Straße (Abbruch 1873). 1803 entsteht das Ettlinger Tor als monu- mentale Triumphpforte (Abbruch 1872). Ebenfalls 1803 der Entwurf eines herrschaftlichen Wohn- hauses im Nordosten des Rondells. Im Südwesten wird die Bebauung 1804 beschlossen durch Eck- haus und anschließendes Haus des Hofmetzgers Reuter, beide wohl von Weinbrenner (Abbruch nach 2000), sowie durch das mittig angelegte Haus des Schreinermeisters Stemmermann, 1809 (nicht erhalten). 1805 das Haus des Generals von Beck, Schloss-Straße 23 (nicht erhalten).
Grundlage für die Planungen am Marktplatz ist der Plan von 1797. Der eigentliche Marktplatz, 70 x 65 Meter, wird gerahmt von eingeschossigen Boutiquen für Handwerker und Fabrikanten (nicht gebaut). Im Westen des Marktplatzes 1804 das Haus für Hoffaktor Kusel, Schloss-Straße 6 (er- halten), und 1812 das Haus für die Kaufleute Schmieder und Füsslin, Schloss-Straße 4 (wieder- aufgebaut). Östliche Platzwand ebenfalls Wein- brennerbauten: für den Zimmermeister Ludwig Weinbrenner, für den Hofjuwelier Dreßler, den Hofuhrmacher Schmidt, den Cafetier Meyer, Schloss-Straße 7 bis 13 (Wiederaufbauten). Im gleichen Block 1809 das nicht erhaltene Haus des Handelsmannes Weisinger, Lange Straße 135, und rückseitig 1811 das erhaltene Reformierte Pfarr- haus, Kreuzstraße 12. Nördlich des Marktplatzes 1815 das Gasthaus „Zum schwarzen Bären“, Gast- wirt Reuter, Lange Straße 70 (Abbruch nach 1920), und nach 1804 das Haus Vorderer Zirkel 13 des Hofagenten Seligmann, Entwurf wohl von Wein-
brenner (zerstört). Der südliche verengte Teil des Marktplatzes, 45 x 90 m groß, wird von Rathaus und Stadtkirche beherrscht. Der Rathausbau be- ginnt 1805 mit dem Nordflügel, ab 1821 mit dem eigentlichen Rathausbau (mit Veränderungen er- halten). Bau der Evangelischen Stadtkirche 1807 bis 1816, der südliche Flügel des Gymnasiums schon 1803. Der Kirchenbau nimmt Elemente des antiken Tempels auf (nach Wiederaufbau erhal- ten). Der nördliche Flügel der Gymnasiumsbauten entsteht 1823 – 24.
Lange Straße mit Zähringerstraße und angrenzenden Bereichen
Dreigeschossige, zu beiden Seiten der Langen Straße 1806 geplante Kolonnaden, in den An- fangsfeldern Arkaden, sollten die Flucht der Häu- ser vereinheitlichen (nicht verwirklicht). 1820 wohl von Weinbrenner geplant das Haus Schlos- ser Rau, Lange Straße 128, (nicht erhalten), und 1809 vom Bauamt – Weinbrenner – geplant das Haus Kammerdiener Gebhard, Waldstraße 47 (nicht erhalten). Ein unausgeführter Entwurf Weinbrenners, wohl in der Langen Straße zwi- schen Herren- und Ritterstraße. 1813/14 das Mu- seum Ecke Lange Straße/Ritterstraße (1918 abge- brannt). 1811 Haus Kammerdiener Eichelgrau, Ritterstraße 18, und 1814 Haus Sattler Schmidt, Ritterstraße 20 (beide nicht erhalten). In der Zähringerstraße 45 plant Weinbrenner 1815 ein größeres Wohnhaus für die Handelsleute Schmie- der und Füsslin. 1826 am südlichen Ende als An- bau Haus Blechnermeister Beyer. Daneben, Zähringerstraße 47, 1815 das Haus Maurermeister Holb. Gegenüber, Zähringerstraße 66, das 1816 wohl von Weinbrenner gebaute Haus Kammerdie- ner Frech. Zähringerstraße 53 das 1827 wohl von Weinbrenner erbaute Haus Karoline und Friede- rike Häckher. Es folgt 1809 das Haus Lange Straße 58, Hofbedienter Kasten, und ebenfalls 1809 ge- genüber an der Kleinen Kirche, Kreuzstraße 11, das Haus Schnabel (beide nicht erhalten). Vor 1816 das Haus Adlerstraße 14, Bierbrauer Hem- berle, Ecke Lange Straße, 1816 gegenüber das Haus Weinwirt Eichelkraut, Lange Straße 119 und 1810 das wohl von Weinbrenner entworfene Haus Gürtlermeister Sollway, Adlerstraße 18 (alle drei Häuser erhalten). Die Synagoge ist der erste mo- numentale Bau Weinbrenners in Karlsruhe, 1798 errichtet (1871 abgebrannt). Das Haus Josef und Seeligmann Ettlinger Ecke Lange Straße / Kro- nenstraße 26, wird 1801 errichtet (nicht erhalten). An der Waldhornstraße 18 entsteht 1811 – 12 das Haus Staatsrat Fischer, 1815 daneben Nr. 20 Haus
Einnehmer Bodmer (bis auf Reste nicht erhalten). Weiter südlich in der Waldhornstraße 30 / Ecke Lange Straße, das 1817 genehmigte Haus Han- delsmann Hirsch (Abbruch nach 1916), an der Ecke Zähringerstraße das wohl 1818 gebaute Haus Witwe Dollmätsch, Waldhornstraße 38 (Ab- bruch 1974). In der Zähringerstraße 1813 das wohl von Weinbrenner entworfenen Haus Apotheker Sommerschuh (Adresse Kronenstraße 21) als An- bau an ein Eckhaus, und 1811 das Haus Schlosser Müller, Zähringerstraße 2 (beide nicht erhalten).
Nordwestliche Innenstadt
Das Kanzleigebäude entsteht 1803, es wird nach Teilabbruch 1955 umgebaut. Das beherr- schende Gebäude am westlichen Schlossplatz ist das 1806 – 08 gebaute Theater (1847 abgebrannt). 1807 plant Weinbrenner eine Lehranstalt für Mi- neralogie und Botanik, sie wird nicht gebaut. Bau der Pflanzenhäuser im Botanischen Garten ab 1807 (nicht fertiggestellt). Die im Jahr 1809 ge- plante Erweiterung der Akademie wird nicht rea- lisiert. Im nordwestlichen Stadtbereich 1815 das Eckhaus Handelsmann Ettlinger, Innerer Zirkel 26 (erhalten) und das Eckhaus Postrat Braun, Linken- heimer-Tor-Straße 15 (nicht erhalten). Ebenfalls Linkenheimer-Tor-Straße die Wasser- und Stra- ßenbaudirektion 1828 nach Plänen Weinbrenners gebaut (zerstört).
Südwestliche Innenstadt
1802 beginnt der Bau des Sommerschlösschens für Markgräfin Amalie im Erbprinzengarten, an der Südostecke des Gartens entsteht 1802 der Go- tische Turm, an der Südwestecke ein Vogelhaus. Verbindung zum nördlichen Gartenteil durch ei- nen unterirdischen Gang. Das 1804 gebaute Haus Witwe Kammerrat Lidell, Erbprinzenstraße 19 / Ecke Ritterstraße (teilweise erhalten). Weiter westlich am Ludwigsplatz das wohl von Wein- brenner für Posamentier Lang 1808 erbaute Eck- haus Erbprinzenstraße 33 / Ecke Kleine Herren- straße und Waldstraße (mit großen Verände- rungen erhalten), und das ebenfalls für Lang 1809 – 14 angebaute Haus Waldstraße 57a. Das Haus Erbprinzenstraße 22 entstand 1818 – 19 für den Hofmaler Kunz. Ein nicht ausgeführter Ent- wurf Weinbrenners ging voraus. Die Katholische Stadtkirche wird 1808 – 14 erbaut. Sie ist aus einem Quadrat entwickelt, die Mitte wird von einem überkuppelten Rundraum eingenommen. 1820 – 22 das Ständehaus (zerstört). Zwischen Herren- und Ritterstraße liegt der Garten der
Ein Stadtplan in axonometrischer Darstellung
Weinbrenner. Bauten und Projekte in Karlsruhe von Peter Thoma
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 3
Stadtplan in axonometrischer Darstellung. Zeichnung: Peter Thoma
Markgräfin Friedrich (Prinzessin Christiane) mit dem 1817 begonnenen Bau eines großen Palais, unter der Villa ein Durchgang, ein Arkadengang im Süden verbindet das Hauptgebäude mit dem Lusthaus an der Kriegsstraße, an der Nordseite ein Pflanzenhaus in neugotischem Stil (alle 1894 ab- gebrochen).
Karlstraße
Die Karlstraße ist eine wichtige Nord-Süd-Ver- bindung im Westen des Stadterweiterungsplans von 1812 und 1818. Weinbrenner baut die Infante- riekaserne 1804 – 1805. Südlich des Ludwigs- platzes plant er möglicherweise 1816 das Eckhaus Karlstraße 21 des Gastwirtes Groß, und 1813 – 1815 für Gastwirt Wichtermann Karlstraße 27 (beide nicht erhalten). 1822 baut am Karlstor, Karlstraße 47, Ecke Herrenstraße, Zimmermeister Küentzle sein Haus, ein Entwurf Weinbrenners wird nicht
ausgeführt. Die Münze beschließt die Karlstraße im Norden, ihre Ausführung ab 1826 erlebt Wein- brenner nicht mehr.
Nordöstliche und Südöstliche Innenstadt, Achse Fasanenstraße
Das Eckhaus Innerer Zirkel 10, Hofbuchdrucker Müller, wird 1811 gebaut (nicht erhalten). Das Haus Spitalstraße 41, Regierungsrat Reinhard, entsteht 1813 (stark verändert erhalten). Die Churfürstliche Bauverwaltung wird 1806 westlich der Achse der verlängerten Fasanenstraße an der Langen Straße angelegt, aber nur teilweise ausge- führt und später abgebrochen. Östlich der Achse liegt die Kavalleriekaserne (Abbruch 1898). Drei kleinere Gebäude Weinbrenners im östlichen Be- reich der Innenstadt: der Fischmarkt hinter der Kleinen Kirche, die Suppenküche in der Spital- straße und die Leichenhalle.
Zusammenfassung
Weinbrenners Umgang mit dem städtischen Raum ist am Marktplatz zu sehen: Von Norden be- trachtet staffelt sich der Platz in Raumschichten nach Süden, den Kulissen eines Theaters vergleich- bar. Diese Raumschichten steigern sich in der Höhe von den niedrigen Boutiquen über die dreigeschos- sigen Lyzeumsbauten zur höheren Stadtkirche, die wiederum vom Turm überragt wird. Für den Be- trachter, der sich auf dieser Bühne bewegt, ergibt sich ein dramatischer Perspektivwechsel von nah zu fern, von niedrig zu hoch, der verwirrend und ir- rational auf ihn wirkt. Dies ist die Idee des Roman- tischen Klassizismus Weinbrenners.
Literatur: Hea-Jee Im: Karlsruher Bürgerhäuser zur Zeit Friedrich Weinbrenners, Mainz 2004; Arthur Valdenaire: Friedrich Wein- brenner, Karlsruhe 1926. In der Online-Ausgabe wird eine Langfassung dieses Beitrags ver- öffentlicht.
Am 4. April 1945 war für Karlsruhe mit dem Ein- marsch der Franzosen der Zweite Weltkrieg und die NS-Herrschaft faktisch zu Ende. Ein Erinnern an diesen, 70 Jahre zurück liegenden Tag wäre im Jubiläumsjahr 2015 nicht unpassend gewesen. 12 000 Menschen aus Karlsruhe hatten ihr Leben gelassen, an der Front oder bei den Bombardie- rungen. 60 000 lebten noch in Karlsruhe. Vor dem Krieg waren es noch 185 000 gewesen. 135 Luftan- griffe führten zur Zerstörung von circa 36 Prozent der Bausubstanz der damaligen Stadt. Von den 57 000 Wohnungen blieben nur 12 000 unbeschä- digt, 12 000 waren total zerstört. Die westliche In- nenstadt war stark in Mitleidenschaft gezogen.
Neben der Trümmerbeseitigung und Schutträu- mung, der Reparatur der Infrastruktur und des Baubestandes war der Wiederaufbau der Innen- stadt als städtisches und regionales Zentrum von besonderer Wichtigkeit. Später erforderte der
Wohnungsbau besondere Anstrengungen auch wegen der starken Zunahme der Bevölkerung durch die Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten. Die Schutträumung und der Wiederaufbau funktionierten in Karlsruhe relativ gut dank der Ende 1945 gegründeten „Aufräumungs-Arbeits- gemeinschaft-Karlsruhe“ (AAK) mit 35 Firmen des Baugewerbes.
Die innere Stadt
Wiederherstellung der alten städtebaulichen Ordnung oder der Bau einer neuen Struktur, wa- ren Fragen in vielen deutschen Städten unmittel- bar nach dem Krieg. Hannover und Kassel stan- den für eine neue Stadt. Münster und Freuden- stadt sind Beispiele für die generelle Beibehaltung des Stadtgrundrisses, der Parzellenstruktur und der lokalen Bautradition. Die teilweise noch funk-
tionierende Stadttechnik unter der Oberfläche, in- takte Keller und die Eigentumsstruktur spielten ebenfalls eine Rolle.
In der städtischen Denkschrift von 1946 „Karls- ruhe wird wieder aufgebaut“ hatte sich die dama- lige Stadtverwaltung grundsätzlich positioniert. Der Fächergrundriss und die Lage der Kaiserstra- ße als Rückgrat und Geschäftsstraße sollten beibe- halten werden. Ebenso wurde auf das baukünstle- rische Erbe der Stadt hingewiesen. Die ersten Überlegungen der Stadtplanung für den Wieder- aufbau fanden aber keine Zustimmung, weshalb der „Ideenwettbewerb zur Erlangung von Ent- würfen für die städtebauliche und architekto- nische Ausgestaltung der Kaiserstraße in Karlsru- he vom Marktplatz bis zur Hauptpost“ Ende 1947 ausgelobt wurde. Trotz der Beibehaltung des Strahlengrundrisses, des Marktplatz-Ensembles als „Denkmalinsel“ sowie der Lage der Kaiser-
Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg (Teil 1)
Karlsruhe wird wieder aufgebaut von Harald Ringler
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Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 1
Karlsruher stadthistorische Beiträge Nr. 111·17. Juni 2016
Johann Michael Ludwig Rohrer
Von dem Baumeister, der in jüngster Zeit als „großer Meister kleiner Formen“ Würdigung fin- det, existiert kein zeitgenössisches Bild. Nur ein Fantasieportrait in einem Glasfenster des Ettlinger Rathauses von 1960 (s. o.) zeigt Rohrer bei der Übergabe seines Plans für den Wiederaufbau der St.-Martins-Kirche an Markgräfin Sibylla Augu- sta. Ihr und seit 1727 ihrem Sohn Ludwig Georg diente Rohrer 25 Jahre als Hofbaumeister und schuf in dieser Zeit einige der schönsten barocken Bauwerke des Landes Baden, in denen sich Anre- gungen der französischen Baukunst, des rö- mischen Hochbarock sowie des süddeutschen und Wiener Spätbarock finden.
Geboren wurde Rohrer 1683 in Tissau in Nord- böhmen (heute Otro in-Tisová) als Sohn des Mül- ler-, Zimmer- und Brunnenmeisters Michael An- ton Roher, der im Dienst von Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg stand und an dessen Re- sidenz in Schlackenwerth (heute Ostrov nad Ohří) arbeitete. Er ging wohl bei seinem Vater in die Lehre und übersiedelte mit der ganzen Familie 1697 nach Rastatt. Der Grund dafür war, dass der Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, der Türkenlouis, mit seiner Ehefrau Sibylla Augusta, der Enkelin des Herzogs von Sachsen-Lauenburg, in seine Heimat zurückging, nachdem sich seine Hoffnung König von Polen zu werden, zerschla- gen hatte. Dort in Rastatt ließ er sich von Domeni- co Egidio Rossi eine neue Residenz bauen. Da es in Rastatt aber nicht genügend Handwerker gab, zog die gesamte Schlackenwerther Bauhütte, und damit auch die Familie Rohrer, nach Rastatt.
