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Liebe Besucher*innen, das Spektrum unserer Sonderausstellungen reichte 2019 von »Paris, Paris! Karlsruher Künstler an der Seine« mit Werken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu neusten Arbeiten in der Schau »TOP_0019: Meisterschüler*innen und die Sammlung der Städtischen Galerie Karlsruhe im Dialog«. Das spektrenreiche Miteinander von aktueller und historischer Kunstproduktion bot den Be trach­ tenden vielfältige Anregungen. Einen weiteren Blick in die eigene Sammlung vermittelt die Aus­ stellung »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe«, die nur noch wenige Tage zu sehen sein wird – so auch am Tag der offenen Tür am 6. Januar. Überaus ansprechend finden die Besucher*in nen hier die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen. Das Kunstjahr 2020 beginnt bei uns Anfang Februar mit der Verleihung des Kunstpreises der Werner­Stober­Stiftung an Florian Köhler. Vier Wochen später eröffnen wir im Lichthof die Präsentation »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980«. Gleichermaßen irritierende wie faszinierende Kunstwerke regen uns zum Nachdenken an über Ressourcen und ihren bis in die jüngste Vergangenheit verschwenderischen Einsatz. Wir freuen uns auf Ihr Kommen! Ihre Brigitte Baumstark und das Team der Städtischen Galerie Karlsruhe W ill y Ki w it z, St ill le be n m it K ru g, 1 94 8– 50 , St äd ti sc he G al er ie K ar ls ru he Fl or ia n Kö hl er , O hn e Ti te l, 20 18 , Fo to : C hr is ti an E rt el B jö rn B ra un , U nt it le d (z eb ra fi nc h ne st ), 2 01 3, St äd ti sc he G al er ie K ar ls ru he Er w in G ro ss , O hn e Ti te l, 20 17 Tradition und Aufbruch Nachkriegskunst in Karlsruhe 20/07/2019 –19/01/2020 »Tradition als Verpflichtung« – unter diesem Motto stand nicht nur die Karlsruher Kunst- akademie, als sie nach schweren Kriegszerstörungen 1947 ihren Lehrbetrieb wieder aufnahm, diese Haltung kennzeichnet auch die gesamte Kunstszene der Nachkriegszeit in der Fächerstadt. Mit der Wiedereinsetzung ihrer 1933 entlassenen Professoren Karl Hubbuch und Wilhelm Schnarrenberger bzw. mit den Berufungen von Erich Heckel und Otto Laible knüpfte die Akademie an ihre eigenen Wurzeln und an anerkannte Richtungen der Klassischen Moderne an. Als vorbildhaft galten insbesondere die französische Kunst des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts und der deutsche Expressionismus. Auch das Schaffen der hier freiberuflich tätigen Künstler blieb größtenteils einer gegen- ständlich-figurativen Bildsprache verbunden. Erst mit HAP Grieshaber, der 1955 als Nachfolger Heckels nach Karlsruhe kam, wurden neue Impulse wirksam. Grieshaber be- geisterte seine Studierenden für die aktuellen Positionen der internationalen Avantgarde und förderte eine große Zahl junger Talente. Aus seiner Klasse ging die Neue Figuration hervor, zu deren bedeutendsten Vertretern u. a. Horst Antes und Walter Stöhrer zählen. Spannende Gegenüberstellungen individueller Positionen vermitteln einen facettenreichen Einblick in das Kunstgeschehen der Stadt zwischen Kriegsende und 1960. Gezeigt werden ca. 150 Gemälde, Grafiken und Plastiken, die bis auf wenige Ausnahmen zum Sammlungsbestand der Städtischen Galerie Karlsruhe gehören. Nur noch wenige Tage! Kunstpreis der Werner-Stober-Stiftung 2019 Florian Köhler Tschau Agip 06/02 – 03/05/2020 Der Kunstpreis der Werner-Stober-Stiftung für das Jahr 2019 wurde an Florian Köhler ver liehen. Die Auswahl für dieses Stipendium trafen die Mitglieder des Professoren - kollegiums an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Florian Köhler, 1973 geboren, studierte seit 2001 an der Karlsruher Kunstakademie und schloss 2007 sein Studium als Meisterschüler bei Professor Meuser ab. Nach einem Reise stipendium der Kunstakademie Karlsruhe (2007) und einem 6-monatigen Stipendium an der Cité Internatio- nale des Arts in Paris (2013) lebt und arbeitet der Künstler heute in Karlsruhe-Mühlburg. In schnellem Arbeitsprozess setzt Köhler seine Gussformen aus gefundenen Materialien zusammen, verbindet sie mit Bauschaum und Plastikfolie, lässt sie mitunter stehen und addiert später das letzte formgebende Element. Durch das Abgießen in Beton entstehen Skulpturen, die in ihrer Abstraktion eine allgemeingültige Form erzielen. Köhler weist den zuvor alltäglichen Bestandteilen, die er oft an der nahe gelegenen Tankstelle findet, eine neue Materialität und Funktionalität zu. Die reinen zusammengefügten Formen in ihrer ursprünglichen Materialität reizen den Künstler weniger als die Übersetzung der Alltags- gegenstände in eine neue, abstrakte Form. Das Resultat sind faszinierende Skulpturen, die erst bei genauerem Blick ihre Vielschichtigkeit offenbaren. (Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980 07/03 –13/09/2020 Die Auswirkungen der heutigen Konsumgesellschaft auf die Umwelt sind allgegenwärtig. Sei es, dass wir sie mit unseren eigenen Sinnen erfahren und darüber im Alltag diskutieren, sei es, dass wir entsprechende Berichterstattungen Tag für Tag in den Medien verfolgen können. Vom Klimawandel ist dort die Rede, von der Verknappung der Ressourcen oder der Vermüllung der Meere. Vor gesundheitlichen Folgen wird ebenso gewarnt wie vor wirtschaft- lichen und sozialen. Nicht zuletzt wird immer wieder der Ruf nach der Notwendigkeit eines Umdenkens laut. Ausgehend von ausgewählten Beispielen der letzten 40 Jahre stellt die Ausstellung zeit- genössische Künstler*innen vor, die sich mit den wechselseitigen Einflüssen zwischen der sich zunehmend globalisierenden Konsumgesellschaft und ihrer Umwelt beschäftigen. Diese aktuellen Positionen beobachten, dokumentieren und kommentieren die Veränderungen und Spuren, die Nutzung und Ausnutzung unserer Lebensgrundlagen hinterlassen. Das heutige Verhältnis zwischen Natur und Zivilisation wird ebenso in den Blick genommen wie das vielgestaltige Phänomen des Abfalls. Auch natürliche Rohstoffe wie Wasser oder fossile Ressourcen sind Gegenstand der künstlerischen Betrachtung. Künstler*innen Nándor Angstenberger, Bernd und Hilla Becher, Michael Beutler, Joseph Beuys, Björn Braun, Nina Canell, Julian Charrière, Tony Cragg, Tue Greenfort, Andreas Gursky, Georg Herold, Roni Horn, Markus Jäger / ONUK, Kristof Kintera, Susanne Kriemann, Alicja Kwade, Klara Lidén, Agnes Märkel, Marlie Mul, Sigmar Polke, Klaus Rinke, Lois Weinberger Erwin Gross Auf Papier 2017–2019 05/12/2019 –13/04/2020 Der Maler Erwin Gross, Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karls ruhe und von 2000 bis 2012 Rektor der angesehenen Kunsthochschule, trat in der Vergangenheit vor allem mit seinen großformatigen Leinwänden an die Öffentlichkeit. Diese waren u. a. vor zehn Jahren in der Städtischen Galerie Karlsruhe zu sehen. Parallel zu seinem um fangreichen malerischen Werk entstehen Gouachen und Collagen, die bislang wenig bekannt sind. Nun zeigt die Städtische Galerie Karlsruhe im zweiten Obergeschoss die erste Sonderausstellung, die allein seinen Kunstwerken auf Papier gewidmet ist. In einer repräsen tativen Auswahl werden Beispiele aus den letzten drei Jahren präsentiert. »Auf Papier«, der Ausstellungstitel, benennt das Trägermaterial, dessen Eigenschaften diese Werkgruppe wesentlich mit bestimmen: Es sind das eher kleine Format, das dem Künstler ein unmittelbareres Vorgehen und größere Freiheit ermöglicht, die unterschiedliche Haptik der Papiere und die verschiedenen Weißtönungen der Oberflächen. Was beide Werkgruppen, die Leinwände und die Papiere, verbindet, sind die Farben, Pigmente gebunden in Acryl, und die Werkzeuge, zu denen neben dem Pinsel auch Schwämme oder Stoffreste zählen. Die eher kleinen Kompositionen zeichnen sich durch eine stimmungsvolle, poetische Leichtig- keit aus. Sie assoziieren Erinnerungen an Themen wie Landschaft, Pflanzliches sowie ge - legentlich Architektur und entführen die Betrachter*innen in ihre eigene innere Welt. Mittwochs um 11 Mi11 Der besondere Termin am Vormittag mit Führungen in den aktuellen Sonderausstel - lungen oder der Sammlungspräsentation. Sitzgelegenheiten stehen zur Verfügung. Kosten: 2 € + Eintritt Mittwochs um 6 Mi6 Der besondere Abendtermin um 18 Uhr in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Dabei wechseln sich Gespräche über Kunst mit Zeitzeugen und Führungen zu aus gewählten Themen der Dauer- und Sonder ausstel lungen ab. Kosten: 2 € + Eintritt Kinderwerkstatt – KW Offene Workshops Jeden Sonntag steht ein neues, spannendes Thema der Ausstellungen im Mittelpunkt. Angeregt durch die betrachteten Werke geht es dann an das eigene Gestalten. Für Kinder ab 6 Jahre, ohne Anmeldung, Kosten: 2 € Führungen für Gruppen und Schulklassen und weitere Kunstvermittlungsangebote entnehmen Sie bitte unserem gesonderten Flyer. Anmeldung und Auskunft unter Telefon (0721) 133-4411/-4401, Mo–Fr / 9–15 Uhr »Mit Kindern Ansehen« Interkultureller Eltern-Kind-Workshop In der Regel einmal im Monat laden wir frei- tags in Kooperation mit der vhs Karlsruhe zu einem interkulturellen Eltern-Kind-Work- shop ins Museum ein. Familien mit Kindern (3–12 Jahre) begegnen sich im Schauen, Sprechen und gemeinsamen Kreativsein. Für Eltern mit Migrationshintergrund sind Deutschkenntnisse ab B1-Niveau empfohlen. Anmeldung unter (0721) 3351 608 oder reich.kuk@mail.de. Der Eintritt ist frei. »Wortwechsel« Kreatives Schreiben Entdecken Sie Ihre kreativen Talente und lassen Sie sich von Bildern unserer Ausstel- lung inspirieren. Im gegenseitigen Gedanken- austausch nähern wir uns schreibend den Kunstwerken. Mit Carmen Beckenbach M.A. Anmeldung und Auskunft unter Telefon (0721) 133-4411/-4401, Mo–Fr / 9–15 Uhr, Kosten: 6 € Eintritt Ab 2. Januar 2020 ist der Besuch unserer Dauerausstellung und der darin integrierten Sonderschauen kostenfrei: → umgehängt 2019: Facetten der Malerei 1960–2010 → Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019 → Florian Köhler. Tschau Agip Sonderausstellungen → Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe Ab 2. Januar 2020 freier Eintritt → (Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980 8 € / 6 € ermäßigt Freitags ab 14 Uhr freier Eintritt! Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Schulklassen in Begleitung einer Lehrkraft frei, Gruppen ab 10 Personen ermäßigter Eintritt, öffentliche Führungen und Kinder aktionen sowie Führungen für Schulklassen 2 € pro Person. Museums-PASS-Musées Freier Eintritt, auch in die Sonderausstellungen Do 02 12.15 Kurzführung Ulrich Steinberg M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« Fr 03 16.00 Führung Margit Fritz M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« So 05 15.00 Führung Dr. Claudia Pohl »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Silke Stimmler M.A. »Rumgepurzelt und stillgestanden – Stillleben in Bewegung« Mo 06 Tag der offenen Tür (11–18 Uhr) 11.30 Führung Thomas Angelou M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 12.00 Kurzführung Dr. Martina Wehlte »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 13.00 Führung Dr. Martina Wehlte »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 14.00 »Hilfe – Wilde Tiere in der Städtischen Galerie!« Interaktive Abenteuertour mit iPad durchs Museum mit Carmen Beckenbach M.A. für Erwachsene und für Kinder! (ab 8 J.) – begrenzte Teilnehmerzahl – 14.30 »50/50 – Die Kunst der 1950er Jahre zwischen Malerei und Neuen Medien« Ein Streifzug durch Städtische Galerie und ZKM mit Ulrich Steinberg M.A. 15.00 Führung Dr. Claudia Pohl »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 16.00 »Back to the fifties – eine verwegene Zeitreise« Aktionsführung mit Carmen Beckenbach M.A. – begrenzte Teilnehmerzahl – 17.00 Kurzführung Eric Schütt »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« Wir verschenken Kunstpostkarten, Plakate und Kataloge – solange der Vorrat reicht! Do 09 12.15 Kurzführung Sylvia Bieber M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« Fr 10 16.00 Führung Simone Maria Dietz M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« So 12 15.00 Führung Kiriakoula Damoulakis M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Eric Schütt »Es tanzt der Kreis, es hüpft das Quadrat - Formen und Farben entdecken« Mi 15 11.00 Mi11 Führung Sylvia Bieber M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« Do 16 12.15 Kurzführung Ulrich Steinberg M.A. »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« Fr 17 16.00 Führung Eric Schütt »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« So 19 15.00 Führung Dr. Claudia Pohl »Tradition und Aufbruch. Nachkriegskunst in Karlsruhe« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Ulrich Steinberg M.A. »Im Feuerwerk der Farben – Wenn Bilder explodieren« Do 23 12.15 Kurzführung Dr. Brigitte Baumstark »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« Fr 24 15.00–17.00 »Mit Kindern Ansehen« Interkultureller, kreativer Museumsnachmittag für Eltern und Kinder (3-12 Jahre) mit Eva Wittig (Anmeldung erforderlich, siehe Rückseite unten. Der Eintritt ist frei.) So 26 15.00 Führung Dr. Martina Wehlte »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Eric Schütt »Mit Haar und Borste – Bilder bunt gepinselt« Do 30 12.15 Kurzführung Ulrich Steinberg M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« So 02 15.00 Führung Margit Fritz M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Silke Stimmler M.A. »Willkommen in der Winterkreativwerkstatt« Do 06 12.15 Kurzführung Florentine Seifried M.A. »Florian Köhler. Tschau Agip« So 09 15.00 Führung Ulrich Steinberg M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Birgit Reich »Zauberwald und Kunstsumpf - Dreidimensionale Wandbilder« Do 13 12.15 Kurzführung Dr. Brigitte Baumstark »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« So 16 15.00 Führung Simone Maria Dietz M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Silke Stimmler M.A. »Bilder lügen wie gedruckt? Experimentelle Druckwerkstatt« Do 20 12.15 Kurzführung Simone Maria Dietz M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« Fr 21 15.00–17.00 »Mit Kindern Ansehen« Interkultureller, kreativer Museumsnachmittag für Eltern und Kinder (3-12 Jahre) mit Eva Wittig (Anmeldung erforderlich, siehe Rückseite unten. Der Eintritt ist frei.) Sa 22 16.00–18.00 »Wortwechsel« Kreative Schreibwerkstatt mit Carmen Beckenbach M.A. (Anmeldung erforderlich, siehe Rückseite unten. Kosten: 6 €) So 23 15.00 Führung Margit Fritz M.A. »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Birgit Reich »Maler Klecksel: Hinter den Fleck geblickt!« Do 27 12.15 Kurzführung Florentine Seifried M.A. »Florian Köhler. Tschau Agip« So 01 15.00 Führung Dr. Martina Wehlte »Erwin Gross. Auf Papier 2017–2019« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Ulrich Steinberg M.A. »Die Kunstpaparazzi sind los – Mit der Kamera durchs Museum« Do 05 12.15 Kurzführung Florentine Seifried M.A. »Florian Köhler. Tschau Agip« So 08 15.00 Führung Dr. Claudia Pohl »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Birgit Reich »Verwandlungskunst: Upcycling Workshop 1: Schönes« Mi 11 11.00 Mi11 Führung Christina Korzen M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« Do 12 12.15 Kurzführung Thomas Angelou M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« Fr 13 16.00 Führung Margit Fritz M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« So 15 15.00 Führung Kiriakoula Damoulakis M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Silke Stimmler M.A. »Kunterbunterland – Auf abenteuerlicher Reise durchs Museum« Mi 18 18.00 Mi6 Führung Christina Korzen M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« Do 19 12.15 Kurzführung Florentine Seifried M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« Fr 20 16.00 Führung Dr. Claudia Pohl »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« So 22 15.00 Führung Dr. Martina Wehlte »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Birgit Reich »Wiederwertig: Upcycling Workshop 2: Nützliches« Do 26 12.15 Kurzführung Thomas Angelou M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« Fr 27 15.00–17.00 »Mit Kindern Ansehen« Interkultureller, kreativer Museumsnachmittag für Eltern und Kinder (3-12 Jahre) mit Eva Wittig (Anmeldung erforderlich, siehe Rückseite unten. Der Eintritt ist frei.) 16.00 Führung Margit Fritz M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« So 29 15.00 Führung Kiriakoula Damoulakis M.A. »(Un)endliche Ressourcen? Künstlerische Positionen seit 1980« 15.00–16.30 KW Kinderwerkstatt mit Eric Schütt »Im Goldrausch der Kunst« Städtische Galerie Karlsruhe Lorenzstraße 27, 76135 Karlsruhe Telefon (0721) 133-4401/-4444 Fax (0721) 133-4409 staedtische-galerie@karlsruhe.de www.staedtische-galerie.de www.facebook.com/ StaedtischeGalerieKarlsruhe Öffnungszeiten Mi–Fr / 10–18 Uhr Sa, So / 11–18 Uhr Mo, Di / geschlossen Sonderöffnungszeiten zur art Karlsruhe 13/02 –16/02/2020 Do, Fr / 9.30 –18 Uhr Sa, So / 10 –18 Uhr Öffnungszeiten an Feiertagen 31/12/2019 / geschlossen 01/01/2020 / geschlossen 06/01/2020 / 11–18 Uhr Januar umgehängt 2019: Facetten der Malerei 1960–2010 bis Frühjahr 2020 Eintritt frei! Seit etwa zehn Jahren präsentiert die Städtische Galerie Karlsruhe ihre Dauerausstellung unter dem bildhaften Begriff »umgehängt«, um unmittelbar deutlich zu machen, dass dieser Bereich im ersten Obergeschoss regelmäßig neu konzipiert wird. Die reichen Bestände der Städtischen Kunstsammlung und der Sammlung von Ute und Eberhard Garnatz mit Werken aus den 1960er- bis in die 2010er-Jahre werden unter immer neuen Vorzeichen und in unterschiedlichsten Konstellationen vorgestellt, so dass die Besucher*innen auf ein breites Spektrum von eher selten gezeigten bis zu vertrauten Kunstwerken treffen. Im Mittelpunkt der aktuellen Schau »Facetten der Malerei« steht das traditionsreiche Medium und seine experimentelle Öffnung zu anderen Kunstgattungen. Vor dem Hintergrund der veränder - ten künstlerischen Haltungen in den 1960er-Jahren mussten sich die Maler neu orientieren. Sie begannen ihr Medium zu hinter fragen, erkundeten seine spezifischen Möglichkeiten und erweiterten diese auf unterschiedlichste Weise. Februar März Ja nu ar : W ill i M ül le r- H uf sc hm id , B ild m it r ot em D re ie ck , um 1 96 0, St äd ti sc he G al er ie K ar ls ru he Fe br ua r: F lo ri an K öh le r, O hn e Ti te l, 20 18 , Fo to : C hr is ti an E rt el M är z: N in a C an el l, M id S en te nc e, 2 01 8 (D et ai l) , in Z us am m en ar be it m it R ob in W at ki ns , C ou rt es y: G al er ie B ar ba ra W ie n, B er lin , Fo to : Le pk ow sk i S tu di os , B er lin Ti te l: E rw in G ro ss , O hn e Ti te l, 20 18 01– 03 Programm Januar Februar März 2020
https://www.karlsruhe.de/b1/kultur/kunst_ausstellungen/museen/staedtische_galerie/fuehrungen/HF_sections/content/ZZooNlJzCqwzMk/MoPro_Januar_%20Februar_%20M%C3%A4rz%202020_digital.pdf
1Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 · Stadtbauforum 15. Dezember 2011 Dokumentation der Ausstellung Vorträge Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt Leiter: Dr.-Ing. Harald Ringler Redaktion: Dr.-Ing. Harald Ringler Grafik: Dietmar Kup Druck: druckcooperative - Karlsruhe, Oktober 2012 · Wir danken für die Unterstützung: dem Kulturamt und dem Architekturschaufenster e. V. für die Überlassung der Veranstaltungsräume · Stadtbauforum 15. Dezember 2011 Dokumentation der Ausstellung Vorträge Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt 5 Inhalt Stadtbauforum und Ausstellung im Ständehaus, 15. Oktober 2011 „75 jahre Stadtplanungsamt Karlsruhe · 2011“ Begrüßung, BM Michael Obert ...................................................................................................................................................................................4 „Ein Rückblick als Ausstellung - eine Einleitung zur Eröffnung“, Dr.-Ing. Harald Ringler ...............................................................................................6 „Rückblicke“ 1972-1994, Prof. Dr. Egon Martin ..........................................................................................................................................................8 „Rückblicke“ 1994-2004, Rudolf J. Schott ................................................................................................................................................................16 Ausstellung „75 Jahre Stadtplanungsamt Karlsruhe“ ................................................................................................................................................20 Vorträge und Ausstellung im ‚Architekturschaufenster‘, 11–26. Januar 2012 „Stadtplanung im 20. Jahrhundert“ – Carl Peter Pflästerer und Karlsruhes Stadtmitte, Isabelle Dupont MA ...............................................................56 „Zwischen Visionen und Kirchturmdenken“, Prof. Markus Neppl, ASTOC architects and planners, Köln .......................................................................64 „Stadtplanung und Politik“, Alltägliches und Besonderes aus der kommunalen Werkstatt Stadtplanungsamt, Dr.-Ing. Harald Ringler ..........................74 6 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadtbauforum Donnerstag, 15. Dezember 2011 • 20 Uhr Ständehaus (Stadtbibliothek) Karlsruhe, Ständehausstraße Begrüßung Michael Obert, Bürgermeister, Baudezernent Rückblicke Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Stadtplanungsamt Amtsleitung 1972–1994 Dipl.-Ing. Rudolf Schott, Stadtplanungsamt Amtsleitung 1994–2004 Ausstellungseröffnung Dr.-Ing. Harald Ringler, Leiter des Stadtplanungsamtes Ausstellung: 16.–22.12.2011 · 11–18 Uhr Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt · Tel. 133-6114 Eintritt frei K A R L S R U H E » D I E S T A D T N E U S E H E N « 7Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Begrüßung im Ständehaus-Saal Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandene Stadtplanung moderner Prägung wurde bis in die ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts meist von den zuständigen Ämtern - in Karlsruhe vom Wasser- und Straßenbauamt, dann vom Tiefbauamt - als Fluchtlinienplanung wahrgenommen. Der Städtebau war damals mehr auf technische Gesichtspunkte ausgerich- tet. Zwischen 1910 und 1926 stand diesem Amt Emil Blum-Neff vor, dem Emil Bronner, Mitver- fasser des Generalbebauungsplans und Stütze der damaligen Stadtplanung, folgte. Er verließ 1929 Karlsruhe, da er zum Stadtbaurat für Städ- tebau und Tiefbau der Stadt Duisburg gewählt worden war. Mit dem Dienstantritt des neuen Tiefbauamtsleiters Otto Seith erhielt das Stadt- erweiterungsbüro - bisher dem Amtsleiter direkt Ein Stadtbauforum „75 Jahre Stadtplanungsamt Karlsruhe“ stellung, aber auch erzählen durch Zeitzeugen. Ich freue mich deshalb sehr, dass zwei ehe- malige Amtsleiter sich bereit erklärt haben, Rückblicke zu geben auf ihre Amtszeit. Es kön- nen natürlich nur kurze Rückblicke sein in Form ausgewählter Themen, Ereignisse, Episoden, ihre Einschätzung aus heutiger Sicht. Prof. Egon Mar- tin, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, war 22 Jahre Amtsleiter, in einer Zeit mit großen Umbrüchen in der Stadtplanung. Denken wir dabei an die gesetzliche Einführung der Bür- gerbeteiligung in der Bauleitplanung 1976, an die Wiederentdeckung der Blockrandbebauung am Beispiel der Altstadtsanierung, die Nordtan- gentenabstimmung im Gemeinderat und vieles mehr. Herr Rudolf Schott, der bereits Vertreter von Herrn Martin war, begleitete in seiner zehn- jährigen Amtszeit die großen Konversionen, die Umnutzung militärischer Flächen, von Bahnge- lände sowie Industriebrachen. Stadtumbau und Stadterneuerung gewannen besondere Bedeu- tung, auch entwickelten sich unterschiedliche Beteiligungsformen für die Öffentlichkeit. Die Auslobung großer Wettbewerbe und deren pla- nungsrechtliche Umsetzung sind ebenfalls zu nennen. Bevor die beiden Herren referieren, führt Herr Dr. Ringler kurz in die Ausstellung ein. Michael Obert unterstellt - den Status einer eigenen Abteilung innerhalb des Tiefbauamtes mit sechs Mitarbei- tern unter Karl Pflästerer. Er und sein, ihn 1933 aus politischen Gründen ablösender Nachfolger Dr. Johannes Dommer spielten beim Dammer- stock-Projekt bedeutende Rollen. Die damaligen Aufgaben des Stadterweiterungsbüros umfas- sten die gesamte Bandbreite eines heutigen Stadtplanungsamtes. Die Selbständigkeit der Karlsruher Stadtpla- nung begann 1936 mit der Herauslösung des Stadterweiterungsbüros zuerst aus dem Tiefbau- amt und dann aus der Hauptabteilung II. Der er- ste Leiter war Dr. Dommer. Nach dem Krieg über- nahm Karl Pflästerer die Leitung des Amtes bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1954. 1939 wurde er mit Sonderaufgaben wie die Gauhauptstadt- planung betraut. Ihm folgte Max Beller, der 1968 in Ruhestand ging. Willi Lausch wurde daraufhin die Leitung des Amtes übertragen. Von 1972 bis 1994 führte Prof. Dr.-Ing. Egon Martin die Amts- geschäfte, die ab 1981 auch mit der Stelle eines Referenten für Stadt- und Stadterneuerungspla- nung verbunden waren. Im darauf folgenden Jahrzehnt stand das Amt bis September 2004 unter der Leitung von Rudolf Schott. Ihm folg- te Dr.-Ing. Harald Ringler. Soweit die nüchterne Schilderung der Stadtplanung in Karlsruhe. Ein Geburtstag - er war übrigens schon am 31. August dieses Jahres - ist aber ein guter Anlass, ein wenig mehr über den Werdegang einer In- stitution zu erzählen. Erzählen mittels einer Aus- Michael Obert, Bürger- meister, Bau- dezernent 8 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 9Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Genügt es nicht, einen Geburtstag zu feiern, bei dem Verwandte, Bekannte, Freunde zusammen kommen... ...bei einem Glas Wein über Vergangenes plau- dern und sich dabei hoffentlich gut unterhalten? Warum also noch eine Ausstellung? Wie Sie aber wissen, werden bei derartigen Feiern - vor allem bei fortgeschrittenem Alter des Jubilars auch Fo- toalben herum gereicht oder Bilder an die Wand geworfen, nicht immer zum Vergnügen der Gä- ste. Von diesem traditionellen Ritual wollen auch wir nicht abgehen. Keine Angst, es folgt kein Vor- trag mit 75 Bildern, wir reichen auch keine Alben herum. Wir haben aber eine kleine Ausstellung aufgebaut und uns den räumlichen Verhältnissen angepasst. Bilder und Pläne sind auf 14 Tafeln zusammengestellt, chronologisch geordnet und mit kurzen Texten versehen. So können auch Sie, wenn Sie zu den Ruheständlern oder Aktiven des Stadtplanungsamtes gehören, also die „Familie“ darstellen, sich manches in Erinnerung rufen, da- malige Planung und heutige Realität vergleichen, dabei zufrieden oder enttäuscht sein. Wenn Sie zu den Freunden des Stadtplanungsamtes gehö- ren, blicken Sie bitte wohlwollend, konstruktiv- kritisch auf das Vergangene und bewerten Sie auch unseren Versuch der Zusammenstellung und Darstellung. Gehören Sie zum Bekannten- kreis so gilt folgendes: dieser Bekanntenkreis teilt sich in der Regel in Interessierte, Desinter- essierte und Missbilliger. Letztere sind wir durch unsere tägliche Arbeit gewohnt und heißen sie dennoch freundlich, aber gelassen willkommen. Die Interessierten sind für uns wichtig, weil sie den nötigen Abstand haben und ihre Kommen- tare uns helfen können. Deshalb liegt ein noch leeres Buch aus, betitelt mit „Bedenken und An- regungen“, der alten Bezeichnung im Baugesetz- buch für die Einwendungen der Öffentlichkeit. Die Ausstellung gliedert sich in folgende Teile: Ein Rückblick über sieben Jahrzehnte als Kaleidos- kop, gegliedert auch nach Jahrzehnten und ver- sehen mit Überschriften. Sie sollen aus heutiger Sicht Schwerpunkte der damaligen Stadtplanung charakterisieren. Eine Tafel ist als Ausblick für unsere Arbeit in den nächsten Jahren gedacht. Wir waren dabei bemüht, möglichst alle Bereiche innerhalb der Stadtplanung wie Generalplanung, Städtebau, Verkehr, Stadtgestalt zu berücksichti- gen. Ein zweiter Rückblick beschäftigt sich mit den Wettbewerben für die Stadtplanung als Teil der Stadtbaukultur in unserer Stadt, und zwar über die letzten einhundert Jahre. Sie werden da- bei 120 Konkurrenzen aufgelistet und teilweise illustriert finden, 58 davon direkt von der Stadt- planung ausgelobt. Die 1960er Jahre haben wir ein wenig her- ausgestellt, und zwar mit einem Teil des Stadt- modells aus dieser Zeit, mit dem damaligen Flä- chennutzungsplan-Entwurf und einem Film von 1961, wie sich die Stadt damals dargestellt hat. Mit mehr Zeit und Geld hätten wir für jedes Jahr- zehnt eine derartige Illustration zeigen können. Hier im Saal sehen Sie 20 Bebauungspläne chronologisch nach ihrer Entstehungszeit auf- gehängt, um auch diesen Teil der Stadtplanung, meist das „Schwarzbrot“ neben den Vorzeige- projekten, zu illustrieren. Dass Stadtplanung keine Einzeldisziplin ist, sondern Mannschaftsleistung, beweist auch un- sere Ausstellung. Zustande gekommen ist dieses Projekt innerhalb eines knappen Jahres nur durch den engagierten Einsatz von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Stadtplanungsamtes, und zwar neben deren Hauptaufgaben von Kristin Barbey, Sigrun Hüger, Wassili Meyer-Buck, Jan Riel und mir. Besonders hervorheben möchte ich - die anderen Mitstreitenden verstehen das - Herrn Kup, der die grafische Umsetzung vollbrachte und Frau Kaufmann, die sich für den Aufbau und vie- les mehr sehr engagiert hat. Beim Aufbau stan- den ihr zur Seite die Herren Alm, Gedik, Simon und Spann sowie Frau Rickersfeld. Dank auch an das Kulturamt, das uns gestattet hat, für eine Woche die örtliche Dauerausstellung ein wenig zu beeinträchtigen. Dass das Unternehmen kurz- fristig gefährdet war, will ich auch erwähnen. Herr Dr. Bräunche, der Leiter des Stadtarchivs kannte unsere Absichten, zweifelte aber kurz am Jahr des Selbstständigwerdens der Stadtpla- nung. Am 28. Juni schrieb er mir aber:„Lieber Herr Ringler, Sie können wieder ruhig schlafen, das Datum 1936 ist m. E. korrekt, wenn die Um- benennung in Stadtplanungs- und Siedlungsamt auch erst 1938 erfolgte“. Also kann in zwei Jah- ren wieder gefeiert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, stu- dieren Sie die Ausstellung, die bis zu 22.12. an diesem Ort verbleibt und dann in verkleinerter Form ins Architekturschaufenster wandert, dort ergänzt mit drei Vorträgen. Der erste Vortrag beschäftigt sich mit Karl Pflästerer, der über 35 Jahre für die Stadt tätig war, zuletzt als Leiter des Stadtplanungsamtes bis 1954. Es gibt den glücklichen Zufall, dass eine Magisterarbeit über ihn fertig gestellt und jetzt veröffentlicht wurde und zwar von Frau Isabelle Dupont. Sie wird auch den Vortrag halten, und zwar am 10.Januar. Die Arbeit selbst ist Gegenstand einer gemeinsamen Herausgabe des Stadtarchivs und des Stadtpla- nungsamtes und kann erworben werden. Prof. Markus Neppl, Partner des Büros ASTOC Archi- tects and Planners, Köln und Hochschullehrer am KIT, gibt am 12.Januar Einblicke in die Arbeit eines freien Stadtplanungsbüros. In meinem Vortrag zur Finissage der Ausstellung am 26. Ja- nuar geht es um den Alltag in der kommunalen Planungswerkstatt. Nun aber zu unseren beiden Referenten dieses Abends, Herrn Prof. Dr. Egon Martin, Amtsleiter von 1972 bis 1994, und an- schließend Herrn Dipl.-Ing. Rudolf Schott, Amts- leiter von 1994 bis 2004. Harald Ringler „75 Jahre Stadtplanungsamt Karlsruhe“, ein Rückblick als Ausstellung - eine Einleitung zur Eröffnung Dr.-Ing. Harald Ringler, Leiter des Stadt- planungs- amtes 10 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 In der ersten Reihe die ehemaligen Amtsleiter (v.l.n.r.), Rudulf J. Schott, Stadtplanungsamt, Dr. Egon Martin, Stadtplanungsamt, Robert Mail, Tiefbauamt und Robert Mürb, Gartenbauamt, sowie Baubürgermeister Michael Obert 11Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin Leiter des Stadt- planungs- amtes 1972-1994 ziele seiner OB-Aufgaben den Schuldenabbau genannt (und dies auch erreicht!), · Karlsruhe verliert immer noch zentrale Einrich- tungen an die Landeshauptstadt. Dieser Entwick- lung ist auf breiter Front Kampf angesagt, · eine Stadt, deren Planung noch auf extreme Be- völkerungsentwicklung eingestellt ist. Man dis- kutiert über notwendige Kurskorrekturen - doch eine Entscheidung hierzu war nicht erfolgt. Grundproblematik eines Rückblicks über 22 Jahre Planungsarbeit Antwort geben auf die Frage, was war zwi- schen 1972 und 1994 für mich als Planungs- amtsleiter wichtig? Die zur Lösung anstehenden Planungsaufgaben waren umfangreich und um- fassten den gesamten Katalog der Planungsebe- nen. Sicher erwartet man auch eine objektive Aussage, sofern das überhaupt möglich ist. Eine Schwierigkeit bei diesem Versuch ist si- cher auch: Stadtplanung ist ewiges Planen und schließt auch ein Umdenken in der Zielsetzung ein, sich an geänderte Rahmenbedingungen an- passen. Selten auf einen bestimmten Zeitpunkt festlegbar! Was entstand in meiner Zeit, was war vom Vorgänger angedacht? Ich nenne nur das Beispiel Altstadtsanierung. „Planen und Bauen“ zu Beginn der siebziger Jahre · Ende der Wiederaufbauphase nach dem Kriege, · eine Zeit des Umbruchs, · neues Denken über Stadt, Stadtplanung, Archi- tektur · die Zeit der extremen Entwicklung ist vorbei, die „großen Horizonte“ stoßen auf Widerstand, Kritik an den Wohnmaschinen (Neue Heimat), · Kritik an Stadtplanung und Architektur, · ich erinnere mich an die Ausstellung „Heimat Deine Häuser“, · auch wir haben Erfahrungen gesammelt im Wettbewerb Altstadt, vor allem wir Vorprüfer, · der neue Oberbürgermeister tätig mit dem Ziel „weg von der hohen Verschuldung - das wirkt sich natürlich auch auf die Planung aus. Beim Durchblättern meiner Unterlagen aus den siebziger Jahren finde ich Gedankengänge wie · dem Leben in der Stadt neue Impulse geben, In- nenentwicklung, weg von der Gesichtslosigkeit, · weg von der Reduzierung auf Funktion und/oder Kommerz, · neue Gestaltungskriterien: einfügen, einordnen, Raumgeborgenheit, · keine Wohnmaschinen - Flexibilität der Wohn- formen, · behutsamer Umgang mit historischer Bausub- stanz und immer wieder: · weg von der autogerechten Stadt! Das alles hat sich auch in der Politik ausge- wirkt. Man erwartet darauf von uns entsprechen- de Reaktionen durch planerische Korrekturen. Unsere Vorgänger hatten nicht oder nur wenig reagiert. Mir war dagegen sofort klar: die Vor- stellung einer übertrieben expandierenden und autogerechten Stadt ist für eine verantwortbare Stadtplanung nicht länger vertretbar. Genug der Einleitung! Das nachfolgende Referat ist auf Bildern aufge- baut, die stichwortartig beschrieben werden. Karlsruhe im Jahr 1972 Meine Bilanz „Stadt Karlsruhe“ zum Zeit- punkt des Beginns als Amtsleiter - ich war 1972 schon 15 Jahre Mitarbeiter des Stadtplanungs- amtes, kannte die Stadt und die Verwaltung: · Karlsruhe, eine Stadt mit vielen Werten, die es gilt auszubauen, · der Wiederaufbau der zu 80 % im Zweiten Weltkrieg zerstörten Innenstadt ist nahezu ab- geschlossen, · durch neue Wohn- und Gewerbegebiete ist der Wohnungsbedarf gedeckt und Industrie und Ge- werbe haben ausreichende räumliche Entwick- lungsmöglichkeiten, · Karlsruhe, Stadt mit guter Infrastruktur. Mit ho- hem Aufwand sind die Schulen und Kultur- und Freizeiteinrichtungen ausgebaut, im Verkehrssek- tor ist jedoch noch Nachholbedarf. · Durch den Wiederaufbau und die Nach- kriegsprojekte bedingt: Stadt mit großer Ver- schuldung. Karlsruhe ist nach Bremen die in der BRD höchstverschuldete Kommune. Der 1970 gewählte Oberbürgermeister Otto Dullenkopf hatte in seinem Wahlkampf als eines der Haupt- 12 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Der Flächennutzungsplan als städte- baulicher Leitplan Den Flächennutzungsplan 1961 haben wir vom Vorgänger übernommen. Er war laut neuem Bundesbaugesetz 1961 gefordert als städtebau- licher Leitplan. Wesentlich beeinflusst waren die großen ge- planten Erweiterungsflächen von den Bevölke- rungsprognosen. Hierzu hatte die Stadt Karlsruhe 1960 an Prof. Dr. Gerhard Isenberg ein Gutachten in Auftrag gegeben über die wirtschaftliche Ent- wicklung des Stadt- und Landkreises Karlsruhe. Auch die IHK Karlsruhe beauftragte 1965 Arnold Bergstraesser mit einer Untersuchung über Grund- lagen zur Neuorientierung eines Großstadtbe- reichs („Soziale Verflechtung und Gliederung im Raum Karlsruhe“). In der Abb. unten sehen Sie neben der Gutachterprognose aber auch die wirkliche Entwicklung der Einwohnerzahl mit z.T. hohen Verlusten, pro Jahr bis zu 2000 Einwohner. Den noch im Geiste des ungebremsten Wachs- tums konzipierte Flächennutzungsplan 1961 als maxi- malem Entwicklungskonzept für über 350000 Einwohner in Karlsruhe haben wir sofort korrigiet. Grundlage der neuen Planung war eine sehr de- taillierte Bestandsaufnahme über alle Einflüsse und Grundlagen einer gewissenhaften Flächen- nutzungsplanung mit einer eigenen Prognose- betrachtung, Bevölkerungsentwicklung. Konsequenz: Reduzierung der Erweiterungs- flächen im FNP 1961, fünf an der Zahl. Genau- so haben wir auch alle Planungsgedanken einer extremen Entwicklung aus den 60iger Jahren ein für allemal ausgeschlossen wie · Wohngebiet Fritschlach. In der OB-Wahl 1970 hatte einer der OB-Kandidaten die gesamte Frit- schlach als Großsiedlungsgebiet propagiert, · meine Vorgänger diskutierten gelegentlich (im stillen Kämmerlein) über die Bebauung des Ober- waldes oder · eine Bergstadt im Hanggebiet Durlach. Alle diese planerischen Vorstellungen haben wir nie weiterverfolgt. Diese enormen Veränderungen am alten FNP wurden erleichtert durch die neuen planerischen Leitvorstellungen - Freiräume zur Gliederung der Stadt, Grün für das Leben der Bewohner (Kleinklima) und erhärtet durch unsere detail- lierten ökologischen Untersuchungen und deren Erkenntnisse. Ich selbst war dankbar für die auf- keimende grüne Bewegung, die unsere restriktive Entwicklungsplanung unterstützte. Zu diesem „Absterben lassen“ gehörte die Rheinstadt. „Unter dem Druck eines scheinbar unaufhörli- chen Bevölkerungswachstums entstand das küh- ne, auf rund 30 000 Menschen angelegte Projekt einer Rheinstadt am Knielinger See. Durch Was- serarme getrennt, sollte der neue Stadtteil aus drei Wohneinheiten bestehen. Es blieb ein utopi- scher Traum“. [Josef Werner - in „Die 60er Jahre]. Auch wir Planerkollegen waren begeistert von Theo Schlüters Entwurf, haben mitgearbeitet (Ha- rald Hoffmeisters Diplomarbeit hat sich mit deren Erschließung auseinandergesetzt). Und trotzdem haben wir mit politischer Unterstützung das Kon- zept gestoppt, u.a. wären teure Vorinvestitionen Voraussetzung gewesen. Können wir auch heute noch den Verzicht auf die Realisierung der Planung Rheinstadt vertre- ten? Ein eindeutiges „Ja“. Was hätten wir mit den Wohnmaschinen der 60er Jahre und deren Erhalt für Probleme bekommen. Ich denke an Steilshop in Hamburg, an das Märkische Viertel in Berlin und an viele andere Trabanten-Siedlungen aus den 60/70iger Jahren in ganz Deutschland. Bauliche Erweiterungen Wir haben nicht nur die Erweiterungsflächen reduziert - wir haben auch Wohn- und Gewerbe- gebiete geplant, das Bauen vorbereitet. Unsere Zielsetzung dabei: · Wohnerweiterung entsprechend detaillierter Untersuchungen über Bedarf, auch Erhebung: was will die Bevölkerung? (Bürgerbefragung). · In jedem Fall aber: keine neuen Trabanten. · Versuch, allen vorhandenen Stadtteile, eine bau- liche Entwicklungsmöglichkeit zu geben, damit die Tragfähigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die Ver- und Entsorgung, gesichert bleibt, zumal die Einwohnerzahl in allen Stadtteilen rapid ab- nimmt. Im Rahmen der Neubautätigkeit spielte der Umbau der Altstadt eine übergeordnete Rolle. Altstadtsanierung (Gesamtentwick- lung), im Überblick OB Klotz mit Gemeinderat und Verwaltung entscheiden sich in den fünfziger Jahren für Flächensanierung. Folge: Grundstückskauf und Gebäudeabriß. Der Entwurf zur Neubebauung (Abb. unten) stammt von Prof. Friedrich W. Krämer, Braun- schweig. So stellte man sich vor dem Altstadt- wettbewerb die neue Altstadt vor: Das damals in allen deutschen Großstädten übliche Bebauungs- konzept, bereits im Bebauungsplanverfahren. Beim abschließenden Beschluss kommt es zur hef- tigen Auseinandersetzung im Gemeinderat. Unter „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Flächennutzungsplan 1961 Reduzierung der Wohn-Erweiterungsflächen Geplante Rheinstadt Bevölkerungsentwicklung Karlsruhe RHEINSTADT FRITSCHLACH OBERWALD DURLACHER HANGGEBIET BEIERTHEIMER FELD 13Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Führung der „Jungen Wilden“ wird der Entwurf abgelehnt. Der Gemeinderat will bei dieser Jahr- hundertaufgabe mehrheitlich einen Wettbewerb. Daraufhin entscheidet sich der Oberbürgermeister für einen damals noch unüblichen europaweiten Wettbewerb. In diesem städtebaulichen Wett- bewerb, an dem 216 Architekten teilnahmen, spielen sich vor allem im langwierigen Entschei- dungsverfahren Lern- und neue Bearbeitungs- prozesse ab. Ein Kapitel für sich, interessant - aber für meinen Überblick zu umfassend. Am 18.12.1972 Entscheidung im Gemeinde- rat zwischen Münchener und Berliner Entwurf. Abb. unten, Berliner Entwurf: mit einer der Stadtstruktur zuwiderlaufenden neuen Bebau- ung, mit einer durchgehenden Fußgängerebene auf plus 6 m Hohe, natürlich wirtschaftliche Bau- weise und und…. Abb. Mitte, Münchner Entwurf der Architek- ten Hilmer+Sattler: mit Blockrandbebauung, mit üblichen Straßen und ruhigen Innenhöfen und Erhalt des Altstadtteils. Sanierungsträger Neue Heimat, die im Sanie- rungsbeirat eingeladenen Fachexperten - die dama- ligen sog. deutschen Stadtplanungs- und Architek- turpäpste favorisierten den Berliner und - wir, das Planungsamt, unterstützt durch einige Karlsruher Architekten standen hinter dem sog. Münchner Entwurf. Diesen Münchner Entwurf habe ich in der Planungsbeiratssitzung vehement verteidigt. In der darauffolgenden Gemeinderatssitzung kam es zu einer 17:18 Entscheidung für München. Wir waren und sind heute noch stolz darüber. Unser damaliger Oberbürgermeister Otto Dullen- kopf hat das Planungsamt massiv unterstützt. Geglückte Bewältigung des Straßenraums - die Fritz -Erler-Straße war als „une grande mal- heure“ von einem der Wettbewerbsteilnehmer bezeichnet. Doch durch die Reduzierung der Straßenbreite, durch die Fußgängerbrücke Zäh- ringer Straße (Architekt Prof. Gernot Kramer) und vor allem die z.T. geglückte Randbebauung (wie Heinrich-Hübsch-Schule von Prof. Heinz Mohl) führten zu einer vertretbaren Lösung. „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Einfügung Münchner Entwurf in Stadtgrundriss, Blick über die Altstadt von Osten Ergebnis der Altstadtsanierung: Auch die bauli- che Ausformung ist gelungen. Links: Teil B, Grundriss Objektsanierung und die sog. Werkbundhäuser. Mitte: neuer Wohnungsbau im Flächensanierungsgebiet. Ich verzichte auf meine persönliche Bewertung der Dörfle-Sanierung und zitiere nur Professor Dr.-Ing Gerd Albers, emeritierter Ordinarius des Lehrstuhls für Städtebau an der Technischen Universität München: „Das Karlsruher „Dörfle“ - Wegmarke der Stadterneuerung!“ 1972 14 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Umplanung Oberreut Ein Stadtteil im Südwesten, geplant in den sechziger Jahren, Wohnungen für die ehemaligen Altstadtbewohner. Geplant für etwa 15 000 Ein- wohner (hälftig Stadtwald, hälftig Privatbesitz, Erschließung mit Bussen (die Verkehrsbetriebe bestanden darauf!). 1972 ist nur die Waldlage bebaut, Feldlage noch nicht mit Bebauungsplan ausgestattet, problembeladen? Scheu vor der Umlegung! Wir greifen aber 1974 die Planung Oberreut wieder auf wegen der u.a. besonders guten kli- matischen Lage des Siedlungsgebietes: · Änderung des Erschließungs- und Bebauungs- konzeptes: Mischung von Mittelhochbau und Flachbau zur Verbesserung der sozialen Mischung. · Jetzt Straßenbahnerschließung mit der Konse- quenz einer Umplanung des gesamten östlichen Siedlungebereichs. · Jetzt Zentrum für zentrale Einrichtungen · Neben Wohnen jetzt auch Arbeiten. Am End- haltepunkt der Straßenbahn werden Flächen für Arbeitsplätze ausgewiesen mit dem Vorteil einer besseren Auslastung der Straßenbahnlinien. Stadterneuerung Im ersten Jahr sollte sich der neue Planungs- amtsleiter im Wirtschaftspiegel äußern über seine Gedanken zur städtebaulichen Planung der Stadt Karlsruhe. Ich entschied mich für: „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Durlach, Stadt auf neuen Wegen Ein für uns besonderes Kapitel in der Stadt- erneuerung. Durlach, die alte Stadt, der alte Stadtteil, von Kriegszerstörungen weitgehend verschont, das bedeutet, den alten Baubestand erhalten. Nach dem Kriege keine nennenswer- ten baulichen Aktivitäten. Der erste Schritt in Durlach: 1978 Individualverkehr heraus aus der Pfinztalstraße! Die Altstadt wird wieder erlebbar und für die Bewohner lebenswert. Detaillierte Voruntersuchungen zur Sanie- rungswürdigkeit mit großem Aufwand über Alternativ-Studien führen dann zu einem Neuori- entierungskonzept als Grundlage für die Stadter- neuerung (Abb. S. 39). Es dienen uns dabei die großen Erfahrungen aus der Dörfle-Sanierung. Weder Flächensanierung noch Sanierung durch Bauträger. Wir motivieren die Hausbesitzer, beraten sie und damit haben wir Erfolge. Die Ei- gentümer modernisieren selbständig. Doch Vor- aussetzung ist die persönliche Beratung, sogar mit planersichen Hilfestellungen durch unseren Herrn Dipl.-Ing. Günter Telian, ein qualifizierter Planer und Berater. Erwähnenswert ist auch die starke Unterstüt- zung durch den Ortschaftsrat und das Stadtamt Durlach. Durch Zufall fand ich in den Akten diesen Briefkopf (unten) für Einladungen zum Durlacher Gespräch. Was haben wir uns Mühe gemacht mit dem alten Durlach und es hat sich gelohnt. Sanierung und Er- neuerung Durlach - ein gutes Ergebnis. Die Karte zeigt die Flächen, die wir angegangen sind, d.h. wir haben das Thema Ernst genommen. 15Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Verkehsplanung in der Stadtplanung Karlsruhe. Sie erwarten sicher von mir, dem Bauingenieur, hierzu auch eine Aussage. Dem komme ich gerne nach. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem ex- trem zunehmenden Autoverkehr kommt es zum Verkehrs-Chaos. Man sucht die Ordnung. Dieses Bild mit dem Trichter fand ich in ei- nem Informationsheft der Stadt Bern, „Berner Verkehr gestern heute morgen“ aus dem Jahre 1962, in dem die Verwaltung ihr Verkehrskonzept verständlich machte. Aus dem Verkehrschaos zur Verkehrsordnung! Das war auch die Zielsetzung aller städtischen Verkehrsplaner der ersten Jahre nach dem Krieg. Ordnung schaffen für alle Verkehrsarten. Dass man damals dann auch übertrieben hat, zeigen die beiden nächsten Darstellungen: Allzu hart griff man oft in Bausubstanz ein, um primär Verkehrsbedürfnisse bewältigen zu kön- nen, sicher im gezeigten Beispiel übertrieben mit dem Wendeplatz für Müllfahrzeuge. Aber auch das Ziel „sichere Wege für Fußgänger“ führte zu dieser Karrikatur aus Russland. Wir hatten in Karlsruhe in den 60/70iger Jahren sicher auch mit den „sicheren Wegen für die Fußgänger - Tunnel und Fußgängerbrücken“ übertrieben. Später, schon zu meiner Zeit haben wir Fuß- gängerunterführungen umgenutzt und festge- stellt, dass die für Fußgänger gebauten Brücken am Adenauerring und sonst wo nicht angenom- men werden. Doch diese Zeit der in der Verkehrsplanung übertriebenen totalen Unterordnung unter das Auto war 1972 vorbei. Öffentlicher Nahverkehr Gleich nach dem Kriege, während in den gleich- großen Städten wie Kiel, Straßburg etc. Straßen- bahnen aufgegeben und Busse eingeführt wurden, hat Oberbürgermeister Klotz als Schienen-Fan für den Erhalt der Straßenbahn gekämpft und dafür „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 gesorgt, dass das Straßenbahnnetz ausgebaut wurde. Das Problem in Karlsruhe ist jedoch: die Kaiserstraße, heute als Sammelschiene für nahe- zu alle Straßenbahnlinien. Die erste Nahverkehrs-Untersuchung erfolgte bereits in den 50er Jahren (WIBERA). Dann legt ein Arbeitskreis U-Strab Karlsruhe (Dorbath/Mar- tin/Meil/Müller,E.) unmittelbar vor 1972 eine U- Strab-Untersuchung vor mit dem Ergebnis: · Stadtachsen ins Umland müssen erweitert werden, · In der überfrachteten Kaiserstraße sind aber diese Stadtbahnlinien, die das Umland an die Stadt anbinden, herauszunehmen und unter die Erde zu legen. Die Straßenbahnen, die die Stadt erschließen, sollen aber ebenerdig im Kaiserstra- ßenniveau bleiben zur Belebung, auch aus Ko- stengründen. Dieses Konzept ist zwischenzeitlich überholt, sollte kein Anlass zur weiteren Diskussion geben. Die Straßenplanung 1961 hat der Gemeinderat einen Verkehrsli- nienplan beschlossen, der uns weitergegeben wurde. Wir haben ihn kritisch geprüft und auch hier wesentliche Reduzierungen der geplanten Straßenachsen und kreuzungsfreie Knotenpunk- te vorgenommen (in roter Farbe gekennzeichnet). 16 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Sicher wundern Sie sich nicht, wenn ich in die- sem Zusamenhang die Südtangente anspreche, die ersten Vorentwürfe stammen von mir persön- lich. Die Südtangente ist ein wesentlicher Teil des Verkehrslinienplans, eine Schnellverkehrsstraße von der Rheinbrücke zur B3, 15km. 25 Jahre Bau- zeit, für Großprojekte nicht unüblich. Der letzte Abschnitt, Bulacher Kreuz bis Ettlinger Allee, wurde 1983 - 88 gebaut. Mit die wertvollste Teilstrecke dürfte zwischen Bulacher Kreuz und Bahnlinie liegen, 700 m lang, nicht - wie eingangs geplant, harte Kon- frontation zur bestehenden Bebauung Bulach und Beiertheim, sondern total überdeckelt. Das gab harte Auseinandersetzungen (auch mit dem TBA), denn das Land Baden-Württemberg als Zuschussgeber lehnte die teure Lärmschutzmaß- nahme ab. Doch wir haben erreicht, dass die 14 Millionen Mehrkosten für die Tunnelstrecke von der Stadt getragen wurden. Die Südtangente hatte bundesweit Beachtung gefunden und Ende der 80iger Jahre einen ersten Preis für die Einbindung einer innerstädtischen Verkehrsstraße in die Stadt, in die Landschaft erhalten. Bewertung: „Der stadtgerechte Aus- bau einer Hochleistungsstraße in einem Verdich- tungsraum. Gesamtkonzept und in der Einzelaus- führung beispielhaft.“ Wir alle waren und sind stolz, das Tiefbauamt, das Gartenbauamt und das Planungsamt. Es war eine schwierige aber lohnenswerte Arbeit - ohne die Südtangente könnte die Stadt Karlsruhe heu- te kaum noch funktionieren. Bei einem Vortrag in Berlin vor über 1000 Teil- nehmern auf einer Fachtagung habe ich unter der Überschrift „Stadt ist Lebensraum“ formuliert: Das Ziel muß sein, Straße und Straßenraum als „Lebensraum“ zurückzugewinnen, in einer Stadt, die umweltgerecht mit dem Auto lebt. Der Erfolg dieser Bemühungen hängt davon ab, inwieweit es gelingt, das Auto, die Straße in die Stadtstruk- tur einzubinden. Dass dies möglich ist, zeigen einige Beispiele, die erfreulich sind. Dann zeigte ich unsere Südtangente - das Ergebnis kam an. Die Abteilung Straßenverkehrstechnik im Stadtplanungamt plant, berechnet und koordi- niert die über 100 Verkehrssignalanlagen und deren „Grüne Wellen“. Sie versucht, öffentlichen Nahverkehr und Straßenverkehr optimal mitein- ander - ohne Vorzug einer Verkehrsart - in Ein- klang zu bringen. „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Radwegenetz Sehr detaillierte Erhebungen und auch Planun- gen für den Radverkehr erfolgen durch die Abt. Generalverkehrsplanung schon sehr früh. Bereits 1978 legen wir den ersten Radwegeplan vor. Wir waren schon damals mit unserem Radwegekon- zept Vorzeigestadt. Tempo 30 Zonen Noch ein letzter Plan zur Verkehrsplanung: Tempo-30- Zonen. Konzept, das dann auch in Etappen durchgeführt wurde. Sonderkapitel Innenstadt mit Fuß- gängerzonen und neuer Platzgestal- tung. Vor 1972 bereits ins Auge gefasst - aber von uns jüngeren Planern. Wir konnten damit 1972 schnell einsteigen - die Vorarbeiten lagen schon vor. Ich trage unser Konzept im Gemeinderat vor, dort einstimmig genehmigt, dann in Etappen durchgeführt mit den anschließend erforderli- chen Umbauten der Plätze - diese sind natürlich nach 35 Jahren erneuerungsbedürftig. Die Eingemeindungen,... ...haben uns viel Arbeit gekostet, die sich aber lohnte. Für das Planungsamt gibt es zwei Schwerpunkte, beispielhaft beschrieben an den Bergdörfern und Grötzingen: 1) Reduzierung der geplanten Erweiterungs- flächen, die in den Eingemeindungsverträgen aufgenommen waren, (2) nicht weniger bedeutungsvoll: Erhalt der Dorfstruktur. In Grünwettersbach war vor der Eingemein- dung beabsichtigt, die Landesstraße im Ortskern zu begradigen (ich erinnere an den Erhalt des Kaiserstraße 1970: 24000 PKW/Einheiten pro Tag Plätzekonzept 17Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Hauses König) und die Fläche zwischen Landes- straße und Wettersbach total zu sanieren, d.h. die alten Gebäude abzureißen und mit vierge- schossigen Zeilenbauten von der Straße bis zum Bach neu zu bebauen. Auch im Neubaugebiet „Ob der Eichhälden“ waren viergeschossige Bauten geplant, die wir noch verhindern konnten. Dies übrigens auch im Baugebiet „Rehbuckel“ in Hohenwettersbach. Beispiel Grötzingen: Wir lehnten die Erweite- rung des Baggersees entschieden ab, mit Erfolg, obwohl der Kiesabbaubetrieb eine Regattastrek- ke entlang der Bahnlinie zusagte. Auch in Grötzingen: Reduzierung der Bau- konzepte. Punkthochhäuser entlang der B3, Grebau-Gelände in Ortsmitte, Pläne mit dichter Bebauung und höheren Gebäuden lagen vor, dafür konzipierten wir eine den Ortskern nicht belastende Bebauung. Neue Aufgaben durch den Nachbar- schaftsverband Karlsruhe Um die anstehenden großen Probleme zwi- schen Kernstadt und Umland lösen zu können hat man für die Großstädte Baden-Württembergs nach dem neuen Landesplanungsgesetz Nach- barschaftsverbände gebildet mit der Aufgabe, einen gemeinsamen Flächennutzungsplan für Kernstadt und Umland aufzustellen. Das Stadt- planungsamt Karlsruhe wurde Planungsstelle dieses neuen Verbandes mit der Konsequenz der Vergrößerung des Planungsgebietes um 200%, aber auch einer erheblichen Zunahme der Aufga- ben (ohne Personalaufstockung). Städtebauliche Schlüsselgrundstücke... ...von mir immer wieder in die Diskussion ge- bracht zum Leidwesen des Kämmerers. Meistens habe ich Erfolg und die Grundstücke werden dann von der Stadt gekauft. Immer wieder wird der Planungsamtschef zum Rapport gerufen, „wie können wir das Grundstück nutzen?“ Sei es beim Pfaffgelände in der Haid-und-Neu- Straße. Dort sollte ein Einkauszentrum entstehen, dafür kommt die Technologiefabrik, oder Hallen- bau A. Mindestens 1 Jahrzehnt suchen wir nach Nutzungen (vom Techn. Landesmuseum, Uni, selbst Wohnnutzung steht in der Diskussion). Wichtig war, dass wir unsere Bemühungen nicht aufgaben und mit unseren Forderungen nach „Warten auf die richtige Nutzung“ durchhielten. Streit mit der Wirtschaftsförderung und deren Bürgermeister wegen Nichtverlängern von Pacht- verträgen im Schlachthof. Bundesbahnausbesserungswerk führt zunächst nicht zu einem positiven Ergebnis, obwohl für mich die Umnutzung der Fläche als ein Lecker- bissen für Innerstädtisches Wohnen galt. Als die Deutsche Bahn bei einer Besprechung OB Klotz mit dem Bundesbahnpräsidenten in den 50er Jahren einen Verkauf ansprach und den Preis mit 500 DM pro m² nannte, lehnte Klotz ab, vor allem wegen des Verlustes der Arbeitsplätze. Dann sind lange, Jahrzehnte andauernde Verhandlungen - vor allem auch wegen der notwendigen Fläche für die Kriegsstraße-Ost - ohne Ergebnis, erst als die Bahn AG in allen Städten Deutschlands Eigentum veräußert, gibt es in den ersten 90er Jahren eine Kaufmöglichkeit. Gedanken zur Kulturachse Angestoßen durch das 14-Städte-Programm, ein Finanzierungs-Programm des Landes Baden- Württemberg - sollten wir nach Projekten su- chen - wir finden einen Ansatzpunkt: Zentrum für Kunst- und Medientechnologie hinter dem Hbf. Dort hatte uns das städtebauliche Umland schon einige Jahre Kopfzerbrechen bereitet. Jetzt scheint unsere städtebauliche Aufwertung zu gelingen, zusammen mit dem ZKM. Die Vorbe- reitungen hierfür werden getätigt, Parkierungs- flächen werden geschaffen, doch das ZKM findet seinen Ausbau an der Brauerstraße. Damit findet Oben: „via triumphalis“ Rob Kier, unten: ZKM hinter dem Hbf Reduzierung der Flächenexpansion 18 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 die Kulturachse keinen südlichen Abschluß. Ein kleines Relikt des Planungsgedankens stellt die Fahnenbastion an der Südtangente dar. Achse für Forschung und Lehre In meinen Routinebesprechungen mit Uni und Uni-Bauamt, auch bei meinen planerischen Ziel- vorgaben, war diese Achse gedanklicher Hinter- grund. Immer wieder bekomme ich von Wissen- schaftlern, aber auch Unternehmern, den Vorteil der räumlichen Nähe zwischen den Forschungs- stätten, der Universität und der Technologieori- entierten Unternehmen genannt - ein Vorteil in der Stadt Karlsruhe! Der Gedanke „Achse für Forschung und Leh- re“ war ausschlaggebend z.B. beim Kampf für den Kauf des Gebäudes Pfaff oder bei der Stand- ortsuche für die Bundesanstalt für Ernährung, oder Umnutzung Blösse vom Wohngebiet zum Technologiepark. Bei Besprechungen mit Uni-Rektor Wittich we- gen dringender Erweiterungsnotwendigkeiten der Universität ist mein Angebot: Mackensen-Kaserne und Gottesaue. Wohnbedarfsbefriedigung 1989 Erinnern Sie sich an unsere Erweiterungsflä- chen-Streich-Aktivitäten zu Beginn 1972? Nach 15, 20 Jahren muß man bilanzieren. Die Flächennutzung ist deshalb Ende der 80iger Jah- re diesbezüglich tätig. Ich stelle an einem Abend selbst eine Liste auf mit meinen realistischen Vor- stellungen - Darunter die Bilanz (meine Bilanz!) In dem nachfolgenden Ergebnisbericht der Ab- teilung Flächennutzungsplanung finde ich schon damals den Hinweis auf die militärischen Flächen - was für unsere Nachfolger von großer Bedeu- tung wurde, die Konversionsflächen. Öffentlichkeitsarbeit... ...eine im politischen Alltag immer wieder von der Verwaltung geforderte Aktivität. Auch wir haben uns bemüht und meinen: es war gut so. In meiner Erinnerung sind die immerwiederkehrenden Besprechungen mit den Bürgervereinen von großer Bedeutung. Die Aus- einandersetzungen waren wertvoll. Dort habe ich die Probleme des Stadtteils erfahren, aber nicht nur von den Bürgern, deren Orientierung sich beschränkte auf ihr Haus und die unmit- telbare Umgebung, dort konnte man sprechen über die Notwendigkeit von öffentlichen Einrich- tungen und die Stadtteilschwierigkeiten. Stadtteilausstellungen: von mir besonders be- liebt, wo wir auf den gesamten Stadtteil und seine Entwicklung eingingen - zusammen mit Gartenbau- amt, Tiefbauamt und Hochbauamt. Eine zusätzliche Riesenaufgabe, die meine Stadtteilplaner m.E. gerne auf sich nahmen. Bei diesen Ausstellungen konnten wir mit den Bürgern in Kontakt kommen. 19Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 „Rückblicke“ 1972–1994 Prof. Dr.-Ing. Egon Martin, Leiter des Stadtplanungsamtes 1972-1994 Die letzten Projekte in meiner Amtsperiode · Geroldsäcker - die bauliche Erweiterung von der Waldstadt bis nach Hagsfeld, ein Planungs- konzept eines Heidelberger Architekten. Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs. · Modell des Technologie-Parks Blösse, Entwurf Archis, Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs. · Noch ein Ergebnis städtebaulicher Wettbewerb Kriegsstraße-Ost / Südoststadt, Preisträger Ross- mann und Partner, Landschaftsplaner Charly Bauer (Abb. S48). Drei Wettbewerbsergebnisse, mit denen die Stadt zufrieden sein kann und wird. Ich ende mit einem Luftbild: unsere schöne Stadt Karlsruhe1985. Wir, meine Mannschaft und ich, versuchten · das Wesentliche zu erhalten, Stadtstruktur und Dorfstrukturen ernst zu nehmen, · mit sensiblen Entwicklungen den Stadtorganis- mus zu ordnen, zu entwickeln, ohne Brüche. Dies alles zusammen mit der gesamten Stadt- verwaltung, den Bürgermeistern, dem Gemein- derat und den Bürgern. Vielleicht ist uns dies teilweise gelungen. Unsere Arbeit wurde meistens von unserer politischen Spitze, den Oberbürgermeistern und seinen Dezernenten geschätzt, der Gemeinderat hat uns bei erfolgreichen Konzepten unterstützt. Wir vom Planungsamt haben die Zusam- menarbeit mit den anderen Ämtern der Stadt gepflegt und waren dadurch auch gemeinsam erfolgreich. Es gab für uns Hochpunkte aufgrund von planerischen Erfolgen, es gab aber auch Ent- täuschungen, wo unsere Vorstellungen aufgrund von politischen, finanziellen, selbst privaten Rah- menbedingungen infrage gestellt wurden. Es gab vielleicht auch weniger geglückte Kon- zepte, aber immer versuchten wir, unser planeri- sches Tun zu orientieren an der vorhandenen Quali- tät des Bestandes, der Stadtstruktur. Stadtplanung in überschaubaren und finanzierbaren Schritten, Offenhalten zukünftiger Möglichkeiten, Schutz der Landschaft und Verbesserung der Bedingungen für das Wohnen in der Stadt waren unsere Ziele. Der Künstler Jürgen Görtz hat in seinem Ent- wurf für die Weinbrenner-Plakette uns Planer dargestellt, uns verglichen mit dem Vogel, der alljährlich sein Nest erneuert, auf dem Bestand aufbaut, gelegentlich aber auch eine neue Unter- kunft suchen muß. Umgemünzt auf uns Planer: stets den Bezug zum Bestand, zur Geschichte, zur vorhandenen Stadtstruktur haben und Kreativität bei den Lö- sungen für eine positive Entwicklung der Stadt. Das haben wir gemeinsam versucht, meine quali- fizierte Mannschaft mit mir. Egon Martin Links: Bebauungsplan Geroldsäcker, rechts: Modell/Zeichnungen Technologie-Park Blösse Entwurf für die „Weinbrenner- plakette“, Jürgen Görtz 20 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 In der ersten Reihe die ehemaligen Amtsleiter (v.l.n.r.), Robert Mail, Tiefbauamt und Robert Mürb, Gartenbauamt, sowie Baubürgermeister Michael Obert, am Rednerpult Dr. Egon Martin 21Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 „Rückblicke“ 1994-2004 Vielen Dank für die Einladung auf das Podium des heutigen Stadtbauforums. Beim Recherchieren von Unterlagen für diesen Abend fand ich einen Satz, den auch die Stadt- planung verinnerlichen muss: „Es ist auf kommunaler Ebene schwieriger, ein Ideologe, Bürokrat oder Opportunist zu sein und gleichzeitig ein gutes Gewissen zu haben, weil die Wirklichkeit stärker in’s Auge springt“schreibt der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel in seinem 1981 erschienenen Buch „Das Ende vom Schlaraffenland“. Das Stadtbauforum findet seit 1997 statt. Mit der Bürgerschaft soll über die „Zukunft unserer Inneren Stadt“ gesprochen werden. Die erste Veranstaltung sehen manche im Rathaus zu- nächst recht skeptisch. Das Stadtbauforum entwickelt sich bis heute weiter. Und das ist gut so. Rückblicke sind vielschichtig und vielseitig. Das „Projektmosaik“ zeigt es. Dabei zeigt es nur Teile all unserer Arbeit in den 10 Jahren von 1994 bis 2004. Heute wäre also über vieles zu reden. Dazu gehörten insbesondere Wettbewerbe, Mehrfach- beauftragungen, Planungswerkstätten, informel- le und formelle Planungen sowie das Begleiten von großen und auch kleinen Bauvorhaben. Der mir vorgegebene Zeitrahmen beträgt allerdings nur 15 Minuten. So tröstet mich - und sie - Erich Kästner: „Wer was zu sagen hat, hat Weile. Er lässt sich Zeit und sagt’s in einer Zeile.“ Wir wenden uns deshalb auch nur einem Teil des „Projektmosaikes“ zu, dabei aber auch man- chen „Hintergründen“. Erläuterungen von Plä- nen erspare ich uns. Hintergründe können Ahnung - auch von Stadtplanung - vermitteln. Meinungen schwä- cheln oft. Dazu ein Beispiel aus dem Vorwort zum Buch „Karlsruhe- Neue Architektur“:„ Dann ist noch das große Einkaufszentrum am Ettlinger Tor zu nennen, das unabhängig von der durch einen Wettbewerb geplanten Fassade eine inne- re Straße besitzt, die so ganz und gar nicht dem schützenswerten Grundriss der Stadt folgt“. Was soll das heißen? Ist unser Stadtgrundriss ergän- zungsbedürftig, wird er durch das Einkaufszen- trum beschädigt? Stadtplanung hat etwas mit Konversion, d. h. mit Veränderung, sowie mit Politik, mit Zeit, mit Strategien und sehr oft mit Geld zu tun. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadt- planungs- amtes, 1994-2004 22 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Zum Beispiel wird aus einem Weinberg ein Maisfeld und dann ein Baugebiet: „50-Morgen“ in Hohenwettersbach. Ist es ein Gerücht, dass die Bezeichnung „50-Sorgen“ im alternativen Ansatz und der Furcht vor einer alternativen Wählerschaft begründet ist? Die Vorgaben des Energie- und Flächensparens sowie Garagen un- ter den Gärten der Gebäude am Beginn der Spiel- straßen lassen manche Bauwillige etwas zögern. Heute sind die „50-Morgen“ nicht nur ein Kinderparadies! Städtebaulich-freiräumlich und architektonisch ist das Quartier am Rand des bald 750 Jahre alten Dorfes bemerkenswert. Wenden wir uns der Stadt und ihren Konver- sionen zu. Bahnflächen, Militärflächen, Gewer- beflächen innen und außen sowie Straßen und Plätzen. Herausforderungen fast ohne Ende! „…. wir müssen alles in der Hand haben“ ist in Wolfgang Leonhards auch für Planer wichti- gem Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ zu lesen. Das amerikanische und französische Militär zieht aus. Die Nordstadt entsteht auf einem bis dahin für die Bürgerschaft unzugänglichen rie- sigen Gelände. Darüber zu sprechen würde den Rahmen sprengen. Eine Fahrradtour durch das Gebiet lohnt sich sehr. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadtplanungsamtes von 1994-2004 23Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Wir gehen nach „Südost“. „Vom Reisbrett auf’s Gleisbett“ wie es bei der Bahn einmal hieß. Die Stadt lobt vor 1992 unter Beteiligung der Bun- desbahn, der Telekom und anderer den Wettbe- werb „Karlsruhe-Südost-Gottesaue (Bundesgar- tenschau 2001)“ aus. Das Büro Rossmann und Partner mit dem Landschaftsarchitekten Karl Bauer aus Karlsruhe gewinnt. Der Entwurf lehnt sich zum Teil bewusst an die dichte Blockrandbe- bauung der Südstadt an. Er formuliert die östliche Kriegsstrasse als Al- lee neu. Sie kommt damit einem dringenden und nachvollziehbaren Wunsch der Stadt nach. Groß- zügige, vernetzte Günangebote ermöglichen die beabsichtigte „Bundesgartenschau 2001“- aus der dann leider nichts wird. Leider wird auch ein konzeptionell und örtlich anderer Ansatz von André Heller im Jahre 2002 „schubladiert“. Bald nach dem Wettbewerb herrscht bei der Grundstückseigentümerin, der Bahn, eine gewis- se Funkstille. Ihre Privatisierung und die damit verbundene Neuordnung ihres Immobilien-Ma- nagements sind wohl ein wesentlicher Hinter- grund. Der Bahnvorstand erklärt nach einiger Zeit hochrangigen Vertretern der Stadt Karlsruhe sei- ne Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit: Ca. 1/3 mehr Bruttogeschossfläche! Beauftragte der Bahn legen einige Wochen später ein Konzept zu Lasten von Grünflächen vor. Es ist nicht gut! Allerdings: Eine zeitnahe städtebauliche und verkehrliche Neuordnung der östlichen Kriegs- straße will die Stadt. Lärmberechnungen längs dieser neuen Kriegsstraße-Ost machen auf deren Südseite Schutz zugunsten des geplanten Parks und der Wohnbebauung erforderlich. Gemeinsam mit den Wettbewerbsgewinnern entwickeln wir deren Siegerentwurf weiter. Die Forderung der Bahn nach Mehrwert ist nun in eine die Straße begleitende, Lärm abwei- sende Gebäudezeile umgesetzt. Eine großstädti- scher Boulevard hin zur Stadtmitte ist im Werden: Die Ludwig-Erhard-Allee. Auf der Rückseite der Gebäudezeile entstehen Stadtpark, Wohnungs- bau und Infrastrukturen. Das neue Stadtquartier wächst schnell. Seine öffentlichen Räume sind städtisch – nicht vor- städtisch. Für das Gelände nördlich der neuen Al- lee mit der Lohfeldsiedlung gibt es 2002 unsere erste Planungswerkstatt. Die Karlsruher Architekten Gilbert und Holzap- fel setzen sich mit ihrem Konzept eines schritt- weisen Umbaus des Quartieres durch. Eine zwei- te Planungswerkstadt folgt im gleichen Jahr für Neureut Kirchfeld-Nord. Hier wird das Kopenha- gener Büro Tegnestuen Vandkunsten mit der Wei- terbearbeitung seiner Planung beauftragt. Planungswerkstätten sind dialogische Ver- fahren zwischen Politik, Bürgerschaft, Planern und weiteren Fachleuten. Alle daran Beteiligten finden sich in einem Lernprozess. Er vermittelt Ahnung, Wissen und ermöglicht Verständnis der Arbeitsweise von Planern. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadtplanungsamtes von 1994-2004 24 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Nun zu öffentlichen Räumen: Deren Qualitä- ten in Form und Funktion ist immer die stadtpla- nerische Herausforderung. Sehen Sie sich Plätze genau an, nehmen Sie die Ordnung in den Ver- kehrsräumen wahr! Gute Beispiele können die Ebert-, die Brauer- und die Erzbergerstraße mit der Straßenbahn sein. 2003 erhält die Stadt eine Anerkennung des Renault-Traffic-Award. Qualität gelingt nur bei konstruktiver und in- tensiver Kommunikation zwischen den verschie- denen Fachbereichen einer Verwaltung. Diese Erfahrung kommt sicher der Kriegsstraße zwi- schen Mendelssohnplatz und Karlstor zu gut. Die Straße kann ihre Trennwirkung verlieren. In die Zeit zwischen 1994 und 2004 fallen Untergang der „U-Strab“ und Auferstehung der „Kombi-Lösung“. Die Kriegsstraße zum Be- standteil einer „Kombi-Lösung“ zu machen, ist nicht nur aus stadträumlichen und verkehrlichen Gründen sehr bemerkenswert! Ohne Diplomatie und Willen scheitert die be- ste Planung. Kurz zurück zur Brauerstraße, dem Stichwort zum nächsten „Fall“. Der „Filmpalast“ des Köl- ner Architekten Till Sattler wird im Jahr 2000 fer- tig. Die „Lobbyisten-Resistenz“ der Stadt führt ohne Verzögerungen zu einer bemerkenswerten Ergänzung des Ensembles auf den ehemaligen IWKA-Flächen. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadtplanungsamtes von 1994-2004 25Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Wir kommen in der Stadtmitte an. Seit Jahren soll sie nach Süden weiterentwickelt werden. Alle Planungsüberlegungen bleiben bis 1997 Papier. Dann wird der Architektenwett-be- werb „Karlsruhe: vom Schlossplatz zum Kongress- zentrum – via triumphalis - 2022“ ausgelobt. Es geht um städtebaulich-freiräumliche, verkehrli- che und nutzerische Ideen für den Bereich Karl- Friedrich- und Ettlinger-Straße, für die Mittelach- se oder „via triumphalis“. Das Büro Professor Wulf und Partner aus Stutt- gart gewinnt den Wettbewerb. Winkelförmige, transparente „Stadtloggien“ markieren den Süden der Kreuzung Ettlingerstra- ße / Kriegsstrasse. Bauliche Ergänzungen auf de- ren Nordseite zeigen Optionen für Veränderun- gen auf. Gleiches gilt für das Kongresszentrum. Dort eröffnet 2002 das Kongresshotel der Wett- bewerbsgewinner Professor Schweger und Part- ner aus Hamburg. Die Gestaltung des Freiraumes vor dem Hotel plant das Büro „Agence Ter“ von Profes-sor Henri Bava aus Karlsruhe/Paris. Nach dem Wettbewerbsentscheid zur „via triumphalis“ erarbeiten wir Ende 1998 ein Dis- kussionspapier zur „Entwicklung der südlichen Innenstadt“. Es soll Stärken, Schwächen, Risiken und Chancen einschätzen. Wo kann, wo sollte sich etwas nicht nur aus Sicht der Stadtplanung verändern? „Nicht vorauszuschauen heißt lamentieren“ (Leonardo da Vinci). Das fast fertige Papier wird zum Jahreswech- sel 1998/99 Gegenstand eines sehr internen Pla- nungsgespräches mit einem Vertreter der Ham- burger ECE-Projektentwicklungsgesellschaft. Zu deren Bedauern und so zum Vorteil unserer Innenstadt ist das Telekom-Grundstück an der Süd-Ost-Ecke des Mendelssohn-Platzes schon anderweitig verkauft. Flächen der ehemaligen Bundesbahndirektion und anderer im Süden der Stadtmitte zwischen Ettlinger Tor und Friedrichsplatz finden die Sym- pathie des Hamburger Vorstandes. Das Projekt nimmt schnell Form an. Sechs namhafte Archi- tekturbüros beteiligen sich an einem konkurrie- renden Entwurfsverfahren zur städtebau-lichen Einbindung. Der Vorschlag der Architekten Pro- fessor Kramm und Striegel aus Karlsruhe/Darm- stadt überzeugt die Jury. Nach Baubeginn 2003 eröffnet das Center „Ettlinger Tor“ im Herbst 2005, etwa 6 Jahre nach dem ersten Planungs- gespräch. Die Zahl der Besucher der gesamten Innen- stadt nimmt um ca. 30% zu. Wir können uns heute kaum noch an die ziemlich leeren Erbprin- zen-, Lamm- und Karl-Friedrich-Straßen erinnern. Der „Kirchplatz St. Stephan“ – schon von Wein- brenners so genannt - mutiert vom „Toiletten- und Park-Platz“ zum generations-übergreifenden Aufenthaltsort neuer Qualität. Dank „Ettlinger Tor“ und des dadurch herausgeforderten Enga- gements des örtlichen Einzelhandels wird ein langer Traum nicht nur der Stadtplanung Wirk- lichkeit. Wir können nun von den Chancen der Karl- Friedrich-Straße träumen, sobald sie oberirdisch von Stadt- und Straßenbahnen befreit ist. Sie gilt es zu nutzen. Eine Stadt entwickelt sich immer weiter, sie ist nie fertig gebaut. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadtplanungsamtes von 1994-2004 26 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Zum Schluss noch eine wichtige Erfahrung: Alle an den Verhandlungen zum „Ettlinger Tor“ Beteiligten haben unterschiedliche Interessen. Sie geben ihr Bestes. So kann die Wirklichkeit sein! Die Gespräche der Hamburger und der städtischen Teams verschiedenster Berufszwei- ge finden auf sehr hohem Niveau statt. Sie ver- binden Durchsetzungswillen mit Offenheit und Diplomatie. Die Sitzungen dauern oft bis in den sehr späten Abend. Mehrfach sollen die „Bü- cher“ geschlossen werden. Die Norddeutschen hatten ihre süddeutschen Partner vielleicht für „gemütlicher“ gehalten. Für uns sind die Vorga- be des Oberbürgermeisters Heinz Fenrich „Ja, aber nicht um jeden Preis“ und die „Einflussresi- stenz“ nicht nur der Baubürgermeisterin Heinke Salisch Verhandlungsrahmen und Chance. Dass ein derartiger Prozess kein Weg ohne Steine ist, ist selbstverständlich: Aus betriebs- wirtschaftlichen Gründen sind weniger Geschäfte des „Ettlinger Tor“ auch von den umgebenden Straßen zugänglich als gewünscht. Aus städte- baulichen Gründen gibt es nur 2 statt der ge- forderten 4 Parkgeschosse. Damit fügt sich das große Haus in die vorgegebene Homogenität der Stadtsilhouette ein. Und auch die spiegelt den „Geist unserer Stadt“. Hoffen wir darauf, dass die Planung des Bü- ros von Professor Wulf nach dem Fertigstellen der „neuen“ Kriegsstraße nicht nur Traum bleibt. Träume können Chancen für Konversionen sein. „Rückblicke“ 1994–2004 Rudolf J. Schott, Leiter des Stadtplanungsamtes von 1994-2004 Auch ich habe einen Traum: Hinter dem Hauptbahnhof entsteht in einigen Jahren ein neuer Stadtteil für eine mobile und fle- xible Gesellschaft. Man kann hier arbeiten oder wohnen oder beides. Nicht nur ganz oben mit Blick auf den Schwarzwald und idealerweise auf eine neue „Herrenalber Allee“ in Rüppurr. „Ein Planer soll aus Fehlern gelernt haben, zu- hören können und wissen, dass das Wasser den Berg hinunter fließt“ sagt sinngemäß der Lon- doner Architekt Sir Patrick Abercrombie in den späten 1940er Jahren. Rudolf J. Schott 27Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 28 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 29Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 · Die Selbständigkeit der Karlsruher Stadtplanung begann 1936 mit der Herauslösung des Stadter- weiterungsbüros aus dem Tiefbauamt, geleitet von Dr. Dommer. Nach dem 2. Weltkrieg über- nahm Karl Pflästerer die Leitung des Amtes bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1954. Ihm folgte Max Beller, der 1968 in Ruhestand ging. Willi Lausch wurde daraufhin die Leitung des Amtes übertragen. Von 1972 bis 1994 führte Prof. Dr.- Ing. Egon Martin die Amtsgeschäfte, die ab 1981 auch mit der Stelle eines Referenten für Stadt- und Stadterneuerungsplanung verbunden waren. Im darauf folgenden Jahrzehnt stand das Amt bis September 2004 unter der Leitung von Rudolf Schott. Ihm folgte Dr.-Ing. Harald Ringler. Die Ausstellung gibt beispielhaft einen Einblick in die Arbeit des Stadtplanungsamtes seit der Grün- dung. Sieben Tafeln, gegliedert in Zeitabschnit- ten, zeigen eigenständige Arbeitsergebnisse und weisen damit auch auf damals aktuelle Haltun- gen der Stadtplanung hin. Fünf Tafeln dokumen- tieren die Aktivitäten und Initiativen der Karlsru- her Stadtplanung für die Durchführung von Wett- bewerbsverfahren. Der Ausblick auf die Arbeit der nächsten Jahre beschließt diese Ausstellung. Eine vollständige Dokumentation der Arbeiten der letzten 75 Jahre war nicht beabsichtigt. Die Aus- wahl der Beispiele erfolgte aus dem heutigen Blickwinkel, ist selektiv, lässt viele Lücken und bietet selbstverständlich Anlass zur Kritik. Zustande gekommen ist dieses Projekt innerhalb eines knappen Jahres nur durch den engagierten Einsatz von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Stadtplanungsamtes und zwar neben deren Hauptaufgaben: Kristin Barbey, Sigrun Hüger, Bir- git Kaufmann, Dietmar Kup, Wassili Meyer-Buck, Jan Riel, Harald Ringler. · 30 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadtplanung im Dritten Reich Gründung des Stadtplanungsamtes, Karlsruhe 1936 19 30 19 36 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1936 Entstehung und Gründung des Stadtplanungsamtes Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ent- standene Stadtplanung moderner Prägung wur- de bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhun- derts meist von den für den „technischen Städte- bau“ zuständigen Ämtern - in Karlsruhe vom Wasser- und Straßenbauamt, dann vom Tiefbau- amt - als Fluchtlinienplanung wahrgenommen. 1929 erhielt das Stadterweiterungsbüro - bisher dem Amtsleiter direkt unterstellt - den Status ei- ner eigenen Abteilung mit sechs Mitarbeitern in- nerhalb des Tiefbauamtes unter Carl Pflästerer und ab 1933 unter Dr. Johannes Dommer. Erst 1936 begann die Selbständigkeit als eigene technische Dienststelle. 1938/39 erfolgte die Umbenennung in Stadtplanungs- und Siedlungs- amt, dem Dr. Dommer vorstand. Die Stadtverwaltung war, ähnlich wie heute, in Abteilungen (heute Dezernate) gegliedert, die bis 1933 der Oberbürgermeister Dr. Julius Finter, die drei Bürgermeister Heinrich Sauer, Dr. Erich Kiem- schmidt sowie Hermann Schneider leiteten. Die Arbeit der Stadtplanung wurde von verschie- denen beschließenden und beratenden Ausschüs- sen und Kommissionen begleitet wie der „Orts- baukommission“ und dem 1926 eingeführten „Künstlerische Beirat für die Stadterweiterung“. In der Zeit des Dritten Reiches bestand ein „Aus- schuss für Stadterweiterungsfragen“, dem 1936 u. a. Billing, Heiligenthal und die Dammerstock- Architekten Rößler, Prof. Lochstampfer und Dr. Rö- siger angehörten. Quellen: Stadtarchiv Karlsruhe: Beschluss Verwaltungsdirektion, 1/H-Reg. 951 Gestaltung der Stadt, 7_Nl_Pflästerer_177_2 Nord-Süd-Achse, 7_Nl_Pflästerer_177_3 Gauforum, 7_Nl_Pflästerer_177_12 Perspektive Richtung Süden, 7/NL Pflästerer Zerstörungsplan, 8_PBS_XVI_1220 Bad. Landesmuseum (Hg.): „Neues Bauen der 20er Jahre, Gropius, Haesler, Schwitters und die Dammerstocksiedlung in Karlsruhe, 1929“, Karlsruhe 1997. Harald Ringler: Der Karlsruher Generalbebauungsplan 1926. Ein Entwurf zur langfristigen Stadtentwicklung, in: „Blick in die Geschichte“ 1988-1993, Karlsruhe 1994 Ein Leitplan für Karlsruhe um 1940 Nord -Süd Achse um 1940 Entwurf für ein Gauforum an der im „Dritten Reich“ geplanten Nord-Süd-Achse, heute Ettlinger Straße um 1940 Beschluss-Akte vom 31. August 1936 das Stadtplanungsamt als selbständige Stelle aufzuführen. · 31Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadtplanung im Dritten Reich Gründung des Stadtplanungsamtes, Karlsruhe 1936 19 30 19 36 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Kartierung der Zerstörung der Innenstadt durch die Luftangriffe im 2. Weltkrieg 1944. Von 57 000 Wohnungen vor Kriegsbeginn blieben nach Kriegsende nur über 11000 bewohnbar. Das Stadtzentrum war zu 80 % zerstört. 1933-1945 Die politischen Ereignisse des Jahres 1933 führten auch im Bereich der Baupolitik zu einer tiefgreifenden Umgestal- tung. Mit der Rücktrittserklärung von Baubürgermeister Herrmann Schneider waren die fortschrittlichen Aktivitäten in der Stadtplanung beendet. Carl Pflästerer war 1939 Leiter der Abteilung „Sonderauf- gaben“ und für das städtebauliche Erscheinungsbild und Repräsentationsbauten zuständig. Pflästerer sah eine Ost- West-Achse vom Rhein bis nach Durlach und eine Nord- Karlsruhe, südliche Umgebung Vogelperspektive 30er Jahren Süd-Achse vom Schloß nach Ettlingen mit Großbauten und Platzanlagen vor. Auf einer Gemarkungsfläche von ungefähr 8600 ha - Bu- lach und Knielingen waren inzwischen eingemeindet wor- den - lebten 1935 an die 159000 Einwohner. Nach den Ein- gliederungen von Hagsfeld und Durlach im Jahre 1938 vergrößerte sich Karlsruhe auf 12300 ha mit 186000 Ein- wohnern. Das bekannteste Wohnsiedlungsprojekt dieser Zeit, der erste Bauabschnitt der „Rheinstrandsiedlung“ in Daxlanden, war als architekturideologisches Gegenprojekt zur als „kulturbolschewistisch“ verfemten Dammerstock- siedlung gedacht. Größere Bauaufgaben waren die städtebaulich bereits 1924 vorgedachte Oberpostdirektion von Billing an der Ett- linger Straße, fertiggestellt 1939, und das ehemalige Ar- beitsamt an der Kapellenstraße - heute Landesvermes- sungsamt -, geplant vom städtischen Hochbauamt, errichtet zwischen 1935 und 1938. · Wiederaufbau und Stadtumbau Stadtplanung in Karlsruhe 1945 bis 1959 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Die Beseitigung der Kriegsschäden und der Woh- nungsbau setzten die Prioritäten in der Stadtpo- litik nach Beendigung des 2. Weltkriegs. Die Aus- lobung des Wettbewerbs Kaiserstraße (1947) ist bereits als Zeichen des Gestaltungswillens für die Zukunft der Innenstadt zu sehen. Mit der dann folgenden Aufstellung des Bebauungsplans war auch die Entscheidung zur Beibehaltung des hi- storischen Stadtgrundrisses und einer städtebau- lich homogenen und überwiegend traditionellen Ausformung der Stadtgestalt verbunden. Die Flächennutzungs- und Verkehrsplanung für die Gesamtstadt orientierte sich anfangs am Ent- wurf des Generalbebauungsplans von 1926. En- de der 1950er Jahre begann dann die Arbeit für einen Flächennutzungsplan, der als Entwurf 1961 fertig gestellt wurde. Die 1958 beschlosse- ne städtische Bauordnung mit ihrem Baugebiets- plan regelte sowohl die Nutzungs- wie auch die Baumassenplanung, da es nur für wenige Gebie- te Bebauungspläne gab. Von den 57.000 Wohnungen (1939) waren 1945 lediglich 11.000 unbeschädigt geblieben, 12.600 total zerstört. Die Einwohnerzahl hatte 1946 mit 175.600 Menschen die Größe vor dem Weltkrieg (1939: 185.500) noch nicht erreicht (Gemeinde- fläche: 12.280 ha). 1960 belief sich der Woh- nungsbestand bei 240.400 Einwohnern bereits auf 77.000. Diese große Aufbauleistung war vor allem in neuen Baugebieten wie Mühlburger Feld, Rintheim-Süd, Waldstadt sowie in der Nord- weststadt erfahrbar (Rennbuckel-, Siemens-, Flugplatzsiedlung). Nicht berücksichtigt ist dabei die ab 1950 entstehende „Amerikanersiedlung“ als erste „Waldstadt“ in der heutigen Nordstadt mit 1.200 Wohnungen. Eine Initiative aus dem Gemeinderat für eine Parkring-Bebauung wurde glücklicherweise nicht umgesetzt. Neben dem Siedlungsbau verdient das erste gro- ße Stadtumbauprojekt Karlsruhes in Mühlburg Beachtung. Die 1952 vom Stadtplanungsamt er- arbeitete Verkehrskonzeption für Mühlburg führ- te über einen Bebauungsplan zur Verbreiterung der Rheinstraße. Davor fielen die noch vorhande- nen Gebäude an der Nordseite der Spitzhacke zum Opfer. Eine durchgehende Neubebauung entstand an der zurück gesetzten Baulinie. 1947 Generalbebauungsplan (Stadtplanungsamt). Es fehlen noch Vorhaben wie die Waldstadt, Flugplatz-Bebauung und Oberreut. Dafür gibt es noch „südliche Randstraßen“, durch den Oberwald führende Verkehrswege u.a. Bebauungsplan Heidenstücker- siedlung-Süd von 1950 1949 Bebauungsplan Kaiserstraße mit der um sechs Meter zurückgesetzten südlichen Bauflucht ab dem ersten Obergeschoß · Quellen: Stadt Karlsruhe: Harald Ringler, Denkschrift über den Wieder- aufbau, 1946 Statistische Jahrbücher 1947, 1960; Siedlungen der 50er Jahre in Karlsruhe, „Blick in die Geschichte“ 1993 - 1998; Harald Ringler: Die städtebauliche Neuordnung Mühlburgs in den 50er Jahren, Karlsruhe 1998; Stadtarchiv Karlsruhe: Mühlburg, Streifzüge durch die Ortsge- schichte, 1998 Stadtplanungsamt Karlsruhe: Wiederaufbau der Kaiserstraße, 1949 Fotos: Bildstelle der Stadt Karlsruhe 32 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 · 33Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Wiederaufbau und Stadtumbau Stadtplanung in Karlsruhe 1945 bis 1959 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1955 Mühlburger Feld und Stadtumbau Rheinstraße, im Vordergrund die später zurück gebaute Ebertstraße 1958 Baugebietsplan der städtischen Bauordnung mit den Vorgaben der Nutzung, Anzahl der Geschosse und Bauweise · Entwurf für die Waldstadt (1955) 1945 die zerstörte Stadtmitte Marktplatz: Modell für den Wiederaufbau (1949). Beachtenswert die Vorgabe von Sattel- bzw. Walmdächern sowie der Kolonnaden an der Nordseite. · 34 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Vom Wiederaufbau zum Ausbau der Stadt Stadtplanung in Karlsruhe in den 60er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1960er Jahre Der Generalbebauungsplan aus den 1950er Jah- ren wurde den kompliziert werdenden Aufgaben nicht mehr gerecht. Ab 1961 beschrieben Einzel- aufbaupläne die Problembereiche: Es entstanden Generalverkehrsplan, Flächennutzungsplan und ein Verkehrslinienplan. Die Förderung des Wohnungsbaus blieb auch in den 1960er Jahren vordringliche Aufgabe der Stadtplanung. Der vorläufige Flächennutzungs- plan von 1961 enthielt Darstellungen zahlreicher neuer Wohnbauflächen. In den 1950er Jahren begonnene Wohnquartiere in der heutigen Nord- weststadt, Rintheim, Waldstadt und Rheinstrand- siedlung wuchsen weiter. Mit Oberreut Wald- und Feldlage sowie der Bergwaldsiedlung ent- standen zwei neue autarke Wohnsiedlungen. Die Idee einer Rheinstadt als Wohnstandort für 29.000 Einwohner bei Knielingen blieb auf dem Reißbrett. In den neuen Baugebieten wurden oft unter- schiedliche Gebäudeformen wie Hochhaus, Scheibe und Reihenhaus kombiniert. Der Städte- bau vieler Siedlungen der damaligen Zeit lässt heute deutliche Ordnungsmuster, Kompaktheit und Raumbildung vermissen. Die Baumgarten- Siedlung in Rüppurr und das Wohnquartier im Eichbäumle in der Waldstadt erhalten auch heute noch die überregionale Aufmerksamkeit als Mu- ster für qualitätvollen und flächensparenden Sied- lungsbau in der Stadt. Neben dem Siedlungsbau auf der „grünen Wie- se“ trug der innerstädtische Wohnungsbau auf vormals gewerblich genutzten Flächen ebenfalls zur Deckung der Wohnungsnachfrage bei. Ent- standen sind die „Richt-Wohnanlage“ nördlich des Durlacher Güterbahnhofs, sowie das Eigen- tumswohnungscenter an der Kaiserallee auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Printz. Karlsruhe wurde weiter autogerecht ausgebaut: Die Umgehungsstraße von Durlach in Richtung Pfinztal, die neue Rheinbrücke bei Maxau sowie die Vogesenbrücke in Mühlburg konnten dem Verkehr übergeben werden. Für die ausgebaute Kriegsstraße wurde die Unterführung am Ettlin- ger Tor und die Schlossplatzunterführung fertig- gestellt und der Ausbau der Südtangente begon- nen. Der Vorschlag, die Entlastung der Innenstadt vom Autoverkehr konsequent bis zur Schaffung autofreier Flächen weiterzuführen, fand noch keine Gegenliebe. Quellen: Stadtplanungsamt Siedlungskarte: Stadtarchiv Karlsruhe: Karlsruhe - Die Stadtgeschichte, 1998 Karlsruher Chronik, 1992 Bauarbeiten Ettlinger Tor, 8_Alben393_20_Jlg_52965 Harald Ringler: Siedlungen 60er Jahre, „Blick in die Geschichte“, 2003 Einsele / Kilian: Stadtbausteine Karlsruhe, 1997 Stadtplanungsamt: Verkehrslinienplan, 1962 „rheinstadt - karlsruhes neue, wohnstadt am rhein“, 1965 Luftbild Bergwaldsiedlung: Brugger, Stuttgart Stadtplanungsamt: Verkehrsplanung Schlossplatz Karlsruhe, 1963 Illustration der 1960er Jahre - heute Wirklichkeit? Planung Verkehrsnetz Innenstadt, 1963 Verkehrslinien- plan, 1962 Im Plan bereits enthalten, u.a. der vierspurige Ausbau der Kriegsstraße, eine Nord- und eine Südtangente, eine nordwestliche Um- gehungsstraße für Durlach und eine N e u t r a s s i e r u n g der B36 zwischen Knielingen und Neureut. Bundesgartenschau 1967, mit Neugestaltung des Stadt- und Schloßgartens, sowie Aussichtsturm Festplatz Bauarbeiten Unterführung Ettlinger Tor, 1965 · 35Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Vom Wiederaufbau zum Ausbau der Stadt Stadtplanung in Karlsruhe in den 60er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Richt-Wohnanlage Durlach (1964-71) für 2.500 EW mit Alten- und Pflegeheim und Privatkrankenhaus. Architekten Colling und Schneider / Bohne Rheinstadtprojekt Eine Projektgruppe im Stadtplanungsamt arbeitete 1965 einen Plan aus, der auf 100ha Fläche drei große und zwei kleine Nachbarschaften vorsah und 29.000 Menschen be- herbergen sollte. Vier- bis zwanziggeschossige Bauten, teil- weise auf Parkierungs- und Erschließungsebenen gelagert, folgen dem baulichen Leitbild der 1960er Jahre „Urbanität durch Dichte“. Direkt an dem stark erweiterten See gelegen und zum Rhein hin mit Fußgängerbrücken verbunden, bot die neue Stadt „Wohnen am Wasser“ mit hohem Freizeit- und Erholungswert. Die Idee blieb aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen auf dem Reißbrett. Oberreut Feldlage Die Erweiterung der Stadt nach Süden war schon im Ent- wurf des Generalbebauungsplanes 1926 angedacht. Um- gesetzt wurde die Planung der Satellitenstadt Oberreut erst im Zusammenhang mit der Stadtsanierung des Dörfles. Die Bergwaldsiedlung - Konzept einer neuen Parkstadt mit verdichteter, gemischten Bebauung. Blick nach Oberreut Volkswohnung errichtete vorrangig Sozialwohnungen in vier- bis achtgeschossiger Zeilenbebauung. Im Anschluss an die 25 ha große Waldlage wuchs Oberreut seit 1968 in die Feldlage. · 36 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 1970er Jahre Die Sanierung des „Dörfle“ bewegte Karlsruhe in den 1960er und in den 1970er Jahren in hohem Maße. Noch in den 1960er Jahren waren Entwür- fe entstanden, die sich in hohem Maße am Leit- bild der autogerechten Stadt orientierten. Fuß- gänger und Kfz-Verkehr sollten auf separaten Ebenen geführt werden und es war eine bis zu 20-stöckige, großflächige Neubebauung vorge- sehen, die sich nicht am bestehenden Stadt- grundriss orientierte. Die Planungen stießen auf großen Widerstand und wurden schließlich auf- gegeben. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch schon große Teile der Bebauung abgerissen. Nach dem Wettbewerb im Jahr 1970 setzte sich 1972 schließlich der Entwurf des Münchner Bü- ros Hilmer & Sattler durch. Dieser sah auf den be- reits freigeräumten Flächen eine neue, dem be- stehenden Stadtgrundriss folgende Blockrandbe- bauung vor. Die noch erhaltenen Gebäude östlich der Waldhornstraße sollten soweit möglich ein- zeln saniert werden. Der motorisierte Individualverkehr spielte in den 70er Jahren nach wie vor die wichtigste Rolle un- ter den verschiedenen Verkehrsarten: Im Verkehrs- linienplan von 1972 wurde das angestrebte Netz der inner- und außerörtlichen Hauptverkehrsstra- ßen festgelegt. Darin waren neben der durch den Hardtwald führenden Nordtangente auch die Westtangente (L605) und die bereits im Bau be- findliche Südtangente enthalten. Langsam rück- ten auch zunehmend die Belange von Fußgän- gern, Radfahrern und öffentlichem Verkehr ins Bewusstsein: Im November 1972 wurden die er- sten Abschnitte der Fußgängerzone eingeweiht. Die Eröffnung der Fußgängerzone in Durlach er- folgte 1977. Die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum war ein weiteres Thema der 1970er Jahre und teilwei- se dem Umstand geschuldet, dass im Rahmen der Dörfle-Sanierung zahlreiche Menschen um- gesiedelt werden mussten. So wurden Siedlungs- flächen verdichtet und erweitert, beispielsweise das Rintheimer Feld oder Oberreut (Feldlage II). Die teilweise problematische Sozialstruktur der bestehenden Neubaublöcke war erkannt worden. Dem sollte durch die Schaffung von Aufenthalts- bereichen, zentralen Einrichtungen sowie der Begrü- nung der Wohngebiete entgegengewirkt werden. Im Zuge der Gemeindereform fand in den 70er Jahren die Eingemeindung mehrerer bis dahin ei- genständigen umliegenden Gemeinden in die Stadt Karlsruhe statt. Die Arbeit des Stadtplanungs- amtes war in den Folgejahren verstärkt mit Pla- nungsaufgaben für diese sieben Stadtteile befasst. Quellen: Stadt Karlsruhe, Koordinierungsstelle Stadtsanierung: „Altstadtsanierung Dörfle Karlsruhe 1954-1994“, 1995 Eingemeindungen: Karlsruher Beiträge Nr. 7, 1994 Foto Südtangente: Stadtplanungsamt, 1975 Mitteilungen Baudezernat, Stadtplanungsamt, Stadtplanungsamt, 1972 Stadterweiterung und Sanierung Stadtplanung in Karlsruhe in den 70er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Das „Dörfle“Gebiet im Jahr 1970 Die bereits In den 60er Jahren entstandene Planung von Kraemer, Pfenning und Sieverts Der Bebauungs- plan nach dem Entwurf von Hilmer & Sattler Einzeln sanierte Objekte in der Künstlerhausstraße Verkehrslinienplan Karlsruhe, 1972 · 37Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadterweiterung und Sanierung Stadtplanung in Karlsruhe in den 70er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Die Südtangente auf Höhe des Knoten- punktes Kühler Krug, 1975 (im Hintergrund das Eckgebäude am Fuße der Zeppelinstraße) Stadtplanungsamt: Gesamtplanung für Oberreut in den 1970er Jahren Eingemeindungen bis 1995 Fußgängerzone Kaiserstraße: Detailplanung von Kramer und Partner, 1974 · 38 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadterweiterung und Stadtteilplanung Stadtplanung in Karlsruhe in den 80er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1980er Jahren Die Vielfalt der Themen in der Stadtplanung nahm in diesem Jahrzehnt deutlich zu, von der Fertigstellung der zentralen Fußgängerzone in der Innenstadt bis zum Abschluss des Verfahrens für den Flächennutzungsplan. Auch begleitete die Öffentlichkeit die Planungen aufmerksam. 1981 verwarf der Gemeinderat den Beschluss zur Nordtangenten-Planung aus dem Jahre 1979. 1982 wurde die so genannte Variante 17, der „Hängebauch“ beschlossen. Die bauliche Entwicklung der Stadt erfolgte lang- sam in Richtung Innenentwicklung. Die Umnut- zung von Infrastrukturflächen und Gewerbebra- chen sowie die Stadterneuerung rückten in den Blickpunkt. Anfang der 1980er Jahre begann die Wohnbebauung auf dem ehemaligen Fabrikge- lände der Nobel AG in Wolfartsweier. Das ehema- lige Stadtwerkegelände an der Kaiserallee bot sich für Büronutzungen, Wohnungen und kultu- relle Einrichtungen am Rande einer neuen Grün- verbindung an. Die Stadt kaufte von der Deut- schen Bundesbahn ein 4,6 ha großes Gelände südlich des Hauptbahnhofs für die Ansiedlung des ZKM. Das 1985 beschlossene 14-Städte-Pro- gramm des Landes und ein ergänzendes Sanie- rungsprogramm ermöglichten für dieses Areal den Mitteleinsatz zur Freimachung sowie für den Bau einer Tiefgarage. Die Stadterneuerung konnte in diesen Jahren durch weitere Programme immer größere Bedeu- tung für die Stadtentwicklung gewinnen. So ging der Sanierung Durlach, die 1984 begann, ein Wohnumfeldprogramm (WUP) voraus, weitere Schwerpunkte waren das ehemalige Stadtwerke- gelände, Südstadt Ost und Südweststadt Mitte. Danach folgte das „Programm einfache Stadter- neuerung“ (PES) für Gottesaue und Mühlburg. Für Stupferich konnte ein Dorfentwicklungspro- gramm eingesetzt werden. Die Altstadtsanierung lief noch bis 1994. Das Stadtplanungsamt war in allen Arbeitsbereichen mit hohem Einsatz enga- giert. Von den ca. 60 rechtsgültig gewordenen Bebau- ungsplänen innerhalb der 1980er Jahre betreffen über 20 die in den 1970er Jahren eingemeinde- ten Stadtteile. Oft werden damit Verpflichtungen aus den Eingemeindungsverträgen erfüllt. Mit der Gültigkeit des Flächennutzungsplanes im Jahre 1985 - Karlsruhe ist Teil des 1974 gesetz- lich verordneten Nachbarschaftsverbandes Karls- ruhe - gab es erstmals eine demokratisch beschlos- sene verbindliche Generalplanung für die Stadt. Quellen: Alle Entwürfe Stadtplanungsamt. Stadt Karlsruhe: Stadterneuerung in Karlsruhe. Programme und Maßnahmen, 1985 Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt: Sanierung Durlach 1984 - 2004 Prof. W. Leutzbach: Varianten zur Nordtangente im Auftrag der Stadt Karlsruhe, Gutachten, 1981 Stadt Karlsruhe, Stadtarchiv: Karlsruher Chronik, 1992 Entwurf Marktplatz, 8/PBS XV 2385 Rahmenplan Bulach, 1. Realisierungsstufe, 1983 Übersicht der 1981 untersuchten Varianten für eine Nordtangente (Gutachten Prof. Leutzbach) Entwurf Marktplatz, Karlsruhe 1982 Rahmen- planung für Beiertheim 1988 · 39Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadterweiterung und Stadtteilplanung Stadtplanung in Karlsruhe in den 80er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 zu ergänzende Raumkante sichtbare Stadtauerflucht zu ergänzende Stadtmauerbebauung Erneuerungs- bereich Parkierungs- anlagen Entkernung und Begrünung teilweise erhaltene Stadtmauerreste zu gestaltende öff. Platz- u. Grünfläche zu begrünende Raumkante zu ergänzende Fußgängerverbindung neu zu gestaltender Straßenraum zu ergänzende Fußgängerzohne geplante Quergasse Städtebauliche ZieleKonzept zur Sanierung Durlach 1980 Der seit 1980 gültige B-Plan „Säuterich und Säusteiger Feld“ umfasst ein 17 ha großes Gelände und bietet 270 Grundstücke für Eigenheime. Entwicklungskonzept Hauptbahnhof-Süd von 1985 Der Entwurf des Flächennutzungsplans von 1982 war Gegenstand der vorgezogenen Bürgerbeteiligung · 40 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Nachhaltige Stadtentwicklung Stadtplanung in Karlsruhe in den 90er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1990er Jahre Durch die politischen Veränderungen Anfang der 1990er Jahre und den Abzug der aliierten Streit- kräfte wurden große Flächen in stadtnaher Lage frei. Die Nordstadt konnte mit dem Umbau der ehemaligen „Amerikanersiedlung“ als neues Quar- tier aus der Taufe gehoben werden. Große Auswirkungen für Karlsruhe hatten die Standortverlagerung der IWKA und die Stillle- gung des Bundesbahnausbesserungswerks. Der große städtebauliche Wettbewerb für den Karls- ruher Südosten war der Startschuss für die Ent- wicklung dieses ehemals industriell geprägten Stadtbereichs. Die Urbarmachung dieser Flächen in zentrumsna- her Lage korrespondierte mit der Renaissance des „Stadtlebens“, wie der Wettbewerb zur „Via Triumphalis“ belegt. Die Sanierungen der grün- derzeitlichen Stadtquartiere Süd-, West- und Ost- stadt unterstützten die Wiederentdeckung dieser Quartiere als lebendige Stadträume. Auch die Ge- samtanlagensatzungen „Altstadt Durlach“ und „Gutenbergplatz“ hatten das Ziel, die Stadtsub- stanz zu bewahren. Die Gestaltungsgrundsätze für Gewerbegebiete sind heute noch aktuell. Neben der Aufwertung der Bestandsquartiere und der Entwicklung von ehemaligen Militär- und Industrieflächen war weiterhin die Erweiterung des Siedlungsbaus eine Hauptaufgabe der Stadt- planung. Die Zunahme eines nachhaltigen und ökologischen Bewusstseins in der Gesellschaft ist bei den Neubaugebieten dieser Zeit, z.B. der Ökosiedlung Geroldsäcker und dem Baugebiet „50 Morgen“, als ein wesentlicher Planungsan- satz zu erkennen. In dieser Dekade wurde auch die Studie zu den „Belastungsgrenzen für den Raum Karlsruhe“ entwickelt. Die Verkehrsplanung nahm in den 1990er Jahren mit Leitgedanken wie „Stadt der kurzen Wege“ und dem Ausbau des Umweltverbundes endgül- tig Abschied von der autogerechten Verkehrs- und Stadtplanung der früheren Jahrzehnte. Der Bau des B 10-Tunnels in Grötzingen, die Planun- gen für die Umfahrung Wolfartsweier und die Nordtangente-Ost, die Einrichtung von Tempo 30–Zonen, die Fortschreibung der Karlsruher Al- leen mit dem „Brauerboulevard“, Ebertstraße und Ludwig-Erhard-Allee brachten neue Qualitä- ten für die öffentlichen Räume. Auch die ersten Planungen für die Untertunnelung der Kaiserstra- ße und die Machbarkeitsstudie für die Straßen- bahn in der Kriegsstraße stehen für den Tenor der 90er Jahre, der nachhaltigen Stadtentwicklung. Quellen: Stadtplanungsamt: „Bausteineplan“ Günther Telian / Stadtplanungsamt: „50 Morgen“ Luftbild Karlsruhe-Südost, aurelis-real-estade GmbH&Co. KG IWKA, Harald Ringler, Mai 1993 Sanierung Weststadt 1979-2007 Faltblätter informierten die Bewohnerinnen und Bewohner über die Entwicklung der Sanierung. Karlsruhe Oststadt-Südstadt - Bausteineplan Der 1995 beschlossene Rahmenplan setzt das Ergebnis des Wettbewerbs für den Karlsruher Südosten von 1993 in einzelnen Bebauungsplänen um. Ökologisch Wohnen: Die Skizze zum 1998 in Kraft getretenen Bebauungsplan „50 Morgen“ zeigt die Entwurfsidee, die Bebauung entlang des Hangverlaufs anzuordnen. · 41Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Nachhaltige Stadtentwicklung Stadtplanung in Karlsruhe in den 90er Jahren 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Mit der Eröffnung des Zentrums für Kunst und Medien- technologie (ZKM) am 18.10.1997 erfuhr auch das Umfeld eine deutliche Wandlung. In der Skizze sind die Allee der Brauerstraße und die Neubauten von Arbeitsamt und Bun- desanwaltschaft bereits enthalten. Schematisch dargestellt noch das Baufeld des heutigen Filmpalastes am ZKM. Hallenbau A, Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA), Mai 1993 Nur für kurze Zeit bot sich der von Bebauung völlig freie Blick von der Brauerstraße auf den Hallenbau der ehemaligen Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA). östliche Südstadt, Stand: August 2011 Am 31.10.1996 begann der Abbruch des Güterbahnhofs am Rüppurrer Tor (Mendelssohnplatz). Heute wohnen schon über 2.800 Menschen in der Erweiterung der östli- chen Südstadt. · 42 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Die Wiederentdeckung der Stadt Stadtplanung in Karlsruhe 2000 bis 2011 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 2000 bis 2011 Die inhaltliche Arbeit der letzten elf Jahre war be- stimmt durch die Aufwertung der inneren Stadt, die Umwertung und Umnutzung von Flächen so- wie die Weiterentwicklung der Verfahrenskultur. Bei der Kombi-Lösung ist auch das Stadtpla- nungsamt gefordert, da die Innenstadt zum The- ma für alle Arbeitsbereiche wurde: öffentlicher Raum, Fahrradstraßen, Höfekonzept, historischer Fächer, Sanierungsprojekte, Lichtplanung, Kultur- wegweisung, Bebauungsplanung sowie die Be- gleitung privater Projekte. In diesem Jahrzehnt erlebten auch die Konversio- nen ihren Höhepunkt. Planerisch vorbereitet war Karlsruhe-SO auf dem ehemaligen DB-Ausbesse- rungswerk. Stadterneuerung in den Programm- gebieten „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau- West“ sowie der Lärmaktionsplan sind Beiträge zur Förderung des Lebens in der inneren Stadt. Das Progamm „Fahrradfreundliches Karlsruhe“ zeigt bereits große Wirkung. Die Initiierung und Betreuung von besonderen Wohnformen wie Mehrgenerationen-Wohnen eröffnen neue Mög- lichkeiten des Zusammenlebens. Die Fortschreibung des 2004 gültig gewordenen FNP 2010 des Nachbarschaftsverbandes - das Stadtplanungsamt ist die Planungsstelle - hat mit der „Tragfähigkeitsstudie“ begonnen. Der Ver- kehrsentwicklungsplan als Grundlage für die Weiterentwicklung der Mobilität zum „multimo- dalen“ Verkehrsverhalten im Sinne der Gleich- wertigkeit aller Verkehrsarten wird 2012 dem Gemeinderat vorgelegt werden. Dem Projekt „Stadtausstellung Karlsruhe 2015: die Stadt neu sehen“ fehlen noch die finanziellen Grundlagen. Die Stadtbaukultur konnte weiterentwickelt wer- den. Überzeugungsarbeit und Unterstützung pri- vater Projektträger führten zur Ausschreibung von zwanzig konkurrierenden Verfahren. Das Stadtplanungsamt selbst lobte 15 Wettbewerbe und Mehrfachbeauftragungen aus und organi- sierte fünf Planungswerkstätten. Zehn Architek- turspaziergänge in Zusammenarbeit mit der Ar- chitektenkammer und 40 Stadtbauforen zu den unterschiedlichsten Themen der Stadtplanung konnten in der Öffentlichkeit das Interesse für die räumliche Entwicklung der Stadt wecken. Der 2007 eingerichtete Gestaltungsbeirat befasste sich mit über 50 Projekten zum Großteil mit er- folgreichem Abschluss. Seit 1996 gelten für zwei Stadtbereiche Gesamtanlagensatzungen und für neun weitere Zonen städtebauliche Erhaltungs- satzungen. Derzeit sind zwei Gestaltungssatzun- gen in Arbeit. Quellen: Stadtplanungsamt Liegenschaftsamt Innenstadt-Konzept, Städtebauliche Analyse Architektur- spaziergang auf dem KIT-Campus 2009 Historischer Stadtgrundriss: „Karlsruher Fächer“ Homogenität der Bebauungs- struktur Nutzungs- mischung Dichtes Netz an Grünräumen Stadtbild- prägende Plätze und Raumfolgen Differenziertes Verkehrs- und Erschließungs- konzept Bebauungsplan-Entwurf Klamm/Illwig Höfekonzept für die Aufwertung von vier ehemaligen Anlieferhöfen: Hirschhof (Simulation) · 43Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Die Wiederentdeckung der Stadt Stadtplanung in Karlsruhe 2000 bis 2011 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 20-Punkte-Programm „Fahrradfreundliches Karlsruhe: Planung Radwegenetz Lärmaktionsplan: Hotspots (Ausschnitt) Neugestaltung Ortsdurchfahrt Wolfartsweier im Sinne der Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer Einladung Stadtbauforum Klima Die Diskusion um einen zweiten Rheinübergang wurde mit dem „Faktencheck“ fortgesetzt Touristische Fernradwege (Bestandteil des Nebennetzes) Nebennetz Ringroute Hauptnetz C M Y CM MY CY CMY K Radverkehrsnetz.pdf 28.08.2009 11:30:59 C M Y CM MY CY CMY K Radverkehrsnetz.pdf 28.08.2009 12:08:45 Lärmkartierung Karlsruhe 2007 Projektdurchführung: Auftraggeber: Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt Generalplanung und Stadtsanierung Hotspots Einwohnerdichte über Schwellenwert: 60 dB(A) (Ln) in Einw. / km² <= 0 0 < <= 500 500 < <= 1000 1000 < <= 1500 1500 < <= 2000 2000 < <= 2500 2500 < <= 3000 3000 < <= 3500 3500 < <= 4000 4000 < <= 4500 4500 < <= 5000 5000 < <= 5500 5500 < <= 6000 6000 < <= 6500 6500 < <= 7000 7000 < Stadtbauforum im Albert-Schweitzer-Saal Donnerstag, 14. April '11 • 20 Uhr Albert-Schweitzer-Saal, Reinhold-Frank-Str. 48a (Gemeindesaal Christuskirche, Mühlburger Tor) Dipl.-Ing. Heinz Brandl, Projektleiter, Senatsverwaltung Berlin Dipl.-Geogr. Peter Trute, Geschäftsführer, GEO-NET Umweltconsulting GmbH, Hannover Michael Obert, Bürgermeister, Baudezernent Dr.-Ing. Harald Ringler, Leiter des Stadtplanungsamtes Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt Tel. 133–6114 · Eintritt frei D I E Z U K U N F T U N S E R E R S T A D T Stadt(-planung) im Klimawandel Berliner Stadtentwicklungsplan Klima und Karlsruher Modellprojekt Eine Radlänge voraus Karl Drais225 Jahre · 44 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1904-1936 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Das Wettbewerbswesen im Städte- bau beginnt in Karlsruhe nach der Jahrhundertwende. Bis heute sind weit über fünfzig Ausschreibungen bekannt. 1904 startete der „Wettbewerb zur Erlangung eines zweckmäßigen Ortsbauplans für die wich- tigsten Stadterweiterungsgebiete“, der aber oh- ne planerische Folgen blieb. Der 1911 ausgelobte Wettbewerb zur „Gestal- tung des Bahnhofplatzes in Karlsruhe“ bestimmt mit dem damaligen Vorschlag eines der beiden er- sten Preisträger Oskar Seemann und Wilhelm Vit- tali noch heute das Stadtbild am Hauptbahnhof. Die bis heute ungelöste „Ettlinger-Tor-Platz-Fra- ge“ führte seit 1902 zu zahlreichen behördenin- ternen Überlegungen, aber auch zu Gutachten und Wettbewerben. 1912 kam es zu einem Ver- fahren, bei dem kein erster Preis vergeben wur- de. Ende 1923 beauftragt die Stadt die Architek- ten Hermann Billing, Hans Großmann und Fritz Rößler, Vorschläge zu erarbeiten. Der Wohnungsbau fand vor dem 2. Weltkrieg Be- rücksichtigung in zwei Wettbewerben, die aus ideologischer Sicht völlig gegensätzlich waren. 1928 beriet ein Preisgericht unter Leitung von Mies van der Rohe über 43 eingereichte Entwür- fe für das Siedlungsprojekt „Dammerstock“. Die prämierten Arbeiten zeigten alle vorbehaltlos, dass das „neue Bauen“ nun auch in Karlsruhe Einzug gehalten hatte. Dem Entwurf von Walter Gropius wurde der erste Preis zuerkannt. Alle Preisträger konnten an der Realisierung unter der künstleri- schen Oberleitung von Gropius mitwirken. Das 1936 ausgelobte Projekt „Daxlanden-Süd: Preisausschreiben zur Erlangung eines Auftei- lungsplanes und von Entwürfen für Einfamilien-, Zweifamilien-, Ein- und Zweifamilien-Doppel- häuser, sowie Einfamilienreihenhäuser“ kann als Gegenprogramm zum Dammerstock gesehen werden. „Die Siedlung soll einen städtischen Charakter erhalten und in städtebaulicher Hin- sicht, sowie im gesamten Aufbau ein richtung- gebendes Vorbild nationalsozialistischen Gedan- kengutes sein“. Der Mieter- und Bauverein zog für die Realisierung den zweiten Preisträger Prof. H. Mehrtens aus Aachen den ersten Preisträgern Wach und Roßkotten aus Düsseldorf vor. Quellen: Franzen, Brigitte: Die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe (1993) Stadt Karlsruhe: Das Ettlinger Tor in Karlsruhe (1924) Stadtarchiv Karlsruhe: Bahnhofplatz, 8/PBS o XIV a 2110 Albsiedlung, Foto: Harald Ringler 1904 Beitrag von Hermann Billing und Wilhelm Vittali (1. Preis) zur Entwicklung des Südgebietes von Karlsruhe im Rahmen des Wettbewerbs 1904/05. 1915 Bahnhofplatz nach dem Bau des neuen, 1913 eröffneten Hauptbahnhofs. Das untere Luftbild gibt den Bestand der Randbebauung um 1920 wieder. · 45Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1904-1936 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1923 Blick auf Wohngebäude der Albsiedlung an der Daxlander Straße. Der Karlsruher Architekt Hans A. Zippelius konnte den 1923 ausgelobten Wettbewerb für sich entscheiden. 1936 Modellfoto des Entwurfs von H. Mertens/Aachen für Daxlanden-Süd 1928 Die Zeilenstruktur überwiegt in den prämierten Beiträgen zum Dammerstock-Wettbewerb 1928. Im neu errichteten Eingangspavillon zur Dammerstock- Siedlung an der Danziger Straße sind die nachgebauten Modelle ausgestellt. 1904/05 und 1912 waren bereits zahlreiche Wettbewerbsentwürfe für den Bereich Ettlinger-Tor erstellt worden (unten vier Arbeiten von 1912) 1924 Lageplan des 1924 vorgelegten Entwurfs für den Bereich Ettlinger-Tor von Hermann Billing · 46 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Quellen: Henning, H.: Kaiserstraße, Karlsruher Planung „Die Neue Stadt 8/9“ (1948) Waldstadt, Luftbild Brugger Modellfotos Altstadt: Altstadtsanierung „Dörfle“, Karlsruhe 1954 - 1994, Karlsruhe 1995 Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt-Bildstelle: Marktplatz Wettbewerb Beiertheimer Feld 1947 - 1979 Die Karlsruher Innenstadt und hier wiederum die Kaiserstraße wiesen die schwersten Kriegsschä- den auf. Der 1947 ausgelobte Wettbewerb sollte zu Vorschlägen für den Wiederaufbau des Stadt- zentrums führen. Viele Arbeiten interpretierten den Stadtgrundriss in unterschiedlicher Weise. Die Stadtverwaltung ging ihren eigenen Weg und das Stadtplanungsamt erarbeitete im Zusam- menwirken mit dem dafür gegründeten Pla- nungsbeirat einen Bebauungsplanentwurf. Im August 1956 lobte die Stadt auf Drängen der Architektenschaft den „Städtebaulichen Ideen- wettbewerb und Bauwettbewerb Waldstadt- Karlsruhe“ aus, obwohl es bereits einen Entwurf des Stadtplanungsamtes gab. Der erste Preisträ- ger Karl Selg wich nicht grundsätzlich vom städ- tischen Vorschlag von 1955 ab. 1974 erarbeite- ten fünf Planergruppen Planungsgutachten zur Waldstadt-Feldlage. Das Berliner Büro Freund- Oefelein-Schmock-Volkenborn erhielt dann den Planungsauftrag. Das „Dörfle“ war Gegenstand des Verfahrens „Internationaler städtebaulicher Ideenwettbe- werb Karlsruhe 1970“. Aus 20 Ländern Europas gingen 216 Arbeiten ein. Die Wettbewerbsbeiträ- ge glichen einem Kaleidoskop der damals gängi- gen Architekturauffassungen von pyramidenför- migen Baukörpern über Einzelriegel bis zur Blockrandbebauung. Der Gemeinderat entschied sich nach Überarbeitungsphasen Ende 1972 für den „Münchner Entwurf“, der die Grundlage für die Altstadtsanierung lieferte. 1971 mündeten die Absichten das Beiertheimer Feld zu bebauen in einen städtebaulichen Ideen- wettbewerb. Der Entwurf des ersten Preisträgers J. Jakubeit für das ebenfalls zu gestaltende Alb- grün führte zur heutigen Günther-Klotz-Anlage. Die Gestaltung der ersten Fußgängerzone in Karlsruhe lag nach einem Gutachterverfahren zur Gestaltung der Kaiserstraße und des Marktplat- zes in den Händen von Gernot Kramer. Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1947-1979 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1947 Wettbewerb Kaiserstraße: Preisträger Horst Linde/ R. Diem 1970 Altstadt-Wettbewerb mit unterschiedlich- sten Ergebnissen. Unten die über- arbeiteten Entwürfe von Schmock + Volkeborn/Berlin und von Hilmer + Sattler/München. Der nachfolgende Bebauungsplan beruht auf dem „Münchner Ent- wurf“. Weitere Beiträge 19 30 · 47Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1947-1979 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 60er Jahre: Die Waldstadt-Feldlage war damals noch nicht bebaut. 1971 Wettbewerb Beiertheimer Feld: Jury-Sitzung 1974 Gutachterverfahren Marktplatz: Der nicht realisierte Beitrag von Prof. Gunnar Martinsson zeichnete sich aus durch einen roten Sandsteinbelag und Baumpflanzungen (Modellaufnahmen). · 48 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 1980-1999 Der 1981 jurierte städtebauliche Ideenwettbe- werb für das vormals von einer Brauerei genutz- te „Binding-Areal“ zwischen Karlstraße und Bei- ertheimer Allee führte zur Bebauung nach den Plänen von W. Weigert. Ein Jahr später folgte die Umgestaltung des Dragonerkasernen-Geländes als Wettbewerbsaufgabe, ebenfalls eine Konver- sion einer militärisch genutzten Fläche und ei- nem Gewerbeareal. Mit dem 1989 erfolgten Verfahren für den „Tech- nologiepark Vogelsand“ begann die gezielte An- siedlungspolitik für technologieorientierte Dienstleistungen in Karlsruhe. Das gebaute Ergebnis des 1990 durchgeführten Gutachterverfahrens „Ökologisches Bauen Ge- roldsäcker“ ist auch heute noch ein gelungenes Beispiel für gemeinschaftliches Wohnen unter ökologischen Gesichtspunkten. Auch für eine geplante Bundesgartenschau liefen zwei Wettbewerbe, der „Städtebauliche Ideen- wettbewerb Karlsruhe-Südost-Gottesaue“ 1992 (Erster Preis: Rossmann und Partner) und der Fol- gewettbewerb „Ideen- und Realisierungswettbe- werb Bundesgartenschau Karlsruhe 2001“ (1993). Nicht immer führen Wettbewerbe zur Realisie- rung der gefundenen Vorschläge. So nahm das Bauprojekt „Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Karlsruhe (ZKM)“ einen völlig anderen Verlauf als es mit dem 1986 veranstalteten Ide- enwettbewerb „Entwicklungsbereich Haupt- bahnhof-Süd“ und dem 1989 abgeschlossenen Realisierungswettbewerb ZKM begonnen hatte. 1994 beginnen nach einem abgeschlossenen Gutachterverfahren mit drei eingeladenen Pla- nungsbüros die Umbauarbeiten im Hallenbau A auf dem ehemaligen IWKA-Gelände. Die städtebauliche Planungen für Konversionen, der Umwandlung von großen Arealen der Bahn, des Militärs sowie der Industrie hatten mit Wett- bewerbsverfahren begonnen, so auch für den Al- ten Flugplatz. Die Ergebnisse des Wettbewerbs 1997 können wegen der später erfolgten natur- schutzrechtlichen Vorgaben aber nur in kleinem Umfang Verwendung finden. Die vom Karlsruher Schloss ausgehende Nord- Süd-Achse ist seit dem 18. Jahrhundert Anlass für städtebauliche Planungen. Der 1997 durchju- rierte Wettbewerb „via triumphalis 2022“ sollte zu Beiträgen für eine langfristige Leitvorstellung für die Innenstadtentwicklung führen. 1986 Ideenwettbewerb Entwicklungsbereich Hauptbahnhof, Entwurf Speer & Partner (1.Preis) 1989 Realisierungs- wettbewerb ZKM „Würfel“ Rem Koolhaas/OMA (1.Preis) 1992 Karlsruhe Südost: Entwurf Rossmann und Partner mit Karl Bauer und Hans Billinger Quellen: Stadtplanungsamt Karlsruhe: „Wettbewerb Alter Flugplatz“ Brücke Alb/Südtangente: Hilmer+Sattler, Foto, Atelier Kinold, 1970 alle übrigen Fotos Stadtplanungsamt Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1980-1999 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 19 30 · 49Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 1989 Technologiepark nach einem Ideenwettbewerb 1989, Preisträger M. Eltrich und K. Fehrenbach 1981 Bebauung Binding-Areal (Architekt Dietrich Weigert) Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 1980-1999 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 1997 Realisierungswettbewerb Konversion Alter Flugplatz. Entwurf Günter Telian (2.Preis) 1970 Straßenbahnbrücke Günther-Klotz-Anlage nach dem im Rahmen einer Mehrfachbeauftragung (1983/84) ausge- zeichneter Entwurf von Hilmer + Sattler/München 1996 Ideenwettbewerb: Vom Schlossplatz zum Kongresszentrum „via triumphalis“ 2022, Erster Preis Tobias Wulf und Partner · 50 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 2000-2011 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 2000 - 2011 Der Blick zurück zeigt, dass das Stadtplanungs- amt bzw. dessen Vorgänger selbst nahezu 40 städtebauliche Wettbewerbe ausgelobt und an- dere technischen Ämter der Stadtverwaltung bei weiteren konkurrierenden Verfahren begleitet bzw. unterstützt hat. Daneben sieht sich das Amt auch in der Pflicht, andere öffentliche Institutio- nen und private Bauherrn von den Vorteilen des Wettbewerbswesens zu überzeugen, zu beraten und mitzuwirken. Dies ist seit 1980 in über 60 Fällen erfolgt. Die Bemühungen in den letzten Jahren führten vor allem im innerstädtischen Wohnungsbau zu teilweise bemerkenswerten Er- gebnissen, in allen Fällen aber zur besseren Ar- chitektur als diese ohne Mehrfachbeauftragun- gen gebaut worden wäre. Im letzten Jahrzehnt bestimmten Themen wie Konversionen, Stadtumbau, Zukunft der Karlsru- her Innenstadt sowie die Gestaltung öffentlicher Räume den Städtebau in unserer Stadt. Dies spiegelt sich in den Aufgaben der Planungskon- kurrenzen wider. Der letzte große „Planungs- wettbewerb Kaiserstraße und Karl-Friedrich-Stra- ße“ (2010) reiht sich ein in eine Tradition von Verfahren über die Hauptachsen der Karlsruher Innenstadt. Die vollständige Umsetzung der prä- mierten Arbeit wird erst nach Fertigstellung der Kombilösung 2020 erlebbar sein. Aber auch Projekte für den Verkehr (Haltestellen U-Strab, Eisenbahnunterführung Schwarzwald- straße) und den Lärmschutz gewannen an Be- deutung (Fußgängerbrücken Rodbergweg, Was- serwerk, B 36, Lärmschutz Bulacher Kreuz). Neben den konventionellen Verfahren und Mehr- fachbeauftragungen gewannen Planungswerk- stätten als Planungskonkurrenzen einen festen Platz in der Verfahrenskultur. Gute und erfolgrei- che Beispiele dafür sind die Projekte Konversion Neureut (2002), Lohfeldsiedlung (2002), Schlachthof/Viehhof (2006) und Mehrgeneratio- nen-Wohnen Albgrün (2010). Konkurrierende Verfahren im Planungs- und Bau- wesen sind in Karlsruhe inzwischen ein nicht mehr weg zu denkender Baustein für die Stadt- baukultur. Quellen: Broschüren der einzelnen konkurrierenden Verfahren 2002 Planungswerkstatt Konversion Neureut Die ehemals militärisch genutzte Fläche von nahezu 50 ha sollte zivilen Nutzungen zugeführt werden: 600 Wohnun- gen einschließlich Infrastruktur, 16 ha Gewerbeflächen so- wie die Neuanlage von Sportflächen. Sieben ausgewählte Planungsbüros beschäftigten sich unter Einbeziehung der Konversionsgesellschaft, städtischer Ämter sowie des Neu- reuter Ortschaftsrates mit dieser Aufgabe. Das dänische Büro Tegnestuen Vandkunsten erarbeitete anschließend den städtebaulichen Rahmenplan und die Hochbauplanung für Cluster 1. 2002 Planungswerkstatt Lohfeldsiedlung Der Erhalt der Siedlung, ihre behutsame Weiterentwicklung sowie die Fortführung der Frühlingsstraße bis zur Gottes- auer Straße sind auf die von der Volkswohnung und vom Stadtplanungsamt getragenen Planungswerkstatt zurück- zuführen. Grundlage dafür war der Beitrag des Büros Gil- bert und Holzapfel. 2003 Städtebaulicher Realisierungs- wettbewerb Konversion Knielingen Das ehemalige Kasernengelände von 32 ha wird voraus- sichtlich 1.200 Menschen neuen Wohnraum und Wohnfol- geeinrichtungen bieten. Gewerbliche und gemischte Zonen bilden den Puffer zu den verbleibenden militärischen Anla- gen. Das Freiburger Büro Rosenstiel und faktorgrün liefer- ten eine sehr klare städtebauliche Struktur. 19 30 · 51Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Städtebaukultur durch Konkurrenz Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe 2000-2011 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 2009 Ideen- und Reali- sierungswettbewerb Bahnhofplatz Karlsruhe Die angestrebte Barrierefreiheit für den wichtigsten Umsteige- punkt des öffentlichen Nahver- kehrs in Karlsruhe wird essentielle Auswirkungen auf die Gestalt des westlichen Platzes und seine un- mittelbare Umgebung haben. So empfahl sich ein von den VBK und vom Stadtplanungsamt ausgelob- ter Wettbewerb, den terra.nova landschaftsarchitektur, München für sich entschied. 2010 Planungswettbewerb Kaiserstraße und Karl-Friedrich-Straße Die Realisierung der Kombilö- sung zieht die Umgestaltung des öffentlichen Raumes in der Innenstadt nach sich. 37 Büros lieferten Beiträge für den Ide- enteil und konkrete Vorschläge für Marktplatz, Europaplatz und Berliner Platz. Das mit dem ersten Preis ausgezeichnete Büro Mettler Landschaftsplanung, Berlin und der Kooperationspartner AV1 Ar- chitekten, Kaiserslautern wurden mit der weiteren Planung betraut. 2005 Konkurrierendes Entwurfsverfahren Haltestellengestaltung Kombilösung Von 97 Bewerbungen wurden zehn zur Teilnahme zugelassen, um Entwürfe für insgesamt sie- ben Haltepunkte der U-Strab einschließlich der Abgänge zu liefern. Die Arbeitsgemeinschaft der Architekten Allmann, Sattler und Wappner, München mit Ingo Maurer (Licht) und Allmann & Raithel (Kommunikationsdesign) gingen als Gewinner der Konkur- renz hervor. · 52 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadtplanung Karlsruhe Konkurrierende Entwurfsverfahren 1904-1936 1904 Wettbewerb zur Erlangung eines zweckmäßigen Ortsbauplans für die wichtigsten Stadterweiterungsgebiete 1911 Wettbewerb zur „Gestaltung des Bahnhofplatzes Karlsruhe“ 1912 Wettbewerb „Ettlinger-Tor-Platz“ 1923 Wettbewerb Albsiedlung 1924 Gutachten Ettlinger-Tor-Platz Bebauung 1928 Wettbewerb „Bebauung Bahnhofstraße“ 1928 Wettbewerb „Siedlungsprojekt Dammer- stock“ 1930 Wettbewerb „Bebauung Gottesauer Exerzierplatz“ 1936 „Daxlanden-Süd: Preisausschreiben zur Erlangung eines Aufteilungsplanes und von Entwürfen für Einfamilien-, Zweifamilien-, Ein-und Zweifamilien= Doppelhäuser, sowie Einfamilienreihen- häuser“ Stadtplanungsamt Karlsruhe Konkurrierende Entwurfsverfahren 1947 - 2010 Durchführung der Verfahren durch das Stadtplanungsamt (z. T. in Zusammenarbeit mit anderen städtischen Ämtern): 1947 Ideenwettbewerb Kaiserstraße 1953 Wettbewerb Mühlburger Feld 1956 Städtebaulicher Ideen- und Bauwettbe- werb Waldstadt 1970 Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb Karlsruhe (Altstadt) 1971 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Albgrün“ 1973 Städtebauliches Gutachten „Umgestal- tung Marktplatz-Kaiserstraße-Hauptpost 1974 Planungsgutachten „Nordoststadt“ 1981 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Bindingareal“ 1982 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Dragonerkaserne“ 1984 Wettbewerb „Straßenbahnbrücke Oberreut“ 1984 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Schloss Gottesaue“ 1985 Wettbewerb „Grünzug Hildapromenade“ 1986 Ideenwettbewerb „Entwicklungsbereich Hauptbahnhof“ 1986 Wettbewerb „Fußgängerbrücke Veilchenstraße“ 1986 Bahnsteigüberdachung Albtalbahnhof 1987 Ideen- und Realisierungswettbe- werb „Außenanlagen Karlsburg“ 1988 Wettbewerb „ZKM am Hauptbahnhof-Süd“ 1988 Ideen-u. Realisierungswettbewerb „Außenanlagen Karlsburg“ 1989 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Technologiepark Vogelsand“ 1990 Mehrfachbeauftragung Planungsgutachten „Ökologisches Bauen Geroldsäcker 1991 Mehrfachbeauftragung Kaiserstraße 1991 Mehrfachbeauftragung Neugestaltung Grünzug Südstadt 1991 Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Karlsruhe Südost-Gottesaue (Bundesgartenschau 2001) 1996 Mehrfachbeauftragung Amerikanersied- lung/Nordstadt 1996 Wettbewerb „Via Triumphalis“ 1997 Wettbewerb „Alter Flugplatz“ 1998 Wettbewerb „Stephan-/Europaplatz“ 1998 Wettbewerb „Kostengünstige Reihen- häuser“ 1998 Wettbewerb „Empfangsgebäude Hauptbahnhof Süd“ 2000 Mehrfachbeauftragung „Fahrradstation am Hauptbahnhof„ 2000 Mehrfachbeauftragung „Fußgängerbrücke Rodbergweg“ 2002 Wettbewerb „Abgang zum Landgraben“ für junge Architekten 2002 Planungswerkstatt „Lohfeldsiedlung“ 2002 Planungswerkstatt „City 2015 - Visionen zur Karlsruher Innenstadt“ 2002 Mehrfachbeauftragung „Wasserwerkbrücke“ 2002 Planungswerkstatt „Konversion Neureut“ 2004 Wettbewerb „Konversion Knielingen“ 2004 Mehrfachbeauftragung „KombiLösung – Haltestellengestaltung“ 2005 Mehrfachbeauftragung „Eisenbahnüber- führung Schwarzwaldstraße“ 2005 Mehrfachbeauftragung „Zentrum Grünwinkel“ 2005 Wettbewerb „Lärmschutzanlagen am Bulacher Kreuz“ 2005 Mehrfachbeauftragung „Unterführung Kriegstraße/Hirschstraße“ 2006 Mehrfachbeauftragung „Geh- und Rad- wegbrücke über B 36“ 2006 Planungswerkstatt „Schlachthof/Viehhof“ 2007 Mehrfachbeauftragung „Neuordnung Walther-Rathenau-Platz“ 2007 Zweiphasiger Wettbewerb „Zoologischer Stadtgarten“ 2008 Ideen- und Realisierungswettbewerb „Bahnhofplatz Karlsruhe“ 2009 Planungswerkstatt „Mehrgene- rationen-Wohnen am Albgrün 2010 Planungswettbewerb „Kaiserstraße und Karl-Friedrich-Straße“ Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Übersicht 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 19 30 · 53Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 2008 Mehrfachbeauftragung Festplatz Daxlanden 2008 Mehrfachbeauftragung Areal Eislaufhalle Neureut 2008 Mehrfachbeauftragung „Kirchfeld-Nord Cluster 2“ 2008 Mehrfachbeauftragung „Kirchfeld-Nord Cluster 8“ 2009 Mehrfachbeauftragung „Kirchfeld-Nord Cluster 4+5“ 2009 Mehrfachbeauftragung „Wasserwerk Kastenwörth“ 2009 Mehrfachbeauftragung „Hochhaus Carl- Metz-Straße“ 2009 Gutachterverfahren EnBW - Standorter- weiterung Karlsruhe 2010 Mehrfachbeauftragung „Konversion Knie- lingen Baufelder D2/E3/E4 2010 Mehrfachbeauftragung „Karlsruhe Südost Baufeld 15 + 19“ 2010 Zweiphasiger Wettbewerb „Neubau Hauptfeuerwache und Leitstelle“ 2010 Mehrfachbeauftragung „Sonnenstraße 7-9“ 2011 Mehrfachbeauftragung „Karlsruhe Südost, Baufeld 24“ 2011 Mehrfachbeauftragung „Neues Wohnen in Rintheim“ Vom Stadtplanungsamt Karlsruhe initiierte bzw. begleitete Verfahren 1980 - 2011 1980 Katholisches Gemeindezentrum St. Judas Thaddäus Neureut 1983 Wettbewerb „Friedhof Nordwest“ 1984 Ideen- und Realisierungswettbewerb „Quartier Weiherhof“ 1986 Wettbewerb „Bundesanstalt für Ernährung“ 1986 Neubau Volksbank Durlach 1987 Katholisches Gemeindezentrum Christ-König Rüppurr 1987 Wettbewerb „Feuerwehrgerätehaus Hagsfeld“ 1988 Seewiesenäcker Rüppurr 1988 L’Oréal Kronenplatz 1988 Altenhilfezentrum/Studentisches Wohnen Waldstadt-Feldlage 1989 Lärmschutz A5 Karlsruhe/Ettlingen 1989 Wettbewerb „Zentralinstitut für Bild- gebende Diagnostik (ZIBID)“ 1990 Realisierungswettbewerb Neubau Arbeitsamt 1990 Realisierungswettbewerb Innovations- zentrum Karlsruhe IZKA 1991 Wettbewerb „Gewerbeschule Durlach“ 1992 Wettbewerb „Verwaltungsgebäude auf dem ehemaligen Opelgelände“ 1993 Ideen- und Realisierungswettbewerb „Bundesgartenschau 2001“ 1993 Mehrfachbeauftragung „Röserhaus am Mendelssohnplatz“ 1994 Stadtteilfriedhof Oberreut 1994 Mehrfachbeauftragung „Grünzug ZKM“ 1995 Wettbewerb „Wohnungsbau auf dem ehemaligen Opelgelände“ 1995 Wettbewerb Neubau der IHK, Erbprinzenstraße“ 1998 Wettbewerb „Kongresshotel am Festplatz“ 1998 Wettbewerb „Kostengünstige Reihen- häuser Friedrich-Blos-Straße“ 1999 Wettbewerb „Stadtteilfriedhof Grünwinkel, Daxlanden“ 2000 Realisierungswettbewerb „Neue Messe“ 2000 Mehrfachbeauftragung „Haltestellen Nordstadtbahn“ 2000 Mehrfachbeauftragung „Handels- und Dienstleistungszentrum am Ettlinger Tor“ 2000 Mehrfachbeauftragung „Altenbetreutes Wohnen an der Rüppurrer Straße“ 2000 Realisierungswettbewerb „Wohnungsbau ‚Im Blumenwinkel‘, Durlach“ 2000 Mehrfachbeauftragung Festplatz 2001 Realisierungswettbewerb „Neues Frei- zeitbad Karlsruhe“ 2002 Realisierungswettbewerb „Erweiterung Bundesverfassungsgericht“ 2002 Planungswerkstatt „Lohfeldsiedlung“ 2004 Realisierungswettbewerb „Schlossplatz 21“ 2004 Mehrfachbeauftragung „Gemeindezen- trum Laurentius Gemeinde Hagsfeld“ 2004 Mehrfachbeauftragung KombiLösung U-Strab-Haltestellen 2005 Mehrfachbeauftragung „Seniorenzen- trum Wettersbach“ 2006 Mehrfachbeauftragung „Projekt HTP“ Ecke Kapellen-/Kriegsstraße 2007 Mehrfachbeauftragung „Kaiserkarree“, Volksbankgebäude Marktplatz 2007 Mehrfachbeauftragung „Baden Carré“ Opel-Gelände 2007 Mehrfachbeauftragung Gestaltung RHDKW Block 8 2007 Mehrfachbeauftragung VBK Albtalbahnhof 2008 Realisierungswettbewerb Infopavillon Kombilösung am Ettlinger Tor 2008 Mehrfachbeauftragung „Bebauung Herrenalber Straße, Gartenstadt“ 2008 Mehrfachbeauftragung „Theodor-Rehbock-Straße“ 2008 Mehrfachbeauftragung Campus Studen- tenwohnen Degenfeld-/Gottesauer Straße Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Übersicht 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 19 30 · 54 Stadtbauforum im Ständehaus · 75 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 Stadtplanung Karlsruhe 2011 ff Stadt neu sehen: räumlich, klimatisch, energetisch, multimodal. 19 30 19 40 19 50 19 60 19 70 19 80 19 90 20 00 20 10 Ausblick Die Themenvielfalt und die Leitthemen innerhalb der Disziplin Stadtplanung wandeln sich im Laufe der Jahrzehnte. So bestimmen Klimaanpassung, kreative Ökonomie, heterogene Wohnformen, Multimodalität im Mobilitätsverhalten und die öffentlichen Räume die Aktivitäten der kommen- den Jahre. Leitlinien für den planerischen Alltag sind: · Nachverdichten - aber wie · Umnutzen - aber intelligent · Sich bewegen - aber multimodal öffentliche Räume gestalten - für wen? Gute Information und Einbindung der Betroffe- nen bestimmen Stadtplanung als Prozess. 1976 Lutz Wolf (*1943 +1997) Radierung/Nachdruck 1992 Bildmotiv der Urkunde zur „Weinbrennerplakette“ Quellen: Stadtplanungsamt „Stadtplanung in Karlsruhe“ Radierung, Nachdruck für Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt GEWERBEGEBIET GOTTESAUER FELD BEBAUUNGSPLAN ALTER FLUGPLATZ OST STADTERNEUERUNG RINTHEIM ENTWICKLUNG INNERE STADT Soziale Stadt Innenenstadt-West Sanierung City-West Fächergrundriss Transformation Bürobauten Gestaltung Kaiserstraße und Karl-Friedrich-Straße Bebauungsplan Kaiserstraße Gestaltungssatzung ENTWICKLUNGS- BAND VIA TRIUMPHALIS Marktplatz Karl-Friedrich-Straße Ettlinger Tor / Kriegsstraße Erweiterung Staatstheater Festplatz Bahnhofplatz Hauptbahnhof-Süd ENTWICKLUNGSBAND DURLACHER ALLEE Durlacher Tor Platz Schlachthof Messplatz DB-Fläche Untermühl Stadteinfahrt Ost ‘SOZIALE STADT‘ MÜHLBURG BEBAUUNGSPLÄNE HANGGEBIET INTEGRIERTES WOHNEN KÖNIGSBERGER STRASSE 37 BEBAUUNGSPLAN SÄUTERICH BEBAUUNGSPLAN ZENTRUM FÜR INTEGRIERTES WOHNEN NEUORDNUNG STUTTGARTER STR. Städtebauliche Konzepte, Pläne und Projekte 2011 ff RÄUMLICHES LEITBILD UMSETZUNG LICHTPLAN FAHRRADSTADT KARLSRUHE RAHMENPLAN KLIMAANPASSUNG VERKEHRSENTWICKLUNGSPLAN, MULTIMODALES KARLSRUHE FORTSCHREIBUNG FLÄCHENNUTZUNGSPLAN, NACHBARSCHAFTSVERBAND KARLSRUHE 5575 Jahre Stadtplanungsamt, 2011 · 1936 – 2011 Ausstellung im ‚Architekturschaufenster‘ 11. – 26. Januar 2012 Mo – Do, 9 – 12 Uhr, 14 - 16 Uhr, Fr 9 – 12 Uhr 16., 17. und 19. Januar ist die Ausstellung wegen einer Seminarveranstaltung nicht öffentlich zugänglich www.architekturschaufenster.de Vorträge im ‚Architekturschaufenster‘: 10. Januar 2012 · 19 Uhr, »Stadtplanung im 20. Jahrhundert« Carl Peter Pfl ästerer und Karlsruhes Stadtmitte. Isabelle Dupont MA 12. Januar 2012 · 19 Uhr, »Zwei Wirklichkeiten. Zwischen strategischen Planungen und Kirchturmdenken« Aus dem Alltag Städtebau und Stadtplanung. Prof. Markus Neppl, astoc architects and planners, Köln 26. Januar 2012, 19 Uhr, »Stadtplanung und Politik« Alltägliches und Besonderes aus der kommunalen Werkstatt Stadtplanungsamt. Dr.-Ing. Harald Ringler, Stadtplanungsamt Karlsruhe
https://www.karlsruhe.de/b3/bauen/publikationen/75_jahre_stpla/HF_sections/content/ZZl89j0mQVFkoJ/ZZl89jyZXMfUTt/75jahre_Stpla%20Teil1.pdf
1 Das P rogra mm. 2014 15. bis 30. März 2014 2 Impressum Gesamtkoordination: Stadt Karlsruhe, Kulturamt - Kulturbüro Projektplanung: Christoph Rapp Mitarbeit: Aliz Müller, Denise Heinrich, Frieda Olfert , Jasmin Schönherr Öffentlichkeitsarbeit/ Internet: Ariadne MedienAgentur www.ariadne-medienagentur.de Gestaltung, Layout, Gesamtproduktion: Ariadne MedienAgentur Presse: Ariadne MedienAgentur Petra Stutz Bildrechte Wir weisen daraufhin, dass während der Veranstaltungen in den Karlsruher Wochen gegen Ras- sismus Bild-/Ton- und Filmaufnahmen gemacht und in den Medien veröffentlich werden können. Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzu- ordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtenden Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zur verwehren oder von dieser auszuschließen. www.wochen-gegen-rassismus-karlsruhe.de Karlsruher Wochen gegen Rassismus 3 4 Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Karlsruhe Dr. Frank Mentrup Grußwort Oberbürgermeister Dr. Frank Men- trup für das Programmheft für die zweiten Karlsruher Wochen gegen Rassismus vom 15. bis 30. März 2014 Karlsruhe ist seit seiner Gründung 1715 eine ständig wachsende Stadt - dies ist den vielen Menschen zu verdanken, die aus der näheren und weiteren Umgebung oder auch aus dem Ausland hierher gezogen sind und immer noch ziehen. So ist es nicht verwunderlich, dass heute die Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwoh- ner Karlsruhes nicht in Karlsruhe geboren sind und etwa jeder Vierte einen Migrationshinter- grund hat. Bereits in seiner frühen Geschichte war Karlsruhe Heimstatt für Menschen unter- schiedlicher nationaler, ethnischer, kultureller, religiöser und sozialer Zugehörigkeiten und gewährte ihnen - im jeweiligen zeitgeschicht- lichen Maßstab gesehen - vergleichsweise li- berale Rechte und Freiheiten. Gerade auch im Kontext dieser Traditionen und ihrer völligen Verkehrung in der Zeit der nationalsozialis- tischen Willkürherrschaft ist es der Stadt heute ein wichtiges Anliegen, allen Menschen in Karls- ruhe ein Leben in Würde, Sicherheit und Ge- rechtigkeit zu ermöglichen. Und hier schließe ich diejenigen ein, die sich - wie die Flüchtlinge in der LEA und ihren Außenstellen - nur auf Zeit in Karlsruhe aufhalten. Karlsruhe als Residenz des Rechts und Stadt der Grund- und Menschenrechte setzt sich mit großer Überzeugung gegen Rassismus, Diskri- minierung und Fremdenfeindlichkeit ein. Wir stehen hier in einer besonderen Verantwortung, der Stadt und Zivilgesellschaft aber gerne und mit Überzeugung gerecht werden. Dies wurde besonders sichtbar, als sich die Stadtgemein- schaft am 25. Mai 2013 unter dem Motto 5 „Karlsruhe zeigt Flagge“ geschlossen gegen menschenfeindliches Gedankengut einsetzte. Doch das Ereignis macht auch sichtbar, dass es leider noch immer in Deutschland und auch hier in unserer Stadt demokratiefeindliche und ras- sistische Kräfte gibt, denen es entgegenzutre- ten gilt. Nicht immer zeigt sich rassistisches und fremdenfeindliches Gedankengut jedoch so offensichtlich wie bei dem Aufmarsch im Mai. Seit 2007 ist Karlsruhe aktives Mitglied der europäischen Städtekoalition gegen Rassismus. Der dort entwickelte 10-Punkte-Aktionsplan bietet auf kommunaler Ebene eine Handlungs- anleitung zur Bekämpfung von Diskriminierung an. Als Mitglied der Städte-Koalition ist die Fä- cherstadt eingebettet in eine weltweite Familie von Städten, die sich gemeinsam für einen wir- kungsvollen Kampf gegen Rassismus, Diskrimi- nierung und Fremdenfeindlichkeit einsetzt. Teil dieser Arbeit ist die Ausrichtung von Internatio- nalen Wochen gegen Rassismus. Nachdem Karlsruhe sich 2013 zum ersten Mal mit erfreulich großem Erfolg und einem bunten Veranstaltungsreigen an den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ beteiligt hat, finden nun vom 15. bis 30. März 2014 die zweiten Karlsruher Wochen gegen Rassismus statt. Die Wochen gegen Rassismus setzen sich in Vorträgen und Diskussionen mit rechtsextre- men Denkweisen und Handlungen sowie All- tagsrassismus auseinander und haben zum Ziel, Ressentiments, Vorurteile und Stereotype zu hinterfragen. Den Teilnehmenden wird die Möglichkeit geboten werden, eigenes Denken und Handeln zu reflektieren. Betroffenen von Rassismus soll ein zwangloses, offenes Forum geboten werden, um ihre Erfahrungen und An- liegen zu thematisieren und einer breiten Öf- fentlichkeit bekannt zu machen. Lokale Akteure der Anti-Rassismusarbeit stellen ihre Arbeit vor und zeigen interessierten Bürgerinnen und Bür- gern Möglichkeiten des Engagements auf. Im Kabarett und Theater, in Filmen und Konzerten wird Rassismus auf nachdenkliche, kritische und auch humoristische Weise behandelt und aufgearbeitet. Die Fülle an unterschiedlichen Veranstaltungsformen bietet Menschen un- terschiedlichen Alters eine bunte Auswahl an interessanten Aktivitäten. Außerdem werden Zeiträume und Orte des Miteinanders und Ken- nenlernens angeboten. Ich bedanke mich herzlich bei allen Beteiligten für ihr großes Engagement und wünsche den zweiten Karlsruher Wochen gegen Rassismus einen regen Zuspruch und nachhaltige Wir- kungen. 6 13. März DONNERSTAG >> Vortrag von Eren Güvercin: „Rassis- mus ist kein typisch deutsches Problem“ Zeit: 18.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Eintritt frei 14. März FREITAG >> Ausstellungsführung: „Verführbarkeit zur Gewalt“ Zeit: 16 Uhr - 17 Uhr Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt Eintritt und Führung frei 15. März SAMSTAG >> „Das reizvolle Fremde in der Kunst“ - Führung durch die Kunsthalle Zeit: 15 Uhr Ort: Hauptgebäude der Kunsthalle, Hans-Thoma-Straße 2-6, KA-Innenstadt Eintritt: 8 €, ermäßigt 6 €, zzgl. Füh- rungsgebühr 2 € pro Person >> Das Projekt Tasse Tee: „Antiziganis- mus als Fluchtgrund“ Zeit: 15.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt, Dachgeschoss Eintritt frei >> Ausstellungsführung: „global aCtI- VISm“ und „Kata Legrady. Smart Pistols“ Zeit: 16.30 Uhr - 17.30 Uhr Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt Eintritt: Führung 2 € + Museumsein- tritt >> Eröffnung der Wochen gegen Rassismus durch Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, Grußwort v o n Britta Graupner, Projektreferentin der INTER- NATIONALEN WOCHEN GEGEN RASSISMUS beim „Interkulturellen Rat in Deutschland“ in Darmstadt und Eröff- nungsvortrag von Hadija Haruna, Journalistin und Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutsch- land e.V.: Zeit: 18 Uhr Ort: Rathaus, Marktplatz, KA-Innenstadt, Bürgersaal Eintritt frei >> Filmvorführung: „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ Epizoda U Zivotu Ber- aca Zeljeza Zeit: 19 Uhr Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: Eintritt: 6.- € / 4.50 € ermä- ßigt 16. März SONNTAG >> Lesung: Izvan sistema / Außerhalb des Systems Zeit: 11 Uhr und 13 Uhr Ort: PREVIEW.SÜD Atelier | Galerie, Schützenstraße 37, KA-Südstadt Eintritt frei >> Fußballturnier „Kicken gegen Rassis- mus“ Nähere Infos und Anmeldung bei Mecnun Ölmez (Mail: mecnun62@hotmail.de, Tel: 0157/71418061) Zeit: 11 Uhr Ort: Sporthalle 1, Unterfeldstraße 6, KA- Neureut Teilnahme frei >> Ausstellungsführung: „global aCtI- VISm“ und „Kata Legrady. Smart Pistols“ Zeit: 11.30 Uhr - 12.30 Uhr Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt Eintritt: Führung 2 € + Museumsein- tritt >> Einblicke: „Freundschaft statt Rassis- mus“ Zeit: 16.30 Uhr - 18 Uhr Ort: JuZe der Jugendkirche Karlsruhe, Hermann-Billing-Str. 11, KA-Südweststadt 7 Eintritt frei >> Vortrag und Yogastunde: „Erkenne: Der andere bist du!“ Zeit: 19 Uhr (Vortrag), 19.30 Uhr (Yo- ga-Stunde) Ort: Sangat – Raum für Yoga und Klang, Gartenstraße 72, KA-Südweststadt Eintritt frei >> Begegnungsabend zu Fluchtursa- chen: „Warum wir hier sind“ Zeit: 19 Uhr Ort: Gemeinschaftsunterkunft Kutschen- weg, Verwaltungsgebäude, Kutschenweg 30, Rheinstetten- Forchheim (Silberstreifen) Eintritt frei 17. März MONTAG >> Muslimische Frauen laden Frauen zum Gespräch ein Zeit: 10 Uhr - 12 Uhr Ort: Stadtteilbüro Oststadt, Gottesauer- str. 3, KA-Oststadt Eintritt frei >> Workshop: Diskriminierung im Night- life / reloaded Zeit: 15 Uhr - 17 Uhr Ort: Gasthaus Marktlücke, Marktplatz, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Lesung: „Die größte Sehenswürdig- keit die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an“ (Kurt Tucholsky) Zeit: 16.30 Uhr - 18 Uhr Ort: Café Palaver, Gewerbehof, Steinstraße 23, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Vortrag von Ellen Esen: „Mitläufe- rinnen und Macherinnen - Mädchen und Frauen in der extremen Rechten“ Zeit: 19 Uhr, Einlass ab 18.30 Uhr Ort: Museum für Literatur am Oberrhein, Prinz-Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innen- stadt Eintritt frei >> Vortrag von Astrid Messerschmidt: „Der Wunsch unschuldig zu sein - Rassismus in der Demokratie“ Zeit: 20 Uhr Ort: Menschenrechtszentrum, Alter Schlachthof 59, KA-Oststadt Eintritt frei Anmeldungen erwünscht unter info@ freundeskreis-asyl.de >> Theatrale Aktion im öffentlichen Raum Zeit: 20 Uhr Ort: Kronenplatz >> Konzert Gregor McEwan Zeit: 20.30 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Kleiner Saal Eintritt: 11€ (VK), 12€ (AK) 18. März DIENSTAG >> Mobi: Spielerische Begegnungen Zeit: 14 Uhr - 17 Uhr Ort: NCO-Club, Delawarestraße 21, KA-Nordstadt Teilnahme kostenlos >> Kindertheater: „Woanders ist es im- mer anders“ Zeit: 15 Uhr Ort: Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Eintritt frei >> Abendgespräch für Frauen: „Barm- herzigkeit“ im Christentum und im Islam. Um- gang mit Menschen in schwierigen Lebenssitu- ationen aus theologischer und praktischer Sicht. Zeit: 18 Uhr - 20 Uhr Ort: Herz-Jesu-Stift, Gellertstr. 41, KA-Mühlburg Eintritt frei >> Vortrag von Kurt Möller: „Das Ländle – die ’Insel der Seligen’? Rechtsextremismus in 8 Baden- Württemberg. Erscheinungsweisen, Ursachen und Gegenstrategien“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Großer Saal Eintritt frei >> Konzert: New Model Army – „ Bet- ween Dog and Wolf”-Tour 2014 Zeit: 20 Uhr Ort: Substage, Alter Schlachthof 19, KA-Oststadt Eintritt: 28,60 € (VK), 32 € (AK) >> Filmvorführung: „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ Zeit: 21.15 Uhr Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: Eintritt: 6.- € / 4.50 € ermä- ßigt 19. März MITTWOCH >> MOBI: Spielerische Begegnungen Zeit: 14 Uhr - 17 Uhr Ort: NCO-Club, Delawarestraße 21, KA-Nordstadt >> Training: „Bewusst Weiß sein“ Zeit: 9 - 16.30 Uhr (Mittwoch) 9 - 15.30 Uhr (Donnerstag)Teilneh- merzahl: min. 10, max. 18 Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Kosten: 60,- € / ermäßigt 40,- € Anmeldung bei: Stoffwechsel e.V. >> Vorleserunde für Kinder: „Das kleine Krokodil und die große Liebe“ nach einem Kin- derbuch von Daniela Kulot Zeit: 15 Uhr Ort: Stadtteilbibliothek Neureut, Badner- landhalle, Rubensstraße 21, KA-Neureut Eintritt frei >> Vortrag von Stefan Luft mit anschlie- ßender Diskussion: „Herausforderungen euro- päischer Grenzpolitik“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Theater: „Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner“ Zeit: 20 Uhr Ort: Badisches Staatstheater, Baumeister- straße 11, KA-Südstadt, Studio Eintritt: 13 € / erm. 7 € >> Senay Duzcu: „Ich bleib dann mal hier!“ - Ethno Stand-Up Comedy ohne Kopftuch auf der Bühne Zeit: 20.30 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Großer Saal Eintritt: 16,50 € (VK), 18 € (AK) >> Vortrag: Psychologische Aspekte von Vorurteilen aus transkultureller Sicht Zeit: 19.30 Uhr Ort: Bahai-Zentrum, Amalienstraße 30, KA-Innenstadt Eintritt frei 20. März DONNERSTAG >> MOBI: Spielerische Begegnungen Zeit: 13 Uhr - 16 Uhr Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Mühlburg, Fliederplatz 1, KA-Mühlburg >> Vorleserunde für Kinder: „Irgend- wie Anders“ nach dem Bilderbuch von Kathryn Cave Film- und Vortragsabend: „Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt.“ Zeit: 19 Uhr Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6 € 4,50 / € ermäßigt (für Mitglieder der Kinemathek:) >> Film „Kriegerin“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: Landesmedienzentrum, Moltkestraße 64, KA-Weststadt Eintritt frei 9 >> Vortrag von Christoph Ruf: „Grup- penbezogene Menschenfeindlichkeit im Fuß- ball“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: Kinder- und Jugendtreff Südstadt, Augartenstraße 21, KA-Südstadt Eintritt frei >> Ökumenisches Nachtgebet gegen Rassismus: „Aufstand im Paradies - Südafrikas Farmarbeiter kämpfen für ein besseres Leben.“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: Stadtkirche, Marktplatz, KA-Innen- stadt Eintritt frei - um eine Spende zur Un- terstützung der Gastmusiker wird gebeten. 21. März FREITAG >> Performance zum Themenkomplex Identität anlässlich der Zweiten Karlsruher Wo- chen gegen Rassismus Zeit: 12 Uhr - 12.21 Uhr Ort: Platz der Grundrechte, Karl-Fried- rich-Straße, zwischen Zirkel und Schlossplatz, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Freitagsgebet am KIT Zeit: 13.15 Uhr Ort: AKK-Stadion, Gebäude 30.81, Paul- ckeplatz 1, KA-Innenstadt Eintritt frei >> MOBI: Spielerische Begegnungen Zeit: 13 Uhr - 16 Uhr Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Mühlburg, Fliederplatz 1, KA-Mühlburg >> Ausstellungsführung: „global aCtI- VISm“ Zeit: 16 Uhr - 17 Uhr Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt Eintritt frei, Führung 2 € >> Trommeln und Kochen mit AJUMI Zeit: 17 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Anmeldung beim ibz unter Tel. 0721/89333710 oder info@ibz-karlsruhe.de >> Filmvorführung: „My Dog Killer“ Zeit: 19 Uhr Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6.- € / 4.50 € ermäßigt >> Demokratieförderung und Bekämp- fung von gruppenbezogener Menschenfeind- lichkeit an Schulen: Das Netzwerk für Demokratie und Courage Baden-Württemberg (NDC) stellt seine Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus vor Zeit: 19 Uhr Ort: DGB-Haus, Ettlinger Straße 3a, KA-Südstadt, Großer Saal Eintritt frei >> Vortrag von Tarek Badawia: „Vor- urteile und gruppenbezogene Menschenfeind- lichkeit bei deutschen Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ Zeit: 20 Uhr Ort: Deutschsprachiger Muslimkreis Karls- ruhe e.V., Rintheimer Straße 15, KA-Oststadt Eintritt frei >> Lesung und Musik: „Tedd a kezed - Leg deine Hand - und suche nach dem Wun- der“ Zeit: 20 Uhr - 21.30 Uhr Ort: PREVIEW.SÜD Atelier | Galerie, Schützenstraße 37, KA-Südstadt Eintritt frei >> Theater: „Hans & Hasan” Zeit: 20.30 Uhr Ort: Sandkorn-Theater, Kaiserallee 11, KA-Weststadt Eintritt: Theatereintritt 22. März SAMSTAG >> Streetdance-Wettbewerb The Show Zeit: 15 Uhr, Einlass ab 14 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt 10 Eintritt: 2 € >> Das Projekt Tasse Tee: „Antiziganis- mus als Fluchtgrund“ Zeit: 15.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt, Großer Saal >> „Schwarz schmeckt! Tunesischer Kaf- fee, spanisches Dinner“ Zeit: 19 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Filmvorführung: „My Dog Killer“ Zeit: 19 Uhr Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6.- € / 4.50 € ermäßigt (für Mitglieder der Kinemathek Karlsruhe) >> Vortrag: Stefan Schmidt Zeit: 20 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Festival gegen Rassismus mit den Rockbands BENDER, MESS UP YOUR DNA, EXI- LITY, URRUTIA und KEITH HAWKINS Zeit: 19.30 Uhr, Einlass ab 19 Uhr Ort: Substage, Alter Schlachthof 19, KA-Oststadt Eintritt: 5 € (AK) >> Konzert: Bergitta Victor Zeit: 20 Uhr Ort: Kulturzentrum Tempel e.V., Hardt- straße 37a, KA-Mühlburg, Scenario Halle Eintritt: 14 € (AK)_ 23. März SONNTAG >> Gottesdienst: „Jeder ist Ausländer - fast überall“ Zeit: 10 Uhr Ort: Evangelische Stadtkirche Durlach, Am Zwinger 5, KA-Durlach >> Lesung: „Die größte Sehenswürdig- keit die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an“ (Kurt Tucholsky) Zeit: 11 Uhr Ort: Kaffeehaus Schmidt, Kaiserallee 69, KA-Weststadt Teilnahme kostenlos >> Interkulturelles Festival „Die Welt blüht“ Zeit: 11 Uhr - 16.30 Uhr Ort: Studentenhaus, Adenauerring 7, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Infoveranstaltung mit Yücel Özdemir zum NSU-Prozess Zeit: 15 Uhr Ort: Menschenrechtszentrum, Alter Schlachthof 59, KA-Oststadt Eintritt frei >> Streetdance-Wettbewerb: The Show >> Christlich-Islamisches Friedensgebet Zeit: 17.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt, Großer Saal Teilnahme kostenlos >> Vortrag von Lamya Kaddor: „So fremd und doch so nah. Juden und Muslime in Deutschland“ Zeit: 19 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> „Hoffnung teilen“ – Ökumenischer Gottesdienst in der ZKM-Ausstellung „global aCtIVISm“ Zeit: 18.30 Uhr Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt Eintritt frei 24. März MONTAG >> Kalligraphie-Workshop: Frauen fertigen Plakate gegen Rassismus in verschie- denen Sprachen an. 11 Zeit: 10 Uhr - 12 Uhr Ort: Stadtteilbüro Oststadt, Gottesauer- straße 3, KA-Oststadt Eintritt: frei (evtl. Materialkosten) >> AMARO KHER- Schüler_innen und andere junge Menschen leben NACHHALTIGE SOLIDARITÄT Zeit: 19.30 Uhr Ort: Freie Waldorfschule, Neisser Straße 2, KA-Waldstadt Eintritt frei - Um Spenden für das Projekt wird gebeten >> Workshop: Schau Hin in Karlsruhe - Alltagsrassismus und Diskriminierung und wie man sich dagegen wehren kann. Zeit: 19 Uhr Ort: Badisches Staatstheater, Baumeister- straße 11, KA-Südstadt, Foyer Eintritt frei 25. März DIENSTAG >> MOBI: Spielerische Begegnungen Zeit: 13 Uhr - 16 Uhr Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Lohn-Lissen auf der Drachenwiese, Ellmendin- ger Straße 1, KA-Durlach-Aue >> Vortrag mit Diskussion von Klaus Fa- rin: „Über die Jugend und ande Krankheiten“ Zeit: 19.30 Uhr, Einlass ab 18:30 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Jubez-Café Eintritt: 5 € (VK), 7 € (AK) >> Filmvorführung: „Ertrunken vor mei- nen Augen“ Zeit: 19 Uhr Ort: Hochschule für Gestaltung, Lorenz- straße 15, KA-Südweststadt Eintritt frei >> Podiumsgespräch: „Schlüsselfrage! - Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Lesung Theodor Michael: „Deutsch sein und schwarz dazu“ - Erinnerungen eines Afro-Deutschen Zeit: 19.30 Uhr Ort: Stadtbibliothek, Ständehausstraße 2, KA-Innenstadt, Lese-Café >> Filmvorführung: „My Dog Killer“ Zeit: 21.15 Uhr Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6.- € / 4.50 € ermäßigt 26. März MITTWOCH >> Theater: „Roma Romeo und Sinti Carmen“ Zeit: 11 Uhr Ort: Insel, Karlstraße 49, KA-Südwest- stadt Eintritt: 12 €, erm. 7 €, 6 € für Schu- len >> MOBI: Spielerische Begegnungen Zeit: 13 Uhr - 16 Uhr Ort: vor dem Kinder- und Ju- gendtreff Lohn-Lissen auf der Drachenwiese, Ellmendinger Straße 1, KA- Durlach-Aue >> Führung durch die Ausstellung: „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht. Gewerkschafter in Kon- zentrationslagern 1933 – 1945“ Zeit: 18 Uhr Ort: Erinnerungsstätte Ständehaus, Neues Ständehaus, Ständehausstraße 2, KA-Innen- stadt Eintritt frei >> Multimediavortrag und Benefizkon- zert für Amaro Kher: „Ein Haus fürs Leben der Roma“ Zeit: 19 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei - Um Spenden für das Projekt wird gebeten >> Filmvorführung: „Erntehelfer“ 12 Zeit: 19 Uhr Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6 € / 4.50 € ermäßigt >> Vortrag von Mohammad Luqman: „Der Schrecken des Abendlandes - der Islam in Europa“ Zeit: 19 Uhr Ort: Friedensheim des Ba- dischen Landesvereins für Innere Mission, Redtenbacherstraße 10-14, KA- S ü d - weststadt Eintritt frei >> Theatrale Aktion im öffentlichen Raum Zeit: 19 Uhr Kronenplatz >> Vortrag mit Diskussion: „Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke? Rechtsextremis- mus erkennen und richtig handeln“ Zeit: 19 Uhr - 21 Uhr Ort: Jugend- und Gemein- schaftszentrum „Weiße Rose“, Otto-Wels-Stra- ße 31, KA-Oberreut Eintritt frei >> Lesung: „Die biologische Lösung - oder die deutsche Justiz und das Massaker von St. Anna“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Jubez-Café Eintritt frei >> Vortrag von Gen Kelsang Gogden: „Gibt es einen Unterschied zwischen Dir und mir?“ Zeit: 19.30 Uhr - 21 Uhr Ort: Menlha-Zentrum für Buddhismus, Gartenstraße 1, KA-Südweststadt Eintritt frei 27. März DONNERSTAG >> Vortrag mit Diskussion: „Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke? Rechtsextremis- mus erkennen und richtig handeln“ Zeit: 18 Uhr - 20 Uhr Ort: Wer ne r- von -S i emen s - S c h u l e, Kurt-Schumacher-Straße 1, KA-Nordweststadt, Aula Eintritt frei >> Lesung: „Ich will’s ja selbst gern ver- gessen!“ Zeit: 18 Uhr Ort: Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Vortrag: „Jüdische Zeitreise mit Dany Bober – Lied, Geschichte(n), Jüdischer Humor“ Zeit: 19.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Buchpremiere: Ibraimo Alberto und Daniel Oliver Bachmann präsentieren ihr Werk „Ich wollte leben wie die Götter. Was in Deutschland aus meinen afrikanischen Träumen wurde.“ Zeit: 20 Uhr Ort: Museum für Literatur am Oberrhein, Prinz-Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innen- stadt Eintritt frei >> Veranstaltung in der Tapasbar Pin- txos : „Pasion Gitana - Spanische Live Musik“ Zeit: 20.30 Uhr Ort: Restaurant Pintxos Tapas y Pasión, Waldstrasse 30, KA-Innenstadt Eintritt frei 28. März FREITAG >> Freitagsgebet am KIT Zeit: 13.15 Uhr Ort: AKK-Stadion, Gebäude 30.81, Paul- ckeplatz 1, KA-Innenstadt Eintritt frei >> Ausstellungseröffnung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbre- chen“ mit einem Vortrag der Ausstellungs- 13 macherin Birgit Mair Zeit: 17 Uhr Ort: DITIB Zentralmoschee Karlsruhe, Käppelestraße 3, KA-Oststadt Eintritt frei >> Vortrag: „Zwischen Tschetschenien, Polen und Deutschland - Hintergründe zu den Schicksalen von Flüchtlingen“ Zeit: 20 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Eintritt frei >> Theater: „Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner“ Zeit: 20 Uhr Ort: Badisches Staatstheater, Baumeister- straße 11, KA-Südstadt, Studio Eintritt: 13 € / erm. 7 € >> „Dein Wort gegen Rassismus“ – die Lange LeseNacht im ZKM Zeit: 20 Uhr bis ca. 23.30 Uhr – mit Pause und After-Show-Party Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südwest- stadt, Medientheater Eintritt frei_ 29. März SAMSTAG >> „Erinnerung aufpolieren!“ Aktive der Karlsruher Stolpersteine-Putzaktionen stellen ihre Initiative vor. Zeit: 14 Uhr Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Jubez-Café >> Das Projekt Tasse Tee: „Antiziganis- mus als Fluchtgrund“ Zeit: 15.30 Uhr Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt, Dachgeschoss Eintritt frei >> Vortrag von Ahmad Mansour: „Musli- mischer Antisemitismus“ Zeit: 19 Uhr Ort: Badisches Landesmuseum, Schlossbe- zirk 10, KA-Innenstadt, Gartensaal Eintritt frei >> Filmvorführung: „Erntehelfer“ Zeit: 19 Uhr Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassa- ge 6, KA-Innenstadt Eintritt: 6 € / 4.50 € ermäßigt >> Theater-Uraufführung: „Rechtsmate- rial“. Ein NSU-Projekt von Jan-Christoph Go- ckel & Konstantin Küspert Zeit: 19.30 Uhr Ort: Badisches Staatstheater, Baumeister- straße 11, KA-Südstadt, Studio Eintritt: 13 €, erm. 7 € >> „Lichterlauf gegen Rassismus und Diskriminierung“ Zeit: 20 Uhr Ort: Gemeinsames Ziel: Platz der Grundrechte, Karl-Friedrich-Straße zwi- schen Zirkel und Schlossplatz, KAInnenstadt Teilnahme kostenlos >> Theater: „AMÜSÜMÜNT“ Zeit: 20.30 Uhr Ort: Sandkorn-Theater, Kaiserallee 11, KA-Weststadt, Studio Eintritt: Theaterpreise_ 30. März SONNTAG >> Fest im Tollhaus: „Wir feiern die Viel- falt“ Zeit: 14 Uhr - 20 Uhr Ort: Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Eintritt frei >> „Willst du mit mir gehen?“ (Arbeitsti- tel) Zeit: Zeit: 14 Uhr - 16 Uhr (??) Ort: Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Eintritt frei >> Theater: „Am falschen Ort“ Zeit: 19 Uhr Ort: Badisches Staatstheater, Baumeister- 14 Die Karlsruher Wochen gegen Rassismus werden von einer großen Zahl von Institutionen und Vereinen durch eigene und Kooperations- veranstaltungen getragen und unterstützt: Ahmadiyya Muslim Jamaat (KdöR) AJUMI |Aufnahmegruppe für junge Migranten (Heimstiftung) AK Migrationsbeirat Albschule Karlsruhe Amaro Kher - Förderverein für das Roma-Ge- meinschaftshaus in Kriva Palanka e.V. Amnesty International, Bezirk Karlsruhe ANA & ANDA (Künstlerinnen) Armenisches Hilfswerk e. V. Attac Gruppe Karlsruhe Badisches Staatstheater Karlsruhe Bahai Gemeinde Karlsruhe Beratungsnetzwerk „kompetent vor Ort. für Demokratie - gegen Rechtsextremismus“ Bündnis 90/ Die Grünen Rheinstetten Bürgerverein Nordweststadt Bürgerverein Oberreut Büro für Integration (Sozial- und Jugendbehör- de der Stadt Karlsruhe) CIG | Christlich-Islamische Gesellschaft Karls- ruhe e.V. Dachverband islamischer Vereine in Karlsruhe und Umgebung e.V. DAV | Deutsch-Afrikanischer Verein e.V. Karlsruhe DMK | Deutschsprachiger Muslimkreis Karls- ruhe e.V. DITIB | Türkisch Islamische Gemeinde zu Karlsruhe e.V. Isis Chi Gambatté (Künstlerin) Eine-Welt-Theater Europa-Union Deutschland, Kreisverband Karlsruhe Stadt und Land e.V. Evangelische Stadtkirchen-Gemeinden Durlach Fachstelle gegen rechts im StJA e.V. Filmboard Karlsruhe e.V. Förderverein Fest der Völkerverständigung e.V. FgF | Forum für gesellschaftlichen Frieden Karlsruhe Freie Waldorfschule Karlsruhe Freunde für Fremde e. V. Freundeskreis Asyl e.V. Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V., Sekti- on Nordbaden Gesellschaft für bedrohte Völker e.V., Regio- nalgruppe Karlsruhe Gleichstellungsbeauftragte (Zentraler Juristi- scher Dienst der Stadt Karlsruhe) Heike Pitschmann (Künstlerin) Initiative „Erinnerung aufpolieren - Stolper- steine putzen“ Input Karlsruhe ISFBB | Institut für sozialwissenschaftliche For- schung, Bildung und Beratung e.V. Nürnberg ibz | Internationales Begegnungszentrum Karlsruhe e.V. Internationaler Bund / Jugendmigrationsdienst e.V. Internationaler Jugend- und Kulturverein e.V. | IJUKUV Irmela Mensah-Schramm (Menschenrechtsak- tivistin) Islamische Internationale Frauengemeinschaft e.V. | IIFG Johannes-Kepler-Privatschulen jubez (StJA e.V. Karlsruhe) Jüdische Kultusgemeinde Karlsruhe (KdöR) Jugendkirche Karlsruhe der Evangelisch-me- thodistische Kirche Bezirk Karlsruhe KASA | Kirchliche Arbeitsstelle südliches Afri- ka, Heidelberg Katholische Kirchengemeinde St. Stephan Kinemathek Karlsruhe e.V. Kulturverein Tempel e.V. Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe e.V. KunstUnternehmen GbR | Bernadette Hörder, Ulrike Israel Lessing-Gymnasium Karlsruhe Libertäre Gruppe Karlsruhe Literarische Gesellschaft Karlsruhe e.V. LMZ | Landesmedienzentrum Baden-Württemberg Die beteiligten Institutionen, Organisationen und Vereine 15 Markgrafen-Gymnasium Karlsruhe Marktlücke Karlsruhe Menlha-Zentrum für Buddhismus e.V. MRZ | Menschenrechtszentrum Karlsruhe Migrationsbeirat der Stadt Karlsruhe MOBI | Mobile Spielaktion des StJA e.V. Musikmobil Soundtruck des StJA e.V. Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. Pintxos Tapas & Pasión PREVIEW.SÜD Atelier | Galerie PopNetz Karlsruhe Sangat – Raum für Yoga und Klang Schillerschule Karlsruhe Schwestern vom Göttlichen Erlöser Herz-Jesu Stift Seniorenbüro/ Pflegestützpunkt mit Senioren- fachberatung der Stadt Karlsruhe Stephanus- Buchhandlung Karlsruhe SJD | Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken Sophie-Scholl-Realschule Karlsruhe Spanischer Elternverein Karlsruhe e.V. StJA | Stadtjugendausschuss e.V. Stadtkirche Karlsruhe Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Stadtarchiv und Historische Museen (Kulturamt der Stadt Karlsruhe) Stadtbibliothek (Kulturamt der Stadt Karlsru- he) Stoffwechsel e.V. Substage e.V. Tunesischer Club Karthago e.V. Tiyatro Dialog e.V. Ver.di - Migrationsausschuss Karlsruhe Vishuddha Zentrum Karlsruhe VHS | Volkshochschule Karlsruhe e.V. Werkraum Karlsruhe e.V. Yelitza Laya ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnolo- gie Karlsruhe Die einzelnen Veranstaltungen führen die jeweiligen veranstaltenden Organisationen, Institutionen und Vereine in eigener Verant- wortung durch. Die Stadt Karlsruhe trägt keine Verantwortung für die nicht durch städtische Dienststellen getragenen Veranstaltungen und die dortigen Inhalte. Die Koordination der Wochen gegen Rassismus erfolgt durch das Kulturbüro des Kulturamtes der Stadt Karlsruhe. 16 Albschule Scheibenhardter Weg 23 76199 Karlsruhe (Weiherfeld-Dammerstock) AKK Stadion, Gebäude 30.81 Paulckeplatz 1 76131 Karlsruhe (Innenstadt) Badisches Staatstheater Baumeisterstr. 11 76137 Karlsruhe (Südstadt) Badisches Landesmuseum Schloßbezirk 10 76131 Karlsruhe (Innenstadt) Bahai-Zentrum Amalienstraße 30 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Bürgersaal Rathaus am Marktplatz Karl-Friedrich-Str. 10 76124 Karlsruhe (Innenstadt) Café Palaver Steinstraße 23 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Deutscher Gewerkschaftsbund Ettlinger Str. 3 76137 Karlsruhe (Südstadt) Deutschsprachiger Muslimkreis e.V. Rintheimer Straße 15 Karlsruhe (Oststadt) DITIB Zentralmoschee Karlsruhe Käppelestraße 3 76131 Karlsruhe (Oststadt) Eine-Welt-Theater Alter Schlachhof 23 f 76131 Karlsruhe (Oststadt) Evangelische Stadtkirche Durlach Am Zwinger 5 76227 Karlsruhe (Durlach) Freie Waldorfschule Neisser Straße 2 76139 Karlsruhe (Waldstadt) Friedensheim des Badischen Landesvereins für Innere Mission Redtenbacherstraße 10-14 76133 Karlsruhe (Südweststadt) Gasthaus Marktlücke Marktplatz 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Gemeinschaftsunterkunft Kutschenweg Verwaltungsgebäude Kutschenweg 30 76287 Rheinstetten-Forchheim (Silberstreifen) Griesbach-Haus Sophienstraße 193 76185 Karlsruhe (Mühlburg) Herz-Jesu-Stift Gellertstr. 41 76185 Karlsruhe (Mühlburg) Hochschule für Gestaltung Lorenzstraße 15 76135 Karlsruhe (Südweststadt) IBZ - Internationales Begegnungszentrum Karlsruhe e.V. Kaiserallee 12 d 76135 Karlsruhe (Weststadt) Insel Karlstraße 49 76133 Karlsruhe (Südweststadt) Die Veranstaltungsorte 17 Internationaler Bund e.V. Werderstraße 57 76137 Karlsruhe (Südstadt) Johannes-Kepler Privatschulen Daimlerstraße 7 - 11 76185 Karlsruhe jubez Karlsruhe Kronenplatz 1 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Jugendbibliothek im Prinz-Max-Palais Karlstraße 10 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Jugend- und Gemeinschaftszentrum „Weiße Rose“ Otto-Wels-Straße 31 76189 Karlsruhe (Oberreut) Jugendzentrum der Jugendkirche Karlsruhe Hermann-Billing-Straße 11 76137 Karlsruhe (Südweststadt) Kaffeehaus Schmidt Kaiserallee 69 76133 Karlsruhe (Weststadt) Kinemathek Karlsruhe e.V. Studio 3 Kaiserpassage 6 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Kinder- und Jugendtreff Lohn-Lissen Ellmendinger Straße 1 76227 Karlsruhe (Durlach-Aue) Kinder- und Jugendtreff Mühlburg Fliederplatz 1 76185 Karlsruhe (Mühlburg) Kinder- und Jugendtreff Südstadt Augartenstraße 21 76137 Karlsruhe (Südstadt) Kulturverein Tempel e.V. Hardtstraße 37a 76185 Karlsruhe (Mühlburg) Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe e.V. Alter Schlachthof 35 76131 Karlsruhe (Oststadt) Landesmedienzentrum Baden-Württemberg Moltkestraße 64 76133 Karlsruhe (Weststadt) Lessing-Gymnasium Sophienstraße 147 76135 Karlsruhe (Weststadt) Markgrafen-Gymnasium Gymnasiumstraße 1-3 76227 Karlsruhe (Durlach) Menlha-Zentrum für Buddhismus e.V. Gartenstraße 1 76133 Karlsruhe (Südweststadt) Menschenrechtszentrum Karlsruhe e.V. Alter Schlachthof 59 76131 Karlsruhe (Oststadt) Museum für Literatur am Oberrhein, Prinz-Max-Palais Karlstraße 10 76133 Karlsruhe (Innenstadt) NCO-Club Delawarestraße 21 76149 Karlsruhe (Nordstadt) Neues Ständehaus Ständehausstraße 2 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Pintxos Tapas y Pasión Waldstrasse 30 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Platz der Grundrechte Karl-Friedrich-Straße zwischen Zirkel und Schloßplatz 76131 Karlsruhe (Innenstadt) PREVIEW.SÜD Atelier I Galerie Schützenstraße 37 76137 Karlsruhe (Südstadt) 18 Sandkorn-Theater Kaiserallee 11 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Sangat – Raum für Yoga und Klang Gartenstraße 72 76135 Karlsruhe (Südweststadt) Schillerschule Kapellenstraße 11 76131 Karlsruhe (Oststadt) Sophie-Scholl-Realschule Karlsruhe Joachim-Kurzaj-Weg 4 76189 Karlsruhe (Oberreut) Sporthalle 1 des Schulzentrums Neureut, Unterfeldstraße 6 76149 Karlsruhe (Neureut) Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Hans-Thoma-Str. 2-6 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Stadtteilbibliothek Neureut, Badnerlandhalle Rubensstraße 21 76149 Karlsruhe (Neureut) Stadtteilbibliothek Waldstadt Neisser Straße 12 76139 Karlsruhe (Waldstadt) Stadtteilbüro Oststadt Gottesauerstraße 3 76131 Karlsruhe (Oststadt) Stadtkirche Durlach Am Zwinger 5 76227 Karlsruhe (Durlach) Stadtkirche Karlsruhe Marktplatz 76133 Karlsruhe (Innenstadt) Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais Karlstr. 10 76131 Karlsruhe (Innenstadt) Studentenhaus Adenauerring 7 76131 Karlsruhe (Innenstadt) Substage Karlsruhe e.V. Alter Schlachthof 19 76131 Karlsruhe (Oststadt) Vishuddha-Zentrum Pfinztalstraße 46 - 50 76227 Karlsruhe (Durlach) Werner-von-Siemens-Schule Kurt-Schumacher-Straße 1 76189 Karlsruhe (Nordweststadt) ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe Lorenzstraße 19 76135 Karlsruhe (Südweststadt) Einen Web-Stadtplan mit Adress-Suchfunktion finden Sie unter: www.geodaten.karlsruhe.de/stadtplan 19 21. März 1960 – Das Massaker von Sharpeville Sharpeville, Südafrika: Am Vormittag des 21. März 1960 finden sich an verschiedenen Orten der kleinen Stadt 50 km südlich von Johannes- burg rund 20.000 Menschen zusammen. Sie folgen einem Aufruf des Pan African Congress (PAC), der eine fünftägige gewaltfreie und friedliche Protestaktion angekündigt hatte. Die Menschen demonstrieren gegen die Pass- gesetze des Apartheid-Regimes. Diese Ge- setze sahen die scharfe Trennung von Wohn- und Geschäftsbezirken für Weiße, Schwarze und Inder vor. Drei bis vier Millionen Afrikaner wurden zwangsumgesiedelt, weil sie in den für die Weißen vorgesehenen Gebieten lebten. So wurde versucht, Menschen auf Dauer voneinan- der zu trennen. Die Schwarzen lebten in weit von den weißen Vierteln entfernten “Towns- hips”. Doch ohne die schwarzen Arbeitskräfte wäre die Wirtschaft des weißen Südafrikas schnell zusammengebrochen. Passgesetze re- gelten das “Aufenthaltsrecht” der schwarzen Südafrikaner, die Anzahl der Schwarzen in den Städten sollte so auf ein Minimum beschränkt werden, ihre Arbeitskraft aber weiter zur Ver- fügung stehen. Die Demonstrierenden setzen sich in Rich- tung Polizeistation im Sharpeviller Zentrum in Bewegung. Die Polizei hält die friedlich de- Informationen zum Internationalen Tag und zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus monstrierende Menge mit niedrig fliegenden Flugzeugen und Tränengas in Schach. Um kurz nach 13 Uhr eskaliert dann schließlich die Situation: Angeblich als Reaktion auf Steine- werfer schießt die Polizei in die Menge. Die Menschen fliehen in Panik, die Polizei schießt weiter. 69 Menschen werden getötet, darunter acht Frauen und zehn Kinder. Viele – die Anga- ben variieren von 180 bis über 300 Personen – werden verletzt, teilweise schwer. Der UN-Gedenktag Als Gedenktag an das Massaker von Sharpe- ville wurde sechs Jahre später, 1966, der 21. März von den Vereinten Nationen zum “In- ternationalen Tag zur Überwindung von Ras- sendiskriminierung” ausgerufen. 1979 wurde dieser Gedenktag durch die Einladung der Vereinten Nationen an ihre Mitgliedstaaten ergänzt, eine alljährliche Aktionswoche der Solidarität mit den Gegnern und Opfern von Rassismus zu organisieren. 1996 wird schließ- lich von Nelson Mandela in Sharpeville die neue demokratische Verfassung Südafrikas in Gang gesetzt. Der 21. März wird seither in Südafrika als South African Human Rights Day, als “Südafrikanischer Tag der Menschenrechte” begangen. Quelle: www.internationale-wochen-gegen- rassismus.de/hintergrund/was-geschah-am- 21-maerz 20 21 Das Programm. Mitglied der Internationale Wochen gegen Rassismus 22 Interkulturelles Projekt: „Weiße Fahnen im Wind“ Schüler_innen des Lessing-Gymnasiums ge- stalten zusammen mit der Karlsruher Künstler- gemeinschaft KunstUnternehmen Fahnen, die eine Gesellschaft des friedlichen Miteinanders zum Thema haben. Diese Fahnen werden dann bei den Karlsruher Wochen gegen Rassismus an markanten Stellen im öffentlichen Raum in Karlsruhe zu sehen sein. Eine Gesellschaft, die sich aktiv gegen Rassis- mus und für ein friedliches und offenes Mitei- nander einsetzt, muss diesen Wert in der Bil- dung von Kindern und Jugendlichen vermitteln. Einen solchen Auftrag kann gerade die Kunst mit ihren Möglichkeiten, über Form zum Inhalt zu gelangen, erfüllen. Die Fahne ist als Zeichen Symbolträger von vorwiegend nationaler Zu- gehörigkeit. Die weiße Fahne hingegen wird allgemein als Friedenszeichen verstanden. Ein überdimensional langes weißes Band soll von Schülern gestaltet werden. Die Künstle- rinnen des KunstUnternehmens werden diesen Prozess in der Schule begleiten. Diese Aktion der Gestaltung zum Thema „Fremd Sein“ oder „Anders Sein“ wirkt nach Innen. Anschließend werden die Fahnen im öffentlichen Raum stehen und nach Außen wirken. Prozess: 1. Vom 10. bis zum 14. März werden fünf Fah- nen von Schüler_innen des Lessing-Gymnasiums gestaltet. 2. Während der Karlsruher Wochen gegen Rassismus werden diese Fahnen im öffentlichen Raum aufgehängt. 3. Bei der Schlussveranstaltung werden alle Fahnen gemeinsam präsentiert. „Weiße Fahnen im Wind“ Das Projekt soll an weiteren Schulen fortgeführt werden. So wird regelmäßig an diesem weit sichtbaren Symbol einer demokratischen Aktion für ein Miteinander gearbeitet. Karlsruhe setzt ein Zeichen des Zusammenhaltes im Stadtraum und die Bevölkerung trägt diese Botschaft ebenso in die Ferne. Über KunstUnternehmen: KunstUnternehmen ist eine Ateliergemeinschaft zweier freischaffender Künstlerinnen in Karls- ruhe, Bernadette Hörder und Ulrike Israel. Sie initiierten in den vergangenen zehn Jahren Projekte zu unterschiedlichen Themen wie z. B. Zwischen Kunst und Wirtschaft, Kunst und die Weltreligionen, Kunst und Gestaltung im Öf- fentlichen Raum durch Schulen. Im Vordergrund steht jeweils der Dialog verschiedener Welten. Die Kunst setzt hierbei neue Impulse und umge- kehrt erfährt sie einen erweiterten Ansatz au- ßerhalb des gängigen Kunstbetriebes. Ort: Lessing-Gymnasium, Sophienstraße 147, KA-Weststadt Veranstalter: KunstUnternehmen GbR, Deutsch-Afrikanischer Verein e.V. www.kunstunternehmen.de www.lessing-gymnasium-karlsruhe.de 10. März (Montag) bis 14. März (Freitag) 10. 3. 23 13. März (Donnerstag) Vortrag von Eren Güvercin: „Rassis- mus ist kein typisch deutsches Pro- blem.“ Allzu leichtfertig werde sich in Deutschland über Rassismus beklagt, findet der Autor Eren Güvercin. Dabei gerät jedoch aus dem Blick, dass auch Personen mit einem sogenannten Migrationshintergrund rassistisch denken und handeln. Fremdenfeindlichkeit ist ein gesamt- gesellschaftliches Problem, das gemeinsam ge- löst werden muss. Eren Güvercin studierte Rechtswissenschaften in Bonn und arbeitet heute als freier Journalist. In seinem Blog „Grenzgängerbeatz“ (http:// erenguevercin.wordpress.com) beschäftigt er sich unter anderem mit dem Thema Islam auf gesellschaftlicher und politischer Ebene. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 18.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: ibz Karlsruhe e.V. www.erenguevercin.wordpress.com/tag/ eren-guvercin/ „Rassismus ist kein typisch deutsches Problem.“ C op yr ig ht S er en B as og ul 13. 3. 24 Ausstellungsführung: „Verführbarkeit zur Gewalt“ Führung durch die Ausstellung „Kata Legrady. Smart Pistols“ im Museum für Neue Kunst des ZKM mit Dipl.-Theol. Tobias Licht (Leiter Bil- dungszentrum Karlsruhe) und Dr. Andreas Bei- tin (Kurator der Ausstellung und Leiter des ZKM | Museums für Neue Kunst). Im Rahmen des Programms „Überschreitungen - Theologen treffen auf zeitgenössische Kunst“. Siehe auch Ankündigung 15. März. Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südweststadt Zeit: 16 Uhr - 17 Uhr Eintritt und Führung frei Veranstalter: ZKM www.zkm.de „Verführbarkeit zur Gewalt“ 14. 3. 14. März (Freitag) Kata Legrady Government (multicolor-mini), 2012 Pistole, mini Smarties 114,2 x 21,9 x 4 cm Courtesy Kata Legrady 25 „Das reizvolle Fremde in der Kunst“ – - Führung durch die Kunsthalle Die Museumsbesucher erwartet ein Streifzug durch die verschiedenen Sammlungsschwerpunkte der Kunsthalle, eine Reise in fremde Länder und Kulturen und vergangene Jahrhunderte. Fremdar- tige Lebensweisen sind dabei ebenso von Interesse wie kostbare Gegenstände und Kleidermoden. Die Führung bietet eine Entdeckungstour zu den Dingen, die aus unserer heutigen Lebensweise verschwunden sind. Führung mit Dr. Ursula Schmitt-Wischmann (Kunsthistorikerin, Museumspädagogin). Ort: Hauptgebäude der Kunsthalle, Hans--Thoma--Straße 2-6Straße 2 – 6, KA-Innenstadt Beginn: 15 Uhr Eintritt: 8,- €, ermäßigt 6,- €, zzgl. Führungsgebühr 2,- € pro Person Veranstalter: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe www.kunsthalle-karlsruhe.de 15. März (Samstag) „Das reizvolle Fremde in der Kunst“ 15. 3. 26 15. März (Samstag) Das Projekt Tasse Tee: „Antiziganismus als Fluchtgrund“ Im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassismus öffnet das Projekt „Tasse Tee“ seine Türen für Karlsruher und Karlsruherinnen, um sich an der Diskussion über sogenannte Armuts- flüchtlinge zu beteiligen. Das Projekt bietet die Möglichkeit, bei einer Tasse Tee oder Kaffee und einem Stück Kuchen mit Flüchtlingen aus Serbien, Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien über ihre Schicksale zu reden. Die Mitarbei- terinnen des Projektes stehen als Expertinnen oder Dolmetscherinnen zur Verfügung. Wir werden uns in Gesprächen und Diskussionen die Frage stellen: Welche Rolle spielt der Antiziga- nismus als Fluchtgrund für die große Zahl der Flüchtlinge aus den ehemaligen jugoslawischen Ländern? Referentinnen: Das im Jahr 2012 entstandene Projekt „Tasse Tee“ wird von vier ausländischen Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Yana Shykhyrina, Aynur Mam- madova, Nuray Mammadova und Nicoleta Elena Alexander geleitet. Es ist eine Koopera- tion mit dem Verein „Freunde für Fremde e.V.“ und dem „Internationalen Begegnungszentrum Karlsruhe e.V.“. Es lädt an jedem Samstag die Asylbewerber aus Gemeinschaftsunterkünften zu Gesprächen ein. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt, Dachgeschoss Beginn: 15.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Projekt Tasse Tee in Kooperation mit „Freunde für Fremde e.V.“ und „ibz Karlsruhe e.V.“ www.ibz-karlsruhe.de/integrationsprojekte/ tasse-tee.html „Antiziganismus als Fluchtgrund“ 15. 3. Abb. oben: Foto: Oren Ziv / Activestills, Protest gegen den G20-Gipfel, Toronto 2010 Abb. rechts: Ausstellungsansicht global aCtIVISm im ZKM | Museum für Neue Kunst Foto: Wootton © ZKM | Karlsruhe 2013 Abb. rchts außen: Kata Legrady Bullet „Flower“ (multicolor), 2012 C-Print, Diasec 300 x 100 x 2,8 cm Courtesy Kata Legrady 27 15. März (Samstag) Ausstellungsführung: „global aC- tIVISm“ und „Kata Legrady. Smart Pistols“ Öffentliche Führung im ZKM | Museum für Neue Kunst mit einem Überblick über die Aus- stellungen „global aCtIVISm“ und „Kata Legra- dy. Smart Pistols“ Über „global aCtIVISm“: Die Ausstellung „global aCtIVISm“ widmet sich dem Feld der künstlerischen Ausdrucksform, die politisch inspiriert ist. Diese macht durch Aktionen, Demonstrationen und Performances im öffentlichen Raum auf Missstände aufmerk- sam und fordert zur Veränderung bestehender Verhältnisse auf. Mit Objekten, fotografischen, kinematografischen, videografischen und mas- senmedialen Dokumenten zeigt die Ausstellung den globalen Aktivismus als die erste neue Kunstform des 21. Jahrhunderts. Über „Kata Legrady. Smart Pistols“: Die Skulpturen, Fotografien und Zeichnungen von Kata Legrady irritieren. Ihre Kunst- werke konfrontieren die Be- sucher_innen mit Objekten der Gewalt, die gleichzeitig infantile Lustobjekte sind. Egal ob die Waffen ge- zeichnet, fotografiert oder plastisch ausgeführt worden sind, ihnen ist immer gemein- sam, dass sie in größtmög- lichem Gegensatz erscheinen. Die Waffen sind mit farbenfrohen Schokodrops, mit kostbarem Pelz oder Geldscheinen verziert. Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südweststadt Zeit: 16.30 Uhr – 17.30 Uhr Eintritt: Führung 2 € + Museumseintritt Veranstalter: ZKM „global aCtIVISm“ und „Kata Legrady. Smart Pistols“ 15. 3. 28 Eröffnung der Wochen gegen Rassismus 15. 3.Eröffnung und Begrüßung durch den Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup Grußwort Britta Graupner, Projektreferentin der INTERNATIONALEN WO- CHEN GEGEN RASSISMUS beim „Interkultu- rellen Rat in Deutschland“ in Darmstadt Eröffnungsvortrag von Hadija Haruna, Journalistin und Vorstands- mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.: „Alte Rassismen in neuem Gewand“ Die Taten der rechtsextremen Vereinigung des NSU, eine Diskussion um die Abschaffung diskriminierender Wörter in Kinderbüchern, Hetzproteste vor Flüchtlingsunterkünften, Racial Profiling-Vorwürfe bei der Polizei oder popu- listische Slogans um das neue Schreckensge- spenst des Armutsmigranten. All diese Beispiele zeigen: Rassismus ist ein Thema in Deutschland. Doch zeigt sich bereits im Umgang mit dem Be- griff die Ambivalenz mit diesem Thema. Eine differenzierte Auseinandersetzung krankt da- ran, dass Rassismus nicht gerne gesehen wer- den will und viele Ressentiments tief in der Mit- te unserer Gesellschaft verankert sind. Wesentlich für ein Verständnis von heutigem Rassismus ist es, Zusammenhänge herzustellen und geschichtliche Verbindungslinien zu erken- nen: Das Erbe des Kolonialismus und des Na- tionalsozialismus, der so genannte „Rassismus ohne Rassen“ der 1960er Jahre, ein transnati- onaler Nationalismus heute. Nicht ohne Grund richten sich die aktuellen Ressentiments haupt- sächlich gegen Flüchtlinge, Muslime und Roma. Was sie eint: Sie stellen ein gemeinsames, „Alter Rassismus in neuem Gewand“ vermeintlich nichteuropäisches Außen, das bedrohliche „Fremde“ dar, vor dem sich das gesellschaftliche, europäische „Eigene“ glaubt verteidigen zu müssen. Gerade in Krisenzeiten lässt sich über diese Bestimmung Identität kon- struieren. Heutzutage verbindet sich dabei der Rechtspopulismus mit Ideen der neuen Rechten, die sich vom Image des Rassismus und Extre- mismus distanzieren will und in der „identitären Bewegung“ ihr neues Selbst sucht. Doch was bedeutet diese Entwicklung für die Zugehörigkeit und Teilhabe der dritten und vierten Generation von Menschen mit Migra- tionsgeschichte in Deutschland? Wo finden Schwarze Menschen und People of Colour ih- 29 „Alter Rassismus in neuem Gewand“ ren Raum - in einem gesellschaftlichen Setting, welches das Aussehen noch immer an eine na- tionale Identität knüpft? Wie empowern sie sich und finden in einer wachsenden Einwan- derungsgesellschaft wie Deutschland selbstbe- stimmte Strategien, um sich gegen einen wach- senden Rechtspopulismus zu wehren? Ziel des Vortrags ist es, die vielfältigen Erklä- rungen aktueller Debatten über Alltags- und institutionellen Rassismus zusammen zu führen, Ähnlichkeiten und Unterschiede, aber auch historische Entwicklung und Kontinuitäten auf- zuzeigen und wissenschaftliche Erkenntnisse in anschaulichen Beispielen aufzudröseln. Der Beitrag will Gedankenanreize bieten und Sen- sibilität und ein Bewusstsein dafür schaffen, wann Ausgrenzung und wo Abwertung beginnt. Nämlich bereits da, wo Vorurteile im Mainst- ream geschürt, verachtende Bilder toleriert und damit reproduziert werden. Über Hadija Haruna: Hadija Haruna lebt und arbeitet als Autorin und Redakteurin in Frankfurt am Main. Ihre Ar- beitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismusforschung. Ihre Redak- teursausbildung hat die Diplom-Politologin an der Berliner Journalistenschule (BJS) absolviert. Derzeit arbeitet sie als Redakteurin für die jun- ge Welle des Hessischen Rundfunks (YOU FM). Außerdem schreibt sie unter anderem für den Tagesspiegel, die ZEIT und das Fluter-Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist Preisträgerin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestifteten KAUSA-Me- dienpreises 2012 „Macht sie sichtbar – Bil- dungswege von Migrantinnen und Migranten“. Darüber hinaus ist sie beim Journalistenverein der Neuen Deutschen Medienmacher (NDM) aktiv und engagiert sich ehrenamtlich bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Der Verein wurde Mitte der 1980er gegründet und setzt sich in seiner Arbeit für die Emanzipation und politische Partizipation Schwarzer Menschen ein - mit dem Ziel, ihre Perspektiven, Geschichte und Lebensentwürfe in Deutschland sichtbar zu machen. Der Verein versteht sich als Interessenvertretung, interve- niert bei Fällen von Diskriminierung und Rassis- mus und bezieht Stellung gegenüber der Öf- fentlichkeit. www.hadija-haruna.de www.isdonline.de Video: „Vorurteile? Vorurteile!“ Eigens für die Wochen gegen Rassismus 2014 produziert Isis Chi Gambatté den Clip „Vorur- teile? Vorurteile!“. Der Clip führt dem Betracht- enden auf humorvolle Weise vor Augen, wie wir alle insgeheim mit Vorurteilen über Men- schen denken. Vorurteile sind ein Bestandteil des alltäglichen Lebens und für den Betrof- fenen wie ein Glücksspiel um seine Identität. Über Isis Chi Gambatté: Isis Chi Gambatté ist Komponistin, Videopro- duzentin, Regisseurin, Schauspielerin, Sänge- rin und Tänzerin. Neben Auftragsarbeiten für Theater und Film engagiert sie sich sozial in Theaterprojekten mit Migrant_innen und pro- duziert Videos und Musik gegen Rassismus und Verfolgung. www.gambatte.name 30 „Dazugehören ist einfach!“ Video: „Dazugehören ist einfach!“: Toleranz ist heute groß in Mode. Solange Menschen sich der Norm gemäß geben, wird über ihre Andersartigkeit schweigend hinweggegangen. Doch wie weit geht die Toleranz, wenn An- dersartigkeit sichtbar wird? Das Video des Künstlerinnen-Paars ANA & ANDA mit dem Titel „Da- Im Anschluss: Stehempfang der Stadt Karlsruhe zugehören ist einfach!“ macht die Probe aufs Exempel: Zwei Liebende lösen sich Stück für Stück von den Konventionen und fordern da- durch echte Akzeptanz. Am Beispiel eines lesbischen Liebespaars zei- gen ANA & ANDA, dass Diskriminierung nicht nur durch offene gruppenbezogene Men- schenfeindlichkeit geschieht, sondern gerade auch durch den subtilen Druck, „normal“ zu sein. Es ist ein Appell an die Gesellschaft, Minderheiten nicht „normalzureden“, sondern offen akzeptierend mit ihnen umzugehen. Und dazu gehört auch das Sprechen darüber – in der Schule, am Arbeitsplatz oder Zuhause. Über ANA & ANDA: „Kunst im Dienst der Menschenrechte“ ist das Motto des Künstlerinnen-Paars ANA & ANDA. Mit Musik und Bühnenkunst, dem Ökomo- de-Label „nachhaltige Eleganz“, ökofairen Stadtführungen durch Karlsruhe und kultu- rellen Schulprojekten an Brennpunktschulen engagieren sich ANA & ANDA für Demokra- tie, Menschenrechte und Toleranz. Seit 2012 produzieren sie auch künstlerische Videos dazu. www.anaundanda.de Vor der Veranstaltung: Tee- und Kaffee-Spezialitäten gereicht vom Tunesischen Club Karthago, dem Eritreischen Verein, dem Iranischen Kulturzentrum e.V. und dem Förderverein Fest der Völkerverständi- gung e.V. Musikalische Umrahmung: Ender & Uwe 7ender-uwe Anmeldung erwünscht per E-Mail an: wochen-gegen-rassismus@kultur.karlsruhe.de Ort: Rathaus, Marktplatz, KA-Innenstadt, Bür- gersaal Beginn: 18 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Stadt Karlsruhe 15. 3. 31 15. März (Samstag) 15. 3. Filmvorführung: „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ Epizoda U Zivotu Beraca Zeljeza Danis Tanovic, Bosnien-Herzegowina/Slowe- nien 2013 mit Senada Alimanovic, Nazif Mujic, Sandra Mujic, Semsa Mujic, digital, 75 Min., dt.UT Eine Roma-Familie in Bosnien-Herzegowina, in einem Dorf abseits der großen Stadt. Vater Nazif zerlegt alte Autos und verkauft die Me- tallteile an einen Schrotthändler, Mutter Sena- da besorgt die Hausarbeit und kümmert sich liebevoll um die beiden kleinen Töchter. Als sie eines Tages Schmerzen im Unterleib bekommt, wird im Krankenhaus diagnostiziert, dass das Kind in ihrem Leib gestorben ist. Senada hat keine Krankenversicherung und die Entfernung des Fötus kostet weit mehr, als die Familie auf- bringen kann. Doch im Krankenhaus beruft man sich auf die Vorschriften und lehnt den Eingriff ab. Beinahe dokumentarisch und mit großer Anteilnahme folgt die Kamera dem mühevollen Alltag der Familie, die sich hier selbst spielt. Auf realen Ereignissen beruhend und ohne Dra- matisierung macht der Film einen alltäglichen Rassismus deutlich, der sich nicht in buchstäb- licher Gewalt äußert, aber ähnlich fatale Fol- gen hat. Nach der Vorführung am 15. März besteht Gelegenheit zum Gespräch mit Erzad Mikic, Dipl.-Ing./Universität Sarajevo. Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassage 6, KA-Innenstadt Beginn: 19 Uhr Eintritt: 6,- € / 4,50 € ermäßigt (für Mitglieder der Kinemathek Karlsruhe) Veranstalter: Kinemathek Karlsruhe e.V. und Gesellschaft für bedrohte Völker e.V., Regio- nalgruppe Karlsruhe Weiterer Vorführung am 19. März, 21.15 Uhr www.kinemathek-karlsruhe.de www.gfbv.de „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ 15. 3. 32 16. März (Sonntag) Fußballturnier: „Kicken gegen Rassismus“ Der Internationale Jugend- und Kulturverein Karlsruhe lädt zum gemeinsamen Jugend-Hal- lenfußballturnier ein. Angesichts noch herrschender Spaltung zwi- schen hier lebenden Jugendlichen, die auf gegenseitigen Vorurteilen beruht, kann jede soziale, politische, kulturelle und sportliche Ak- tivität gegen Spaltung und Rassismus, für ein besseres Zusammenleben nur positive Auswir- kungen haben. Dem Sport, und gerade dem Fußball, kommt für die Verständigung zwischen den hier lebenden Jugendlichen verschiedener Nationalitäten große Bedeutung zu. Das Hal- lenfussballturnier soll hier lebenden Jugend- lichen ermöglichen, untereinander Vorurteile abzubauen, Freundschaften aufzubauen und sie für ein gemeinsames, gleich-berechtigtes und friedliches Zusammenleben stärken. Nähere Infos und Anmeldung bei Mecnun Öl- mez (E-Mail: mecnun62@hotmail.de, Telefon 0157-71418061) „Kicken gegen Rassismus“ Ort: Sporthalle 1, Unterfeldstraße 6, KA-Neureut Beginn: 11 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Internationaler Jugend- und Kul- turverein Karlsruhe e.V., Ver.di migration Karlsruhe, Menschenrechtszentrum Karlsruhe e.V. 16. 3. 33 16. März (Sonntag) Izvan sistema / Au- ßerhalb des Systems Lesung mit Rajka Poljak und Vlado Franjević, Kroatien/ Liechtenstein Vlado Franjević liest einen kurzen Prosa- text, den er extra für die zweiten Karlsru- her Wochen gegen Rassismus schrieb. Seine Texte wider- spiegeln eigene Er- fahrungen in einem, wie er ironisch meint „bit- ter-süßen (Um)Feld“. So knallhart ehrlich und offen wie in diesem Text äußerte er sich zu gewissen Themen in der Öffentlichkeit noch nie zuvor. Neben dem Prosatext „SIND WIR ALLE (mehr oder weniger) PSYCHO-SADOMASO?“ wird auch Franjevićs zweisprachige Lyrik vor- getragen. Dabei wird er von seiner Frau Rajka Poljak unterstützt, die die kroatische Fassung der Gedichte vorlesen wird. Über Vlado Franjević und Rajka Poljak: Vlado Franjević ist multimedialer Kunstschaf- fender und Autor. 1963 in Kroatien geboren, Ausbildung als Maler an der Schule für die angewandten Künste in Zagreb. Mitglied im Berufsverband bildender Künstler_innen Liech- tensteins (BBKL) und Olymia FArts Association (OFAA). Ebenfalls Mitglied im Zürcher Schrift- steller_innen Verband und Verband Ostschwei- zer Autorinnen und Autoren (ZSV). 2003 Werk- jahrstipendium des Kulturbeirats der Fürstlichen Regierung Liechtensteins. Rajka Poljak, Jahrgang 1964, in Mihovljan, Kroatien geboren. Studium der Kunst und Kultur „Außerhalb des Systems“ in Zagreb. Lebt seit 2009 als bildende Künst- lerin und Autorin in Liechtenstein. Koautorin der Publikation „Vlado Franjevics Improvisationen, Rajka Poljaks Interpretationen“, herausgege- ben vom Kulturzentrum der Stadt Cazma. Aus- stellungen in Liechtenstein, Frankreich, Deutsch- land und Kroatien. Ort: PREVIEW.SÜD Atelier | Galerie, Schützen- straße 37, KA-Südstadt Beginn: 11 Uhr und 13 Uhr Eintritt frei Veranstalter: PREVIEW SÜD. Atelier | Galerie www.previewsued.blogspot.de 16. 3. 34 16. März (Sonntag) Einblicke: „Freundschaft statt Rassismus“ „Freundschaft bedarf ständig der nährenden Flamme. Sie fällt einem nicht zu; man muss sie kämpfend erhalten.“ (Kerrin Westphal) Kampf gegen Rassismus bedeutet für uns Kampf für ungewöhnliche Freundschaften. Wie junge Menschen unter schwierigen Be- dingungen Grenzen überschreiten hin zu er- staunlichen Beziehungen, zeigen die Teens und Mitarbeitenden vom Jugendzentrum (JuZe) espírito. Sie bieten authentische Einblicke an- lässlich der Karlsruher Wochen gegen Rassis- mus mit Erzählen, Tanz und Bildern. Die Jugendkirche espírito begleitet und ver- netzt. Im Jugendzentrum kommen an fünf Ta- gen die Woche jeweils ca. 50 Teens und Ju- gendliche aus etlichen Herkunftsländern und verschiedener Kultur und Religion zusammen. Sie wohnen überwiegend in der Süd- und Süd- weststadt. Über die Karlsruher Tafel können wir täglich gute Lebensmittel anbieten, aber auch Lernunterstützung, Bewerbungstraining und vor allem Begleitung in schwierigen Lebensphasen. Ausstellungsführung „global aCtIVISm“ und „Kata Legra- dy. Smart Pistols“ Siehe auch Ankündigung 15. März. Zeit: 11.30 Uhr - 12.30 Uhr 16. 3. „Freundschaft statt Rassismus“ Ort: JuZe der Jugendkirche Karlsruhe, Her- mann-Billing-Str. 11, KA-Südweststadt Zeit: 16.30 Uhr - 18 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Jugendkirche der Evangelisch- methodistischen Kirche Bezirk Karlsruhe www.espiri.to 35 Vortrag und Yogastunde: „Erkenne: Der andere bist du!“ Über die yogische Sichtweise zum Thema Ras- sismus und zum Zitat von Yogi Bhajan: „Erkenne: Der andere bist du!“ spricht Sohan Kaur Klinis. Im Yogazentrum trifft sich eine bunte Vielfalt von Menschen unterschiedlichster Kulturen und Glaubensrichtungen. „Sangat“ bedeutet Zusammenkommen, Gemeinschaft. Das Yo- gazentrum öffnet seine Türen im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassismus für alle, die Freude an Yoga haben und in diesem Sinn ein bewusstes Erlebnis von Gemeinschaft jen- seits aller vermeintlicher Unterschiede erleben möchten. Unsere Erfahrung ist: Die Gemeinschaft ver- stärkt dieses Erlebnis – ob im Yoga, in der Meditation oder im Mantren-Singen. In unserer sich beschleunigenden und fordernden Zeit sehnen sich viele nach ihrem wahren Sein, nach Ganzheit. Das Sangat bietet einen Raum für alle Menschen, die wieder Anschluss an ihre in- neren, heilenden Quellen finden möchten. 16. 3. „Erkenne: Der andere bist du!“ Wenn ich mich ganz fühle, erfahre ich mich als selbst verantwortlich für mein Leben. Ich habe keinen Grund mehr, andere dafür verantwort- lich zu machen, zu diskriminieren oder abzu- werten. Im Anschluss findet eine Kundalini-Yoga-Stun- de mit einer Übungsreihe zum Thema Toleranz statt. Pavel Khlopovskiy Paviter Singh leitet die Yoga-Stunde, zu der auch Yoga-Neulinge herzlich eingeladen sind. Bitte bringen Sie be- queme Kleidung mit. Matten und Kissen sind im Raum vorhanden. Ort: Sangat – Raum für Yoga und Klang, Gar- tenstraße 72, KA-Südweststadt Beginn: 19 Uhr (Vortrag), 19.30 Uhr (Yoga-Stunde) Eintritt frei Veranstalter: Kundalini Yoga-Lehrer_innen Karlsruhe www.yogasangat.de 16. März (Sonntag) 36 Begegnungsabend zu Fluchtursachen: „Warum wir hier sind“ Im Rheinstettener Stadtteil Forchheim-Silber- streifen wohnen seit einigen Monaten zahlreiche Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises Karlsruhe am Kutschenweg. In der aktuellen Diskussion über Flüchtlingspolitik, Asylrecht und Gemeinschaftsunterkünfte wird oft über Flüchtlinge, aber nicht mit ihnen ge- sprochen. Die Veranstalter möchten mit einem Begegnungsabend zum Abbau von Kontakt- barrieren und Vorurteilen beitragen. Dabei sollen die Asylsuchenden vor allem selbst zu Wort kommen und die Gelegenheit haben, die Situation in ihrem Land und die eigenen Fluch- tursachen zu erläutern. Darüber hinaus soll Raum für Fragen, individuelle Begegnungen und Gespräche sein. Ort: Gemeinschaftsunterkunft Kutschenweg, Verwaltungsgebäude, Kutschenweg 30, Rheinstetten-Forchheim (Silberstreifen) Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Bündnis 90/Die Grünen Rheinstetten und weitere Partner „Warum wir hier sind“ 16. März (Sonntag) 37 Aktionstag „Afrika erleben beim Afri- katag in der Albschule Karlsruhe!“ Die Albschule ist eine Karlsruher Schule für geistig behinderte junge Menschen mit weit- reichenden Kooperationen inklusiver und inten- siver Kooperationsmaßnahmen im schulischen und außerschulischen Bereichen. Teilhabe an der Gesellschaft heißt für die Albschule, sich auch zu öffnen für den unmittelbaren persön- lichen Kontakt zu Menschen, die ihre Wurzeln in fremden Kulturen haben. Wir wollen mit diesem Aktionstag kulturpoli- tische und ethische Ziele in der Auseinanderset- zung mit fremden Kulturen und auch Religionen erreichen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass sol- che Begegnungsmaßnahmen wie der Afrikatag das Selbstwertgefühl gerade unserer Schüler_ innen mit schwarzer Hautfarbe immens positiv steigern könnte. Die Schüler_innen erleben und fühlen Afrika unmittelbar und lebensnah durch gemeinsame Aktionen mit den Afrikanerinnen und Afrikanern in verschiedenen Workshops wie Gesang, Tanz, Trommeln, Knüpfen und landeskundlichen Informationen durch Bilder und Erläuterungen. Dies entspricht dem päda- gogischen Grundsatz der Schule, ganzheitlich mit allen Sinnen zu lernen. So können Vorurteile gegenüber dem Anderssein abgebaut werden. In der Albschule betrachten wir die Vielfalt multikultureller Gesellschaft als Bereicherung und nicht als Belastung. Geschlossene Veranstaltung Ort: Albschule, Scheibenhardter Weg 23, KA-Weiherfeld-Dammerstock Zeit: 8.30 – 15 Uhr Veranstalter: Stoffwechsel e.V. in Kooperati- on mit der Albschule, der Gruppe MAYI AFRIKA sowie jungen Flüchtlingen, die in Karlsruhe leben www.stoffwechsel-ev.de www.albschule.de „Afrika erleben!“ 16. 3. 17. 3. 17. 3. 17. März (Montag) 38 Sie starrt mich an ... Ich bin sicher, sie hasst Muslime ... Sie starrt mich an ... Ich bin sicher, sie hasst Ungläubige ... Dem Islam wird vorgeworfen, Frauen zu un- terdrücken und ihnen viele ihrer individuellen Grundrechte zu verwehren. Muslimische Frauen werden zwangsverheiratet, misshandelt und im Namen der Ehre ermordet. Die muslimische Frau, insbesondere die kopf- tuchtragende, wird oft bemitleidet, man/frau möchte: - sie dabei unterstützen, ihre Rückständigkeit „abzukleiden“ - ihr dabei zu helfen, sich von ihrer Kopfbe- deckung zu befreien, da es als Unterdrückung ihrer Rechte und als Zwang durch den Ehemann bzw. die Familie gesehen wird - ihr den Weg zur Emanzipation und zur per- sönlichen Freiheit zeigen. Was sagen muslimische Frauen dazu? Muslimische Frauen laden Frauen zum Gespräch ein Viele Migrantinnen müssen trotz hoch qualifi- zierten, im Ausland erworbenen Abschlüssen putzen gehen. Hat dies mit Rassismus zu tun? Eine koptuchtragende Erzieherin mit gutem Ab- schluss findet keinen Arbeitsplatz! Hat dies mit Diskriminierung zu tun? Wir laden alle interessierten Frauen recht herzlich dazu ein, mit uns und anderen musli- mischen Frauen sich bei offener Atmosphäre und bei Kaffee und Tee über diese Themen zu unterhalten und den direkten Erfahrungsaus- tausch zu erleben. Ort: Stadtteilbüro Oststadt, Gottesauerstr. 3, KA-Oststadt Zeit: 10 Uhr - 12 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Islamische internationale Frauen- gemeinschaft Karlsruhe und Umgebung (IIFG) e. V. 17. 3. 17. März (Montag) „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ 39 Workshop mit Irmela Mensah-Schramm: „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ Der Workshop für Kinder und Jugendliche greift die von Frau Schramm fotografierten fremdenfeindlichen, menschenverachtenden und verletzenden Parolen im öffentlichen Raum auf. Im ersten Teil des Workshops berichtet die Politikaktivistin über ihre Erfahrungen als „Po- lit-Putze“. In den letzten 27 Jahren dokumen- tierte und entfernte sie tausende menschen- verachtende, rassistische und antisemitische Aufkleber und Schmierereien deutschland- und mittlerweile auch europaweit. Die Workshop- teilnehmer_innen lernen die verschiedenen Symbole und sprachlichen Ausdrucksformen der hasserfüllten Sprüche und Parolen kennen und können sie im zweiten Teil des Workshops dann mit bunten Farben zu positiven, fröhlichen und respektvollen Botschaften umwandeln. Im 17. März (Montag) 17. 3. Anschluss der Veranstaltung werden die um- gestalteten Werke präsentiert und gemeinsam besprochen. Geschlossene Veranstaltung Ort: Markgrafen-Gymnasium, Gymnasiumstr. 1-3, KA-Durlach Veranstalter: Markgrafen-Gymnasium www.hassvernichtet.de www.mgg.karlsruhe.de 40 17. März (Montag) Workshop: Diskriminierung im Nightlife/reloaded In der Podiumsdiskussion über „Diskriminie- rung im Karlsruher Nightlife“ der letztjährigen „Karlsruher Wochen gegen Rassismus“ wurde aufgezeigt, dass Diskriminierung in der Gastro- und Clubszene auch in Karlsruhe durchaus existiert. Die Podiumsteilnehmer – Vertreter der Gastronomie, Polizei, Gaststättenbehörde der Stadt Karlsruhe und Karlsruher Clubbesu- cher_innen – einigten sich darauf, das Thema weiterhin anzugehen und gemeinsam ein Zei- chen gegen Diskriminierung an Clubtüren zu setzen. Basierend auf den Erkenntnissen wird dieses Jahr ein Workshop zur Erarbeitung einer Kampagne stattfinden, bestehend sowohl aus den Teilnehmenden vom letzten Jahr als auch von weiteren Akteuren. Interessierte sind herz- lich zum Mitdenken und Mitmachen eingeladen. Ort: Gasthaus Marktlücke, Marktplatz, KA-In- nenstadt Zeit: 15 Uhr – 17 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Kulturbüro der Stadt Karlsruhe, AK Migrationsbeirat www.karlsruhe.de/b3/soziales/einrichtungen/ bfi/migrationsbeirat.de www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerde- rung/kulturbuero „Diskriminierung im Nightlife“ Lesung: „Die größte Sehenswürdig- keit die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an“ (Kurt Tucholsky) Die Welt ist spannend und vielfältig. Für man- che aber auch bedrohlich und fremd. Wie ist es, wenn die weite ferne Welt auf uns trifft? Anlässlich der Karlsruher Wochen gegen Ras- sismus lesen Amnesty-Mitglieder und Gäste Texte von und zu Migrant_innen. Hören Sie zu – lesen Sie mit! Ort: Café Palaver, Gewerbehof, Steinstraße 23, KA-Innenstadt Zeit: 16.30 Uhr – 18 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Amnesty International Bezirk Karlsruhe www.amnesty-karlsruhe.de „Die größte Sehens- würdigkeit die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an“ 17. 3. 17. 3. 41 17. März (Montag) Vortrag von Ellen Esen: „Mitläufe- rinnen und Macherinnen – Mädchen und Frauen in der extremen Rechten“ Die rechte Szene gilt als Männerdomäne. Doch längst haben Mädchen und Frauen auch diese Bastion erobert. Sie mischen in verschiedenen Bereichen der extremen Rechten mit, vielfach nicht ernst- oder wahrgenommen. Sie treten zunehmend auch als politische Akteurinnen in den Vordergrund. Sie sind in rechtsextremen Parteien aktiv, schließen sich Kameradschaften an, wirken als Türöffnerinnen auf dem Weg zur Mitte der Gesellschaft, arbeiten in Vorfeld-Or- ganisationen mit oder schwimmen schlicht auf der Welle der braunen Subkultur mit. Wer sind die Frauen am rechten Rand? Wie sind sie organisiert? Welche Anliegen vertre- ten sie? Was suchen und finden sie in extremen Gruppierungen? Was bedeutet diese Entwicklung? Und wie kann präventiv mit Mädchen und Frauen gearbeitet werden? Über Ellen Esen: Politikwissenschaftlerin, gefragte Rechtsextremismus-Expertin und Frau der Praxis mit Studium der Geschichte und Politik. Seit den 1990er Jahren ist sie tätig in der politischen Jugend- und Erwachse- nenbildung mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus, Sozialstaats- entwicklung, Sekten und Psychogruppen. „Mädchen und Frauen in der extremen Rechten“ Fo to : M ai k Ba um gä rt ne r 17. 3. Ort: Museum für Literatur am Oberrhein, Prinz- Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innenstadt Beginn: 19 Uhr Veranstalter: Gegen Ver- gessen – Für Demokratie e.V., Sektion Nordbaden, Gleichstellungsbeauf- tragte der Stadt Karls- ruhe 42 17. März (Montag) Vortrag von Astrid Messerschmidt: „Der Wunsch unschuldig zu sein – Rassismus in der Demokratie“ Trotz der Initiativen gegen Rassismus in vielen Städten fällt es immer noch schwer, alltagsras- sistische Erfahrungen anzusprechen, ohne dass diese abgewehrt und relativiert werden. Vor dem Hintergrund der erfolgten Aufarbeitungs- prozesse zu den NS-Verbrechen ist ein gesell- schaftliches Selbstbild der Anständigkeit eta- bliert worden, das Rassismus nur an Rändern und kaum in der Mitte der gesellschaftlichen Institutionen erkennt und kritisiert. Der Vortrag skizziert die zeitgeschichtlichen Bedingungen der kritischen Reflexion von Alltagsrassismus innerhalb der Demokratie. Dabei werden Per- „Der Wunsch unschuldig zu sein.“ Theatrale Aktion im öffentlichen Raum Ort: Kronenplatz Beginn: 20 Uhr Veranstalter: Werkraum Karls- ruhe e.V., IIFG e.V., „Projekt LEA“ des Stadtjugendaus- schuss e.V. www.werkraum-karlsruhe.de 17. 3. spektiven für eine demokratisierende Bildungs- arbeit entwickelt. Rassismuskritik bedeutet darin, sich selbst in rassistischen Dominanzver- hältnissen wahrzunehmen und die Institutionen, in denen Bildung für eine demokratische Ge- sellschaft stattfinden soll, darauf hin zu befra- gen, wie sie Rassismus reproduzieren. Über Astrid Messerschmidt: Dr. Astrid Messerschmidt ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Migrationsgesell- schaftliche und interkulturelle Bildung, Päda- gogischer Umgang mit Verschiedenheit und Diskriminierung, Zeitgeschichtliche Bildung in den Nachwirkungen des Nationalsozialismus, Kritische Bildungstheorie und Geschlechterre- flektierende Pädagogik Anmeldung erwünscht per E-Mail an: info@freundeskreis-asyl.de Ort: Menschenrechtszentrum, Alter Schlachthof 59, KA-Oststadt Beginn: 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Freundeskreis Asyl e.V. in Zusam- menarbeit mit dem Deutsch-Afrikanischen Verein e.V. www.ph-karlsruhe.de/index.php?id=3256 www.freundeskreis-asyl.org Theatrale Aktion im öffentlichen Raum 17. 3. 43 17. März (Montag) Konzert Gregor McEwan „I was born in 1982, grew up on a quiet avenue“, mit diesen Worten beginnt Gregor McEwan den Titel „Rhododendron“, schwelgend in Erinnerungen an Heimat und Familie. Besser kann sich ein Musiker dem Hörer wohl kaum vorstellen. Auch wenn er die „quiet avenue“ in- zwischen gegen laute Berliner Großstadtstra- ßen getauscht hat, ist der Dorf-Romantiker aus McEwan einfach nicht herauszubekommen. Auf „Much Ado About Loving“ geht es nämlich mal wieder um sie: die Liebe... in all ihren Formen, mit all ihren Dramen. So hätte sich wohl selbst der Altmeister des Dramas, William Shake- speare, geehrt gefühlt, dass sein Stück „Much Ado About Nothing“ (Viel Lärm um nichts) als Inspirationsschub für diesen grandiosen zwei- ten Streich des Gregor McEwan diente. Viel Lärm um die Liebe, viel Lärm ums zweite Album, viel Lärm – zu Recht! Im Vergleich zu vielen an- deren Gitarrenjungs geht es hier nämlich nicht um das große Jammern, zur Schau gestelltes Selbstmitleid oder schmerzhaftes Hin-und-her- Gewälze. Nein, es ist viel mehr als das: die Liebe zur Natur, zur Heimat, zur Familie. Ver- liebtsein, Nicht-mehr-Verliebtsein-wollen, ent- täuschte Liebe und ja, sogar die körperliche Liebe. Für sein Debütalbum „Houses And Homes“ hatte McEwan unzählige Vorschusslorbeeren erhalten und wurde auch mit internationalen Größen wie Ryan Adams, Damien Rice, City And Col- our, Bright Eyes oder Glen Hansard verglichen. Und so verwundert es nicht, dass man sogar ein Genre antrifft, welches man erst noch auf den Namen Folklor(e)core taufen müsste. So finden sich charmante Ennio Morricone-Zitate, wuchtig-hallige Drums und seichte, elektro- nische Samples, aber auch Altbekanntes wie verträumte Cello-Klänge, treibende Banjo-Pi- ckings, sphärische E-Gitarrensounds und schwe- re Klavierakkorde. Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Klei- ner Saal Beginn: 20.30 Uhr Eintritt: 11 € (VK), 12 € (AK) Veranstalter: jubez www.jubez.de www.gregormcewan.com „Much Ado About Loving“ 17. 3. Gregor McEwan 44 18. März (Dienstag) Workshop mit Irmela Mensah-Schramm: „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ Siehe Ankündigung vom 17. März Geschlossene Veranstaltung Ort: Internationaler Bund Karlsruhe, Werder- straße 57, KA-Südstadt Veranstalter: Jugendmigrationsdienst des Inter- nationalen Bundes e.V. Spielerische Begegnungen Mobi: Spielerische Begegnungen Wir, die Mobile Spielaktion des Stadtjugend- ausschuss Karlsruhe, sind eine spielpädago- gische Einrichtung, die mit verrückten Spieli- deen und verschiedensten Spielgeräten zu den Kindern in die jeweiligen Stadtteile fährt. Vor Ort ermöglichen wir freies, bedürfnisorien- tiertes und selbstbestimmtes Spielen. Genau das möchten wir auch all den Kindern ermög- lichen, die neu nach Deutschland gekommen sind. Wir werden an verschiedenen Nachmittagen die StJA-Einrichtungen in der Nordstadt, Mühl- burg und Lohn-Lissen (Durlach) besuchen. Mit unserem vollgepackten Circuswagen machen wir Rast und verbringen mit den Kindern einen erlebnisreichen Spielnachmittag. Herzlich eingeladen sind alle Kinder von 6 – 14 Jahren aus dem jeweiligen Stadtgebiet, ganz besonders die Kinder, die erst kurze Zeit bei uns wohnen, um sich zusammenzufinden und zu teilen, was alle Kinder eint: das Spiel. Ort: NCO-Club, Delawarestraße 21, KA-Nord- stadt Zeit: 14 Uhr – 17 Uhr Teilnahme kostenlos Veranstalter: Mobile Spielaktion des StJA Karlsruhe e.V. www.mobi-aktion.de 18. 3. 18. 3. 45 18. März (Dienstag) Kindertheater: „Woanders ist es immer anders“ In der Reihe „Kleines Tollhaus“: Ein Projekt zur Förderung von Integration und Miteinander Ein Stück über das Kennenlernen und Verstehen anderer Kulturen zeigen Schauspielerin und Sängerin Susanne Back und der Schauspieler, Regisseur und Autor Georg Veit im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassismus. „Woan- ders ist es immer anders“ ist der Versuch eines gemeinsamen Weges, der mit jungen Men- schen ab dem Kindergartenalter mit Farben, Musik und in beeindruckenden Bildern beschrit- ten wird. Blau. Der Himmel ist blau. Die strahlenden Au- gen der Kinder sind blau. Und der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüf- te. Blau. Es geht um die Geschichte von Herrn Blau. Herr Blau lebt im Lande Blau. Dort ist tatsächlich alles blau. Nicht nur der Himmel und die klei- „Woanders ist es immer anders“ nen romantischen Blumen auf der Wiese, die Herr Blau so gern hat. Nicht nur die Elefanten und Nashörner. Auch die Häuser und Straßen- schilder, die Gießkannen, Schnürsenkel und die Autos. Alles in Blau ist blau. Und alle in Blau sprechen Blau, denken Blau und fühlen Blau. Es riecht blau, es schmeckt blau und wenn du die Luft ganz fest durch die Nase ziehst, dann spürst du, wie von oben nach unten ein blau- er Hauch durch deinen ganzen Körper fährt. BLAU. Und wenn sich schließlich der blaue Mond über das Land senkt, dann möchte Herr Blau nirgends anders sein als da, wo er gerade ist. Doch eines Tages wird alles ganz anders. Etwas Schreckliches geschieht im Lande Blau. Herr Blau muss fliehen. Eine lebensgefährliche Reise übers Meer ... bis er in GELB ankommt. Ort: Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Beginn: 15 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe e.V. www.tollhaus.de 18. 3. 46 18. März (Dienstag) Abendgespräch für Frauen: „Barm- herzigkeit im Christentum und im Islam. Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen aus theologischer und praktischer Sicht“ Die Frauenkommission der Christlich-Islamischen Gesellschaft Karlsruhe e.V., die Islamische In- ternationale Frauengemeinschaft Karlsruhe und Umgebung e.V. und die Schwestern vom Gött- lichen Erlöser im Herz-Jesu Stift laden alle in- teressierten Frauen zu einem Austausch und zur Begegnung bei Gebäck und Tee ein. Die Christlich-Islamische Frauenkommissi- on ist Teil der Christlich-Islamischen Gesell- schaft Karlsruhe (CIG). Frauen beider Religi- onen treffen sich drei bis vier Mal im Jahr, um sich gemeinsam über Themen auszutauschen, die ihr Leben und ihren Glauben betreffen. Wir schauen gemeinsam in die Bibel und den Koran, entdecken Gemeinsamkeiten und Unter- schiede und lernen Vieles und sehr Konkretes über das Leben, das Denken und den Glauben der Schwestern. Die Islamische Internationale Frauengemein- schaft e. V. Karlsruhe und Umgebung (IIFG) ist ein Zusammenschluss muslimischer Frauen internationaler Herkunft, die hilfsbedürftige Personen bei Problemen und Fragen beraten sowie ganz individuelle praktische Unterstüt- zung leisten. Mit der Gründung des Vereins im Jahre 2002 wurde nicht nur ein Netzwerk geschaffen, das islamischen Frauen einen Er- fahrungsaustausch und eine Anlaufstelle bietet. Vielmehr hat sich der Verein das Ziel gesteckt, bestehende Vorurteile und Missverständnisse abzubauen und sich für die soziopolitische und kulturelle Emanzipation der Karlsruher Frauen einzusetzen. Die IIFG fördert den interkultu- rellen und interreligiösen Dialog und bringt sich aktiv in die Entwicklung verschiedener Stadt- teile ein. Sie bietet jeden dritten Freitag im Monat ein Trommel-Workshop für jede_n an und lädt jeden ersten Montag im Monat Flücht- lingsfrauen zu einem internationalen Frühstück ein. Ort: Herz-Jesu-Stift, Gellertstr. 41, KA-Mühlburg Zeit: 18 Uhr – 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Frauenkommission der CIG, IIFG e. V. und Schwestern vom Göttlichen Erlöser im Herz-Jesu Stift www.cig-karlsruhe.de www.schwestern-vom-goettlichen-erloeser.de/ Einrichtung_fuer_Wohnsitzlose.21.0. „Barmherzigkeit im Christentum und im Islam 18. 3. 