Nach dem Tod des Türkenlouis 1707 übernahm die 32-jährige Markgräfin Sibylla Augusta die Re- gentschaft. Aus Kostengründen und wegen Ausei- nandersetzungen mit Rossi ernannte sie 1707 den erst 24-jährigen Rohrer zum neuen Hofbaumei- ster. In den darauf folgenden 25 Jahren verant- wortete Rohrer die Um- und Anbauarbeiten am Rastatter Residenzschloss, dem ältesten und zweitgrößten südwestdeutschen Barockschloss. Er plante das Lustschloss Favorite mit Park und Ere- mitage in Rastatt, die Kirche St. Valentin in Dax- landen (1715) sowie die Einsiedlerkapelle (1715), die Schlosskirche (1719 – 21) und die Pagoden- burg (1722) in Rastatt. 1723 – 1727 plante er – von Sibylla Augusta ausgeliehen – im Auftrag des Fürstbischofs von Speyer, Damian Hugo von Schönborn, in Bruchsal den Ausbau des Kammer- flügels des Schlosses, die Orangerien sowie das Damianstor und entwarf die ersten Pläne für das Corps de Logis. Ab 1728 plante der Baumeister für Sibylla Augusta in Ettlingen den Wiederaufbau sowohl des im pfälzischen Erbfolgekrieg zer- störten Ettlinger Schlosses wie der ebenfalls zer- störten St. Martinskirche. Deren Fertigstellung er- lebte Rohrer nicht mehr. Er starb in Ettlingen am 24. April 1732 und hinterließ seine Ehefrau Maria Franziska mit zwei 1711 und 1713 geborenen Söh- nen. Manfred Fellhauer
1683 – 1732 Foto: Stadtarchiv
Fortsetzung Seite 2
Als im Sommer vor 80 Jahren in Spanien Militärs unter General Franco gegen die demokratisch ge- wählte Regierung putschen, machen sich „Spani- enkämpfer“ aus Deutschland auf den Weg – auch aus Karlsruhe. Die einen sitzen in Maschinen der Luftwaffe oder auf Dampfern wie der „Usamaro“ – in Zivil und getarnt als „Union Reisegesellschaft“, die anderen – oft schon aus ihrer Heimat vertrie- ben oder geflohen – kommen auf Bergpfaden über die Pyrenäen, als „Urlauber“ mit dem Zug von Pa- ris über Perpignan nach Barcelona, auf Fähren von Marseille über Mallorca ans Festland. Die einen sind Wehrmachtssoldaten mit Sold, Front-Zulage und Vorab-Beförderung, die anderen sind meist Arbeiter, Nazi-Gegner aus verschiedenen Par- teien, ab 1933 oft in „Schutzhaft“ im KZ Kislau.
Terroristen und Waffen aus Karlsruhe für die Militär-Putschisten
Aus Karlsruhe kommt der adlige und hochdeko- rierte Luft-Terrorist der Nazi-Söldner-Truppe „Le- gion Condor“, der am 26. April 1937 den Tod auf Guernika warf. Die Fregatte „Karlsruhe“ kreuzt vor der spanischen Küste, angeblich zum Schutz der dort lebenden Deutschen, tatsächlich aber als Teil der Seeblockade, um Lieferungen für die rechtmäßige Regierung Spaniens zu verhindern. Die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Karlsruhe, konkret das Zweigwerk Lübeck, liefert ab 1936 Patronen für die „Legion Condor“.
Die anderen „Spanienkämpfer“ aus Karlsruhe
Die Namen der Verteidiger der spanischen Re- publik aus Karlsruhe fehlen in ihrer Stadt. An ei- nen wird zwar erinnert, im Museum für Literatur am Oberrhein und im Stadt-Wiki Karlsruhe fehlt jedoch, was Carl Einstein ab 1936 gemacht hat,
Karlsruhe – Spanien:
(K)eine Erinnerung von Brigitte und Gerhard Brändle warum er so handelte und warum er in den Tod floh. Wäre er nicht Kunsthistoriker gewesen, wäre auch er vergessen gemacht worden wie die bisher namenlosen Antifaschisten, gehörten sie doch zum niederen Volk, waren Färber, Kraftfahrer, Mechaniker, Metallarbeiter, Schlosser und Schrei- ner, meist Facharbeiter, auch ein Meister. Einer hatte Jura studiert, aber auch er fiel der partiellen Amnesie anheim: Rechtsanwalt August Hoffmann ist erst ab 1945 als SPD-Stadtrat genannt. Bei den zwölf Jahren davor fehlt, dass er vor 1933 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegen die NSDAP kämpfte, dass er 1936 in Spanien in der Fliegerstaffel André Malraux gegen die Putschis- ten kämpfte, dass er 1939 im Lager Gurs einge- sperrt war und die Nazis ihn 1943 über das Ge- fängnis Karlsruhe ins KZ Dachau verschleppten. Das Reichssicherheitshauptamt begründete die weitere „Schutzhaft“ mit: „… ist anzunehmen, dass Hoffmann aufgrund seiner marxistischen Ge- sinnung, die er durch aktive Teilnahme am span. Bürgerkrieg betätigt hat, seine Freiheit zu weite- ren staatsfeindlichen Umtrieben missbrauchen werde“.
Über Gurs und Karlsruhe ins KZ Dachau ver- schleppen die Nazis auch Emil Hoffmann, Adolf Kempf und Eugen Seidt. Otto Schmuck überlebt Gurs und dann die vier Jahre Zuchthaus im Ge- fängnis Karlsruhe und im Zuchthaus Ludwigsburg. Fritz Birk ist nach 1942 im Zuchthaus Ludwigsburg und ab 1944 im KZ Flossenbürg eingesperrt.
Motive der Spanienfreiwilligen: „gegen die NS-Gewaltherrschaft in Deutschland“
Eugen Seidt flieht 1935 nach Frankreich, bevor er ab 1936 bei den Internationalen Brigaden im Bataillon Edgar André kämpft und dann Kraftfah- rer im Sanitätsdienst wird. Nach der Befreiung schreibt er: „Ich habe auf der Seite der rechtmä- ßigen republikanischen Regierung in Spanien am Kampf gegen die NS-Intervention teilgenommen. Der Kampf gegen die von der NS-Regierung nach Spanien beorderte ‚Legion Condor‘ war zugleich ein Kampf gegen die Festigung der NS-Gewalt- herrschaft in Deutschland“. Seidt überlebt die La- ger Gurs und Le Vernet, die Gefängnisse Karlsru- he und Ulm und das KZ Dachau.
Carl Einstein antwortet 1938 auf die Frage zu seinen Motiven: „Das ist die einzige nützliche Sa- che, die es zur Zeit gibt. Und weil ich die Monoto- nie eines faschistischen Europa nicht aushalten will. […] Ich bin gekommen, weil die Spanier das einzige Volk sind, das nicht erlaubt, dass es ver- kauft wird, obwohl alle Welt sich anstrengt, es zu verkaufen. […] Wir müssen diese Leute hier mit allen Mitteln verteidigen. Denn, wenn wir nach al- ledem hier noch in Freiheit schreiben und malen können, dann ist dies – wortwörtlich – nur dem spanischen Widerstand zu danken. Ich wusste von Anfang an, dass ich in Spanien meine eigene Ar- beit, die Möglichkeit, als freies Individuum zu denken und zu fühlen, verteidigen würde“. Ein- stein kämpft, obwohl Mitglied der KPD, in der Co- lumna Durruti der Anarchosyndikalisten. 1938 er- scheint die Broschüre „Die deutsche Intervention in Spanien“, in der er Waffenlieferungen für Fran- co aus Deutschland mit Dokumenten, Lieferschei- nen etc. nachweist – bisher weder übersetzt noch
Der Karlsruher Spanienkämpfer Karl Ganz alias Kurt Bürger wurde 1946 SED-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg und kurz vor seinem Tod Ministerpräsident. (Briefmarke der DDR 1974)
4 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
Herausgeber / Redaktion: Dr. Manfred Koch Herstellung: Badendruck „Blick in die Geschichte“ online ab Nr. 61/2003 unter: www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/ blick_geschichte/ausgaben.de
Vieles an Wegen und Straßen, an dem man achtlos vorübergeht, hat aufgrund eines hohen Kulturwertes eine eingehende Betrachtung ver- dient. Wegkreuze gehören zu diesen Kulturdenk- malen. Sie sind stille, eindrucksvolle in Stein ge- hauene Zeugnisse eines unerschütterlichen christ- lichen Glaubens früherer Generationen. Vor allem in Gegenden mit katholischer Bevölkerung war es Brauch, auf freiem Feld, an einer Wegkreuzung, einem Weg oder einer Straße Weg- oder Flur- kreuze aufzustellen. Die unterschiedlichsten Gründe bewegten die Menschen zur Errichtung. Oft dienten sie als Orientierung für Reisende, Wanderer und Pilger.
23 unter Denkmalschutz stehende Wegkreuze befinden sich heute im Stadtgebiet, neun davon sind im Stadtteil Daxlanden, dem ehemaligen Fi- scherdorf der katholischen Markgrafschaft Ba- den-Baden anzutreffen. Eines der eindrucksvolls- ten ist das am Ende der Lindenallee, Anfang der Valentinstraße bei der Einmündung in die Aga- thenstraße. Die Inschrift auf dem gekehlten So- ckel des Sandsteinkreuzes überliefert die Stifter und das Entstehungsjahr: „Sein Blut floß, und/ er starb o Mensch/ für deine Sünden/ errichtet/ von Johan Kutterer und/ dessen Ehefrau eine gebohr/ ne Litzerin 1795“. Die Balkenenden sind als Drei-
pässe mit Engelsköpfen ausgebildet. Am Kreuzes- stamm findet sich ein Totenschädel mit gekreuz- ten Knochen. Der Schädel am Fuß des Kreuzes hat mehrfache Bedeutung: Zum einen weist er auf Golgota (Schädelstätte) hin. Andererseits soll er der Schädel Adams sein, wodurch gleichzeitig Je- sus als der „neue Adam“ erscheint, der den Tod besiegt.
Nach einem Eintrag in den Daxlander Kirchen- büchern weihte Pfarrer Heil am 12. Juli 1795 das Kreuz, das ursprünglich bei der Appenmühle auf- gestellt war. Das Vikariat der Diözese Speyer in Bruchsal (Daxlanden gehörte zu diesem Zeitpunkt noch zur Diözese Speyer) verlangte von dem Bür- ger und Schwarzadlerwirt Johannes Kutterer, dass er zur Unterhaltung des Kreuzes 15 Gulden in den Heiligenfonds (alte Bezeichnung für den Kirchen- fonds) zahlen sollte. Kutterer weigerte sich und so ordnete das Vikariat an, das Kreuz „an einen son- stigen ehrbaren Ort“ verbringen zu lassen. Das mag der Grund sein, warum er das Kreuz bei der Appenmühle aufgestellen ließ. Dort war einst die Ziegelei des Schultheißen und Schwarzadlerwirts Hanns Martin Gartner, Großvater von Johannes Kutterer. In dieser Ziegelei wurden 1713 – 1715 die Backsteine und Dachziegel für den Bau der St.-Va- lentins-Kirche hergestellt. Wann man das Kreuz an den Hammweg versetzen ließ, ist nicht bekannt. Bis 1939 stand es auf dem Grundstück des Fuhrun- ternehmers Artur Kästel, Hammweg Nr. 31. Dort war es auch Station bei den Flurprozessionen.
Das stark beschädigte Kreuz wurde 1968 von dem Karlsruher Künstler Tomas Jungvirt restau- riert und fehlende Teile in Lindursan-Beton er- gänzt. Heute, knapp 50 Jahre später ist das Kreuz erneut reinigungs- und sanierungsbedürftig.
Carlsruher Blickpunkte
Wegkreuz in Daxlanden von Manfred Fellhauer
Foto: Stadtarchiv
straße lieferten Büros auch Entwürfe, die heute Unverständnis hervorrufen. So hatten zum Bei- spiel die Architekten Willett und Bingler vorge- schlagen, den Schlosspark bis zum Adenauerring mit Wohnungen für 20 bis 25 000 Menschen zu be- bauen. Die Schlossruine sollte abgerissen werden und einem Hotel Platz machen. Letztendlich konnte diese Verirrung trotz eines Gemeinderats- beschlusses mit nur einer Gegenstimme gebannt werden.
Für die Kaiserstraße entstand ein Bebauungs- plan, dessen Umsetzung wir heute in großen Tei- len sehen. Die Bauflucht der nördlichen Kaiser- straße blieb bestehen, während Neubauten auf der Südseite ab dem ersten Obergeschoß um sechs Meter zurückgerückt werden mussten. Da- für konnten beidseitig sechs Geschoße errichtet werden. Es war vor allem ein Kompromiss mit den Grundstückseigentümern. Die heute teilweise vorhandenen Aufsätze auf die flachen Vorbauten sind Bausünden späterer Jahre. Für die Markt- platzseite wurde mit den Kolonnaden aus ver- kehrlichen Gründen eine Sonderlösung erreicht. 1953 erfolgte, beginnend mit dem Bau Kaiserstra- ße 74 an der Nordseite des Marktplatzes eine auch für die weiteren Projekte verbindliche Änderung der Dachlandschaft. Anstatt des bis dahin vorge- sehenen Satteldaches musste ein Attikageschoss mit Flugdach gebaut werden.
Eine Besonderheit waren die Lieferhöfe hinter den Hauptbaukörpern. Sie sollten der Ver- kehrsentlastung für die Kaiserstraße und einer un- gestörten Anlieferung dienen. Ab 2006 bemühte sich die Stadtplanung mit der Aufwertung dieser bis dahin vernachlässigten, für die Öffentlichkeit aber wertvollen Räume mit unterschiedlichem Er- folg.
Ein Bauvorhaben am Schlossplatz entzündete 1954 wieder die Debatte zwischen den Richtungen „historisch anmutender Wiederaufbau“ oder „neue Architektur“. Im Januar fiel eine Wettbew- erbsentscheidung für den Neubau der Landeskre- ditanstalt im Sinne des neuen Bauens in dem vor- gegeben städtebaulichen Rahmen. Im März be- gann die Diskussion um die Frage „Wiederaufbau des Landratsamtes im Sinne Weinbrenners“ oder eines Neubaus. Vor allem der Bund Deutscher Ar- chitekten (BDA) verfocht eine zeitgemäße Archi- tektur. Bemerkenswert ist die damalige intensive Berichterstattung in der lokalen Presse.
Verbreiterung der Rheinstraße mit noch abzureißenden Bauten (Bildmitte). Foto: Stadtarchiv
Es folgte eine Art Wiederaufbau mit einem zu- sätzlichen Geschoss. Mit dem Auszug des Land- ratsamtes und der Nachfolgenutzung durch das International Department kam es zur Jahrtau- sendwende zu einem Umbau.
Stadtumbau und Sanierung
Nicht die Altstadt, das „Dörfle“, wurde das erste Sanierungsprojekt nach dem Krieg, sondern die Mitte Mühlburgs. Nach dem Projekt „Mühlburger Feld“ enthielt der zweite Teil der Planung für Mühlburg (1952) die Verbreiterung der großen Rheinstraße. Eine Verkehrsplanung mit dem Ziel einer leistungsfähigen Straßenverbindung nach Süden war damit Auslöser für den ersten größeren Stadtumbau in Karlsruhe. Die zahlreichen Kriegs- zerstörungen hinterließen Ruinen, deren Wieder- aufbau an derselben Stelle nicht der geplanten Neuordnung entsprochen hätte. Die Nordseite er- hielt eine durchgehende neue Bebauung mit fünf- geschossigen Wohn- und Geschäftsgebäuden an der zurückversetzten Bauflucht. Die Architektur ist typisch für eine innerstädtische Bebauung der
1950er Jahre. Der ehemalige Haltestellenpavillon am Entenfang vor dem aus derselben Zeit stam- menden Postgebäude ist ein gelungenes Beispiel dieses Stils.
Die Atmosphäre der Rheinstraße leidet unter ih- rer Breite, der Funktion als Durchgangsstraße und einem fehlenden attraktiven zentralen Bereich. Die nun abgeschlossenen Umbaumaßnahmen im Rahmen des Sanierungsprogramms Soziale Stadt sowie die geplanten Vorhaben beim Entenfang werden zur weitern Aufwertung der Mitte von diesem Stadtteil führen.
Ein besonderes, aber bisher wenig gewürdigtes Projekt verdient gerade heute eine besondere Be- achtung als Beitrag zur Quartiersentwicklung und Verbesserung des innerstädtischen Klimas. Ab 1953 wurde der Südstadt-Grünzug realisiert. Da- mit entstand eine Fuß- und Fahrradverbindung mit kleinen Parkanlagen und Spielplätzen vom Stadtgarten quer durch die dicht bebaute Süd- stadt bis zum neuen Quartier Südstadt-Ost. Die schrittweise Umsetzung dauerte bis in die 1980er Jahre. Es ist ein Beispiel für das Bohren dicker Bretter in der Stadtplanung.
kurier
blick1
blick2
blick3
blick4
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick111/HF_sections/content/1466588033098/ZZmmlW3uG3ixE1/Blick%20Nr.%20111.pdf
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 111 vom 17. Juni 2016
Ein Stadtplan in axonometrischer Darstellung
Friedrich Weinbrenner. Bauten und Projekte in Karlsruhe
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Stadtplan in axonometrischer Darstellung. Zeichnung: Peter Thoma
Stadtplan in axonometrischer Darstellung. Zeichnung: Peter Thoma
von Peter Thoma
Die bekannten Gebäude Weinbrenners der Karlsruher Innenstadt
werden in axonometrischer Darstellung gezeigt. Die Begrenzung
des Planes in Nord-Süd-Richtung durch Schloss-Ettlinger Tor, in
West-Ost- Richtung durch Karlstraße-Achse Fasanenstraße.