47 18. März (Dienstag) Vortrag von Kurt Möller: „Das Ländle – die ’Insel der Seligen’? Rechtsex- tremismus in Baden-Württemberg. Erscheinungsweisen, Ursachen und Gegenstrategien“ Rechtsextremismus? Nun, der mag Anfang der 1990er Jahre in Deutschland grassiert haben und heute vielleicht noch im Osten existieren. Aber gegenwärtig in Baden-Württemberg? Kann man das ernsthaft behaupten? Ja, man kann! Der Referent Prof. Kurt Möller wird aufzeigen, dass das Ländle beileibe keine ‚Insel der Seligen’ im Meer braunen Gedanken- guts darstellt. Er wird dabei besonders auf die Anfälligkeiten junger Leute, speziell von Jungen und Männern, eingehen. Und er wird andeuten, welche Strategien erfolgversprechend erschei- nen, extrem rechte Tendenzen zurückzudrän- gen. Über Kurt Möller: Dr. Kurt Möller ist Professor für Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit an der Hochschule Esslingen. Neben seiner wissenschaftlichen Tä- tigkeit war er mehrere Jahre in der Jugend- arbeit und Erwachsenenbildung tätig. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen auf der Gewalt- und Rechtsextremismusforschung, auf Jugendkulturen, männlicher Sozialisation und pädagogischer Jungen-/Männerarbeit und politischer Partizipation von Jugendlichen. Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Gro- ßer Saal Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Kulturbüro der Stadt Karlsruhe, jubez, Fachstelle gegen rechts im StJA e.V., Beratungsnetzwerk kompetent vor Ort. für Demokratie gegen Rechtsextremismus. www.hs-esslingen.de/de/mitarbeiter/ kurt-moeller www.jubez.de www.stja.de/projekte-events-mehr/ kompetent-vor-ort www.karlsruhe.de/b1/kultur/ kulturfoerderung/kulturbuero „Das Ländle – die ’Insel der Seligen’? Rechtsextremismus in Baden-Württemberg. 18. 3. 48 Konzert: New Model Army – „Bet- ween Dog and Wolf“-Tour 2014 Nachdem New Model Army 2013 bereits Teil 1 der „Between Dog and Wolf“-Tour absolviert haben, freut sich die Band darauf, auch 2014 wieder nach Deutschland zu kommen und da- bei viele Orte zu besuchen, an denen sie zu- vor noch nicht gespielt haben. 2013 war ein interessantes Jahr für New Model Army, sagt Frontmann Justin Sullivan: „Es war ein aufre- gendes Jahr für uns. Wir wussten nicht, was uns mit ‚Between Dog And Wolf‘ erwartet, wir haben unseren Sound verändert und das auch in der Liveperformance umgesetzt. Die Reakti- onen darauf waren besser, als wir je erwartet hätten, umso mehr freuen wir uns darauf, 2014 das fortzusetzen, was wir dieses Jahr begon- nen haben.“ Mit Platz 31 markierte „Between Dog and Wolf“ den höchsten Charteinstieg der Band in Deutschland seit 1993 und zudem das erfolgreichste New Model Army-Album seit 20 Jahren. 18. März (Dienstag) Auch die Presse zeigte sich begeistert: „Die New Model Army zieht nicht mehr selbst in den Kampf, aber sie singt der jun- gen Generation ins Gewissen. Manchmal knüppelt sogar die alte Wut aus den Laut- sprechern.“ (Zeit Online) „Die langlebige Kapelle findet mit ihren archaischen Rhythmen einen neuen Ansatz, der dennoch bruchlos zum Stil von New Model Army passt.“ (Classic Rock) „Eine ergreifende Platte, die Kritiker, die der Band immer Eintönigkeit vorwarfen, für immer verstummen lassen dürfte.” (Eclipsed) „Das beste NMA Album seit ‚The Love Of Hopeless Causes‘” (Guitar) Die neue Single „7 Times“ erscheint im Januar. Wir freuen uns sehr, dass die Band mal wieder in Karlsruhe zu Gast ist. Ort: Substage, Alter Schlachthof 19, KA-Oststadt Beginn: 20 Uhr Eintritt: 28,60 € (VK), 32 € (AK) Veranstalter: jubez www.jubez.de www.substage.de www.newmodelarmy.de New Model Army 18. 3. „Between Dog and Wolf“ 49 18. März (Dienstag) / 19. März (Mittwoch) Filmvorführung: „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ Siehe Ankündigung vom 15. März 18. 3. Workshop mit Irmela Mensah-Schramm: „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ Siehe Ankündigung vom 17. März Geschlossene Veranstaltung Ort: Schillerschule, Kapellenstr. 11, KA-Oststadt www.schillerschule-ka.de MOBI: Spielerische Begegnungen Siehe Ankündigung vom 18. März Ort: NCO-Club, Delawarestraße 21, KA-Nordstadt Zeit: 14 Uhr – 17 Uhr 19. 3. 19. 3. 50 Weißsein ist eine unmarkierte Position, von der aus andere beschrieben, markiert und bewer- tet werden. Es ist mit Privilegien verbunden, die meistens nicht als solche wahrgenommen oder empfunden werden. Überall da, wo weiße Menschen und PoC (People of Color; Nicht-Weiße) zusammenkommen, kooperieren oder zusammenarbeiten, stellt sich die Frage: Kommt man hier auf Augenhöhe zusammen? Nutzen weiße Menschen ihre strukturell vor- gegebenen Privilegien für einen gleichberech- tigten Austausch? Oder nutzen sie ihre aus den Privilegien resultierende Macht, um diese auf- rechtzuerhalten und zu festigen? Ist es möglich und sinnvoll, wenn weiße Menschen sich als Re- präsentant_innen der anderen verstehen, ohne deren Beteiligung zu sichern? Zielgruppe sind alle Mitarbeiter_innen aller Verwaltungen, die in ihrem alltäglichen Um- gang ein anregendes Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln fördern können, sowie alle weißen Menschen, die mit PoC zu tun haben – sei es bei der Arbeit, bei ihrem ehrenamtlichen Engage- ment oder einfach im Freundes- und Bekann- tenkreis. Sie sollten Interesse und/oder Freude daran haben, ihr Wissen über sich selbst zu erweitern. Natürlich können PoC ebenfalls teil- nehmen. Teilnehmende entdecken ihre blinden Flecken im Umgang mit ihren Kolleg_innen, Kund_innen, Freund_innen und Bekannten of Color und set- zen sich damit auseinander. Am ersten Tag wird es darum gehen, ein Be- wusstsein für das Weißsein und dessen Bedeu- tung zu entwickeln, das Weißsein und damit verbundene Privilegien zu reflektieren und Einsichten in persönliche Unsicherheiten zu ge- winnen. Am zweiten Tag wird über die Selbstverständ- lichkeiten im Umgang mit PoC gesprochen. Teil- nehmende stärken ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit zur Abgabe von Privilegien, befrei- en sich von Privilegien-bedingten Verweichli- chungen. Am Ende werden die Teilnehmenden die Bedingungen für die Integration von Viel- fältigkeit in Teams und im täglichen Miteinan- der kennen. Die Teilnehmenden erwartet ein sehr interaktives, kurzweiliges, provokantes und herausforderndes Training. Die Veranstaltung wird von zwei qualifizierten und erfahrenen Trainer_innen durchgeführt. Über die Trainer_innen: Lawrence Oduro-Sarpong, geboren und auf- gewachsen in Ghana, lebt seit 1992 in Berlin und studierte Deutsch als Fremdsprache. Er ab- solvierte Ausbildungen und berufsbegleitende Weiterbildungen zu verschiedenen Themen- feldern, darunter eine Mediationsausbildung, „Managing Diversity“, Change Management & Leadership Anti-Bias (Diskriminierung Ver- lernen) und Prozess-Moderation nach Arnold Mindell. Er arbeitet seit vielen Jahren als Ex- perte für Fragen der interkulturellen- und Di- versity-Kompetenz, des Konfliktmanagement und der Weißseinsreflexion. Lucía Muriel ist in Ekuador geboren und seit ih- rer frühen Kindheit durch verschiedene Länder, Kulturen und Regionen migriert. Sie hat Erfah- rungen mit verschiedenen politischen Systemen gemacht. An der Freien Universität Berlin stu- dierte sie Psychologie und spezialisierte sich in Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsycholo- gie sowie in Erwachsenenbildung. Sie ist aktiv verbunden mit indigenen und lateinamerika- nischen Frauenbewegungen. Die kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklungs-, Mi- grations- und Bildungspolitik der dominanten Weißheit ist fester Bestandteil ihrer Projekte, Trainings und Seminare. Seit 2013 arbeitet Lucía Muriel als Promotorin für den ersten mi- grantischen entwicklungspolitischen Verband in Training „Bewusst Weiß sein“ 19. März (Mittwoch) / 20. März (Donnerstag) 19. 3. 20. 3. 51 Berlin, „moveGLOBAL e.V.“, den sie 2012 mit- gegründet hat. Die Veranstaltung findet am 19. und 20. März statt und kann nur an beiden Tagen besucht werden! Teilnehmerzahl: min. 10, max. 18 Kosten: 60 €, ermäßigt 40 € Anmeldung bei Stoffwechsel e.V., Werner Kersting, Kanalweg 95, 76149 Karlsruhe, info@stoffwechsel-ev.de Veranstalter: Stoffwechsel e.V. mit Unterstüt- zung des ibz Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Zeit: 9 Uhr – 16.30 Uhr (Mittwoch) 9 Uhr – 15.30 Uhr (Donnerstag) www.stoffwechsel-ev.de 19. März (Mittwoch) Vorleserunde für Kinder: „Das kleine Krokodil und die große Liebe“ nach einem Kinderbuch von Daniela Kulot Wenn sich ein kleines Krokodil in eine Giraffe mit langem Hals verliebt, gibt es Schwierig- keiten! Aber gemeinsam finden sie einen Weg. Für Kinder ab vier Jahren Ort: Stadtteilbibliothek Neureut, Badnerland- halle, Rubensstraße 21, KA-Neureut Beginn: 15 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Stadtbibliothek Karlsruhe www.stadtbibliothek-karlsruhe.de „Das kleine Krokodil und die große Liebe“ 19. 3. 52 19. März (Mittwoch) Mit Begegnungen und verschiedenen Workshops Die Islamische Internationale Frauengemein- schaft besucht zusammen mit dem Werkraum Karlsruhe die Flüchtlinge in der Flüchtlingsun- terkunft Griesbachhaus in Mühlburg. Zusammen mit dem Betreuungsteam des „Projekts LEA“ bieten sie den Bewohner_innen Bastelangebote (u.a. Patchwork, Filzen, Malen) sowie künstle- rische Workshops (u.a. Trommeln, Tanzen, The- ater) an. Die Frauen der IIFG stehen den Be- wohner_innen für Gespräche zur Verfügung. Das „Projekt LEA“: Der Stadtjugendausschuss e.V. Karlsruhe be- gann 2012 mit der Betreuung von Flüchtlings- kindern im NCO-Club. Der Bedarf an Kinder- betreuung ist auch an anderen Orten sehr hoch und so gibt es nun seit Ende letzten Jahres unter dem Namen „Projekt LEA“ auch in drei weiteren Außenstellen der Landeserstaufnah- mestelle Baden-Württemberg Betreuungsan- gebote. Während der Betreuungszeit können die Kinder Kreativ- und Bewegungsangebote wahrnehmen, es werden gemeinsame Ausflüge unternommen und die Kinder haben darüber hinaus die Möglichkeit, am Deutschunterricht teilzunehmen. Geschlossene Veranstaltung Ort: Griesbach-Haus, Sophienstraße 193, KA-Mühlburg Beginn: 9.30 Uhr Veranstalter: IIFG e.V., Werkraum Karlsruhe e.V., Stadtjugendausschuss Karlsruhe e.V. – „Projekt LEA“ www.werkraum-karlsruhe.de Angebote für Flüchtlinge im Griesbach-Haus Vortrag von Stefan Luft mit anschlie- ßender Diskussion: „Herausforde- rungen europäischer Grenzpolitik“ Europäische Migrationspolitik ist ein komplexes und dynamisches Politikfeld. Die Debatte ist gekennzeichnet durch polarisierte Kontrover- sen. Die gegenwärtige Konzentration der EU auf die Grenzsicherung zur Begrenzung irregu- lärer Zuwanderung wird überwiegend kritisch bewertet. Nicht selten führt sie zu Menschen- rechtsverletzungen und menschlichen Tragö- dien. Langfristig würde eine Verbesserung der Perspektiven in den Herkunftsländern den Mi- grationsdruck verringern. Ein Vortrag mit Dr. phil. habil. Stefan Luft, geb. 1963, Privatdozent am Institut für Politikwissen- schaft der Universität Bremen Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Europa-Union Karlsruhe, ibz Karlsruhe e.V. www.stefanluft.de www.ibz-karlsruhe.de www.europa-union-karlsruhe.de „Herausforderungen europäischer Grenzpolitik“ 19. 3. 19. 3. 53 19. März (Mittwoch) Theater: „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ Fünf hochmotivierte Gutmenschen proben eine Wohltätigkeitsveranstaltung für ein Schulpro- jekt in Guinea-Bissau – und verheddern sich heillos in Pauschalisierungen, Vorurteilen und vermeintlich politisch korrekten Verhaltensstra- tegien: Darf eine „echte Schwarze“ auf der Bühne sein, um die Veranstaltung zu beglau- bigen? Oder ist das positiver Rassismus? Muss man an die Botschaft glauben, die man ver- tritt? Oder ist die Wirkung wichtiger? In den Diskussionen der Fünf über die Verteilung der Redezeit, über peinliche Papp-Palmen oder Betroffenheitskitsch werden die Proben für das gut gemeinte Projekt zu einer Parade der Profilneurosen. Amüsant, klug und scharfsinnig entlarvt Ingrid Lausund in ihrer Komödie den Ablasshandel in Wohltätigkeitsveranstaltungen, den versteckten und vor allem gut gemeinten Rassismus und das Dilemma des schlechten Ge- wissens in unseren Köpfen. „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ 19. 3. Ort: Badisches Staatstheater, Baumeisterstraße 11, KA-Südstadt, Studio Beginn: 20 Uhr Eintritt: 13 €, ermäßigt 7 € Veranstalter: Badisches Staatstheater Karlsruhe www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/ info/1694 54 „Ich bleib dann mal hier!“ Senay Duzcu: „Ich bleib dann mal hier!“ – Ethno Stand-Up Comedy ohne Kopftuch auf der Bühne Senay Duzcu ist die erste türkische Komikerin in Deutschland. Ihr Weg auf die Bühne war weit, seit sie mit ihren Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, einge- wanderte. Ihr Vater sagte zu einem Storch Schwein und seine Frau stellte er vor, indem er sagte: „Das ist eine Lebensgefahr“. Und eigentlich sollte die Schwester von Senays Mutter die Ehefrau ihres Vaters werden. Aber die hatte am Hochzeitstag keine Zeit. Wie alt Senay ist, weiß sie nicht. In der Türkei werden Geburtszahlen gerne angepasst. Senay glaubte lan- ge, sie sei wie Jesus in einem Stall ge- boren worden. In Deutschland erfuhr sie, es sei wohl doch eine Hausgeburt gewesen. Von da an machte es sich die hübsche Frau zur Aufgabe, Kultu- runterschiede aus der Sicht türkischer Frauen zu zeigen. Als „Komikerin im roten Kleid“ machte sie sich schnell ei- nen Namen, auch in Radio und Fern- sehen. In Bayern wurde Senay 2007 der Deutsch-Türkische Freundschafts- preis verliehen. Ihr eigenwilliger Humor erlaubt es Senay, nicht nur zwischenmenschliche Unterschiede komisch wiederzugeben, sondern auch politische Aus- einandersetzungen aufzulockern. Intelligent und mit dem nötigen Augenzwinkern eröffnet die Wahlkölnerin manch überraschende Sicht- weise. So bringt sie Bewegung in eingefahrene Debatten mit scheinbar unverrückbaren Positi- onen und verhilft den Beteiligten nicht selten zu neuen Möglichkeiten der Verständigung. Ange- la Merkel empfiehlt sie, einen Türken zu heira- ten, „…dann könnte sie ein Kopftuch tragen, müsste sich nicht mehr um ihre Frisur scheren und hätte mehr Zeit zum Regieren.“ Integration durch Comedy? Geht das? „Ja klar“, sagt Senay Duzcu. „ Zum Glück braucht das Lachen keine Dolmetscher.“ Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Gro- ßer Saal Beginn: 20.30 Uhr Eintritt: 16,50 € (VK), 18 € (AK) Veranstalter: jubez www.senay.tv www.jubez.de 19. März (Mittwoch) 19. 3. 55 Training: Bewusst Weiß sein Siehe Ankündigung vom 19. März MOBI: Spielerische Begegnungen Siehe Ankündigung vom 18. März Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Mühl- burg, Fliederplatz 1, KA-Mühlburg Zeit: 13 Uhr – 16 Uhr Vorleserunde für Kinder: „Irgendwie Anders“ nach dem Bilderbuch von Kathryn Cave So sehr er sich auch bemühte, wie die anderen zu sein, Irgendwie Anders war erkennbar an- ders. Deswegen lebte er auch ganz allein auf einem hohen Berg und hatte keinen einzigen Freund. Bis eines Tages ein seltsames Etwas vor seiner Tür stand. Das sah ganz anders aus als Irgendwie Anders, aber es behauptete, genau wie er zu sein... Im Anschluss an die Vorleserunde findet eine Bastelaktion statt. Für Kinder ab vier Jahren Ort: Stadtteilbibliothek Waldstadt, Neisser Straße 12, KA-Waldstadt Beginn: 15.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Stadtbibliothek Karlsruhe www.stadtbibliothek-karlsruhe.de „Ich bleib dann mal hier!“ 19. März (Mittwoch) /20. März (Donnerstag) Vortrag: „Psychologische Aspekte von Vorurteilen aus transkultureller Sicht“ Die Bahai-Religion ist eine junge Religion, die vor 150 Jahren entstanden ist und sich über die ganze Welt verbreitet hat. Bahais leben seit 1920 in Karlsruhe und treffen sich zu Vorträ- gen und Veranstaltungen in der Amalienstraße 30. Hauptgedanke des Bahai-Glaubens ist der Glaube an die Einheit der Menschheit und der Abbau jeglicher Art von Vorurteilen, seien es religiöse, rassische, nationale und andere. Um diese Gedanken bekannt zu machen, finden Informationsveranstaltungen im Bahai-Zentrum Karlsruhe statt. Der Referent Dr. habil. Hamid Peseschkian wird in seinem Vortrag auf die Vorurteile der Menschen eingehen, schildern, woher sie kommen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Über Hamid Peseschkian: Dr. Hamid Peseschkian ist Direktor der Wiesba- dener Akademie für Psychotherapie (WIAP), Medizinischer Direktor des Wiesbadener Psy- chotherapiezentrums und Präsident des Welt- verbandes für Positive Psychotherapie (WAPP). Er ist auch bekannt aus Beiträgen im ZDF. Ort: Bahai-Zentrum, Amalienstraße 30, KA-Innenstadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Bahai-Gemeinde Karlsruhe www.peseschkian.com/de/hamid-peseschkian www.karlsruhe.bahai.de „Vorurteile aus transkultureller Sicht“ „Irgendwie Anders“ 19. 3. 20. 3. 20. 3. 20. 3. 56 20. März (Donnerstag) Film- und Vortragsabend in Zusam- menarbeit mit dem WDR: „Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer wei- ßen Welt“ Regie: Annette von Wangenheim Joséphine Baker zählt zu den berühmtesten und populärsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr legendärer Bananen-Gürtel schrieb Thea- tergeschichte, ihr Chanson „J’ai deux amours“ wurde zum Evergreen und zur Baker-Hymne. Sie war die Königin des Charleston der Gol- denen 1920er Jahre, die Diva der Folies-Ber- gère und des Casino de Paris. Sie wurde zum ersten schwarzen international erfolgreichen Superstar. Der Film konzentriert sich auf ihr Leben und Werk aus schwarzer Perspektive. Dieser Ansatz ist in der Reihe bisheriger Do- kumentationen über Joséphine Baker neu und portraitiert die Künstlerin erstmals im Spiegel europäischer Kolonial-Klischees und als Aktivi- stin der weltweiten Black Consciousness-Bewe- gung des 20. Jahrhunderts. Annette von Wangenheim, die Filmautorin, steht als Gesprächspartnerin und Vortragende zur Verfügung. Über Annette von Wangenheim: Dr. Annette von Wangenheim studierte an der Universität zu Köln Musikwissenschaften, The- ater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Kunstgeschichte. 1985 erschien ihre Dissertati- on „Béla Bartók. Der Wunderbare Mandarin. Von der Pantomime zum Tanztheater“ im Ul- rich Steiner Verlag. Seit 1988 arbeitet sie als freischaffende Autorin und Dokumentarfilmerin im Bereich Musik, Tanz, deutsche Kolonialge- schichte und Auslands-Dokumentationen für den WDR und ARTE. Ihre Filme sind im Fern- sehen, auf internationalen Festivals und in Be- gleitprogrammen zu Ausstellungen zu sehen, zum Beispiel „Nijinsky & Neumeier. Eine See- Abb.: Josefine Baker: Diva, Ikone, Superstar. In den 30er Jahren gehörte sie zu den bestgeklei- deten Frauen der Welt (undatierte Aufnahme). © Bild: WDR/dpa 20. 3. „Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt“ 57 20. März (Donnerstag) lenverwandtschaft im Tanz“, „Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt“ oder „Pagen in der Traumfabrik. Schwarze Kompar- sen im deutschen Spielfilm“. Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassage 6, KA-Innenstadt Beginn: 19 Uhr Eintritt: 6 €, ermäßigt 4,50 € ( für Mitglieder der Kinemathek) Veranstalter: Volkshochschule Karlsruhe e.V., Kinemathek Karlsruhe e.V., in Zusammenar- beit mit dem WDR www.annettevonwangenheim.de www.vhs-karlsruhe.de www.kinemathek-karlsruhe.de Vortrag von Christoph Ruf: „Gruppenbezogene Menschenfeind- lichkeit im Fußball“ Der Karlsruher Journalist Christoph Ruf re- cherchierte für sein Buch „Kurven-Rebellen. Die Ultras – Einblicke in eine widersprüch- liche Szene.“ monatelang in den deutschen Ultra-Szenen, die ihm Einblicke gewährten wie sonst kaum einem Journalisten. Und sie schil- derten Versuche von Neonazis, mit aller Bru- talität die Vorherrschaft der Ultra-Szenen zu brechen. Denn der vermeintliche Rechtsdrall der Ultras entspricht nur selten der Wahrheit – Ruf beschreibt zahlreiche Beispiele für ein be- merkenswertes Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus. Zuvor erschienen mit „Was ist links? Reportagen aus einem politischen Mi- lieu.“ und „In der NPD. Reisen in die National Befreite Zone.“ bereits zwei Werke, in denen Christoph Ruf sich mit Politik auseinandersetzt. Im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Ras- sismus kombiniert der Autor diese beiden span- nenden Themenbereiche. Ort: Kinder- und Jugendtreff Südstadt, Augar- tenstraße 21, KA-Südstadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: SJD – Die Falken, Input Karlsru- he, Libertäre Gruppe, Beratungsnetzwerk kompetent vor Ort. für Demokratie gegen Rechtsextremismus, Kinder- und Jugendtreff Südstadt des Stadtjugendausschuss Karlsru- he e.V. www.christoph-ruf.de www.sjd-falkenkarlsruhe.org www.stja.de/kinder-und-jugendeinrichtungen/ kinder-und-jugendtreff-suedstadt www.stja.de/projekte-events-mehr/ kompetent-vor-ort „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Fußball“ 20. 3. 58 Film „Kriegerin“ David Wnendt, Deutschland 2011, 103 Minu- ten Jung, weiblich und rechtsradikal. Marisa (20) ist ein Teil einer Jugendclique der rechtsextre- men Szene. Marisa schlägt zu, wenn ihr jemand dumm kommt. Sie hasst Ausländer, Schwarze, Politiker, Juden und die Polizei. Svenja, ein jun- ges Mädchen, stößt zur Clique und geht Mari- sa zunächst gehörig auf die Nerven. Aber aus Feindschaft wird eine vorsichtige Freundschaft. Während Svenja immer tiefer in die Szene rutscht, gerät Marisas Weltbild ins Wanken. Marisa beginnt darum zu kämpfen, sich aus der rechten Szene zu befreien, doch der Weg wird härter als sie ahnt. Ort: Landesmedienzentrum, Moltkestraße 64, KA-Weststadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Landesmedienzentrum Baden-Württemberg www.kriegerin-film.de www.lmz-bw.de „Kriegerin“ 20. März (Donnerstag) 20. 3. 59 20. März (Donnerstag) Ökumenisches Nachtgebet gegen Rassismus: „Aufstand im Paradies – Südafrikas Farmarbeiter kämpfen für ein besseres Leben“ Mit Vortrag von Simone Knapp und Bonifa- ce Mabanza von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) Heidelberg, begleitet von den MOKO-Chören Heidelberg Auch nach dem Ende der Apartheid ist die Lage der Farmarbeiter in Südafrika kaum ver- ändert. 55 000 weiße Farmer besitzen alles fruchtbare Land außerhalb der ehemaligen Homelands, während 20 Millionen Schwarze auf kleinen Parzellen kaum überleben können oder als Farmarbeiter immer noch gegen Hun- gerlöhne und für bessere Lebensbedingungen kämpfen müssen. Die Referenten von KASA be- richten mit Zahlen, Fakten und Bildern von den Men- schen am Kap. Die unter dem Namen Mo- ko-Chöre bekannten Afri- kachöre der Musik- und Singschule Heidelberg von Eva Buckman haben sich auf authentische Chormusik mit Schwerpunkt Südafrika spezialisiert. Afrikanische Chormusik ist Lebensfreude pur, die ansteckend wirkt. Die Verbindung von Klang und Bewegung prägten die Kulturen und das Bewusst- sein Afrikas im Alltag, bei Kampf und Feier. „Aufstand im Paradies“ Bilder der Ausstellung „Our land... our life... our future“ stehen im Hintergrund. Bei einem kleinen Imbiss ist dort zum Nachgespräch Ge- legenheit. Beginn: 19.30 Uhr Ort: Evangelische Stadtkirche, Marktplatz, KA-Innenstadt Eintritt frei – um eine Spende zur Unterstützung der Gastmusiker wird gebeten. Veranstalter: Stadtkirche Karlsruhe, St. Ste- phan Karlsruhe, KASA Heidelberg, Forum für gesellschaftlichen Frieden Karlsruhe (FgF), Attac Karlsruhe, Weltladen Karlsruhe www.stadtkirche-karlsruhe.de www.kasa.woek.de www.fgf-karlsruhe.de 20. 3. 60 21. März (Freitag) Angebot an weiterführende Schulen, Sekun- darstufe I / Klasse 7 – 10 Der Vormittag im EINE WELT THEATER beginnt mit einem lebendigen Vortrag zur Geschichte Südafrikas und dem Widerstand Nelson Man- delas und des ANC. Wir beleuchten die Be- deutung des Massakers von Sharpeville 1960 und lesen Berichte von Jugendlichen, die die Zeit der Apartheid erlebten. Wir gehen der Frage nach, warum es den Schüleraufstand von Soweto gab und wie sich Südafrika bis heute verändert hat. Die Veranstaltung wird ergänzt von persönlichen Fotos und Erlebnissen in Süd- afrika. Wir schlagen den Bogen mit der Frage: Welche Formen von Rassismus erleben wir hier und was sollten die Antworten darauf sein? Anmeldung per E-Mail an: ruth.rahaeuser@gmx.de Veranstalterin: Ruth Rahäuser, Eine Welt Theater Ort: Eine Welt Theater, Alter Schlachthof 23 f, KA-Oststadt Zeit: 10 Uhr – 12.30 Uhr – nach Absprache Preis für 1 Klasse: 50 € www.eine-welt-theater.de Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung Regenbogennation SÜDAFRIKA Performance zum Themenkomplex Identität anlässlich der Karlsruher Wochen gegen Rassismus am Tag der Überwindung von Rassendiskri- minierung. Heike Pitschmann (Diplom-Medienkünstle- rin der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Magistra der Kunstwissenschaft, Diplom-Kunsttherapeutin) ist als Künstlerin im öffentlichen Raum tätig. Das von ihr bearbei- tete Themenfeld umfasst vorwiegend Sozialkri- tisches. Zudem ist Heike Pitschmann u.a. Dozen- tin für Kunst der Gegenwart. Zu ihren Arbeiten zählen u. a.: „transparenz“, Frankfurt am Main, 2004; „i want to have a female pope“, Rom, 2005; „ALICE SCHWARZER ALS KANZLERIN“, Berlin, 2005; „V.A.M.P./ Visionary Art Mani- festo Performances“, Berlin, Amsterdam, Paris, London, Barcelona, Milano, Wien, Berlin, 2006; „stop_polarizing“, Wien, 2006; „99 balloons for g8 2007 in heiligendamm“, Heiligendamm, 2007; „koran“, Karlsruhe, 2010; „DREAMING OF A NON-CAPITALISTIC WORLD“, Kassel, 2012; „DREAMING OF A NON-COMMERCIAL CHRISTMAS 21 12 2013“, Stuttgart, 2013. Ort: Platz der Grundrechte, Karl-Friedrich- Straße, zwischen Zirkel und Schlossplatz, KA-Innenstadt Zeit: 12 Uhr – 12.21 Uhr Eintritt frei Veranstalterin: Heike Pitschmann www.heikepitschmann.de „Identität“ 21. 3. 21. 3. EINE-WELT-THEATER EINE-WELT-THEATER EINE-WELT-THEATER 61 21. März (Freitag)Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung Muslimisches Freitagsgebet Auf Initiative des Interkulturellen Rats in Deutschland und in Kooperation mit dem Mus- limischen Studentenverein in Karlsruhe laden der Deutschsprachige Muslimkreis und der Dachverband islamischer Vereine in Karlsruhe die Karlsruher Bürger_innen zu einem öffentli- chen Freitagsgebet ein. Die Freitagsansprache, die dort seit über einem Jahrzehnt auf Deutsch gehalten wird und an der hauptsächlich Stu- denten des KIT teilnehmen, findet in der Halle des AKK, dem alten Stadion der Universität, statt. Sie haben so die Möglichkeit, ein Frei- tagsgebet von Karlsruher Muslimen direkt zu sehen und zu hören und im Anschluss daran mit Muslimen bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch zu kommen. Anmeldung erwünscht per E-Mail an: info@dmk-karlsruhe.de Ort: AKK-Stadion, Gebäude 30.81, Paulckeplatz 1, KA-Innenstadt Beginn: 13.15 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Dachverband islamischer Vereine in Karlsruhe und Umgebung e. V., Deutsch- sprachiger Muslimkreis Karlsruhe e.V. www.dmk-karlsruhe.de www.karlsruher-muslime.de Freitagsgebet am KIT Siehe Ankündigung vom 18. März Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Mühl- burg, Fliederplatz 1, KA-Mühlburg Zeit: 13 Uhr – 16 Uhr Öffentliche Führung im ZKM | Museum für Neue Kunst durch die Ausstellung Siehe Ankündigung vom 15. März Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südweststadt Zeit: 16 Uhr – 17 Uhr Eintritt frei, Führung 2 € Veranstalter: ZKM 21. 3. 21. 3. 21. 3. Spielerische Begegnungen Ausstellungsführung: „global aCtIVISm“ 62 Die Ajumi-Gruppen (Aufnahmegruppe für jun- ge Migranten) der Heimstiftung Karlsruhe bie- ten eine erste Anlaufstelle für alleinstehende ausländische männliche Kinder und Jugend- liche. Neben der Inobhutnahme und der Ver- sorgung mit den notwendigsten Dingen steht die Klärung der Lebensumstände und Lebens- perspektiven im Vordergrund der Arbeit. Hier- bei werden in Gesprächen die Hoffnungen, Wünsche und Vorstellungen der Jugendlichen erfasst und sowohl diese als auch die Beobach- tungen der Mitarbeiter in der weiteren Jugend- hilfeplanung berücksichtigt. Die pädagogische Arbeit in der AJUMI zeich- net sich durch den ständigen Wechsel der Bewohner aus und findet in der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt eine Beson- derheit. In den wenigen Monaten, welche die Kinder und Jugendlichen in unserer Einrichtung untergebracht sind, versuchen wir ein Vertrau- ensverhältnis zu ihnen aufzubauen und sie auf ihr weiteres Leben in Deutschland vorzuberei- ten. Neben der täglichen Betreuung im Haus und der grundlegenden Versorgung stehen deshalb die Vorbereitung auf den Schulbesuch sowie freizeitpädagogische und integrative Aktivitäten im Vordergrund. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich ist der Kontakt mit den Vormündern, Jugendämtern und Nachfolgeeinrichtungen sowie die gemein- same Planung der weiteren Unterbringung. Trommeln und Kochen mit AJUMI Wir treffen uns mit den jungen Flüchtlingen und verbringen einen Nachmittag mit Kochen, Ge- sprächen und gemeinsamem Trommeln. Anmeldung beim ibz unter Telefon 0721- 89333710 oder per E-Mail an: info@ ibz-karlsruhe.de Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 17 Uhr Veranstalter: Ajumi (Heimstiftung), IIFG e.V., ibz Karlsruhe e.V. www.heimstiftung.karlsruhe.de/kinder/krisen- hilfe/ajumi www.ibz-karlsruhe.de 21. März (Freitag) Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung 21. 3. 63 Filmvorführung: „My Dog Killer“ Môj pes killer Mira Fornay, Tschechien/Slowakei 2013 Mit Adam Michal, Marian Kuruc, Libor Filo, di- gital, 90 Min., dt. Ut. Der 18-jährige Marek lebt im Niemandsland irgendwo an der Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei. Sein Vater baut Wein an, den er am liebsten selber trinkt. Seine Mutter ist mit einem Anderen abgehauen. Was Marek bleibt, ist sein gut abgerichteter Hund, den er Killer nennt. Und dann gibt es noch den Boxver- ein der Skinheads. Auch Marek ist Skinhead, allerdings mehr aus Mangel an Alternativen als aus Überzeugung. Als die Wohnung ver- kauft werden muss, soll Marek für eine erfor- derliche Unterschrift die Mutter aufsuchen, die mit einem Rom zusammen einen zweiten Sohn hat. Marek will weder mit ihr noch mit seinem Halbbruder etwas zu tun haben. Rassismus ist in „My Dog Killer“ das beherrschende Thema, doch es wäre falsch, den Film nur auf die Slo- wakei und diese Problematik zu begrenzen. Vielmehr zeigt Mira Fornay in ihrem zweiten Spielfilm auf sehr leise und einfühlsame Art das Versagen eines Staates und einer Gesellschaft, in der Menschen inzwischen nichts mehr haben, zu dem sie sich zugehörig fühlen können. (nach: Viennale 2013) Bei der Vorstellung am 21. März besteht Ge- legenheit zum Gespräch mit Yana Shykhyrina, Leiterin des Projektes „Tasse Tee“, das der Be- gegnung mit Asylbewerbern aus den Außen- stellen der Landesaufnahmestelle dient. Sie hat sich intensiv mit den Themen Rechtsradikalismus und Antiziganismus in osteuropäischen Ländern beschäftigt. Ort: studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassage 6, KA-Innenstadt Beginn: 19 Uhr Eintritt: 6 €, ermäßigt 4,50 € (für Mitglieder der Kinemathek Karlsruhe) Veranstalter: Kinemathek Karlsruhe e.V. Weitere Vorführung am 22. März, 19 Uhr; 25. März, 21.15 Uhr; 26. März, 21.15 Uhr www.kinemathek-karlsruhe.de „My Dog Killer“ 21. März (Freitag)Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung 21. 3. 64 21. März (Freitag) Demokratieförderung und Be- kämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an Schulen: Das Netzwerk für Demokratie und Courage Baden-Württemberg (NDC) stellt seine Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus vor Seit mehr als 10 Jahren bietet das NDC für Schulen und sonstige Jugendeinrichtungen Pro- jekttage an. Hier werden Vorurteile benannt und bearbeitet, die viele gesellschaftliche Gruppen betreffen können. Oft sind Schü- ler_innen von einem Vorurteil betroffen, wäh- rend sie gleichzeitig andere Vorurteile selbst vertreten. Daher versucht das NDC auf ab- wechslungsreiche und unterhaltsame Art, Schü- ler_innen ein humanistisches Menschenbild zu vermitteln, das die Basis für ein demokratisches Zusammenleben bildet. Bei dieser Veranstaltung möchte das NDC Lehrkräften und anderen Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, seine Arbeit vorstellen. Wir wollen Tipps geben und darüber diskutie- ren, wie erfolgreiche Konzepte gegen men- schenfeindliche Haltungen bei Jugendlichen aussehen können. Veranstalter: Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. Ort: DGB-Haus, Ettlinger Straße 3 a, KA-Süd- stadt, Großer Saal Beginn: 19 Uhr Eintritt frei www.netzwerk-courage.de Vortrag von Tarek Badawia: „Vorurteile und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bei deut- schen Jugendlichen und Jugend- lichen mit Migrationshintergrund“ Um Rassismus und gruppenbezogene Men- schenfeindlichkeit gerade in Zukunft zu ver- hindern und ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen ist es wichtig, die Jugend dafür zu sensibilisieren. Eine große Aufgabe und He- rausforderung ist es heute und wird in nächster Zukunft noch mehr sein, dass sich junge Leute mit deutschen Wurzeln und junge Menschen mit Migrationshintergrund besser verstehen kön- nen und mögliche Spannungen zwischen ihnen abgebaut werden. Um Jugendlichen bei po- tentiellen Konflikten gute Lösungen anzubieten, muss man mehr über ihr Denken und Verhalten erfahren. Über Tarek Badawia: Dr. Tarek Badawia ist Leiter der Nachwuchs- gruppe Norm, Normativität und Normenwan- del am Department für Islamische Studien der Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich sowohl wissenschaftlich als auch praktisch mit Jugendlichen und wird den Zuhörern das Thema näher bringen. Ort: Deutschsprachiger Muslimkreis Karlsruhe e.V., Rintheimer Straße 15, KA-Oststadt Beginn: 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Deutschsprachiger Muslimkreis Karlsruhe e.V. www.dirs.phil.uni-erlangen.de/nachwuchsfor- schergruppen/norm-normativitaet-und-nor- menwandel-ii/dr-tarek-badawia www.dmk-karlsruhe.de Netzwerk für Demo- kratie und Courage 21. 3. 21. 3. Voruteile bei Jugendlichen Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung 65 21. März (Freitag) Lesung und Musik Lesung und Musik in der Installation „Karlsru- her-Welten-Bürger-Netz“ zu Gedichten und Prosa der jüdisch-ungarischen Dichter Attila József, Antal Szerb und Miklós Radnóti „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Ver- brechen.“ Mittels Lesung und Musik will die Künstlerin Re- nate Schweizer in ihrer Installation Farbe be- kennen für eine Gesellschaft ohne Hass, Aus- grenzung und Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland, Österreich, Ungarn, Europa und der Welt. Das „Welten- Bürger-Netz“ wächst seit 2005 beständig und besteht mittlerweile aus Tausenden zusammen- geknüpfter Teebeutelfäden, die von Menschen überall auf der Welt gesammelt und mitei- nander verbunden werden (siehe Kunstprojekt „Come to dinner – invitation to all nations and religions). Über Renate Schweizer: Für Renate Schweizer bedeutet Kunst in er- ster Linie Kommunikation, die Verbindung zwi- schen ich und du und wir, das Entstehen einer „Wir-Welt“ durch Werk – Betrachter_in & Künstler_in im Dialog. Künstlerisches Arbeiten sieht sie als engagierte Kunst. Die Funktion ih- rer Kunst präsentiert sich im ästhetischen, so- zialen und sozialpolitischen Engagement. Ihre Herausforderung als Künstlerin zielt u. a. auf Experimente, auf eine experimentelle For- schung und Kunstpraxis, die sich im Kontext eines jeweiligen Projektes manifestiert. Re- nate Schweizer absolvierte einen Master- und Postgraduierten-Studiengang in intermedialer Kunst am Arts-Institute Of Boston in den USA. Sie lebt und arbeitet seit 1993 in Karlsruhe und engagiert sich stark in ihrer KunstWerk- statt HautNah gegen Gewalt und Selbstverlet- zung. Seit 1981 Teilnahme an internationalen Kunstausstellungen und Performance-Projekten in Hongkong, Designmuseum Davis, Kalifornien; Museum in Kaliningrad, Russland; Bible Muse- um in Tel Aviv und Kaye Gallery, Beer Sheba, Israel; Museum of Art, Cluj-Napoca, Rumänien; Papier Museum Duszniki Zdroj, Polen; Papier- museum Seoul, Südkorea; Ogilvie High School, Hobart, Tasmanien u. v. m. Seit 2013 mehrere Künstleraufenthalte in Budapest u. a. Einladung vom Hungarian Multicultural Center/Budapest, Dallas zu „Artist in residence“-Aufenthalten in 2013 und 2014. Musik: Resha & friends – (Renate Schweizer, Dragan Ahmedovic und Rüdiger Blank) Ort: PREVIEW.SÜD Atelier | Galerie, Schützen- straße 37, KA-Südstadt Zeit: 20 Uhr – 21.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: PREVIEW SÜD. Atelier | Galerie www.previewsued.blogspot.de www.cometodinner.net „Tedd a kezed – Leg deine Hand – und suche nach dem Wunder“ 21. 3. Int. Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung 21. 3. 66 Theater: „Hans & Hasan” „Hans & Hasan“ ist ein humorvolles mediales Solo-Stück zwischen Schauspieler (Rusen Kartaloglu) und Cartoons, die miteinander in charmanter und witziger Weise in Dialog treten. Die beiden Fi- guren sind zwei Arbeiter (Prototypen ihrer Herkunftskultur), die Ausschnitte aus ihrem alltäglichen Leben mit all den Besonderheiten und Konflikten, aber auch deren Freundschaft kritisch erzählen. Hans stammt, wie der Name schon erraten lässt, aus Deutschland und Hasan ist türkischer Herkunft, lebt aber seit über 30 Jahren in Deutschland. Beide zeichnen ein positives Bild des Zusammenle- bens mit eigener Perspektive, geprägt von ihrer Herkunftskultur. Pressestimme: „Lustvoll zeigte Kartaloglu die kulturellen Unterschiede auf und gewann daraus so manchen Scherz.“ (BNN) Ort: Sandkorn-Theater, Kaiserallee 11, KA-Weststadt Beginn: 20.30 Uhr Eintritt: Theatereintritt Veranstalter: Tiyatro Diyalog e.V. www.tiyatrodiyalog.de www.sandkorn-theater.de/spielplan/programmkalender/icalrepeat. detail/2014/03/21/2028/35|37|36|90/ tiyatro-diyalog-hans-a-hasan- „Hans & Hasan” 21. März (Freitag) 21. 3. 67 Der größte semiprofessionelle Streetdan- ce-Wettbewerb für Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg „the show“ wird am 22. und 23. März wieder im jubez am Kronenplatz über die Bühne gehen. „the show“ ist seit der ersten Stunde ein Gemeinschafts-Projekt zwei- er Einrichtungen des Stadtjugendausschuss e.V. Karlsruhe, dem jubez am Kronenplatz und dem Musikmobil Soundtruck. Auftreten werden Tanz- gruppen verschiedener Altersklassen aus einem Umkreis von 30 Kilometern rund um Karlsru- he. Freie Formationen, Vereine und Tanzschu- len zeigen Hip-Hop-, Jazz-, Video-Clip- bzw. Show-Dance. Es gibt drei Gruppen: bis ein- schließlich elf Jahre, 12 bis 15 Jahre und 16 bis 21 Jahre. Es winken zahlreiche Preise, u. a. Auftritte. Die „Offene Bühne“ außerhalb des Wettbewerbs ergänzt das Programm – hier ist im Bereich Dance und Songs von Solokünstlern und Gruppen (fast) alles erlaubt. Jede Menge „Action“ wird an diesen zwei Tagen geboten. Es lohnt sich also wie immer, an beiden Tagen vorbei zu schauen und sich von der Begeiste- rung mitreißen zu lassen! Und die kleinen und großen Tänzer freuen sich natürlich über viele Zuschauer. Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt Beginn: 15 Uhr, Einlass ab 14 Uhr Eintritt: 2 € Veranstalter: Stadtjugendausschuss e.V., jubez, Musikmobil Soundtruck des StJA e.V. www.the-show.eu www.jubez.de www.soundtruck.de 22. März (Samstag) Streetdance-Wettbewerb „the show“ Tasse Tee Siehe Ankündigung vom 15. März Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt, Großer Saal „Schwarz schmeckt! Tunesischer Kaffee, spanisches Dinner“ Der Tunesische Club Karthago und der Spanische Elternverein laden zu einem Din- ner-Abend ein. Wir bieten für unsere Gäste eine nette familiäre Atmosphäre bei spanischer Gitarre, tunesischem Kaffee und spanischer Pa- ella und Tapas. Der Kaffee ist kostenlos, Essen wird berechnet. Anmeldung ist erforderlich bei Lilia Jeridi per E-Mail an: fv.fv@gmx.de oder unter Telefon: 0174-8875363. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Spanischer Elternverein Karlsru- he e.V., Tunesischer Club Karthago e.V. und Förderverein Fest der Völkerverständigung e.V. 22. 3. 22. 3. 22. 3. 68 22. März (Samstag) Vortrag: Stefan Schmidt Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Menschenrechtszentrum e.V. www.schleswig-holstein.de/Portal/DE/Land- tag/Fluechtlingsbeauftragter/Fluehtlingsbe- auftragter_node.html www.menschenrechtszentrum.de Lampedua - in Karlsruhe? 22. 3. 69 22. März (Samstag) www.zkm.de Konzert: Bergitta Victor Wer sich von einer starken, samtigen Soul-Stim- me streicheln lassen will, ist bei Bergitta Vic- tor richtig. Die Sängerin und Songwriterin von den Seychellen lebt aktuell in Hamburg und verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Tansania und in der Schweiz. Victor hat soeben ihr drit- tes Album „On A Journey“ veröffentlicht, da- rauf sind etliche illustre Gäste zu hören (u. a. Blick Bassy). Sie klingt reif, ausgefeilt und spielt souverän auf der Klaviatur von Afro-Grooves, kreolischen Rhythmen, Reggae und universell verständlichen Balladetönen. Ständig auf der Suche nach Veränderung groovt sie mal fun- ky, swingt sie mal jazzig und schmeichelt sich dann mit ihrem warmen Soul in die Herzen ihrer Hörer. Ort: Kulturverein Tempel e.V., Hardtstraße 37 a, KA-Mühlburg, Scenario Halle Beginn: 20 Uhr Eintritt: 14 € (AK) Veranstalter: Kulturverein Tempel e.V. www.bergittavictor.com www.kulturzentrum-tempel.de Bergitta Victor: „On A Journey“ 22. 3. Film „My Dog Killer“ Siehe Ankündigung vom 21. März Beginn: 19 Uhr 70 Festival gegen Rassismus mit den Rockbands Bender, Mess Up Your DNA, Exility, Urrutia und Keith Ha- wkins Gemeinsam mit dem Popnetz Karlsruhe ver- anstaltet das Substage im Rahmen der Karls- ruher Wochen gegen Rassismus das passende Rock-Festival. Denn die Themen Rassismus und Diskriminierung liegen uns sehr am Herzen, genau wie auch Musikern aus verschiedensten Musikrichtungen, die sich sehr gerne bereit er- klärt haben, an diesem Festival teilzunehmen. Seit 2010 bringen Bender mit ihrer schweiß- treibenden Liveshow regelmäßig Baden-Württ- embergs Bühnen zum Beben. Dabei stehen sie immer nah am Feuer, brennen heißer und lauter als die anderen. Mit ultra-fettem Sound, heu- lenden Gitarrensoli, einer einmaligen Stimme und unglaublich tighter Performance zelebrie- ren die vier Karlsruher ihre unverwechselbare Mischung aus Rock, Grunge und Blues. Exility ist eine deutsche Heavy Metal Band aus der Südpfalz, die sich der harten Musik verschrieben hat. Exility versteckt sich nicht hin- ter Kutten oder Klischees, für sie zählt ledig- lich die Überzeugung, dass Heavy Metal eine unwahrscheinlich ehrliche und ausdrucksstarke Musikrichtung ist. Besonders zeichnen die Band ihre deutschen, tiefsinnigen und auch oft ge- sellschaftskritischen Texte aus, die vom charis- matischen Sänger durch tiefen kehligen, aber auch melodischen Gesang zum Ausdruck ge- bracht werden. Dabei untermalen sowohl ag- gressive und klangvolle Gitarrenriffs als auch hämmernde Schlagzeugrhythmen ihre Songs. Festival gegen Rassismus 22. März (Samstag) 22. 3. 71 Dringt der Sound von Urrutia ins Ohr, erscheint unweigerlich ein Bild vor dem inneren Auge: sengende Hitze, staubige Weite, ein Roadtrip á la Tarantino – und man verspürt Lust auf Tequi- la. Der mexikanische Songwriter Manuel Urrut- ia hüllt seine Erfahrungen in scharfe und provo- kante Texte ... eine spannende Verschmelzung aus dem mexican way of life und der Seele des Rock´n´Roll. Die von Alternative, Funk, Psy- chedelic und Desert Rock beeinflusste Musik ist nicht nur tanzbar, sondern nährt auch das Fern- weh. Die Band wurde 2010 in Karlsruhe ge- gründet und hat bisher 2 Alben veröffentlicht. Nu Metal ist tot? Von wegen. Drei Karlsruher Jungs namens Mess Up Your DNA haben es sich zur Aufgabe gemacht, im Fahrwasser des Genres ihren Weg zu finden. Trotz minimalis- tischer Besetzung knallt der Sound des Trios in der Manier des Nu Metals der späten 90er Jahre. Moderner Crossover mit Drums wie ein Gewitter, einem Bass der sich seinen Weg bahnt und einer kreischenden Gitarre. Was bleibt übrig? Ein Scherbenhaufen DNA. Keith Hawkins ist ein Singer/Songwriter aus Roturua in Neuseeland. Im Moment tritt er mit seinem Soloprojekt Keith Hawkins and Band auf. Stilistisch bewegt sich die Band zwischen Reggae und Rock. Die meisten Songs sind ge- sellschaftskritisch, unter anderen Musikern ist er von Bob Marley beeinflusst. Es finden sich aber auch viele Songs über die Liebe in seinem Repertoire, die er allerdings lieber „positive Songs“ nennt. Ort: Substage, Alter Schlachthof 19, KA-Oststadt Beginn: 19.30 Uhr, Einlass ab 19 Uhr Eintritt: 5 € (AK) Veranstalter: Substage e.V., PopNetz Karlsruhe www.substage.de www.popnetz-karlsruhe.de www.wearebender.com www.exility-band.de Urrutia Hawkins.Keith Mess Up Your DNA 22. März (Samstag) 22. 3. 72 23. März (Samstag) Gottesdienst Biblische Gedanken zu einem brisanten Thema – im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassismus. Ort: Evangelische Stadtkirche Durlach, Am Zwinger 5, KA-Durlach Beginn: 10 Uhr Veranstalter: amnesty international Bezirk Karlsruhe, Evangelische Stadtkirchen-Ge- meinde Durlach www.stadtkirche-durlach.de www.amnesty-karlsruhe.de „Jeder ist Ausländer – fast überall“ Lesung „Die größte Sehenswürdigkeit die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an.“ (Kurt Tucholsky) Die Welt ist spannend und vielfältig. Für man- che aber auch bedrohlich und fremd. Wie ist es, wenn die weite ferne Welt auf uns trifft? Anlässlich der Karlsruher Wochen gegen Ras- sismus lesen Amnesty-Mitglieder und Gäste Texte von und zu Migrant_innen. Hören Sie zu – lesen Sie mit! Ort: Kaffeehaus Schmidt, Kaiserallee 69, KA-Weststadt Beginn: 11 Uhr Eintritt frei Veranstalter: amnesty international Bezirk Karlsruhe www.amnesty-karlsruhe.de Siehe Ankündigung vom 22. März Interkulturelles Festival „Die Welt blüht“ Ziel der Veranstaltung im Rahmen der Karlsru- her Wochen gegen Rassismus ist es, Kinder, Ju- gendliche sowie Erwachsene in den Vereinen für die Thematik zu sensibilisieren. Es ist eine Ver- anstaltung der interkulturellen Begegnungen, der Integration und der Vielfalt; ob nun die Ju- gendlichen einen Migrationshintergrund haben oder nicht, ob mit oder ohne Behinderung. Wir, der Förderverein der Völkerverständigung, la- den alle sehr herzlich ein. Wir bieten ein viel- fältiges kulturelles Programm an sowie interna- tionale Tänze, Ballett, Gesänge und Musik. Wir sagen gemeinsam „Nein“ zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen! Ort: Studentenhaus, Adenauerring 7, KA-Innenstadt Zeit: 11 Uhr – 16.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Förderverein Fest der Völkerver- ständigung e.V. „Die Welt blüht“ 23. 3. 23. 3. „the show“ 73 23. März (Sonntag) Infoveranstaltung mit Yücel Özdemir zum NSU-Prozess „Das NSU-Verfahren ist historisch relevant, weil es entscheidend dafür ist, ob die Angehörigen der Opfer und die Einwanderer insgesamt das Vertrauen gegenüber Deutschland und den Deutschen wiedererlangen können.“ (Yücel Öz- demir) Über Yücel Özdemir: Journalist; Deutschland-Korrespondent der Ta- geszeitung „Evrensel“ und „Neues Leben“ mit einem festen Journalistenplatz im Münchener Oberlandesgericht. Die Veranstaltung findet in türkischer Spra- che statt. Bei Bedarf wird eine konsekutive Übersetzung ins Deutsche angeboten. Der NSU-Prozess 23. 3. GÖÇMEN ESNAFLAR NEDEN ÖLDÜRÜLDÜ? Gazeteci YÜCEL ÖZDEMIR ile Söyleşi Almanya’da 2000-2007 yılları arasında 8’i Türkiye kökenli ve biri Yunanistanlı olmak üzere 9 göçmen esnafı ve bir Alman polisi katleden, Köln’de iki yeri bombalayan ırkçı terör örgütü NSU hakkında Münih Eyalet Yüksek Mahke- mesi’nde 6 Mayıs 2013 te görülmeye başla- nan davayı Yeni Hayat ve Evrensel gazeteleri adına izliyor. Söyleşi türkçe gerçekleştirilecek. Ort: Menschenrechtszentrum, Alter Schlachthof 59, KA-Oststadt Beginn: 15 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Internationaler Jugend- und Kulturverein Karlsruhe e.V. 74 23. März (Sonntag) Christlich-Islamisches Friedensgebet Wo Angehörige unterschiedlicher Religionen miteinander beten, respektieren sie einander in ihrer Verschiedenheit und nehmen sich gegen- seitig als Menschen mit ihrer persönlichen Got- tesbeziehung und mit ihren persönlichen An- liegen wahr – fern von allen Festschreibungen und Vorurteilungen. Christen und Muslime in Karlsruhe tun dies seit vielen Jahren. So laden sie auch innerhalb der diesjährigen Karlsruher Wochen gegen Rassismus zum Christlich-Isla- mischen Friedensgebet ein. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt, Gro- ßer Saal Beginn: 17.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Christlich-Islamische Gesellschaft Karlsruhe e.V. www.cig-karlsruhe.de 23. 3. Vortrag von Lamya Kaddor Wo liegen die Herausforderungen unserer Gesellschaft, in der Christen, Juden und Mus- lime wirklich gemeinsam leben? Was können die Kirchen im Umgang mit anderen religiösen Glaubensgemeinschaften besser machen? Und welche Verantwortung kommt dabei den Juden und Muslimen auch selbst zu? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Lamya Kaddor und Michael Rubinstein in ihrem ge- meinsamen Buch „So fremd und doch so nah - „So fremd und doch so nah. Juden und Muslime in Deutschland“ Juden und Muslime in Deutschland“ und haben damit einen authentischen und konstruktiven Beitrag zur Integrationsdebatte geschaffen, denn die beiden Autoren leben und arbeiten in ihrem Geburtsland Deutschland und sind zu Hause in einer Glaubensgemeinschaft, die sie zu »Anderen« werden lässt. Weit besser als Statistiken und Zahlen wissen sie, wie es um In- tegration in Deutschland steht. Lamya Kaddors Mitautor des Dialogbands „So fremd und doch so nah. Muslime und Ju- den in Deutschland.“, Michael Rubinstein, ist Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde zu Duisburg. Über Lamya Kaddor: Lamya Kaddor wurde 1978 im westfälischen Ahlen als Tochter syrischer Einwanderer gebo- ren. 2003 schloss sie ihr Magisterstudium der Arabistik und Islamwissenschaft, Erziehungs- wissenschaft und Komparatistik an der Uni- versität Münster ab. Im Moment beschäftigt sie sich wissenschaftlich mit dem Leben musli- mischer Schüler in Deutschland. Sie hat regel- mäßig Lehraufträge inne und hat zuletzt an der Universität Duisburg-Essen (Fachbereich Evangelische Theologie) einen Lehrauftrag zum Thema „Bibel und Koran“ gehabt. Insgesamt 75 23. März (Sonntag) / 24. März (Montag) Ökumenischer Gottesdienst in der ZKM-Ausstellung „global aCtIVISm“ In dieser Ausstellung sind die vielfältigen zivil- gesellschaftlichen Engagements in einer globa- lisierten Welt versammelt. Was gibt uns Hoff- nung für eine lebenswerte Welt? Glaube und Engagement als Grund, Hoffnung miteinander zu teilen – das erhoffen wir uns von diesem Gottesdienst. Auch in Karlsruhe sind Gruppen mit dem „global activism“ verbunden. Sie wer- den in diesem Gottesdienst vertreten sein und wir laden alle Engagierten ein zum „Beten und Tun des Gerechten“. Der Gottesdienst wird von einer ökumenischen Gruppe aus dem ZKM und von evangelischen und katholischen Theologen vorbereitet. Predigt: Landesbischof i.R. Klaus Engelhardt. Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südweststadt Beginn: 18.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: ZKM www.zkm.de „Hoffnung teilen“vier Jahre (2004-2008) bildete sie an der Uni-versität Münster islamische Religionslehrer aus und vertrat dort zwischen Juli 2007 und März 2008 die Aufgaben der Professur „Islamische Religionspädagogik“. Seit dem Schuljahr 2003/2004 ist sie Lehrerin im Rahmen des nor- drhein-westfälischen Schulversuchs „Islamkunde in deutscher Sprache“ in Dinslaken. Außerdem ist Lamya Kaddor als Autorin und Publizistin tätig und berät die Politik in Fragen Integration und Islam. Sie gehört zu den musli- mischen SprecherInnen für das deutschlandweit erste muslimische Wort im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dem sog. „Forum am Freitag“ des ZDF (www.forumamfreitag.zdf.de). Sie ist erste Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes e.V. (www.lib-ev.de). Von der paneuropäischen Or- ganisation CEDAR wurde sie als eine der zehn European Muslim Women of Influence 2010 ausgezeichnet. Zudem ist sie Trägerin der „In- tegrationsmedaille der Bundesregierung“. Ort: ibz, Kaiserallee 12d, KA-Weststadt Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Christlich-Islamische Gesellschaft Karlsruhe e.V., Jüdische Kultusgemeinde Karlsruhe (KdöR) www.lamyakaddor.jimdo.com www.cig-karlsruhe.de www.jg-karlsruhe.de 24. 3. 76 24. März (Montag) Junge Menschen leben nachhaltige Solidarität Workshop für Schüler_innen ab Klas- se 6: „Show Racism the Red Card – Zeig Rassismus die rote Karte“ Der Workshop wird von Experten des bun- desweit tätigen Vereins „Show Racism the Red Card, Deutschland e.V.“ durchgeführt. Eine Schulklasse bekommt die Möglichkeit, sich am Beispiel des Fußballsports mit den zahlreichen Facetten des Rassismus und der Diskriminierung auseinanderzusetzen. Die Jugendlichen erfah- ren in Rollenspielen, was sich im echten Leben abspielen kann und erarbeiten Handlungs- empfehlungen. Zudem sind die Begegnung und das Gespräch mit einem Vereinsvertreter des KSC bzw. einem Profispieler angefragt. Der ca. dreistündige Workshop ist nicht öf- fentlich. Weitere Informationen und Anmeldung unter Telefon: 0721-133-4262 (Stadtbibliothek/ Jugendbibliothek Karlsruhe) oder per E-Mail an: stadtbibliothek@kultur.karlsruhe.de. Ort: Jugendbibliothek im Prinz-Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innenstadt Zeit: nach Absprache Veranstalter: Stadtbibliothek Karlsruhe www.stadtbibliothek-karlsruhe.de Frauen fertigen Plakate gegen Rassis- mus in verschiedenen Sprachen an. Nach einer kleinen Einführung über die Kunst des Schönschreibens „Kalligraphie“ wollen wir gemeinsam mit allen Teilnehmerinnen unsere Kreativitäten entfalten und Plakate gegen Ras- sismus künstlerisch sowie kalligraphisch in ver- schiedenen Sprachen erstellen. Über eine rege Teilnahme von Frauen unter- schiedlicher Nationalitäten freuen wir uns sehr! Anmeldung: 0176/66067537 oder iifgka@web.de. Ort: Stadtteilbüro Oststadt, Gottesauerstraße 3, KA-Oststadt Beginn: 10 Uhr - 12 Uhr Eintritt: frei (evtl. Materialkosten) Veranstalter: Islamische internationale Frauenge- meinschaft Karlsruhe und Umgebung (IIFG) e. V. Kalligraphie-Workshop „Zeig Rassismus die rote Karte“ 24. 3. 24. 3. 77 AMARO KHER – Schüler_innen und andere junge Menschen leben nach- haltige Solidarität Was treibt Schüler_innen vor allem aus der Freien Waldorfschule Karlsruhe dazu an, sich gemeinsam mit Ehemaligen, Eltern und Päda- gog_innen bei den Roma in Kriva Palanka, Mazedonien, zu engagieren? „Amaro Kher“ (romanes/dt.: Unser Haus) ist als langfristiger und nachhaltiger Prozess angelegt, getragen von der Idee, ein Problem an der Wurzel anzu- packen und zwar so, dass aus den betroffenen Roma Beteiligte und Gestalter ihrer eigenen, zumeist sehr schwierigen Lebensbedingungen werden können. Nur dann wird es möglich sein, Menschen zum Bleiben an ihrem Ort zu motivie- ren und Perspektiven zu entwickeln. Worum geht es im Einzelnen? Mit nicht nur für die Roma: Da ging und geht es zunächst ganz praktisch darum, gemeinsam mit den Roma ein Gemeinschafts- und Bildungshaus zu bauen. In diesen Prozessen des gemeinsamen Planens, Organisierens und Bauens ist bereits das Erlebnis entstanden, dass mit Unterstützung von freiwilligen Helfern manches entstehen kann, sogar eine Perspektive. Konflikte können bewältigt werden, wenn man Kompetenzen zur Bearbeitung entwickelt. Vertrauen entsteht, wenn kontinuierliche Unterstützung erfahrbar wird und die eigenen Bedürfnisse der Roma sich z. B. in der Konzeption des Bildungsange- botes im Gemeinschaftshaus wiederfinden, weil sie gemeinsam entwickelt wurden. Die Art des Bauens: Aus Wenigem Viel machen, aus Altem Neues entstehen lassen unter möglichst ökologischen Aspekten, ist ein weiteres Prinzip, das hier nachhaltig angelegt ist, weil die hier erwor- benen Kompetenzen für das eigene Lebensum- feld nutzbar werden können. Baumeister und weitere Projektbeteiligte be- schreiben Stationen des ersten Bauabschnitts mit all dem, was da erlebbar geworden ist und dem, was weiterhin möglich werden soll. Die Freie Waldorfschule – eine UNESCO-Pro- jektschule – unterstützt dieses Projekt nach Kräften. Die Projektbeteiligten haben inzwi- schen zusammen mit den Aktiven und Förderern den Förderverein „Amaro Kher“ gegründet. Ort: Freie Waldorfschule, Neisser Straße 2, KA-Waldstadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei, um Spenden für das Projekt wird gebeten Veranstalter: Amaro Kher – Förderverein für das Roma-Gemeinschaftshaus in Kriva Palanka e.V. www.amarokher.org www.waldorfschule-karlsruhe.de Roma-Projekt in Mazedonien 24. 3. 24. März (Montag) 78 24. März (Montag) Workshop: Schau Hin in Karlsruhe – Alltagsras- sismus und Diskriminie- rung und wie man sich dagegen wehren kann Schau hin, wenn du in der Tram deine Muttersprache sprichst und beim Aussteigen jemand laut und deutlich sagt: „Na endlich steigen die Fremden aus!“ Inspiriert durch den Blog und Twitter-Hashtag #SchauHin der Journalistin Kübra Gümüşay will diese Veranstaltung auf Alltagsrassismus und Diskriminierung in Karlsruhe aufmerksam machen. Betroffenen – sowohl mit oder ohne Migrationshintergrund – wird ein Forum gebo- ten, ihre Erfahrungen mitzuteilen, aber auch eigene rassistische und diskriminierende Ver- haltensmuster aufzuzeigen, zu hinterfragen und zu reflektieren. In Form eines World-Cafés haben alle Teilnehmenden die Möglichkeit sich einzubringen. Angeleitet werden die Gesprächsrunden an den einzelnen Thementischen durch erfahrene Moderator_innen aus Karlsruher Initiativen und Institutionen. Folgenden Themen werden behandelt: 1. Diskriminierungserfahrung im Alltag: Jutta Gemeinhardt – Migrationsbeirat; Na- joua Benzarti – Migrationsbeirat, Vorsitzende der islamischen internationalen Frauengemein- schaft e. V Karlsruhe und Umgebung IIFG e.V. 2. Belästigung und Bedrohung im öffentli- chen Raum: Trainer_innen des Vereins Bürgerinitiative Zivil- courage e.V.; Vertreter der Polizei; eine Ver- treterin des KVVs Schau Hin in Karlsruhe 3. Zivilcourage stärken und zu aktivem Handeln ermuti- gen: Trainer_innen des Vereins Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. 4. Vorurteile durch Medien und kulturelle Angebote abbauen – Rolle der Medien für einen vorurteilsfreien Umgang miteinander: Henri Depe Tchatchu – Maooni e.V.; Petra Stutz – Freie Journalistin; Rusen Kartaloglu – Schau- spieler und Interkultureller Theaterpädagoge (Tiyatro Diyalog e.V.); Pressesprecher der Po- lizei (angefragt) In den Karlsruher Wochen gegen Rassismus werden im Stadtgebiet an mehreren öffentli- chen Einrichtungen Boxen aufgestellt sein, in die anonym persönliche Statements zu Ras- sismus- und Diskriminierungserfahrungen ein- geworfen werden können. Selbstverständlich können Statements auch auf der Internetseite www.schau-hin-karlsruhe.de eingetragen werden. Diese werden dann ausgestellt und im Workshop ausgewertet. Ort: Badisches Staatstheater, Baumeisterstraße 11, KA-Südstadt, Foyer Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: AK Migrationsbeirat, Badisches Staatstheater, Kulturbüro der Stadt Karls- ruhe www.schau-hin-karlsruhe.de www.staatstheater.karlsruhe.de www.karlsruhe.de/b1/kultur/ kulturfoerderung/kulturbuero.de 24. 3. 79 25. März (Dienstag) Theater und Vortrag für Schulklassen: Angebot an weiterführende Schulen, Sekundarstufe I/Klas- se 5 – 7 Der Vormittag beginnt mit ei- ner Aufführung des Figurent- heaterstücks „THANDISI IN SÜDAFRIKA“, an das sich ein lebendiger Vortrag zur Ge- schichte Südafrikas und die Bedeutung Nelson Mandelas anschließt. Danach gehen wir der Frage nach, warum es den Schüleraufstand von SOWETO gab und wie sich Südafrika bis heute verändert hat. Im Rah- men der Kunstaktion „Wer bin ich?“ werden Fotos von südafri- kanischen Jugendlichen auf Papier übertragen und – mit Namen, Lebensräumen und Biogra- phien versehen – der Klasse vorgetragen. Der Vormittag im Eine Welt Theater fördert die konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema „anders aussehen“ durch das Figurentheater, das Übertragen der Fotoportraits auf Papier und die Kommunikation in der Gruppe. Das Hineinversetzen in die gewählte Biographie – ergänzt durch selbst erdachte Aspekte – er- möglicht und fördert die Fähigkeit zu Empathie (Mitgefühl) und die Entwicklung von Toleranz. Dies gilt sowohl für die vortragenden Jugend- lichen als auch für die aktiv zuhörenden und nachfragenden Gruppenmitglieder. Anmeldung per E-Mail unter: ruth.rahaeuser@gmx.de „Kinder unter dem Regenbogen“ Spielerische Begegnungen Siehe Ankündigung vom 18. März Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Lohn-Lis- sen auf der Drachenwiese, Ellmendinger Straße 1, KA-Durlach-Aue Zeit: 13 Uhr – 16 Uhr Ort: Eine Welt Theater, Alter Schlachthof 23 f, KA-Oststadt Zeit: 10 Uhr – 12.30 Uhr/nach Absprache Eintritt: pro Klasse 60 € Veranstalterin: Ruth Rahäuser, Eine Welt The- ater www.eine-welt-theater.de EINE-WELT-THEATER EINE-WELT-THEATER EINE-WELT-THEATER 25. 3. 25. 3. 80 Vortrag von Klaus Farin mit Diskus- sion – Veranstaltung für Schulklas- sen (ab 8. Klasse) Sie hören Gangsta-Rap oder Frei.Wild, bil- den sich mit Killerspielen zu Amokläufern aus, saufen, rauchen, kiffen immer mehr und immer jünger, sind konsumtrottelig und unengagiert, politisch völlig desinteressiert oder falsch – rechtsextrem – orientiert: Das Bild der Jugend in der öffentlichen Wahrnehmung war noch nie so negativ wie heute. Zugleich sind immer mehr Jugendliche kreativ engagiert – in jeder Stadt in Deutschland gibt es heute Rapper, Breakdancer, Sprayer, DJs. Doch noch nie war die Erwachsenenwelt derart desinteressiert an der Kreativität ihrer „Kinder“. Respekt ist nicht zufällig ein Schlüsselwort fast aller Jugendkul- turen und das, was Jugendliche von den Er- wachsenen am meisten vermissen. Ein Vortrag mit Diskussion über Mythen und Wahrheiten, Realitäten und Utopien und da- rüber, was das mit Jugendarbeit zu tun hat. Spannend nicht nur für Kulturinteressierte und Pädagogen. Der Jugendkulturforscher Klaus Farin ist Mit- begründer des Archivs der Jugendkulturen in Berlin und seit 2011 Vorsitzender der Stiftung „Respekt – Die Stiftung zur Förderung von jugendkultureller Vielfalt und Toleranz, For- schung und Bildung“. Anmeldung bis zum 18. März per E-Mail an: j.hopfengaertner@stja.de Teilnehmerzahl begrenzt Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt Beginn: 11 Uhr Eintritt: pro Klasse 30 € Veranstalter: jubez in Kooperation mit dem Kul- turbüro der Stadt Karlsruhe, dem PopNetz und der Fachstelle gegen Rechts im StJA e.V. „Über die Jugend... ... und andere Krankheiten“ Vortrag mit Workshop Das Büro für Integration führt in Zusammenar- beit mit der Landeszentrale für politische Bil- dung und der Sophie-Scholl-Realschule Karls- ruhe an jeweils zwei Tagen (25. und 27. März) für insgesamt fünf Klassen (ca. 130 Schüler_in- nen) einen Vortrag mit anschließenden Work- shops zum Thema „Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ durch. Die Mitarbeiter_innen der Landeszentrale für politische Bildung klären die Schülerschaft über die Erkennungsmerkmale des Rechtextremismus wie z. B. die Musik, die Bedeutung von Klei- dung und Symbolen sowie über die Strategien der Mitgliedergewinnung auf. Manuel Bauer, ein ehemaliger Neonazi, wird in einem span- nenden Vortrag darstellen, wie er in die Nazis- zene reinrutschte und welche Hilfen notwendig waren, um aus dieser Szene auszusteigen. Geschlossene Veranstaltung Ort: Sophie-Scholl-Realschule Karlsruhe, Joa- chim-Kurzaj-Weg 4, KA-Oberreut Zeit: 8 Uhr – 13 Uhr Veranstalter: Büro für Integration und AK Mi- grationsbeirat in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Sophie-Scholl-Realschule www.karlsruhe.de/b3/soziales/einrichtungen/bfi www.lpb-bw.de www.ssr-ka.de „Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ 25. 3. 81 25. März (Dienstag) „Über die Jugend... ... und andere Krankheiten“ Vortrag von Klaus Farin mit Diskus- sion – Öffentliche Veranstaltung Siehe Ankündigung für Schulveranstaltung um 11 Uhr Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, ju- bez-Café Beginn: 19.30 Uhr, Einlass ab 18.30 Uhr Eintritt: 5 € (VK), 7 € (AK) Veranstalter: jubez in Kooperation mit dem Kul- turbüro der Stadt Karlsruhe, dem PopNetz und der Fachstelle gegen Rechts im StJA e.V. www.farin.jugendkulturen.de/ www.jubez.de www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerde- rung/kulturbuero.de 25. 3. 82 25. März (Dienstag) Podiumsgespräch Bei der Wohnungssuche werden alle Men- schen gleich behandelt – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und sozialem Milieu... Ist das in Wirklichkeit so? Leider ist das nur ein Wunschbild. In der Realität haben Menschen mit fremdklingenden Namen, anderer Hautfar- be und schwieriger finanzieller Lage weitaus schlechtere Karten. Weniger Chancen haben auch Familien mit Kindern, Student_innen, Mi- ni-Jobber und Hartz-IV-Empfänger und Allein- erziehende. Eine Kombination der genannten Kategorien macht die Wohnungssuche fast aussichtslos. Viele Diskriminierungserfahrungen passieren subtil und können nicht nachgewiesen werden. Der Dortmunder Planerladen, eine Antidis- kriminierungsstelle im Bereich Wohnen, teilt in einem Input seine Ergebnisse aus einem Testing-Verfahren mit und berichtet über sei- ne Arbeit. Ein Vertreter der Volkswohnung Karlsruhe, einem der größten kommunalen Immobilienunternehmen Baden-Württembergs, berichtet über die lokale Wohnsituation und beschreibt die Praxis der Wohnungsvergabe. Karlsruher Bürger_innen sind eingeladen, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Ziel der Ver- anstaltung ist, eine breitere Öffentlichkeit mit dem oft geleugneten, aber sehr brisanten The- ma der Diskriminierung auf dem Wohnungs- markt zu erreichen. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: AK Migrationsbeirat, Kulturbüro der Stadt Karlsruhe www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerde- rung/kulturbuero.de www.planerladen.de www.volkswohnung.com/wir-ueber-uns Film „My Dog Killer“ Siehe Ankündigung vom 21. März Beginn: 21.15 Uhr „Schlüsselfrage! – Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“ 25. 3. 25. 3. 83 25. März (Dienstag) Filmvorführung Planetfilm in Koproduktion mit dem WDR, 45 min, 2007. „Ich möchte die jungen Menschen bitten, ihr Leben nicht in die Hände der Mafia zu legen. Ich habe es getan und teuer dafür bezahlt und wenn ich es euch erzähle, erlebe ich alles wie- der und es tut mir sehr weh.“ (Ualid Nasur) Der Somalier wollte Fußballspieler werden. Um Krieg und Armut zu entfliehen, hat er sich wie viele andere auf die Odyssee nach Europa ge- macht. In Griechenland endete die mehrjährige Reise in der Schiffsschraube eines Bootes der Küstenwache, die Ualids Körper zerfetzte. Während in Deutschland stolz jedes halbe Jahre Rekordtiefstände bei den Aufnahmebe- gehren von Flüchtlingen und Asylanten verkün- det wurden, verschärfte sich die Situation an der Griechisch-Türkischen Grenze ständig und wuchs sich zu einer der wichtigsten Einnahme- quellen der lokalen Mafia aus. Immer wieder öffnen türkische Polizisten LKWs und vor ihre Füße purzeln Dutzende halb er- stickte, halb verhungerte Menschen, die in blinder Wut mit blanken Händen die Scheiben ihrer Schleuser einschlagen. Die türkischen Be- hörden stehen dem Ganzen fast ohnmächtig gegenüber. Es ist einfach zu viel Geld im Spiel. Mit einem Nachgespräch mit der Regisseurin Gülsel Özkan, Planetfilm. Ort: Hochschule für Gestaltung, Lorenzstraße 15, KA-Südweststadt Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Internationaler Jugend- und Kulturverein e.V., Menschenrechtszentrum Karlsru-he e.V. www.planet-international.de www.hfg-karlsruhe.de www.menschenrechtszentrum.de „Ertrunken vor meinen Augen“ 25. 3. 84 25. März (Dienstag) „Deutsch sein und schwarz dazu“ Theodor Michaels Autobiografie ist so aber- witzig, dass sie erfunden sein könnte, wenn sie nicht allzu wahr wäre. Er entfaltet in „Deutsch sein und schwarz dazu“ eine Welt, die man so nicht gekannt hat. Sie wird beschrieben von einem Mann, den man für seine Kraft, das alles zu bewältigen, nur bewundern kann; insbeson- dere auch dafür, dass es ihm gelungen ist, die Menschlichkeit zu bewahren. Theodor Micha- el erzählt ganz nüchtern, aber die Ereignisse sprechen für sich. Seine Lebenserinnerungen sind im November letzten Jahres bei dtv er- schienen; sie fanden in Presse, Rundfunk und Fernsehen eine große Aufmerksamkeit. Theodor Michael wurde 1925 in Berlin gebo- ren. Sein Vater war Kolonialmigrant aus Kame- run, seine Mutter Deutsche. Nach dem frühen Tod der Mutter wachsen Theodor Michael und seine Geschwister teils unter erbärmlichen Um- ständen bei Pflegeeltern auf. Nach der Volks- schule darf er aufgrund seiner Hautfarbe kei- ne weitere Ausbildung machen. Man fand, die Schwarzen sollten den Deutschen keine Arbeits- plätze wegnehmen. Aber in den sehr beliebten Völkerschauen kamen sie noch unter als „Art- fremde“ mit dem „negroiden Einschlag“. Sogar in der Nazi-Zeit waren sie als Statisten in den äußerst beliebten Kolonialfilmen beschäftigt. Doch dann landeten sie im KZ oder in Zwangs- arbeiterlagern. So erging es auch Theodor Michael: Nach dem Tod seiner Eltern schlug er sich als Page, Portier und Komparse durch – bis er mit 18 Jahren in einem Zwangsarbeiterlager interniert wurde, wo er auch die Befreiung erlebte. Nach dem Kriegsende musste Theodor Michael feststellen, dass er, weil er überlebt hatte, der Kollabora- tion verdächtigt wurde. Damals hätte er es sich nicht träumen lassen, dass er Jahrzehnte später einmal als Regierungsdirektor und zu einem an- erkannten Afrika-Spezialisten werden würde. Lesung Theodor Michael: „Deutsch sein und schwarz dazu“ – Erinnerungen eines Afro-Deutschen 25. 3. 85 Ort: Stadtbibliothek, Ständehausstraße 2, KA-Innenstadt, Lese-Café Beginn: 19.30 Uhr Veranstalter: Menschenrechtszentrum Karlsruhe e.V., Stadtbibliothek Karlsruhe, Senioren- büro der Stadt Karlsruhe, Stadtjugendaus- schuss e.V. www.dtv.de/autoren/theodor_michael_16729 www.dtv.de/buecher/deutsch_sein_und_ schwarz_dazu_26005 www.menschenrechtszentrum.de www.stadtbibliothek-karlsruhe.de/ www.karlsruhe.de/b3/soziales/personen- gruppen/senioren www.stja.de Lesung mit Theodor Michael: „Deutsch sein und schwarz dazu“ Geschlossene Veranstaltung Ort: Markgrafengymnasium Durlach, Gymnasiumstraße 1-3, KA-Durlach www.mgg.karlsruhe.de 25. März (Dienstag) / 26. März (Mittwoch) 26. 3. 86 26. März (Mittwoch) Theater: „Roma Romeo und Sinti Carmen“ Nach einer Prügelei im Klassenzimmer müssen Carmen und Josef ein Referat über Sinti und Roma zusammen erarbeiten. Doch es stellt sich heraus, dass die Recherchen zu dem Thema schwieriger sind als gedacht und die Ergeb- nisse widersprüchlich. Die beiden beschlie- ßen daher kurzerhand, selbst zu Zigeunern zu werden und Baden-Württemberg zu bereisen. Dabei stoßen sie auf die eigene familiäre Vergangenheit, auf hartnäckige Klischees und die unterschiedlichsten Reaktionen auf ihr Ex- periment. Sie beginnen, den Mechanismus von Vorurteilen zu hinterfragen und den Grund dafür zu suchen, warum man dazu neigt, alles und jeden in Schubladen sortieren zu wollen. Doch erst, als sie auf eine Gruppe umherrei- sender Sinti stoßen und sich mit ihnen unterhal- ten, begreifen sie die Dimension des Rassismus gegenüber Sinti und Roma. Ein Roadmovie über die Grenzen von Klischee und Wahrheit, Liebe, Hass und Vorurteile und über das Leben, das irgendwo da draußen auf uns wartet. „Roma Romeo und Sinti Carmen“ Ort: Insel, Karlstraße 49, KA-Südweststadt Beginn: 11 Uhr Eintritt: 12 €, ermäßigt 7 €, für Schulen 6 € Veranstalter: Badisches Staatstheater Karlsruhe www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/ info/1712/ Bild © Felix Grünschloß Spielerische Begegnungen Siehe Ankündigung vom 18. März Ort: vor dem Kinder- und Jugendtreff Lohn-Lis- sen auf der Drachenwiese, Ellmendinger Straße 1, KA-Durlach-Aue Zeit: 13 Uhr – 16 Uhr 26. 3. 87 Bild © Felix Grünschloß Führung durch die Ausstellung: „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht. Gewerkschafter in Konzentrationsla- gern 1933 – 1945“ Gewerkschafter gehörten zu den frühesten und aktivsten Gegnern des Nationalsozialismus. Viele von ihnen bezahlten Widerspruch und Widerstand mit der Inhaftierung in Konzentra- tionslagern. An das Schicksal dieser mutigen Frauen und Männer will die Wanderausstellung der Freien Universität Berlin, der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen/Stiftung Branden- burgische Gedenkstätten und der Hans-Böck- ler-Stiftung erinnern. Dazu hat das Stadtarchiv Karlsruhe eine lokale Ergänzung erarbeitet, die sich mit der Verfol- gung der Gewerkschaften durch die National- sozialisten in Karlsruhe und mit den Schicksalen der freien Karlsruher Gewerkschafter Gustav Schulenburg und Gustav Kappler befasst. Führung mit Jürgen Schuhladen-Krämer (M.A.) Ort: Erinnerungsstätte Ständehaus, Neues Stän- dehaus, Ständehausstraße 2, KA-Innenstadt Beginn: 18 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Stadtarchiv und Historische Mu- seen der Stadt Karlsruhe www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/ staendehaus.de „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht.“ 26. März (Mittwoch) 26. 3. 88 26. März (Mittwoch) Roma-Projekt in Mazedonien Multimediavortrag und Benefizkon- zert für Amaro Kher: „Ein Haus fürs Leben der Roma“ Entwickelt und gebaut von jungen Menschen aus Karlsruhe gemeinsam mit Roma aus Kriva Pa- lanka in Mazedonien. Vorurteile überwindet man am besten, indem man sich begegnet und gemeinsam handelt und zwar so, dass sich aus diesem Handeln eine Perspektive entwickeln kann für diejenigen, die – gefangen in einer Spirale aus Armut, Benach- teiligung und Diskriminierung – alleine dazu im ersten Schritt nicht in der Lage sind. Das war Motto und ist Erfahrung einer Gruppe von zumeist jungen Karlsruher Menschen, die den Roma in Kriva Palanka begegnet sind, ihre miserable, demütigende Lebenssituation miter- lebt und sich vorgenommen haben, hier etwas durch eigenes Tun zu verändern. Ein Leben am Rande der Gesellschaft, in dem Bildung nicht an erster Stelle stehen kann, wenn vor allem Hunger die Menschen plagt. Ohne Bildung der Kinder, aber auch der Jugendlichen und Er- wachsenen, wird der Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung aber nicht überwunden werden können. Ohne Unterstützung bei und Partizi- pationsmöglichkeiten an der eigenen Zukunfts- gestaltung werden die Roma ihre Lebensver- hältnisse nicht überwinden können, sondern es braucht Raum und finanzielle Möglichkeiten. Der Raum: AMARO KHER – das Haus – wird von Freiwilligen aus Karlsruhe gerade gebaut, ökologisch nachhaltig mit Recycling-Bau und sozial verantwortlich mit begleiteten Prozessen der Selbstverantwortung und Gemeinschafts- bildung. Nicht konfliktfrei, aber mit Perspekti- ven für die Menschen dort vor Ort. In einem Vortrag und Filmausschnitten wird der Prozess AMARO KHER von den Hauptinitia- tor_innen Angelika Ludwig-Huber, Sebastian Marschall, Maria und Charlotte anschaulich dargelegt – mit all den Fragen, die da ent- standen und ganz prinzipiell sind: • Für die Roma oder mit den Roma? Wie viel Fremdbestimmung kann der Mensch ertra- gen? Oder: Selbstbestimmt geht besser! • Was braucht ein Mensch, damit er Leben als lebenswert erleben kann? • Lebenssituationen der Roma in Mazedonien und Deutschland: Diskriminierung, Demüti- gung, Fremdbestimmung und Perspektivlo- sigkeit • Wie lässt sich dieser Kreislauf verändern und vor allem für die Kinder eine nachhal- tige Perspektive entwickeln? Keine der großen Stiftungen konnte sich bis- lang entschließen, in dieses – auch ökologisch – interessante Projekt einzusteigen. Vielleicht ist es so einzigartig, dass es in kein Schema passt? Daher wird eine Gruppe von jungen Musikern aus der Waldorfschule Karlsruhe gemeinsam mit Roma-Musikern aus Wien versuchen, eine musikalische – und vielleicht auch finanzielle – Brücke um den Vortrag herum zu schlagen. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 19 Uhr Eintritt frei, um Spenden für das Projekt wird gebeten Veranstalter: Amaro Kher – Förderverein für das Roma-Gemeinschaftshaus in Kriva Pa- lanka e.V. und ibz www.amarokher.org www.ibz-karlsruhe.de 26. 3. 89 26. März (Mittwoch) „Erntehelfer“ Film: „Erntehelfer“ Moritz Siebert, Deutschland 2013. Digital, 70 Min., dt. UT Das unterfränkische Vierhundert-Seelen-Dorf Seinsheim erscheint durch die Augen des in- dischen Pfarrers Cyriac betrachtet zunächst recht befremdlich – es gibt kein Internet, da- für jede Menge Schnee, die Straßenverkehrs- ordnung ist heilig, und die Menschen tanzen schunkelnd auf den Tischen. Cyriac ist einer von mittlerweile 500 Priestern aus Indien, mit denen die katholische Kirche in Deutschland dem Fachkräftemangel zu begegnen versucht. Neben der Sprache muss er auch lernen, wie man Predigten schreibt und seine Gemeinde zusammenhält – ein schweres Unterfangen! Teil seiner Aufgabe als Seelsorger sind Krankenbe- suche und auch hier zeigt sich ihm ein fremdes Bild von der Einsamkeit der alten Menschen. Ein Blick von außen, der viele Fragen aufwirft. Eine teils melancholische, teils heitere Reise zwischen Blaskapellen, Karneval, Glaube, Zweifel und Schnee. Im Anschluss an die Vorführung am 26. März besteht Gelegenheit zum Gespräch mit Pater Thomas Maier von der Katholischen Seelsor- geeinheit St. Raphael. Geboren in Schluchsee, gehört er der katholischen Missionsgesellschaft der „Weißen Väter“ – Afrika-Missionare an. Er selbst hat während seiner Ausbildung drei Jahre in Afrika gelebt und später mehr als 12 Jahre in Jerusalem verbracht, wo er im Be- reich der Ökumene und im Kontakt zu ande- ren Glaubensgemeinschaften tätig war. Er ist spezialisiert in Ostkirchen-Wissenschaften und hat in Frankreich (Toulouse) und in Italien (Rom) studiert und promoviert. Ort: Studio 3 (Kinemathek), Kaiserpassage 6, KA-Innenstadt Beginn: 19 Uhr Eintritt: 6 €, ermäßigt 4,50 € (für Mitglieder der Kinemathek Karlsruhe) Veranstalter: Kinemathek Karlsruhe e.V. Weitere Vorführung am 29. März, 19 Uhr www.siebertfilms.com/siebertfilms.com/ERNTE- HELFER www.kinemathek-karlsruhe.de 26. 3. 90 26. März (Mittwoch) Theatrale Aktion im öffentlichen Raum Ort: Kronenplatz Beginn: 19 Uhr Veranstalter: Werkraum Karlsruhe e.V., IIFG e.V., „Projekt LEA“ des StJA e.V. Vortrag mit Diskussion Die in den Köpfen verankerten Klischees über das Aussehen eines Neonazis sind seit längerer Zeit überholt. Es gibt neue, subtilere Symbole, derer sich die rechtsradikale Szene bedient, um die Gruppenzugehörigkeit in der Öffent- lichkeit zu zeigen. Zahlensymbolik, Musik, gra- fische Darstellungen, Bekleidung und Entleh- nungen aus der nordischen Mythologie sind nur einige Beispiele für versteckte Merkmale der rechtsextremen Szene. Das Büro für Integration lädt in Kooperation mit dem Landeskriminal- amt Baden-Württemberg und dem Bürger- verein Oberreut zum Vortrag mit dem Thema „Rechtsextremismus erkennen und richtig han- deln“ ein. Dem Vortrag folgt eine Diskussion mit Manuel Bauer, einem ehemaligen Mitglied der Neonazi-Szene, der seine Geschichte ausführ- lich erzählen wird. Er berichtet von den Anfän- gen, seiner Zeit als aktiver Neonazi und dem Weg, den er hinter sich hat, seit er beschloss auszusteigen. Lassen Sie uns gemeinsam das eingestaubte Halbwissen über Rechtsextremis- mus auffrischen und lernen, richtig zu handeln. „Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke? Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ Ort: Jugend- und Gemeinschaftszentrum „Wei- ße Rose“, Otto-Wels-Straße 31, KA-Ober- reut Zeit: 19 Uhr – 21 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Büro für Integration und AK Mi- grationsbeirat in Zusammenarbeit mit Lan- deskriminalamt, Bürgerverein Oberreut und Jugend- und Gemeinschaftszentrum „Weiße Rose“, Stadtjugendausschuss e.V. www.polizei-bw.de/Dienststellen/LKA/Seiten/ Staatsschutz www.karlsruhe.de/b3/soziales/einrichtungen/ bfi www.st ja.de/kinder-und-jugendeinric h- tungen/jugend-und-gemeinschaftszen- trum-weisse-rose.html www.oberreut.de 26. 3. 26. 3. 91 26. März (Mittwoch) Lesung: „Die biologische Lösung – oder die deutsche Justiz und das Massaker von St. Anna“ Im Sommer 1944 haben SS-Männer in dem italienischen Gebirgsdorf Sant‘Anna di Stazze- ma mehrere hundert Frauen, Kinder und ältere Menschen ermordet. Bis heute stand keiner der mutmaßlichen Täter, von denen zwei aus dem Raum Karlsruhe stammen, vor einem Gericht. Zuletzt hat sich auch das Oberlandesgericht Karlsruhe mit einem Klageerzwingungsverfah- ren in der Sache Sant’Anna befasst. Der Stuttgarter Autor, Filmemacher und Jour- nalist Hermann G. Abmayr hat mehrmals über den Fall berichtet und seine juristische Aufar- beitung vor wenigen Monaten in einem Buch- kapitel nachgezeichnet. Er wird Auszüge da- raus lesen und vorab ein kurzes Video zeigen, in dem Überlebende des Massakers zu Wort kommen. „Die deutsche Justiz und das Massaker von St. Anna“ Ort: Jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Jubez-Café Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: SJD – Die Falken, Input Karlsruhe, Libertäre Gruppe Karlsruhe, jubez Karlsru- he und die Fachstelle gegen Rechts im StJA e.V. www.jubez.de www.sjd-falkenkarlsruhe.org 26. 3. 92 26. März (Mittwoch) Film „My Dog Killer“ Siehe Ankündigung vom 21. März Beginn: 21.15 Uhr Vortrag von Mohammad Luqman Die Ängste des Abendlandes vor dem Islam lassen sich bis weit in das Mittelalter zurückver- folgen. Doch was sind die Ursachen hierfür? Hat der Islam auch einen Anteil an der westlichen Kultur und Zivilisation? Gibt es Beispiele gelun- gener Integration und friedlichen Zusammen- lebens? Der Vortragsabend möchte erwähnte Ängste und negative Eindrücke aufgreifen und darstellen, welche Position die islamischen Leh- ren gegenüber vermeintlich „Fremden“ – seien es Andersgläubige oder Andersseiende – ver- treten. Herr Luqman wird darstellen, was der Islam und was muslimisches Leben bedeutet. Darüber hinaus wird erläutert, wie der Islam zu den Wertevorstellungen des Abendlandes steht und welche Geschichte der Islam in Europa hat. „Der Schrecken des Abendlandes – der Islam in Europa“ Über Mohammad Luqman: Er ist Islamwissenschaftler und hält regelmäßig wissenschaftlich fundierte Vorträge und Kurse über den Islam. Herr Luqman ist zudem Leiter der Abteilung Publikation in der Ahmadiyya Muslim Jamaat KdöR und führt derzeit auch den „Verlag der Islam“. Ort: Friedensheim des Badischen Landesver- eins für Innere Mission, Redtenbacherstraße 10 –14, KA-Südweststadt Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Ahmadiyya Muslim Jamaat (KdöR) www.ahmadiyya.de 26. 3. 26. 3. 93 Vortrag von Gen Kelsang Gogden: „Gibt es einen Unterschied zwischen Dir und mir?“ Buddha lehrte, dass die Unterschiede, die wir zwischen uns und anderen wahrnehmen, nicht aus sich heraus existieren, sondern Projektionen unseres Geistes sind. Somit gibt es aus bud- dhistischer Sicht keine gültige Grundlage für Gedanken des Rassismuses, der Ausgrenzung, des Hasses usw. Sie stehen im Widerspruch zur Wirklichkeit und erzeugen nichts als Leiden sowohl für uns selbst als auch für andere. Ge- danken des Respektes, der Zuneigung und des Mitgefühls für alle ohne Ausnahme jedoch sind im Einklang mit der Wirklichkeit und bringen uns und anderen nur Frieden und Glück. Gen Kelsang Gogden wird an diesem Abend in diese buddhistische Sichtweise einführen und erklären, wie sie uns helfen kann, eine für uns und unsere Welt heilsame Erfahrung von liebe- voller Wertschätzung für jeden zu entwickeln. Anschließend an den Vortrag steht sie gerne für Fragen und Diskussion zur Verfügung. „Gibt es einen Unter- schied zwischen Dir und mir?“ Über Gen Kelsang Gogden: Gen Kelsang Gogden ist eine moderne bud- dhistische Nonne der Neuen Kadampa-Tradi- tion und unterrichtet seit über 10 Jahren am Menlha-Zentrum für Buddhismus in Karlsruhe. Sie studiert und praktiziert Buddhismus seit vie- len Jahren und wird als buddhistische Lehrerin für ihre inspirierende, warmherzige Klarheit geschätzt. Ort: Menlha-Zentrum für Buddhismus, Gar- tenstraße 1, KA-Südweststadt Zeit: 19.30 Uhr – 21 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Menlha-Zentrum für Buddhismus e.V. www.meditation-karlsruhe.de 26. März (Mittwoch) 26. 3. 94 27. März (Donnerstag) Vortrag mit Diskussion Im Rahmen der Reihe „Nordweststadt Impuls“ veranstaltet das Büro für Integration in Zu- sammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg und der Bürgergemein- schaft Nordweststadt einen Vortrag zum The- ma „Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“. Mitarbeiter des Landeskriminalamtes informieren über die rechtsextreme Musik, über die Bedeutung von Kleidung und Symbolen so- wie über die Strategien der Mitgliedergewin- nung. Manuel Bauer, ein ehemaliger Neonazi, wird in einem spannenden Vortrag darstellen, wie er in die Naziszene reinrutschte und welche Hilfen notwendig waren, um aus dieser Szene auszusteigen. „Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke? Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ „Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ Vortrag mit Workshop. Siehe Ankündigung vom 25. März Der Vortrag richtet sich an die Schülerschaft, Pädagogen und Eltern, aber auch an alle inte- ressierten Bürger_innen in der Nordweststadt. Ort: Werner-von-Siemens-Schule, Kurt-Schu- macher-Straße 1, KA-Nordweststadt, Aula Zeit: 18 Uhr – 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Bürgergemeinschaft Nordwest- stadt, Büro für Integration und AK Migra- tionsbeirat in Zusammenarbeit mit Werner- von-Siemens-Schule www.polizei-bw.de/Dienststellen/LKA/Seiten/ Staatsschutz www.karlsruhe.de/b3/soziales/einrichtungen/bfi www.ka-nordweststadt.de www.wvs-ka.de 27. 3. 27. 3. 95 27. März (Donnerstag) Lesung Geschichten und Zeitzeugenberichte über die rassische Verfolgung und Ermordung der Karls- ruher Sinti in der NS-Zeit. Michail Krausnick liest und erzählt: „Josef und seine Brüder“ – die Spurensuche eines Ho- locaust-Überlebenden im Generallandesarchiv und „Eine ganz raffinierte Person“ – vom Wi- derstand der Mathilde Klein gegen den Karls- ruher „Zigeunerkommissar“. Über Michail Krausnick: Michail Krausnick ist Autor zahlreicher Veröf- fentlichungen zum Thema, u. a. „Wo sind sie hingekommen? Der unterschlagene Völkermord an den Sinti und Roma“; „Da wollten wir frei sein – eine Sinti-Familie erzählt“, das Thea- terstück „Lustig ist das Zigeunerleben?“, das Drehbuch zum TV-Film „Auf Wiedersehen im Himmel. Die Sinti-Kinder von der St. Josefspfle- ge“, das Kinderbuch „Elses Geschichte – ein Mädchen überlebt Auschwitz“, die Lokalstudie „Abfahrt: Karlsruhe“ und die Ausstellung „Die Überlebenden sind die Ausnahme“ gemeinsam mit Anita Awosusi. „Ich will’s ja selbst gern vergessen!“ Ort: Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais, Karls- traße 10, KA-Innenstadt Beginn: 18 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Gesellschaft für bedrohte Völ- ker e.V., Regionalgruppe Karlsruhe und Stadtarchiv Karlsruhe www.krausnick-info.de/start.htm www.gfbv.de 27. 3. 96 27. März (Donnerstag) Für seinen Vortrag „Eine Jüdische Zeitreise“ hat Dany Bober die in der Zeit der Weima- rer Republik auf deutschen Kleinkunstbühnen beliebte Form des „Features“ gewählt. Hierbei tragen die unterschiedlichsten Stilelemente wie Lieder, Berichte, Mundartgedichte und Humor zu einem kurzweiligen und informativen Abend bei. Die Frankfurter Rundschau schrieb: „... Ein Abend der zeigte, dass Unterhaltung durchaus was mit Haltung zu tun hat. Und dass es möglich ist, ein ernsthaftes Thema auch ohne die durch- konstruierte Handlung eines Theaterstückes pu- blikumswirksam auf die Bühne zu bringen.“ Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 19.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: ibz Karlsruhe e.V., Stoffwechsel e.V. www.kulturserver.de/-/kulturschaffende/ detail/32683 www.ibz-karlsruhe.de www.stoffwechsel-ev.de Veranstaltung in der Tapasbar Pin- txos: Ort: Pintxos Tapas y Pasión, Waldstrasse 30, KA-Innenstadt Beginn: 20.30 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Pintxos Tapas y Pasión www.pintxos.de/karlsruhe-1.html „Pasion Gitana – Spanische Live Musik“ „Jüdische Zeitreise mit Dany Bober - Lied, Geschichte(n), Jüdischer Humor“ 27. 3. 27. 3. 97 27. März (Donnerstag) Buchpremiere: Ibraimo Alberto und Daniel Oliver Bachmann präsentie- ren ihr Werk „Ich wollte leben wie die Götter. Was in Deutschland aus mei- nen afrikanischen Träumen wurde.“ „In Karlsruhe ist alles anders“, sagt Ibraimo Alberto. Er nennt Karlsruhe eine „fantastische Multikultistadt“. Hier ist er nicht mehr der ein- zige Schwarze. 2011 flüchtet Ibraimo Alberto von Brandenburg nach Karlsruhe. Er hält den Rassismus nicht länger aus. Aufgewachsen als eines von zwölf Kindern und Sklave eines Land- besitzers in Mosambik, zieht er 1981 in die DDR. Aber anstatt studieren zu können, wird er in ein Fleischkombinat abkommandiert. Er darf sich weder frei bewegen noch heiraten. Doch Alberto boxt sich nach oben: Er macht Karrie- re in einem Ostberliner Boxverein und boxt für den Club „Traktor Schwedt“ in der Bundesliga. 1991 beherrschen die Neonazis Schwedt. Al- berto wird täglich angepöbelt, beleidigt und angegriffen. Als Rechtsradikale seinen 17-jäh- rigen Sohn bei einem Fußballspiel totzuschla- gen drohen, weiß Alberto, inzwischen Auslän- derbeauftragter in der Stadt an der Oder, dass er hier keine Zukunft mehr hat. 2011 erhält er „innerdeutsches Asyl“ in Karlsruhe. Und er kämpft weiter gegen Rassismus und für Integration. Ibraimo Alberto und Co-Autor Daniel Oliver Bachmann, geboren 1965, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, stellen das gerade im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheinende Buch in Ibraimo Albertos neuer Heimat gemeinsam vor. Ort: Museum für Literatur am Oberrhein, Prinz- Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innenstadt Beginn: 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Literarische Gesellschaft Karlsru- he e.V., Stephanus-Buchhandlung „Was in Karlsruhe aus meinen afrikanischen Träumen wurde.“ © Sven Paustian www.kiwi-verlag.de/buch/ich-wollte-leben- wie-die-goetter/978-3-462-04624-3 www.literaturmuseum.de www.stephanusbuch.de Theater-Uraufführung: „Rechtsmate- 27. 3. 98 28. März (Freitag) Ausstellungseröffnung mit einem Vortrag der Ausstellungsmacherin Birgit Mair Die Ausstellung setzt sich auf 22 Tafeln mit den Verbrechen des NSU in den Jahren 2000 bis 2007 sowie der gesellschaftlichen Aufarbei- tung nach dem Auffliegen des „Nationalsozi- alistischen Untergrundes“ im November 2011 auseinander. Neben den Biografien der zehn Mordopfer, den Bombenanschlägen sowie zahlreichen Banküberfällen beleuchtet die Aus- stellung Neonaziszenen, aus denen der NSU hervorging. Analysiert werden zudem Gründe, warum die Mordserie so lange unaufgeklärt blieb. Die Ausstellung wird mit einem Vortrag der Diplom-Sozialwirtin Birgit Mair eröffnet. Sie stellt das Ausstellungsprojekt vor und geht auf aktuelle Entwicklungen im NSU-Prozess so- wie den Umgang mit Neonazismus und Rassis- mus nach dem Auffliegen des NSU ein. Im An- schluss besteht die Möglichkeit für Fragen aus dem Publikum. Die Ausstellung ist nach der Eröffnungsver- anstaltung zwei Wochen, bis zum 12. April, im Konferenzsaal der Zentralmoschee täglich von 13 Uhr –17 Uhr zu besichtigen. Ort: DITIB Zentralmoschee Karlsruhe, Käppel- estraße 3, KA-Oststadt Beginn: 17 Uhr Eintritt frei Veranstalter: DITIB Karlsruhe in Kooperation mit dem Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung Nürnberg (ISFBB) e.V. www.ditib-karlsruhe.de www.isfbb.de „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ Vortrag: „Zwischen Tschetschenien, Polen und Deutschland – Hintergründe zu den Schicksalen von Flüchtlingen“ 2013 kamen die meisten Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag stellten, aus der Russischen Föderation und hier aus Tschetschenien. Sarah Reinke, GUS-Referentin der Gesell- schaft für bedrohte Völker, klärt über die Hin- tergründe der Flucht und die aktuelle Lage in Tschetschenien auf. Anhand von Einzelschick- salen stellt sie die Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik für die Betroffenen dar und beschreibt, wie sich die Situation seit Jahres- beginn 2014 auch im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi entwi- ckelt. Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt Beginn: 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Gesellschaft für bedrohte Völker e.V., Regionalgruppe Karlsruhe www.gfbv.de „Hintergründe zu den Schicksalen von Flüchtlingen“ Freitagsgebet am KIT Siehe Ankündigung vom 21. März 28. 3. 28. 3. 28. 3. 99 28. März (Freitag) Theater: „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ Siehe Ankündigung vom 19. März Die Lange LeseNacht im ZKM Wer Menschen ausgrenzt, verstößt gegen die Menschenrechte und gefährdet den gesell- schaftlichen Zusammenhalt. Rassismus verletzt Menschen durch Worte und Taten. Amnesty International Karlsruhe möchte zeigen: Worte können auch viel Kraft entfalten und zur Ver- ständigung beitragen! Bekannte Karlsruher Bürger_innen lesen mit- gebrachte Werke – Schauspieler tragen Texte vor. Musik von ZILL feat. N. Rieger und 7Ender & U.W.E. with friends. „Dein Wort gegen Rassismus“ Mit Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, Prof. Dr. h.c. mult. Peter Weibel, Gunzi Heil, Jan Linders, Schauspielern des Staatstheaters und Überraschungsgästen. Literatur trifft Musik – und Du bist dabei! Ort: ZKM, Lorenzstraße 19, KA-Südweststadt, Medientheater Zeit: 20 Uhr – ca. 23.30 Uhr (mit Pause und After-Show-Party) Eintritt frei Veranstalter: amnesty international Bezirk Karlsruhe, in Kooperation mit dem ZKM und dem Kulturbüro der Stadt Karlsruhe www.amnesty-karlsruhe.de www.zkm.de www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerde- rung/kulturbuero 28. 3. 28. 3. 100 29. März (Samstag) „Erinnerung aufpolieren!“ Aktive der Karlsruher Stolpersteine-Putzakti- onen stellen ihre Initiative vor „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig erinnern an Menschen, die Opfer der poli- tischen und rassistischen Verfolgungen unter der NS-Diktatur wurden: Eingelassen in die Gehsteige vor ihren letzten freiwillig gewähl- ten Wohnquartieren, lassen die quadratischen Messingplatten die Vorbeigehenden zumindest optisch über die Namen und Schicksale der einstigen Bewohner_innen „stolpern“. Auf diese Weise geben sie ihnen symbolisch wieder ein Stück ihrer Identität zurück. Mit der Zeit haben viele einstmals blitzende Stolpersteine Patina angesetzt; sie fügen sich nun sehr unauffällig ins Grau der Pflastersteine drum herum ein. Um wieder mehr Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, ist daher eine Erinnerungsarbeit ganz praktischer Art gefragt. Auf Initiative von „Ge- „Erinnerung aufpolieren!“ gen Vergessen – Für Demokratie e.V.” führen mehrere Organisationen und zahlreiche Enga- gierte seit dem Frühjahr 2012 in ganz Karlsru- he Stolpersteine-Putzaktionen durch. An jeder Station wird dabei kurz der jeweiligen Opfer gedacht. Dabei kommt es zu unterschiedlichen Begegnungen. Die Initiative stellt zunächst bei Kaffee und Ku- chen ihre Arbeit vor – anschließend gemein- sames aktives Gedenken an den Stolpersteinen in der Karlsruher Innenstadt. Ort: jubez, Kronenplatz 1, KA-Innenstadt, Jubez-Café Beginn: 14 Uhr Veranstalter: Initiative „Erinnerung aufpolieren“ Anschließend um 15 Uhr gemeinsames aktives Gedenken an den Stolpersteinen in der Karls- ruher Innenstadt. www.erinnerung-aufpolieren.de 29. 3. 101 29. März (Samstag) Vortrag von Ahmad Mansour Die antisemitischen Stereotypen, die von musli- mischen Jugendlichen in Deutschland vertreten werden, sind sehr vielfältig und reichen von Verschwörungstheorien über die Herrschaft der Juden in der Finanz- und Weltpolitik, über die Darstellung der Juden als geldgierig, ma- nipulativ, dreckig, Feinde des Islams bis zur Ho- locaust-Verleugnung. Solche Stereotypen sind auch in der Mehrheitsgesellschaft vorhanden. Doch bei der Entstehung dieser Bilder in den migrantischen Milieus spielen der Nahostkon- flikt und der religiös begründete Antisemitismus eine entscheidende Rolle. Wir begegnen die- sem neuen Antisemitismus im Alltag auf Schul- höfen, in den Schulklassen, in Moscheen, auf Facebook, in Satellitensendern und in Foren. Diese Art von Antisemitismus ist kaum erforscht und trotzdem stellt er eine der großen Bedro- hungen für unsere Demokratie dar und benötigt ein pädagogisches Umdenken. Über Ahmad Mansour: Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe, ge- boren 1976 in Tira (einem kleinen arabischen Dorf in Israel) und lebt seit neun Jahren in Deutschland. An der Universität in Tel Aviv studierte er Psychologie, Soziologie und Phi- losophie und arbeitete dort in verschiedenen „Muslimischer Antisemitismus“ Projekten für friedliches Zusammenleben zwi- schen Arabern und Juden. In Berlin führte er sein Studium im Fach Klinische Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin fort. Neben seiner Tätigkeit als Gruppenleiter bei Hero- es, einem Projekt gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung, arbeitet Herr Mansour als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt „ASTIU“ (Auseinan- dersetzung mit Islamismus und Ultranationalis- mus). Außerdem war Ahmad Mansour Mitglied der „Deutschen Islam Konferenz“ und berät die European Foundation for Democracy in den Themen Integration, Radikalisierung, Antisemi- tismus und Erziehungsmethoden in muslimischen Familien. Ahmad Mansour ist freier Autor und arbeitet gerade für die ARD an einer Repor- tage über muslimischen Antisemitismus. Ahmad Mansour fordert in seinen Artikeln die Muslime, die Pädagogik und die Politik auf, aktiv gegen den wachsenden Antisemitismus und die Radi- kalisierung zu handeln. Ort: Badisches Landesmuseum, Schlossbezirk 10, KA-Innenstadt, Gartensaal Beginn: 19 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Förderverein Fest für Völkerver- ständigung e.V. www.heroes-net.de/index.php/angebote 29. 3. 102 29. März (Samstag) „Rechtsmaterial“ rial“. Ein NSU-Projekt von Jan-Chri- stoph Gockel & Konstantin Küspert Der NSU-Prozess läuft seit dem 6. Mai 2013 in München und versucht, die Taten der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Unter- grund“ und auch deren Verstrickung mit den deutschen Geheimdiensten aufzuklären. Was geschah in der konspirativen Wohnung des NSU? Wie entwickeln sich Menschen zu rassisti- schen Mördern? Nach ausführlicher Recherche, Gesprächen mit der Bundesanwaltschaft und weiteren Behörden, Institutionen, Vereinen, die an einem der größten Strafprozesse des ver- einigten Deutschland beteiligt sind, nähert sich das Staatstheater der Thematik mit dem Ziel, historische Dimension und fatale Kontinuität des Terrorismus von rechts in Deutschland auf- zuzeigen. Aus einem alten Propagandastück, hunderten Seiten Akten und vielen detaillierten Berichten wird ein Theaterabend destilliert, Tasse Tee Siehe Ankündigung vom 15. März Ort: ibz, Kaiserallee 12 d, KA-Weststadt, Dachgeschoss Film „Erntehelfer“ Siehe Ankündigung vom 26. März Beginn: 19 Uhr der sich vor allem mit der Sichtweise der Täter beschäftigt. Ort: Badisches Staatstheater, Baumeisterstraße 11, KA-Südstadt, Studio Beginn: 19.30 Uhr Eintritt: 13 €, ermäßigt 7 € Veranstalter: Badisches Staatstheater Karlsru- he www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/ info/1697 Theater: © F el ix G rü ns ch lo ß 29. 3. 103 29. März (Samstag) Der Deutschsprachige Muslimkreis Karlsruhe (DMK) lädt Vereine, Institutionen, Gruppen und alle Karlsruher Bürger_innen zu einem Lichter- lauf gegen Rassismus und Diskriminierung im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassis- mus ein. Mit diesem Lichterlauf soll an erster Stelle an die Opfer und Leidtragenden des Rassismus in unserem Land erinnert werden. Zu- dem sind die Lichter dieser Aktion Ausdruck der Hoffnung, dass sich jeden Tag mehr Menschen gegen Rassismus und gruppenbezogene Men- schenfeindlichkeit einsetzen. Der Lichterlauf ist eine gute Möglichkeit für Karlsruher Vereine, Institutionen, Behörden und Bürger_innen, für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, dass es keinen Platz für Rassismus und Diskriminierung in ihren Einrichtungen und in der Stadt Karlsru- he gibt. Karlsruher Bürger und Gruppen, Insti- tutionen und Vereine können von unterschied- lichen Plätzen aus, an denen sie arbeiten oder leben bzw. von Orten, die für sie eine wichtige Bedeutung besitzen, mit Lichtern und Bannern gemeinsam loslaufen bzw. losfahren (wie z. B. vom Menschenrechtszentrum, von der LEA, dem Rathaus, vom IBZ, vom Büro für Integration, von den Fraktions- und Parteibüros, von der Syna- goge, den Kirchen, den Moscheen/dem DMK, dem Bundesverfassungsgericht, der Bundes- staatsanwaltschaft usw.). Die Gruppen und Menschen, die loslaufen, treffen sich dann mit ihren Lichtern am Platz der Grundrechte und versammeln sich dort. Die Lichter werden nach und nach auf dem Boden zu Schriftzügen wie „Karlsruhe gegen Rassis- mus“ und „Für Vielfalt und Gemeinsamkeit“ ab- gestellt. Am Platz der Grundrechte geben die Gruppen auch jeweils ein kurzes Statement ab wie z. B. „Wir engagieren uns seit Jahren im Menschenrechtszentrum gegen Rassismus und Ungleichbehandlung, indem wir Flüchtlingen helfen und uns für die grundlegenden Rechte aller Menschen einsetzen“. Je mehrnstitutionen, Vereine, Gruppen und Karlsruher Bürger_innen an dieser Aktion mit- machen, desto stärker kann ein Signal unseres gemeinsamen Anliegens in die Stadtgesell- schaft hineinwirken. Bei entsprechenden Witterungsverhältnissen wird der DMK kostenlos warme Getränke an- bieten. Wie kann man mitwirken? Lichterstäbe können beim Deutschsprachigen Muslimkreis Karlsruhe oder im Kulturbüro bei Christoph Rapp,(Rathaus am Marktplatz, Zim- mer C 109, Telefon 133-4053, E-Mail: christoph. rapp@kultur.karlsruhe.de) kostenlos abgeholt werden. Weiterhin haben die Veranstalter vorbe- reitete „Statements“, die bei Bedarf übergeben werden können. Für Bestellung der Lichterstäbe und evtl. Statements oder Fragen schreiben Sie uns per E-Mail an info@dmk-karlsruhe.de. Gemeinsames Ziel: Platz der Grundrechte, Karl-Friedrich-Straße zwischen Zirkel und Schlossplatz, KA-Innenstadt Zeit: 20 Uhr Teilnahme kostenlos Veranstalter: Deutschsprachiger Muslimkreis Karlsruhe e.V. www.dmk-karlsruhe.de „Lichterlauf gegen Rassismus und Diskriminierung“ 29. 3. 104 Der Meddah amüsiert sich und das Publikum in AMÜSÜMÜNT Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Inte- gration? Wo sind die Fallen? Wo die Rettungs- leine? Was ist Integration? Diesen Themen wid- met sich das Meddah-Theaterstück mit voller Inbrunst. Dies mag nach einem trockenen Inhalt klingen, ist aber genau das Gegenteil. Hier bleibt kein Auge trocken und kein Lachmuskel wird geschont! Pressestimmen: „Gegenseitige Sympathie ist besser als je- des Integrationsgesetz: Rusen Kartaloglu nahm das Miteinander von Deutschen und Türken aufs Korn. Gerade in Zeiten, in de- nen das Thema Integration heiß diskutiert wird und nicht nur Politikern manch zweifel- haften Kommentar entlockt, tat es gut, den satirischen Ausführungen zum Stand der Din- ge zu lauschen. Aus beiden Blickwinkeln be- leuchtete Kartaloglu das deutsch-türkische Miteinander, skizzierte Klischees, machte „AMÜSÜMÜNT“ auf die Unzulänglichkeit von Vorurteilen aufmerksam, nahm die Besucher mit zu ei- ner türkischen Hochzeit und gab Einblicke in die Kulturen. Wunderbar theatralisch geriet dabei sein Vortrag von herzzerreißenden türkischen Liedern, die er für das deutsche Publikum übersetzte. Natürlich wurde auch „mein Freund, der arme Thilo“ von dem Ka- barettisten erwähnt, der mit dem Publikum sowohl einen Ein- als auch einen Auswande- rungstest machte. Kein Gesetz zur Integrati- on könne so wirkungsvoll sein wie gegensei- tige Sympathie, hieß es am Ende. „Es gibt ein simples Rezept: Vorurteile abbauen und zwar auf beiden Seiten“, resümierte Rusen Kartaloglu, der mit seinem Programm einen Beitrag dazu leistete.“ (Saarbrücker Zei- tung) „Das Stück ist nach dem Vorbild der tradi- tionellen türkischen Form ´Meddah´ gebaut als mit lebendiger Mimik und Gestik vorge- tragene Erzählung mit eingeflochtenen An- ekdoten.“ (Badische Neueste Nachrichten) Ort: Sandkorn-Theater, Kaiserallee 11, KA-Weststadt, Studio Beginn: 20.30 Uhr Eintritt: Theaterpreise Veranstalter: Tiyatro Diyalog e.V. www.tiyatrodiyalog.de Großes Abschlussfest im Tollhaus 29. März (Samstag) 29. 3. 105 Zum Abschluss der zweiten Karlsruher Wochen gegen Rassismus feiern wir alle miteinander ein buntes Fest mit viel Musik, Darbietungen, kuli- narischen Genüssen, vielen Informationen und Mitmach-Aktionen für die ganze Familie. Fei- ern Sie mit und werden Sie Teil unserer bunten Vielfalt! Musik: and the change, Sea Time, Yelitza Laya und Band Caramelo, Kristina Neureuther und Band, Keith Hawkins, Cryptic Carpet, Tafka de Bouef und Isis Chi Gambatté Gedichtrezitationen: Ruth Rahäuser und Rusen Kartaloglu Videos: Ana und Anda, Isis Chi Gambatté Impro-Workshop mit anschließender Präsen- tation: Lamis Klein Szenische Ausschnitte aus den Workshops des „Projekts LEA“ (Werkraum Karlsruhe e.V.) Comedy: Landsmannschaft der Deutschen aus Russland 11-Minuten-Yoga: 30. März (Sonntag) „Wir feiern die Vielfalt“ Stefanie Flöter Multireligiöses Gebet: AG Ein Garten für die Religionen für Karlsruhe Moderation: Rusen Kartaloglu Kulinarische Beiträge: Internationaler Jugend- und Kulturverein Karls- ruhe, DMK, Armenisches Hilfswerk, Pintxos Team, Verein Venezuela Creativa und Hallacas y algo más. Infostand mit Einblicken in die Arbeit der Be- treuungsangebote des „Projekt LEA“ Zum Abschlussfest wird eine eigene kleine Programm-Broschüre mit genaueren Anga- ben erscheinen. Ort: Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Zeit: 14 Uhr – 20 Uhr Eintritt frei Veranstalter: Kulturbüro der Stadt Karlsruhe, Kulturzentrum Tollhaus e.V. www.tollhaus.de www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerde- rung/kulturbuero 30. 3. 106 Flüchtlingen konkret helfen - aber wie? Flüchtlingsvereine suchen nach Verstärkung und verraten dabei, was sie tun und was sie antreibt. Mit Speed-Dating. Lässt das Ihr Herz höher schlagen? Beteiligte: Freunde für Fremde, Flüchtlings- betreuer Mühlburg, Projekt Tasse Tee, ibz, AI-Asylgruppe, Freundeskreis Asyl KA, weitere Hausvereine des MRZs Ort: Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Zeit: 14 Uhr – 16 Uhr (??) Eintritt frei Veranstalter: Menschenrechtszentrum Karlsruhe e.V., amnesty international Bezirk Karlsruhe, Büro für Integration, evt. zusammen mit dem Aktivbüro der Stadt Karlsruhe (noch anzufra- gen) Theater: „Am falschen Ort“ „Am falschen Ort“ dokumentiert das Schicksal von Flüchtlingen an der Außengrenze der Euro- päischen Union. Ausgehend von realen Lebens- geschichten beleuchtet es fünf Biografien am Rand der rumänischen Gesellschaft. Da ist die obdachlose alte Jüdin in Bukarest, der staaten- lose Mann aus Palästina, der junge Afghane, der über den Iran schließlich nach Rumänien flieht, die Serbin und die Irakerin, die der Krieg jeweils aus ihren Heimatländern vertrieben hat. Alice Monica Marinescu, geboren 1987, arbei- tet als Schauspielerin und schreibt für das The- ater. Gemeinsam mit David Schwartz, geboren 1985 in Bukarest, recherchierte sie für „Am falschen Ort“ berührende Geschichten vom Schicksal geprüfter Menschen, die die Verhei- ßungen des Westens in Frage stellen. Das Stück erzählt von Flucht und Vertreibung – und von der Suche nach einer neuen Heimat. Ort: Badisches Staatstheater, Baumeisterstraße 11, KA-Südstadt, Studio Beginn: 19 Uhr Eintritt: 13 €, ermäßigt 7 € Veranstalter: Badisches Staatstheater Karlsruhe www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/ info/1459/ © M ar ku s Ka es le r 30. März (Sonntag) 30. 3. 30. 3. 107 Mobilität, Migration und Transkulturalität sind in unserer Welt keine Ausnahme, sondern die Re- gel. Trotzdem sind Migrant_innen und ihre Erfah- rungen für die Mehrheit der Gesellschaft meist unsichtbar. Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse der zahlreichen soziokulturellen Projekte, die das Künstlerinnen-Kollektiv migrantas von 2003 bis heute in Berlin, Buenos Aires, Hamburg und Köln realisiert hat. Zwei- sprachige Texte mit zahlreichen Abbildungen erläutern die Arbeit mit vielen Hundert Migrant_ innen. Kern der Darstellung ist dabei der einzig- artige Entstehungsprozess von den Zeichnungen zu den künstlerisch-grafischen Piktogrammen, mit denen migrantas die Alltagserfahrungen und Gefühle von eingewanderten Frauen zum Aus- druck bringt und in die Öffentlichkeit trägt. Eine Dualität von der vereinfachten Darstellung der Piktogramme – Ikone, die für jeden verständlich sind – und die dahinter stehende Bedeutung, welche komplexe gesellschaftliche, soziale und ökonomische Zusammenhänge widerspiegeln, transportiert die Alltagserfahrungen von Mi- grant_innen, unabhängig davon, wo sie leben. Migrantas thematisiert Migration, Identität und interkulturellen Dialog und bedient sich in seinen vielfachen Projekten der Werkzeuge der Kunst, des Designs und der Sozialwissenschaften. Über die Künstlerinnen: Die 1963 in Buenos Aires geborene Marula Di Como lebt seit 2002 in Berlin. Seit 2000 entwickelt sie Piktogramme als Teil ihrer künst- lerischen Sprache. Noch in Argentinien lernte sie Florencia Young kennen, wo die zwei Künst- lerinnen an verschiedenen Projekten zusammen arbeiteten: „El futuro está en el papel pintado de la Bauhaus“ (Goethe-Institut Buenos Aires, 1997) oder das Projekt „Des-Limites, Valle del Riachuelo Matanzas“ (Goethe-Institut Buenos Aires, 1999). Die 1965 ebenfalls in Buenos Aires geborene Grafik-Designerin Florencia Young lebt seit 2002 in Berlin. Die beide Künstlerinnen tra- fen sich in Berlin wieder und konzipierten das gemeinsame Projekt „Pro- yecto Ausländer“ (Berlin und Buenos Aires, 2003/2004). In dem Projekt geht es darum, die Erfahrungen und Empfin- dungen zu reflektieren, wie es ist, eine Ausländerin zu sein. Die Künstlerinnen werden seit 2004 von der Soziologin Estela Schindel, seit 2006 von der Planerin Irma Leinauer und seit 2007 von der Journalistin Alejandra López unterstützt. Zu- sammen bilden sie das Kollektiv migrantas. Im Jahr 2011 wurde migrantas der Haupt- stadtpreis für Toleranz und Integration durch die Initiative Hauptstadt Berlin e.V. verliehen. Geplant ist im Laufe des Jahres 2014 ein Workshop des Künstlerinnenkollektivs in Karlsruhe, bei dem zusammen mit Karlsru- herinnen weitere Kunstwerke geschaffen werden sollen. Öffnungszeiten: Mo. u. Di.: 12 Uhr – 18.30 Uhr, Mi. – Fr.: 10 Uhr – 18.30 Uhr und während der Veranstaltungen (mit Ticket) Ort: Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe, Alter Schlachthof 35, KA-Oststadt Eintritt frei Veranstalter: Kulturbüro der Stadt Karlsruhe und Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe e.V. www.migrantas.org www.tollhaus.de © M ar ku s Ka es le r 1. bis 30. März Ausstellung „migrantas | eine visuelle Sprache der Migration“ im Tollhaus © m ig ra nt as 2 01 0 Wörter, die wehtun Piktogramm von migrantas - entstanden aus Zeichnungen von Migrantinnen in Berliner Workshops Kunst und Migration 4.5. - 15.7.2013 KUNSTHALLE BAHNITZ Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg Frau Dr. Doris Lemmermei Kollektiv migrantas A6 Postkarte Auswahl + Rückseite Beispiel 27.01.2014 er Unterstützt durch: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg; Landkreis Havelland; Kulturverein Bahnitz Keine DiebinIch bin deine Nächste Ich bin deine NächsteKeine Terroristin R E S P E K T ! ! ! Warum? A U G E N H A A R N A S E GEIST H Ä N D E M U N D O H R E N B E I N E F Ü S S E A RM E HERZ Ich bin wie duWörter, die wehtun Piktogramm von migrantas - entstanden aus Zeichnungen von Migrantinnen in Berliner Workshops Kunst und Migration 4.5. - 15.7.2013 KUNSTHALLE BAHNITZ Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg Frau Dr. Doris Lemmermei Kollektiv migrantas A6 Postkarte Auswahl + Rückseite Beispiel 27.01.2014 er Unterstützt durch: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg; Landkreis Havelland; Kulturverein Bahnitz Keine DiebinIch bin deine Nächste Ich bin deine NächsteKeine Terroristin R E S P E K T ! ! ! Warum? A U G E N H A A R N A S E GEIST H Ä N D E M U N D O H R E N B E I N E F Ü S S E A RM E HERZ Ich bin wie du 108 In zahlreichen Romanen für Erwachsene wird Rassismus als zentrales Element der Erzählung aufgegriffen. Ein Büchertisch in der Stadtbibli- othek im neuen Ständehaus gibt Eindrücke in die vorhandene Literatur und fordert zur individuellen Auseinandersetzung durch Lesen auf. Ob zum Beispiel von Marie NDiaye („Drei starke Frauen“), Gail Jones („Perdita“) oder Jorge Amado („Die Werkstatt der Wunder“) - hier finden sich Romane von Autorinnen und Au- toren aus aller Welt, die oft in erschütternder Weise, teilweise aber auch tragisch-komisch, rassistische Erfahrungen verarbeiten. In verschiedenen Kinderbüchern und Jugen- dromanen wird ebenfalls über Rassismus in erschütternden, aber auch fesselnden Hand- lungen erzählt. Parallel zur Präsentation für Erwachsene in der zentralen Stadtbibliothek ist in der Jugendbibliothek im Prinz-Max-Palais ein Büchertisch aufgestellt, der einen Überblick gibt und zum individuellen Schmökern einlädt. Öffnungszeiten: Di. – Fr.: 10 Uhr – 18.30 Uhr, Sa.: 10 Uhr – 14 Uhr Orte: Stadtbibliothek, Ständehausstraße 2, KA-Innenstadt; Jugendbibliothek im Prinz- Max-Palais, Karlstraße 10, KA-Innenstadt Eintritt frei Veranstalter: Stadtbibliothek Karlsruhe www.stadtbibliothek-karlsruhe.de Im Yoga treffen Menschen aus allen Religionen und Kulturen zusammen. Wir leben die Einheit in der Vielfalt und möchten mit Hilfe von Me- ditation Frieden für jeden Einzelnen und Hei- lung für die Welt bewirken. Im Rahmen der Karlsruher Wochen gegen Rassismus treffen wir uns täglich, um das Heilungsmantra aus dem Kundalini-Yoga zu chanten/singen. Alle Interessierten, mit oder ohne Meditationserfah- rung, sind herzlich dazu eingeladen. Ort: Vishuddha-Zentrum, Pfinztalstraße 46 – 50 (direkt über dm), KA-Durlach Zeit: 17.45 Uhr – 18 Uhr, täglich vom 14. – 30. März Eintritt frei Veranstalter: Vishuddha-Zentrum Durlach www.karlsruhe-kundalini-yoga.de www.vishuddha-zentrum.de 15. bis 29. März Doppelte Buchausstel- lung: Als Fremde leben 14. bis 30. März Yogameditation 109 Das Projekt „WERTvollerKOFFER“ wird an den Johannes-Kepler Privatschulen ins Leben geru- fen werden. Das Ziel dieses Projekts soll sein, den Schüler_innen einen Einblick in verschie- dene Kulturkreise zu ermöglichen. Dabei sollen die Schüler_innen mit ihren Eltern einen Besuch bei einer Gastfamilie abstatten. Diese Besuche sollen durch Dialoge zwischen den Familien den Kulturaustausch fördern. Der WERTvolleKOF- FER soll einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Nach den Besuchen soll jede Familie einen Ge- genstand, welches ihre Kultur repräsentiert, in den „WERTvollenKOFFER“ hineinlegen. Dieser wird am Ende des Jahres bei unserer Jahresab- schlussfeier geöffnet. Alle Familien sollen dann einen Einblick in die vielfältige Kultur unserer Schüler_innen bekommen. Das Projekt startet am 11. März mit einem Re- ferat und anschließender Diskussion von Jutta Gemeinhardt zum Thema „Interkultureller Eis- berg“. Das Projekt wird an dieser Veranstal- tung ebenfalls vorgestellt. An den staatlich anerkannten Johannes-Kepler Privatschulen Gymnasium & Realschule werden neben den schulischen Ausbildungen auch ein besonderer Wert auf das soziale Engagement und Förderung dieser Kompetenzen gelegt. Auch stellt die Schulsozialarbeit durch Mento- ring und Elternarbeit ein besonderes Merkmal unserer Schule dar. Termin: Dienstag, 11. März 2014, 18.30 Uhr Ort: Johannes-Kepler Privatschulen, Daimler- straße 7, KA-Nordweststadt Eintritt frei Veranstalter: Johannes-Kepler Privatschulen www.kepler-privatschulen.de Projekt im Rahmen der Wochen gegen Rassismus Privatschulen G y m n a s i u m & R e a l s c h u l e s t a a t l i c h a n e r k a n n t „Interkultureller Eisberg“ Referat im Rahmen der Projekteröffnung „WERTvollerKOFFER“ 110 Rassismus und Diskriminierung Rassismus wird in dem Internationalen Über- einkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung aus dem Jahre 1965 fol- gendermaßen definiert: „Jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Ab- stammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschlie- ßung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfrei- heiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträch- tigt wird.“ Basierend auf dem Grundsatz, dass alle Men- schen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind, stellt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in Artikel 2 des- halb unmissverständlich fest: „Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Reli- gion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Vermö- gen, Geburt oder sonstigem Status...“. In der Präambel des Internationalen Überein- kommens zur Beseitigung jeder Form von Ras- sendiskriminierung bekräftigen die Vereinten Nationen, „dass jede Lehre von einer auf Rassenunter- schiede gegründeten Überlegenheit wissen- schaftlich falsch, moralisch verwerflich sowie sozial ungerecht und gefährlich ist und dass eine Rassendiskriminierung, gleichviel ob in Theorie oder in Praxis, nirgends gerechtfertigt ist ...“ und erklären, „dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und ein Recht auf gleichen Schutz des Ge- setzes gegen jede Diskriminierung und jedes Aufreizen zur Diskriminierung haben“. Die Internationale Städte-Koalition gegen Rassismus Die „Internationale Städte-Koalition gegen Rassismus“ ist eine Initiative der UNESCO, die 2004 gestartet wurde. Das Ziel ist, ein welt- weites Netzwerk von Städten einzurichten, die sich gemeinsam für einen wirkungsvollen Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Internationale Konventionen, Erklärungen und Verfahren müssen von den einzelnen Staaten ratifiziert und umgesetzt werden. Gleichzeitig ist es aber sehr wichtig, dass auch die loka- le Ebene, auf der sich Menschen unterschied- lichster Herkunft und Eigenschaften tagtäglich begegnen, und die Opfer von Diskriminierung mit einbezogen werden. Nur so ist sicherzustel- len, dass die internationalen und nationalen Rechtsinstrumente auch tatsächlich angewandt und konkrete Probleme vor Ort berücksichtigt werden. Deshalb kommt den Kommunen in Zeiten fort- schreitender Globalisierung und Urbanisierung eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, eine tolerante und solidarische Gesellschaft zu gestalten und allen Stadtbewohnern, gleich welcher nationalen, ethnischen, kulturellen, reli- giösen oder sozialen Zugehörigkeit, ein Leben in Würde, Sicherheit und Gerechtigkeit zu er- möglichen. Koalitionen gibt es mittlerweile auf verschie- denen Kontinenten: Der asiatische Koordinati- onssitz liegt in Bangkok, während die afrika- nische Koalition ihre Koordinationsstädte nach Regionen aufteilt (Bamako, Durban, Kigali und Nairobi). Der lateinamerikanische Koordinati- onssitz liegt in Montevido und Calgary ist Sitz der kanadischen Städtekoalition auf Ländere- bene. Im Jahr 2008 kam die Arabische Region hinzu und im September letzten Jahres die ver- einigten Staaten von Amerika. Im Jahr 2008 hat die UNESCO eine „Internati- Europäische Städte-Koalition gegen Rassismus ECCAR und der Zehn-Punkte-Aktionsplan Europäische Städte-Koalition gegen Rassismus 111 onale Städte-Koalition gegen Rassismus“ ins Le- ben zu rufen, um die speziellen Eigenheiten und Prioritäten der verschiedenen Weltregionen zu berücksichtigen und eine engere Abstimmung der sechs regionalen Netzwerke zu erreichen. Die Europäische Städte-Koalition gegen Rassismus Am 10. Dezember 2004 wurde in Nürnberg die „Europäische Städte-Koalition gegen Ras- sismus“ gegründet und ein „Zehn-Punkte-Akti- onsplan“ mit konkreten Handlungsbeispielen verabschiedet. Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, Rassis- mus und Diskriminierung auf kommunaler Ebe- ne zu bekämpfen und dadurch einen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte, zur Förderung der Integration und zur Achtung der Vielfalt in Europa zu leisten, die Mitgliedsstädte durch den „Zehn-Punkte-Aktionsplan gegen Rassis- mus“ bei dieser Aufgabe zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, Prioritäten zu setzen, ihre Strategien zu optimieren und ihre Zusam- menarbeit zu intensivieren, die Kooperation mit Institutionen und Organisationen, die sich eben- falls der Bekämpfung von Rassismus und Diskri- minierung verschrieben haben, zu stärken und das gemeinsame Interesse der Mitgliedsstädte gegenüber der Europäischen Union, dem Euro- parat und den Regierungen der europäischen Staaten zu vertreten und zu fördern. Um diese Ziele erreichen und wirksam arbei- ten zu können, wurde die Koalition inzwischen auf eine rechtliche Grundlage gestellt und als Verein „Europäische Städte-Koalition ge- gen Rassismus e.V.“ eingetragen. Karlsruhe ist Gründungsmitglied dieses Vereins und ist - vertreten durch das Kulturamt - Mitglied des Lenkungsausschusses der Koalition. Die aktuelle Geschäftsstelle der ECCAR liegt in Potsdam, während der Vorsitz der Städtekoalition in Toulouse Nancy ist. Im März 2013 waren be- reits 21 deutsche Städte Teil des Netzwerkes und aktuell 110 Städte in ganz Europa. ECCAR Zehn-Punkte-Aktionsplan Der Zehn-Punkte- Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus auf kommu- naler Ebene in Europa 1 Verstärkte Wachsamkeit gegenüber Rassis- mus Aufbau eines Überwachungs- und Solidari- täts-Netzwerkes Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Einrichtung eines Beratungsgremiums, in dem verschiedene gesellschaftliche Akteure ver- treten sind (Jugendliche, Künstler, Repräsen- tanten von Nichtregierungsorganisationen, der Polizei, der Justiz, der Stadtverwaltung etc.), um die örtliche Situation einschätzen zu können. Entwicklung eines Systems in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft, um rasch auf rassistische Handlungen reagieren und die zuständigen Behörden informieren zu können. Thematisierung von Rassismus und Diskriminie- rung in möglichst vielen Institutionen und Or- ganisationen in der Stadt. 2 Bewertung der örtlichen Situation und der kommunalen Maßnahmen Aufbau einer Datensammlung, Formulierung erreichbarer Ziele und Entwicklung von Indika- toren, um die Wirkung der kommunalen Maß- nahmen bewerten zu können. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen, um die Daten und Informationen regelmä- ßig analysieren und Studien zur örtlichen Situation erstellen zu können. Entwicklung konkreter, stadtspezifischer Emp- fehlungen auf der Grundlage der Datena- nalyse 3 Bessere Unterstützung für die Opfer von Rassismus und Diskriminierung Unterstützung für die Opfer, damit sie sich künftig besser gegen Rassismus und Diskrimi- 112 nierung wehren können. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Einrichtung der Stelle einer Ombudsperson oder einer Anti-Diskriminierungs-Abteilung in der Stadtverwaltung, die sich mit entspre- chenden Beschwerden befasst. Förderung örtlicher Einrichtungen, die Opfern rechtlichen und psychologischen Beistand leisten. Entwicklung vorbeugender Maßnahmen im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung Einführung von Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeiter/innen der Stadtverwaltung, die sich rassistischen Verhaltens schuldig ge- macht haben. 4 Bessere Beteiligungs- und Informations- möglichkeiten für die Bürger/innen Bessere Information der Bürger/innen über ihre Rechte und Pflichten, über Schutzmaßnahmen, rechtliche Möglichkeiten und Sanktionen für rassistisches Verhalten. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Verbreitung von Publikationen, die über die Rechte und Pflichten der Bürger/innen in einer multikulturellen Gesellschaft, über die Anti-Rassismus-Politik der Stadtverwaltung, über Sanktionen für rassistisches Verhalten und über Kontaktadressen informieren, an die sich Opfer oder Zeugen gegebenenfalls wenden können. Regelmäßige Durchführung eines vielfältigen Veranstaltungsprogramms zum „Internatio- nalen Tag gegen Rassismus und Diskriminie- rung“ am 21. März, um die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Unterstützung der Nichtregierungsorganisati- onen in ihren Bemühungen, über Rassismus und Diskriminierung aufzuklären und Akti- onen gegen diese Phänomene zu entwickeln. 5 Die Stadt als aktive Förderin gleicher Chan- cen Förderung gleicher Chancen auf dem Arbeits- markt. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Aufnahme von Anti-Diskriminierungs-Bestim- mungen in städtische Verträge und bei der Vergabe von Lizenzen (z.B. Gaststätten, Dis- kotheken etc.). Öffentliche Auszeichnung von örtlichen Unter- nehmen, die den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung aktiv unterstützen . Wirtschaftliche Förderung diskriminierter Gruppen. Förderung von interkulturellen Fortbildungsan- geboten für Firmenangestellte in Koopera- tion mit Gewerkschaften, Berufs-, Handels- und Industrievereinigungen. 6 Die Stadt als Arbeitgeberin und Dienstlei- sterin, die gleiche Chancen nachhaltig fördert Die Stadt verpflichtet sich, als Arbeitgebe- rin und Dienstleisterin Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu gewährleisten. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Einführung von Maßnahmen zur Förderung der interkulturellen Kompetenz innerhalb der Stadtverwaltung. Förderung der Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund und aus diskrimi- nierten Gruppen in der Stadtverwaltung. 7 Chancengleichheit auf dem Wohnungs- markt Entwicklung konkreter Maßnahmen zur Be- kämpfung von Diskriminierung bei Vermittlung und Verkauf von Wohnungen Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Entwicklung von Leitlinien oder Verhaltensko- dices für städtische und private Unterneh- men, die auf dem Immobilienmarkt tätig sind, um Diskriminierungen bei Vermietung und Verkauf von Wohnraum zu bekämpfen. Gewährung von Anreizen für Hauseigentümer und Immobilienmakler, die sich zur Einhal- tung des städtischen Verhaltenskodex‘ ge- gen Diskriminierung verpflichten. Unterstützung von Personen, die von Diskrimi- nierung betroffen sind, bei der Suche nach Wohnraum. 113 8 Bekämpfung von Rassismus und Diskrimi- nierung durch Bildung und Erziehung Entwicklung von Maßnahmen gegen ungleiche Bildungs- und Erziehungschancen; Förderung von Toleranz und interkultureller Verständigung durch Bildung und Erziehung. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Entwicklung von Maßnahmen, um Chancen- gleichheit beim Zugang zu Bildung und Er- ziehung sicherzustellen. Einführung einer Anti-Diskriminierungs-Charta für städtische Bildungseinrichtungen. Verleihung des Titels „Schule ohne Rassismus“ als Auszeichnung für vorbildliche anti-rassi- stische Aktivitäten und Stiftung eines Preises, der regelmäßig für die besten schulischen Initiativen gegen Rassismus und Diskriminie- rung vergeben wird. Entwicklung von Lehrmaterial zur Förderung von Toleranz, Menschenrechten und interkul- tureller Verständigung. 9 Förderung der kulturellen Vielfalt Förderung der kulturellen Vielfalt in den Kul- turprogrammen, im öffentlichen Raum und im städtischen Leben. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Förderung der Herstellung von Filmmateri- al, Dokumentationen etc., die es den von Rassismus und Diskriminierung betroffenen Bevölkerungsgruppen und Personenkreisen ermöglichen, ihre Anliegen und Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Regelmäßige finanzielle Förderung von kultu- rellen Projekten und Begegnungsstätten, die die kulturelle Vielfalt der städtischen Bevöl- kerung repräsentieren. Integration dieser Programme in die offiziellen Kulturange- bote der Stadt. Benennung öffentlicher Bereiche (Straßen, Plätze, etc.) zur Erinnerung an diskriminierte Personen oder Gruppen, bzw. entspre- chende Ereignisse. 10 Rassistische Gewalttaten und Konfliktma- nagement Entwicklung oder Unterstützung von Maßnah- men zum Umgang mit rassistischen Gewalttaten und Förderung des Konfliktmanagements. Beispiele für Aktivitäten, u.a.: Einsetzung eines Expertengremiums (Wis- senschaftler, Praktiker, Betroffene), das die Stadtverwaltung und die Bevölkerung berät, Konfliktsituationen analysiert und vor übereilten Reaktionen warnt. Entwicklung eines Angebots an Konfliktma- nagement- und Mediationsprogrammen für relevante Institutionen wie Polizei, Schulen, Jugendzentren, Integrationseinrichtungen etc. 114 115 116 117 118 119 Was ist kompetent vor Ort? Die Beratungsstelle „kompetent vor Ort. für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ bietet Fachinformationen und Beratung zum Thema Rechtsextremismus. Sie ist Teil des Beratungsnetzwerks „kompetent vor Ort“ in Baden-Württemberg. Wer kann Beratung erhalten? Grundsätzlich kann jede/r als Einzelperson oder als Einrichtung kostenlos Beratung erhalten. Angesprochen sind insbesondere Betroffene von rechtsextremen Übergriffen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Eltern und Angehörige rechtsextremer Personen, Mitarbeiter/innen in Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe sowie Personen aus Verwaltung, Vereinen, Verbänden und Betrieben, die sich gegen rechtsextremistische, menschenverachtende Vorkommnisse engagieren wollen. Wie erfolgt die Beratung? „kompetent vor Ort“ hat zum Ziel, Betroffene unbürokratisch im Umgang mit rechtsextremen Personen und Erscheinungsformen zu unterstützen. Ein mobiles Expertenteam entwickelt gemeinsam mit den Betroffenen individuell zugeschnittene Handlungsstrategien. Die Beratung ist vertraulich und kostenfrei. Ansprechpartner in Karlsruhe: Stadtjugendausschuss e.V. / jubez Kronenplatz 1 76133 Karlsruhe 0721/133-5630 beratungsnetzwerk@stja.de www.kompetentvorort.de ©Thinkstock/iStock 120 Das P rogra mm. 2014
https://www.karlsruhe.de/b1/kultur/interkultur/gegenrassismus/archiv/HF_sections/content/1484727851155/Layout_2014_V5.pdf