Grundlage ist der von Weinbrenner herausgegebene Plan von 1822.
In unserem Plan ist die Stadt des Jahres 1826 gezeichnet.
Uns interessiert die Vision Weinbrenners von seiner Stadt;
insofern sind nicht nur die gebauten, sondern auch die lediglich
geplanten Werke wiedergegeben. Dies ergibt an einigen Stellen
Situationen, wo sich Gebautes und Geplantes unvereinbar
überlagern. Die geplanten, die erhaltenen, archivalisch
erwiesenen und die lediglich zugeschriebenen Gebäude
Weinbrenners sind durch Detaildarstellung gekennzeichnet, ebenso
die zerstörten Bauten.
Friedrich Weinbrenner
Friedrich Weinbrenner wird 1766 geboren; die väterliche Zimmerei
befand sich vor dem Linkenheimer Tor, an der heutigen
Akademiestraße. Studienjahre führen ihn 1791 nach Berlin. 1792
reist er nach Rom, um die antiken Bauten zu studieren, 1797
kehrt er in seine Heimatstadt zurück; er entwirft den Marktplatz
und verwirklicht die ersten Bausteine der neuen Stadt. Nach
beruflichen Erfahrungen in Straßburg und Hannover wird er von
1800 an in seiner Heimatstadt wirken. Er entwickelt eine
eigenständige Architektur, die von klarer Geometrie und
blockhaften Volumina gekennzeichnet ist; seine Sprache wird von
der Antike und der Renaissance geprägt, ebenso von der
französischen Revolutionsarchitektur. Weinbrenner stirbt 1826 in
seinem Haus. Seit 1958 wird der Sarkophag des großen Architekten
in der Gruft der Evangelischen Stadtkirche bewahrt.
Der Spaziergang
Die Achse Schloss- Ettlinger Tor, Via
triumphalis
In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts wird zuerst das
Rondell bebaut. Das bereits 1798 entworfene Haus Staatsrat
Wohnlich entsteht nun bis 1800, heute zerstört. Ebenfalls im
Jahr 1800 baut Weinbrenner das Lusthaus des Markgräflich
Hochbergschen Palais: ein Kuppelbau nach Palladio, zerstört. Das
Palais für die Söhne der Reichsgräfin von Hochberg, wird
1803-1814 errichtet, ein Bauteil war schon ab 1801 entstanden,
die Stallungen 1809. Nach Kriegsverlusten in großen Teilen
erhalten, wurde das Gebäude teilweise abgebrochen und umgebaut.
1801 - ein Jahr nach Amtsantritt - baut Weinbrenner, nun als
Baudirektor, sein eigenes Haus am südlichen Ende der Schloss-
Straße; später rückwärtige Anbauten, die auch die Bauschule
aufnahmen. Der Abbruch erfolgte 1873. 1803 entsteht das
Ettlinger Tor als monumentale Triumphpforte und Abschluss der
Via Triumphalis, 1872 zerstört. Ebenfalls 1803 bearbeitet
Weinbrenner ein herrschaftliches Wohnhaus im Nordosten des
Rondells, das als Abfolge unterschiedlicher Bauideen gesehen
werden kann, das Haus blieb Entwurf. Im Südwesten wird wird die
Bebauung des Rondells beschlossen durch Eckhaus und
anschließendes Haus des Hofmetzgers Reuter, 1804, beide wohl von
Weinbrenner, beide nach 2000 abgebrochen, sowie durch das mittig
angelegte Haus des Schreinermeisters Stemmermann von 1809, nicht
erhalten. 1805 das Haus des Generals von Beck, Schloss-Straße
23, nicht erhalten.
Grundlage für die Planungen am Marktplatz ist der Plan von 1804,
der den Entwurf von 1797 präzisiert. Valdenaire, der Biograph
Weinbrenners, nennt den an der Langen Straße gelegenen Platz
Markthof, den südlichen, zwischen den gegenübergestellten
Gebäuden der Kirche und des Rathauses Monumentalplatz oder
Forum. Der eigentliche Marktplatz, 70 x 65 m groß, wird gerahmt
von eingeschossigen Boutiquen für Handwerker und Fabrikanten,
ca. 55 x 55 m groß, nicht gebaut. Im Westen des Marktplatzes
werden Häuser für private Bauherren errichtet: 1804 vollendet
der Architekt das Haus für Hoffaktor Kusel, Schloss-Straße 6,
erhalten, und 1812 das Haus für die Kaufleute Schmieder und
Füsslin, Schloss-Straße 4, Wiederaufbau. Die östliche Platzwand
wird ebenso von Weinbrennerbauten beherrscht, Häuser für den
Bruder, Zimmermeister Ludwig Weinbrenner, für den Hofjuwelier
Dreßler, den Hofuhrmacher Schmidt, den Cafetier Meyer,
Schloss-Straße 7 bis 13, Wiederaufbauten. Im gleichen Block noch
das nicht erhaltene Haus des Handelsmannes Weisinger, 1809,
Lange Straße 135, und rückseitig das erhaltene Reformierte
Pfarrhaus, 1811, Kreuzstraße 12. Nördlich des Marktplatzes das
Gasthaus "Zum schwarzen Bären", Gastwirt Reuter, Lange Straße
70, von 1815, Abbruch nach 1920, und das Haus Vorderer Zirkel 13
des Hofagenten Seligmann, nach 1804, Entwurf wohl Weinbrenner,
zerstört im 2. Weltkrieg. Der südliche, verengte, Teil des
Marktplatzes, 45 x 90 m groß, wird von Rathaus und Stadtkirche
beherrscht. Der Rathausbau beginnt 1805 mit dem Nordflügel, erst
1821 wird die Grundsteinlegung zum eigentlichen Rathaus
vorgenommen. Der Rathausbau ist, wenn auch mit zahlreichen
Veränderungen, erhalten. Die Evangelische Stadtkirche wird von
1807 bis 1816 errichtet, nachdem der südliche Flügel des
Gymnasiums schon 1803 entstanden war. Die christliche Kirche
nimmt Elemente des antiken Tempels auf, nach Wiederaufbau
erhalten. Der nördliche Flügel der Gymnasiumsbauten
1823-1824.
Die Lange Straße mit Zähringerstraße und angrenzenden
Bereichen
Dreigeschossige, zu beiden Seiten der Langen Straße angelegte
Kolonnaden, in den Anfangsfeldern als Arkaden ausgebildet,
sollten die Flucht der Häuser, die in Höhe und Bauart sehr
unterschiedlich waren, vereinheitlichen. Das Projekt von 1806,
das sich von der Waldstraße bis zur Waldhornstraße erstreckt
hätte, wurde nicht verwirklicht. Haus Schlosser Rau, Lange
Straße 128, 1820 wohl von Weinbrenner erbaut, nicht erhalten,
und Haus Kammerdiener Gebhard, Waldstraße 47, im Jahr 1809 vom
Bauamt (F.W.) erbaut, nicht erhalten. In der Sammlung von
Grundplänen ist ein unausgeführter Entwurf Weinbrenners
enthalten; wir können den Entwurf in der Langen Straße zwischen
Herren- und Ritterstraße verorten. 1813/14 entstand das Museum
auf spitzwinkligem Grundstück Ecke Lange Straße/ Ritterstraße,
es brannte 1918 ab. 1811 Haus Kammerdiener Eichelgrau,
Ritterstraße 18, und 1814 Haus Sattler Schmidt, Ritterstrasse
20. Beide nicht erhalten. In der Zähringerstraße 45 plant
Weinbrenner 1815 ein größeres Wohnhaus für die Handelsleute
Schmieder und Füsslin. 1826 am südlichen Ende als Anbau Haus
Blechnermeister Beyer. Daneben, Zähringerstraße 47 entsteht 1815
das Haus Maurermeister Holb. Gegenüber, Zähringerstraße 66, das
1816 wohl von Weinbrenner gebaute Haus Kammerdiener Frech. Die
Gruppe dieser Häuser wird auf der südlichen Seite durch das Haus
Karoline und Friederike Häckher, Zähringerstraße 53, 1827 wohl
von Weinbrenner erbaut, beschlossen. Es folgt im östlichen
Bereich das Haus Lange Straße 58, Hofbedienter Kasten, 1809, und
gegenüber an der Kleinen Kirche, Kreuzstraße 11, das Haus
Schnabel, ebenfalls 1809, beide nicht erhalten. Vor 1816 wurde
wird das Haus Adlerstraße 14, Bierbrauer Hemberle, Ecke Lange
Straße erbaut, 1816 gegenüber das Haus Weinwirt Eichelkraut,
Lange Straße 119, und 1810 das Haus Gürtlermeister Sollway,
Adlerstraße 18, Entwurf wohl F. Weinbrenner. Diese drei Häuser
sind erhalten und zeigen die Qualität der Weinbrennerschen
Eckhäuser. Die Synagoge ist der erste monumentale Bau
Weinbrenners in Karlsruhe, 1798 errichtet. Valdenaire sieht in
ihrer Architektur eine "morgenländische Romantik". Zerstört.
Schräg gegenüber, Ecke Lange Straße, Kronenstraße 26, wird 1801
das Haus Josef und Seeligmann Ettlinger errichtet, nicht
erhalten. An der Waldhornstraße 18 entsteht 1811-1812 das Haus
Staatsrat Fischer, die rechte Hälfte eines Doppelhauses;
zusammen mit dem Haus Einnehmer Bodmer, Waldhornstraße 20, von
1815, bildet es einen Hof, beide bis auf Reste nicht erhalten.
Weiter südlich in der Waldhornstraße 30, Ecke Lange Straße, das
Haus des Handelsmanns Hirsch, 1817 genehmigt, Abbruch nach 1916,
an der Ecke Zähringerstraße das Haus Witwe Dollmätsch,
Waldhornstraße 38, wohl von Weinbrenner 1818 gebaut, 1974
abgebrochen. In der Zähringerstraße folgt das Haus Apotheker
Sommerschuh (Adresse Kronenstraße 21), 1813, Entwurf wohl
Weinbrenner, es besteht aus zwei giebelständigen Bauten als
Anbau an ein Eckhaus, und schließlich das Haus Zähringerstraße
2, Schlosser Müller, 1811, beide nicht erhalten.
Die Nordwestliche Innenstadt
Das Kanzleigebäude entsteht 1803; nach Teilabbruch fand 1955 ein
Umbau statt. Das beherrschende Gebäude am westlichen
Schlossplatz ist das Theater, das 1806-1808 an der Stelle des
abgebrochenen mittleren Orangeriegebäudes errichtet wird,
abgebrannt. 1807 plant Weinbrenner eine Lehranstalt für
Mineralogie und Botanik vor dem alten Linkenheimer Tor; sie wird
nicht gebaut. Mit dem Bau der Pflanzenhäuser im Botanischen
Garten wird 1807 begonnen, allerdings werden die Bauten nicht
fertiggestellt. In der Mitte der Reihe von drei Pflanzenhäusern
ist ein Zentralbau geplant. Die Gewächshäuser von 1809, südlich
davon, stehen singulär in Weinbrenners Werk; sie sind nach
funktionalen Erfordernissen konzipiert. Teile der Anlage zu
einem früheren Zeitpunkt von Jeremias Müller gebaut. Nicht
realisiert die im Jahr 1809 geplante Erweiterung der Akademie;
das bestehende Gebäude wäre als Seitenflügel in einer gedachten
Dreiflügelanlage aufgegangen. Im nordwestlichen Stadtbereich
liegen zwei Wohnhäuser Weinbrenners: das 1815 erbaute Eckhaus
des Handelsmanns Ettlinger, Innerer Zirkel 26, erhalten, und das
Eckhaus des Postrates Braun, Linkenheimer-Tor-Straße 15,
ebenfalls 1815, nicht erhalten. Die Wasser- und
Straßenbaudirektion, zwischen Akademie- und Stephanienstraße,
wird erst 1828 nach Plänen Weinbrenners gebaut, zerstört.
Die Südwestliche Innenstadt
1802 beginnt der Bau des Sommerschlösschens für Markgräfin
Amalie im Erbprinzengarten. Ein an die Villa rotonda angelehnter
Entwurf mit einer Kuppel wurde nicht realisiert; im dann
gebauten Sommerhaus sind die Dächer in der Höhe gestaffelt bis
hin zu einem Turm mit Plattform. Zur Ritterstraße ist ein Hof
mit Seitengebäuden vorgelagert. An der Südostecke des Gartens
errichtet Weinbrenner 1802 den Gotische Turm, an den später eine
Kapelle angebaut wird, an der Südwestecke ein Vogelhaus, das
heute transloziert im Schlossgarten das Weinbrennerdenkmal
aufnimmt. Verbindung zum nördlichen Gartenteil durch einen
unterirdischen Gang. Das Haus Erbprinzenstraße 19, Witwe des
Kammerrates Lidell, Ecke Ritterstraße, wird 1804 gebaut, das
Haus ist teilweise erhalten. Weiter westlich am Ludwigsplatz
befinden sich zwei Häuser, wohl von Weinbrenner, das 1808
erbaute Eckhaus des Posamentiers Lang, Erbprinzenstraße 33, Ecke
Kleine Herrenstraße und Waldstraße; das Haus ist mit großen
Veränderungen erhalten. Angebaut ist das Haus Waldstraße 57a,
ebenfalls Bauherr Lang von 1809-1814; es ist im Äußeren
erhalten, zusammen mit Erbprinzenstraße 33 bildet es eine
Einheit. Das Haus Erbprinzenstraße 22 entstand 1818-19 für den
Hofmaler Kunz. Ein nicht ausgeführter Entwurf Weinbrenners ging
voraus. Die Katholische Stadtkirche wurde 1808-1814 erbaut. Sie
ist aus einem Quadrat mit Kreuzarmen entwickelt, die Mitte wird
von einem überkuppelten Rundraum eingenommen; die Spannweite ist
gleich der Höhe der Kuppel, ca. 30m. Das Thema des Pantheons
wird zitiert. Mit den nicht gebauten Nebengebäuden wäre
vermittelnd eine Steigerung der Massen erreicht worden.
1820-1822 entstand das Ständehaus; ein zweigeschossiger
Baukörper, Hauptfassade zur Stephanskirche, die Ecke gerundet
betont. Zerstört. Zwischen Herren- und Ritterstraße liegt der
Garten der Markgräfin Friedrich (Prinzessin Christiane) mit
einem großen Palais, das nach der Villa rotonda konzipiert ist
und 1817 begonnen wurde. Unter der auf einem künstlichen Hügel
errichteten Villa befindet sich ein Durchgang zu einem Weiher;
ein Arkadengang im Süden verbindet das Hauptgebäude auf zwei
Ebenen mit dem Lusthaus an der Kriegsstraße. Neben weiteren
Kleinarchitekturen an der Nordseite ein Pflanzenhaus in
neugotischem Stil. Die Bauten wurden 1894 abgebrochen.
Die Karlstraße
Die Karlstraße ist eine wichtige Nord- Süd- Verbindung im Westen
der Stadt im Stadterweiterungsplan von 1812 und 1818.
Weinbrenner baute die Infanteriekaserne 1804-1805 an der Stelle
der späteren Hauptpost. Südlich des Ludwigsplatzes das Eckhaus
Karlstraße 21 des Gastwirtes Groß, möglicherweise von
Weinbrenner 1816 erbaut, und Karlstraße 27, Gastwirt
Wichtermann, 1813-1815 erbaut, beide nicht erhalten. Am
Karlstor, Karlstraße 47, Ecke Herrenstraße, das Haus der beiden
Zimmermeister Küentzle, 1822 von Küentzle gebaut. Dieses Haus
ist erhalten. Dem ausgeführten Entwurf ging ein Entwurf
Weinbrenners voraus, der im Plan dargestellt ist. Die Münze
beschließt die Karlstraße im Norden; die Ausführung ab 1826
erlebte Weinbrenner nicht mehr.
Die Nordöstliche und Südöstliche Innenstadt, Achse
Fasanenstraße
Das Eckhaus Innerer Zirkel 10, Hofbuchdrucker Müller, wird 1811
gebaut. Nicht erhalten. Das Haus Spitalstraße 41, Regierungsrat
Reinhard, im Jahr 1813. Das Haus ist, stark verändert, erhalten.