KLEINER BEGINN Die Stadtverwaltung entwi ckelte sich stetig in Aufga ben und Größe. Seite 2 GEMEINDERAT Plenum und Ausschüsse geben vielfältige Impulse für die Zukunft. Seite 3 MODERNISIERUNG Die Stadt baut den Service aus und arbeitet künftig in IQ Prozessen. Seite 3 23. November 2018 | Sonderveröffentlichung der StadtZeitung | Amtsblatt der Stadt Karlsruhe Der Tag beginnt festlich, wenn historische Trompetenfanfaren vom großen Rathausbalkon in den Bürgersaal laden, in dem ab 10 Uhr bei der offiziellen Eröffnung an die Anfänge der Karlsruher Stadtver- waltung und des Gemeinderates im Jahr 1718 erinnert wird. Nach Musik des damaligen Hofkompo- nisten Johann Melchior Molter trifft Geschichte auf Gegenwart, wenn Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup in einen lockeren Dialog mit dem Zeitreisenden und ersten Karlsruher Bürgermeister Johannes Sembach tritt. Dieser er- zählt von den schwierigen Zeiten nach der Stadtgründung und sei- ner Tätigkeit als Bürgermeister in den Jahren 1718 bis 1720. Zugleich erfährt er Unglaubliches über die Stadt Karlsruhe im 21. Jahrhun- dert. Im Gespräch mit Dr. Susanne Asche, der Leiterin des Kulturamts, geben danach die jüngste Stadträ- tin Zoe Mayer und der dienstältes- te Stadtrat Dr. Klaus Heilgeist ei- nen spannenden Einblick in ihre Arbeit im Plenum. Später haben In- teressierte die Möglichkeit, bei Kaffee und Kuchen mit allen Rats- mitgliedern ins Gespräch zu kom- men und bei einer Ausstellung Wissenswertes zur Entstehung des Gremiums in Erfahrung zu brin- gen. Infos, Hintergründe und His- torisches finden sich zudem in die- ser Sonderveröffentlichung. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele weitere spannende Ein- blicke und Ausblicke beim Tag der offenen Tür. In der neuen, voll- verglasten KarlsKantine oben im Technischen Rathaus warten nicht nur leckere Snacks, sondern auch faszinierende Rundumblicke über die Dächer der Stadt. Wer sogar noch höher hinaus möchte, nimmt bei einer Führung durch den his- torischen Rathausturm teil. Dieser war früher Gefängnis und Feuer- beobachtungsstelle. Alles Wissenswerte zu den ein- zelnen Stationen, den Standorten und besonderen Aktionen finden Interessierte im Programmheft und im Flyer. Beides ist abrufbar unter der Adresse www.karlsru- he.de/tag_der_offenen_tuer. -gem- Die Stadtverwaltung lädt zum Tag der offenen Tür und bietet am Samstag, 24. November, dem Tag des 300-jährigen Bestehens von Gemeinderat und Verwaltung, von 10 bis 17 Uhr ein umfangrei- ches und unterhaltsames Pro- gramm. Im Rathaus, auf dem Marktplatz und in der KarlsKanti- ne gibt es Einiges zu entdecken. Es begann im Wirtshaus… Entdeckungstour mit Erlebnischarakter Seit 300 Jahren Gemeinderat und Stadtverwaltung RATHAUS UND RIESENRAD: Am Tag der offenen Tür gibt es auch von den oberen Etagen aus jede Menge Einblicke. Fotos (4): Fränkle Nicht nur die einzelnen Ämter und Dienststellen öffnen ihre Tü- ren, sondern auch die Chefetage stellt sich vor. Bürgermeister Dr. Albert Käuflein steht Interessier- ten in seinem Dienstzimmer für Fragen und Gespräche bereit, auch Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup kann in seinem Büro besucht werden. Hier wer- den zudem das goldene Buch der Stadt und die Amtskette ausge- stellt. Zu diesem Anlass bietet das Presse- und Informationsamt einen ganz besonderen Service. Besucherinnen und Besucher können sich in der Zeit von 12 bis 16 Uhr am Schreibtisch von OB Mentrup fotografieren lassen, bis 14 Uhr ist das Stadtoberhaupt so- gar selbst mit von der Partie. Das frisch geschossene Bild wird dann digital an der Stelle platziert, an der jetzt das Foto der offenen Rat- haustür zu sehen ist (siehe oben). Danach geht das Bild zur Rat- hausdruckerei, in der sich die Be- sucherinnen und Besucher dann ihre ganz persönliche Titelseite abholen können. -gem- Hineinspazieren und groß rauskommen Familien dazu ein, bei Spielstatio- nen und in Handwerksstätten ak- tiv zu werden. Für abwechslungs- reiche Unterhaltung für alle Gene- rationen ist also gesorgt. -gem- Schon als der Karlsruher Markt- platz zu Beginn des 19. Jahrhun- derts nach den Plänen des badi- schen Baumeisters Friedrich Weinbrenner entstand, war er ein zentraler Ort für das öffentliche Stadtgeschehen. Beim Tag der of- fenen Tür finden dort vielfältige Mitmachaktionen statt, die ihn aufs Neue mit Leben erfüllen. Die Feuerwehr präsentiert zum Bei- spiel ihre Hubrettungsbühne, die eine Höhe von bis zu 42 Metern erreichen kann. Hoch hinaus geht es auch in den Gondeln des Rie- senrades. Schwindelfreie haben somit gleich mehrfach die Mög- lichkeit, den Marktplatz aus der Vogelperspektive zu erleben. Wie am Müllfahrzeug die Ton- nen geleert werden, zeigt das Amt für Abfallwirtschaft und stellt zu- dem seine orangene Flotte vor. Auch das Ordnungs- und Bürger- amt bringt seinen Fuhrpark mit, und das KVV-Eventmobil lockt als moderner Infopoint in der Karos- serie eines alten Linienbusses. Streuobst unter freiem Himmel heißt es beim Liegenschaftsamt. Spannende Rätselaufgaben rund um Äpfel, Birnen und Co. erwar- ten Besucherinnen und Besucher ebenso wie eine Maschinenaus- stellung und frisch gepresster Bio- Apfelsaft. Der Stadtjugendaus- schuss lässt schließlich den Mobi- Bus vorfahren und lädt Kinder und Action und aufregende Aussichten Der Marktplatz verwandelt sich in eine interaktive Spielwiese für alle Altersklassen ANZIEHUNGSPUNKT: Buntes Treiben – wie beim Tag der offenen Tür 2012 – lockt immer wieder viele Menschen auf den Marktplatz. Mechanik trifft Zukunft Von historischen Büromaschinen bis zur Drohne Technik- und Nostalgiefreun- de werden beim Tag der offenen Tür gleich mehrfach fündig. His- torische Büromaschinen aus dem Stadtmuseum nehmen Interes- sierte mit auf eine kleine Zeitrei- se, bei der die Entwicklung von der mechanischen Schreib- und Rechenmaschine hin zu den ers- ten elektrischen Maschinen deutlich wird. Mehr Power bietet da schon der moderne Verkehrs- rechner, der unter anderem die Ampeln der Stadt steuert. Die Rathausdruckerei produ- ziert mit ihren vier digitalen Druckmaschinen jährlich sechs Millionen Drucke und verarbei- tet diese auch weiter. Interessier- te können die Druckerei kennen- lernen und sich Motivpostkarten oder den Handabdruck des Kin- des anfertigen lassen. Wozu mo- derne Technik bei der Stadt so eingesetzt wird, erklärt das Lie- genschaftsamt bei einer Ausstel- lung über moderne Vermes- sungsgeräte wie Laserscanner und Vermessungsdrohnen. Es entstehen etwa Fassadenpläne, die zur Restaurierung von alten Gebäuden eingesetzt werden. Die gewonnenen Daten können weiter dafür genutzt werden, um Gebäudemodelle eines digitalen 3D-Stadtmodells zu verfeinern und aktuell zu halten. -gem- NOSTALGISCHES FLAIR ver- strömen die alten Maschinen. Spielspaß für die ganze Familie Ein besonderes Highlight ist das umfangreiche Kinderprogramm. Kombi Karle und Tina Tunnel kommen zu Besuch und der Stja lädt Kinder und Familien dazu ein, sich bei Geschicklichkeits- und Balancespielen zu versuchen, mit Bambus Kugelbahnen zu konstru- ieren oder mit Ton und Schmuck zu experimentieren. Beim Forst- amt kann die ganze Familie mit Holz basteln, designte Karlsruher Motivpostkarten liegen beim Pres- seamt zum Ausmalen bereit. Jun- ge Gäste können auch hinter dem Steuer einer Kleinkehrmaschine Platz nehmen, Clown Carmensita bereichert das Geschehen mit tol- len Ballonfiguren. -bea-/-gem- Rathauskino und Schnäppchenjagd Die Empore des Bürgersaals steht bei Sitzungen des Gemeinde- rats allen Bürgerinnen und Bür- gern zur Verfügung, die sich poli- tisch informieren möchten. Beim Tag der offenen Tür gastiert dort das Rathauskino. Ab 12 Uhr laufen immer im Wechsel der Kurzfilm „Für die Menschen unserer Stadt: 300 Jahre Gemeinderat Karlsru- he“ und der „Imagefilm Karlsru- he“. Schnäppchenjägerinnen und Schnäppchenjäger kommen beim Flohmarkt des Hauptamtes auf ihre Kosten. Im Innenhof des Rat- hauses lässt es sich nach Herzens- lust wühlen und kruschteln, und die Einnahmen gehen als Spende an einen guten Zweck. -gem- Innovativ und quervernetzt Der IQ-Prozess steht bei der Karlsruher Stadtverwaltung für eine innovative und quervernetzte Arbeitsweise, die agiles und kreati- ves Vorgehen fördern soll und da- bei eine Vernetzung über Fach- und Hierarchiegrenzen hinweg zu- lässt. Mit sechs Korridorthemen und vielen dazugehörigen Leitpro- jekten soll der Fortschritt in der Fä- cherstadt vorangetrieben werden. Interessierte haben beim Tag der offenen Tür die Chance, sich Ein- druck von den vielfältigen Aufga- ben rund um die Themengebiete Zukunft Innenstadt, Moderne Ver- waltung, Soziale Stadt, Wirtschaft und Wissenschaft, Grüne Stadt und Mobilität zu verschaffen. -gem- Was sonst noch los ist Nachhaltiges Bauen und Sa- nieren lässt sich bei einer Rad- tour des Amts für Hochbau und Gebäudewirtschaft zu Projekten erleben. Treffpunkt ist um 14 Uhr (Stand im 2. OG). Die AVG legte den Grundstein für die Verknüpfung von Stra- ßen- und Eisenbahn und damit das „Karlsruher Modell“. Wer die Leidenschaft für Mobilität teilt, kann sich über eine Aus- bildung zum Triebfahrzeug- führer informieren. Über die Arbeit für ein friedliches und buntes Miteinander berichtet das Büro für Integration. Ne- ben Sport, Erholung und Ge- sundheit erfüllt der Wald viele Schutzfunktionen und liefert den Rohstoff Holz. Wie alles „unter einen Hut“ passt, zeigt das Forstamt. Einen maßgebli- chen Beitrag zur Lebensquali- tät leistet das Gartenbauamt. Gerne gibt es Tipps zur Ver- besserung des Wohnumfelds. Karlsruhes Partnerstädte und Projektpartnerstädte und die Menschen dahinter lernt man am Stand des Hauptamts und der Freundeskreise kennen. Zuschüsse für die energetische Sanierung von Wohngebäu- den gewährt das städtische Bonusprogramm. Näheres dazu und zum Wohnraumför- derungsprogramm weiß das Liegenschaftsamt. In Karlsru- he gibt es viel zu entdecken – auch für Karlsruher. Die Karls- ruhe Tourismus GmbH berät über Erlebnistouren durch die Stadt und hält Werbematerial bereit. Wie sieht die fertige „Kombilösung“ aus? Einen Blick auf unterirdische Halte- stellen und in die Zukunft der Kriegsstraße ermöglicht die KASIG. Das Kulturamt prä- sentiert Archivalien aus dem Stadtarchiv und ein Modell des 1728 erbauten Rathauses. Erstmals zu sehen ist ein Ge- mälde, das Bürgermeister Jo- hann Cornelius Roman (1734 – 1744) zeigt. Über Servicean- gebote und Kontrollpflichten informiert das Ordnungs- und Bürgeramt. Ob in Verwaltung, Handwerk, Technik, Sozialem, Natur oder Umwelt – die Stadt bietet in über 20 Ausbildungs- berufen und Studiengängen einen Start ins Berufsleben – das Personal- und Organisati- onsamt informiert. Als Um- schlagsplatz für Briefe und Pa- kete der Stadtverwaltung prä- sentiert sich die Poststelle. Jährlich werden von dort zwei Millionen Poststücke versen- det. Rund um Alter und Altern informiert das Seniorenbüro/ Pflegestützpunkt. Ratsuchen- de erfahren hier etwa, welche Unterstützungsangebote im Pflegefall helfen. „Bleibendes schaffen für kommende Gene- rationen“ will die Stadtkäm- merei und stellt Projekte und Hilfen vor, die aus Nachlässen zugunsten der Stadt oder mit- hilfe kommunaler Stiftungen ermöglicht wurden. Ein Mo- dell der Stadt Karlsruhe aus der Bauwerkstatt des Stadt- planungsamts bietet in der Karlskantine Gelegenheit, die Stadt, ihre Quartiere, Grün- räume und Plätze im Maßstab 1:500 mit einem Blick zu erfas- sen. Die Mehrzahl der in städ- tischer Regie betriebenen 260 Ampeln ist mit dem Verkehrs- rechner verbunden. Wie das „Herz der Karlsruher Ver- kehrssteuerung“ aussieht und was es kann, zeigt das Tief- bauamt. Unterstützung für Un- ternehmen und Existenzgrün- der ist eine von vielen Aufga- ben der Wirtschaftsförderung. Was sie sonst so alles macht, erfährt man vor Ort. -maf- 23. November 2018 | Sonderveröffentlichung der StadtZeitung | Amtsblatt der Stadt Karlsruhe2 bleme in der stark zerstörten Stadt. Ein Teil der aktiven Natio- nalsozialisten wurde gleich entlas- sen, ein Teil, nachdem Ersatz für sie gefunden war. Bereits im April 1945 nahmen 16 Bezirksverwaltungsämter ihre Tä- tigkeit auf. Das Personal dieser de- zentralen Verwaltungseinheiten rekrutierte sich im Wesentlichen aus ehemaligen Hitlergegnern. Handeln und kontrollieren Die heutige Struktur der Stadt- verwaltung ist das Ergebnis eines längeren Prozesses seit 1945, an dessen Ende 35 Ämter mit insge- samt etwa 6500 Beschäftigten ohne die städtischen Gesellschaf- ten stehen. Die Erledigung der Verwaltungsaufgaben durch den Stadtrat wie zu Beginn der Stadt- geschichte ist natürlich schon lan- ge nicht mehr möglich. Dem Ge- meinderat mit heute 48 Mitglie- dern obliegt vor allem die Kontrol- le der Stadtverwaltung, er kann Satzungen erlassen, hat das Etat- recht und die Zuständigkeit für die Stadtplanung und die Einstellung des Personals. Der Oberbürger- meister als Leiter der Verwaltung ist Mitglied und Vorsitzender des Gemeinderats und vertritt die Stadt nach außen. Stadtrat und Stadtverwaltung erledigen gemeinsam die städti- schen Aufgaben, die in 300 Jahren in einem solchen Umfang gewach- sen sind, wie ihn sich Johannes Sembach und seine sechs Stadträ- te in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. -br- PRIVILEGIEN: Mit diesem Brief sicherte der Stadtgründer Neuan- siedlern 1722 Rechte und Freihei- ten zu.Foto: StadtAK 8/StS 18/A4 BUNTES TREIBEN: Blick über den Marktplatz mit Marktgeschehen auf das Rathaus um das Jahr 1890. Foto: StadtAK 8/PBS oXIIIb 179 wählten Bürgermeister und den Oberbürgermeister setzten die neuen Machthaber ab. Sie entlie- ßen schon im ersten Jahr ihrer Herrschaft aufgrund des „Geset- zes zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtentums“ in Karlsruhe insgesamt 123 Personen aus dem städtischen Dienst. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Stadtverwal- tung rasch wieder ihre Tätigkeit auf und wurde so zu einem we- sentlichen Faktor bei der Bewälti- gung der drängenden Alltagspro- bar nach Kriegsende am 11. No- vember 1918 trug der extremen Wohnungsnot Rechnung. Dies steht für die wachsenden Aufga- ben im Sozialbereich in der Wei- marer Republik. Im Stadtrat gab es nun die ersten Stadträtinnen und auch eine erste Amtsleiterin, Elisabeth Großwendt. Sie war zu- ständig für das Jugendamt. Mit dem Aufstieg der National- sozialisten und der sogenannten Machtergreifung im Jahr 1933 be- gann die Gleichschaltung der Ver- waltung. Die demokratisch ge- In die Amtszeit des wohl bedeu- tendsten Karlsruher Oberbürger- meisters des Kaiserreichs Karl Schnetzler (1892 – 1906), der zuvor schon 17 Jahre erfolgreich als Bür- germeister tätig gewesen war, fie- len Reformen im Sozialbereich, des Gesundheitswesens und der Friedhofsverwaltung ebenso wie der Ausbau der Gas- und Wasser- versorgung und der Bau eines neuen Schlacht- und Viehhofes. Die Entwicklung neuer Industrie- gebiete, die Anlage des neuen, 1901 in Betrieb genommenen Rheinhafens, der Bau des neuen Städtischen Krankenhauses oder die Elektrifizierung der Straßen- bahn sind maßgeblich sein Ver- dienst. Zu diesem Zeitpunkt be- schäftigte die Karlsruher Stadtver- waltung rund 1000 Personen. Erste Amtsleiterin Einen Einschnitt in die Entwick- lung der Stadt und damit auch der Stadtverwaltung brachte der Erste Weltkrieg. Fast die Hälfte der Be- amten und über ein Drittel der städtischen Arbeiter wurden zum Kriegsdienst eingezogen und mussten zunehmend durch weib- liche Arbeitskräfte ersetzt werden. Außerdem kamen neue kriegsbe- dingte Aufgaben vor allem im Be- reich der Lebensmittelversorgung hinzu. Die Gründung eines städti- schen Wohnungsamtes unmittel- Mit sechs Stadträten und dem Bürgermeister Johannes Sembach fing im Jahr 1718 alles an. Ohne Probleme konnten sie ihre Verwal- tungsaufgaben erledigen. Kompe- tenzen und Zuständigkeiten wa- ren und blieben im 18. Jahrhun- dert bescheiden. Immerhin ver- doppelte sich 1730 die Zahl der Stadträte, die seit 1760 den stolzen Titel „Senator“ tragen durften. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg Karlsruhe zur großherzoglichen Haupt- und Residenzstadt auf, Wilhelm Christian Griesbach wur- de 1809 als Bürgermeister erst- mals seit 1718 wieder von der Bür- gerschaft gewählt. Da unter ande- rem mit der Eingemeindung von Klein-Karlsruhe die Verwaltungs- aufgaben in der wachsenden Stadt zunahmen, wurde ihm im Jahre 1812 der Titel Oberbürger- meister verliehen und ein zweiter Bürgermeister zur Seite gestellt. Zuständig für Daseinsvorsorge Bürgermeister und Stadtrat hat- ten nach wie vor aber nur geringe Kompetenzen. Dies änderte sich mit der Badischen Gemeindeord- nung vom 31. Dezember 1831, die in Baden den Beginn der Kommu- nalen Selbstverwaltung markiert. Doch erst mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein- setzenden starken Wachstum der Stadt war eine deutliche Zunahme der Verwaltungstätigkeiten ver- bunden, die im Ehrenamt nicht mehr zu bewältigen waren. Es bildete sich die sogenannte Leistungsverwaltung heraus, die als Daseinsvorsorge in Bereichen wie der Wasserversorgung, der Bereitstellung von Energie, dem Verkehr oder auf dem Gebiet der Entsorgung tätig war. Aufgaben und Größe gewachsen 300 Jahre Stadtrat und Stadtverwaltung Karlsruhe / Streifzug durch die Entwicklung BLICK ZURÜCK: Eine Tagung der Stadträte unter Vorsitz von Oberbürgermeister Karl Schnetzler im Sitzungszimmer des Rathauses am Marktplatz im Jahre 1902. Foto: StadtAK 8/PBS IV 114 mer, das Rathausbaugeld sowie das Dielen- und Schragengeld be- zahlen. Außerdem waren sie zur Ableistung von Wachdiensten ver- pflichtet, für die sie Stellvertreter stellen konnten. Im Zuge der Aus- übung der niederen Gerichtsbar- keit durften Strafen bis zu zehn Gulden verhängt werden. Zu den Verstößen, die geahndet wurden, gehörte die Störung der Sonntags- ruhe. Bestraft wurden häufig Bä- cker, die ihr Brot zu leicht geba- cken hatten. Belegt ist auch die Ahndung von Unregelmäßigkei- ten von Wirten, deren Flaschen und Behälter nicht ordnungsge- mäß geeicht waren. Die Schlich- tung von Streitigkeiten zwischen den Einwohnern der Stadt war Alltagsgeschäft. Zu den Aufgaben des Rates gehörte schließlich auch die Festlegung der Gebühren für die Benutzung der Metzel- und der Brotbank im Rathaus sowie der Wochenmarktstandgebühren. Zuständig war der Stadtrat auch für die Festsetzung des Brot- und des Fleischpreises. Die Standgel- der auf dem Wochenmarkt und die Metzelbankzinsen legte der Rat ebenfalls fest. Von diesen – eher geringen – Einnahmen mussten unter anderem die Löhne der städ- tischen Bediensteten, die Geräte für den Feuerschutz und das städ- tische Bauwesen bezahlt werden. Zu letzterem gehörte die Unter- haltung städtischer Gebäude, zum Beispiel des Rathauses und der Stadttore. Reparaturen von Gerät- schaften, der Feuerspritzen oder die der Orgel in der Stadtkirche waren von der Stadt zu zahlen. Lange keine große Rolle Aufgaben und Befugnisse des Stadtmagistrats waren in der Frühzeit der Stadt also eng umris- sen. Dass der Stadtrat neben dem dominierenden Hof und den markgräflichen Behörden auch noch viele Jahre später keine allzu große Rolle spielte, bestätigte eine zwar durchaus fürstenfreundliche, aber nicht nur in diesem Punkte durchaus verlässliche Quelle. Der Lehrer Friedrich Leopold Brunn, der 1783 und 1784 als Privatlehrer in Karlsruhe tätig gewesen war und 1791 seine zuvor im Berlini- schen Journal sukzessive veröf- fentlichten „Briefe über Karlsru- he“ in Buchform herausbrachte, berichtete nämlich, dass unter dem Oberamt „auch noch ein be- sonderer Stadtmagistrat besteht, der aber nicht viel zu bedeuten hat.“ Dies sollte sich erst im 19. Jahrhundert ändern. Karlsruhe bekam 1825 ein von Friedrich Weinbrenner gebautes neues re- präsentatives Rathaus, das recht- zeitig fertig wurde, um die mit der badischen Gemeindeordnung vom 31. Dezember 1831 größer gewordene kommunale Selbst- ständigkeit auch nach außen zu dokumentieren. -br- Wo ist hier das Rathaus? Der Stadtrat tagte zunächst im Wirtshaus des ersten Bürgermeisters Die Frage nach dem Rathaus mussten sich alle Neuankömmlin- ge in der jungen baden-durlachs- chen Residenzstadt Karlsruhe noch viele Jahre nach der Stadt- gründung vergeblich stellen. Der am 24. September 1715 veröffent- lichte Gründungsaufruf enthielt zwar viele finanzielle und steuerli- che Vergünstigungen für die Bür- ger, ging aber nicht auf die rechtli- che Stellung der Stadt und die Ein- richtung eines Stadtrats ein. Auch ohne dass dies schon in ir- gendeiner Form verbindlich gere- gelt gewesen wäre, wählten 55 Bürger zu Beginn des Jahres 1718 einen Bürgermeister und sechs Ratsverwandte. Diese hielten ihre zunächst noch sehr unregelmäßi- gen Sitzungen in der Gaststube des ersten Bürgermeisters und Waldhornwirts Johannes Sem- bach ab. Das Waldhorn war bald ein gesellschaftlicher Treffpunkt der Stadt im Aufbau geworden. Den aus Straßburg über das be- nachbarte Durlach zugezogenen Wirt kannten alle, und es war wohl kein Zufall, dass die Wahl zum Bürgermeister auf ihn fiel. Erster Bau 1729 fertig Auch unter Sembachs Nachfol- ger, dem Bäcker Johannes Lud- wig, der das Bürgermeisteramt von 1720 an vier Jahre ausübte, blieb Karlsruhe eine Stadt ohne Rathaus. Immerhin konnte sich die Stadt seit dem 12. Februar 1722 auf ein urkundlich gewährtes Stadtprivileg berufen, das ihr die niederen Polizeiaufgaben und ei- nen Bürgermeister mit Gericht und Rat zubilligte. Erst in der Amtszeit des dritten Karlsruher Bürgermeisters, dem Glaser Georg Adam Ottmann, be- gannen dann im Jahre 1725 erste Planungen eines eigenen Rathau- ses, dessen Bau der Stadtrat im April 1728 beschloss und das ein Jahr später an der Ecke des Marktplatzes fertig gestellt wurde. Dieser erste städtische Bau kostete 2240 Gulden, die von den Bürgern aufgebracht wurden. Zuvor hatten diese über den Standort abge- stimmt und zugleich angegeben, wie viel sie zum Bau des Rathau- ses beitragen wollten. Brotwäger und Umgelder Aber auch wenn Neuankömm- linge nun eine Antwort auf ihre Frage nach dem Rathaus beka- men, konnten sie viele der Dinge, die heute selbstverständlich in ei- nem Rathaus geklärt werden, dort noch nicht erledigen. Die Kompe- tenzen des Stadtmagistrats waren nämlich sehr beschränkt. Neue Mitglieder wählte der Rat zwar je nach Bedarf selbst dazu, die Wahl musste aber vom markgräflichen Oberamt bestätigt werden. Aus ih- ren Reihen besetzten die Ratsher- ren die städtischen Ämter: Almo- senpfleger, Baumeister, Billetten- schreiber, Brotwäger, Feuerbe- schauer, Fleischschätzer, Ge- wicht- und Maßeicher, Kaufhaus- inspektor, Kirchenrüger (die wa- ren für die Kirchendisziplin zu- ständig), Marktmeister, Quartier- meister, Stadtleutnant, Umgelder (zog die indirekten Steuern auf al- koholische Getränke ein), Waisen- richter und Weinsiegler (siegelte die Weinfässer zur Sicherung des Umgeldes). Bürgermeister und Ratsverwandte erhielten keine Besoldung, bekamen aber einen Anteil von den verhängten Strafen und für besondere Tätigkeiten Entschädigungen. Zuständig war der Rat auch für die Besetzung der niederen städti- schen Dienste. Er setzte Bettelvög- te, Feldschützen, Mehlwieger, Nachtwächter, Organisten, Orgel- treter, Stadtknechte, Stadtmess- ner, Stadttamboure, Totengräber und die Viehhirten ein. Außerdem musste der Rat für Waisen die Pfle- ger bestimmen und die Gassen- meister bestellen, die im Brandfal- le die Löscharbeiten in ihren je- weiligen Bezirken leiteten. Großzügige Privilegien Im Gegensatz zu älteren Städten besaß Karlsruhe aber nicht das Recht, selbst Bürger anzunehmen. Der Stadtrat konnte erst nach 1750 eine Stellungnahme abgeben. Die relativ großzügigen Karlsruher Privilegien – unter anderem. steu- erliche Vorteile, unentgeltlicher Bauplatz und Baumaterial, Leib-, Abzugs- und Fronfreiheit – zogen in den ersten Jahren nach der Stadtgründung rasch viele An- siedlungswillige, darunter auch zahlreiche Juden an, die sich erst- mals in einer Residenzstadt nie- derlassen durften, aber als Schutz- bürger zunächst ebenfalls aus- schließlich von den markgräfli- chen Behörden angenommen wurden. Neubürger mussten au- ßer der Bürgertaxe einen Feuerei- Die Stadt Karlsruhe in ihren Anfangsjahren: ECKANSICHT: das 1728 erbaute, 1810 abgebrochene erste Rathaus. Foto: StadtAK 8/PBS XI-Va 296 GRÜNDERZEIT: Stadtplan von Heinrich Schwarz von 1721, mit der vor- gesehenen modellmäßigen Bebauung. Foto: StadtAK 8/PBS XVI 18 Wirt als Bürgermeister Johannes Sembach bei Bürgerschaft und Hof angesehen Der am 24. März 1718 von 55 Bürgern gewählte erste Karlsruher Bürgermeister Johannes Sembach stammte aus Straßburg. Der Sohn eines Kaufmanns heiratete noch in Straßburg Maria Barbara Sem- bach, 1693 kam dort ein Sohn zur Welt. Wohl zwischen 1703 und 1710 zog die vermögende Familie nach Mühlburg, wo Sembach mit seiner Frau zwei Wirtshäuser be- trieb. 1714/15 ließ sich Sembach in Durlach als Hintersasse nieder und wollte noch 1715 in Karlsruhe in der späteren Kronenstraße ein mo- dellmäßiges Haus bauen. Stattdes- sen übernahm er wenig später die Waldhornwirtschaft in der Löwen- kranz Gasse, heute Waldhornstra- ße, die bereits vor der Stadtgrün- dung bestanden hatte. Sembach erweiterte 1717 das Gasthaus um ein daran stoßendes Eckhaus an der Waldhornstraße zur Langen Straße. Die damals noch einzige Gaststätte in der jungen baden- durlachischen Residenz war ein Treffpunkt der Bürger. Die dadurch gewonnene Popularität Sembachs war sicher ein Grund, dass er 1718 der erste Bürgermeister wurde. In den Wirtshausräumen war in den Anfangsjahren der Stadt die Lateinische Schule zu Gast, hier wurden bis zur Fertigstellung eines eigenen Rathauses 1728 auch Rats- sitzungen abgehalten. Welches Ansehen Sembach bei Hof genoss, zeigt die Übernahme der Paten- schaft für seine Enkelin 1718 durch Markgraf Karl Wilhelm und dessen Gemahlin. Nach dem Tod Sem- bachs am 20. August wurde das Gasthaus zum Waldhorn von sei- nem Sohn und der Witwe fast vier Jahrzehnte weitergeführt. -br- Ausstellung zu den Anfängen Der Beginn der Stadtverwaltung Karlsruhe war bescheiden. Der im März 1718 von 55 Bürgern ge- wählte Bürgermeister Johannes Sembach sowie sechs Stadträte tagten erstmals am 24. November des Jahres. Sie übernahmen Ver- waltungsaufgaben wie die Füh- rung der Stadtrechnung oder die niedere Gerichtsbarkeit. Am Tag der offenen Tür (24. No- vember 2018) eröffnet das Kultur- amt im Foyer des Rathauses eine Ausstellung mit Archivalien des Stadtarchivs zu den Anfangsjah- ren Karlsruhes. Präsentiert wer- den dabei Originalamtsbücher, darunter der älteste Rechnungs- band und das älteste Ratsproto- koll, Stadtansichten und -pläne so- wie ein Modell des ersten Markt- platzes der Stadt mit dem 1728 er- bauten Rathaus. Zum ersten Mal zu sehen ist ein Gemälde, das den fünften Karlsruher Bürgermeister Johann Cornelius Roman (1734 – 1744) zeigt. Recherchieren kön- nen die Besucher nach allen Stadt- rätinnen und Stadträten seit 1718. Nach dem Tag der offenen Tür ist die Präsentation noch bis Freitag, 30. November, zu sehen. Sonderveröffentlichung der StadtZeitung vom 23. 11. 2018 Herausgeber: Presse- und Informati- onsamt der Stadt Karlsruhe Redaktion: Mathias Tröndle Mitarbeit: Dr. Ernst Otto Bräunche, Manuela Fretz, Gerrit Münster, Tabea Rueß, Cindy Streeck. Fotos: Roland Fränkle, Stadtarchiv Gestaltung: Ulrike Ochs Druck: Badendruck GmbH 3 23. November 2018 | Sonderveröffentlichung der StadtZeitung | Amtsblatt der Stadt Karlsruhe KREATIVE KÖPFE: Städtische Beschäftigte und Bürger entwickeln bei einem Workshop Visionen für die Verwaltung der Zukunft. bindung von Personen aus der Stadtgesellschaft in den Fortgang des jeweiligen Projekts. In einem offenen und lebendigen Diskussi- onsprozess unter Beteiligung des Gemeinderats entstand auf dieser Basis eine themenorientierte Quer- struktur. Diese baut auf sechs Kor- ridorthemen auf und bildet das Grundgerüst der IQ-Arbeitsweise. Für deren Einführung gab der Ge- meinderat im Juni 2017 mit seiner Zustimmung zur Einführung einer innovativen Querstruktur für wich- tige Themen grünes Licht. Die sechs Korridorthemen, die die priorisierten Anliegen bei der Entwicklung von Stadt und Ver- waltung bündeln, sind überschrie- ben mit „Zukunft Innenstadt“, „Moderne Verwaltung“, „Soziale Stadt“, „Wirtschafts- und Wissen- schaftsstadt“, „Grüne Stadt“ und „Mobilität“. Im Korridor „Moderne Verwaltung“ etwa beschäftigt sich ein IQ-Projekt damit, wie die städ- tische Administration die Bürger- schaft noch besser mitwirken las- sen kann. Neben den Bürgerforen vor Ort spielt dabei das im Frühjahr eingeführte online-Beteiligungs- portal eine wichtige Rolle. Auf die- sem können Interessierte via Inter- net zu unterschiedlichen Themen Ideen und Anregungen geben so- wie in einer eigenen Rubrik Fragen an den OB stellen. Ein weiteres Pro- jekt beschäftigt sich mit der Digita- lisierung der Verwaltung: ein unab- dingbarer Schritt auf dem Weg zum modernen, transparenten und bür- gerfreundlichen Service. -trö- Insgesamt an die 6500 Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter leisten in den 36 Ämtern, Dienststellen und Organisationseinheiten der Stadt- verwaltung ihren Beitrag dafür, dass sich die über 300000 Karlsru- herinnen und Karlsruher in ihrer Stadt wohlfühlen können. Das Auf- gabenspektrum der städtischen Beschäftigten ist vielfältig: Es reicht von der Brandbekämpfung der Feuerwehr und der Abfallent- sorgung über die Betreuung von Kindern in Horten und Tagestätten oder dem Ausstellen von Doku- menten jeder Art bis hin zum Bau und Unterhalt von Gebäuden und Straßen. Mit einer neuen Struktur will die Stadt jetzt erreichen, dass die einzelnen Räder noch besser ineinander greifen, der Service noch bürgerfreundlicher, die Ver- waltung noch transparenter wird – und die Bürgerschaft noch besser in das Geschehen einbindet. Auf Initiative von OB Dr. Frank Mentrup entwickelten Akteure von innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung eine so genannte IQ-Arbeitsweise. IQ steht für inno- vativ und quervernetzt im Sinne ei- nes agilen, kreativen und innovati- ven Arbeitens, zu dem sich Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter pro- jektbezogen über die Grenzen von Dezernaten und Ämtern hinweg zusammenfinden. Diese Vorge- hensweise beinhaltet auch die Ein- Service für Bürger ausbauen Die Stadt ist auf dem Weg zur modernen Verwaltung / Arbeiten in IQ-Prozessen Verwaltung hat sechs Dezernate Der von der Bevölkerung für acht Jahre direkt gewählte Ober- bürgermeister hat als stimmbe- rechtigter Vorsitzender des Ge- meinderats und Leiter der Verwal- tung eine hervorgehobene Stel- lung. Seit März 2013 hat Dr. Frank Mentrup dieses Amt inne. An der Spitze der Verwaltung stehen ihm fünf, vom Gemeinderat gewählte Beigeordnete oder Bürgermeister zur Seite, die jeweils Verantwor- tung für einen bestimmten Ge- schäftskreis übernehmen. OB Mentrup (SPD) verantwortet als Chef des Dezernats 1 Verwal- tungssteuerung und -entwick- lung, Außenbeziehungen, Reprä- sentation, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Recht, Stadtteilver- waltungen und ÖPNV. Zu den Aufgabengebieten von Dr. Albert Käuflein (CDU) im Dezernat 2 ge- hören Kultur, Sicherheit und Ord- nung, Personal, Bürgerbeteiligung und Digitalisierung. Dr. Martin Lenz (SPD) verantwortet Jugend, Soziales, Schulen, Sport, Bäder und Migrationsfragen. Erste Bür- germeisterin Gabriele Luczak- Schwarz (CDU), die Vertreterin des OB, ist zuständig für Finanzen, Wirtschaft, Wissenschaft, Kon- gresse, Tourismus und Grund- stücksverkehr. Bürgermeister Klaus Stapf (GRÜNE) betreut im Dezernat 5 Umwelt, Natur, Ge- sundheit, Brandschutz, Abfallwirt- schaft, Forst und Grünflächen. Und Bürgermeister Daniel Fluhrer leitet im Dezernat 6 den Ge- schäftskreis Planen und Bauen, Immobilien und Zoo. -trö- Direkt Einfluss nehmen Wahlen zum Gemeinderat / Demokratie live und pur In Baden-Württemberg haben die Bürgerinnen und Bürger in kommunalpolitischen Entschei- dungen bedeutenden Einfluss. Sie fällen zum einen in einem Plebiszit unmittelbar „das Urteil“ darüber, wer Oberbürgermeister (in kleine- ren Gemeinden Bürgermeister) wird, bestimmen weiter durch die Möglichkeiten des Panaschierens und Kumulierens bei Kommunal- wahlen entscheidend mit, wer in den Gemeinderat einzieht. Pana- schieren bedeutet, Kandidaten von mehreren Listen zu wählen, Kumulieren, einem Bewerber bis zu drei Stimmen zu geben. Die derzeitige Amtsperiode des Gemeinderats neigt sich allmäh- lich ihrem Ende entgegen. Am 26. Mai 2019 sind die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, zeitgleich mit der Europawahl die 48 Sitze im Bürgersaal des Rathauses neu zu vergeben. In den sieben Karlsru- her Stadtteilen mit Ortschaftsver- fassungen stehen an diesem Tag darüber hinaus die Wahlen zum jeweiligen Ortschaftsrat ins Haus. Aus der letzten Kommunalwahl am 25. Mai 2014 ging die CDU mit 26,7 Prozent als stärkste Kraft her- vor. Sie gewann damit 13 Sitze im Gemeinderat. Platz zwei belegte die SPD mit 21,9 Prozent (zehn Sit- ze), dicht gefolgt von den Grünen mit 19,9 Prozent (neun Sitze). Die FDP kam auf 6,1 Prozent und da- mit ebenso auf drei Sitze wie die AfD mit 5,6 Prozent. Von dieser trennte sich jedoch Stadtrat Stefan Schmitt gleich nach der Wahl und sitzt seither als parteiloser Vertre- ter im Plenum. Die Karlsruhe Liste (4,2 Prozent, zwei Sitze), die Pira- ten (3,4 Prozent, zwei Sitze) und Die Partei (1,1 Prozent, ein Sitz) schlossen sich zur fünf Köpfe star- ken KULT-Fraktion zusammen. Weiter zogen DIE LINKE mit 5,1 Prozent (zwei Sitze), GfK (heute FÜR Karlsruhe) mit 3,2 Prozent und zwei Sitzen sowie die Freien Wähler mit 2,7 Prozent (ein Sitz) 2014 in den Bürgersaal des Rat- hauses ein. Damals konnten erst- mals in Baden-Württemberg auch die 16- und 17-Jährigen an den Kommunalwahlen teilnehmen. Die Wahlbeteiligung in Karlsruhe lag bei 45,2 Prozent. -trö- URNENGANG: Alle fünf Jahre ist die Wahl zum Gemeinderat. werke, Verkehrsbetriebe, die Karlsruher Messe- und Kongress- Gesellschaft oder auch das Städti- sche Klinikum Karlsruhe. Doch die Verantwortung der Fä- cherstadt als regionales Oberzen- trum endet nicht an den Gemar- kungsgrenzen. Und so wirken Stadträtinnen und Stadträte auch in der Arbeit über das Karlsruher Stadtgebiet hinaus mit und setzen sich für gemeinsame Interessen der gesamten Region zusammen mit Partnern aus dem Umland in zahlreichen Gremien ein, wie zum Beispiel im Nachbarschafts- oder im Regionalverband. -trö- tenden Gremien gibt es mit Bau-, Haupt-, Planungs-, Jugendhilfe- Bäder-, Personal- und Umlegungs- ausschuss sieben beschließende Ausschüsse. Vorsitzender der ein- zelnen Ausschüsse ist grundsätz- lich der Oberbürgermeister, der diese Funktion jedoch in den meisten Fällen auf den zuständi- gen Fachdezernenten unter den fünf Beigeordneten delegiert hat. Der Gemeinderat stellt weiter Mitglieder in Verwaltungsräten und Kommissionen, in Beiräten und in Aufsichtsräten von Gesell- schaften mit städtischer Beteili- gung. Dazu gehören etwa Stadt- der Ausschüsse haben sich FDP, FÜR Karlsruhe und Freie Wähler sowie der parteilose Stadtrat Stefan Schmitt zu einer Zählge- meinschaft zusammengeschlossen. Auch für die Region Verantwortung übernehmen Unterschieden wird zwischen – üblicherweise öffentlich tagenden – beschließenden Ausschüssen, die anstelle des Gemeinderats ent- scheiden und nichtöffentlich bera- tenden Ausschüssen, die Ent- scheidungen vorbereiten und durch fachkundige Einwohnerin- nen und Einwohner unterstützt werden können. Neben acht bera- bildet, deren Besetzung dem poli- tischen Kräfteverhältnis im Bür- gersaal entspricht. In der derzeit laufenden Amtsperiode gibt es insgesamt 15 gemeinderätliche Ausschüsse. Hinzu kommt der Äl- testenrat, in dem sich die Vertrete- rinnen und Vertreter der Fraktio- nen mit dem Oberbürgermeister über die Tagesordnung von Ge- meinderatssitzungen und den Gang der Beratungen verständi- gen. Grundsätzlich hat nur der Rathauschef als Vorsitzender das Recht, den Gemeinderat einzube- rufen und die Tagesordnung fest- zulegen, doch kann auch ein Vier- tel der Mitglieder des Plenums (wie auch der Ausschüsse) das Stadtparlament „zusammenru- fen“ und Anträge auf die Tages- ordnung der jeweils übernächsten Sitzung setzen. Zu Beginn dieser Amtsperiode legte der Gemeinderat die Zahl seiner Mitglieder in allen seinen Ausschüssen grundsätzlich auf je- weils 15 fest. Für die Besetzung Impulse geben für die Zukunft der Stadt Motor der Entwicklung / 48 Stadträtinnen und Stadträte Der Gemeinderat ist das Hauptor- gan einer Stadt oder Gemeinde und entscheidet als die direkt ge- wählte Vertretung der Bürgerin- nen und Bürger über die Grund- sätze der Kommunalpolitik. Da er die Verwaltung kontrol- liert, hat der landläufig auch Kom- munalparlament genannte Ge- meinderat zwar in der Praxis die Funktion eines Parlaments, ist je- doch rein rechtlich gesehen ein Verwaltungsorgan: Er erlässt kei- ne formellen Gesetze, sondern be- schließt für das Gebiet der Ge- meinde geltende Satzungen. Doch die Verfassung und der Gesetzge- ber garantieren den Gemeinden ein Recht auf Selbstverwaltung. Entscheiden in Grundsatz und Detail Beim Gemeinderat liegt in erster Linie das „Königsrecht“ – die Ver- fügung über die Finanzmittel im städtischen Haushalt. Dieses Recht setzt die Stadträtinnen und Stadträte in die Lage, die Richtung der Kommunalpolitik zu bestim- men, darüber zu befinden, was in der Stadt getan werden soll und was nicht. Der Gemeinderat kann aber auch in Einzelfragen Projekte vorschlagen, Initiativen ergreifen und durchsetzen. Weiter über- wacht er die Ausführung seiner Beschlüsse und legt die Grundsät- ze für die Verwaltung fest. Stimmberechtigter Vorsitzender des Gemeinderats und seiner Aus- schüsse ist der ebenfalls direkt von den Bürgerinnen und Bürgern ge- wählte Oberbürgermeister, kurz: OB, der gleichzeitig an der Spitze der Verwaltung steht und die Ge- meinde nach außen vertritt. Die Amtsperiode eines Oberbürger- meisters beträgt in der Regel acht Jahre, die der Stadträtinnen und Stadträte fünf Jahre. Die Mitglie- der des Gemeinderats wirken eh- renamtlich und erhalten für ihre verantwortungsvolle und umfang- reiche Tätigkeit in Plenum, Aus- schüssen, Aufsichts- wie Verwal- tungsräten und als Ansprechpart- ner für die Bürgerinnen und Bür- ger eine Aufwandsentschädigung. Die Anzahl der Mitglieder des Gemeinderats hängt von der Ein- wohnerzahl der Stadt oder Ge- meinde ab. Karlsruhe hat die Städ- ten seiner Größe entsprechende Zahl von 48 Stadträtinnen und Stadträten. Im aktuellen Gemein- derat, den die Karlsruherinnen und Karlsruher am 25. Mai 2014 wählten, verfügt die CDU als stärkste Fraktion über 13 Sitze, die SPD ist als zweitgrößte mit zehn Sitzen im Bürgersaal des Rathau- ses vertreten. Drittstärkste politi- sche Kraft sind die Grünen mit neun Sitzen im Plenum, die KULT- Fraktion hat fünf Sitze. Die FDP ist mit drei Mitgliedern die kleinste Fraktion. Die LINKE, FÜR Karlsru- he und AfD sind mit jeweils zwei Stadträten vertreten. Weiter ha- ben die Freien Wähler und der parteilose Stadtrat Stefan Schmitt jeweils einen Sitz im Bürgersaal. Ausschüsse entlasten die Arbeit im Plenum Für die Mindeststärke einer Fraktion im Gemeinderat sind wie in den drei Amtsperioden zuvor je- weils drei Sitze erforderlich. Als Vorsitzende an der Spitze der ins- gesamt fünf Fraktionen des der- zeitigen Gemeinderats stehen Til- man Pfannkuch (CDU), Parsa Marvi (SPD), Johannes Honné und Dr. Ute Leidig (GRÜNE), Erik Wohlfeil (KULT) und Tom Høyem (FDP). Zur Arbeitsentlastung des Plenums, zur eingehenden Erörte- rung von Sachfragen und zur Vor- beratung von Entscheidungen hat der Gemeinderat Ausschüsse ge- Gemeinderat stellt Weichen für Kommunalpolitik: GEMEINDERAT AKTUELL: Die 48 Stadträtinnen und Stadträte mit ihrem Vorsitzenden OB Dr. Frank Mentrup vor einer Plenarsitzung. BLICK IN DEN BÜRGERSAAL DES RATHAUSES: Der Karlsruher Gemeinderat stellt mit seinen Entscheidungen die Weichen für die Richtung der Kommunalpolitik in der Fächerstadt. Fotos (5): Fränkle LIVE AM BALL: Von der Empore aus verfolgen Zuhörerinnen und Zuhörer Beratungen und Abstimmungen im Plenarsaal. Sitzungen mitverfolgen Beratungen und Beschlüsse zu Stadion, Staatstheater oder Be- bauungsplänen: Interessierte können die Debatten der öffentli- chen Sitzungen des Gemeinde- rats im Bürgersaal des Rathauses am Marktplatz von der Empore aus mitverfolgen. Für Menschen mit Hörbehinderung steht dort eine Höranlage zur Verfügung. Die Vorlagen zu den Tagesord- nungspunkten sind im Internet auf www.karlsruhe.de/gemein- derat.de zu finden. Unter dieser Adresse informiert auch ein Live- ticker über Abstimmungsergeb- nisse und zeitlichen Verlauf der Beratungen. Der Liveticker bleibt bis zur nächsten Sitzung online und ist auf der elektronischen Anzeigetafel am Eingang des Rathauses zu sehen. Auch bei öf- fentlichen Ausschüssen sind Zu- hörer willkommen. -trö- 23. November 2018 | Sonderveröffentlichung der StadtZeitung | Amtsblatt der Stadt Karlsruhe4 (trö) Die 48 Stadträtinnen und Stadträte, die mit OB Dr. Frank Mentrup als Vorsitzendem den Gemeinderat bilden, setzen unter- schiedliche Akzente in ihrer politi- schen Arbeit. Wo die einzelnen Schwerpunkte liegen, schildern sie in ihren Antworten auf die von der StadtZeitung gestellten Frage: Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit im Gemeinderat bewegen? Verena Anlauf (GRÜ- NE): „Mir ist es wich- tig, dass es wieder aus- reichend sozialen Wohnraum in Karlsru- he gibt. Und die Stadt sollte deut- lich mehr dafür tun, dass sich Bie- nen und andere gefährdete Insek- ten bei uns wohl fühlen.“ Marc Bernhard (AfD): „Ich setze mich beson- ders für eine spürbare Verbesserung der Si- cherheitslage in der Stadt, eine Willkommenskultur für Kinder, die Schaffung von bezahl- barem Wohnraum unter Berück- sichtigung der für unsere Stadt so wichtigen Grünflächen und die stärkere Einbindung der Bürger in die Entscheidungen der Stadt durch mehr direkte Demokratie (Bürgerentscheide) ein. Dabei sind mir sachorientierte Lösungen, un- abhängig von Parteipolitik, im Sin- ne der Bürger besonders wichtig.“ Michael Borner (GRÜ- NE): „Ich möchte eine solidarische Stadt, in der niemand zurückbleibt. Daher mache ich mich stark für die Teilhabe aller Men- schen am gesellschaftlichen Leben in Karlsruhe. Es ist mir zudem wich- tig, dass wir uns auch Tieren gegen- über verantwortungsvoll verhalten.“ Max Braun (KULT): „Politik im Sinne sozia- ler Verantwortung be- deutet, und davon soll- te man ausgehen, das ist doch, ohne darum herum zu re- den, in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann den Standpunkt meiner politischen Überzeugung in wenige Worte zu- sammenfassen: Erstens, das Selbst- verständnis unter der Vorausset- zung. Zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind. Drittens, die konzentrierte Beinhal- tung als Kernstück eines zukunft- weisenden Parteiprogramms.“ Hermann Brenk (CDU): „Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplät- zen, hierdurch hervor- gerufen Entwicklung von neuen Gewerbeflächen zur An- siedlung und Festigung von Unter- nehmen. Aktive Weiterentwicklung der Nachverdichtung und Höher- entwicklung der Stadt, um hier- durch eine bessere Wohnraumsitua- tion in Karlsruhe zu schaffen.“ Lüppo Cramer (KULT): „Ich sehe meine Auf- gabe darin, Dinge her- vorzuheben, die in der kommunalpolitischen Diskussion oftmals nicht die erste Dr. Klaus Heilgeist (CDU): „Auch nach 42 Jahren ist das Motiv für meine Tätigkeit im Gemeinderat noch im- mer, der Stadt Bestes zu suchen und umzusetzen. Ich sehe den Auftrag meiner Wähler darin, Karlsruhe auf kommende Heraus- forderungen vorzubereiten und fit für die Zukunft zu machen.“ David Hermanns (SPD): „Ich will mit meiner Arbeit im Ge- meinderat die Chancen für eine attraktive Stadtentwicklung mutig, zielge- richtet und vorausschauend gestal- ten. Hierbei sollen soziale, ökologi- sche und wirtschaftliche Aspekte zum Wohle der Menschen mitei- nander verbunden werden.“ Thomas H. Hock (FDP): „Badische Libe- ralität garantieren und unsere Stadt zukunfts- sicher machen zum Wohle aller Generationen.“ Ekkehard Hodapp (GRÜNE): „Ich möchte eine lebenswerte, viel- fältige und offenen Stadt Karlsruhe erhalten und mitgestalten. Besonders wichtig ist mir Bürgernähe; Politik auf kommu- naler Ebene muss ,greifbar’ sein.“ Detlef Hofmann (CDU): „Ich möchte mit meiner mittlerweile 14-jährigen Arbeit im Gemeinderat meine Erfahrungen und mein Wissen für die Karlsruher Bür- ger insbesondere in meinen Spezial- gebieten Bildung, Bäder und Sport einbringen. Als ehemaliger Leis- tungssportler und heutiger Bundes- trainer möchte ich weiter eine der prägenden Stimmen des Sports in der Karlsruher Kommunalpolitik sein.“ Johannes Honné (GRÜNE): „Ich möchte die bereits hohe Le- bensqualität in Karls- ruhe noch weiter ver- bessern, etwa durch mehr Grün und mehr Ruhe in der Stadt. Zusätzliche preisgünstige Woh- nungen möchte ich durch Innen- entwicklung erreichen.“ Tom Høyem (FDP): „Ich will den Dialog zwischen Karlsruhe lo- kal und Karlsruhe in- ternational stärken.“ Karl-Heinz Jooß (FDP): „weniger statt mehr Steuern für den Mittel- stand, der sonst zwi- schen den Fronten un- tergeht. Ferner weniger Büro- kratie und Regulierung.“ Friedemann Kalmbach (FÜR Karlsruhe): „Die Grundfrage für mich ist, was ist das Beste für unsere Stadt Karlsruhe, was hilft dem Gemeinwohl am Meisten, ohne den Einzelnen zu Die Entwicklung verantwortlich mitgestalten Stadträtinnen und Stadträte setzen unterschiedliche Akzente / Statements zu Zielen ihrer Arbeit im Gemeinderat Priorität haben. Das sind für mich als zentrale Themen das Stadtbild und die Stadtplanung. Darüber hinaus möchte ich der kulturellen Vielfalt der Stadt den Raum ge- ben, den sie braucht.“ Jan Döring (CDU): „Karlsruhe ist eine liberale, zukunftsgerich- tete und sichere Stadt. Mit meinem Engage- ment möchte ich dazu beitragen, dass es auch in Zukunft so bleibt.“ Dr. Rahsan Dogan (CDU): „Ich will eine positive Zukunft für meine Ge- burts- und Heimatstadt Karlsruhe mitgestalten. Damit die Bürgerinnen und Bürger gerne in unserer Stadt leben und ar- beiten, will ich mich einbringen!“ Thorsten Ehlgötz (CDU): „Karlsruhe mitgestalten, Sprachrohr der Bürger- schaft sein, Wirtschaft, Handel und Handwerk eine starke Stimme geben, Infra- strukturen nachhaltig ausbauen und den Innovationsstandort stärken“. Elke Ernemann (SPD): „Ich möchte die Inter- essen der Bürgerinnen und Bürger im Gemein- derat vertreten und im- mer ein offenes Ohr für ihre Anliegen haben. Der Austausch mit allen Ver- einen, Verbänden und Organisatio- nen ist mir besonders wichtig. Kultu- relle und soziale Teilhabe für alle Bür- gerinnen und Bürger ist mir ein gro- ßes Anliegen, unabhängig von sozia- ler Herkunft, Alter und Einkommen.“ Dr. Raphael Fechler (SPD): „Ich möchte für und mit den Menschen in Karlsruhe unsere Stadt mit all ihren Fa- cetten weiterentwickeln und zu- kunftsfähig gestalten. Es geht für mich darum, Verantwortung zu übernehmen, Probleme zu lösen und Gestaltungsspielräume zu nutzen im Ringen um die best- mögliche Lösung für Karlsruhe und seine Bürger*innen.“ Gisela Fischer (SPD): „Es macht mir Freude, in Mitverantwortung für unsere Stadt mein unmittelbares Lebens- umfeld aktiv mitzugestalten.“ Niko Fostiropoulos (DIE LINKE): „Kritik zu üben, ist unser Recht. Gerechte Lö- sungen für die gesam- te Stadtbevölkerung zu finden, ist unsere Pflicht.“ Michael Haug (KULT): „Mein Ziel ist es, die offene Gesellschaft in der wir leben, zu erhal- ten und weiterzuent- wickeln. Und das geht am Besten vor Ort, in der Stadt, im Gemein- derat, wo wir ganz nah an den Menschen sind und auf deren Be- dürfnisse eingehen können.“ vergessen. Zentral arbeite ich auch dafür, dass christliche Herzenshal- tungen und Werte ein gutes Mitei- nander fördern und Karlsruhe eine Stadt voller Perspektive und Zu- kunft für alle ist.“ Joschua Konrad (GRÜNE): „Karlsruhe soll eine lebenswerte Stadt sein – heute und morgen. Deshalb setze ich mich im Gemeinderat gute Lebensbedingungen für alle Men- schen in der Stadt ein – ohne dabei die Ressourcen von morgen zu zerstören.“ Johannes Krug (CDU): „Karlsruhe ist meine Heimat. Für sie und ihre Bürger will ich die Zukunft mitgestalten und gemeinsam Probleme lösen. Wenn ich mir dabei treu bleibe und zugleich anderen noch in die Augen sehen kann, dann ist Kom- munalpolitik für mich erfolg- reich.“ Uwe Lancier (KULT): „Grundsätzlich arbeite ich im Stadtrat mit dem Ziel, die Bedürfnisse aller Bewohner und Besucher Karlsruhes miteinander in Einklang zu bringen. Dafür möchte ich die Transparenz in der kommunalen Verwaltung verbes- sern. Besonderes Augenmerk hat für mich der Verkehr in der Stadt, wo private und gewerbliche Kfz, ÖPNV und Fuß- und Radverkehr abgestimmt und alle Orte barrie- refrei erreichbar sein sollen.“ Dr. Ute Leidig (GRÜ- NE): „Mir ist es wich- tig, dass alle Men- schen in Karlsruhe gut und gesund leben können. Besonders setze ich mich für Familienfreundlichkeit, ein vielfältiges Kulturangebot und die naturnahe ,Stadt im Grünen’ ein.“ Sven Maier (CDU): „Aus der Mitte der Bürgerschaft, gemein- sam mit der Zivilge- sellschaft und der Ver- waltung, unsere Heimatstadt wei- terentwickeln, das ist eine Faszi- nation und Herausforderung zu- gleich! Mit Elan und Freude unse- re junge Stadt, die erst vor etwas mehr als 300 Jahren entstand, auf ihrem weiteren Weg in eine ge- deihliche Zukunft eine gute Weg- strecke verantwortlich begleiten.“ Parsa Marvi (SPD): „Ich setze mich für ein lebenswertes Karlsru- he für alle Menschen in unserer Stadt ein, unabhängig von Herkunft, Ge- schlecht oder sozialem Status. Mehr bezahlbarer Wohnraum, eine gute Kita-Versorgung und eine nachhaltige Stadtentwick- lung sind dabei zentrale Anliegen, für die sich die SPD stark macht.“ Zoe Mayer (GRÜNE): „Mit meiner Arbeit im Gemeinderat will ich Karlsruhe zu einer grü- neren Stadt machen. Ich engagiere mich für eine gesunde Umwelt für Menschen und Tiere und für gute Lebensbe- dingungen für alle.“ Bettina Meier-Augen- stein (CDU): „Mir geht es bei der Arbeit im Gemeinderat um die Stadt und um die Men- schen, die hier leben. Ich möchte als Stadträtin mithelfen, dass Karlsruhe lebens- und liebenswert bleibt; ein Ort, den auch nachfol- gende Generationen so als Heimat lieben, wie ich es tue.“ Yvette Melchien (SPD): „Karlsruhe mitzuge- stalten und mit ande- ren Verantwortung für meine Stadt zu über- nehmen, deshalb bin ich im Gemeinderat tätig. Mein Ziel ist, dass in Karlsruhe jeder gut leben kann, und gerade Menschen, die Förderung und Hilfe benötigen, sollen auf eine starke Stadtgesell- schaft zählen können.“ Irene Moser (SPD): „Ich lebe gerne in Karlsruhe und freue mich die An- liegen der Mitbürgerin- nen und Mitbürgern im Gemeinderat vertreten zu dürfen. Der Weg zu beitragsfreien Kitas, gleiche Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen, bezahl- barer Wohnraum und als sport- politische Sprecherin natürlich der Sport und die Bäder liegen mir besonders am Herzen.“ Eduardo Mossuto (FÜR Karlsruhe): „Ver- ankert in den Stadttei- len möchte ich bei der Meinungsbildung in- nerhalb des Stadtrates mitwirken. Ich stehe für die Chancengleichheit für die Bürgerinnen und Bürger.“ Dirk Müller (CDU): „Mit meiner über 30- jährigen Berufserfah- rung bei der Karlsruher Polizei ist für mich die Sicherheit in unserer Stadt ein zen- trales Thema meiner kommunalpo- litischen Arbeit im Gemeinderat.“ Dr. Thomas Müller (CDU): „Für und mit den Bürgerinnen und Bürgern Karlsruhe als lebenswerte und sozia- le Stadt erhalten.“ Hans Pfalzgraf (SPD): „In meiner Funktion als Gemeinderat möchte ich als Binde- glied und Vermittler die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in die Gestaltung und Wei- terentwicklung unserer Stadt ein- binden und dabei im Interesse ei- nes ausgewogenen und sozialen Miteinanders einen möglichst breiten Konsens suchen. Ziel muss sein, dass sich alle in unserer Stadtgesellschaft wohlfühlen und gerne in Karlsruhe leben.“ Tilman Pfannkuch (CDU): „Karlsruhe ist Oberzentrum, wir sind Technologieregion, wir sind Eurodistrikt Pami- na! Wir schulden unserer Region einen pulsierenden Wirtschaftsmo- tor mit einer intakten Infrastruktur. Eine starke Stadt braucht starke Stadtteile. Dazu will ich mit meiner Arbeit im Stadtrat beitragen.“ Istvan Pinter (GRÜ- NE): „Mein Engage- ment soll dazu beitra- gen, dass sich eine zu- kunftsorientierte und nachhaltige Politik in Karlsruhe durchsetzt. Dazu gehören für mich Vermeidung von sozialer Not, eine intakte Umwelt, viel Stadtgrün, ausreichend Wohnraum, gute An- gebote des ÖPNV sowie attraktive Fahrrad- und Fußwege.“ Renate Rastätter (GRÜNE): „Für mich ist eine gute Lebens- qualität für Jung und Alt in unserer schönen Stadt ein wichtiges Ziel. Dazu ge- hören eine hervorragende Infra- struktur für Familien, zu der auch kostenfreie Kitas gehören, ein breites Kultur- und Sportangebot sowie ein Biotopverbund aus ar- tenreichen Natur- und Grünflä- chen mit hohem Erholungswert.“ Dr. Paul Schmidt (AfD): „Durch gezielte Fragen und Redebeiträge mit Sachverstand setze ich mich im Gemeinderat und in der öffentlichen Diskussion dafür ein, dass für uns Bürger und für unsere Stadt die bestmöglichen Entscheidungen getroffen werden. Das heißt: Entscheidungen für die jeweils beste Option nach unab- hängiger Abwägung aller Mög- lichkeiten und der dazugehörigen Chancen und Risiken.“ Stefan Schmitt (partei- los): „Als parteiloser Einzelstadtrat kann man nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Mein Ziel war, die Themen Sicher- heit, schuldenfreier Haushalt und die Nachteile einer hemmungslosen Nachverdichtung in den Fokus zu rücken und das ist mir gelungen.“ Sibel Uysal (SPD): „Stadträtin meiner Heimatstadt zu sein, ist für mich eine verant- wortungsvolle und eh- renvolle Aufgabe. Ich will mich der Herausforderung für eine lie- bens- und lebenswerte Stadt stel- len, bei der Stadtentwicklung mit- wirken und die Themen gute Bil- dung und Teilhabe an der Stadt- gesellschaft im Blick behalten.“ Jürgen Wenzel (FW): „Wir Freien Wähler sind keine Partei, aber eine starke politische Kraft, in Baden-Würt- temberg stellen wir die meisten lo- kalen Mandatsträger. Wir wollen sachorientierte Kommunalpolitik, sozusagen – von Bürgern für Bür- ger – ohne vorgegebene Partei- ideologie und -zwänge.“ Karin Wiedemann (CDU): „Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. In die- sem Sinne engagiere ich mich für unser Miteinander, für unsere Stadtteile, für unsere Stadt. Wir haben eine Verantwortung für- einander und dieser Aspekt ist meine Leitlinie, an der sich meine Arbeit im Gemeinderat orientiert.“ Erik Wohlfeil (KULT): „Als jüngster Frakti- onsvorsitzender in Karlsruhes Geschichte liegen mir die Interes- sen der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders am Herzen: Beste Bildungsange- bote, vielfältige Freizeitangebote, vorbildliche Verkehrsmöglichkei- ten auch ohne Auto, also zu Fuß, per Rad oder mit dem ÖPNV, und natürlich Nachhaltigkeit durch Na- turschutz, Klimaschutz und gene- rationengerechtes Wirtschaften.“ Michael Zeh (SPD): „Karlsruhe will ich zur weltoffenen, wirtschaft- lich attraktiven, moder- nen und sozialen Stadt weiterentwickeln, in der alle Men- schen gleiche Chancen haben.“ Sabine Zürn (DIE LIN- KE): „Ich möchte Men- schen ermutigen, sich einzumischen und ihre Stadt zu gestalten. Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas zu verändern! Und ich streite für die Anliegen derer, die keine Lobby haben.“ Grafik: Presse- und Informationsamt / Streeck Sonderseite1.pdf (p.1) Sonderseite2.pdf (p.2) Sonderseite3.pdf (p.3) Sonderseite4.pdf (p.4)
https://www.karlsruhe.de/b4/aktuell/offene_tuer/HF_sections/content/ZZnOeflRQLp2Od/ZZnRyVQN1nTlyG/Sonderausgabe_zum_Tag_der_offenen_Tuer.pdf
Kulturamt der Stadt Karlsruhe Jahresbericht 2012 Kulturamt – das Jahr 2012 im Überblick 1 Allgemeine Verwaltung / Zentrale Dienste 3 Finanzen 4 Kulturbüro 5 Schwerpunkte und Tätigkeiten 2012 6 Stadtbibliothek 11 Entwicklung aller Ausleihstellen 15 Stadtarchiv & Historische Museen 18 Statistik 20 Städtische Galerie 21 Besucherzahlen und Führungen 2012 23 Inhaltsverzeichnis 1 Wie in den vorangegangenen Jahren zeichnete das Kulturamt mit seinen Abteilungen auch im Jahr 2012 für zahlreiche künstlerische, kulturelle und bildungsrelevante Höhepunkte verantwortlich. Ein herausragendes Ereignis waren die Euro- päischen Kulturtage, die gemeinsam mit dem Badischen Staatstheater zum Thema „Wolf- gang Rihm – Musik baut Europa“ durchgeführt wurden. Sie lockten 25.000 Besucherinnen und Besucher an und sorgten für überregionale bundesweite Aufmerksamkeit. Das Festival stellte das hohe künstlerische Potential, das Karlsruhe in allen Sparten und hier vor allem in der Musik aufweist, unter Beweis. Doch auch die Ausstel- lungen der Galerie, die Publikationen des Stadt- archivs und die vom Kulturbüro verantworteten Veranstaltungen wie z. B. die Rathauskonzerte fanden großen Zuspruch. Die Stadtbibliothek konnte ihre Besucher- und Ausleihzahlen noch- mals erhöhen. Vor allem wurde 2012 das Kulturkonzept, das Ende 2013 geschrieben sein wird, weiter erarbei- tet. An der Erstellung des Konzeptes wirken alle Abteilungen des Kulturamtes mit, die Organisati- on des Prozesses liegt bei dem Kulturbüro. Im Rahmen des Prozesses der Kulturkonzepter- arbeitung wurden 2012 zahlreiche Workshops, Symposien und sonstige Veranstaltungen zur Ideensammlung für die zukünftige Kulturpolitik durchgeführt. Hier sei besonders auf die große Kulturwerkstatt Anfang Mai 2012 verwiesen, an der rund 300 Vertreter und Vertreterinnen der Kulturinstitutionen und der freien Kulturszene teilnahmen. Damit wurde ein Grundstein gelegt für weitere Kulturwerkstätten, die von 2012 an einmal jährlich stattfinden sollen und die verbin- dend, vernetzend und stärkend in die Kulturstadt Karlsruhe hineinwirken. Zeitgleich mit der Erstellung des Kulturkonzeptes wurden schon einzelne seiner Handlungsfelder aufgegriffen und Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Vor allem im Bereich bzw. Handlungsfeld der kul- turellen und gesellschaftlichen Bildung wurden neue Wege beschritten. So verantwortete das Kulturbüro ein breit angelegtes Vermittlungspro- gramm, das vorbereitend und begleitend dem Festival „Wolfgang Rihm – Musik baut Europa“ zugeordnet war und das einen wichtigen Mei- lenstein auf dem Weg zur Vermittlung der Musik unserer Zeit darstellte. Damit wurde erstmals in der Geschichte der „Europäischen Kulturtage“ auf die dezidierte Vermittlung der Inhalte des Festivals Wert gelegt. Auch in der Städtischen Galerie gewann die Vermittlungsarbeit eine wachsende Bedeutung und Ausstrahlung. Die kontinuierliche Zusam- Kulturamt – das Jahr 2012 im Überblick 2 menarbeit mit Schulen und Kindergärten wurde weiter ausgebaut. Herausragend in diesem Bereich war das Projekt „Nah und fern – fremd und vertraut“, bei dem Schüler und Schülerinnen einer sechsten Klasse einer Realschule im Dialog mit ausgewählten Kunstwerken einen Audiogui- de mit eigenen Texten erarbeiteten. Eine eigen- ständige Annäherung an die Kunst ermöglicht auch der neu entwickelte „Museums-Koffer“ der Galerie. Zur kulturellen Bildung zählen auch die Vorha- ben, die das Stadtmuseum und die Galerie im Rahmen der Landesaktion „Kunst und Integra- tion“ in Zusammenarbeit mit der vhs Karlsruhe durchführten. Dabei ging und geht es darum, neue Besuchergruppen und Menschen mit Wan- derungsgeschichte in die Museen als auch für sie bestimmte Orte einzuladen. Die Stadtteilbibliothek Durlach organisierte erneut in Zusammenarbeit mit dem Stadtamt Durlach und der vhs Durlach den sehr erfolgrei- chen Durlacher Lesesommer. Kulturelle und gesellschaftliche Bildung basiert immer auch auf Sammlungen von Kunst, Musik oder Literatur und auf der Überlieferung von Geschichte. Bei letzterem ging das Stadtarchiv neue Wege, indem es neben der schon lau- fenden Erhaltung der Archivbestände begann, gemeinsam mit dem Bauordnungsamt die für die Architekturgeschichte Karlsruhes wichtigen, vom Verfall bedrohten Bauakten zu restaurieren. Zudem wurde die neue Publikationsreihe „Karls- ruher Köpfe“ begonnen. Neben der Vermittlung kultureller Bildung war für das Kulturamt der Ausbau der Kooperatio- nen mit anderen Einrichtungen von Bedeutung. Für das Kulturbüro begann mit der Eröffnung des K3 eine neue Phase der Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung bei der Beratung von Schaf- fenden aus der Kultur- und Kreativwirtschaft. Kulturamt – das Jahr 2012 im Überblick Durch die Europäischen Kulturtage 2012 wurde die Kooperation mit der Musikhochschule auf eine neue Basis gestellt und – anknüpfend an die Europäischen Kulturtage – das gemeinsame Festival „ZeitGenuss – Karlsruher Festival für Mu- sik unserer Zeit“ konzipiert, das 2013 erstmals stattfinden wird. Die Galerie festigte ihre Zusam- menarbeit mit der Kunstakademie Karlsruhe. Durch Mitwirkung bei der Konzipierung des trinationalen Projektes „Triptic“ der Schweizer Kulturstiftung „pro helvetia“, das 2013 umge- setzt wird und das den Raum Schweiz, Elsass und Baden entlang des Rheins umfasst, ko- operiert das Kulturamt mit der Stadt Straßburg und koordinierte die Vorhaben der Städte auf deutscher Seite. Der Beginn der Mitarbeit im Kulturforum der EuroCities stärkte die schon mit ECCAR (European Coalition of Cities against racism) begonnene europaweite Vernetzung. Die Vernetzung mit anderen Bereichen der Stadtent- wicklung und die Stärkung der Schnittstellen zur Wirtschaft, zur Stadtplanung, zur Wissenschaft, zur Bildungslandschaft und zum Sozialen wird auch im Kulturkonzept deutlich betont. All dies unterstreicht, dass das Kulturamt die einzige Kultureinrichtung in der Stadt ist, die Formate in allen Kunst- und Kultursparten auf- weist bzw. fördert und zudem ein umfassendes Bildungs- und Wissensangebot macht und daher eine Querschnittsfunktion für die Stadtentwick- lung einnimmt. 3 Allgemeine Verwaltung / Zentrale Dienste Die Abteilung erbringt als Querschnittsein- heit zentrale Verwaltungsdienstleistungen für das gesamte Kulturamt. Dies geschieht in den Bereichen Personal, Finanzen, Organisation, Controlling, IuK sowie durch organisationsüber- greifende Servicedienste wie Buchbinderei und Aufsichtspool. Nachfolgend Daten zur personellen Entwicklung des Kulturamts und zu den Finanzen: Personalstand: * Haupt-, Jugend-, Amerikanische Bibliothek und Stadtteilbibliotheken zum 31.12.2010 zum 31.12.2011 zum 31.12.2012 Frauenanteil Kulturamt insgesamt 73,05 % 73,29 % 67,65 % Frauenanteil Leitungsebene 66,00 % 66,00 % 66,00 % Volontariate, Auszubildende, studentische Praktika ** 2 / 6 / 15 + 3 GBJ 2 / 7 / 12 + 3 GBJ 2 / 6 / 13 + 3 GBJ Fehlzeitenquote 6,5 % 7,0 % 6,9 % Schwerbehindertenquote 19,16 % 23,31 % 22,94 % weitere Kennzahlen zur Personalwirtschaft: ** Darüber hinaus wurden zahlreiche kurzzeitige Betriebspraktika durchgeführt. Anzahl der Mitarbeiter/innen Vollzeitstellen Sollstellen zum 31.12.2010 zum 31.12.2011 zum 31.12.2012 zum 31.12.2010 zum 31.12.2011 zum 31.12.2012 Direktion 2 2 2 2 2 2 Verwaltung insgesamt 55 48 55 37,84 34,59 38,59 darunter: Verwaltung 8 8 8 6,5 6,5 6,5 Aufsichtspool 27 27 31 15,21 17,90 20,27 - Stammpersonal - Saisonpersonal 14 7 10 10,38 4,55 6,18 Buchbinderei 6 6 6 5,75 5,64 5,64 Kulturbüro 20 21 20 16,84 17,34 16,70 Kunstsammlungen 10 10 10 9 9,25 9 Stadtarchiv & Hist. Museen 18 18 19 15,01 15,65 17,21 Stadtbibliothek* 62 62 64 48,72 49,06 50,89 167 161 170 129,41 127,89 134,39 4 Allgemeine Verwaltung / Zentrale Dienste 31.12.2011 31.12.2012 Buchungsfälle im SG Finanzen 7.455 7.918 Arbeitsleistung der Buchbinderei für zum 31.12.2011 zum 31.12.2012 Stadtbibliothek 55% 53% Stadtarchiv & Historische Museen 30% 33% Externe 15% 14% zum 31.12.2011 zum 31.12.2012 Anzahl der Ausstellungen 19 18 Bedarf an Aufsichtsstunden *** 39.860 38.980 *** incl. Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Kamuna, Museumsfeste und sonstige Sonderveranstaltungen Finanzen: Buchbinderei: Aufsichtspool: Kulturetat 31.12.2011 %-Anteil 31.12.2012 %-Anteil Ordentlicher Aufwand 43.843.218 € 44.084.513 € - davon Personal- und Versorgungsaufwand 7.364.074 € 16,8% 7.462.435 € 16,9% - davon Sachaufwendungen 2.477.472 € 5,7% 2.530.546 € 5,7% - davon Abschreibungen 796.235 € 1,8% 829.195 € 1,9% - davon Transferaufwendungen an Badisches Staatstheater (inkl. Zinsaufwand für Kulissenlager) 20.228.180 46,1% 20.581.051 € 46,7% - davon Transferaufwendungen an ZKM 7.575.400 € 17,3% 7.666.700 € 17,4% - davon Transferaufwendungen an weitere kulturelle Institutionen und kulturelle Projekte 5.401.857 € 12,3% 5.014.586 € 11,4% Ordentliche Erträge 2.129.017 € 2.183.840 € 5 Aufgaben allgemein und Schwerpunkte 2012 1. Kulturförderung und Beratung Das Kulturbüro ist die zentrale Förder- und Bera- tungsstelle für institutionelle und freie Kulturak- teure in der Stadt. Dazu gehören u.a. die admi- nistrative, projektbezogene sowie institutionelle Mittelabwicklung, die Beratung u.a. hinsichtlich Räumen, Projektpartnern, Fördermöglichkeiten, Drittmittelerschließung, Infrastruktur, Vernet- zung, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Pres- se. Die Förderungen werden in der Regel durch den Haushalt, politische Entscheidungen und ge- sellschaftliche Entwicklungen bestimmt. Die Kul- turförderung umfasst die Prüfung/Bearbeitung von institutionellen und projektbezogenen För- deranträgen und die Begleitung und Betreuung von Projekten der geförderten Einrichtungen. Außerdem sind die Evaluierung und Auswertung der Ergebnisse, die Belegprüfung und Abrech- nung sowie Kontrolle der Mittelverwendung inbegriffen. Dazu kommen in erheblichem Maße die Betreuung baulicher Sanierungs-, Umbau- und Infrastrukturerhaltungsmaßnahmen. Schwerpunkte 2012: Begleitung der Sanierung des Badischen Staats- theaters und der Gebäudetechnik des ZKM; Eröffnung der Beratungsstelle für Kultur- und Kreativwirtschaft K3 (gemeinsam mit der Wirt- schaftsförderung); Weiterentwicklung der Richtli- nien für Kunst im öffentlichen Raum (im Rahmen des Kulturkonzeptes). 2. Veranstaltungen Eigene Veranstaltungen des Kulturbüros werden in der Regel in Kooperation mit anderen Kultur- akteuren durchgeführt und tragen zum Kultur- profil der Stadt Karlsruhe nach innen und außen bei. Außerdem begleitet und unterstützt das Kulturbüro Veranstaltungen der Kulturinstitutio- nen und Kulturakteure und tritt als Partner von Veranstaltungen auf. Kulturbüro Schwerpunkte 2012: Europäische Kulturtage „Musik baut Europa – Wolfgang Rihm“, Kinderliteraturtage, Vorbe- reitung KiX-JuX, Reinhold-Frank-Gedächtnisvor- lesung, Rathaus-Konzerte sowie zahlreiche Ko- operationsveranstaltungen (z.B. Schwein gehabt, BEYOND, Baden-Württembergische Literaturta- ge), Städtepartnerschaftsjubiläen Halle, Temes- war, Krasnodar, Ausschreibungen Künstlermesse. 3. Konzepte Planung, Entwicklung und Umsetzung von Kon- zepten im Auftrag des Gemeinderats oder des Oberbürgermeisters bzw. Bürgermeisters Schwerpunkte 2012: Kulturkonzept, Teilnahme an Konzeptentwick- lung für das Gründerzentrum perfekt futur, Ab- schluss der internen Organisationsentwicklung des Kulturbüros 4. (Interne) Dienstleistungen Das Kulturbüro ist neben der externen Dienst- leistung im Bereich der Kulturförderung auch interner „Dienstleister“. Hier werden hauptsäch- lich für den Oberbürgermeister, die Dezernate und die Amtsleitung Reden, Stellungnahmen und Antwortschreiben verfasst. Außerdem ist das Kulturbüro die Koordinationsstelle für ver- schiedene Gremien wie: Stiftungsrat ZKM, Ver- waltungsrat Badisches Staatstheater Karlsruhe, Stiftungsrat Centre Culturel Franco-Allemand, Kulturausschuss, Kunstkommission, Forum für Kunst, Recht und Technik (seit 2012). 6 Schwerpunkte und Tätigkeiten 2012 2. Veranstaltungen und Projekte Thema als Träger Kooperation mit anderen als Koopera- tionspartner/ Förderer 21. Europäische Kulturtage Karlsruhe 2012 „Musik baut Europa – Wolfgang Rihm“ ja ja 12. Frauenperspektiven 2013 (Vorbereitung) mit vhs ja 3. KiX-Jux 2013 (Vorbereitung) ja ja Kulturstand auf dem Weih- nachtsmarkt (Unterstützung der KMK bei der Koordination) ja ja Neuauflage Flyer „Museen in Karlsruhe“ ja Offerta, Beteiligung am Kultur- stand ja AG „Werbung im öff. Raum“ Mitwirkung bei der Neuaus- schreibung Werbeverträge ja Internationale und interkultu- relle Projekte, z.B. „Deutsch- Französische Wochen“, Forum Culturel in Straßburg, Projekte dt.-ausl. Gesellschaften und ausl. Kulturvereine teilweise ja ja „Islamforum“, „Woche der Brü- derlichkeit“ etc. ja 1. Kulturförderung und Beratung mit Bewilligung Bewilligungsbescheide, Prüfungen der Ver- wendung, Belegprüfungen institutioneller und projektbezogener Förderungen Beratungsgespräche mit Bewilligung und Verwendungsnach- weis (pro Bewilli- gung min. 2 Termi- ne) Anzahl 729 ca. 1400 (davon ca. 50 Gespräche im K3- Büro) Zielgruppe Institutionelle Förderungen und Projektförde- rung, Mietkostenzuschüsse, Förderungen im Rahmen von Veranstaltungen, staatliche und freie Institutionen, einzelne Kulturakteure, Unternehmen der Kultur- und Kreativwirt- schaft (K3-Büro) Kulturbüro 7 Begleitung Umzug CCFA Städtepartnerschaftsprojekte mit Nancy, Nottingham, Halle, Temeswar, Krasnodar sowie neu: Rijeka teilweise ja ja ja Festivals in den Kulturzentren: “Zeltival” “Int. Tanzfestival”, 5 Jahre KOHI, „PLATZDA“ Stra- ßentheaterfestival (Gutenberg- platz) etc. ja Filmfestivals, z. B. “Stummfilm- tage”, “Independent Days” ja Projekte an ZKM u. HfG, z.B. „Beyond 3D-Symposium“, “Wis- senschaftsjahr” ja Projekte auf dem Kreativpark Alter Schlachthof, z.B. Kunst- und Kulturnacht „Schwein gehabt“, „Lametta“, Projekte in der Fleischmarkthalle etc. ja Jubiläum Stattreisen ja ARD Hörspieltage ja ARD / 7. Kinderhörspielpreis der Stadt ja ja Baden-Württembergische Lite- raturtage 2012: Vorbereitung ja ja 30. Karlsruher Bücherschau 2012 ja ja Hermann-Hesse-Literaturpreis Karlsruhe ja Jakobustheater, Jubiläum ja JuLi-Schreibwettbewerb, Aus- schreibung ja ja 5. Karlsruher KinderLiteratur- tage ja ja 7. Karlsruher Krimitage 2013, Vorbereitung ja ja Karlsruher Lange Lesenacht ja Karlsruher Literaturtage 2013, Vorbereitung ja Karlsruher Theaternacht 2013, Vorbereitung ja Kulturbüro 8 Vorbereitung zum 33. Karpa- tendeutschen Bundestreffen 2013 ja Karpatendeutsches Kulturwerk Symposion „Deutschsprachiges Pressewesen im Donauraum“ ja marottinale ja Kultur und Schule: Ausschrei- bung, Jurierung, Betreuung, Evaluierung, neu: Internet ja 13. Reinhold -Frank- Gedächtnisvorlesung 2012 ja ja Tag der Heimat ja 26. Schultheaterwoche im Sandkorntheater ja Kulturfrühstück Durchführung ja Bürgerempfang des OB ja KAMUNA ja Leerflächenmanagement Vermittlung, Betreuung, Förderung ja Kulturstipendium ja 21. Karlsruher Künstlermesse, Vorbereitung, Ausschreibung ja 21. Karlsruher Künstlermesse, Plakatwettbewerb, Vorberei- tung, Ausschreibung ja Orgelfabrik, Ausstellungen: Ausschreibung, Jurierung des Wettbewerbes, Terminierung/ Betreuung der Ausstellungen ja Orgelfabrik: Öffentlichkeits- arbeit ja Orgelfabrik: Koordinierung der Aktivitäten aller Nutzer des Kulturzentrums ja ja Veranstaltungsbezogene Miet- kostenzuschüsse, Bewilligung und Prüfung der Verwendungs- nachweise ja Vereinsmusikpflege: Allgemein- zuschüsse, Mietzuschüsse, Erb- bauzinsen, Sonderzuschüsse ja Art in Karlsruhe zur art Karlsru- he, Flyer; art Nacht Karlsruhe ja UND#7, 2012: Begleitung ja Kulturbüro 9 Ateliers hinterm Hauptbahnhof ja ja Betreuung und Vergabe der städtischen Ateliers, Mietkos- tenzuschüsse bei städtischen Ateliers, Vermittlung von priva- ten Atelierräumen ja Kunst am Bau, Auswahl von Künstlern für Wettbewerbe ja ja Platz der Grundrechte, Betreu- ung/Pflege ja Grötzinger Musiktage, Grötzinger Kunsttage ja Konzertreihe „Musik im Rathaus“ ja 3. Konzepte, Mitar- beit und Umsetzung Thema Kulturkonzeption (Organisation) Interne Organisationsentwicklung Kulturbüro Onlinekampagne „www-kultur-in-karlsruhe.de“ Veranstaltungen zu 50 Jahre Elysée-Vertrag – Vorbereitung Weiterentwicklung Kreativpark Alter Schlachthof: Konzipierung und Bewerberaus- wahl Kreativgründungszentrum „Perfekt Futur“, Design am Oberrhein Stipendium, Konzept Atelierhaus, Ansiedlung neuer Nutzer etc. Eröffnung K3 Kultur- und Kreativwirtschaftsbüro in Kooperation mit der Wirt- schaftsförderung Baukorridor für gebäudetechnische Anlagen ZKM in Koop. mit ZKM, HGW, Land Mittelfristiges Sanierungskonzept Kulturzentrum Tempel in Koop. mit Tempel u. SPC Kulturzentrum Orgelfabrik; Entwicklung Sanierungskonzeption in Koop. mit Stadt- amt Durlach, HGW u. Nutzern Studie Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche in Karlsruhe Kulturlotsen/Badisches Staatstheater Kooperation PH 21. Karlsruher Künstlermesse 2013, neue Konzeption Kunst im öffentlichen Raum Kulturstipendium Atelierhaus Schlachthof mit Fächer GmbH ZeitGenuss – Karlsruher Festival für Musik unserer Zeit, Konzeption ORGANISATION Orgelprojekt zum Stadtjubiläum Betreuung diverser Projekte zum Stadtjubiläum Kulturbüro 10 4. Interne Dienstleistungen Aufträge für Reden, Antwort- entwürfe und Stellungnahmen vom Oberbürgermeister, Dezer- naten und Amtsleitung Sitz bzw. städtische Verortung zahlreicher Stellen zur Koordination (Vorbereitung, Nachbereitung, sonstige Vorgän- ge) ohne vorbereitende Arbeitssitzungen Anzahl ca. 280 (BTBs plus Aufträge ohne Eintrag in das BTB. Ten- denz weiterhin steigend) ca. 50 Sitzungstermine (insbesondere GR-Gremi- en, Stiftungs- und Aufsichtsräte) Was Kulturausschuss Kuratorium EKT AKÖ/Kulturkreis AG Werbung im öff. Raum ECCAR Kunstkommission Stiftungsrat ZKM Verwaltungsrat BST Stiftungsrat CCFA AG Kultur TRK PopNetz Schule und Kultur KAMUNA Forum für Kultur, Recht und Technik AG Stadt der jungen Forscher Leerflächenmanagement Kulturring ausgeschlachtet e.V. Mechthild-Mayer-Stiftung Karpatendeutsches Kulturwerk Gesprächskreis Innovation und Kreativwirtschaft Europa AG Round Table Kulturelle Bildung AG Städtepartnerschaft Trinationale Metropolregion Oberrhein Lenkungsgruppe Studentenstadt AG interne Öffentlichkeitsarbeit AG Spektrum Haushalt 2011 Institutionelle Förderung Projektförderung Sachaufwendungen Gesamt 31.884.501 Euro 1.202.578 Euro 690.524 Euro 5. Fortbildung und Ausbildung Anzahl Was 4 Praktika 1 GBJ 6 Seminare u. Vortragsveranstaltungen K3-Büro (z.B. „Gründen in 48 Stunden“, Vortrag Sascha Lobo, Vorträge Internet- und Urheberrecht) Kulturbüro 11 Stadtbibliothek Die Förderung der Lese- und Informations- kompetenz sowie Bildungspartnerschaften mit Kindergärten und Schulen gehören seit langem zu den Kernaufgaben der öffentlichen Bibliothe- ken. Hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung kann die Stadtbibliothek mit ihren 9 Einrichtungen abermals auf ein erfolgreiches Jahr zurückbli- cken. Auch 2012 ist eine konstant hohe Nach- frage nach Lern- und anderen Informations- mitteln zu verzeichnen. Die Zahl der Entleiher und die Zahl der neu ein- geschriebenen Leser war 2012 steigend, ebenso wie die Medienausleihe. Bemerkenswert ist hier- bei die abermals steigende Nachfrage nach vir- tuellen Service-Angeboten. Nicht zuletzt durch die wachsende Verbreitung von E-Readern und anderen elektronischen Informationsmitteln in der Bevölkerung steigt die Nachfrage nach dem virtuellen Medienbestand der Bibliothek ständig an. Die Kunden machen immer mehr Gebrauch davon, dass sie den virtuellen Bibliotheksservice von zu Hause aus oder an jedem beliebigen Ort nutzen können. Aber die Bibliothek erwies sich mit weit über einer halben Million Besuchern auch 2012 als geschätzter Aufenthaltsort und Treffpunkt. Mit zahlreichen bibliotheksbezogenen Einführungen und Workshops in allen Einrichtungen erwiesen sich die Bibliotheken als gefragte Lernorte für Schüler und für die individuelle außerschulische Fort- und Weiterbildung. Einen wichtigen Beitrag zur sinnvollen Freizeit- gestaltung konnte die Bibliothek mit ihrem vielfältigen (kulturellen) Veranstaltungsangebot für Kinder und Erwachsene sowie mit dem sich ständig erneuernden Medienangebot leisten. 1. Ausleihe aller Medien Die Medienausleihe im gesamten Bibliotheks- system bewegt sich weiterhin auf sehr hohem Niveau. Das Ergebnis konnte gegenüber dem Vorjahr noch etwas gesteigert werden und über- steigt zum vierten Mal seit 2009 1,6 Millionen Entleihungen. 2011 2012 Medienausleihe 1.640.508 1.645.195 Einen sehr starken Zuwachs verzeichnete hier- bei die Ausleihe der virtuellen Medien (Onlei- he), während bei den physischen Medien die Buchausleihe (Schöne Literatur, Sachliteratur, Kinder- und Jugendliteratur) leicht zurückgegan- gen ist (minus 1,8 %). Kinder- und Jugendliteratur: Trotz steigender Nutzung elektronischer Medien in allen Altersgruppen erfreuen sich Kinder- und Jugendbücher weiterhin großer Beliebtheit. Nach wie vor erzielte der Bereich der Kinder- und Jugendliteratur noch vor den Sachbüchern die höchste Ausleihe aller Mediengruppen (395.059 Bücher, minus 1,7%). 2011 2012 Kinder- und Jugendbücher 401.959 395.059 Dieser leichte Rückgang bei der Ausleihe ist auf die außerordentliche Schließungszeit bei der Kinder- und Jugendbibliothek zurückzuführen, die im September 2012 wegen Renovierungs- arbeiten eine Woche lang geschlossen bleiben musste. Mit den zentralen Einrichtungen, den Stadtteilbibliotheken und dem Medienbus sind die gute Erreichbarkeit und die Medienauslei- he im gesamten Stadtgebiet auch für weniger mobile Menschen und Kinder gewährleistet, was vor allem im Hinblick auf die Förderung von Lesekompetenz schon im Kindesalter von großer Bedeutung ist. 12 2. Medienbestand Der Bestand an Medien hat sich im Vergleich zu 2011 leicht erhöht. Insgesamt konnten im Be- richtsjahr 32.013 Medien neu angeschafft wer- den (2011: 29.186), während 30.900 Medien ausgesondert wurden, weil sie veraltet oder ver- schlissen waren. Somit standen 2012 300.348 Medien für die Ausleihe zur Verfügung (2011: 297.394). Folglich beträgt die Erneuerungs- quote des Medienbestandes für das Berichtsjahr 10,66 % (2011: 9,81%). 2011 2012 Medienzugang 29.186 32.013 Medienabgang 37.023 30.900 Erneuerungs- quote % 9,81 10.66 Bestand 297.394 300.348 3. Besucher und Besucherinnen Die Zahl der Bibliotheksbesucher ist im Berichts- jahr mit 548.928 im Vergleich zu 2011 leicht gesunken (minus 1,2 %), was damit zusammen- hängt, dass zahlreiche Kunden Medienausleihe (Onleihe) und andere Dienstleistungen wie Vor- bestellungen oder Verlängerungen von zu Hause aus erledigen. Die Zahl der virtuellen Besuche (das sind die Zugriffe auf die unterschiedlichen Funktionen, die über die Bibliothekshomepage und über den elektronischen Katalog in An- spruch genommen werden können) betrug 272.645 im Jahr 2012. Die virtuellen Besuche werden im Auftrag des Deutschen Bibliotheks- verbands zentral für alle Bibliotheken erhoben. Da sich hierbei das Zählverfahren geändert hat, sind keine Vergleiche mit den Vorjahren möglich. 2011 2012 Reale Besuche 555.706 548.928 Virtuelle Besuche nicht ermittelt 272.645 Besuche gesamt 821.573 Die Anzahl der Personen, die im Berichtsjahr Medien entliehen haben, ist um ca. 2 Prozent gestiegen, während die Zahl jener Kunden, die sich neu als Leser eingeschrieben haben, um mehr als 10 Prozent höher lag als 2011. 