Die verlängerte Fasanenstraße ist die östliche Entsprechung zur
Karlstraße im Westen im nicht ausgeführten
Stadterweiterungsplan. Die Churfürstliche Bauverwaltung wird
1806 westlich dieser Achse an der Langen Straße angelegt, aber
nur teilweise ausgeführt und später abgebrochen. Östlich der
Achse liegt die Kavalleriekaserne. Nach Weinbrenners Entwurf
werden 1803-1807 Stallungen gebaut, der Vorderbau kam später
hinzu, 1898 wurde die Kaserne abgebrochen. Drei kleinere Gebäude
Weinbrenners im östlichen Bereich der Innenstadt sein noch
erwähnt: der Fischmarkt hinter der Kleinen Kirche, die
Suppenküche in der Spitalstraße und die Leichenhalle.
Zusammenfassung
Unser Plan zeigt die räumlichen Beziehungen der Bauten
Weinbrenners untereinander und zur Stadt. Kein Haus wird ohne
den städtebaulichen Kontext entworfen. Er verwebt das Haus mit
Mauern und Höfen, in geschlossener Bebauung oder als Solitär mit
dem Umfeld.
Weinbrenners Umgang mit dem städtischen Raum ist am Marktplatz
zu sehen: Von Norden betrachtet staffelt sich der Platz in
Raumschichten nach Süden, den Kulissen eines Theaters
vergleichbar, bis in die Unendlichkeit. Diese Raumschichten
steigern sich in der Höhe von den niedrigen Boutiquen über die
dreigeschossigen Lyzeumsbauten zur höheren Stadtkirche, die
wiederum vom Turm überragt wird. Für den Betrachter, der sich
auf dieser Bühne bewegt, ergibt sich ein dramatischer
Perspektivwechsel von nah zu fern, von niedrig zu hoch, von eng
zu weit, der verwirrend und irrational auf ihn wirkt. Dies ist
die Idee des Romantischen Klassizismus Weinbrenners.
Ausgewählte Literatur:
Im, Hea-Jee: Karlsruher Bürgerhäuser zur Zeit Friedrich
Weinbrenners, Mainz 2004
Valdenaire, Arthur: Friedrich Weinbrenner, Karlsruhe 1926
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick111/weinbrenner
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 1
Karlsruher stadthistorische Beiträge Nr. 114·17. März 2017
Wilhelm Ludwig von Baden-Durlach
Literarisch Interessierte in Karlsruhe wissen, dass die Dichterin Marie Luise Kaschnitz eine Ge- borene von Seldeneck war. Die mit der Geschichte des Karlsruher Brauwesens vertrauten Biertrinker kennen den Namen einer der ältesten Karlsruher Brauereien: von Seldeneck. Nur wenige aber wis- sen wohl, dass der Siegfried-Brunnen auf dem Richard-Wagner-Platz eine Stiftung von Wilhelm Rudolf von Seldeneck ist und das dortige Wohn- viertel mit der Seldeneckstraße auf dem vorma- ligen Seldeneck‘schen Freigut entstand. Das alles hat seinen Ursprung in einer nicht standesgemäßen Ehe des Wilhelm Ludwig von Baden-Durlach.
Er war der jüngere Bruder des späteren Mark- grafen Karl-Friedrich. Ihr Vater, Erbprinz Fried- rich, verstarb kurz nach der Geburt von Wilhelm Ludwig (*14. Januar 1832). Da die Mutter Anna Charlotte an einer Gemütskrankheit litt, erzog Großmutter Markgräfin Magdalena Wilhelmine die beiden Prinzen in der Karlsburg in Durlach. Zur weiteren Ausbildung besuchten diese 1743 – 1745 die Académie Lausanne und reisten dann nach Paris und in die Niederlande. Während Karl Friedrich 1746 zur Übernahme der Regentschaft nach Karlsruhe zurückkehrte, blieb Ludwig Wil- helm beim Bruder seiner Mutter, Wilhelm Carl Heinrich Friso, dem späteren Erbstatthalter der Vereinigten Provinzen der Niederlande. Er be- gann eine Militärlaufbahn und wurde 1753 Statt- halter der niederländischen Provinz Gelderland mit Sitz in Arnheim.
Außer in den Niederlanden weilte Ludwig Wil- helm seit den 1760er Jahren als Geheimer Rat und Oberstallmeister auch am Badischen Hof. Hier heiratete er 1765 – damals bereits Vater einer Tochter – mit Erlaubnis des Markgrafen die bür- gerliche Christine Schortmann, die 1740 in Balin- gen geborene Tochter eines Kastellans. 1766 kam ein Sohn zur Welt. In der Folgezeit entwickelte sich der Soldat in Mühlburg zum Unternehmer. Er begann Ländereien zu kaufen, gründete 1769 ei- ne Krappfabrik und 1770 eine erfolgreiche Bier- brauerei. Ziel dieses Engagements war es, auf dem ausgedehnten Grundbesitz ein Freigut für seine Gemahlin zu schaffen. Dies war die Voraus- setzung dafür, sie und damit auch die Kinder in den Adelsstand zu erheben. 1777 erhielt Christine Schortmann durch den Markgrafen als Freifrau von Seldeneck den Namen eines 1583 ausgestor- benen fränkischen Geschlechts.
Als Wilhelm Ludwig am 17. Dezember 1788 starb, führte seine Frau die Brauerei und die Land- wirtschaft erfolgreich durch die kriegerischen Wirren der folgenden Jahre bis zu ihrem Tod 1804. Ihr Sohn Ludwig Wilhelm heiratete 1795 Auguste Adelheid Freiin von Bothmer. Mit ihren zehn Söh- nen wurden sie die Stammeltern eines weitver- zweigten adligen Familienclans. Manfred Koch
1732 – 1788 Foto: Stadtarchiv
Fortsetzung Seite 2
In der Vorkriegszeit hat der damalige Karlsru- her Oberkantor Simon Metzger zahlreiche Texte und Noten aus dem Synagogengottesdienst hand- schriftlich festgehalten. Ein solches Buch hat Po- gromnacht, Flucht, Exil und mehrere Besitzer- wechsel überstanden und wird nunmehr im Stadt- archiv Karlsruhe verwahrt.
Nach dem Novemberpogrom 1938 war offen- kundig, dass es unter den braunen Machthabern kein jüdisches Leben mehr in Deutschland geben würde. Die jüdischen Männer wurden ins KZ Dachau gesperrt. Niemand wusste, wie lang die Haft dauern würde. Nach einigen Wochen kam wieder frei, wer sich verpflichtete, das Land zu verlassen. Auch Simon Metzger erging es so. Im Februar 1939 ist seine Tochter Ilse mit Familie nach Luxemburg ausgewandert. „Meine Eltern aber glaubten, dass es ihre Pflicht sei, bei der Ge- meinde zu bleiben“, so schrieb Ilse Schwarz 1988 in einem Brief an Oberbürgermeister Gerhard Sei- ler. „Aber ungefähr ½ Jahr später wurde ihnen mitgeteilt sofort abzureisen, da man die Juden de- portieren würde. Da es ein Samstag war, wollte mein Vater nicht gehen, aber selbst der Rabbiner [Dr. Hugo Schiff] drängte sie zu gehen.“
Simon Metzger hatte von 1914 bis 1939 das Amt des Vorbeters und Religionslehrers der Israeli- tischen Gemeinde in der Kronenstraße inne. Si- mon und Marie Metzgers konnten im allerletzten Moment vor Ausbruch des Krieges zu Tochter und Schwiegersohn nach Luxemburg ausreisen. Im Juni 1941 verließ das Ehepaar endgültig Europa, per Schiff von Barcelona nach New York, zu ihrem Sohn Alfred in Queens. Ilse und Ernst Schwarz ka- men im August 1941 auf der gleichen Route nach. Die von deutschen Juden gegründete Congregati- on Emes Wozedek im New Yorker Stadtviertel Washington Heights beschäftigte Simon Metzger noch einige Jahre als Kantor an den Hohen Feier- tagen.
Zeugnis jüdischer Kultur jetzt im Stadtarchiv
Das Notenbuch des Karlsruher Oberkantors Simon Metzger von Christoph Kalisch
Für die in Deutschland Verbliebenen wurde die Lage verzweifelt – im Oktober 1940 mussten über 900 jüdische Karlsruher/-innen den Weg nach Gurs antreten. Neben vielen anderen haben Si- mon Metzgers Schwager Eugen Bruchsaler, sein Kantorenkollege Siegfried Speyer und sein Amts- nachfolger Jakob Wechsler ihr Leben in den La- gern der Nazis in Osteuropa verloren.
Herkunft und Werdegang Simon Metzgers
Simon Metzger, 1878 als jüngster Sohn des Han- delsmanns Abraham Meyer Metzger und seiner Frau Jeanette (Jette) geborene Geismar in Non- nenweier – heute Schwanau – bei Lahr geboren, war zunächst Vorbeter, Religionslehrer und Schächter der Israelitischen Gemeinde in Sulz- burg im Markgräflerland. Er schloss die Ehe mit Marie Bruchsaler, Tochter des dortigen Hauptleh- rers Joseph Bruchsaler und der Berta geborene Baer. Später wechselte Kantor Metzger nach Bret- ten; die beiden Kinder Ilse und Alfred kamen dort 1908 beziehungsweise 1911 zur Welt. Im August 1914 übernahm er die Kantorenstelle bei der Ge- meinde Kronenstraße in Karlsruhe und wurde auch Religionslehrer an den Schulen der Stadt. Er diente als Soldat im Ersten Weltkrieg und kehrte im November 1918 nach Karlsruhe zurück.
1925, zum 50-jährigen Bestehen der von Josef Durm erbauten Synagoge in der Kronenstraße, wurde Metzger vom Synagogenrat zum Oberkan- tor ernannt. Als geschulter Tenor gab Simon Metz- ger auch Konzerte. Beispiele aus seinem Reper- toire sind in zeitgenössischen Zeitungsberichten erwähnt, so die traditionelle Sabbathymne „Lecha Dodi“ mit der Musik von Louis Lewandowski; ei- ne Arie aus Mendelssohns „Elias“ und die „Ke- duscha“, ein gesungenes Gebet aus der Liturgie, komponiert von dem christlichen Dirigenten, Chor- und Musikschulleiter Theodor Munz, der samstags in der Kronenstraße die Orgel spielte – jüdischen Organisten wäre es am Schabbat nicht erlaubt zu arbeiten. Bis um 1933 wohnte das Ehe- paar Metzger in der Kronenstraße 15 neben der Synagoge, die Jahre bis zur Auswanderung im Gemeindehaus Herrenstraße 14.
Das handschriftliche Notenbuch
Nach der „Kristallnacht“ im November 1938 be- mühte sich das Jüdische Wohlfahrtsamt, für we- nigstens ein Kind aus jeder Familie einen Pflege- platz in England zu organisieren. An Stelle seiner 14-jährigen Schwester gelangte so der bereits 18-jährige Bernhard (Efraim Ber) Färber im Früh- jahr oder Sommer 1939 in Sicherheit und ging später in die USA. Vater Josef Färber war wenige Wochen zuvor in sein Geburtsland Polen abge- schoben worden, Sylvia und die Mutter folgten dem Vater im Sommer 1939 nach Krakau. Beide Eltern kamen in Polen um, die Schwester über- lebte Auschwitz und zog später auch nach Ameri- ka. Nach seiner Schulzeit auf dem Karlsruher Humboldt-Realgymnasium – wo er vermutlich Si- mon Metzgers Schüler war – hatte Bernhard noch 1937 in Würzburg das Israelitische Lehrerseminar
Oberkantor Metzger, wohl USA nach 1941. Foto: Leo Baeck Institute, New York
4 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
Herausgeber / Redaktion: Dr. Manfred Koch Herstellung: Badendruck „Blick in die Geschichte“ online ab Nr. 61/2003 unter: www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/ blick_geschichte/ausgaben.de
Es ist das älteste Grab auf dem Karlsruher Hauptfriedhof, weit älter noch als die herrliche Parkanlage selbst: die Ruhestätte des ehemaligen Geheimrats Christian Dieterich Stadelmann. Ver- lässt man den herrschaftlichen Eingangsbereich des Friedhofes, den von Josef Durm gestalteten Campo Santo, durch den rechten Torbogen, steht der mächtige Sandstein etwas versteckt gleich links an der Außenmauer der Großen Friedhofs- kapelle. Einige Steinplatten führen zu dem Grab- mal, jedoch ist dies längst nicht der erste Bestat- tungsplatz Stadelmanns, sein Grab befand sich zeitweise auf jedem der christlichen Friedhöfe der Stadt.
Christian Dieterich Stadelmann wurde am 28. April 1673 auf Schloss Altenburg – zu jener Zeit der Stammsitz der Herzöge von Sachsen-Alten- burg – im heutigen Thüringen geboren. 1694 trat Stadelmann in den Kriegsdienst, aus dem er vier Jahre später zurückkehrte, 1700 wurde er durch den damaligen Markgrafen Friedrich Magnus an den Badischen Hof nach Durlach berufen. Er war zunächst für die Erziehung des jüngsten Prinzen Christoph zuständig und leistete ab 1706 mit dem Erbprinzen Karl Wilhelm während des Pfälzer Erbfolgekrieges erneut Kriegsdienst. Nach dem Tod von Friedrich Magnus übernahm Karl Wil- helm die Regentschaft und beschloss bald, die Re- sidenz aus dem beengten Durlach in die Neugrün- dung Karlsruhe zu verlegen. Stadelmann, längst engster Vertrauten des Markgrafen, wurde 1713 zum Geheimen Rat ernannt. In dieser Funktion war er als Vertreter Badens beispielsweise 1714 bei den Friedensgesprächen nach dem Spa- nischen Erbfolgekrieg beteiligt. 1719 machte er besonders von sich reden, da er sich vehement ge- gen die Wünsche der katholischen Kirche – Bau eines eigenen Gotteshauses in der Lammstraße
mit dazugehörigem Friedhof, das Recht auf die Abhaltung von Gottesdiensten, auf Glockenge- läut, auf öffentliche Prozessionen, auf den Bau eines kleinen Kapuzinerklosters und den Erhalt einer Fruchtbesoldung, eines Zehnten – aus- sprach. Stadelmann sah darin einen Verlust mark- gräflicher Herrschaft im eigenen Lande und sorgte somit indirekt dafür, dass statt der geplanten Kir- che ein Brunnenhaus mit Turm als Pendant zur Re- formierten Kirche entstand. Als der Geheime Rat starb, wurde er auf dem damaligen Friedhof bei- gesetzt.
Der lutherische Gottesacker befand sich zu je- ner Zeit auf dem Gelände des heutigen Markt- platzes hinter der Concordienkirche. Dort wurde
Stadelmanns Grab, schon mit dem noch heute er- haltenen Gedenkstein, angelegt. Da dieses Ge- lände der seit 1760 geplanten Stadterweiterung nach Süden im Wege lag, fanden die sterblichen Überreste des hochgeachteten Staatsdieners samt dem reich gestalteten Grabstein 1809 eine neue Ruhestätte auf einem neuen Friedhof. Der lag am Ende der östlichsten der Strahlenachsen, der Waldhornstraße, außerhalb der bisherigen Stadt- grenzen. Leider bot auch dieser Friedhof für die wachsende Stadtbevölkerung nicht ausreichend Raum, so dass schon 1874 an einem Feldweg nach Rintheim ein neuer Friedhof entstand, der erste kommunale Parkfriedhof Deutschlands. Der alte Friedhof an der heutigen Kapellenstraße blieb zu- nächst zwar noch bestehen, wurde aber im Laufe der Zeit durch die umliegende Bebauung einge- holt und stellenweise aufgelöst. Da es galt, die hi- storische Grabanlage Stadelmanns zu schützen, verlegte man sie 1890 an den heutigen Standort.
Der große, rote Sandstein ist in klassizistischer Bauweise mit einer Grabtafel gestaltet, flankiert von Säulen, reichen Verzierungen, einer Giebel- bekrönung mit Sandsteinkreuz auf einem gestuf- ten Sockel. Besonders bemerkenswert ist dabei zweierlei: Zum einen, dass Stadelmann bereits zu Lebzeiten den Entwurf in Auftrag gegeben hat. Bis ins Detail plante er die Gestaltung seiner letz- ten Ruhestätte wie seiner Beerdigung und ver- fasste mit Ausnahme des Sterbedatums auch den Text der Inschrift mit seinem Lebenslauf auf der ornamental und mit Totenkopf symbolisch ge- fassten Grabtafel. Zum anderen, dass der letzte Satz, „Mein Tod ist nach verbeßerter Zeit erfolgt im Jahr 1740“, falsch ist. Im Generallandesarchiv sind von Stadelmann überliefert ein Testament vom 9. Mai und eine Verfügung über die Beerdi- gung vom 14. August 1743. Sein richtiges Todes- datum ist nach Recherchen von Johann Wilhelm Braun im Generallandesarchiv der 7. Mai 1744.
Seinen Besitz – ein Haus am Zirkel und seine Bibliothek – verkaufte der unverheiratete Stadel- mann an die Regierung. Von dem Erlös gründete er eine Stiftung zur Förderung der Bildung armer Kinder und zum Erhalt seines Grabmals. 1963 wurde das Restguthaben für die Restaurierung der Grabanlage eingesetzt und die Stiftung auf- gelöst.
Carlsruher Blickpunkt
Das älteste Grabmal auf dem Hauptfriedhof von Simone Maria Dietz
Foto: S. M. Dietz
kommunalpolitischen Debatte und gutachter- lichen Stellungnahme über drei geplante Hoch- häuser begann 1965 die Bebauung.
Die unkomplizierte Inanspruchnahme von lan- deseigenen Waldflächen für die Waldstadt zeigte den Weg für Siedlungserweiterungen. Im Falle von Oberreut war dies für die Stadt als Eigentü- mer von Waldflächen ähnlich wie für den Berg- wald noch einfacher. Gebaut wurde ab 1963 ohne Bebauungsplan, der erst 1967 Rechtskraft er- langte. Es folgte Ende der 1960er Jahre der Ab-
schnitt „Mittelreut“. Bis 1970, dem Jahr der Vollendung dieser Etappe, wuchs die Ein- wohnerzahl auf über 5 700. Ab 1971 arbeite- te das Stadtplanungs- amt an einer neuen Planung für die Feldla- ge, ebenfalls mit dem Ziel einer höheren Ver- dichtung.
Neben den genann- ten Siedlungen ent- stand die weitere Be- bauung des östlichen Beiertheimer Feldes, Heidenstücker-Nord, die Europa-Schule- Siedlung, das nörd- liche Knielingen (Su- detenstraße) sowie die Fortsetzung der Durla- cher Hangbebauung. Der Mieter- und Bau- verein setzte die Er- weiterung der bereits
1937 begonnenen Rheinstrandsiedlung in Daxlan- den neben den Aktivitäten im nördlichen Seldeneck‘schen Feld bis in die 1990er Jahre in großem Ausmaß fort. Zwei Baugebiete, die Baum- garten-Siedlung in Rüppurr und das Wohnquar- tier im Eichbäumle in der Waldstadt, verdienen auch heute noch eine überregionale Aufmerksam- keit als Muster für qualitätvollen und flächenspa- renden Siedlungsbau in der Stadt (siehe dazu Blick in die Geschichte Nr. 41). Die Baumgarten- Siedlung hat mit der gleichzeitig entstandenen
Bergwaldsiedlung einige Gemeinsamkeiten wie jeweils nur einen Eigentümer der Flächen, die Siedlungsgröße, Ringerschließung, Wohnwege und die Kombination von Eigenheim und Ge- schosswohnungsbau. Dennoch übertrifft die „neue GAGFAH“ – die ab 1956 erbaute „alte“ liegt westlich der Herrenalberstraße – die Berg- waldsiedlung in vielen Belangen eines quali- tätvollen Städtebaus, insbesondere mit der flä- chenreduzierten Erschließung und Konzentration der Parkierung in gestalteten Bereichen sowie mit der konsequenten Verdichtung. Das relativ kleine Quartier Im Eichbäumle in der Waldstadt-Feldla- ge ist ein Ergebnis mit ähnlicher Zielsetzung wie die Baumgarten-Siedlung. Die Rheinstadt als ein neues Wohnquartier in der Burgau, heute Land- schaftsschutzgebiet, blieb auf dem Reißbrett. (Sie- he dazu: Blick in die Geschichte. Karlsruher stadt- historische Beiträge 1993 – 1995, Karlsruhe 1998, S. 12 – 14). So reizvoll dieser „Baustein auf dem Weg zum Rhein“ erscheinen mag, so wenig würde er uns heute städtebaulich und architektonisch überzeugen.
Der innerstädtische Wohnungsbau dieser Zeit entstand größtenteils als Hochhausarchitektur. Die „Richt-Wohnanlage“ nördlich des Durlacher Güterbahnhofs bestimmt die westliche Durlacher Stadtsilhouette. Das dritte Hochhaus der Volks- wohnung am Entenfang erreichte nicht mehr die Gestaltqualität des ersten Hauses. Eine ähnliche Gestaltung zeigt das Hochhaus des Mieter- und Bauvereins an der Durlacher Allee. An der süd- lichen Kaiserallee entstanden Ende 1960 zwei Hochhausscheiben und ein Laubenganggebäude sowie ein Bürohaus als eine innerstädtische Kon- version auf der Fläche der ehemaligen Brauerei Printz, erstaunlicherweise ohne Bebauungsplan. (Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe des „Blick in die Geschichte“)
Der vom Gemeinderat im Juni 1961 nach ausführlicher Diskussion beschlos- sene Verkehrslinienplan. Foto: Bildstelle der Stadt Karlsruhe
kurier
2 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
begonnen. Metzger überließ dem jungen Mann ein in den Dreißigerjahren eigenhändig geschrie- benes Notenbuch der liberalen jüdischen Liturgie des ganzen Jahres, eine Sammlung mit vielfach mehreren Melodien zum selben Text. Im Jahr 2015 kam dieses Manuskript mit dem Einbandtitel „Jüdische Gesänge“ aus einem New Yorker Anti- quariat wieder an seinen Entstehungsort und wur- de nun dem Stadtarchiv geschenkt. Das Buch ent- hält etwa 250 gesungen vorgetragene Gebete bzw. poetische Einschübe des Synagogen-Gottes- dienstes. Heute so in Deutschland kaum noch ge- bräuchlich, zeigen die Texte zu Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts von Sulzer, Japhet, Ehrlich, Naumbourg oder Lewandowski und zu etlichen anonymen Melodien die in Westeuropa wohl ein Jahrtausend lang übliche, aschkena- sische Aussprache. Statt modernhebräisch „Schabbat“ klingt das wie „Schabbos“, „Scha- lom“ wie „Scholom“ oder „Scholaum“. Die Silben und ihre lautliche Färbung sind in lateinischer Umschrift wiedergegeben, nur die Überschriften in hebräischen Buchstaben. Das heute populäre Jiddisch spielte in Westeuropa übrigens kaum ei- ne Rolle, hat ganz andere Betonungsmuster – und wird in der Liturgie überhaupt nicht benutzt.
Glücklich ergänzt wird diese Sammelhand- schrift durch weitere, auch im Internet zugäng- liche Noten aus dem Nachlass des 1955 in New York verstorbenen Kantors, die das Center for Je- wish History des dortigen Leo-Baeck-Instituts als Metzger Music Collection verwahrt (http://bit. ly/2njBoSM). Dort sind Kompositionen von Karls-
ruhern wie Samuel Ru- bin, Paul Meyer, Theo- dor Munz überliefert. In der New Yorker Sammlung gibt es überdies ein numme- riertes, loses Blatt mit einer Gebetsmelodie für Chanukka, das zweifelsfrei aus dem hiesigen Notenbuch stammt – hier fehlen genau diese Seiten.
Wenige Sachzeugen aus 300 Jahren jü- dischen Lebens in Karlsruhe haben Krieg und Rassenwahn über- standen. Im Foyer der heutigen Israelitischen Kultusgemeinde in der Knielinger Allee ist ein Fragment einer Toraro- lle aus der Kronenstra- ße ausgestellt. An ei- ner Wand finden sich dort Teile der Orgel, auf der Kantor Metzger jahr- zehntelang begleitet wurde. So kommt dem No- tenbuch, das im Stadtarchiv digital eingesehen werden kann (http://www.stadtarchiv-karlsruhe. findbuch.net, Suchbegriffe: Notenbuch Kalisch), eine besondere Bedeutung zu. Es gewährt Ein- blicke in Sprache, Melodik und Quellen des Kul-
Bis zum Verbot durch die Nazis 1933 war der Arbeiter Turn- Sport-Bund (ATUS) eine der be- deutendsten Sportorganisation im deutschspra- chigen Raum. Ursprünglich 1893 als Gegenpol zu der immer mehr nationalistisch ausgerichteten Deutschen Turnerschaft (DT) als „Arbeiterturner- bund“ in Gera gegründet, begann in der Zeit der Weimarer Republik die Blütezeit des ATUS. Früh schlossen sich auch in Karlsruhe Arbeiter, die sich in den sogenannten bürgerlichen Vereinen der DT nicht zu Hause fühlten, zu einem Verein, nämlich zur „Freien Turnerschaft Karlsruhe“ (FT) zusam- men. Die Gründung des Vereins erfolgte am 24. April 1898 in der damaligen Karlsruher Gaststätte „Blume“. Trotz großer Vorbehalte seitens der Be- hörden und Untersagung jeglicher Jugendarbeit sowie der mehr oder weniger feindseligen Hal- tung der bürgerlichen Turnvereine nahm die FT eine positive Entwicklung. Schon beim zehnjähri- gen Jubiläum 1908 konnte eine informative Fest- schrift aufgelegt werden.
Gründung und Entwicklung der Freien Turnerschaft bis 1933
Der Erste Weltkrieg bedeutete, wie bei allen Vereinen, auch für die FT einen tiefen Einschnitt. Der Turnbetrieb kam nahezu zum Erliegen. Durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen nach 1918 nahm nicht nur die Dachorganisation ATUS eine rasante Entwicklung, auch auf ört- licher Ebene entfalteten sich die Mitgliedsvereine in zahlenmäßiger und sportfachlicher Hinsicht. Die FT erwarb 1919 ihre noch heute genutzte Sportanlage an der ehemaligen Linkenheimer Landstraße. Dank der ausgeprägten Opferbereit- schaft der Mitglieder konnte 1926 das Richtfest und am 21. Mai 1927 die Fertigstellung des Ver- einsheims, das heute noch in den Grundzügen be- steht, gefeiert werden.
Die ideale Sportanlage begünstigte das rasch anwachsende Sportangebot der FT. Zwar war die Turnabteilung nach wie vor die tragende Säule
des Vereins, aber als- bald wurden Abtei- lungen für Fußball, Handball, Leichtathle- tik und Wintersport ge- gründet, mit dem da- maligen Wassersport- verein Karlsruhe, der ebenfalls dem ATUS angehörte, wurden freundschaftliche Ver- bindungen gepflegt. In einer Ära, in der sich der Verein mitglieder- mäßig immer besser entwickelte – für den Turnbetrieb wurden in verschiedenen Karls- ruher Stadtteilen Un- tergruppen gebildet – und in sportlicher Hin- sicht eine Vielzahl von Erfolgen zu registrie- ren waren, fiel das Ver- bot des Vereins im Frühjahr 1933 und die Beschlagnahme der Platzanlage durch die Nazis. Die Familie von
Hanne Landgraf (geb. Siebert), nachmalige Eh- renbürgerin der Stadt Karlsruhe und Landtagsab- geordnete, wohnte seinerzeit im Vereinsheim, da ihr Vater Karl Siebert die Kantine des Vereins be- trieb. In einem Bericht hat sie anschaulich geschil- dert, wie die rüpelhaften SA-Horden sich des Sportplatzes einschließlich aller Baulichkeiten be- mächtigten und die Familie Siebert aus der Woh- nung drängten. Von jetzt auf nachher hatte der Verein aufgehört zu existieren.
Hans Schulenburg: Mitglied der Freien Turnerschaft und NS-Verfolgter
Auch für Hans Schulenburg, seit frühester Ju- gend Mitglied der FT, in vielerlei Hinsicht als ak- tiver Turner und Turnwart mehrerer Turngruppen im Verein engagiert, bedeutete das Vereinsverbot eine Zäsur. Sein Vater war der bekannte Gewerk- schaftsfunktionär und Karlsruher SPD-Vorsitzen- de Gustav Schulenburg, der den NS-Schergen 1933 zunächst nach Frankreich entkommen konn- te, nach der Besetzung Frankreichs jedoch 1940 inhaftiert und nach längeren Gefängnisaufenthal- ten 1944 im KZ-Dachau umgekommen ist. Hans Schulenburg wurde am 16. Januar 1909 in Straß- burg, sein Vater war dort seinerzeit bei der Ge- werkschaft angestellt, geboren. Nach Kriegsende verzog die Familie Schulenburg nach Karlsruhe. Nach der Volksschule absolvierte Hans Schulen- burg 1923 – 1926 eine Lehre als Werkzeugmacher. Bereits während der Lehrzeit besuchte er die 1. Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt. Nach seiner Lehrzeit ging er, wie vielfach damals üblich, als Geselle auf Wanderschaft. Dadurch war er Teil- nehmer des 1. Österreichischen Arbeiter- Turn- und Sportfestes 1926 in Wien. Ebenso war er Be- sucher der Einweihungsfeier für die ATUS-Bun- desschule in Leipzig im Spätjahr 1926. Beim II. Bundesfest des ATUS 1929 in Nürnberg war Hans Schulenburg mit einer Turngruppe der FT aktiver Teilnehmer. Bei der trotz wirtschaftlicher Pro- bleme erfolgreichen 2. Arbeiterolympiade 1931 in Wien war der engagierte FT-Turnwart ebenfalls dabei und gewann nachhaltige Eindrücke.
Die Flucht und die Gegnerschaft seines Vaters zum Nazi-Regime führten 1933 zur Arbeitslosig- keit von Hans Schulenburg. Er wurde inhaftiert und seine Wohnung mehrfach von der Gestapo durchsucht. 1935 wurde er trotz politischer Unzu-
Pionier des Arbeitersports
Die Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe und Hans Schulenberg von Gernot Horn
Hans und Hilde Schulenburg 1994 an ihrem 85. und 80. Geburtstag. Es gratu- liert Bürgermeister und Sportdezernent Norbert Vöhringer. Foto: Stadtarchiv
tus der liberalen jüdisch-deutschen Vorkriegs- gemeinden und in – noch unerforschte – lokale Traditionen der untergegangenen Gemeinde Kro- nenstraße mit ihrem Vorbeter Simon Metzger, der, wie ein Zeitgenosse schrieb, in New York wie in Karlsruhe für sein jüdisches Wissen und seine schöne Stimme bekannt war.
Auszug aus dem Notenbuch von Simon Metzger mit der Hymne „Adon Olam“ für den Morgengottesdienst, N. H. Katz. Foto: Stadtarchiv
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 3
verlässigkeit an einen Rüstungsbetrieb nach Westheim (Kreis Schwäbisch Hall) delegiert. Dort verhalf er zusammen mit seiner Frau den inakti- ven Turnverein wieder zu beleben. Nach Kriegs- ende kehrte Hans Schulenburg mit seiner Familie nach Karlsruhe zurück.
Wiedergründung der Freien Turnerschaft nach 1945
Unmittelbar nach seiner Rückkehr suchte er den Kontakt zu den noch lebenden FT-Mitglie- dern. Er gehörte zur Kommission, die dafür sorgte, dass am 18. Dezember 1945 im Gasthaus „Weißer Berg“ der ehemalige Verein „Freie Turnerschaft Karlsruhe“ wieder gegründet wurde. Da seitens der Besatzungsbehörden gegen die Verwendung der Bezeichnung „Turnen“ Bedenken erhoben wurden, gaben die etwa 100 anwesenden Grün- dungsmitglieder dem neu gegründeten Verein den Namen „Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe (FSSV)“. Vorsitzender wurde zunächst Robert Geisser, ehe ihn von 1947 – 1952 der bereits erwähnte Karl Siebert ablöste. Mit Erfolg erwirkte die FSSV-Vorstandschaft bei den Amerikanern die rasche Rückgabe des Sportplatzes und des
mittlerweile ramponierten Vereinsheimes. Die Geltendmachung der erlittenen allgemeinen Ver- mögensschäden zog sich indes bis Mitte der 1950er Jahre hin.
Bereits am 17. März 1946 konnte die FSSV im Konzerthaus eine gut aufgenommene Turn- und Sportschau veranstalten. Ein weiterer Meilenstein in der Nachkriegszeit war die Einweihung der neu ausgebauten Sportanlage am 14. bis 16. Juni 1947 mit der nunmehrigen Bezeichnung „Parkringsta- dion“. In allen Sportabteilungen herrschte bald wieder ein reger Übungs- und Wettkampfbetrieb. Die Hand- und Fußballspieler wurden rasch in die Wettbewerbe der Fachverbände integriert, ebenso die Leichtathleten, die Turner und Faustballspie- ler. Der ehemalige Wassersportverein Karlsruhe schloss sich dem Verein an und begründete die Schwimmabteilung der FSSV. Höhepunkte für die von Hans Schulenburg geleitete Turnabteilung war die Teilnahme an den Badischen Landesturn- festen sowie später auch an Deutschen Turnfesten. Es entstand eine Wandergruppe und auch die ver- bliebenen Wintersportler wurden wieder aktiv.