2011 2012 Entleiher 26.766 27.319 Neue Leser 4.838 5.325 Besuche gesamt 821.573 4. Die virtuelle Bibliothek Die Ausleihe elektronischer Medien (Onleihe) boomt in Karlsruhe. Mit 33.462 Entleihungen hat sich die E-Ausleihe im Vergleich zum Vorjahr (17.294 Entleihungen) fast verdoppelt. Seit 2009 bietet die Stadtbibliothek ihren Kunden die Möglichkeit der E-Ausleihe, deren Angebot sich von E-Büchern über Zeitungen, Zeitschriften, Video- und Audiomedien bis zu E-Musik er- streckt. Der virtuelle Medienbestand ist mittler- weile auf 6.434 Medien angewachsen. Wegen der großen Nachfrage wird die Bibliothek 2013 den Anschaffungsetat für die E-Medien von ca. 20.000 auf mehr als 40.00 Euro erhöhen. Auch andere digitale Dienstleistungen wurden im Berichtszeitraum neu eingeführt oder op- timiert. So bietet die Stadtbibliothek über ihre Homepage den Zugang zu diversen Online-Da- tenbanken. Im Presseportal besteht die Möglich- keit der Recherche nach Artikeln aus der Tages- und Wochenpresse Deutschlands. Über weitere virtuelle Nachschlagewerke kön- nen Fakten und Informationen über Personen und zu den unterschiedlichsten Sachthemen abgerufen werden. So bietet das „Internationale Biographische Archiv“ ca. 28.000 Biographi- en zu bedeutenden Personen des 20. und 21. Jahrhunderts. Über 1.400 Biographien erschei- nen jährlich in der Datenbank, die wöchentlich erweitert und aktualisiert wird. Im „Internatio- nalen Pop-Archiv“ ist die Suche nach Musikern möglich, außerdem werden die wichtigsten Musikstile und Fachbegriffe erklärt. Stadtbibliothek 13 Das „Länder-Archiv“ bietet einen umfassenden Blick auf die wichtigsten Daten und Fakten aller Staaten, während die „Munzinger Chronik“ die Ereignisse der Welt dokumentiert und die Er- stellung von Länderchroniken und thematischen Übersichten ermöglicht. Die Bibliothek leistet damit einen Beitrag, möglichst alle verfügbaren Informationen möglichst allen Bürgerinnen und Bürgern frei zugänglich zu machen. Ein sozialer und bürgernaher Service muss auch für jene erreichbar sein, für die ein Besuch in der Biblio- thek nicht möglich ist. 5. Teaching Library Wie in den vorangegangenen Jahren fand das Angebot an Bibliothekseinführungen und -seminaren für Schulklassen, Kindergärten und andere Einrichtungen regen Zuspruch. Zwar sank die Zahl der Einführungen in die Biblio- theksbenutzung für Schulklassen und andere Gruppen auf 229 (2011: 274). Andererseits erweiterte die Bibliothek das Angebot an Se- minaren zur Vermittlung von Informationskom- petenz, indem sie Workshops zur Nutzung der E-Learning-Kurse sowie der virtuellen Auslei- he einführte. In kleinen, effektiv arbeitenden Lerngruppen kann nunmehr Hilfestellung bei der ständig steigenden Nutzung von E-Readern und anderen elektronischen Medien geleistet werden. Reger Gebrauch wurde von Schülern, Studierenden und anderen Lernenden von Multimedia-Arbeitsstationen im E-Lernstudio gemacht. Stadtbibliothek 6. Veranstaltungen Neben den Bibliotheksseminaren gab es ins- gesamt 156 Veranstaltungen zur Leseförde- rung und Medienpädagogik für Kinder (2011: 144) sowie 44 für Erwachsene (2011: 40). Das freundliche Sommerwetter lockte 2012 zahlrei- che Kinder und Jugendliche in die Freibäder, so dass die Lektüre- und Veranstaltungsangebote in den Freibadbibliotheken Rüppurr und Rap- penwört großen Zuspruch erhielten. Im Bereich der Erwachsenenveranstaltungen lockte erneut der Durlacher Lesesommer zahlreiche Besucher an, ebenso wie die Veranstaltungen, die im Rahmen der KAMUNA im Neuen Ständehaus stattfanden. Zahlreiche Veranstaltungen fanden wieder in bewährter Partnerschaft mit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen statt wie zum Beispiel die Vorträge und Seminare zu „Blickkontakt – Frau und Beruf“, die in Zusam- menarbeit mit der Kontaktstelle Frau und Beruf im Neuen Ständehaus durchgeführt wurden. Zudem beteiligte sich die Stadtbibliothek an den Baden-Württembergischen Literaturtagen. 7. Bibliotheken in den Stadtteilen In den Stadtteil- und Sonderbibliotheken (Medi- enbus, Amerikanische Bibliothek) sind Nutzung und Medienausleihe im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen bzw. auf ähnlich hohem Niveau wie 2011. So kann die Waldstadt-Bibliothek mit 133.902 Entleihungen (2011: 129.396) ihr bes- tes Ergebnis seit Bestehen der Bibliothek vorwei- sen. Auch der Medienbus konnte kräftig zule- gen und konnte 81.898 Entleihungen (2011: 77.323) verbuchen. Hier wirkt sich die verstärkte Zusammenarbeit mit den Schulen in den einzel- nen Stadtteilen positiv aus. Auch in der Stadt- teilen Grötzingen und Neureut verzeichnen die Bibliotheken Zuwächse bei den Entleihungen und Neuanmeldungen. In der Stadtteilbiblio- thek Mühlburg stagniert die Ausleihe bei einem leichten Minus im Vergleich zum Vorjahr (2012: 57.031 Entleihungen, 2011: 57.823). 14 Stadtbibliothek In der Durlacher Stadtteilbibliothek ist die Me- dienausleihe von 116.219 (2011) auf 112.191 (2012) gesunken, was vor allem an der schwie- rigen personellen Situation Ende 2011 / Anfang 2012 und den damit verbundenen Schließtagen zu tun hat. Nach der Sommerschließung 2012 sind die Ausleihzahlen dann wieder gestiegen. Positive Zahlen gibt es auch in Durlach bei den Entleihern (2.125 gegenüber 2.017 im Vorjahr) und bei den Neuanmeldungen (2012: 519, 2011: 309). Die Amerikanische Bibliothek bewegt sich auf ähnlich hohem Niveau wie im Vorjahr, bei einer leichten Steigerung der Ausleihzahlen (2012: 62.558 Medien, 2011: 62.242). Der englisch- sprachige Bestand an Büchern und anderen Medien ist inzwischen auf ca. 36.000 Einheiten angewachsen. Zahlreiche Menschen aus den un- terschiedlichsten Herkunftsländern nutzen den englischsprachigen Medienbestand ebenso wie alle Bürgerinnen und Bürger, die Informationen über die USA oder einfach Lektüre in englischer Sprache suchen. Auch die anderen Bibliotheken leisten mit ihrem Angebot an Lernmitteln zum Sprachenerwerb und mit den fremdsprachigen Medienbestän- den einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Chancengleichheit und zur Integration von Men- schen aus anderen Sprach- und Kulturkreisen. In der Kinder- und Jugendbibliothek im Prinz- Max-Palais stehen hierfür ca. 3.000 Kinder- bücher in Englisch, Französisch, Türkisch und anderen Fremdsprachen zur Verfügung. Die Zentrale im Neuen Ständehaus bietet mehr als 7.000 Bücher und Hörbücher in englischer, französischer, russischer, türkischer, spanischer, italienischer und arabischer Sprache an. Im Lesecafé der Zentralbibliothek stehen neben dem umfangreichen Zeitschriftenangebot rund 40 Tages- und Wochenblätter zur Lektüre bereit, darunter Zeitungen aus Frankreich (Le Monde, Le Figaro, Dernières Nouvelles d‘Alsace), Groß- britannien (The Daily Telegraph, The Guardian), Österreich (Die Presse), Spanien (El Pais), Italien (Corriere della Sera), der Türkei (Hürriyet) und der Schweiz (Neue Zürcher Zeitung, Die Weltwoche). 15 Stadtbibliothek 16 Stadtbibliothek 17 Stadtbibliothek Entwicklung der Medienausleihe im Gesamtsystem der Stadtbibliothek Karlsruhe von 1993 bis 2012 18 Stadtarchiv & Historische Museen Stadtarchiv und Historische Museen sind als das historische Gedächtnis der Stadt zustän- dig für die stadthistorische Arbeit. Auch 2012 führten Stadtarchiv, Pfinzgaumuseum, Stadtmu- seum und Erinnerungsstätte Ständehaus an die Stadtgeschichte heran und leisteten so einen Beitrag zur persönlichen Identitätsbildung und zur Schaffung eines historischen Bewusstseins der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Für das Stadtarchiv war das Jahr 2012 kein reguläres Betriebsjahr, da im April die Baustelle zur Aufstockung des Gebäudes eingerichtet wurde. Trotz der mit den Bauarbeiten verbun- denen Beeinträchtigungen sowohl der archivin- ternen Arbeit als auch der Besucherinnen und Besucher im Lesesaal konnte der Benutzerservice weitgehend aufrechterhalten werden. Auch die sonstigen regulären Arbeiten liefen weitge- hend im gewohnten Maße ab, und es konnte z. B. die Zahl der verzeichneten erschlossenen Archivalien erneut gesteigert werden. Die 2011 begonnene Intensivierung der Restaurierung besonders gefährdeter Archivalien in der zum Kulturamt gehörenden Buchbinderei führte zu einer deutlichen Erhöhung der Zahl der restau- rierten Archivalien. Begonnen wurde ein von der Koordinierungsstelle zur Erhaltung des schriftli- chen Kulturguts finanziell unterstütztes Restau- rierungsprojekt. Stadtarchiv und Bauordnungsamt haben eine ar- chitektur- und baugeschichtliche Überlieferung. In Abstimmung mit der unteren Denkmalschutz- behörde und dem Bauordnungsamt werden die Bauakten denkmalgeschützter Bauwerke und anderer architektonisch oder stadtgeschichtlich herausragender Gebäude restauriert und digita- lisiert. Die intensivere Beschäftigung mit der Baugeschichte und der Erhalt baugeschichtlicher Unterlagen war auch eine Anregung in den Workshops zur Kulturkonzeption der Stadt. Die Rettung dieses Teils des kulturellen Erbes der Stadt wird neben der Entsäuerung gefährdeter Bestände und der Digitalisierung häufig genutz- ter Bestände einen weiteren Schwerpunkt im Aufgabenbereich „Bestandserhaltung“ bilden. Veröffentlicht wurde der Band 12 der Reihe „Forschungen und Quellen“ von Isabelle Du- pont über den Stadtplaner Carl Peter Pflästerer. Die Reihe „Karlsruher Köpfe“ wurde mit dem ersten Band von Katja Förster über Josef Durm eröffnet. In der Reihe „Streifzüge durch die Orts- geschichte“ erschienen zwei Bände über das Dörfle (Altstadt) und Hohenwettersbach. Außer- halb der Reihen wurde von Ferdinand Leikam „Stadt, Land, Plan. Durlach und Umgebung in historischen Karten und Plänen“ und in Koope- ration mit dem Marktamt anlässlich von 100 Jahre Mess auf dem Messplatz an der Durlacher Allee „Die Karlsruher Mess“ herausgegeben. Im Stadtarchiv wurde wegen der Baustellen- situation nur die Horst-Schlesiger-Ausstellung „Vor 50 Jahren ...“ neu gezeigt. Im Rahmen der städtischen Erinnerungsarbeit konnten 26 neue Biographien in das Gedenkbuch für die ermor- deten Karlsruher Juden eingelegt werden. Die Besucherzahlen des Stadtmuseums gin- gen gegenüber dem Vorjahr zurück, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Sonderausstel- lungsräume dem Stadtmuseum für mehr als ein halbes Jahr nicht zur Verfügung standen. Im Berichtsjahr wurde noch bis zum 26. Februar die Ausstellung „Carl Benz und Carlsruhe“ gezeigt, die beim Publikum mit Führungen und Vorträ- gen sehr gute Resonanz fand. Highlight war noch einmal ein Interview von Carl und Bertha Benz, die von Schauspielern verkörpert wur- den. Knapp 1.000 Besucherinnen und Besucher 19 Stadtarchiv & Historische Museen waren bis Ende Februar 2012 zu verzeichnen. Insgesamt besuchten 7.206 Personen die Aus- stellung, die damit eine der erfolgreichsten der letzten Jahre war. Mit über 10.500 Besuchern war die Dauerausstellung noch einmal deutlich besser besucht als 2011. Dazu haben auch die neuen digitalen Säulen der Stadtgeschichte beigetragen, die am 10. März mit einem Workshop der Öffentlichkeit vorge- stellt wurden. An der Besucherumfrage zur Neu- konzeption des Stadtmuseums beteiligten sich seit dem 10. März 2012 zahlreiche Bürgerinnen und Bürger. Anhand von Fragebogenkärtchen, die wie die Säulen in fünf Kategorien (Migration und Internationalität, Kultur und Innovation, Energie und Mobilität, Planen und Bauen, sowie Menschenrechte und Demokratie) gegliedert waren, konnten sie ihre Ideen und Vorstellungen einbringen sowie neue Themen vorschlagen, die in die Neukonzeption mit einfließen sollen. Zu- dem führte die vhs Karlsruhe Integrationskurse im Stadtmuseum durch, bei denen Besucher mit Migrationshintergrund an die Stadtgeschichte herangeführt und nach ihrer Meinung zu den dargestellten Inhalten befragt wurden. Am 14. September wurde die Ausstellung „Das Dörfle. Altstadt Karlsruhe“ eröffnet. Zu den Be- sonderheiten der Ausstellung gehörten attrakti- ve Medienstationen sowie die Präsentation von Kunstwerken zur Geschichte des Dörfle und der Altstadtsanierung. Buch, Ausstellung und Be- gleitprogramm fanden von Anfang an eine gute Resonanz beim Publikum und in den Medien. Die Hans-Thoma-Schule beteiligte sich mit einer kleinen Kabinettausstellung zum Dörfle, die vom 6. Dezember 2012 bis 6. Januar 2013 in den Räumen der Dauerausstellung gezeigt wurde. Das Pfinzgaumuseum hatte 2012 insgesamt 9.425 Besucher und lag damit nur geringfügig unter der Besucherzahl des Vorjahres. Nach dem Weggang der langjährigen Museumsleiterin Dr. Anke Mührenberg zum 31. Oktober musste die Wiederbesetzungssperre verkraftet werden, was nur deshalb relativ reibungslos gelang, weil der im Pfinzgaumuseum tätige Volontär Dr. Ferdi- nand Leikam schon auf eine eineinhalbjährige Tätigkeit in dem Museum aufbauen und die von ihm mitkonzipierte Ausstellung „750 Jahre Ho- henwettersbach“ und das laufende Programm erfolgreich betreuen konnte. Als Sonderaus- stellungen wurden bis 4. März die schon 2011 begonnene Stadtteilausstellung Wolfartsweier, die Stadtteilausstellung Hohenwettersbach sowie die inzwischen zum festen Programm des Pfinzgaumuseums gehörende Modelleisenbahn- ausstellung im Dezember gezeigt. In der Sonder- ausstellung „Stadt. Land. Plan“ wurden 24 vom Verein „Die Orgelfabrik – Kultur in Durlach e. V.“ geschenkte historische Karten und Pläne ge- zeigt, die das Stadtarchiv restaurieren und digi- talisieren ließ. Das Pfinzgaumuseum konnte den hohen Standard der letzten Jahre halten, der Zuspruch nicht nur der Durlacher Bevölkerung ist nach wie vor groß. Die erreichten Zahlen sind angesichts der regulären Öffnungszeiten nur am Wochenende und der vorhanden Ressourcen nach wie vor bemerkenswert gut. Die Erinnerungsstätte Ständehaus hat 2012 wieder eine zentrale Rolle in der städtischen Erinne- rungskultur gespielt, neben der Gedenkveranstal- tung für die Opfer des Nationalsozialismus sei hier die Ausstellung zu Raoul Wallenberg genannt. Eine Sonderausstellung von Schülern und Schülerinnen der Tulla-Realschule beschäftigte sich mit Karlsruher Denkmälern. In der Dauerausstellung konnte eine neue Abteilung zur Baugeschichte des Stände- hauses im Erdgeschoss eingerichtet werden, im 1. UG findet sich nun das technisch und gestalterisch überarbeitete Infosystem Ständehaus. Insgesamt zählte die Erinnerungsstätte 2012 ca. 6000 Besu- cher und Besucherinnen. Darüber hinaus beteiligten sich die Häuser von Stadtarchiv & Historische Museen erfolgreich am Internationalen Museumstag, an der Karlsruher Museumsnacht (KAMUNA), am Tag des offenen Denkmals und anderen kulturellen Veranstaltungen der Stadt. 20 Stadtarchiv & Historische Museen Stadtarchiv Stadtmuseum Pfinzgau- museum Erinnerungs- stätte Ständehaus Gesamt Ausstellungen 2 (5) 2 (4) 4 (4) 2 (3) 10 (16) Besucher (Benutzer, Besucher Dauer- und Wechselausstellung) 3.121 (7127) 14064 (18.496) 9425 (9.587) 6.001 (6.467) 32.611 (41.677) Restaurierte Archivalien/Objekte 432 (162) 432 (162) Digitalisierte Archivalien 142.986 (49.923) 142.986 (49.923) Erschlossene Archivalien/ Inventarisierte Objekte 30.914 (21.398) 121 (42) 939 (36) 31.974 (21.476) Publikationen 5 (7) 5 (7) Statistische Angaben 2012 (in Klammern 2011) 21 Städtische Galerie Das Jahr 2012 war ein überaus erfolgreiches Jahr für die Städtische Galerie Karlsruhe. Im spannungsreichen Wechsel zeigte sie mehrere Ausstellungen sowohl zur aktuellen Kunst wie auch zur Malerei um 1900, die auf lebhaftes Pu- blikumsinteresse stießen. Im Bereich der Kunst- vermittlung konnten mit der Realisierung des „Museumskoffers“ und des Audioguides „Nah und fern – fremd und vertraut“ neue Wege der Museumspädagogik beschritten werden. Sehr erfreulich ist außerdem der enorme Zuwachs an gebuchten Kinderkursen. Sonderausstellungen Bis Mitte Februar war die Ausstellung „Kunst- Stoff. Textilien in der Kunst“ zu sehen. Sie machte auf eindrückliche Weise deutlich, dass gerade in der zeitgenössischen Kunst vielschich- tige Anregungen von textilen Materialien aus- gehen. International renommierte Künstlerinnen und Künstler wie Louise Bourgeois, Tracey Emin, Martin Kippenberger, Sigmar Polke oder Rose- marie Trockel waren ebenso vertreten wie junge, aktuelle Positionen. Im Anschluss zeigte die Galerie im Rahmen der Europäischen Kulturtage 2012, die unter dem Motto „Musik baut Europa“ dem Komponisten Wolfgang Rihm gewidmet waren, von Mitte März bis Mitte Juni die Ausstellung „Zeitge- genstände – Wolfgang Rihm“. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung standen bildende Künstler, die für das Werk des Komponisten eine heraus- ragende Rolle spielen. Arbeiten des Franzosen Antonin Artaud und des Schweizers Adolf Wölfli waren ebenso zu sehen wie Werke des öster- reichischen Malers Kurt Kocherscheid oder von Markus Lüpertz, Georg Baselitz und Per Kirkeby. Eine Konzertreihe mit Werken von Wolfgang Rihm und anderen Komponisten bildete dabei einen besonderen Höhepunkt. Die Sommerausstellung 2012 war dem aktuellen Kunstschaffen der Meisterschüler und Meister- schülerinnen an der Kunstakademie Karlsruhe gewidmet. Unter dem Titel „Top 12“ gaben 28 Studierende einen umfangreichen Einblick in ihr aktuelles Schaffen. Die Vielgestaltigkeit ihrer Arbeiten zeigte eindrucksvoll die grenzenlosen Möglichkeiten auf, die der zeitgenössischen Kunst eigen sind. Im November begann die sehr erfolgreiche Aus- stellung „Natur und Poesie um 1900. Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und Worpswede“. Im Mittelpunkt der etwa 150 Ex- ponate umfassenden Präsentation standen Ge- mälde und Zeichnungen von Otto Modersohn, einem bedeutenden Vertreter der Stimmungs- malerei um 1900, und von seiner Ehefrau Paula Modersohn-Becker, die damals wegbereitend für die Moderne in Deutschland wirkte. Dauerausstellung und Neuerwerbung Die 2011 eingerichtete Dauerausstellung „Um- gehängt: Spektral – Diametral. Von Künst- lern und Künstlerinnen seit 1960“, die vor allem zahlreiche Werke von Künstlerinnen aus dem eigenen Bestand ins Zentrum des Interesses rückte, wurde im Juni durch „Umgehängt: Po- sitionen. Kunst von den 1970er Jahren bis heute“ ersetzt. Passend zur Sonderausstellung „TOP 12“ stand das Schaffen der Karlsruher Akademielehrer im Mittelpunkt der Präsentation. Als wichtigste Erwerbung des Jahres wurde im Herbst 2012 die dreiteilige Rauminstallation von Leni Hoffmann, Professorin an der Karlsruher Kunstakademie, in der Dauerausstellung reali- siert. Von herausragender Bedeutung ist außer- dem die großformatige Papierarbeit ihrer Kolle- gin Silvia Bächli, die der Galerie vom Förderkreis des Museums geschenkt wurde. Veranstaltungen Lebhaften Zuspruch fanden nicht nur Großver- anstaltungen wie der alljährliche Tag der offe- nen Tür (6. Januar 2012, zusammen mit dem ZKM) und die Karlsruher Museumsnacht (4. August 2012), sondern auch zahlreiche Termine in der Reihe „Mittwochs um 6“, darunter Füh- 22 Städtische Galerie rungen, Künstler- und Zeitzeugengespräche. Zu mehreren Ausstellungen gab es Konzertabende und weitere themenbezogene Begleitveranstal- tungen. Museumspädagogik, Vermittlung Die Vermittlungsarbeit und das museumspäd- agogische Angebot konnten 2012 erfolgreich weitergeführt und ausgebaut werden. Zu allen Ausstellungen wurde ein detailliertes Programm der Workshops für Kinder, Jugendliche und Schulklassen vorbereitet und gedruckt. Die jede Woche geöffnete Kinderwerkstatt am Sonntag (parallel zur Erwachsenenführung) hat sich fest etabliert und wird das ganze Jahr über – außer in den Sommerferien – angebo- ten. Wie in den Jahren zuvor laden wir bei jeder neuen Ausstellung zu Einführungsveranstal- tungen für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Erzieherinnen und Erzieher ein. Sehr gute Resonanz fand weiterhin der JugendKunst- Klub, der jungen Menschen ab ca. 16 Jahren in einem monatlichen Turnus spannende Einblicke in die Museumsarbeit bietet. Neue Formen der Kunstvermittlung speziell für Kinder, Jugendliche und Familien wurden mit der Realisierung von zwei sog. „Museumskoffern“ erarbeitet, die dazu einladen, das Museum auf eigene Faust spielerisch zu erkunden und selbst aktiv zu werden. Überaus positive Resonanz fand auch der neue Audioguide „Nah und fern – fremd und vertraut“, der im Rahmen des Projekts „Kunst und Integration“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden- Württemberg entstand. Der akustische Begleiter zu ausgewählten Werken der Dauerausstellung wurde gemeinsam mit einer Realschulklasse mit 40 % Migrationsanteil vorbereitet. Ganz neue Wege ging die Galerie ebenfalls im Rahmen von „Kunst und Integration“ des Landes in ihrer Kooperation mit der vhs Karls- ruhe bei dem Projekt „Migrant/-innen lotsen Migrant/-innen“. Dies fand bei den Angespro- chenen so große Resonanz, dass es bereits verstetigt wurde. Beratung, Auskünfte Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Galerie sind regelmäßig beteiligt an der Aus- wahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Orgelfabrik und für die Künstlermesse. Hinzu kommen im Laufe des Jahres zahlreiche Anfra- gen von Kollegen und Kolleginnen aus anderen Museen, von Institutionen und von Privatleuten, die Auskünfte zu Kunstwerken, Künstlerinnen und Künstlern erbitten. Leihverkehr Kunstwerke aus dem eigenen Bestand und aus der Sammlung Garnatz werden immer wieder für nationale und internationale Ausstellungen als Leihgaben erbeten. Aus der Sammlung Garnatz wurden Kunstwerke von A. R. Penck an die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, von Mar- lene Dumas an das Museum für moderne Kunst Bremen und Fotografien von Bernd und Hilla Be- cher an das Kunsthaus Kaufbeuren ausgeliehen. Weiterhin wurden u. a. die Städtischen Museen Heilbronn und die Kunsthalle Baden-Baden mit Immendorff-Leihgaben unterstützt, außerdem das Münchner Stadtmuseum mit Werken von Karl Hubbuch, die Städtische Galerie Delmen- horst mit einem umfangreichen Konvolut aus der Siegelschen Sammlung und die Horst-Antes- Retrospektive im Martin-Gropius-Bau Berlin mit mehreren Gemälden des Künstlers. 23 Städtische Galerie Umgehängt: Spektral-Diametral von Künstlern und Künstlerinnen seit 1960 Februar 2011 – Juni 2012 und Umgehängt: Positionen Kunst von den 1970er Jahren bis heute Juni 2012 – Juli 2013 (Dauerausstellung + Sonderausstellungen) insgesamt 27.318 Kunst-Stoff Textilien in der Kunst seit 1960 12.11.2011 – 12.2.2012 1.747 Marcel Frey – Retrobjektive Kunstpreisträger der Werner-Stober-Stiftung 2011 17.11.2011 – 8.1.2012 s. Dauerausstellung Zeitgegenstände – Wolfgang Rihm 18.3.2012 – 10.6.2012 2.802 Top 12 Meisterschüler der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe 7.7.2012 – 07.10.2012 2.454 (KAMUNA 3.845) Natur und Poesie um 1900 – Otto Modersohn, Paula Modersohn und Worpswede 11.11.2012 – 17.2.2013 4.514 Gesamtbesucherzahl: 38.835 + 3.845 (KAMUNA) 42.680 2010 2011 2012 Dauerausstellung (ohne Sonderausstellung) 1.015 1.644 1.731 Gesamtbesucher (2009: 36.982) 39.399 45.031 42.680 2010 2011 2012 Öffentliche Führungen: (2009:140) 150 179 174 Gebuchte Führungen: (2009: 41) 28 27 23 Öffentliche Kinderkurse: (2009: 60) 60 49 49 Gebuchte Kinderkurse: (2009: 25) 29 69 84 Besucherzahlen 2012 Besucherzahlen Führungen in der Städtischen Galerie Karlsruhe
https://www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerderung/kulturamt/HF_sections/rightColumn/1385637368833/ZZlk9TaBdUTqRx/2013-08-23-Jahresbericht%20Kulturamt%202012-Anlage.pdf
Blick in die Geschichte 1993-1998 ~BUCKI ~INDIE RICHTE ,ftl' iCC! Nr_ 33 • %0. Dez.em .... r 1996 .. ·n ne Erinnerung~._ 1I zur deutschen Revolution K-1f'ltun- bllon \'01 )hl IIIdn· Irg~-'ndc th '>'thun ~('. kein IdieKn· 187\ und ~ Rt't!l- I fllIl.: dl-" 19<->8 UI numcher b \<'wdl" l~h.,,1 1\1 lil'","h"'- IN ('" 1<'- Irnll1l'r I .. ' !'.uoh', DI"I'-'\tlhlll(lnll!l'lk""'fJUn~111l41:1; .... 011 1111 Ihn "Ule _lraUlitl" V .. ·!vnrrung .... clch(' In lhf·'!<·m Fluhhn!.1 dw df'ulSclll'n L.l.IuJ,· I.'llulll(· • [}(>, UunJN Ilot g\.~hßlIi:·n I.!II A'I ... ·lI. <!bor nicht 7.111 I Jerr-..chdl\ ... Es 151 ein<!' der "crdl'lb- hchllolf'n Irrliimcr zu melnen,je<!rr hirhltg<, Ge- IchT1C, ~\dvok.ll. K,lulmiwn. ß(>amlc, der IntCI- (>\\c hdlw dn ötfl!lIthchcn Dinqcn und fleißig dlt, Zeitung lese, -.ci !wl<ihlgl, akll\' In die Politik cin:r.ugIC'lI('fJ.· t-1it ßcHlmg<lr1{'n kilpllulicrlC'n blf'IIC Schtdllcn d~ ßurgcrtums \'01 der These, dilß nur du.' !nlf.htit>ncllc OhN!.Chicht herrschen knon.- Im neuen Reich dl·ulM:h.! R"kh 187:Jr ~Il~tlrr~:l ; = W I ; = == 3- llJ 1 e: i .. ... i /'D r ... :;- =: ! =~ ;~ Blick in die Geschichte . Karlsruher stadthistorische Beiträge Band 2 1993-1998 Stadt Karlsruhe Forum für Stadtgeschichte und Kultur Karlsruhe 1998 l Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Blick in die Geschichte: Karlsruher stadthistorische Beiträge I Stadt Karlsruhe, Forum fiir Stadtgeschichte und Kultur. (Red.: Leonhard Müller; Manfred Koch).- Karlsruhe: Badenia-Verl. 2. 1993 - 1998, - 1998 ISBN 3-7617-0091-1 ,,Blick in die Geschichte:" Karlsruher stadthistorische Beiträge 1993-1998 Hrsg.: Stadt Karlsruhe Forum ftir Stadtgeschichte und Kultur Redaktion: Dr. Leonhard Müller (verantwortlich) Dr. Manfred Koch Textgestaltung: Kat ja Linder Umschlaggestaltung: Dietmar Kup Copyright 1998 by Stadt Karlsruhe Alle Rechte vorbehalten Herstellung: Badenia Verlag und Druckerei GmbH, Karlsruhe Kommissionsverlag: Badenia Verlag GmbH, Karlsruhe ISBN 3-7617-0091-1 Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Oberbürgermeisters Einleitung Aufsätze Die A ujsatze sind thematisch gegliedert. 17.12.1993 Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Teil 1: Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des 2. Weltkriegs Harald Ringler 18.3.1994 Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Teil 2: Von der Nachkriegszeit bis heute Harald Ringler 17.3.1995 Parkstadt - Parkring - Rheinstadt. Ideen fur neue Stadtteile in Karlsruhe xv XVI 1 4 nach dem Zweiten Weltkrieg 9 Harald Ringler 22.9.1995 Verkehrsprojekte in Karlsruhe: vergessen, verworfen, aufgegeben 14 Harald Ringler 15.3.1996 Stadtplätze in Karlsruhe - Entstehungsgeschichte und Überblick 19 Harald Ringler 21.3 .1997 Siedlungen der 20er Jahre in Karlsruhe 25 Harald Ringler 19.12.1997 Siedlungen der 50er Jahre in Karlsruhe. Städtebau nach dem Krieg 29 Harald Ringler 17.6.1994 Vom Hofjagdrevier zum Park·wald. Zur Geschichte des Fasanengartens 34 Ulrich KinzIer 17.6.1994 Wiedereröffnung eines "Musentempels". Zur Sanierung des Konzerthauses 37 Leonhard Mliller 21.3 .1997 Geschichte der Karlsruher Straßenbahn Dieter Ludwig 39 20.12.1996 Diskussion um die Straßenbahnen in Karlsruhe vor 100 Jahren Leonhard Müller 20.6.1997 Schnakenstiche gegen Thingstätte. Die Pläne ftir einen 43 NS-Kultplatz in Karlsruhe 45 Manfred Koch 19.9.1997 " ... wird wegen dem Geburtstag des Großherzogs morgen die Fabrik um 12 Uhr geschlossen". Das Firmenarchiv der Parl"timerie & Feinseifenfabrik Wolff & Sohn im Stadtarchiv Karlsruhe 47 Angelika Sauer 20.3.1998 Der Karlsruher Hafen: Ein langer Weg zum Rhein Ernst 0110 Bräunche 18.3.1994 Karlsruher Vereine: Die Gesellschaft Eintracht Peter Pretsch 16.9.1994 Vom I. Badischen Gesang-Fest 1844 in Karlsruhe zum Badischen Sängerbund Albrecht Münch 16.6.1995 Die Anfänge des Fußballsports in Karlsruhe Erich Beyer 19.9.1997 Politische Vereine in Karlsruhe während der Revolution 1848/49 I. Jilrgen Schuhladen-Krämer 20.3.1998 Politische Vereine in Karlsruhe während der Revolution 1848/4911. Jürgen Schuhladen-Krämer 21.6.1996 Der Streit um den BÜTgernutzen. Konservative Durlacher in revolutionären Zeiten Susanne Asche 20.12.1996 Umstrittene Erinnerungen I. Das Urteil der Nachwelt zur deutschen Revolution 1848-49 Leonhard Müller 11 51 55 58 60 66 72 78 83 21.3.1997 Umstrittene Erinnerungen 11. Zum Umgang mit der Revolution 1848/49 nach 1918 Manfred Koch 20.6.1997 "Fremde" in der badischen Revolutionsarmee Kurt Hochstuhl 86 90 19.12.1997 150 Jahre badische Revolution. Zur LandesaussteIlung 1998 in Karlsruhe 95 Jutta Dresch 19.6.1998 Petition des Vaterländischen Vereins Karlsruhe an die Deutsche Nationalversammlung vom 4. Juli 1848 Rainer Gutjahr Ankaufe aus dem Besitz des Markgrafen von Baden 98 15.12.1995 I. Die markgräfliehe Bibliothek aus dem Neuen Schloß in Baden-Baden 103 Peter Michael Ehrle, Armin Schlechter 15.12.1995 11. Archivgut aus der Schloßbibliothek des badischen Hauses Hansmartin Schwarzmaier 15.3.1996 III. Die Ewerbungen des Badischen Landesmuseum Harald Siebenmorgen 15.3.1996 IV. Die Erwerbungen der Staatlichen KunsthaIIe Karlsruhe Siegmar Holsten 15.3.1996 V. Erwerbungen rur die Stadt Karlsruhe Heinz Schmitt 18.3.1994 40 Jahre Bundesfachschule. Sanitär- und Heizungstechnik an der Heinrich-Meidinger-Schule Karlsruhe Wolfgang Paech 16.12.1994 StraffaIIigenhilfe in Baden. Der Badische Landesverband rur soziale Rechtspflege Reiner Haehling von Lanzenauer 16.6.1995 Die Entwicklung des Volksschulwesens im Raum Karlsruhe Amalie Heck 109 111 117 121 124 128 131 III 20.9.1996 Hofrat Johann Lorenz Boeckmann und das erste deutsche Telegramm. Ein Karlsruher Physiker fOrdert "Telegraphik" 136 Heinz SIraub 20.12.1996 Christi an Thran. Markgräflich Badischer Hofg~rtner und Afrikareisender 142 Peler Prelsch 21.3.1997 Der Karlsruher Theaterbrand 1847 und sein letztes Opfer Heinz Schmitt 21.3 .1997 Carl Friedrich Meerwein - ein vergessener Flugpionier Heinz Straub 17.12.1993 Ein Zirkel zur Förderung der Kunst. Der Badische Kunstverein feiert 146 151 1993 sein 175. Gründungsjubiläum 156 Jul/a Dresch 18.3.1994 Europäische Kulturtage 159 Michael Heck 17.3.1995 Heinrich Hübsch (1795-1863) Zum 200. Geburtstag des großen Architekten 160 Heinz Schmill 17.3.1995 Begegnungen mit Max Reger 165 Andreas Schräder 15.3.1996 Der Hofkapellmeistcr Felix Matt! in Karlsruhe 168 FrithjofHaas 21.6.1996 100 Jahre Karlsruher Künstlerbund. Fortschrittliche Künstlervereilligung 1896 gegründet JIII/a Dresch 173 20.6.1997 Wie kommt das Bild in die Kaserne? 177 Ulrike Plale 20.3.1998 "Woher hat der Dompfaff seinen Namen" oder: " Die Lust dagegen" . Zur Erinnerung an einen "Kunstskandal" im Karlsruher Botanischen Garten 180 Wilfried Räßling IV 20.3 .1998 Literarisches Nachkriegsleben in Karlsruhe. ArunerJ.:W1gen zur Lyrik zwischen Gottsuche und Entfremdung JanKnop! 16.9.1994 Der schwarze September 1944. Karlsruhe im Bombenhagel Erich Lacker 16.9. 1994 Zum "Reichseinsatz" in Karlsruhe Jllrgen Schuhladen-Krämer 20.3 .1998 Das Oberlandesgericht Karlsruhe im "Dritten Reich" Christo! Schiller 22.9.1995 Hintersassen, Bürger und Stadträte in der Frühzei t der Stadt Ernst 0110 Brällnche 18.3.1994 " So einen schönen Vikar kriegen wir nicht mehr ... " Nachlaß des Knielinger Vikars und Mühlburger Pfarrers 183 189 193 196 201 Wilibald Reichwein gelangte durch Schenkung ins Stadtarchiv Karlsruhe 206 Angelika Salier 17.3.1995 Der Badische Rat Dr. Johannes Pistorius Niddanus d. 1. (1546-1608) 209 Hans-Jürgen Günther 17.3. 1995 Pfarrer D. Ernst Friedrich Fink - der 'badische' Wiehern 213 Hermann RUckleben 19.6.1998 Alfred Maul und die Großherzogliehe Badische Turnlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe Erich Beyer 18.3.1994 Vom einfachen Schöpfbrunnen ZWll Qualitätsprodukt Trinkwasser. 217 Die Geschichte der Karlsruher Wasserversorgung 223 Jiirgen Ulmer IInter Mitwirkung von Gerda Willig und Marklls Schneider V 17.6.1994 Über Steinkohledestillation zum Erdgas. Die Geschichte der Karlsruher Gasversorgung Jilrgen Ulmer unter Mitwirkung von Markus Schneider 16. 12.1994 Geschichte der Karlsruher Stromversorgung Jllrgen Ulmer unter Mitwirkung von Gerda Willig und Markus Schneider 20.9.1996 Strom ftir Baden. Von den Anfangen der Elektrifizierung bis zum heutigen Energiedienstleister Diana Stöcker :ffiffi~:i:::::;;';;~Wffi:a:W:a:WW~~~~W:WW&~::m::::~~~ww::w.::«<<<~mW:1 19.6.1998 Das Großherzogtum Baden und die Politik des Reichskanzlers Bismarck (1871-1890) Hans-Jllrgen Kremer 19.6.1998 300 Jahre Schloß Augustenburg in Grötzingen Ute Grau 19.6. 1998 Badener oder Badenser? Leonhard Milller Zeitzeugen berichten 17.12.1993 Professor Dr. Ernst Petrasch, ehern. Direktor des Badischen Landesmuseums 16.12.1994 Otto Dullenkopf, Oberbürgermeister a.D. 17.3.1995 Walther Wäldele, Erster Bürgermeister a.D. Biographien 17.12:1993 Karoline von Günderrode (\ 780-1806) Susanne Asche VI 228 232 237 240 248 253 255 258 260 265 18.3.1994 Helmuth Klotz (1894-1943) 266 Herbert Linder 17.6.1994 Georg Bredig (1868-1944) 267 Klaus-Peter Hoepke 16.9.1994 Wilhelm Nokk (1832-1902) 269 Leonhard Müller 16.12.1994 Magdalena Neffgeb. Meub (1881-1966) 270 Margarete Kraft 17.3.1995 Ernst Wagner (1832-1920) 271 Leonhard Müller 16.6.1995 Fridel Dethleffs-Edelmann (1899-1982) 273 Ursula Merkel 22.9.1995 Hermann Levi (1839-1900) 274 FrithjofHaas 15.12.1995 Großherzog Friedrich I. (1826-1907) 276 Manfred Koeh 15.3.1996 Luise Riegger (1887-1985) 277 Barbara Guttmann 21.6 .1996 Peter TreutIein (1845-1912) 279 Leonhard Müller 20.9.1996 Kathinka Hinunclheber (1898-1977) 280 Barbara Guttmann 20.12.1996 Inge Stahlberg (1921-1985) 282 Heima Hasters 21.3 .1997 Hermann Billing (1867-1946) 283 Gerhard Kabierske 20.6.1997 F ranz J oscf Lanzano 284 Alexander Mohr 19.9.1997 Theodor Munz (1868-1947) 285 Ernst Otto Bräunehe VII 19.12.1997 Christi an Friedrich Müller (1776- 1821) Christo! Mllller- Wirth 20.3.1998 Luise von Baden (1838-1923) Leonhard Maller 19.6.1998 Leopold Rückert (1881-1942) Frank Raberg Carlsruher Blickpunkte 17.12.1993 Der Gutenbergplatz. VOll der Richtstätte zum Marktplatz Manfred Koch 18.3.1994 Der Wettbewerb um ein Denkmal flir die Fliegeropfer des Ersten Weltkrieges Ursll!a Merke! 17.6.1994 Ehemaliges Zeughaus beim DurlacherTor Gerhard Kabierske 16.9.1994 Bunkerreste auf dem Turmberg Manfred Koch 16.12.1994 Das Durlacher Bismarck-Denkmal in der Kanzlerstraße Brigille Baumstark 17.3.1995 Überwundener Nationalsozialismus - Adler am Bunker bei der Appenmühle Gerhard Kabierske 16.6.1995 Kleine Kirche bald in frischen Farben Dorothea Schmill-Hollstein 22.9.1995 Das Kriegerdenkmal vor der Friedrich-Rea1schulc in Durlach Brigille Ballmstark 287 288 290 293 295 297 299 301 303 304 306 15.12.1995 Von KarIsruhe nach Chicago. Ein schmiedeeisernes Tor im Stadtgarten 308 Brigilte Ballmstark 15.3.1996 Ein Platz zur Zierde der Innenstadt Wi/fried Räßling VIII 309 21.6.1996 Kaiserliche Präsenz: Die Hauptpost in Karlsruhe Gerhard Kabierske 20.9.1996 Das Ende der Achsen Wi/fried Rößling 20.12.1996 "Eva im Glashaus" von Jürgen Goertz Ursula Merke! 21.3 .1997 Die Baischstraße Gerhard Kabierske 20.6.1997 Der Heckerhut im Plinzgaumuseum Brigille Baumstark 19.9.1997 Ein Wandkatalog in der Oststadt Ulrike Plate 19.12.1997 Zwangsarbeit in Karlsruhe 1939-45 Leonhard Maller 20.3.1998 Der Narrenbrunnen Peter Pretsch 19.6. 1998 Hinter der Autobahn Ulrike Plate Bücher-Blick 17.12.1993 Bilder im Zirkel, 175 Jahre Badischer Kunstverein Karlsruhe Leonhard Maller 17.12.1993 100 Jahre Mädchengymnasium in Deutschland Leonhard Maller 17.12.1993 Karlsruher Stadtteile, Bulach, Ausstellung zur 800 Jahrfeier Leonhard Müller 18.3.1994 Horst Schlesiger/Josef Wemer: Die 50er Jahre. Manfred Koch 311 313 315 316 318 319 321 323 325 329 330 330 330 IX 18.3.1994 Alexander Mohr: Die Stadt Durlach in der Badischen Revolution von 1848/49. Ein Beitrag zur Revolution in der Provinz 331 SlIsanne Asche 17.6. 1994 Straße'Ulamen in Karlsruhe. Karlsruher Beiträge Nr. 7 332 Klalls Deslerle 17.6.1994 Ulrike Grimm: Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe 333 Leonhard Müller 16.9.1994 900 Jahre Gottesaue. Spurensuche, Spurensicherung 334 Rainer Gllljahr 16.9.1994 JosefWcrner: Bauen und Wohnen. 75 Jahre Hardtwaldsiedlung 335 Ernsl 0 110 Brällnche 16.9.1994 Herbert Maiseh: Bulacher Ortschronik 335 Manfred Koch 16.12.1994 Horst Schlesiger/JosefWerncr: Die 60er Jahre 336 Manfred Koch 16.12.1994 Alexander MohrlMartin Walter: Karlsruhe. Ein verlorenes Stadtbild 336 Manfred Koch 16.12.1994 Roland Eich'ler: Die Weststadt im Spiegel der Geschichte 337 Manfred Koch 17.3. 1995 Renate Ehrismann: Der regierende Liberalismus in der Defensive, Verfassungspolitik im Großherzogtum Baden 1876-1905 338 Leonhard Müller 17.3.1995 EnUlla Wilderer: Nunune net hudle. Geschichten aus meinem Leben 339 Manfred Koch 16.6.1995 Erich Bauer/JosefWerner: Die 40er Jahre 339 Manfred Koch 16.6. 1995 Elga Roellecke: Die Munitionsfabrik - Das "Zündhütle" 1897-1972 341 Barbara Grillmann 22.9.1995 Karlsruhe in alten Ansichten 342 Leonhard Müller X 22.9.1995 Gerhard SölIner, Für Badens Ehre. Die Geschichte der Badischen Annee, Fonnation Feldzüge Unifornlen Waffen Ausrüstung 1604-1832 342 Leonhard Müller 15.12.1995 Bräunehe, Ernst Otto: Die Karlsruher RatsprotokolIe des 18. Jahrhunderts. Teil!: 1725-1763 343 Michael Martin 15.12.1995 Peter Rückert (Hrsg.): Gottesaue - Kloster und Schloß 345 Ernst 01/0 Bräunehe 15.3.1996 FrithjofHaas: "Zwischen Brahms wld Wagner- Der Dirigent Hennann Levi" 346 Paul Wehrle 15.3.1996 Peter Pretsch, "Geöffnetes Narren-TumeyH, Geschichte der Karlsmher Fastnacht 347 Clemens Rehm 21.6.1996 Hennann Ebeling, Karlsruhe - Ein Fächer der Möglichkeiten 348 Leonhard MillIer 21.6. 1996 " Für Baden gerettet", Erwerbungen des Badischen Landesmuseunls 348 Leonhard Müller 21.6.1996 Dieter Vestner: Durlach im Wandel der Zeiten 349 Man/red Koch 20.9. 1996 Reiner Haehling von Lanzenauer: Düstere Nacht, helIichter Tag. ErilJ1lerungen aus dem 20. Jahrhundert 350 ManJred Koch 20.9.1996 Die elektrisierte Gesellschaft 351 Leonhard MillIer 20.12 .1996 Erich Lacker: Zielort Karlsmhe. Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg 352 Rainer Gutjahr 20.12.1996 Susanne Asche, Olivia Hochstrasser: Durlach, Staufergründung, Fürstenresidenz, Bürgerstadt 353 Gerharcl KaI/er XI 21.3 . 1997 Eiga Roellecke: Wasser und Straßen, Quellen und Wege. Chronik Wolfartsweier 354 Ute Grall 21.3.1997 Emst Ollo BräwlchefThomas Schnabel (Hrsg.): Die Badische Verfassung von 1818 355 Klalls Oesterle 21.3 .1997 Rolf-Heiner Behrends (Hrsg.): Faustkeil - Ume - Schwert. Archäologie in der Region Karlsruhe 356 Rainer GlIljahr 21.3.1997 Rosemarie Stratmann-Döhler, Harald Siebenmorgen: Das Karlsruher Schloß 357 Leonhard Mill/er 21.3 . 1997 100 Jahre Bürgerverein Oststadl. Jubiläunlsbuch 1996 358 ManJred Koch 21.3.1997 Von der Hirschbrücke zunl ZKM. Hundert Jahre Bürgerverein der Südweststadt Karlsruhe 358 ManJred Koch 20.6.1997 Gerhard Kabierske: Der Architekt Hennann Billing (1867-1946). 360 Alexander Mohr 20.6.1997 Gotlfricd Leiber: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen für Karlsruhe, Teil I: Die barocke Planung und die ersten klassizistischen Entwürfe Weinbrenners 360 ManJred Koch 19.9.1997 Neues Bauen der 20er Jahre - Gropius, Haesler, Schwillcrs und die Dammerstock-Siedlung in Karlsruhe 1929 362 Gottfried Leiber 19.9. 1997 Fritz Ehret: Sozial bauen - Gesund wohnen. 363 JosefWerner 19.12.1997 Manfred Koch (Hrsg.) : Auf dem Weg zur Großstadt, Karlsruhe in Plänen, Karten und Bildem, 1834-1915 Klalls Oesterle 364 19.12.1997 Karlsruhes neues Kulturzentrum, Bd. I Kunstfabrik im Hallenbau A 365 Leonhard Mal/er XlI 19.12.1997 Karlsruhes neues Kulturzentrwn, Bd. 2 Jenseits der Brauerstraße 365 Leonhard Müller 20.3.1998 Amalie Heck: 200 Jahre Karlsruher Flug- und Luftfahrtgeschichte. Vom Gleit-Flug zum Verkehrs-Flug - vom Exerzierplatz zum Baden-Airport 366 Klaus Oes/erle 20.3.1998 Revolution im Südwesten. Stätten der Demo;,ratiebewegung 1848/49 in Baden-Württemberg 367 Michael Mar/in 20.3.1998 Alfred Georg Frei; Kurt Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie. Die badische Revolution 1848/49. Der Traum von der Freiheit 367 Michael Mar/in 20.3 .1998 Martin Einseie; Andrea Kilian (Hrsg.): Stadtbausteine Karlsruhe. Elemente der Stadt landschaft 368 Harald Ringler 19.6.1998 Dieter Langewiesche (Hrsg.): Demokratiebewegung und Revolution 1847-1849 - Internationale Aspekte und europäische Verbindungen Leonhard Müller 19.6.1998 1848/49 Revolution der deutschen Demokraten in Baden Leonhard Miiller 19.6. 1998 Barbara Guttmann: "Zwischen Trümmern und Träunlen". Karlsrullerinnen in Politik und Gesellschaft der Nachkriegszeit. Man/red Koch 19.6.1998 Amo Lederer (Hrsg.): Architektur in KarisrullC 1971 bis 1996 Harald Ringler 19.6.1998 Badische Synagogen aus der Zeit von Großherzog Friedrich in zeitgemäßen Photographien Leonhard Maller Personenregister Bildnachweis Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 368 369 370 371 372 373 384 386 XIli Geleitwort Seitdem vor 10 Jahren zum erstenmal der "Blick in die Geschichte" im damaligen "Amtsblatt" erschienen ist, hat diese vierteljährige stadthistorische Beilage ein interessiertes Publikum ge- funden . Darum ist es gerechtfertigt, die . \ usgaben der letzten flinf Jahren wiederum als Buch all jenen anzubieten, die Karlsruhe als ihren Lebensraum erfahren im Gestern wie im Heute, oder die anderswo an unserer Geschichte und Kultur interessiert sind. Die Publikation ist einer der mannigfachen Wege, mit denen die Stadtverwaltung die kulturelle Vielfalt unserer Konmlune ihren Bürgerinnen und Bürgern näher bringen will . Ich selbst freue mich, daß ich am Ende meiner Amtszeit auch auf diesem Gebiet auf eine Publikation zurückblicken kann, die bei der Bürgerschaft angekommen ist. Und mein Wun~ch ist es, daß in Zukunft noch so mancher es fur wichtig hält, einen Blick in die Geschichte zu wagen. Professor Dr. Gerhard Seiler Oberbürgermeister xv Einleitung Der Plan hat sich bewährt: Um eine breite Leserschaft zu gewinnen, brauchte man keine auf- wendige Publikationsform zu wählen, die in Zeiten schmaler Kassen an den Kosten scheitem könnte, was anderenorts zu beobachten ist. Als Beilage des "Amtsblatts" der Stadt Karlsruhe, h""te der " StadtZeitung", erscheint der "Blick in die Geschichte" vierteljährlich mit dem Annoncenblatt " Der Kurier" in einer Aufla- ge von über 120 000 Exemplaren. Jeder Karlsruher Haushalt erhält somit kostenlos ein Exem- plar des "B1ick in die Geschichte", freilich auf Zeitungspapier, dessen Bestand stärker be- grenzt ist. Aber auch Wll die Handlichkeit einer Aufsatzsammlwlg zu gewährleisten und mit klarer Gliederung und Register den Inhalt aufzuschließen, erscheint nun nach dem ersten Fünf- jahresband dieser zweite Band der Ausgaben 1993 bis 1998. Die Strul1ur des "Blick in die Geschichte" ist auch nach zehn Jahren unverändert: Neben den Aufsätzen finden sich auf der ersten Seite jeweils Biographien, " Carlsruher Blickpunkte" und der "Bücherblick" auf der letzten . Beim Blickpunkt soll auf - ftir manchen - unbekannte Objekte aufmerksam gemacht wer- den, im "Bücherblick" wird aufBucherscheinungen im Lokalen und Regionalen hingewiesen, die auch im Rückblick als Orientierung zur Erschließung unserer Kulturlandschaft hilfreich sein können. Eine Reihe von Aufsätzen steht wlter dem Motto "Auf dem Weg zur Revolution 1848-49" . In diesen auf die Gedenkjahre 1997-99 hinftihrenden Beiträgen kann weit mehr als zu anderen Jubiläen Spezifisches fur unsere Landeshistorie verdeutlicht werden. Der Erfolg vieler zu die- sem Thema herausgegebenen Publikationen sowie der besonderen Ausstellungen zeigt, daß ein Blick in die Geschichte kein Rückzug in einen Elfenbeinturm ist, sondem Klarsieht ftir die Zulmnft bei Selbstfindung im Vergangenen bringt. Und mit diesem Konzept wollen wir auch weiterhin fortfahren. Den vielen Autorinnen wld Autoren sci ftir ihre Mitarbeit gedankt, weil sie - im Grunde ehren- amtlich bei nur geringem Spesenaufwand - mit ihrem Fachwissen zur Gestaltung des " Blicks" beigetragen haben. Für diesen zweiten Band hat wie fur den ersten Kat ja Linder die Druckvorlagen und Rcgister mit Umsicht und Sorgfalt erstellt. Daß dadurch bei Nutzung der EDV-Einrichtwlgen im Stadt- archiv Karlsruhe eine kostengünstige Produktion möglich wurde, ist ihrem Einsatz zu verdan- ken, woftir ihr besonderer Dank und Anerkennung gilt. Zu danken ist Frau Rita Dahm, die gewissenhaft gTÜndliche Korrektur gelesen hat. Dank auch dem "Badendruck" und seinen aufgeschlossenen Mitarbeitem wie der Badenia- Druckerei, die die Buchfassung herstellte. Die Redaktion "Blick in die Geschichte" Dr. Leonhard Müller (verantwortlich), "FOrunl ftir Stadtgeschichte und Kultur" Dr. Manfred Koch XVI Aufsätze Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Teil 1: Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des 2. Weltkriegs Architektur- und Städtebauwettbewerb In der zweiten Hälfte des 19 lahrhunderts wurden in Deutschland und Österreich "öffentliche Konkurrenzen" zum festen Be- standteil des öffentlichen Baugeschehens. Anfangs konnten sich die Architekten auf diese Weise nur in den Großstädten um Bauauf- gaben bemühen (Frankfurt 1840: Börse, Hamburg 1844: SI. Nicolai-Kirche, Köln 1851: Kaulhaus GÜfzenich, MÜDchen 1854: Maximilianeum). Konkurrierende Verfahren ohne fonnales Reglement hatte es schon vorher gegeben. Die Vorteile von öffentlichen Wettbewerben sah man " in der Vielseitigkeit der AulTassung der gestellten Aufgabe; in der Ennittlung der hervorragenden Talente; in der Beschränkung des Nepotismus und im Ausschluß jeder Monopolisierung; in der stets erneuten Anregung des öfTentlichen Interesses fur Bauunternehmimgen; in der durch den Wetteifer gesteigerten Anspannung der bau- I..iinstlerischen Kräfte" (1868). Die industriali- sierung rief einen ungeheueren Erweiterungs- druck auf die Städte und " Industriedörfer" hervor, der zu Bauflächenzuwächsen großen Ausmaßes und zu Verdrängung über!lüssiger Befestigungsanlagen am Rande der Stadtkerne fUhrte. Damit stellten sich auch große Aufgaben rur Wettbewerbe in der Stadtpla- nung. Der erste städtebauliche Wettbewerb fand 1858 in Wien statt mit dem Ziel, Entwürfe für die Bebauung der Glacisgründe zwischen der bmenstadt und den Außenbezirken zu erhalten (Ringstraßen bebauung). Karlsruhe zur 1ahrhundertwende In Karlsruhe beginnt das Wettbewerbswe- sen im Städtebau nach der 1ahrhundertwende, nachdem die Stadt durch Überschreitung der 100000 Einwohnergrenze statistisch "Groß- stadt" geworden war. Bis heute sind über 20 Ausschreibungen zu zählen. Sie betreffen im Gegensatz zu Architektur- bzw. Realisierungs- wettbewerben keine Einzelobjekte, sondern Siedlungen, innerstädtische Quartiere, Platz- anjagen und deren Bebauung, Sanierungs- gebiete und Brachflächen, Frei!lächen von gesamtstädtischer Bedeutung, Fragen des Stadtbildes und neuerdings der Gewerbege- biete. Der "Wettbewerb zur Erlangung eir.es zweckmäßigen Ortsbauplans fur die wichtig- sten Stadterweiterungsgebiete" - 1904 nur rur in Karlsruhe ansässige Architekten und Ingenieure ausgeschrieben - brachte kein befriedigendes Ergebnis. Die 1ury ließ dies auch ausdrücklich im Protokoll festhalten . Im Preisgericht saßen neben den in Karlsruher Planungsangelegenhei ten ein!lußreichen, eher dem Ingenieurstädtebau des 19. 1hs. zuge- wandten Prof. Reinhard Baumeister zwei Vertreter der neuen Bewegung im Sinne des künstlerischen Städtebaus, Prof. Th. Fischer und Prof. C. Hocheder aus München. Die Wettbewerbsaufgabe bestand in der Ausar- beitung von Fluchtlinienplänen in den Maß- stäben 1 :5000 und 1 :2000 mit Angaben zur beabsichtigten Bauweise rur drei Stadt- erweiterungsgebiete, nämlich fur den südli- chen Teil der heutigen Südweststadt und Beiertheim einschließlich der alten Bauhofs- flächen am Ettlinger Tor, rur die Zone nord- westlich von Mühlburg und rur die Gebiete östlich der Tullastraße. Diese Pläne waren Vorläufer der heutigen Bebauungspläne, ent- hielten aber auch noch Elemente der FIächen- nutzungs planung. Die wesentlichen Forderungen im Wettbe- werbsprogramm zielten auf die Verkehrser- schließung der neuen Baugebiete zum neuen Hauptbahnhof. "In Straßenzüge s ist anzuge- ben, ob diese mit Gartenanlagen zu zieren oder als Spie1- oder Marktplätze oder sonst- wie zu behandeln sind ... In dem Plane sind geeignete Plätze fur öffentliche Bauwerke anzugeben." Die Vorgaben waren ziemlich beliebig, die Vorschläge in den 12 Projekten mußten dieser Beliebigkeit folgen. Unmoti- vierte Straßenkrünunungen und Straßen- aufweitungen als Platzanlagen prägten als falsch verstandene Gestaltungsmittel im weiterhin dominierenden Rasterstädtebau die meisten Entwürfe der Preisträger. Herrnann Billing, der das Programm fur den Wettbe- werb ausgearbeitet hatte, errang zusammen mit Wilhelm Vittali den ersten Preis. Der Entwurf zeichnete sich durch ein verhältnis- mäßig ruhiges Straßenraster aus und enthielt Vorschläge fur einen großzügigen Bahnhof- platz und fUr die Umgestaltung des Festplat- zes. Die Arbeit des dritten Preisträgers Prof. A. Neunleisterwar insoweit zukunftsweisend, als er vorschlug, die beiden Albufer als Erho- lungsbereiche auszubauen. "Diese Anlagen müssen jedoch, um vollkommen zu sein und ihre Zwecke als große Erholungsstätten fur die Bevölkerung und 'Lungen fur die Stadt' zu erfullen, mit den bestehenden Anlagen, dem Beiertheimer Walde, in Verbindung gebracht werden ... Spätere Generationen werden danken, wenn hier weitblickend großzügig verfahren wird." Für die großflächige Stadterweiterung Karlsruhes blieb dieser Wettbewerb der erste und letzte. Anfang der zwanziger Jahre gab es Überlegungen fur einen Wettbewerb zur Ausarbeitung eines Generalbebauungsplanes flir das gesamte Stadtgebiet und die Nachbar- gemeinden. Der 1926 vorgelegte Entwurf war aber dann ein Werk der städtischen Planer. 2 Der 1911 ausgelobte Wettbewerb zur "Ge- staltung des Bahnhofplatzes in Karlsruhe", ebenfalls nur fur Karlsruher Architekten bestimmt, fuhrte dann zu einem befriedigen- den Ergebnis. Der Vorschlag eines der bei den Preisträger Oskar Seemann und Wilhelm Vittali bestimmt noch heute das Stadtbild am Hauptbahnhof. Vittali selbst konnte auch viele Bauten oder mindestens die Fassaden realisieren. Der Bahnhofplatz war 75 Jahre später neben dem Planungsgebiet südlich des Hauptbalmhofs nocJunals Gegenstand im RahnIen des Wettbewerbs "Entwicklungsbe- reich Hauptbahnhof -Süd". Den Vorschlägen konnte nichts Substantielles bzw. Neues entnommen werden. Ein 80 Jahre altes Problem Die bis heute ungelöste " Ettlinger-Tor- Platz-Frage" fuhrte seit 1902 zu zahlreichen behördeninternen Überlegungen, aber auch zu Gutachten wld Wettbewerben . Ab 1913, nach der erfolgten Verlagerwlg des Haupt- bahnhofs vom Standort des heutigen Badi- schen Staatstheaters nach Süden, zeigte sich die Notwendigkeit einer städtebaulichen Ordnung. AufDrängen der Architektenschaft kam es 1912 zu einem Wettbewerb, bei dem kein erster Preis vergeben wurde. Der Vor- scWag eines der drei zweiten Preisträger, Hans Schmidt, schien wegen seines An- knüpfens an die Tradition Weinbrenners ebenso viele Beflirworter wie Gegner zu haben. Das Jurymitglied Theodor Fischer aus München legt anschließend einen eigenen Entwurf mit wlsynunetTischer Baustruktur vor. Es kommt aber zu keiner Entscheidung. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kommt durch den damaligen Baubürgerrneister Schneider wieder Bewegung in diese Planungsfrage. Ende 1923 beauftragte er die Architekten Herrnann Billing, Hans Großmann und Fritz Rößler, VorscWäge zu erarbeiten. Wie er- Das EI/linger Tor nach einem Entwurfvon Hermann Billing 1924 wartet, erhält der Vorschlag Billings durch den künstlerischen Beirat der Stadt als Jury den Zuschlag. Aber nur ein Gebäude, die Oberpostdirektion, entsteht 1935 bis 1938 nach diesem Baufluchtenplan. Anläßlich des Wettbewerbs fur einen Neubau der Städti- schen Sparkasse auf dem Gelände des heutigen Postscheckamtes im Jahre 1950 wird das Billing'sche Konzept von der Jury als nicht mehr zweckmäßig und wünschens- wert erachtet, "weil ein neuer repräsentativer Platz den vorhandenen Marktplatz oder Rondellplatz durch einen großen Maßstab zerstören würde ... Anstelle eines organischen Städtebaues würde die Verwirklichung der Billingschen Planung eine nach heutiger Auffassung unfreie Bebauung nach sich ziehen." Wahrscheinlich setzten Preisge- richtsmitglieder wie Egon EiermaJw ihre Meinung einer " aufgelösten" Stadt durch. Inzwischen begegnen uns am Ettlinger Tor wlterschiedliche Architekturauffassungen der letzten Jahrzehnte in scheinbar beliebiger Anordnung, aber weder Platz noch gestaltete Stadtlandschaft. Ein neuer Wettbewerb oder weiteres Gutachten werden nicht helfen, die Stadtverwaltung selbst ist gefragt, zu entscheiden, was sie will. Der Wohnungsbau fand vordem 2. Weltkrieg Berücksichtigung in zwei Wettbe- werben, die aus ideologischer Sicht völlig gegensätzlich waren. 1928 beriet ein Preisge- richt, dem unter anderem der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May, Mies van der Rohe aus Berlin und der Stuttgarter Paul Schmitt- henner angehörten, über 43 eingereichte Entwürfe ftir das Siedlungsprojek1 "Dammer- stock". Die prämiierten Arbeiten zeigten alle vorbehaltlos, daß das "neue Bauen" nun auch in Karlsruhe Einzug gehalten hatte. Sogar der städtische Mitarbeiter des Stadterweiterungs- büros Karl Pflästerer, der im Entwurf des Generalbebauungsplans 1926 die Blockrand- bebauung konsequent verfolgt hatte, wußte mit seinem Wettbewerbsbeitrag, was er der strengen Nord-Süd-Zeilenbauweise schuldig war. Er wurde mit einem Ankauf belohnt. Die 3 Weichen waren schon mit der Festlegung des Preisgerichts und mit den von außerhalb Karlsruhe eingeladenen Architekten gestellt gewesen. Walter Gropius, der erste Bauhaus- Direktor, errang den ersten Preis und fungierte bei der Realisierung als künstleri- scher Oberleiter. 0110 Haesler aus Celle, W. Riphan und C. M. Grod aus Köln und der Karlsruher Detlef Rösiger als weitere Preisträger erhielten wie Gropius Bauaufirä- ge. Ab 29. September 1929 konnte die Allgemeinheit die von der Landeshauptstadt Karlsruhe veranstaltete Ausstellung "KarIs- ruhe Dammerstocksiedlung - Die Gebrauchs- wohnung" mit 228 Wohnungen in 23 Woh- nungstypen besichtigen. Die schon anfangs lauten Polemiken gegen die ungewohnte Architektur nahmen im "Dritten Reich" an Härte zu. Es bestand später sogar die Absicht, die "bolschewistische Architektur" durch aufgesetzte Satteldächer zu "verdeutschen". Das 1936 ausgelobte Projekt "Daxlanden- Süd: Preisausschreiben zur ErIangung eines Aufteilungsplanes und von Entwürfen fUr Einfamilien-, Zweifamilien-, Ein- und Zwei- familien-Doppelhäuser, sowie Einfamilien- reihenhäuser" kann als Gegenprogramm zum Dammerstock gesehen werden. "Die Sied- lung soll einen städtischen Charakter erhalten und in städtebaulicher Hinsicht, sowie im gesamten Aufbau ein richtungsgebendes Vorbild nationalsozialistischen Gedankengu- tes sein". Zuladungen und Prominenz im Preisgericht wie Fritz Todt, Generalinspek- teur der Deutschen Autobahnen, und Paul Schultze-Naurnburg, seit langem Wortfuhrer gegen den "Kulturbolschewismus", sollten für eine große Außenwirk'1Jllg sorgen ("KarIs- ruhe baut eine Adolf-Hitler-Siedlung. Ein neues Stadtviertel mit 600 Wolmhäusem"). Kein KarIsruher Architek1 erhielt einen Preis. Der Mieter- und Bauverein zog rur die Realisierung den zweiten Preisträger Prof. H. Mehrtens aus Aachen den ersten Preisträgern Wach und Roß kotten aus Düsseldorf vor. Der Entwurf versuchte an die ländliche Romantik früherer Gartenvorstadtsiedlungen anzuknü p- fen, was auch durch Straßenbenennwlgen (Am Anger, Kleiner Anger) zum Ausdruck kommt. In der Rheinstrandsiedlung entstan- den bis 1940 über 270 Wohnungen, deren teilweise notwendiger Wiederaufbau 1957 beendet war. Harald Ringler Städtebauliche Wettbewerbe in Karlsruhe Teil 2: Von der Nachkriegszeit bis heute Wiederaufbau Nur 21 Prozent der vor dem Krieg in Karlsruhe errichteten Gebäude überdauerten die Bombenangriffe unbeschädigt. Die Innen- stadt und hier wiederum die Kaiserstraße wiesen die schwersten Schäden auf. "Da der Wiederaufbau der zerstörten Städte wesent- lich ein Problem des Stadtzentrums ist, so wird das seitherige Lebenszentrum der Stadt 4 Karlsruhe zur Diskussion gestellt. Dieses Zentrum in seinem intensivsten Teil ist bestimmt durch die Kaiserstraße zwischen Marktplatz und Hauptpost. Die Neugestal- tung dieses Teils der Kaiserstraße ... soll Gegenstand des Wettbewerbs sein." So die Einleitung des Ausschreibungstextes. Am 23. Juni 1948 beriet das Preisgericht über 91 Entwürfe, davon 48 aus Karlsruhe. Das Hauptproblem in der Stadtrnille sah die Jury im Widerstreit zwischen alt und neu, im Denkmalschutzcharakter der Innenstadt mit den Weinbrennerbauten und im Ost-West- Verkehr. Eine Leistung, die allen Anforde- rungen genügte, bot sich nicht an, so daß vier gleiche Preise und acht Ankäufe vergeben wurden. Die Stadtverwaltung ging r ,ch diesem Wettbewerb ihren eigenen Weg, erarbeitete im Zusammenwirken mit dem dafur gegründe- ten Planungsbeirat einen Bebauungsplanent- wurf. Erst 1954 erreichte das BebauungspIan- verfahren nach mehreren Rechtsstreiten den endgültigen Abschluß. Die meisten der 107 Einsprecher hatten sich gegen die Zurückset- zung der südlichen Bauflucht ab dem ersten Obergeschoß um sechs Meter und gegen die Arkaden beim Marktplatz und Europaplatz ausgesprochen. Eine Verbreiterung der Kai- serstraße, wie sie von 64 Prozent der Wettbewerbsteilnc1uner vorgeschlagen wor- den war, erübrigte sich mit diesen Vorgaben wie auch durch die Verlegung des Anliefer- verkehrs in die Erschließungshöfe wic Douglas-, Erbprinzcnstraße, Passage- und Zentralhof etc. Die Ost- und Westseite des Marktplatzes sollten in alter Foml wiederauf- gebaut werden. Die Nordseite, die nie einheitlich bebaut gewesen war, erhielt einen gleichmäßigen Abschluß und eine Verbreite- nUlg der Karl-Friedrich-Straße Zunl Schloß- platz. Mit der Zurücksetzung der südlichen Gebäude ab dem ersten Obergeschoß verfolgten die Planer damals das Ziel, Licht und Luft in die Stadt zu bringen und "steinerne Häuserschluchten" aufzulösen. Die Kaiserstraße war noch zwei weitere Male Gegenstand gutachterlicher Wettbewer- be. 1973 legten die Architekten W. Förderer, G. Kramer und G. Martinsson Planungsvor- schläge fUr die "Umgestaltung Marktplatz! KaiserstraßelHauptpost" vor. Im September 1974 war der Abschnitt der Kaiserstraße zwischen Herrcn- und Ritterstraße zur Fußgängerzone nach den Plänen von G. Kramer umgestaltet. 1991 bemühten sich sechs eingeladene Architekturbüros um Vor- schläge ftir die ,,Aunvertung der Innenstadt". Stadterweiterung ~.w,,,,,'.W'.W.W,~"'hV"'W.W"'''''''W.' ...... ·.u''',,,''''''''.u'.V'''W.''W'''''W.V.W." .... ·,u . ....... • ......... • ... .... w ... " Innerhalb der Gemarkungsgrenze der Stadt ist nur noch Platz ftir 52 000 Menschen." Diese Aussage machte der damalige Oberbürgermeister Klotz im Okto- ber 1954 und leitete damit ein Stadt- erweiterungsprojekt auf einem Gelände von 225 Hektar mit Wohnraunl fur 13 000 Menschen ein. 20 000 bis 25 000 Einwohner waren anfangs geplant gewesen in dieser neuen, zum größten Teil im östlichen Hardtwald konzipierten Nordoststadt. Die durch den jährlichen Zustrom von über 5 000 Menschen drastisch zunehmende Wohnungs- not konnte durch die bereits laufenden Projekte wie das Mühlburger Feld (Wettbe- werb 1953), Rintheimer Feld und die Flugfeldbebauung (Nordweststad!) nicht be- hoben werden . Am 11. Januar 1955 nahnl der Karlsruher Stadtrat mit großer Mehrheit das Nord- Oststadt-Projekt an. Auf Drängen der Architektenschaft lobte die Stadt Ende August 1956 den "Städtebaulichen Ideen- wettbewerb und Bauwettbewerb Waldstadt/ Karlsruhe" aus, ließ aber den Planem nur bis Anfang November Zeit zum Arbeiten. Ent- weder übernahmen die Planer den städtischen Entwurf von 1955 wld entwarfen zwei Nachbarschaften mit je 650 Wohnungen oder sie erstellten einen neuen Gesamtplan fur eine Trabantenstadt ftir 25 000 Einwohner. Das Konzept Kar! Sc1gs, des ersten Preisträgers, wich nicht grundsätzlich vom städtischen Vorschlag ab, schuf ein straffes Konzept mit ftinf einheitlichen Wohnbereichen fur 18000 Einwohner und mit breiten Grünräumen. Im September 1957 erfolgte der erste Spatenstich 5 in der Königsberger Straße. 1974 lieferten runf Architekten bzw. Planergruppen ihre Planungs gutachter. "Karls- ruhe-Nordoststadt" ab mit Entwürfen zur WaldstadtlFeldlage, die zwar von Anfang an geplant, aber bis dahin noch nicht realisiert war. Die Berliner Gruppe Freund/Oefelein! SchmockIVolkenborn erhielt dann den Pla- nungsauftrag fiir die Fertigstellung des nun bald 20 Jahre alten Siedlungsprojekts. Bereits vor der Waldstadtplanung galt das Beiertheimer Feld, d. h. der heute noch von Kleingärtnern genutzte Teil, als potentielles Baugebie!. Die k1einteilige ParzelIierung des sich in privaten Händen befindlichen Areals galt aber als Haupthindernis. 1971 war das Gelände neben dem Albgrün Gegenstand eines städtebaulichen Idecnwettbewerbs. Der Entwurffiir das Albgrün des damaligen ersten Preisträgers J. Jakubeit fUhrte zur heutigen Günther-Klotz-Anlage. Als Stadterweiterung im Sinne der Bebau- ung größerer, meist landwirtschaftlich genutz- ter Flächen, kann auch der künftige 28 Hektar große "Technologiepark Vogelsand" zwi- schen Rintheim und dei Waldstadt gesehen werden. Der 1989 veranstaltete Ideenwettbewerb sollte die Entwurfsgrundlage rur einen Bebauungsplan liefern, um ein Baugebiet fUr Forschung, Dienstleistungen und technologie- orientiertes. Gewerbe in der räumlichen Fortsetzung der Universität und der Techno- logiefabrik erschließen zu können. Der "Internationale städtebauliche Ideen- wettbewerb Karlsruhe 1970" beansprucht sowohl vom Umfang des Verfahrens als auch von der stadtentwicklungspolitischen Bedeu- tung in der bisherigen Historie der Karlsruher Wettbewerbe den ersten Platz. Ende der 60er Jahre drohte der bevorstehenden A1tstadtsa- 6 nierung eine Umsetzung der Vorstellungen der Architektengruppe Kraemer, Sieverts, Pfenning: Hochhäuser und Flachbauten auf einem vorher leergeräumten "Dörfle". Die hiesige Architekturfakultät drang daraufhin zusanunen mit der Architektenkammer und dem Werkbund auf einen Wettbewerb, was von der Stadt schließlich akzeptiert wurde. Ende 1970 gingen aus 20 Ländern Europas 216 Arbeiten ein, die mit Abstand höchste Teilnehmerzahl eines Wettbewerbs in Karls- ruhe. Die Wettbewerbsbeiträge glichen einem Kaleidoskop der damals gängigen Archi tektur- auffassungen: von pyram.idenförmigen Bau- körpern über den alles beinhaltenden Einzel- riegel bis zur Blockrandbebauung. Zehn Arbeiten kamen in den Genuß der Preise; drei Sonderpreise und sieben Ankäufe wurden fur besondere Einzelideen vergeben. Im Herbst 1971 beauftragte die Stadt Karlsruhe die "Neue Heimat" Baden-Württemberg als Treuhänder rur die Sanierung des 16 He~1ar großen Gebietes. Der San.ierungsträger be- auftragte 1972 runf der Preisträger mit der Überarbeitung ihrer Arbeiten. Nach dieser Phase erhielten zwei Büros, Hilmer/Sattler/ Sattler aus München und Müller/Schmock! Volkenborn aus Berlin, nochmals die Ge- legenheit der Überarbeitung. Der Münchner Enhvurf' beruhte auf dem Prinzip der Blockrandbebauung in Anpassung an den Stadtgrundriß und beließ den Fußgänger- und Fahrverkehr auf derselben Ebene. Das "Berliner Konzept" beruhte auf dem System von doppelzeiligen Baukörpern in Nord-Süd- Richtung und wies den Fußgängern die zweite Ebene über dem Straßenniveau zu. Dazwi- schen sollte der Anliegerverkehr und die Parkierung stattfinden. In beiden Enhvürfen blieb der Ostteil der Objektsanierung vor- behalten. Nach zähem Ringen in und zwischen den beteiligten Gremien und Institutionen wie Fachbeirat, Stadtplanungs- ausschuß, Stadtverwaltung sowie Sanie- rungsträger entschied sich der Gemeinderat am 19. Dezember 1972 fiir den "Münchner Entwurf" der Grundlage ftir die Bebauungs- pläne und damit das Konzept rur die spätere Bebauung wurde. Dieses beinahe drei Jahre dauernde Verfahren zeigt die Grenzen des Findungs- und Entscheidungsinstruments "Wettbewerb" deutlich auf. Denn, wie der damalige Berater Thomas Sieverts formulierte: es lassen sich Planungsabläufe dieser Größenordnung und Komplexität mit den üblichen Verfahren nicht mehr steuern. Ein Wettbewerbspro- gramm flir einen solchen Stadtteil kann mit einiger Verbindlichkeit nicht aufgestellt werden. Unbestritten ist die Bedeutung der Wettbewerbe als Anstoß der öffentlichen Meinung, als Vergleichsmaßstab, als Fort- Planung zur Altstadtsanienmg (Das "Dörjle ") bildungs instrument und Generator von Ideen. Daß Wettbewerbe mit überschaubaren Aufgaben in Sanierungsgebieten ihre Funkti- on haben können, sofern eine Umsetzung der Ergebnisse erfolgt, zeigt die "Mehrfach- beauftragung Südstadt Grünzug" (1991192). Dieser 1976 eingeweihte Stadtteilgrünzug erfordert Maßnahmen der "Stadtreparatur", einer Sanierung und Stadtbildverbesserung im kleinen Maßstab, wie Schließung von Lücken, sinnvolle Ergänzung der angrenzen- den Bebauung und phantasievollen Grün- raumgestaltung. Ein Bauvorhaben auf einem der attraktiv- sten Standorte im Sanierungsgebiet sorgte 1988 flir kommunalpolitische Unruhen, das L'Oreal-Projekt am Kronenplatz. Das bis dahin flir ein Kaufhaus vorgesehene Gesarnt- grundstück sollte nach einem Realisierungs- 7 wettbewerb in Teilen·bebaut werden. Dagegen formierten sich Gegner einer Bebauung, um die Brachfläche als Freiraum zu erhaaen. Der daraufhin durchgetUhrte Bürgerentscheid konnte wegen des verfehlten Quorums (19,5 Prozent anstatt 30 Prozent) keine neue Entscheidung des Gemeinderats herbeifuh- ren. Den Ende 1988 entschiedenen Wettbe- werb gewann das Büro Rossmann und Partner, den Bauauftrag erhielt einer der beiden Zweitplazierten, H. Rotermund. Stadtreparatur _;V>:-X·»~_"'_>>>X"""h_"'~:<<<..w .. :·>>>:·,..~lV[ Ein Schwerpunkt der Stadtplanung der 80er Jahre lag in der Beschäftigung mit Industrie- und Gewerbebrachen und deren künftiger Nutzung. So wurde durch Stadtumbau- und Stadtreparaturprojekie auch tUr das Wettbe- werbswesen ein zusätzliches Arbeitsgebiet erschlossen. Der 1981 jurierte städtebauliche Ideenwettbewerb fur das ehemalige "Bin- ding-Areal" zwischen Karlstraße und Beiert- heimer Allee und die Umgestaltungsaufgabe des Dragonerkasernengeländes (19\\2) leite- ten eine Reihe von Projekten ein. Mit dem dieses Gelände tangierenden 2,5 Kilometer langen Grünzug vom Mühlburger Tor bis zur Neureuter Straße beschäftigen sich Grün- raumplaner als Wettbewerbsteilnehmer (1986). Die Gewinner des Grünzugwettbewerbs, das Karlsruher Büro Klahn und Singer, hatte bereits 1984 den Ideenwettbewerb "Neuord- nung des 'Bereichs um das Schloß Gottesaue" gewonnen. Eine Park- und Auelandschaft sollte der Oststadt die notwendigen Freiflä- chen mit dem Schloß im Mittelpunkt geben. Damit begann der Versuch der langsamen Umnutzung der 34 Hektar großen Fläche mit staatlichen Programmen. Die bisherigen Erfolge sind gering, da die Aufgabe der ZAST, die Verlagerung städtischer Dienst- stellen und des Schlachthofs noch rucht 8 erfolgten. Die vorgesehene Fußgängerbrücke in Fortsetzung der Veilchenstraße (Wettbe- werb 1986) scheiterte bisher an Anliegerein- sprüchen. Die Hoffnung liegt nun auf der " Bundesgartenschau 200 I", deren Kern- bereich hier liegen soll. 1990 lieferten neun eingeladene Architekten flir die nahe Fläche der ehemaligen Milchzentrale an der Dur- lacher Allee Wettbewerbsentwürfe flir ein "lnnovationszentrum" ab. Auch fur die Aufgabe Bundesgartenschau liefen bereits zwei Wettbewerbe: der "Städte- bauliche Ideenwettbewerb Karlsruhe-Süd- ost-Gottesaue" in den Jahren 1991/92 und der Folgewettbewerb "Ideen- und Realisierungs- wettbewerb Bundesgartenschau Karlsruhe 2001 " (1993). War der 1962 veranstaltete Ideenwettbewerb fur die Bundesgartenschau 1967 nur auf die Freiraumgestaltung des Stadtgartens und der Umgebung um das Schloß ausgerichtet gewesen, so liegt die eigentliche Zielsetzung des neuen Projekts in der großflächigen Stadtreparatur einschließ- lich der Umsetzung eines Verkehrskonzepts (Entlastung der Durlacher Allee durch die östliche Kriegsstraße und den verlängerten Ostring). Doch dies ist noch Zuk-unft, denn die endgültige politische Entscheidung steht noch aus. Nicht inuner fuhren Wettbewerbe zur Realisierung der gefundenen Vorschläge. So nahm das Bauprojekt "Zentrum tUr Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM)"einen völlig anderen Verlauf als er mit dem 1986 veranstalteten Ideenwettbewerb "Entwick- lungsbereich Hauptbahnhof-Süd"und dem 1989 abgeschlossenen Realisierungswett- bewerb ZKM begonnen hatte. 1994 beginnen nach dem abgeschlossenen Gutachterverfahren mit drei eingeladenen Planungsbüros die Umbauarbeiten im Hallenbau auf dem IWKA-Gelände, das insgesamt ein Stadtum- bau-Projekt geworden ist. Die 23 erwähnten und beschriebenen Wettbewerbe nach 1945 sind noch zu ergänzen mit AufgabensteIlungen aus der Grünraumplanung (Friedhof Nordwest 1980, Grünzug Albufer Grünwinkel 1981, Außen- anlagen Karlsburg Durlach 1988). Auch liefen einige Hochbauwettbewerbe, deren Umsetzungen in die Realität vor allem rur das Stadtbild von großer Bedeutung sind. Der Ettlinger-Tor- und Festplatzbereich nimmt dabei eine herausragende Stellung ein (Schwarz- waldhalle 1953, Badisches Staatstheater 1963, Stadthalle 1978, Gartenhalle 1987, Opel- Gelände 1991). Im Zusammenhang mit archilekturhistorisch wichtigen Situationen sind zu erwähnen die Architektenwettbewerbe "Landeskreditbank am Schloßplatz"( 1978) und "Badische Landesbibliothek" ( 1980) ge- genüber der St.