Mit überregionalen sportlichen Erfolgen glänz- ten vor allen Dingen die Leichtathleten und Schwimmer des Vereins. Sukzessive wurde das
Parkringstadion einschließlich des Vereinsheimes mit den Sanitär- und Umkleideräumen erweitert und modernisiert, so dass die FSSV-Anlage von Fachverbänden als Wettkampfstätte begehrt war. Außergewöhnliche Verdienste beim Ausbau des Parkringstadions erwarb sich Rolf Landgraf, Ehe- mann von Hanne Landgraf, der von 1962 – 1981 als Vereinsvorsitzender amtierte. Die 1971 ge- gründete Tennisabteilung fand von Anbeginn re- gen Zuspruch und vervollständigte das vielseitige sportliche Angebot.
Hans Schulenburg gründete zusammen mit sei- ner Frau Hilde 1974 die FSSV-Seniorenabteilung, in der durch die vielfältigen geselligen und kultu- rellen Aktivitäten zahlreiche ältere Vereinsmit- glieder eine „seelische Heimat“ fanden. Hans Schulenburg nutzte überdies die Vereinszeitung als Autor für historische Beiträge und hielt so bis zum seinem Tod am 2. September 2003 die Erinne- rung an die wechselvolle Vereinsgeschichte wach. In sportfachlicher Hinsicht konnte der Verein der- weil seine ursprüngliche Vielfalt nicht erhalten. Er hat sich jedoch seine Bedeutung in der Karlsruher Sportlandschaft bewahrt und darf sich mit Recht und voller Stolz als Pionier und Hüter der Traditi- onen des einstigen Arbeitersports betrachten.
Der Abschnitt dieser, auch für Karlsruhe wich- tigen Zeit der räumlichen Entwicklung, erstreckt sich über die Zeit des anhaltenden deutschen Wirt- schaftswunders vom Beginn der 1960er Jahre bis zur wirtschaftlichen Stagnation in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Auch in Karlsruhe zeigen sich die Folgen dieser 15 Jahre in Relation zur Stadtgröße.
Nach den Jahren der Reparatur der Kriegsschä- den, der Linderung des Wohnungsmangels und des Wiederaufbaus der Innenstadt wurde nun der Ausbau zur „Großstadt am Rhein und am Schwarzwald“ zum Leitthema, verkörpert durch die Politik des damaligen Oberbürgermeisters Klotz. Er erklärte 1963: „Es erfüllt uns alle mit Stolz, daß das Atom- und Ölzeitalter in Forschung und Produktion in unserer Stadt verankert wur- de.“ Der kommunale Gestaltungswille kommt zum Beispiel in der 1962 veranstalteten Ausstel- lung im Rathaus „Karlsruhe plant und baut für sei- ne Bürger“ zum Ausdruck. Gezeigt wurden unter anderem die Planungsabsichten für Straßenbahn- trassen in die Region, die Planung der Schloss- platztiefgarage als ein Projekt der Bundesgarten- schau 1967 sowie die Planung der Bergwaldsied- lung und der damalige Planungsstand für die Altstadtsanierung.
Ein Leitplan für die motorisierte Stadt
Die Karlsruher Stadtverwaltung sah sich wegen des neuen Bundesbaugesetzes von 1960 veran- lasst, einen Flächennutzungsplan aufzustellen. Das Engagement hielt sich aber in Grenzen, was unter anderem die Behandlung im Gemeinderat im Juni 1961 zeigt. Ohne Vortrag und Diskussion, als Anhängsel des Tagesordnungspunktes „Ver- kehrsgestaltung in der Stadt Karlsruhe“, wurde die Weitergabe einer kleinformatigen Fotografie (23 x 17 Zentimeter) des Plans an das Regierungs- präsidium beschlossen. Die Geringschätzung einer mittelfristigen generellen Leitplanung konnte nicht deutlicher demonstriert werden. Eine fun- dierte und öffentlich diskutierte Leitplanung, wie sie Mitte der 1920er Jahre mit dem Entwurf eines Generalbebauungsplans beispielhaft vorgelegt worden war, passte nicht in diese „Zeit des Ma- chens“. Projektorientierte Planung für den Woh- nungsbau und der Verkehr erfuhren die admini- strative und politische Zuwendung. Deshalb wa- ren der „Verkehrslinienplan“, eingeleitet mit zwei Vorträgen und die anschließende Diskussion in dieser Sitzung wesentlich wichtiger. Innenstadtna- he Tangenten im Norden, Westen und Süden, da- hin führende Radiale und ein Innenstadtring sollten das künftige Gerüst der Hauptverkehrs- straßen bilden. Zusätzlich wurde die Notwendig- keit einer westlichen Umfahrung Durlachs gese- hen. Der vorgesehene Ausbau der alten Kriegs- straße als Teil des Innenrings fand im Gemeinderat nur vereinzelt Kritik. Die Kriegsstraßen-Bauwerke
Ettlinger Tor und Karls- tor standen 1965 bezie- hungsweise erst 1972 zur Verfügung. Positiv kann hierzu angemerkt werden, dass damit ab diesem Zeitpunkt die, anfangs nur probe- weise, Einführung der Fußgängerzone Kaiser- straße vom Marktplatz bis zum Europaplatz ermöglicht wurde. Der unbestrittene Bau der Südtangente begann im Westen mit dem An- schluss an die 1966 fer- tig gestellte Rhein- brücke, erreichte 1972 die Vogesenbrücke und 1975 das Bulacher Kreuz.
Planungen für Grünflächen
Die Grünflächenge- staltung gewann in Karlsruhe mit den Vor- bereitungen für die Bundesgartenschau 1967 an Einfluss. 1963 wurde wieder ein Gartenbauamt eingerichtet. Neben den Aufwertungen von Schlossgarten und Stadtgarten zum attraktiven Gartenschaugelände entstanden konzeptionelle Überlegungen zur Durchgrünung zusammen mit Fußwegeverbindungen. Die Aufwertung des Fuß- gängers in der Stadt als Verkehrsteilnehmer zeigte sich zum Beispiel durch den möglichst ver- kehrsfreien „grünen Weg“ vom Bahnhof bis zum Friedrichsplatz und vom Schlossplatz bis in den Hardtwald, nun ermöglicht durch das Großereig- nis 1967. Es begann die Realisierung von Lang- zeitprojekte wie der planungsrechtlich vorbereite- te Südstadt-Grünzug, ergänzt mit der Unterfüh- rung der Ettlinger Straße. Der Albwanderweg mit den Abschnitten des Albgrüns und den dahin füh- renden Wegen ist eine der großen Leistungen der Landschaftsplanung.
Stadterweiterung für den Wohnungsbau
Der Ausbau des Wohnungsangebotes hatte an- gesichts des fortbestehenden Wohnungsmangels und der bevorstehenden Umsiedlungen im Zuge der Altstadtsanierung weiterhin hohe Priorität. Zwar konnte der Neubau 1960 – 1969 mit 25 400 Wohnungen nicht ganz die Bauleistung der 1950er Jahre erreichen, blieb aber weit über der des nachfolgenden Jahrzehnts mit nur noch 15 000. Die Nachfrage fand ihre Deckung durch die Er-
richtung neuer Siedlungen aber auch durch ein deutlich verringertes Einwohnerwachstum. War die Stadt 1961 – 1970 noch um knapp 14 000 Ein- wohner gewachsen, so verlor sie im alten Stadtge- biet 1971 – 1980 knapp 22 000 und hatte damit nur noch knapp 237 000 Einwohner gegenüber knapp 245 000 im Jahr 1961. Eine 1962 in Auftrag gege- bene Bevölkerungsprognose für 1980 hatte zwar geschätzte Zahlen zwischen 267 000 und 350 000 Einwohnern innerhalb des damaligen Stadtge- bietes angenommen, lag damit aber deutlich bis weit oberhalb der tatsächlichen Entwicklung. Die Stadt-Umland-Wanderungen zeigten auch in Karlsruhe ihre Wirkung. Nur dank der Eingemein- dungen 1972 – 1975 wies die Stadt 1980 noch ein Plus in der Bevölkerungsstatistik aus und sie ge- wann zugleich Potenzial für künftige Wohnbebau- ung.
Die in den 1950er Jahren begonnenen Wohnge- biete in der heutigen Nordweststadt, in Rintheim und in der Waldstadt wuchsen weiter. War da der zeilenförmige Geschosswohnungsbau vorherr- schend, so wurden im Laufe der 1960er Jahre oft unterschiedliche Gebäudeformen wie Hochhaus, Scheibe und Reihenhaus kombiniert. Die Berg- waldsiedlung eröffnete den planerischen Reigen der neuen Baugebiete, gedacht als Stadtteil für vorwiegend leitende Angestellte des expandie- renden Wirtschaftsraumes. Das sich im städ- tischen Eigentum befindliche Hanggebiet war für 1 500 bis 2 500 Einwohner angedacht. Nach der
Stadtplanung in Karlsruhe 1960-1975 (Teil 1)
Vom Wiederaufbau zum Ausbau der Stadt von Harald Ringler
Karlsruhe sah sich in den 1960er Jahren als aufstrebendes Wirtschaftszentrum am Oberrhein. Foto: Karlsruher Wirtschaftsspiegel 4/1962
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2 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
begonnen. Metzger überließ dem jungen Mann ein in den Dreißigerjahren eigenhändig geschrie- benes Notenbuch der liberalen jüdischen Liturgie des ganzen Jahres, eine Sammlung mit vielfach mehreren Melodien zum selben Text. Im Jahr 2015 kam dieses Manuskript mit dem Einbandtitel „Jüdische Gesänge“ aus einem New Yorker Anti- quariat wieder an seinen Entstehungsort und wur- de nun dem Stadtarchiv geschenkt. Das Buch ent- hält etwa 250 gesungen vorgetragene Gebete bzw. poetische Einschübe des Synagogen-Gottes- dienstes. Heute so in Deutschland kaum noch ge- bräuchlich, zeigen die Texte zu Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts von Sulzer, Japhet, Ehrlich, Naumbourg oder Lewandowski und zu etlichen anonymen Melodien die in Westeuropa wohl ein Jahrtausend lang übliche, aschkena- sische Aussprache. Statt modernhebräisch „Schabbat“ klingt das wie „Schabbos“, „Scha- lom“ wie „Scholom“ oder „Scholaum“. Die Silben und ihre lautliche Färbung sind in lateinischer Umschrift wiedergegeben, nur die Überschriften in hebräischen Buchstaben. Das heute populäre Jiddisch spielte in Westeuropa übrigens kaum ei- ne Rolle, hat ganz andere Betonungsmuster – und wird in der Liturgie überhaupt nicht benutzt.
Glücklich ergänzt wird diese Sammelhand- schrift durch weitere, auch im Internet zugäng- liche Noten aus dem Nachlass des 1955 in New York verstorbenen Kantors, die das Center for Je- wish History des dortigen Leo-Baeck-Instituts als Metzger Music Collection verwahrt (http://bit. ly/2njBoSM). Dort sind Kompositionen von Karls-
ruhern wie Samuel Ru- bin, Paul Meyer, Theo- dor Munz überliefert. In der New Yorker Sammlung gibt es überdies ein numme- riertes, loses Blatt mit einer Gebetsmelodie für Chanukka, das zweifelsfrei aus dem hiesigen Notenbuch stammt – hier fehlen genau diese Seiten.
Wenige Sachzeugen aus 300 Jahren jü- dischen Lebens in Karlsruhe haben Krieg und Rassenwahn über- standen. Im Foyer der heutigen Israelitischen Kultusgemeinde in der Knielinger Allee ist ein Fragment einer Toraro- lle aus der Kronenstra- ße ausgestellt. An ei- ner Wand finden sich dort Teile der Orgel, auf der Kantor Metzger jahr- zehntelang begleitet wurde. So kommt dem No- tenbuch, das im Stadtarchiv digital eingesehen werden kann (http://www.stadtarchiv-karlsruhe. findbuch.net, Suchbegriffe: Notenbuch Kalisch), eine besondere Bedeutung zu. Es gewährt Ein- blicke in Sprache, Melodik und Quellen des Kul-
Bis zum Verbot durch die Nazis 1933 war der Arbeiter Turn- Sport-Bund (ATUS) eine der be- deutendsten Sportorganisation im deutschspra- chigen Raum. Ursprünglich 1893 als Gegenpol zu der immer mehr nationalistisch ausgerichteten Deutschen Turnerschaft (DT) als „Arbeiterturner- bund“ in Gera gegründet, begann in der Zeit der Weimarer Republik die Blütezeit des ATUS. Früh schlossen sich auch in Karlsruhe Arbeiter, die sich in den sogenannten bürgerlichen Vereinen der DT nicht zu Hause fühlten, zu einem Verein, nämlich zur „Freien Turnerschaft Karlsruhe“ (FT) zusam- men. Die Gründung des Vereins erfolgte am 24. April 1898 in der damaligen Karlsruher Gaststätte „Blume“. Trotz großer Vorbehalte seitens der Be- hörden und Untersagung jeglicher Jugendarbeit sowie der mehr oder weniger feindseligen Hal- tung der bürgerlichen Turnvereine nahm die FT eine positive Entwicklung. Schon beim zehnjähri- gen Jubiläum 1908 konnte eine informative Fest- schrift aufgelegt werden.
Gründung und Entwicklung der Freien Turnerschaft bis 1933
Der Erste Weltkrieg bedeutete, wie bei allen Vereinen, auch für die FT einen tiefen Einschnitt. Der Turnbetrieb kam nahezu zum Erliegen. Durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen nach 1918 nahm nicht nur die Dachorganisation ATUS eine rasante Entwicklung, auch auf ört- licher Ebene entfalteten sich die Mitgliedsvereine in zahlenmäßiger und sportfachlicher Hinsicht. Die FT erwarb 1919 ihre noch heute genutzte Sportanlage an der ehemaligen Linkenheimer Landstraße. Dank der ausgeprägten Opferbereit- schaft der Mitglieder konnte 1926 das Richtfest und am 21. Mai 1927 die Fertigstellung des Ver- einsheims, das heute noch in den Grundzügen be- steht, gefeiert werden.
Die ideale Sportanlage begünstigte das rasch anwachsende Sportangebot der FT. Zwar war die Turnabteilung nach wie vor die tragende Säule
des Vereins, aber als- bald wurden Abtei- lungen für Fußball, Handball, Leichtathle- tik und Wintersport ge- gründet, mit dem da- maligen Wassersport- verein Karlsruhe, der ebenfalls dem ATUS angehörte, wurden freundschaftliche Ver- bindungen gepflegt. In einer Ära, in der sich der Verein mitglieder- mäßig immer besser entwickelte – für den Turnbetrieb wurden in verschiedenen Karls- ruher Stadtteilen Un- tergruppen gebildet – und in sportlicher Hin- sicht eine Vielzahl von Erfolgen zu registrie- ren waren, fiel das Ver- bot des Vereins im Frühjahr 1933 und die Beschlagnahme der Platzanlage durch die Nazis. Die Familie von
Hanne Landgraf (geb. Siebert), nachmalige Eh- renbürgerin der Stadt Karlsruhe und Landtagsab- geordnete, wohnte seinerzeit im Vereinsheim, da ihr Vater Karl Siebert die Kantine des Vereins be- trieb. In einem Bericht hat sie anschaulich geschil- dert, wie die rüpelhaften SA-Horden sich des Sportplatzes einschließlich aller Baulichkeiten be- mächtigten und die Familie Siebert aus der Woh- nung drängten. Von jetzt auf nachher hatte der Verein aufgehört zu existieren.
Hans Schulenburg: Mitglied der Freien Turnerschaft und NS-Verfolgter
Auch für Hans Schulenburg, seit frühester Ju- gend Mitglied der FT, in vielerlei Hinsicht als ak- tiver Turner und Turnwart mehrerer Turngruppen im Verein engagiert, bedeutete das Vereinsverbot eine Zäsur. Sein Vater war der bekannte Gewerk- schaftsfunktionär und Karlsruher SPD-Vorsitzen- de Gustav Schulenburg, der den NS-Schergen 1933 zunächst nach Frankreich entkommen konn- te, nach der Besetzung Frankreichs jedoch 1940 inhaftiert und nach längeren Gefängnisaufenthal- ten 1944 im KZ-Dachau umgekommen ist. Hans Schulenburg wurde am 16. Januar 1909 in Straß- burg, sein Vater war dort seinerzeit bei der Ge- werkschaft angestellt, geboren. Nach Kriegsende verzog die Familie Schulenburg nach Karlsruhe. Nach der Volksschule absolvierte Hans Schulen- burg 1923 – 1926 eine Lehre als Werkzeugmacher. Bereits während der Lehrzeit besuchte er die 1. Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt. Nach seiner Lehrzeit ging er, wie vielfach damals üblich, als Geselle auf Wanderschaft. Dadurch war er Teil- nehmer des 1. Österreichischen Arbeiter- Turn- und Sportfestes 1926 in Wien. Ebenso war er Be- sucher der Einweihungsfeier für die ATUS-Bun- desschule in Leipzig im Spätjahr 1926. Beim II. Bundesfest des ATUS 1929 in Nürnberg war Hans Schulenburg mit einer Turngruppe der FT aktiver Teilnehmer. Bei der trotz wirtschaftlicher Pro- bleme erfolgreichen 2. Arbeiterolympiade 1931 in Wien war der engagierte FT-Turnwart ebenfalls dabei und gewann nachhaltige Eindrücke.
Die Flucht und die Gegnerschaft seines Vaters zum Nazi-Regime führten 1933 zur Arbeitslosig- keit von Hans Schulenburg. Er wurde inhaftiert und seine Wohnung mehrfach von der Gestapo durchsucht. 1935 wurde er trotz politischer Unzu-
Pionier des Arbeitersports
Die Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe und Hans Schulenberg von Gernot Horn
Hans und Hilde Schulenburg 1994 an ihrem 85. und 80. Geburtstag. Es gratu- liert Bürgermeister und Sportdezernent Norbert Vöhringer. Foto: Stadtarchiv
tus der liberalen jüdisch-deutschen Vorkriegs- gemeinden und in – noch unerforschte – lokale Traditionen der untergegangenen Gemeinde Kro- nenstraße mit ihrem Vorbeter Simon Metzger, der, wie ein Zeitgenosse schrieb, in New York wie in Karlsruhe für sein jüdisches Wissen und seine schöne Stimme bekannt war.
Auszug aus dem Notenbuch von Simon Metzger mit der Hymne „Adon Olam“ für den Morgengottesdienst, N. H. Katz. Foto: Stadtarchiv
Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 3
verlässigkeit an einen Rüstungsbetrieb nach Westheim (Kreis Schwäbisch Hall) delegiert. Dort verhalf er zusammen mit seiner Frau den inakti- ven Turnverein wieder zu beleben. Nach Kriegs- ende kehrte Hans Schulenburg mit seiner Familie nach Karlsruhe zurück.
Wiedergründung der Freien Turnerschaft nach 1945
Unmittelbar nach seiner Rückkehr suchte er den Kontakt zu den noch lebenden FT-Mitglie- dern. Er gehörte zur Kommission, die dafür sorgte, dass am 18. Dezember 1945 im Gasthaus „Weißer Berg“ der ehemalige Verein „Freie Turnerschaft Karlsruhe“ wieder gegründet wurde. Da seitens der Besatzungsbehörden gegen die Verwendung der Bezeichnung „Turnen“ Bedenken erhoben wurden, gaben die etwa 100 anwesenden Grün- dungsmitglieder dem neu gegründeten Verein den Namen „Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe (FSSV)“. Vorsitzender wurde zunächst Robert Geisser, ehe ihn von 1947 – 1952 der bereits erwähnte Karl Siebert ablöste. Mit Erfolg erwirkte die FSSV-Vorstandschaft bei den Amerikanern die rasche Rückgabe des Sportplatzes und des
mittlerweile ramponierten Vereinsheimes. Die Geltendmachung der erlittenen allgemeinen Ver- mögensschäden zog sich indes bis Mitte der 1950er Jahre hin.
Bereits am 17. März 1946 konnte die FSSV im Konzerthaus eine gut aufgenommene Turn- und Sportschau veranstalten. Ein weiterer Meilenstein in der Nachkriegszeit war die Einweihung der neu ausgebauten Sportanlage am 14. bis 16. Juni 1947 mit der nunmehrigen Bezeichnung „Parkringsta- dion“. In allen Sportabteilungen herrschte bald wieder ein reger Übungs- und Wettkampfbetrieb. Die Hand- und Fußballspieler wurden rasch in die Wettbewerbe der Fachverbände integriert, ebenso die Leichtathleten, die Turner und Faustballspie- ler. Der ehemalige Wassersportverein Karlsruhe schloss sich dem Verein an und begründete die Schwimmabteilung der FSSV. Höhepunkte für die von Hans Schulenburg geleitete Turnabteilung war die Teilnahme an den Badischen Landesturn- festen sowie später auch an Deutschen Turnfesten. Es entstand eine Wandergruppe und auch die ver- bliebenen Wintersportler wurden wieder aktiv.
Mit überregionalen sportlichen Erfolgen glänz- ten vor allen Dingen die Leichtathleten und Schwimmer des Vereins. Sukzessive wurde das
Parkringstadion einschließlich des Vereinsheimes mit den Sanitär- und Umkleideräumen erweitert und modernisiert, so dass die FSSV-Anlage von Fachverbänden als Wettkampfstätte begehrt war. Außergewöhnliche Verdienste beim Ausbau des Parkringstadions erwarb sich Rolf Landgraf, Ehe- mann von Hanne Landgraf, der von 1962 – 1981 als Vereinsvorsitzender amtierte. Die 1971 ge- gründete Tennisabteilung fand von Anbeginn re- gen Zuspruch und vervollständigte das vielseitige sportliche Angebot.
Hans Schulenburg gründete zusammen mit sei- ner Frau Hilde 1974 die FSSV-Seniorenabteilung, in der durch die vielfältigen geselligen und kultu- rellen Aktivitäten zahlreiche ältere Vereinsmit- glieder eine „seelische Heimat“ fanden. Hans Schulenburg nutzte überdies die Vereinszeitung als Autor für historische Beiträge und hielt so bis zum seinem Tod am 2. September 2003 die Erinne- rung an die wechselvolle Vereinsgeschichte wach. In sportfachlicher Hinsicht konnte der Verein der- weil seine ursprüngliche Vielfalt nicht erhalten. Er hat sich jedoch seine Bedeutung in der Karlsruher Sportlandschaft bewahrt und darf sich mit Recht und voller Stolz als Pionier und Hüter der Traditi- onen des einstigen Arbeitersports betrachten.
Der Abschnitt dieser, auch für Karlsruhe wich- tigen Zeit der räumlichen Entwicklung, erstreckt sich über die Zeit des anhaltenden deutschen Wirt- schaftswunders vom Beginn der 1960er Jahre bis zur wirtschaftlichen Stagnation in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Auch in Karlsruhe zeigen sich die Folgen dieser 15 Jahre in Relation zur Stadtgröße.
Nach den Jahren der Reparatur der Kriegsschä- den, der Linderung des Wohnungsmangels und des Wiederaufbaus der Innenstadt wurde nun der Ausbau zur „Großstadt am Rhein und am Schwarzwald“ zum Leitthema, verkörpert durch die Politik des damaligen Oberbürgermeisters Klotz. Er erklärte 1963: „Es erfüllt uns alle mit Stolz, daß das Atom- und Ölzeitalter in Forschung und Produktion in unserer Stadt verankert wur- de.“ Der kommunale Gestaltungswille kommt zum Beispiel in der 1962 veranstalteten Ausstel- lung im Rathaus „Karlsruhe plant und baut für sei- ne Bürger“ zum Ausdruck. Gezeigt wurden unter anderem die Planungsabsichten für Straßenbahn- trassen in die Region, die Planung der Schloss- platztiefgarage als ein Projekt der Bundesgarten- schau 1967 sowie die Planung der Bergwaldsied- lung und der damalige Planungsstand für die Altstadtsanierung.
Ein Leitplan für die motorisierte Stadt
Die Karlsruher Stadtverwaltung sah sich wegen des neuen Bundesbaugesetzes von 1960 veran- lasst, einen Flächennutzungsplan aufzustellen. Das Engagement hielt sich aber in Grenzen, was unter anderem die Behandlung im Gemeinderat im Juni 1961 zeigt. Ohne Vortrag und Diskussion, als Anhängsel des Tagesordnungspunktes „Ver- kehrsgestaltung in der Stadt Karlsruhe“, wurde die Weitergabe einer kleinformatigen Fotografie (23 x 17 Zentimeter) des Plans an das Regierungs- präsidium beschlossen. Die Geringschätzung einer mittelfristigen generellen Leitplanung konnte nicht deutlicher demonstriert werden. Eine fun- dierte und öffentlich diskutierte Leitplanung, wie sie Mitte der 1920er Jahre mit dem Entwurf eines Generalbebauungsplans beispielhaft vorgelegt worden war, passte nicht in diese „Zeit des Ma- chens“. Projektorientierte Planung für den Woh- nungsbau und der Verkehr erfuhren die admini- strative und politische Zuwendung. Deshalb wa- ren der „Verkehrslinienplan“, eingeleitet mit zwei Vorträgen und die anschließende Diskussion in dieser Sitzung wesentlich wichtiger. Innenstadtna- he Tangenten im Norden, Westen und Süden, da- hin führende Radiale und ein Innenstadtring sollten das künftige Gerüst der Hauptverkehrs- straßen bilden. Zusätzlich wurde die Notwendig- keit einer westlichen Umfahrung Durlachs gese- hen. Der vorgesehene Ausbau der alten Kriegs- straße als Teil des Innenrings fand im Gemeinderat nur vereinzelt Kritik. Die Kriegsstraßen-Bauwerke
Ettlinger Tor und Karls- tor standen 1965 bezie- hungsweise erst 1972 zur Verfügung. Positiv kann hierzu angemerkt werden, dass damit ab diesem Zeitpunkt die, anfangs nur probe- weise, Einführung der Fußgängerzone Kaiser- straße vom Marktplatz bis zum Europaplatz ermöglicht wurde. Der unbestrittene Bau der Südtangente begann im Westen mit dem An- schluss an die 1966 fer- tig gestellte Rhein- brücke, erreichte 1972 die Vogesenbrücke und 1975 das Bulacher Kreuz.
Planungen für Grünflächen
Die Grünflächenge- staltung gewann in Karlsruhe mit den Vor- bereitungen für die Bundesgartenschau 1967 an Einfluss. 1963 wurde wieder ein Gartenbauamt eingerichtet. Neben den Aufwertungen von Schlossgarten und Stadtgarten zum attraktiven Gartenschaugelände entstanden konzeptionelle Überlegungen zur Durchgrünung zusammen mit Fußwegeverbindungen. Die Aufwertung des Fuß- gängers in der Stadt als Verkehrsteilnehmer zeigte sich zum Beispiel durch den möglichst ver- kehrsfreien „grünen Weg“ vom Bahnhof bis zum Friedrichsplatz und vom Schlossplatz bis in den Hardtwald, nun ermöglicht durch das Großereig- nis 1967. Es begann die Realisierung von Lang- zeitprojekte wie der planungsrechtlich vorbereite- te Südstadt-Grünzug, ergänzt mit der Unterfüh- rung der Ettlinger Straße. Der Albwanderweg mit den Abschnitten des Albgrüns und den dahin füh- renden Wegen ist eine der großen Leistungen der Landschaftsplanung.
Stadterweiterung für den Wohnungsbau
Der Ausbau des Wohnungsangebotes hatte an- gesichts des fortbestehenden Wohnungsmangels und der bevorstehenden Umsiedlungen im Zuge der Altstadtsanierung weiterhin hohe Priorität. Zwar konnte der Neubau 1960 – 1969 mit 25 400 Wohnungen nicht ganz die Bauleistung der 1950er Jahre erreichen, blieb aber weit über der des nachfolgenden Jahrzehnts mit nur noch 15 000. Die Nachfrage fand ihre Deckung durch die Er-
richtung neuer Siedlungen aber auch durch ein deutlich verringertes Einwohnerwachstum. War die Stadt 1961 – 1970 noch um knapp 14 000 Ein- wohner gewachsen, so verlor sie im alten Stadtge- biet 1971 – 1980 knapp 22 000 und hatte damit nur noch knapp 237 000 Einwohner gegenüber knapp 245 000 im Jahr 1961. Eine 1962 in Auftrag gege- bene Bevölkerungsprognose für 1980 hatte zwar geschätzte Zahlen zwischen 267 000 und 350 000 Einwohnern innerhalb des damaligen Stadtge- bietes angenommen, lag damit aber deutlich bis weit oberhalb der tatsächlichen Entwicklung. Die Stadt-Umland-Wanderungen zeigten auch in Karlsruhe ihre Wirkung. Nur dank der Eingemein- dungen 1972 – 1975 wies die Stadt 1980 noch ein Plus in der Bevölkerungsstatistik aus und sie ge- wann zugleich Potenzial für künftige Wohnbebau- ung.
Die in den 1950er Jahren begonnenen Wohnge- biete in der heutigen Nordweststadt, in Rintheim und in der Waldstadt wuchsen weiter. War da der zeilenförmige Geschosswohnungsbau vorherr- schend, so wurden im Laufe der 1960er Jahre oft unterschiedliche Gebäudeformen wie Hochhaus, Scheibe und Reihenhaus kombiniert. Die Berg- waldsiedlung eröffnete den planerischen Reigen der neuen Baugebiete, gedacht als Stadtteil für vorwiegend leitende Angestellte des expandie- renden Wirtschaftsraumes. Das sich im städ- tischen Eigentum befindliche Hanggebiet war für 1 500 bis 2 500 Einwohner angedacht. Nach der
Stadtplanung in Karlsruhe 1960-1975 (Teil 1)
Vom Wiederaufbau zum Ausbau der Stadt von Harald Ringler
Karlsruhe sah sich in den 1960er Jahren als aufstrebendes Wirtschaftszentrum am Oberrhein. Foto: Karlsruher Wirtschaftsspiegel 4/1962
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Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge 1
Karlsruher stadthistorische Beiträge Nr. 114·17. März 2017
Wilhelm Ludwig von Baden-Durlach
Literarisch Interessierte in Karlsruhe wissen, dass die Dichterin Marie Luise Kaschnitz eine Ge- borene von Seldeneck war. Die mit der Geschichte des Karlsruher Brauwesens vertrauten Biertrinker kennen den Namen einer der ältesten Karlsruher Brauereien: von Seldeneck. Nur wenige aber wis- sen wohl, dass der Siegfried-Brunnen auf dem Richard-Wagner-Platz eine Stiftung von Wilhelm Rudolf von Seldeneck ist und das dortige Wohn- viertel mit der Seldeneckstraße auf dem vorma- ligen Seldeneck‘schen Freigut entstand. Das alles hat seinen Ursprung in einer nicht standesgemäßen Ehe des Wilhelm Ludwig von Baden-Durlach.
Er war der jüngere Bruder des späteren Mark- grafen Karl-Friedrich. Ihr Vater, Erbprinz Fried- rich, verstarb kurz nach der Geburt von Wilhelm Ludwig (*14. Januar 1832). Da die Mutter Anna Charlotte an einer Gemütskrankheit litt, erzog Großmutter Markgräfin Magdalena Wilhelmine die beiden Prinzen in der Karlsburg in Durlach. Zur weiteren Ausbildung besuchten diese 1743 – 1745 die Académie Lausanne und reisten dann nach Paris und in die Niederlande. Während Karl Friedrich 1746 zur Übernahme der Regentschaft nach Karlsruhe zurückkehrte, blieb Ludwig Wil- helm beim Bruder seiner Mutter, Wilhelm Carl Heinrich Friso, dem späteren Erbstatthalter der Vereinigten Provinzen der Niederlande. Er be- gann eine Militärlaufbahn und wurde 1753 Statt- halter der niederländischen Provinz Gelderland mit Sitz in Arnheim.
Außer in den Niederlanden weilte Ludwig Wil- helm seit den 1760er Jahren als Geheimer Rat und Oberstallmeister auch am Badischen Hof. Hier heiratete er 1765 – damals bereits Vater einer Tochter – mit Erlaubnis des Markgrafen die bür- gerliche Christine Schortmann, die 1740 in Balin- gen geborene Tochter eines Kastellans. 1766 kam ein Sohn zur Welt. In der Folgezeit entwickelte sich der Soldat in Mühlburg zum Unternehmer. Er begann Ländereien zu kaufen, gründete 1769 ei- ne Krappfabrik und 1770 eine erfolgreiche Bier- brauerei. Ziel dieses Engagements war es, auf dem ausgedehnten Grundbesitz ein Freigut für seine Gemahlin zu schaffen. Dies war die Voraus- setzung dafür, sie und damit auch die Kinder in den Adelsstand zu erheben. 1777 erhielt Christine Schortmann durch den Markgrafen als Freifrau von Seldeneck den Namen eines 1583 ausgestor- benen fränkischen Geschlechts.
Als Wilhelm Ludwig am 17. Dezember 1788 starb, führte seine Frau die Brauerei und die Land- wirtschaft erfolgreich durch die kriegerischen Wirren der folgenden Jahre bis zu ihrem Tod 1804. Ihr Sohn Ludwig Wilhelm heiratete 1795 Auguste Adelheid Freiin von Bothmer. Mit ihren zehn Söh- nen wurden sie die Stammeltern eines weitver- zweigten adligen Familienclans. Manfred Koch
1732 – 1788 Foto: Stadtarchiv
Fortsetzung Seite 2
In der Vorkriegszeit hat der damalige Karlsru- her Oberkantor Simon Metzger zahlreiche Texte und Noten aus dem Synagogengottesdienst hand- schriftlich festgehalten. Ein solches Buch hat Po- gromnacht, Flucht, Exil und mehrere Besitzer- wechsel überstanden und wird nunmehr im Stadt- archiv Karlsruhe verwahrt.
Nach dem Novemberpogrom 1938 war offen- kundig, dass es unter den braunen Machthabern kein jüdisches Leben mehr in Deutschland geben würde. Die jüdischen Männer wurden ins KZ Dachau gesperrt. Niemand wusste, wie lang die Haft dauern würde. Nach einigen Wochen kam wieder frei, wer sich verpflichtete, das Land zu verlassen. Auch Simon Metzger erging es so. Im Februar 1939 ist seine Tochter Ilse mit Familie nach Luxemburg ausgewandert. „Meine Eltern aber glaubten, dass es ihre Pflicht sei, bei der Ge- meinde zu bleiben“, so schrieb Ilse Schwarz 1988 in einem Brief an Oberbürgermeister Gerhard Sei- ler. „Aber ungefähr ½ Jahr später wurde ihnen mitgeteilt sofort abzureisen, da man die Juden de- portieren würde. Da es ein Samstag war, wollte mein Vater nicht gehen, aber selbst der Rabbiner [Dr. Hugo Schiff] drängte sie zu gehen.“
Simon Metzger hatte von 1914 bis 1939 das Amt des Vorbeters und Religionslehrers der Israeli- tischen Gemeinde in der Kronenstraße inne. Si- mon und Marie Metzgers konnten im allerletzten Moment vor Ausbruch des Krieges zu Tochter und Schwiegersohn nach Luxemburg ausreisen. Im Juni 1941 verließ das Ehepaar endgültig Europa, per Schiff von Barcelona nach New York, zu ihrem Sohn Alfred in Queens. Ilse und Ernst Schwarz ka- men im August 1941 auf der gleichen Route nach. Die von deutschen Juden gegründete Congregati- on Emes Wozedek im New Yorker Stadtviertel Washington Heights beschäftigte Simon Metzger noch einige Jahre als Kantor an den Hohen Feier- tagen.
Zeugnis jüdischer Kultur jetzt im Stadtarchiv
Das Notenbuch des Karlsruher Oberkantors Simon Metzger von Christoph Kalisch
Für die in Deutschland Verbliebenen wurde die Lage verzweifelt – im Oktober 1940 mussten über 900 jüdische Karlsruher/-innen den Weg nach Gurs antreten. Neben vielen anderen haben Si- mon Metzgers Schwager Eugen Bruchsaler, sein Kantorenkollege Siegfried Speyer und sein Amts- nachfolger Jakob Wechsler ihr Leben in den La- gern der Nazis in Osteuropa verloren.
Herkunft und Werdegang Simon Metzgers
Simon Metzger, 1878 als jüngster Sohn des Han- delsmanns Abraham Meyer Metzger und seiner Frau Jeanette (Jette) geborene Geismar in Non- nenweier – heute Schwanau – bei Lahr geboren, war zunächst Vorbeter, Religionslehrer und Schächter der Israelitischen Gemeinde in Sulz- burg im Markgräflerland. Er schloss die Ehe mit Marie Bruchsaler, Tochter des dortigen Hauptleh- rers Joseph Bruchsaler und der Berta geborene Baer. Später wechselte Kantor Metzger nach Bret- ten; die beiden Kinder Ilse und Alfred kamen dort 1908 beziehungsweise 1911 zur Welt. Im August 1914 übernahm er die Kantorenstelle bei der Ge- meinde Kronenstraße in Karlsruhe und wurde auch Religionslehrer an den Schulen der Stadt. Er diente als Soldat im Ersten Weltkrieg und kehrte im November 1918 nach Karlsruhe zurück.
1925, zum 50-jährigen Bestehen der von Josef Durm erbauten Synagoge in der Kronenstraße, wurde Metzger vom Synagogenrat zum Oberkan- tor ernannt. Als geschulter Tenor gab Simon Metz- ger auch Konzerte. Beispiele aus seinem Reper- toire sind in zeitgenössischen Zeitungsberichten erwähnt, so die traditionelle Sabbathymne „Lecha Dodi“ mit der Musik von Louis Lewandowski; ei- ne Arie aus Mendelssohns „Elias“ und die „Ke- duscha“, ein gesungenes Gebet aus der Liturgie, komponiert von dem christlichen Dirigenten, Chor- und Musikschulleiter Theodor Munz, der samstags in der Kronenstraße die Orgel spielte – jüdischen Organisten wäre es am Schabbat nicht erlaubt zu arbeiten. Bis um 1933 wohnte das Ehe- paar Metzger in der Kronenstraße 15 neben der Synagoge, die Jahre bis zur Auswanderung im Gemeindehaus Herrenstraße 14.
Das handschriftliche Notenbuch
Nach der „Kristallnacht“ im November 1938 be- mühte sich das Jüdische Wohlfahrtsamt, für we- nigstens ein Kind aus jeder Familie einen Pflege- platz in England zu organisieren. An Stelle seiner 14-jährigen Schwester gelangte so der bereits 18-jährige Bernhard (Efraim Ber) Färber im Früh- jahr oder Sommer 1939 in Sicherheit und ging später in die USA. Vater Josef Färber war wenige Wochen zuvor in sein Geburtsland Polen abge- schoben worden, Sylvia und die Mutter folgten dem Vater im Sommer 1939 nach Krakau. Beide Eltern kamen in Polen um, die Schwester über- lebte Auschwitz und zog später auch nach Ameri- ka. Nach seiner Schulzeit auf dem Karlsruher Humboldt-Realgymnasium – wo er vermutlich Si- mon Metzgers Schüler war – hatte Bernhard noch 1937 in Würzburg das Israelitische Lehrerseminar
Oberkantor Metzger, wohl USA nach 1941. Foto: Leo Baeck Institute, New York
4 Blick in die Geschichte, Karlsruher stadthistorische Beiträge
Herausgeber / Redaktion: Dr. Manfred Koch Herstellung: Badendruck „Blick in die Geschichte“ online ab Nr. 61/2003 unter: www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/ blick_geschichte/ausgaben.de
Es ist das älteste Grab auf dem Karlsruher Hauptfriedhof, weit älter noch als die herrliche Parkanlage selbst: die Ruhestätte des ehemaligen Geheimrats Christian Dieterich Stadelmann. Ver- lässt man den herrschaftlichen Eingangsbereich des Friedhofes, den von Josef Durm gestalteten Campo Santo, durch den rechten Torbogen, steht der mächtige Sandstein etwas versteckt gleich links an der Außenmauer der Großen Friedhofs- kapelle. Einige Steinplatten führen zu dem Grab- mal, jedoch ist dies längst nicht der erste Bestat- tungsplatz Stadelmanns, sein Grab befand sich zeitweise auf jedem der christlichen Friedhöfe der Stadt.
Christian Dieterich Stadelmann wurde am 28. April 1673 auf Schloss Altenburg – zu jener Zeit der Stammsitz der Herzöge von Sachsen-Alten- burg – im heutigen Thüringen geboren. 1694 trat Stadelmann in den Kriegsdienst, aus dem er vier Jahre später zurückkehrte, 1700 wurde er durch den damaligen Markgrafen Friedrich Magnus an den Badischen Hof nach Durlach berufen. Er war zunächst für die Erziehung des jüngsten Prinzen Christoph zuständig und leistete ab 1706 mit dem Erbprinzen Karl Wilhelm während des Pfälzer Erbfolgekrieges erneut Kriegsdienst. Nach dem Tod von Friedrich Magnus übernahm Karl Wil- helm die Regentschaft und beschloss bald, die Re- sidenz aus dem beengten Durlach in die Neugrün- dung Karlsruhe zu verlegen. Stadelmann, längst engster Vertrauten des Markgrafen, wurde 1713 zum Geheimen Rat ernannt. In dieser Funktion war er als Vertreter Badens beispielsweise 1714 bei den Friedensgesprächen nach dem Spa- nischen Erbfolgekrieg beteiligt. 1719 machte er besonders von sich reden, da er sich vehement ge- gen die Wünsche der katholischen Kirche – Bau eines eigenen Gotteshauses in der Lammstraße
mit dazugehörigem Friedhof, das Recht auf die Abhaltung von Gottesdiensten, auf Glockenge- läut, auf öffentliche Prozessionen, auf den Bau eines kleinen Kapuzinerklosters und den Erhalt einer Fruchtbesoldung, eines Zehnten – aus- sprach. Stadelmann sah darin einen Verlust mark- gräflicher Herrschaft im eigenen Lande und sorgte somit indirekt dafür, dass statt der geplanten Kir- che ein Brunnenhaus mit Turm als Pendant zur Re- formierten Kirche entstand. Als der Geheime Rat starb, wurde er auf dem damaligen Friedhof bei- gesetzt.
Der lutherische Gottesacker befand sich zu je- ner Zeit auf dem Gelände des heutigen Markt- platzes hinter der Concordienkirche. Dort wurde
Stadelmanns Grab, schon mit dem noch heute er- haltenen Gedenkstein, angelegt. Da dieses Ge- lände der seit 1760 geplanten Stadterweiterung nach Süden im Wege lag, fanden die sterblichen Überreste des hochgeachteten Staatsdieners samt dem reich gestalteten Grabstein 1809 eine neue Ruhestätte auf einem neuen Friedhof. Der lag am Ende der östlichsten der Strahlenachsen, der Waldhornstraße, außerhalb der bisherigen Stadt- grenzen. Leider bot auch dieser Friedhof für die wachsende Stadtbevölkerung nicht ausreichend Raum, so dass schon 1874 an einem Feldweg nach Rintheim ein neuer Friedhof entstand, der erste kommunale Parkfriedhof Deutschlands. Der alte Friedhof an der heutigen Kapellenstraße blieb zu- nächst zwar noch bestehen, wurde aber im Laufe der Zeit durch die umliegende Bebauung einge- holt und stellenweise aufgelöst. Da es galt, die hi- storische Grabanlage Stadelmanns zu schützen, verlegte man sie 1890 an den heutigen Standort.
Der große, rote Sandstein ist in klassizistischer Bauweise mit einer Grabtafel gestaltet, flankiert von Säulen, reichen Verzierungen, einer Giebel- bekrönung mit Sandsteinkreuz auf einem gestuf- ten Sockel. Besonders bemerkenswert ist dabei zweierlei: Zum einen, dass Stadelmann bereits zu Lebzeiten den Entwurf in Auftrag gegeben hat. Bis ins Detail plante er die Gestaltung seiner letz- ten Ruhestätte wie seiner Beerdigung und ver- fasste mit Ausnahme des Sterbedatums auch den Text der Inschrift mit seinem Lebenslauf auf der ornamental und mit Totenkopf symbolisch ge- fassten Grabtafel. Zum anderen, dass der letzte Satz, „Mein Tod ist nach verbeßerter Zeit erfolgt im Jahr 1740“, falsch ist. Im Generallandesarchiv sind von Stadelmann überliefert ein Testament vom 9. Mai und eine Verfügung über die Beerdi- gung vom 14. August 1743. Sein richtiges Todes- datum ist nach Recherchen von Johann Wilhelm Braun im Generallandesarchiv der 7. Mai 1744.
Seinen Besitz – ein Haus am Zirkel und seine Bibliothek – verkaufte der unverheiratete Stadel- mann an die Regierung. Von dem Erlös gründete er eine Stiftung zur Förderung der Bildung armer Kinder und zum Erhalt seines Grabmals. 1963 wurde das Restguthaben für die Restaurierung der Grabanlage eingesetzt und die Stiftung auf- gelöst.
Carlsruher Blickpunkt
Das älteste Grabmal auf dem Hauptfriedhof von Simone Maria Dietz
Foto: S. M. Dietz
kommunalpolitischen Debatte und gutachter- lichen Stellungnahme über drei geplante Hoch- häuser begann 1965 die Bebauung.
Die unkomplizierte Inanspruchnahme von lan- deseigenen Waldflächen für die Waldstadt zeigte den Weg für Siedlungserweiterungen. Im Falle von Oberreut war dies für die Stadt als Eigentü- mer von Waldflächen ähnlich wie für den Berg- wald noch einfacher. Gebaut wurde ab 1963 ohne Bebauungsplan, der erst 1967 Rechtskraft er- langte. Es folgte Ende der 1960er Jahre der Ab-
schnitt „Mittelreut“. Bis 1970, dem Jahr der Vollendung dieser Etappe, wuchs die Ein- wohnerzahl auf über 5 700. Ab 1971 arbeite- te das Stadtplanungs- amt an einer neuen Planung für die Feldla- ge, ebenfalls mit dem Ziel einer höheren Ver- dichtung.
Neben den genann- ten Siedlungen ent- stand die weitere Be- bauung des östlichen Beiertheimer Feldes, Heidenstücker-Nord, die Europa-Schule- Siedlung, das nörd- liche Knielingen (Su- detenstraße) sowie die Fortsetzung der Durla- cher Hangbebauung. Der Mieter- und Bau- verein setzte die Er- weiterung der bereits
1937 begonnenen Rheinstrandsiedlung in Daxlan- den neben den Aktivitäten im nördlichen Seldeneck‘schen Feld bis in die 1990er Jahre in großem Ausmaß fort. Zwei Baugebiete, die Baum- garten-Siedlung in Rüppurr und das Wohnquar- tier im Eichbäumle in der Waldstadt, verdienen auch heute noch eine überregionale Aufmerksam- keit als Muster für qualitätvollen und flächenspa- renden Siedlungsbau in der Stadt (siehe dazu Blick in die Geschichte Nr. 41). Die Baumgarten- Siedlung hat mit der gleichzeitig entstandenen
Bergwaldsiedlung einige Gemeinsamkeiten wie jeweils nur einen Eigentümer der Flächen, die Siedlungsgröße, Ringerschließung, Wohnwege und die Kombination von Eigenheim und Ge- schosswohnungsbau. Dennoch übertrifft die „neue GAGFAH“ – die ab 1956 erbaute „alte“ liegt westlich der Herrenalberstraße – die Berg- waldsiedlung in vielen Belangen eines quali- tätvollen Städtebaus, insbesondere mit der flä- chenreduzierten Erschließung und Konzentration der Parkierung in gestalteten Bereichen sowie mit der konsequenten Verdichtung. Das relativ kleine Quartier Im Eichbäumle in der Waldstadt-Feldla- ge ist ein Ergebnis mit ähnlicher Zielsetzung wie die Baumgarten-Siedlung. Die Rheinstadt als ein neues Wohnquartier in der Burgau, heute Land- schaftsschutzgebiet, blieb auf dem Reißbrett. (Sie- he dazu: Blick in die Geschichte. Karlsruher stadt- historische Beiträge 1993 – 1995, Karlsruhe 1998, S. 12 – 14). So reizvoll dieser „Baustein auf dem Weg zum Rhein“ erscheinen mag, so wenig würde er uns heute städtebaulich und architektonisch überzeugen.
Der innerstädtische Wohnungsbau dieser Zeit entstand größtenteils als Hochhausarchitektur. Die „Richt-Wohnanlage“ nördlich des Durlacher Güterbahnhofs bestimmt die westliche Durlacher Stadtsilhouette. Das dritte Hochhaus der Volks- wohnung am Entenfang erreichte nicht mehr die Gestaltqualität des ersten Hauses. Eine ähnliche Gestaltung zeigt das Hochhaus des Mieter- und Bauvereins an der Durlacher Allee. An der süd- lichen Kaiserallee entstanden Ende 1960 zwei Hochhausscheiben und ein Laubenganggebäude sowie ein Bürohaus als eine innerstädtische Kon- version auf der Fläche der ehemaligen Brauerei Printz, erstaunlicherweise ohne Bebauungsplan. (Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe des „Blick in die Geschichte“)
Der vom Gemeinderat im Juni 1961 nach ausführlicher Diskussion beschlos- sene Verkehrslinienplan. Foto: Bildstelle der Stadt Karlsruhe
kurier
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https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick114/HF_sections/content/ZZn1Epk2AM2Zsa/ZZn1EpwNwR66Ed/Blick%20Nr.%20114opt.pdf