-Stephans-Kirche. Diese komprimierte Darstellung über beinahe 90 Jahre städtebaulicher Wettbe- werbspraxis in Karlsruhe belegt die Wichtig- keit dieses Weges der Stadtplanung. Deutlich wird aber, daß komplexe Aufgaben und die Planung über Quartiersgrößen hinaus kein Feld rur die relativ kurzfristige Bearbeitung durch oftmals ortsfremde und auch nicht in das Planungsgeschehen einer Großstadt einbezogene Büros sein kann. Auch gelingt es keinem Preisgericht, in meist nur zwei Tagen eine große Anzahl von eingereichten Arbeiten in ihrer Differenziertheit einzuschätzen. Die Kommunen sollten die Tradition der 20er Jahre wieder aufnehmen und die Planungskultur in den eigenen Verwaltungen pflegen. Das nicht realisierte Vorhaben "Rheinstadt" Mitte der 60er Jahre hat bewiesen, daß gerade große Planungsaufgaben sehr gut durch eine von Alltagsarbeit freigestellte Projektgruppe geleistet werGen können. In der Zukunft wird diese verwal- tungsinterne Projektarbeit, angereichert von temporärer Beratung, noch wichtiger werden. Harald Ringler Parkstadt - Parkring - Rheinstadt Ideen für neue Stadtteile in Karlsruhe nach dem Zweiten Weltkrieg Stadtplanung bereitet Bauen vor und verhindert Bauen. Das letztere ist manchmal wichtiger, wenn auch nicht spektakulär. Stadtplanung nährt sich von Ideen, setzt diese in Pläne und Regeln um. Pläne fUhren aber nicht immer zur Realisierung ihrer Inhalte, auch wenn sie Gemüter bewegt, politischen Streit erregt und Hoffuungen geweckt haben. Jahre später erinnern sich manchmal nur noch die unmittelbar Beteiligten daran. Gerade um solche Projekte, die ausschließlich in Akten, Broschüren und Zeitungsarchiven Spuren hinterlassen haben, geht es in diesem Beitrag. Am Ende der Lekiüre mag der Leser überlegen, ob nicht vielleicht eine der Ideen in der femen Zukunft aktuell werden könnte. Stadterweiterung geschah bis ins 20. Jahrhundert als Fortsetzen der Bebauung, unnüttelbares Hinzuftigen von neuen Stadt- teilen an die bestehende Stadt, wie dies in Karlsruhe bis Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb der heutigen Innenstadt geschah. Die Südstadt, Südweststadt, Oststadt und Weststadt schlossen ab zirka 1860 nachein- ander an die Kemstadt an. Eine Entwicklung nach Norden, wie es im Parkring-Projekt vorgesehen war, gab es nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete Stadtelweiterung 9 Schema der Neuordnung des Raumes Karls- ruhe (0. E. Schweizer 1944) mit Parkstadt im Sadosten. die Anlage eigenständiger Siedlungen, abge- setzt von der eigentlichen Stadt. Hierfur wären die Parkstadt und die Rheinstadt Beispiele gewesen. Parkstadt - Höhenstadtteil im Südosten Eine von der Stadtverwaltung beauftragte, 1944 fertiggestellte Studie der beiden Professoren an der hiesigen Technischen Hochschule, Friedrich Raab und Otto Ernst Schweizer, beinhaltet Vorschläge "über die Ausgestaltung der Bahnanlagen und die Ausweisung von Baugebieten im Raum von Karlsrube". Schweizer veröffentlichte seinen Beitrag mit dem Titel ,,zur städtebaulichen Neuordnung von Karlsrube" im Jahre 1948 "zum Gebrauch der Studierenden der Tech- nischen Hochschule zu Karlsrube bei städtebaulichen Studien aufgaben", auch ei- 10 nes der vielen Beispiele von Kontinuität der Ideen und Karrieren in diesen Zeiten. Die Konzeption berubt auf dem Gedanken des "Trabantenbandes", eine Kombination von zirka 500 Meter voneinander entfernten Wohn- und Gewerbegebieten. Die Wohnge- biete schließen an die vorhandenen Dörfer wie zum Beispiel Forehheim, Mörsch und Durmersheim an, die Gewerbeflächen liegen östlich davon entlang der Bahnlinie, teilweise im südlichen Hardtwald. Die Freiräume zwischen den Dörfern bleiben erhalten. Nach Norden erstrecken sich die Trabantenbänder in gleicher Weise beiderseits des Waldes entlang der Linie Neureut und Eggenstein bzw. Hagsfeld, Blankenloch. Die Industrie- zone westlich von Hagsfeld wurde zelm Jahre später als Wohnbaufläche für die spätere Waldstadt ausersehen. Die LandschafI zwi- schen Rüppurr, Ettlingen und Durlach erfahrt keine Siedlungserweiterung. Dafür wird die Berghöhe vom Wattkopfbei Ettlingen über Hohenwettersbach in Richtung Grötzingen für eine, vom Rheintal aus nicht sichtbare "Parkstadt" ausersehen. Die Be- bauung soll teils durch freistehende Einfami- lienhäuser mit 400 Quadratmeter großen Gärten, teils durch drei- bis viergeschossige Zeilen erfolgen. Eine Vorortesclmellbahn verbindet diese bandartige Siedlung mit dem Hauptbahnhof. " Eine besonders wichtige Aufgabe scheint es mir fur Karlsrube zu sein, ein Wohngebiet zu schaffen, das eine vollwertige Wohnanlage in jeder Beziehung darstellt. Eine solche Wohnlage besitzt Karlsrube auch in seinen besseren, wesentlich im Westen gelegenen Wohngebieten heute noch nicht. ... Besonders für den geistig arbeitenden Menschen muß jedenfalls nach einer höher gelegenen Wohngegend gesucht werden, welche auch eine wirkliche Entspan- nung für den modemen, nervösen Menschen bietet" (Schweizer). Die ab 1964 entstehen- de, fur Führungspersonal der Karlsruber WirtschaftgedachteBergwaldsiedlung scheint ein vereinzeltes Element dieser Idee zu sein. Das von Schweizer so selbstverständlich formulierte Ziel der Nichtsichtbarkeit der Siedlung von der Ebene scheint hier wenig beachtet. Auch die Besiedlung des Durlacher Hanggebietes läuft seinen 20 Jahre früher niedergeschriebenen Leitgedar ' ' n des Frei- haltens des Schwarzwaldrandes entgegen. Für die fachliche Legitimation der Lage der Waldstadt war der "Schweizer-Plan" gut, ftir die bauliche Entwicklung in Durlach schien er unbrauchbar. Der Berufung auf frühere Pläne ist deshalb mit Vorsicht zu begegnen. Frei von Bindungen formulierte Ideen geben manch- mal Anstöße, werden umformuliert oder gar anderen profaner entstandenen Vorhaben unterlegt. Sie erhalten aber auch manchmal die Chance, wiederbelebt zu werden, wie das ftir den geschilderten Gedanken einer "Park- stadt" als Höhenstadtteil zutreffen kann. Parkringbebauung - Stadtenveiterung nach Norden .W"""~ ..... ,..",.,~ ......................................... ,,,.y"''''.'' ''' '~'''''''''''''''''.W."".~~'''''' ..... w.'., Der nördliche Hardtwald ist seit den 20er Jahren immer wieder Thema der Stadtpla- nung. Der Entwurf zurn Generalbebau- ungsplan 1926 legte die Grundlagen ftir den Parkring, der heutigen Adenauer-Allee, mit den beiderseits angeordneten Sportanlagen. 1948 lieferten die Karlsruher Architekten Willett und BingIer im Ralunen des Kaiserstraßen-Wettbewerbs einen Vorschlag zur Bebauung der Waldzone zwischen dem Ahaweg und dem Parkring mit Wohnungen ftir 20 000 bis 25 000 Menschen unter möglichster Schonung des Baumbestandes ("Wohnen unter den hohen alten Bäumen"). Die Idee einer Karlsruher Waldstadt ist damit geboren. Die zweite begann die amerikani- sche Besatzungsmacht zwei Jahre später an der Erzbergerstraße zu realisieren. Die dritte Waldstadtidee wird ab 1957 Wirklichkeit, L-__________ ~~_________~ Vorschlag für die Parkringbebauung von Wi//ett und Bing/er 1948, 1949. nicht unabhängig von den ab 1949 gefuhr:en Diskussionen über die Inanspruchnahme des Waldes ftir Siedlungszwecke. Der Vorschlag ftir eine nördliche Stadt- enveiterung war nicht unbegründet. Das Fehlen eines nördlichen Wohngebietes als Einzugsbereich fur die Innenstadt, die geringe Entfernung dorthin und der Staat alseinziger Eigentümer der Fläche sprachen bei der immer stärker werdenden Wohnungsnot rur diese Überlegungen. Ein Drittel des Woh- nungsbestandes war im Krieg zerstört worden, die Einwohnerzahl hatte aber nach dem Krieg zugenommen. Der Karlsruher Gemeinderat beschloß am 15. Februar 1949 außerhalb der Tagesordnung (!) nach einem fraktionsübergreifenden Antrag des Stadtra- tes Hernlann Walter gegen die Stinune des Stadtrates Dr. Friedrich Seippel: ,,zur Durch- ftihrung eines großzügigen Wohnungsbau- programmes soll das zwischen Ahaweg und Parkring gelegene Gelände fur den Woh- nungsbau freigegeben werden. Der General- bebauungsplan ist entsprechend zu ändern ... " Walter hatte die Parkringbebauurlg seit Mitte 1948 betrieben. Dr. Seippel wies in seiner 11 Gegenrede auf das riesengroße Baulücken- potential hin und fragte, warum der Vorteil, den Wald vom Zentrum aus in kurzer Zeit erreichen zu körmen, aufgegeben werden sollte. Nach diesem Stadtratsbeschluß setzte in der Tagespresse eine engagierte Diskussi- on ein. Die Initiative schien aber im Laufe der Zeit im Sande zu verlaufen. Oberbürgermeister Günther Klotz eröffne- te 1954 die weitere Diskussion mit den öffentlich gestellten Fragen "Läßt sich die Waldgrenze auf Dauer halten? Karm die Kaiserstraße fur ewige Zeiten an der Peripherie der Stadt liegen?" Er brachte auch die Idee von zwölf Hochhäusern am Parkring am Schnittpunkt der Strahlen ins Spiel. Der Karlsruher Architekt Erich Schelling nahm diesen Ball auf und erneuerte den funf Jahre alten Vorschlag für eine lockere Bebauung des Hardtwaldes. Dafur sollte die Stadt im Südwesten Ausgleich schaffen durch Auffor- stungen. Die intensiv geftihrte Diskussion kann in der damaligen Tagespresse nachvoll- zogen werden. Im Januar 1955 präsentiert Klotz das Projekt "Nord-Ost-Stadt" für 30 000 Bewohner. Der Wald südlich des Parkringes bleibt frei von Bebauung. Das Beispiel zeigt auch den damals bereits vereinzelt gesehenen Zielkonflikt zwischen Bauen und Schutz des Natur- und Landschafts- raumes, ein vermeintlich erst seit wenigen Jahren erkanntes Problem der Stadtplanung. Rheinstadt - ein neuer Stadtteil im Westen Die Überlegungen fur eine dichte Wohnbe- bauung in der Burgau, des heute unter Schutz stehenden Landschaftsteils zwischen dem Knielinger See und der Pfalzbahn, lassen sich in den Akten bis auf das Jahr 1964 zurück-verfolgen. Ende 1968 finden sich noch Erwähnungen in Zeitschriften, eher als Die Rheinstadt, Modell von Nordosten aus gesehen, 1965. 12 Vorsorgeplanung, denn als ernsthaftes Pro- jekt dargestellt. Die Planungsarbeiten waren schon längst beendet worden. Mit dem Rückzug des damaligen Oberbürgermeisters Günther Klotz aus der Politik im Jahre 1970 verschwand diese im Stadtplanungsarnt geborene Idee dann vollständig. Die Rheinstadt hatte als erns:: .aft betriebe- nes Projekt begonnen. Ein eigcnes "Rhein- stadtbüro" mit teilweise für diese Aufgaben freigestellten städtischen Mitarbeitern und studentischen Hilfskräften von Mitte 1965 bis Anfang 1967 bot die planerische Infrastruk- tur. Gutachten wurden in Auftrag gegeben, städtische Ämter mit Detailaufgaben be- schäftigt, eine eigene Broschüre herausgege- ben. Diese Planungskosten betrugen minde- stens 110 000 Mark. Sogar die Genehmi- gungsbehörde, das Regierungspräsidium, war fur das Projekt gewonnen worden. Aber weder der Karlsruher Gemeinderat noch sein Planungsausschuß waren, obwohl es fur Mitte 1966 vorgesehen gewesen war,. ein einziges Mal mit der Rheinstadt-Idee befaßt gewesen. Die Bevölkerung hatte zwischen 1950 (201000) und 1961 (245 000) im Jahres- durchschnitt um 4 000 Einwolmer zugenom- men. Die Zeichen wiesen weiterhin auf Wachstum, unter anderem durch ein Gutach- ten über die wirtschaftliche Entwicklung des Raumes Karlsruhe. Die Prognosevariante "Mittlerer Zuwachs" ging dabei von einer Zunahnle bis 1980 von 50000 Einwohnern, also von einem durchschnittlichen Anwach- sen der EinwolUlerzahl von 2 500 pro Jahr aus. Die damaligen Wohnbauprojekte schie- nen fur. einen derartigen Zuwachs nicht ausreichend, was zu ersten Überlegungen einer Wohnsiedlung im Oberwald fuhrte . Voraussehbare Schwierigkeiten mit der vorhandenen Wassergewinnungszone ließ das Stadtplanungsanlt neue Möglichkeiten finden: die Fritschlach in DaxJanden wld die Burgau in Knielingen. Letztere Variante hatte den Vorzug des überwiegend städtischen Eigentums gegenüber der großteils in vielen privaten Händen befindlichen Fritschlach. An die Stelle der bisher verfolgten großen nördlichen Hafenerweiterung mit Industrie- gebiet trat nun die "Rheinstadt", geplant fur 27 000 Einwohner in drei großen und zwei kleinen Nachbarschaften auf insgesamt 100 Hek1ar Fläche. "Karisruhe am Rhein" schien nun endlich Wirklichkeit zu werden. Das von den Raffinerien im Norden bis zum Rheinhafen im Süden durchgehend geplante Industrieband war nicht mehr wünschens- wert, die Möglichkeit des Zugangs zum Rhein gewann Bedeutung und die Belastung von Knielingen durch Industrie schien abwend- bar. Die damals aufwendig betriebene Straßenverkehrsplanung mit Nord- und Südtangente und der Fortfuhrung der B 36 von Neureut quer durch den Ortskern von Knielingen an der Rheinstadt vorbei über den Rheinhafen sicherten eine sehr gute Erschlie- ßung für den Autoverkehr. Die Planung einer Straßenbahnlinie war im Gespräch, aber nicht näher definiert. Die Lage am Knielinger See ernlöglichte "Wohnen am Wasser" mit Freizeit- und Erholungsnutzungen. Die Konzeption der Bebauung war ausge- richtet auf vier- bis 20geschossige Gebäude, teilweise gelagert auf einer Erschließungs- und Parkierungsebene. Das in den 60er Jahren verfolgte Ziel "Urbanität durch Dichte" galt auch für die Rheinstadtplanung. Es war die Fiktion, städtisches Treiben durch Funktionstrelmung und vielgeschossige Be- bauung zu erreichen. Eine zweite, viernlal sovieIe Menschen fassende Oberreut-Wald- lage am Wasser wäre entstanden. In der im September 1965 erschienenen Ausgabe des Karlsruher Wirtschaftsspiegels verkündete Oberbürgermeister Klotz die mit Sicherheit vorauszusagende Erstellung . der Rheinstadt. Die Rheinstadt diente im Stadt- 13 jubiläumsjahr als Vorzeigeobjekt. Die ersten Kostenzusammenstellungen erfolgten im De- zember. Die Schätzung ftir die wichtigsten städtischen Maßnahmen wie Aufschüttung des Geländes, Hochwasserschutz, Verlegung der Freileitung, Kanalisation, Wasser-, Strom- und Gasversorgung belief sich auf nahezu 35 Millionen Mark, was aufheutigem Stand fortgeschrieben I I 8 Millionen Mark bedeutet, die Investitionen ftir die Verkehrs- anbindung und die aufwendige Erschließungs- und Parkierungsebene ftir über 10 000 Fahrzeuge noch nicht gerechnet. Im Rezes- sionsjahr 1966, mitten in der Fertigste!- lungsphase der Bundesgartenschau 1967, erschien die Finanzierung dieser notwendigen Vorleistungen wahrscheinlich als unsicher. Es verschwanden langsam die Zeichen des Wachstums. Für das Jahr 1966 zeigte die Bevölkerungsstatistik erstmals Wanderungs- verluste, die aber noch vom Geburtenüber- schuß aufgefangen werden konnten. Hatte das bereits erwähnte " Isenberg-Gutachten" bis 1980 eine Steigerung der Einwohnerzahlen bis auf290 000 als Mittelwert prognostiziert, so blieb der tatsächliche Wert unter 238 000 (ohne die 1972-1975 eingemeindeten Voror- te). Ein anderes großes Projekt, die "Altstadt- sanierung", rückte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre verstärkt in den Blickpunkt der Planung. Der Übergang von der "Stadt- erweiterung" zur "Stadterneuerung" war eingeleitet. Zudem begann mit der verstärkten Demokratisierung des öffentlichen Lebens die Ablösung der autoritär bestimmten Ver- mittlungspraxis von Planungsideen, die si- cherlich ihrerseits getragen war vom Verant- wortungsbewußtsein ftir aktuelle Probleme wie dem ak'Uten Wohnungs mangel in den 50er Jahren. Harald Ringler Verkehrsprojekte in Karlsruhe: vergessen, verworfen, aufgegeben Standen im vorhergehenden Aufsatz nicht realisierte Ideen und Projekte fur Siedlungen im Blickpunkt, so sollen nun einige in Ver- gessenheit geratene planerische Vorhaben vorgestellt werden. Dabei geht es um die Schiffahrt, den Flugverkehr und Straßen. Im Stadterweiterungsplan von 1802 schlug Friedrich Weinbrenner die Anlage eines Kanals vom Rhein bis nach Karlsruhe und weiter bis zum Steinkanal im Osten vor. "Denn Karlsruhe, das nur eine Stunde vom Rhein, und doch so weit entlegen, daß es nicht bei jedem nachbarlichen Streit dem Ruin des 14 Krieges, wie andere Grenzstädte, ausgesetzt ist, würde noch ferneres außer der Annehm- lichkeit, durch die Verbindung des Rheins eben so viel ftir den Kommerz gewinnen, indem es ohnehin schon sehr geschickt durch die Heerstraßen, die sich von ganz Schwaben hindurch nach Frankreich und der Schweiz ziehen, ftir den Speditionshandel gelegen ist." Im Bereich der heutigen Innenstadt läge der Kanal in der Moltkestraße und östlich des Schlosses in der Richard-Willstätter-Nlee. Ein Plan von 1809 sieht ein Hafenbecken und Kaufhäuser am Schnittpunkt des Kanals mit der verlängerten Karlstraße vor, ungefahr auf der Fläche des heutigen Bismarck-Gymnasi- ums. Ein weiteres Kanal- und Hafenprojekt ist im Plan zur Stadtvergrößerung von 1812 enthalten. Ein Hafen, gespeist von einem vereinten Murg- Wld Albkanalliegt mit einem neuen Marktplatz vor dem Ettlinger Tor. Fast ein J ahrhWldert nach Weinbrenners erstem Hafenprojekt erhielt die Stadt ihren Rheinhafen. Zwischen 1899 Wld 1901 erfolgte der Bau an seiner heutigen Stelle, nachdem es verschiedene Standortvorschläge gegeben hatte. Der GeneralbebauWlgsplan 1926 enthält bereits eine Erweiterung mit weiteren Hafenbecken. Diese PlanWlgs- überlegWlg hielt sich bis in die 60er Jahre Wld verschwand erst mit dem an dieser Stelle vorgesehenen, später ebenfalls auf gegebenen Projekt Rheinstadt. Flughäfen Nach dem ersten Aufstieg eines Zeppelin im Jahre 1900 gewann die Luftschiffahrt bis in die 3 Oer Jahre eine gewisse BedeulWlg fur den Luftverkehr. 1908 überflog der Luftschiff- konstrukteur Graf Zeppelin Maxau, 1911 landete erstmals ein Luftschiff in Karlsruhe auf dem damaligen Exerzierplatz. Ende der 20er Jahre entstand das Projekt eines "Weltflughafens" ftir Luftschiffe in Deutsch- land. Karlsruhe bewarb sich 1928 neben Frankfurt Wld Berlin wn diesen "Zeppelin- Luftschiff-Hafen" Wld präsentierte daftir den Oberwald, wobei an ein Flächenausmaß bis 290 ha gedacht war. Als Standortfaktoren galten die Balmhofsnähe Wld die künftig das Gelände tangierende Autobahn Hanlburg- Frankfurt-Basel. Ein meteorologisches Gut- achten bescheinigte Karlsruhe die wahr- scheinlich beste EignWlg ftir diese Einrich- tung in der Oberrheinebene (Große Böen- freiheit, geringe Windstärken Wld Nieder- schlagsmengen, niedrige Anzahl der Nebel- tage). Daß die Luftschiffahrt ohne ZukWlft war, mag im nachhinein ein Trost ftir die Erfolglosigkeit der BewerbWlg sein. F7ugplatzprojekl in Neureul (1933), Perspektive. Ein regelmäßiger Flugverkehr mit Karlsru- he als Haltepunkt begann 1925 mit dem Linienflug Frankfurt-Karlsruhe-Lörrach. Den Landeplatz auf dem Gelände des ehemaligen Exerzierplatzes im Nordwesten der St3dt frequentierten im ersten Jahr bereits 2.000 Fluggäste. Das 25 ha große Gelände reichte vom ursprünglichen Areal des Klinikums im Süden bis zur Waldgrenze an der Binsen- schlauchallee im Norden, von der Hardt- waldsiedlWlg im Osten bis Wlgefahr zur gedachten Verlängerung der Nancystraße. 1m Laufe der Jahre wurden Erweiterungen notwendig, was 1933 wegen des angestrebten Flächenausmaßes mit einem 600-m-Radius vom FlugplatzmittelpWlkt aus zu Überlegun- gen einer AusweilWlg auf eine Größenord- nWlg von über 100 ha anl Standort oder einer VerlegWlg fuhrte. Der vom städtischen Tiefbauamt vorgelegte Alternativstandort lag im Bereich des ehemaligen Exerzierplatzes in Neureut, der heutigen BWldeswehrkaseme. Die BegrenzWlg wäre durch die Linkenheimer Landstraße im Westen, den südlichen Teil der Kirchfeldsiedlung im Norden Wld das Rosen- hofgelände im Süden. Das Areal hätte nach Osten hin Eingriffe in den Hardtwald nach sich gezogen. Ab 1934 erfolgte aber die Erweiterung am bestehenden Standort auf 118 ha bis zur Neureuter GemarkWlgsgrenze 15 , Plan zur StadtvergrIJßerung Karlsruhe, von Fr,;ea'rich SchiffsanlagesteIlen gekennzeichnet). im Zuge der Welschneureuter Allee, was eine vollständige Beseitigung des dort vorhande- nen Waldes zur Folge hatte. Das heute noch vorhandene, nicht mehr genutzte Flugfeld stellt nur einen Teil des ehemaligen Fluplatzes dar. Ab 1952 gelang es der Stadt Karlsruhe, von den amerikanischen Streitkräften Teile ftir eine Wohnbebauung frei zu bekommen. So vergrößerte sich die Nordweststadt, die ab 1919 durch den Siedlungsbau im Bereich der Hertzstraße, SI. Barbaraweg, Postweg entstanden war, bis zur heutigen August-Bebel-Straße. 16 Straßen Nach dem 2. Weltkrieg erhält die Planung von Straßen in der kommunalen Verkehrspo- litik die größte Bedeutung. Die bereits in den Generalbebauungsplan 1926 eingeftihrten, vielfach schematischen Netzüberlegungen setzten sich über Generalplanungen von 1936 und 1947 bis Ende der 50er Jahre fort . Der Verkehrslinienplan und der vorläufige Flä- chennutzungsplan von 1961 lösten die damals 35 Jahre alte Konzeption ab, übernahmen aber bedeutende Netzelemente wie die Bestehendes Verkehrsstraßennetz mit den aufgegebenen Straßenprojekten. südliche Randstraße, die Nord-Süd-Durch- querung des Oberwaldes und die Nord- tangente. Die alten Planungsgedanken muß- ten oft als "Legitimation" daflir dienen. Für die Planer der 20er Jahre war aber nicht das Verkehrsaulkommen und dessen Bewälti- gung, sondern die Ausweisung von Straßen als "Rand- und Querverbindungen" und dazwischen liegende "Übergänge, Diagonal- straßen" und die "Aufteilung des Geländes fur die eigentlichen Siedlungszwecke" primä- rer Anlaß ftir deren Ideenfindung. 1925 wies die Kaiserallee westlich des Mühlburger Tores mit ca. 750 Personen- und Lastkraftwa- gen innerhalb von 12 Stunden die höchste Belastung einer Straße in Karlsruhe aus. Heute liegt die Südtangente westlich des Bulacher Kreuzes mit über 90 000 Fahr- zeugen innerhalb von 24 Stunden an der Spitze der Verkehrsbelastung in unserer Stadt. Deshalb ist die Begründung von Verkehrsprojekten mit Jahrzehnte zurücklie- genden Konzepten nicht statthaft. Betrachten wir nun vier Beispiele nicht mehr aktueller Straßenverkehrsprojekte der 60er und 70er Jahre, die bereits Mitte der 20er Jahre in den Köpfen der Planer waren und auch später eine gewisse kommunalpolititsche Bedeutung hatten. Auf kurzlebige Planungs- ideen und Vorschläge vergangener Zeiten wird nicht eingegangen, obwohl sie bei Realisierung Karlsruhes Stadt- und Land- schaftsbild in Teilräumen stark beeinträchtigt hätten: zum Beispiel eine Nordtangente fur die Innenstadt über die Moltkestraße - Schloßbereich - Universität - Haid-und- Neu-Straße, eine Fortsetzung der Theodor- Heuss-Allee am Wildparkstadion vorbei bis zum Schloßplatz, eine Verlängerung der Südtangente nach Osten über das Hanggebiet nach Grötzingen. Die heutige Ebertstraße entstand im Zuge der Anlage des neuen Hauptbahnhofs und des Bahnhofplatzes ab 1911 und hieß damals wie auch zwischen 1933 und 1945 Reichsstraße. Sie wuchs nach Westen als südliche Begren- 17 zung der Stadterweiterung und war als Verbindung nach Mühlburg gedacht. Mit der Absicht, einen Erholungspark ,,Albgrün" (heute: Günther-Klotz-Anlage) anzulegen, verzichtete die Stadt auf eine Fortführung und ließ sie bei der Europahalle enden. Der seit 1966 gültige Bebauungsplan mit der Nr. 326 enthält neben einem Ausbau der Battstraße deren Einmündung in eine geplan- te Straße zwischen der Bundesstraße 3 in Ettlingen beim Hedwigshof nach Rüppurr in Richtung Oberwald. Damit war ein Fixpunkt der seit den 20er bis in die 60er Jahre aktuellen Straßenverbindung von Ettlingen bis in die Südstadt planungsrechtlich gesi- chert. Im vorläufigen Flächennutzungsplan von 1961 war sie ebenfalls festgeschrieben gewesen. Ein "Baudenkmal" dieser Planung ist die heute als Fahrrad- und Fußweg benutzte 'Überfuhrung der Bundesautobahn arn Ende der Battstraße. Der Bau der Stras- senbrücke mit einem Querschnitt von 12 m erfolgte während des 3. Reichs im Zuge des Autobahnbaues von der Anschlußstelle KarlsruhefEttlingen nach Frankfurt bzw. Pforzheim (Fertigstellung 1938). Der "Ver- kehrswert" dieser Straße wäre wegen der zu vernachlässigenden Entlastungswirkung fur die Herrenalber Straße wahrscheinlich sehr gering. Welche wichtige Aufgabe dieser Straße hätte den Eingriff in das Naherho- lungsgebiet Obenvald begründen können? Die "südliche Randstraße" soll als zweites Beispiel fur eine über funf Jahrzehnte verfolgte Straßenplanung betrachtet werden. Seit der Trassierung einer Südurnfahrung der Stadt von Daxlanden über Weiherfeld nach Durlach im Generalbebauungsplan 1926 beschäftigten sich Verkehrsplaner bis Mitte der 70er Jahre mit der Südurnfahrung. Durch den Verkehrslinienplan 1961 verlor die Südurnfahrung die Funktion einer Stadtteil- verbindungsstraße. Sie sollte als Querspange zwischen der Bundesstraße 36 südlich von 18 Daxlanden und dem Autobahnzubringer L 605 dienen und in die Karlstraße weiterge- fUhrt werden. Dabei hätte sie den neuen StadtteilOberreut zusätzlich erschlossen und den damals noch aktuellen, südlich davon vorgesehenen Hauptfriedhof West an das Straßennetz angebunden. Die Weiterftihrung nach Osten zwischen Dammerstock und Rüppurr durch den Obenvald war nicht mehr sinnvoll, da die seit 1958 disk'Utierte "Südtangente" die Verbindungsfunktion in Richtung Osten übernehmen sollte. Anfang der 50er Jahre fuhrte die Trasse von der Lindenallee in die Hohlohstraße. Zehn Jahre später rückte sie nach Süden neben die Hochspannungsleitungen in die bereits da- mals durch Kleingärten genutzten Zone südlich von Grünwinkel und Oberreut. Mit dieser Planung in Verbindung steht auch die im gleichen Zeitraum ak1uelle Führung der Bundesstraße 36 von Neureut durch das Kleingartengebiet zwischen Knielingen und dem Gewerbegebiet Husarenlager, über das Tiefgestade, das Hafenbecken, anl westlichen Rand von Forchheim vorbei. Es gab Überlegungen, die südliche Randstraße in Richtung Westen in die B36 einzuftihren und darüber hinaus über den Rhein zu verlängern. Das hier abzuhandelnde dritte Straßen- projekt war Teil der "Nordtangente", der weiterhin aktuellen Gesarntplanung einer Straße vom Pfinztal inl Osten bis zur Rheinüberquerung im Westen. Die Notwen- digkeit dieser anfangs vierspurig geplanten Schnellstraße wird begründet durch die dadurch envartete Entlastungswirk'Ußg eini- ger innerstädtischer Hauptverkehrsstraßen. Auch würde ein Teil des Verkehrsaufkom- mens überörtlicher Herkunft sein. Der Karlsruher Gemeinderat beschloß am 23. Oktober 1979 mit der absoluten Mehrheit der CDU-Fraktion die Zustimmung Zunl vom Regierungspräsidium betriebenen Planfest- stellungs verfahren "NordtangentelB 10" mi1 der Hardtwalddurchquerung. Zwei Bürgerin- itiativen organisierten mit über 30.000 Stimmen ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, einen Bürgerentscheid über die Planung herbeizufuhren. Da die Hauptsatzung der Stadt Karlsruhe die Möglichkeit eines Bürgerentscheids fiir diesen Fall nicht vorsah, mußte dieses Ansinnen zur;;ckgewiesen werden. Der Verlust der absolulen Mehrheit der CDU bei den Gemeinderatswahlen am 22. Juni 1980 fuhrte zu einer veränderten kommunalpolitischen Situation. Der Gemein- derat zog am 21. Oktober die Zustimmung zur Nordtangentenplanung zurück. Eine beauf- tragte Gutachtergruppe bewertete in der Folge alle in der Diskussion befmdlichen Varianten des Mittelteiles der Straßen- planung. In der Sitzung des Gemeinderates arn 18. Mai 1982 entschied sich die Mehrheit rur die als "Hängebauch-Lösung" bezeichne- te Trassierung über die Theodor-Heuss- Allee, den Adenauerring und die Linkenheimer Landstraße anstelle der Hardtwald-Durch- fahrung. Der Ostteil der Nordtangente ist inzwischen planungsrechtlich festgeschrie- ben, die Fortsetzung nach Westen mit der Vernunftlösung über den Adenauerring noch nicht. Die Gefahr ftir den Hardtwald, eine der rur Karlsruhe bedeutensten naturnahen und landschaftsprägenden Zonen, ist somit noch nicht endgültig gebannt. Harald Ringler Stadtplätze in Karlsruhe - Entstehungsgeschichte und Überblick Straßen verbinden (Stand)Orte, dienen der Überwindung von Distanzen, erschließen Stadtgebiete. Beim Platz in der Stadt steht das Verweilen im Vordergrund, das Anhalten. Die Straße ist der zielgerichteten Bewegung, dem Vorwärtsstreben, der Unruhe vorbehal- ten, unabhängig von der Wahl des Verkehrs- mittels. Platzanlagen sind oft selbst Ziele, die es zu erreichen gilt; sie können die Eilenden bremsen, Verkehrsströme umlenken und verteilen. Der freie Raum im Inneren der Stadt Platz in der Stadt bedeutet immer öffentli- cher Raum, Dreidimensionalität und Geschlos- senheit, das heißt horizontale Fläche und vertikale Begrenzungen durch Gebäude- wände, manchmal auch durch Baurnreihen. Die Flächengrößen, in der Regel gemessen zwischen den Platzwänden, schwanken in Karlsruhe zwischen 1 000 m' (Fasanenplatz) und fast 40000 m' (Ettlinger-Tor-Platz). Die "klassischen" Innenstadtplätze erstrecken sich meist über Flächen bis zu 10 000 m' (Marktplatz). Der frühere Spitalplatz (heute Lidellplatz), der als Mittelpunkt der ersten Stadterweiterung Karlsruhes nach Südosten vor dem Marktplatz seine Gestalt fand, erreicht mit seinem dreieckigen Zuschni tt eine Größe von ca. 4 700 m'. Die Relation von Innenstadtgnmdriß mit dem Landgraben und den Stadtplätzen. 19 Breite und Länge gibt Hinweise auf die Erfaßbarkeit einzelner Örtlichkeiten. Ver- hältnisse bis 1:3 werden in der Städtebau- literatur fur annehmbar bewertet, was fur die allgemeine Situation in Karlsruhe zutrifft. Der Europaplatz geht in seinen Abmessungen etwas darüber hinaus, der Werderplatz in der Südstadt stellt mit der Relation Breite zu Länge mit 1:8 die Ausnahme dar. Entscheidend fur den Raumeindruck ist aber das Verhältnis von der Wandhöhe der Platzwand oder des dominierenden Gebäudes zur senkrecht dazu vorhandenen Platzlänge bzw. -breite. Hier soll die Beziehung von 1:6 nicht überschritten werden, um noch einen Mindesteindruck an Geschlossenheit zu wahren. Der nördliche Teil des Karlsruher Marktplatzes weist in Ost-West-Richtung die Relation 1 :4,5 auf, der Rondellplatz mit dem Markgräflichen Palais als Bezugsbauwerk ca. 1 :2,5. Die Zwecke des Verweilens auf Plätzen können verschieden sein: ausruhen, mit Waren handeln, beobachten, einsteigen und umsteigen in öffentliche Verkehrsmittel. Oft konzentrieren sich uni die öffentlichen Flächen Standorte fur Rathaus, Kirche oder Schule, Einzelhandel und Dienstleistungen. So stellen sie zentrale Lagen in der Stadt oder in Stadtquartieren dar. Die Aufenthalts- qualität wird heute durch die Fußgängerzone, die Vielfalt des Einzelhandels und der Gastronomie, sowie durch die Einrahmung mit mindestens 90 Jahre alten Fassaden und großkronigen Bäumen bestimmt. Der Wandel der Funktionen Der Markt als Ort des Warenaustausches bildet das Herz der europäischen Stadt. Bis zur industriellen Revolution Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts war Markt mit Marktplatz verbunden. In den Städten war es oft nur ein einziger Ort, an dem sich die 20 Bevölkerung mit Waren des kurzfristigen wie auch mittelfristigen Bedarfs versorgte. In den zentralen Orten mit deren vielfaltigem Angebot entstanden spezielle Marktplätze wie Töpfermarkt, Roßmarkt, Fischmar"1, Kornmarkt. So fand der eigentliche Wochen- markt in Karlsruhe auf dem Marktplatz statt, der Lidellplatz war die UmschlagsteIle fur Holz und Heu. Das Spital blieb von 1788 bis 1907 das dominierende Gebäude an der Stelle der heutigen Gewerbeschule. Marktbrunnen waren die erste notwendige technische Infrastruktur. Sie boten lange Zeit in den Städten die einzige Versorgungs- möglichkeit mit Wasser. Damit war der Marktplatz auch der am häufigsten frequen- tierte Ort. Der Marktplatz in Durlach bietet mit seiner Funktion und den rahmenden Nutzungen Rathaus, Kirche, Gasthaus ein idealtypisches Bild eines räumlichen und funktionalen Mittelpunktes in einer Klein- stadt. Marktplätze sind bis heute Synonyme fur städtische Öffentlichkeit. Mit der Einflih- rung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert entwickelten sich Handel und Handwerk in kurzer Zeit. Neue Geschäftslagen, vor allem zwischen den neuen Bahnhöfen und den Innenstädten, entzogen den traditionellen Marktplätzen Käufer und damit auch Besu- cher. In den Residenzstädten entstanden ab Beginn der Neuzeit neben den Marktplätzen städtische Räumefur Repräsentationszwecke. Wichtige öffentliche Gebäude des Staates oder Kirchen erhielten einen "Vor"platz zur Selbstdarstellung. Städtebau, Architektur, Skulptur und höfische Zeremonien dienten der Selbstdarstellung der absoluten Fürsten und ihrer politischen Sendung. Die "Königs- plätze" in Paris bieten dafur die ersten Beispiele. In Karlsruhe erfuUte der Schloß- platz diese Funktion. Die Anlage von Plätzen und Hauptstraßen mit Blick- und Bewegungs- achsen zu dominierenden Bauwerken wurde Mittel der Stadtplanung und blieb es bis heute. Mit dem langsamen Übergang vom flirstli- ehen zum kommunalen Städtebau, beginnend am Anfang des letzten Jahrhunderts, über- nimmt das Wirtschaftsbürgertum die forma- len Gestaltungsregeln der synunetrischen Zuordnung von Platz und öffentlichen Gebäuden und deren Fassadengestaltung (Friedrichsplatz, Bahnhofplatz). Am Beginn des bürgerlichen Zeitalters und dann wieder nach der Reichsgründung 1871 bis zur Weimarer Republik entstehen vermehrt Denkmäler auf öffentlichen Plätzen (Via Triumphaiis, Kaiserplatz, Europaplatz). Brun- nen verlieren ihre Bedeutung. Mit der Zunahme des motorisierten Verkehrs wandel- ten sich Plätze am Rande der Innenstädte - die mit Toren und oft mit Torplätzen versehenen Eingänge zur vorindustriellen Stadt - zu Verkehrsknoten. Am Mühlburger Tor ent- stand die Christuskirche (Einweihung 1900) mit einem Vorplatz, am Durlacher Tor die Bemharduskirche (Einweihung 190 I) mit der vorgelagerten "Verkehrsinsel" Bemhardus- platz. Die Straßenkreuzung vor dem ehemali- gen Rüppurrer Tor erhielt 1897 den Namen Mendelssohnplatz. Die Zone vor dem ehemaligen Ettlinger Tor ist seit 1905 bis heute Gegenstand von Planungsüberlegungen. Alle Stadttore waren zwischen 1872 bis 1875 abgebrochen worden. Das späte 19. Jahrhundert war auch die Zeit der "Stadtverschönerung", die manche Plätze zu pittoresken Grünanlagen werden ließ, wie es in Karlsruhe den Lidellplatz ereilte. Neue Platzanlagen in den großbürgerlichen Vier- teln dienten nun vor allem der Zierde und der Präsentation von Bauten (Scheffelplatz, Haydnplatz, Richard-Wagner-Platz). Brun- nenanlagen und Denkmäler verstärkten diese Funktionen. Daneben entstanden Plätze in den dichten kleinbürgerlichen Stadterwei- terungsgebieten als deren Marktplätze oder als Aussparung von Bebauung, um die Be- lichtung und Belüftung in dicht bebauten Gründerzeitquartieren sicherzustellen und Monotonie zu vermeiden (Werderplatz, Fliederplatz, Gutenbergplatz, Brahmsplatz). Der Siedlungs bau im ersten Viertel unseres Jahrhunderts entdeckt den Platz als funktio- nalen und gestalterischen Mittelpunkt (Osten- dorfplatz, Charlottenplatz). Erst mit der Altstadtsanierung und bei Siedlungs projekten der letzten Jahre entstanden neben dem Umbau bestehender Anlagen (Ludwigsplatz, Marktplatz, Lidellplatz) wieder neue städti- sche Plätze (Kronenplatz, Waldstadtzentrum, Badeniaplatz). Wer die Zahl der mit "Platz" bezeichneten Örtlichkeiten in Karlsruhe zählt, kommt auf die stattliche Summe von 64. Bei einem Dutzend dieser "Plätze" trifft die Bezeich- nung sicher nicht zu, da sie den mit dies~m Begriff meist verbundenen Vorstellungen nicht entsprechen. So ist zum Beispiel der Mendelssohnplatz eine Straßenkreuzung, der Archivplatz in der Südweststadt ein zwischen zwei Straßen liegender Spielplatz, der Ökunleneplatz hinter der Altkatholischen Kirche eine kleine Grünfläche, offen zum Weststadtgrünzug bzw. zu Verkehrsflächen. Der St.-Peter-und-Paul-Platz liegt nicht vor der gleichnamigen Kirche, sondern bezeich- net die seitlich vorbeifUhrende Straße. Wer kennt schon den lkarusplatz? Es ist der räumlich nicht faßbare Ausläufer der Alfons- Fischer-Allee zum ehemaligen amerikani- schen Flugplatz hin. So sind die Gründe einiger "Platz-Benennungen" nicht nachvoll- ziehbar. Andererseits verdienten wiederum andere städtische Räume die Bezeichnung "Platz", so z. B. die Plätze vor dem Durlacher Rathaus, hinter der kleinen Kirche nahe dem Karlsruher Marktplatz, vor der Christus- kirche. ln einigen Fällen hat die Bevölkerung die zutreffenden Benennungen schon vorge- nommen, ohne daß diese im amtlichen Verzeichnis so vernlerkt sind, und zwar beim 21 "Richard-Wagner-Platz" in der Weststadt und "Brahmsplatz" in Mühlburg. Das Stadtzentrum Betrachten wir nun die Karlsruher Innen- stadt näher, um einem System bei der Anlage der wichtigsten Plätze auf die Spur zu kommen. Der Schloßplatz vor dem Karlsru- her Schloß ist unverzichtbarer Teil der gesamten Schloß anlage, wie das bei allen in der Zeit des Absolutismus gebauten Residen- zen üblich war. Er ist Trennung und Verbindung zugleich zum angegliederten Stadtkörper der Untertanen. Die Größe von über 7 ha und die Gestaltung lassen eher die Bezeichnung "Park" richtig erscheinen. Ob sich die südlich gelegenen Zonen in das innerstädtische Treiben integrieren lassen, • , . Die Kar/sruherStadtmille im 18. Jahrhundert. 22 hängt von vielen Voraussetzungen ab (Nutzungsvielfalt, Verkehrsberuhigung des Zirkels etc.). Vom Schloßplatz aus entwickelte sich die seit dem letzten Drittel des 18. bis in unser Jahrhundert von allen beschworene städte- bauliche Achse nach Süden, deren städtebau- liche Bedeutung nicht mit der fUr das immer wieder erhome städtische Treiben überein- stimmt. Die Gründe dafur sind bekannt: die lineare Erstreckung der Geschäftszone im Zuge der Kaiserstraße, das städtebauliche "Val"Uum" Ettlinger-Tor-Platz und die gerin- ge atmosphärische Qualität der . Karl- Friedrich-Straße, diesen Teil der von Fried- rich Weinbrenner 1797 konzipierten "via triumphalis". Diese städtebauliche Schwere- linie wurde gestaltet durch die Anordnung verschieden geformter öffentlicher Räume, diese wiederum mit den Denkmälern der einzelnen Fürsten, vom Stadtgründer Karl Wilhelm (Pyramide, 1825) bis zum letzten absoluten Großherzog Ludwig (Marktplatz- brunnen, 1833) ausgestattet. Auf dem Schloßplatz steht das Karl-Friedrich-Denk- mal (1844), das Großherzog-Karl-Denkmal, der sogenannte Verfassungsobelisk ziert seit 1832 das Rondell. Den Abschluß dieser wechselnden Abfolge von Plätzen und Stras- sen bildete bis 1872 das Ettlinger Tor, das dann entfernt wurde. Mit diesem Verlust der Begrenzung verlor die klassizistische Stadt symbolhaft ihre letzte Bedeutung fUr das bauliche Geschehen, die Gründerzeit mit ihren Folgeerscheinungen begann. Es ist nicht Weinbrenners alleiniger Verdienst, diese einmalige städtische Raum- folge konzipiert und großteils auch architek- tonisch ausgeformt zu haben. Seit 1764 stellten die ftir den Ausbau der Residenzstadt Verantwortlichen Überlegungen zur südli- chen Stadterweiterung an. Die Konkor- dienkirche (an der Stelle der heutigen Pyra- mide) mit dem dahinter liegenden Friedhof und dem anschließend querenden Landgraben stellten die Barrieren dar. Bis 1787 lieferten einige auswärtige Architekten unterschiedli- che Pläne fur den Ausbau einer neuen Stadtmitte. 1783 wurde die Vermessung der heutigen Karl-Friedrich-Straße vom Land- graben (Hebelstraße) bis zum Rondell angeordnet, ab 1785 entstanden die ersten privaten Gebäude. Damit schienen die Grundzüge der Stadterweiterung, wie sie sich heute noch darstellen, festgelegt zu sein: ab 1785 Verlegung des Friedhofs, Abbruch der Konkordienkirche (1807) und Anlage eines Marktplatzes mit der Kirche auf der Ostseite (1816) und dem gegenüberliegenden Rathaus (1825), bauliche Ausdehnung der Stadt bis zum Schnittpunkt (Rondell 1810) zweier spiegelgleicher Straßen in Richtung damali- ges Mühlburger Tor bzw. Durlacher Tor. Die Der Rondellplalz um 1910. spätere Erbprinzenstraße (um 1800) und Spitalstraße (1789, heute Markgrafenstraße) sind Ergebnisse dieser Konzeption. Sie enden wiederum in zwei Plätzen, dem Ludwigsplatz im Westen (seit 1818) und dem Lidellplatz, früher Spitalplatz, (seit 1790) im Osten. Beide Platzanlagen sind in ihrer geometri- schen Form bestimmt durch den Verlauf des Landgrabens, des seit Gründung der Stadt bestehenden Hauptkanals. Er bildet unsicht- bar die südliche Flucht der Bebauung am Lidellplatz und die nordwestliche am Ludwigs- platz. Weiter im Westen hält sich die Baugrenze der Leopoldschule am Leopold- platz (1888) an seinen unterirdischen Lauf. Weinbrenners Leistung fur die Planung der Stadtmitte liegt im Weiterentwickeln der früheren Planungen, in der endgültigen Fertigstellung des Stadtgrundrisses und 23 seiner Architektur fiir die meisten Gebäude und Denkmäler vom Marktplatz bis zum Ettlinger Tor. Trotz der immer noch vorhandenen Bedürfnisanstalt mit ihren direkt vor dem Grabmal des Stadtgründers liegenden Zugängen und trotz der drei, aus stilgeschichtlicher Sicht irritierenden gepfla- sterten Rosetten gotischer Münster auf dem klassizistischen Platz hat der Marktplatz seine Bedeutung, die ihm wegen seiner Einmaligkeit in Städtebau und Architektur zusteht, beibehalten. Vier wichtige Platzanlagen in der Innen- stadt verdienen noch die Aufmerksamkeit. Nach der Versetzung des Mühlburger Tores von seinem Standort in der Kaiser- straße zwischen Waidstraße und Karlstraße zum heute nach ihm benannten Standort im Jahre 1817 entstand am Ende der Kaiser- straße eine durch die einmündenden Ste- phanien-· und Arnalienstraße städtebaulich interessante Platzsituation. 1874 mußte das Mühlburger Tor weichen, was dem Gesamt- eindruck sicher abträglich war. Nachdem die Stelle der Pyramide auf dem Marktplatz wegen der Grablege des· Stadtgründers als Standort fiir ein Kaiser-Wilhelm-I.-Denkmal nicht in Frage kam, fiel die Wahl 1889 auf das Ende der 1879 umbenannten Kaiserstraße. 1897 erfolgte die Aufstellung des Reiter- standbildes in einer räumlichen Situation, die mit der unserer Zeit nicht mehr vergleichbar ist. Die Trennung der zentralen Grünfläche vom übrigen Platz durch die umgebenden Straßen und Gleise fiihrt zu einer Isolierung dieser prominenten Stelle am Rande der Innenstadt im Übergang zu den westlichen Stadterweiterungsquartieren am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der 1975 so benannte Europaplatz ist nicht das Ergebnis einer besonderen städtebauli- chen Konzeption. 1827 war die Infanterie- 24 kaserne an der Stelle des heutigen Haupt- postgebäudes und auf dem größten Teil des heutigen Stephanplatzes fertiggestellt. Die von der damaligen Langen Straße zurückver- setzte Bauflucht ermöglichte einen Vorplatz, der erst mit der nach 1870 beginnenden Bebauung auf den nördlich gelegenen Langensteinsehen Gärten zum städtischen Platz wurde. Das 1901 an Stelle der abgebrochenen Kaserne fertiggestellte, dem barocken Schloßbau nachempfundene Ge- bäude der Oberpostdirektion dominiert nun diesen am stärksten frequentierten öffentli- chen Raum in Karlsruhe. Hinter dem Hauptpostgebäude liegt der Stephanplatz mit dem gleichnamigen Brun- nen. Dieser hatte 1905 wegen der nack1en Brunnenfigur und den von deren Schöpfern Hermann Billing und Hermann Binz künstle- risch verarbeiteten Reaktionen auf die damalige Spießigkeit zum Skandal gefiihrt. Die Platzanlage war nach Abbruch der Infanteriekaserne und · der oben erwähnten Neubebauung möglich geworden. Hier fmdet der vom Ludwigsplatz verlegte Wochenmarkt statt. Trotz mehrfacher Umgestaltung hat diese rur die Innenstadt wichtige Fläche noch nicht die ihr zustehende Gestaltung gefunden. Viele der Karlsruher Plätze sind inzwi- schen Fußgängerzonen geworden, ermögli- chen die Abhaltung von Märkten und sonstigen Veranstaltungen, bieten die not- wendigen "Vorplätze" fiif baugeschichtlich bedeutsame Bauten und ermöglichen auch das Verweilen. Die zahlreichen Verkehrsschil- der, Abfallcontainer, parkende Fahrzeuge, aber auch gut gemeinte Möblierung beein- trächtigen leider oft das visuelle Erleben. Diese " zivilisatorischen Notwendigkeiten" müssen wir notgedrungen akzeptieren, da sie auch Begleiterscheinungen unseres städti- schen Lebens sind. Harald Ringler Siedlungen der 20er Jahre in Karlsruhe Der nach dem Ersten Weltkrieg in Karlsru- he herrschende Wohnungsmangel wurde her- beigefuhrt durch heimkehrende Soldaten, Flüchtlinge aus Elsaß-Lothringen und die ver- mehrten Eheschließungen gegenüber fiiihe- ren Jahren. Die Belegungsziffer, d. h. das Verhältnis Einwohner pro Wohnung sank von 4,5 im Jahr 1914 auf 4,0 im ersten Nach- kriegsjahr 1919, die Größen der privaten Haushalte verringerten sich. Die Stadtver- waltung reagierte mit dcr Einrichtung eines Wohnungsamtes, das Wohnungen vermittel- te und die Umnutzung von Wohnraum über- wachte. Die private Bautätigkeit war gegen- über den Vorkriegsjahren zurückgegangen. Somit mußte die Stadt selbst Wohnungen bauen und die Wohnungsbaugesellschaften unterstützen. Ein großer Teil des Wohnungs- neubaus nach dem Krieg wurde von den acht Genosscnschaften erstellt, davon wiederum ein hoher Antcil in neuen Siedlungen. Zwi- schen 1919 und 1928 bauten diese gemein- nützigen Organisationen an die 1700 Woh- nungen, das waren 23 % des gesamten Neubauvolumens in dieser Zeitspanne. Die Hardtwaldsiedlung ~<·;·>:-:"""""_»,,,,,",,,->:·:«~»»»>:«««<-x«««,,*,,,,,,,"X«'««-»'-:«<·»> Die Hardtwaldsiedlung, als "Genossen- schaft der Bauhandwerker" 1919 gegründet, begann in diesem Jahr ihre Bautätigkeit auf einem ca. 15 ha großen, bis dahin bewaldeten Gelände nördlich der ehemaligen Kadctten- anstalt an der Moltkestraßc. Die ersten Vor- stellungen gingen von einer Wohnungs- kapazität von 680 Wolmungen aus, 1932 wa- ren 360 erstellt. Das Karlsruher Architektur- büro Pfeifer und Großmann, ab 1911 bereits in der Gartenstadt Rüppurr mit den ersten Häusern vertreten, erstellte den Bebauungs- plan mit seinem einprägsamen Straßen- grundriß. Die zwei Erschließungsstraßen, un- terbrochen durch kleine Plätze, verlaufen in Nord-Süd-Richtung bis zur Knielinger Allee und münden in den halbkreisformigen Wald- ring. Von dort aus begann die Bautätigkeit mit Doppelhäusern und Reihenhauszeilen. Die Hoffnung, im Norden einen dem Wal dring ähnlichen Abschluß zu finden, mußte wegen des Ausbaus des ehemaligen Exerzierfeldes zum "Luftverkehrlandeplatz" aufgegeben werden. Die Genossenschaft baute auch im Auftrag der Stadt 1920 die Lohfeldsiedlung auf dem südlichen Teil des ehemaligen Gottesauer Exerzierplatzes in der Oststadt. Die Archi- tekten Pfeifer und Großmann erstellten zu- sammen mit sechs Mitgliedsarchitekten über 70 Reihenhäuser in einfachem Standard. Gartenstadt Grünwinkel Im selben Jahr wie die Hardtwaldsiedlung gründete sich mit Hilfe der Gartenstadt Karls- ruhe die "Gartenvorstadt Grünwinkel GmbH" als Baugenossenschaft und schuf bis 1929 südlich der Alb um den Charlottenplatz her- um 137 Wohnungen in zweigeschossigen Rei- henhäusern. Über hundert weitere Häuser ent- standen in Daxlanden westlich der Aga- thenstraße. 1935 verschmolz die "kleine Schwester" mit der Gartenstadt. Diese ver- größerte ihren ab 1911 erstellten Wohnungs- bestand in Rüppurr zwischen 1919 und 1928 um 330 Unterkünfte. Die siedlungsplanerische Grundlage nach Karl Kohler und Friedrich Ostendorf hatte Max Läuger weiterentwik- kelt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg erfolgten im Weiherfeld die ersten Straßenbauarbeiten zur Erschließung einer neuen Siedlung. Die ersten Häuser dieses später manchmal als 25 Hardlwaldsiedlung (Luftaufnahme von Sadweslen). "BeamtenstadIteil" bezeichneten Wohnquar- tiers wuchsen aber erst Anfang der 20er Jah- re empor. Hier waren es aus Elsaß-Lothrin- gen Vertriebene, die mit ihrer eigenen Sied- lungsgenossenschaft bis 1928 über 90 neue Wohnungen erstellten. Die Parksiedlungsgenossenschafl "Eigen- handbau" begann 1920 mit dem Bau einer Siedlung im Gewann Binsenschlauch an der Hertzstraße. Die Mitglieder stellten selbst Betonhohlsteine her und erbrachten einen ho- hen Anteil an weiteren Eigenleistungen . . Für den Siedlungsbau erfolgten in diesen Jahren einige wenige Auslobungen von Welt- bewerben. Die "Albsiedlung" war 1923 Ge- genstand der ersten Konkurrenz im Siedlungs- wesen nach dem Krieg. Die Beteiligung der Karlsruher Architektenschaft mit 33 Entwür- fen war groß, das umgesetzte Ergebnis be- scheiden. Die Stadt baute und verkaufte im 26 Anschluß daran 30 Wolmungen an der Dax- lander Straße vor allem an Kriegsinvaliden. Die Häuser waren in "Kernbauweise" als "Kleinstwohnungen" mit Zimmer und Küche im Erdgeschoß erstellt worden, um den Er- werbern selbst den Ausbau der Dachgeschosse zu überlassen. Der Dammerstock Der Höhepunkt des Siedlungs- und Woh- nungsbaus in Karlsruhe wurde 1929 durch den Bau von über 220 Wohnungen im Dam- merstock erreicht. Die drei Wohnungsgesell- schaften Hardtwaldsiedlung, Volkswohnung und Heimat errichteten die Geschoßwoh- nungsbauten und Reihenhauszeilen mit ins- gesamt 23 Wohnungstypen innerhalb eines halben Jahres. Das Prinzip dieses Beispiels des "Neuen Bauens" beruhte auf der Nord- Süd ausgerichteten Zeilenbauweise und der Architektur der neu(:tI Sachlichkeit, d. h. ein- fache Baukörpcr mit hellem Anstrich, ohne Ornamente, mit Flachdach und Fensterbändern. Die Wohnungen selbst soUten als "Gebrauchs- wohnungen" fmanziell erschwinglich sein und einen nach funktionalen Gesichtspunl.1en aus- gerichteten Grundriß aufweisen. Dem Bau, der mit einer Bauausstellung flir die Bevölkerung endete, war ein Wettbewerb vorausgegangen. Die Zusanunenstellung des Preisgerichts und die den ortsansässigen Ar- chitekten zugeladenen Auswärtigen ließen schon die von der Stadtverwaltung, hier vor allem vom innovationsfreudigen Baubürger- meister Hermann Schneider, gewünschten Er- gebnisse erwarten. Der Bauhaus-Gründer Wal- ler Gropius gewann den Wettbewerb und wur- de neben einzelnen Bauaufträgen mit der künst- lerischen Oberleitung betraut. Für die Realisie- rung hatte die Stadtverwaltung durch ein neues Finanzierungssystem und die Gründung der ,--------------- "--------- ._--- Grundkonzepl der Dammerslock-Siedlung. "Volkswohnung" als Wolmungsuntemehmen mit städtischer Beteiligung wichtige Grundla- ge:n geschaffe:n. Karlsrube verfiigt neben Berlin und Frankfurt am Main mit deren fortschrittli- chen Wohnsiedlungen aus dieser Zeit über ein international bekanntes Beispiel des Siedlungs- baus der ersten deutschen Republik. 1930 lieferten Karlsruher Architekten im Rahmen des vom Mieter- und Bauverein Karlsruhe durchgeführten Wettbewerbs 68 Planungsvorschläge für die Bebauung des Gottesauer Exerzierfeldes mit insgesamt 2,4 ha. 1927 hatte die Stadt der Baugenossen- schaft zum 30. Jubiläum eine Planung fiir die Bebauung dieses Geländes geschcukt Wie bei diesem Geschenk war bei den Wettbewerbs- ergebnissen die Ausnutzung des Geländes ebenfalls zu niedrig gewesen. So plante das vereinseigene Baubüro den fünfgeschossigen Gottesauer Block mit über 340 Wolmungen, zentraler Waschanlage und sechs Ladenge- schäften. Diese große Wolmanlage ist keine typische Siedlung, stellt aber durch ihre Di- mension und Ausstattung einen bedeutsamen Bei trag dar zur Vermehrung des knappen Wohnraumes in Karlsruhe. Anfang der 30er Jahre begann die Bautätigkeit in der heutigen Weingärtensicdlwlg in Mühlburg mit der Un- terstützung der Kondima-Werke. Die "Stadtrandsiedlung" in Grünwiukel, we- gen illrer Bauweise auch "Holzsicdlllng" ge- nannt, war das letzte Siedlungs projekt wäh- rend der Weimarer Zeit. Das Deutsche Reich stell te damals ein Förderprogramm auf, um Erwerbslosen Wohnstätten zur Verfügung zu stellen. Die sich freiwillig Meldenden mußten sich zur Selbst- und Nachbarschaftshilfe im Gegenwert von 500 RM verpflichten. Die Ko- sten eines Hauses durften einschließlich der Erschließungsaufwendunge:n 3 000 RM nicht überschreiten. Die Gemeinde als Träger der Unternehmung stellte Grundstücke - in Karls- ruhe 800 m2 - in Erbpacht zur Verfiigung. Die Mindcstgräße einer derartigen Siedlung 27 lag wie in Grunwinkel bei 100 Siedlerstellen. Die großen Grundstücke dienten der Selbst- versorgung durch den Anbau von Gemüse und Obst. Um die Kosten niedrig zu halten, mußte die Erschließung einfach sein. Auf Wasseranschluß und Kanalisation wurde ver- zichtet. In Karlsruhe begann die Bautätigkeit im Mai 1932 und endete mit der Fertigstel- lung der 100 freistehenden Häuser in Holz-/ Lehmwickelbauweise im November des sel- ben Jahres. Den Bewohnern standen je Haus eine Wohnküche und zwei Schlafzimmer zur Verfiigung, das Dachgeschoß war ausbau- bar. Ein Kleintierstall war eine Grundlage fUr die Erweiterung der eigenen lebens- mittelversorgung. In jenen Jahren stützte sich der Wohnungs- Die Sladlrandsiedlung in GrUnwinkel. 28 bau neben der Anlage von Siedlungen auch auf die Errichtung von Wohnanlagen inner- halb des Stadtgebietes. Beispiele daftir sind die von Hans Zippelius geplante Blockbe- bauung in der Brahms-lKalliwodastraße An- fang der 20er Jahre, der einige Jahre später errichtete Nordsternblock in Mühlburg von Hans Detlev Rösiger und die 1930 fertigge- stellte Bebauung an der Ebert-, Schnetzler- und K10sestraße beim Hauptbahnhof von Her- mann Reinhard Alker. Die Dammerstock-Siedlung wird in diesem Fruhjahr Gegenstand einer Ausstellung des Badischen Landesmuseum sein. Das sollte Anlaß sein ftir eine stadthistorische Erkun- dung dieses Teils der Stadt und auch der anderen genannten Siedlungen. Harald Ringler . . .5":.:."" . ,' :" . "~, , . - Siedlungen der 50er Jahre in Karlsruhe Städtebau nach dem Krieg Wie nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in den deutschen Großstädten auch nach dem Zweiten Weltkrieg große Wohnungsnot, al- lerdings in noch dramatischerem Umfang als am Anfang der Weimarer Republik. Heimkehrende Soldaten, Flüchtlingsströme und Vertriebene trafen in den oft stark zer- störten Städten ein. So war die Kommunal- politik in dieser Zeit hauptsächlich mit dem Wiederaufbau und - Anfang der 50er Jahre- mit dem Neubau von Siedlungen befaßt. Ei- nige Beispiele in Karlsruhe sollen hier vorge- stellt werden. Die damalige Siedlungsplanung war geprägt vom Zeilenbau innerhalb von Grünflächen. Durchlüftung und Besonnung waren die Kri- terien, wie sie bereits seit den 20er Jahren fur den Wohnungsbau Gültigkeit hatten. Im Ge- gensatz zu den strengen Formen des fort- schrittlichen Städtebaues der damaligen Zeit waren die Wohnzeilen freier angeordnet. Die gegliederte und aufgelockerte Stadt" - so der Titel des 1957 veröffentlichten, aber bereits Anfang der 40er Jahre größtenteils fertigge- stellten Buches von Göderitz, Rainer und Hoffinarm - hat ihre Ursprünge allerdings mehr im Siedlungs bau bei Beginn des Bombenkrie- ges als in der Reformzeit der 20er Jahre. Nordstadt Den 1996 als "Nordstadt" defmierten Stadt- teil prägen die um die Jahrhundertwende - ursprünglich flir das Militär - errichteten Be- hördenbauten nördlich der Moltkestraße, die in den 20er Jahren entstandene Hardtwald- siedlung und die ab 1950 entstandenen Wohn- bauten östlich der Erzbergerstraße. Für die Verteidiger" des Hardtwaldes und Gegner des zwei Jahre zuvor ins Gespräch gebrachten Parkringprojekts" (siehe S. 11) war die Inanspruchnahme des Waldes zwischen dem heutigen Adenauerring und der Erzberger- straße eine bittere Enttäuschung. Anlaß da- flir war die Absicht der amerikanischen Be- satzung, vier Wohnblöcke in einer U-förmigen Bebauung gegenüber dem Flugplatz zu er- richten. Mit dem Bau der "Paul Revere Village" , der ersten Waldstadt in Karlsruhe, begann die in den nächsten Jahrzehnten im- mer stärker werdende Inanspruchnahme des Hardtwaldes. Die kann aber nicht allein den Amerikanern angelastet werden. Denn zeit- gleich startete die Landesbausparkasse in der Moltkestraße ihr Vorhaben mit 120 Eigen- tumswohnungen, di.e ersten ihrer Art in Karls- ruhe, in funf dreigeschossigen ost-west-ge- richteten Zeilen (Planung Architekten Eckart und Platz). Die "Parking-Genossenschaft", getragen von Stadtrat Walter und Architekt Willet!, begann ebenfalls in der nördlichen Fortsetzung mit dem Bau von Wohnzeilen. Der Bebauungsplan, der bereits eine Straßen- bahntrasse in der Erzbergcrstraße enthielt, wurde erst nach Fertigstellung der ersten Ge- bäude Ende 1950 gültig. Die Amerikaner vergrößerten trotz der kri- tischen Stimmen aus der Stadtverwaltung ihre Siedlung weiter in den Wald. Der Siedlungs- grundriß mit dem fur die 50er Jahre typi- schen Zeilenbau orientiert sich vor allem ent- lang dcr Tennessee Avenue nach dem Fächer- grundriß der Gründungsstadt. Die Kirche liegt auf der Achse der Welschneureuter Allee. Über I 200 Wohnungen waren es 1995, als die städtische Wohnungsgesellschaft Volks- wohnung" den größten Teil davon kaufte. Nach der laufenden Phase der Aufstockun- 29 gen, Anbauten, Ergänzungsbauten und der späteren Neubauten wird es hier einen Be- stand von 3 000 Wohnungen geben. Nordweststadt Die Siedlungstätigkeit im heutigen Stadt- teil Nordweststadt nahm ihren Anfang in den 20er Jahren mit dem Projekt der Genossen- schaft "Eigenhandbau" zwischeri Hertzstraße, St. Barbaraweg und Postweg. Aber erst 1951 setzte sich mit der Siemenssiedlung im Ge- wann Binsenschlauch der Siedlungsbau fort, ein tur Karlsruhe und die damalige Zeit be- achtenswerter Beitrag zum Wohnungsbau ei- nes Konzerns. Der Architekt Gaertner plante hier fiir die Baugenossenschaft der Siemens- Werke an der Hertzstraße 18 zweigeschossige Wohnzeilen mit je acht Wohnungen. Je zwei Häuser stehen rechtwinklig zueinander, nach Westen bzw. Süden zur nach Westen offenen Griinfläche orientiert. 1952 entstand der zwei- te Bauabschnitt mit 160 Wohnungen zwi: sehen Dürkheimer- und Germersheimerstraße. In den 60er Jahren schloß sich nach Norden die Bebauung "Lange Richtstatt" an. Die ei- gentliche Binsenschlauchsiedlung - ebenfalls in den 50er Jahren von Donauschwaben er- richtet - liegt nördlich des Madenburgwegs. Die Rennbuckelsiedlung geht auf Planun- gen der Stadt im Jahre 1951 zuriick. Für 4000 Menschen sollten zwischen der Siemens- allee, Neureuter-, Landauer- und Berliner Straße Wohnungen in Reihen-, Ein- und Zwei- familienhäusern entstehen. Ein Drittel des Geländes war in städtischem Eigentum. Die Realisierung erfolgte in zwei Stufen und dau- erte mehr als zwei Jahrzehnte. Dem Ostteil dieses Stadtteils mangelt es an einer städtebaulich eindeutigen Ausformung, was auch aus der Entstehungsgeschichte die- ser "Flugplatz-Siedlung" verständlich wird. Der seit 1924 reguläre Flugplatz hatte wäh- rend des 2. Weltkriegs seine größte Ausdeh- 30 nung erhalten, von der heutigen Erzberger- straße bis zum Postweg bzw. Wilhelm- Hausenstein-Allee als ungefahre westliche, nicht geradlinige Begrenzung, im Süden be- grenzt durch die Hardtwaldsiedlung und die Nancystraße, im Norden durch die Heide- Siedlung. Seit 1952 bemühte sich der dama- lige Oberbürgermeister Klotz um die Freiga- be des von der amerikanischen Besatzung beschlagnahmten Geländes zur Bebauung. 1953 gelang es, eine Fläche von 40 ha zu erhalten. Im Ausgleich dafur wurde den Ame- rikanern Gelände östlich der Erzbergerstraße angeboten. 1955 begann die städtische Volks- wohnung auf der Grundlage einer unverbind- lichen Gesamtplanung für das gesamte Flugplatzgelände mit dem Bau von sechs Wohngebäuden mit insgesamt 112 Wohnun- gen zwischen der heutigen August-Bebel- und Ludwig-Windthorststraße. Das Stadtpla- nungsamt haUe ein Jahr zuvor dieses Kon- zept fUr einen neuen Stadtteil mit 25 000 Menschen ausgearbeitet. Da die ersten Sied- lungsteile auf dieses Gesanltkonzept ausge- richtet gewesen waren, der östliche Gelände- teil wegen der späteren militärischen Flug- platznutzung aber nicht freigegeben wurde, verlor der Gesamtplan an Bedeutung. Teile des vorgesehenen Erschließungssystems wie die Verbindung von der Wilhelm-Hausen- stein-Allee zur Knielinger-Allee konnten we- gen des Sportgeländes der französischen Streitkräfte nicht realisiert werden. In den darauf folgenden Jahren wurden Teilbebau- ungskonzcpte stückweise" aneinandergesetzt. Durchfahrt man diesen Teil der Nordwest- stadt von Süden nach Norden, so zeigen sich die zur jeweiligen Entstehungszeit gängigen Siedlungstypen vom Zeilenbau der 50er Jah- re bis zum verdichteten Eigenheimbau der 80er Jahre. In Mühlburg entstand zwischen 1953 und 1957 eine Wohnsiedlung im Rahmen einer Gesamtplanung flir den gesamten Stadtteil. Im Oktober 1952 legte das Stadtplanungsamt einen Bericht zur Neuordnung der Verkehrs- flihrung in den westlichen Stadtteilen und zur Aufstellung der neuen Bebauungspläne flir Mühlburg vor. Die Verbesserung der Ver- kehrsverhältnisse stand als vordringliches Ziel der Neuplanung von Mühlburg an. Die von der Innenstadt kommende breite Kaiserallee als damals wichtigste Ost-West-Verbindung hatte den engen Querschnitt der alten Rhein- straße als Fortsetzung. Sie sollte deshalb auf Bebauungsplan Binsenschimich mit der Siemenssiedlung in der Nordweslsladl. 31 39 m verbreitert werden, was das erste, bis Anfang der 60er Jahre dauernde Sanierungs- projekt Karlsrulles zur Folge hatte. Bereits Anfang der 40er Jahre hatte das Stadtpla- nungsamt größere Eingriffe im Zuge des ge- planten Ausbaus der Ost-West-Achse flir die "Gauhauptstadt"-Planung angedacht. Die Verlängerung der Weinbrennerstraße zum Entenfang war als Verbindung der Kriegsstraße mit dem Westen der Stadt ge- dacht. Die Ebertstraße sollte die Verbindung in Richtung Bahnhofherstellen und hätte nach Westen die Fortsetzung mit der umzubauen- den Lameystraße gefunden. Damit war der Vorläufer der späteren Südtangente im We- sten konzipiert. Dem Entenfang kam dadurch eine ungeheure Bedeutung als Verkehrsknoten zu. Nach dem Bebauungskonzept Mühlburg- Ost war westlich davon eine Hochhausgruppe als architektonischer Akzent" und Auftakt flir das neue Wohngebiet" gedacht. Hier ent- stand dann auch 1954 das erste Hochhaus in Karlsrulle (Entwurf Architektengemeinschaft Backhaus und Brosinsky, Lauer, Schloms), die nächsten folgten 1955und 1969. Die Neu- ordnung des Verkehrs betraf auch dessen Fort- flihrung nach Süden über eine neu zu trassie- rende Vogesenstraße. Die Ebertstraße exi- stiert heute in Mühlburg nicht mehr, die Straßenbahntrasse markiert ihren früheren Verlauf. Die Weinbrennerstraße erfüllt inzwi- schen nur noch die Funktion einer Sammelstraße flir die Wohnsiedlung Mühlburger Feld. Dieses südlich der St. Peter-und-Pauls-Kir- ehe liegende Areal zwischen der Sophien- straße, Wiehernstraße, Entenfang und ehe- maliger Ebertstraße war schon seit Jahrhun- dertbeginn Gegenstand von planerischen Überlegungen gewesen. Das ca. 19 ha große Gelände, das sich etwa zur Hälfte in städti- schem EigentunI befand, war aber auch nach dem Krieg noch nicht erschlossen und wurde als Kleingartengelände genutzt. 1m Januar 1953 beschloß der Gemeinderat die Bebau- ung des Mühlburger Feldes. Das Bebauungs- plankonzept enthielt bereits die wichtigsten planerischen Vorgaben und Ziele, welche die heute so selbstverständlich anmutende Er- scheinung dieser Nachkriegssiedlung prägen: offene drei- bis ftinfgeschossige Zeilenbau- weise mit überwiegender Nord-Süd-Ausrich- tung und dazwischen liegenden 30 m breiten Mühlburger Feld mit der inzwischen rückgebauten Ebertstraße. 32 Grünflächen. Ein öffentlicher Grünzug von der St-Peter-und-Paulskirche nach Süden zur neuen Grundschule bildet die Siedlungsmitte. Von den 32 Teilnelunern des im März dessel- ben Jahres abgeschlossenen Architekten- wettbewerbs errangen Alfred Gärtner, M. Meffer und Erich Rossmann sowie von Nor- den die ersten drei Preise. l'T, ch dem Ein- spruch des Bundes Deutscher Architekten mußten die eigentlichen ersten Preisträger Hans W. Jung und Ralph W. Becker als nichtteilnaluneberechtigt ausgeschlossen wer- den. Vor der endgültigen Rechtskraft des über- arbeiteten Bebauungsplans Ende 1954 waren die meisten Gebäude bereits errichtet. Inner- halb von zweieinhalb Monaten wurden 42 Wohnhäuser im Rohbau fertiggestellt. Die stadteigene Volkswohnung baute insgesamt über 1300 Wohnungen, davon über 900 Woh- nungen in fiinfgeschossigen, bis zu 80 m lan- gen Zeilen. 97 % des Wohnungsbestandes sind Zwei- bzw. Drei-Zimmerwohnungen. War die Siedlung 1952 noch fiir 4000 bis 5 000 Einwohner vorgesehen, so leben heute in den zwischen 1987 bis 1992 modernisier- ten Wohnungen um die 2 500 Menschen. Waldstadt --- Der auch nach dem Beginn einiger Sied- lungsprojekte wie Mühlburger Feld, Rint- heimer Feld und Flugplatzbebauung vorhan- dene starke Wohnungsmangelließ die Stadt- verwaltung nach weiteren Flächen suchen. Wie schon Jahre vorher bekam die Inan- spruchnalune des Hardtwalds wieder Aktua- lität. Wegen der Dringlichkeit des Wohnungs- baues war das Grundstückseigentum in einer (öffentlichen) Hand von großer Bedeutung. Die im Ralunen eines Gutachtens zur Neu- ordnung von Karlsruhe von Prof. O. E. Schweizer 1944 formulierte Idee bandformi- ger Siedlungen entlang des Hardtwaldes mag Waldstadt-Plan desStadtplanungsamtes (1955). auch noch bei der Flächenwahl Pate gestan- den haben. Als der damalige OB Klotz dem Stadtrat am 11. Januar 1955 eine Vorlage über den Bau einer Nordoststadt fiir 35 000 Einwohner im Hardtwald westlich von Hags- feld vorlegte, war der frühere erbitterte Wi- derstand gegen eine Hardtwaldbebauung ver- siegt. Die Gegenleistung bestand in der Zu- sage der UnterschutzsteIlung des übrigen Hardtwaldes. Um die erforderliche Überga- be der Fläche durch das Land zu beschleuni- gen, erstellte das Stadtplanungsamt ein Kon- zept mit einer Einwohnerkapazität von 25 000 Einwohnern, wurde eine Broschüre Karlsru- he ohne Baugelände in Umlauf gebracht und eine Offensive im Landtag initiiert. Der Er- folg blieb nicht aus. Die Stadt konnte nun weiter planen, mußte aber auf Druck der Architektenschaft und einiger Gemeinderäte einen Wettbewerb zu Siedlungsplanung aus- loben (August 1956). Die Preisträger hielten 33 sich in den Grundzügen an den städtischen Entwurf mit dem bereits dort angedachten typischen stichförmigen Erschliessungssy- stem, welches das Grundgerüst fur die Glie- derung der einzelnen Wohnbezirke bildete. Den ersten Preis errang Karl Selg aus Bonn, später Professor an der TH Karlsruhe. Die von Klotz 1954 geäußerte Idee von Hoch- häusern an den Schnittpunkten der vom Schloß nach Norden verlaufenden Radialen mit dem heutigen Adenauerring mußte Selg bei der Überarbeitung auf die Einmündungsbereiche der Waidstadtstraßen übertragen. Beim er- sten Spatenstich 1957 lagen die neuen Planungsdaten vor: 15 000 Einwohner auf 225 ha Gesamtfläche, davon 150 ha im Wald- bereich. 1959 lebten bereits über eintausend Menschen in diesem Stadtteil, der rasch weiterwuchs. 1970 wurde mit 13 700 Ein- wohnern der Höchststand erreicht. Mit der weiteren Ausdehnung entstand die Vielfaltigkeit der Bauformen, die die Wald- stadt von anderen Großsiedlungen wohltuend unterscheidet: zeilenförmiger Geschoßwoh- nungsbau, punktförmige Hochhäuser, Einfa- milienhäuser, Winkelreihenhäuser, Sonderfor- men wie die Radhäuser in der Breslauerstraße. 1967 präsentierte sich in der Feldlage das Eichbäumle als Mustersiedlung des verdich- teten Flachbaus. Die Waldstadt ist ein auch heute noch vorzeigbares Demonstrativvor- haben des Siedlungsbaues der damaligen Zeit. Die gegliederte und aufgelockerte Stadt mit ihren - hier etwas zu lang geratenen - Nach- barschaften und der Trennung des Fahr- und Fußgängerverkehrs ließ aber bereits verdich- tete Wohnfonnen zu und bildet so den Über- gang in die nächste Dekade. Ein 1974 juriertes Planungsgutachten zur Entwicklung der Waldstadt-Feldlage fuhrte zur Beaufuagung der Berliner Büros Schmock- Volkenborn ftir die Ausarbeitung eines Be- bauungsplans. Inzwischen ist auch dieser Teil der Nordoststadt fertiggesteUt. In der gesam- ten Waldstadt wohnen heute an die 12 500 Einwohner. Harald Ringler Vom Hof jagdrevier zum Parkwald Zur Geschichte des Fasanengartens Bevor Markgraf Karl Wilhelm 1715 sein neues Schloß in den Hardtwald baute, hatte er zuvor als begeisterter Jäger ein Revier von etwa 100 Hektar Wald einzäunen lassen, um einen Fasanengarten sowie einen Wildpark anzulegen. Das entsprach den damaligen Repräsentationsfonnen der Fürstenhäuser. Eine französische Anlage bei Lilie diente dazu als Vorbild. Vor 280 Jahren wurde dann 1714 auf einer Waldlichtung, der Bocks- blöße, ein kleines Jagdhaus errichtet, und verschiedenartige Tiere wurden aus dem ganzen Land herbeigeschaffi. Mittlerweile war auch Wald gerodet worden, um Platz fur 34 das neue Residenzschloß zu schaffen, und erste Alleen durchzogen den ehemals ge- schlossenen Hardtwald, letztlich um das Jagdrevier zu erschließen. In der Anfangszeit war der Fasanengarten in zwei Bereiche aufgeteilt: der westliche Teil, angrenzend an das Schloß, war im französischen Gartenstil gestaltet, während der östliche Teil der Fasanenzucht diente, betreut durch einen Fasanenmeister, ein Beruf, der von Generation zu Generation vererbt wurde. Die notwendigen Gebäude fur die Fasanenzucht lagen alle um die Bocks- blöße. Auch die heute noch vorhandenen chinesischen Teehäuschen entstanden ur- splÜnglich als Feldhühnerhäuschen "a la Chinoise", einer modischen Bauform des 18. Jahrhunderts. Zunächst umgab ein Holzzaun, später eine drei Meter hohe S?ndsteinrnauer den Fasanengarten, die man hellte zum Teil noch sehen kann. Nachdem das ursprungliehe Jagdhaus recht bald baufallig geworden war, weil zu frisches Holz verwendet wurde, ließ Markgraf Karl Friedrich 1765 ein zweistöckiges Jagdhaus mit chinesischem Dach und figurierter Fassade errichten, und zwar vom gleichen Baumeister, Friedrich von KeßIau, der das Residenzschloß gebaut hat. Der Markgraf fand an diesem Bauwerk so sehr Gefallen, daß er es schon bald als Jagd- und Lustschloß ausbauen ließ und die Fasanen in andere, neu errichtete Gebäude umziehen mußten. Der neue Park nach englischem Muster ".,· ..... ·.·.·.·.·,....· ... WhW .. ww.v ............... vNoMW.'N""W .w .·.·.·.w.·N'oY.Y.N'o"""'.·.· ••..•.••..•.. , ............. ,... ... '" Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Park nach dem Vorbild englischer Parkanlagen umgestaltet, viele ausländische Baum- und Straucharten wurden damals vor allem im Bereich der Bocksblöße gepflanzt. Dieser Umgestaltung war ein verheerender Sturm vorausgegangen, der sehr viele Bäume vernichtet hatte. Auch eine Lärchenallee, die über die Bocksblöße fuhrte, fiel dem Unwetter damals zum Opfer. Parallel zu dieser Umgestaltung wurde der Tiergarten wesentlich erweitert. Insbesonde- re zwischen 1780 und 1790 wurden diese Pflanzungen unter Gartenbauinspektor Schweykert fortgesetzt. Großen Wert legte er auf Perspektiven, Farbunterschiede sowie Licht- und Schattenwechsel. Gleichzeitig legte man im nördlichen Teil noch einen besonderen Tiergarten mit Rehen, Hirschen und ausländischen Tierarten an. Biber fanden Platz in der "Biberburg" , die noch heute Das ehemalige Lllst- Imd JagdschWßchen. hellte Staatliche Forstschule. 35 diesen Namen trägt. Wie viele Projekte, scheiterte auch die Fasanerie und der Wildpark letztlich an den hohen Kosten. Im Jahre 1866 wurde sie deshalb aufgelöst. Der Parkwald wurde nun zum Ort der Erholung und Entspannung fiir die Großherzogliehe Familie. Das Schlößchen wurde als Prinzenschule und fiir kleine Gesellschaften ausgewählter Gäste genutzt. Wir wissen aus Berichten, daß sich die großherzogliche Familie bevorzugt im F asanen- garten aufgehalten hat. Diese Verbundenheit zeigt sich auch darin, daß im Jahre 1896 die großherzog liehe Grabkapelle im gotischen Stil im Fasanengarten vollendet wurde. Mehrfach wurde von den Markgrafen der Versuch unternommen, den Park fur die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach überlieferten Berichten führte dies jedoch zu sehr häufigen Zerstörungen. Erst unter Großherzog Leo- pold wurde um 1840 der Zutritt zumindest zeitweise gestattet, endgültig fiir die Öffent- lichkeit zugänglich erst 1918, nachdem in der Nacht vom 11. auf 12. November der Fluchtweg des letzten Großherzogs durch den Fasanengarten geführt hiltte. Entwicklung zum Parkwald . ·.·.w.·~_~" Insgesamt ist der einstige Fasanengarten von 110 Hektar auf heute 46 Hektar geschrumpft: neben der Dragonerkaseme (1803), der Reitschule (1843) und den Stallungen (1868), der Bürgerschule (1871) und dem Realgymna- sium (1873) hat die Anlage des Durlacher- Tor-Platzes sowie der Wohnbebauung und schließlich die Ausweitung der Uruversität den Umfang gemindert. Mit einer WaIdum- wandlung von ca. einem Hektar Fläche fiir ein Umweltforschungsinstitut soll jetzt ein end- gültiger Schlußpunkt gesetzt sein. Die zusammenhängende Waldfläche bildet näm- lich eine Frischluftschneise ftir die innen- stadt. Gerade in den schwülen Sommennona- 36 ten wirkt sich der Wald durch semen Temperaturausgleich sehr positiv auf das Lokalklima aus. Messungen zeigen, daß sich an Sommertagen Temperaturunterschiede von sechs Grad zwischen Wald und Stadtbereich ergeben. Seit 1923 wurde der Fasanengarten als Parkwald von der badischen, später von der badenwürttembergischen Landesforstverwal- tung betreut. 1967 war der Fasanengarten in die Bundesgartenschau einbezogen und mit vielen Einrichtungen ftir Spiel, Sport und Erholung versehen worden, die zum größten Teil wieder abgebaut wurden. Im Vorder- grund steht heute der Erholungsnutzen ftir die Karlsruher Stadtbevölkerung, aber auch fiir den Naturschutz ist der Parkwald wichtig. So bilden z. B. die über 300jährigen Eichen hochwertige Lebensräume fiir viele verschie- dene Insektenarten, darunter gefahrdete Arten wie den Hirschkäfer und den Eichenbock. Auch botanische Besonderheiten sind vertre- ten, und die Baumartenvielfalt ist erstaunlich hoch. Allein um die Bocksblöße wachsen über 40 verschiedene einheimische und ausländische Bäume, die besonders im Herbst mit der unterschiedlichen Laubfarbung ein- drucksvolle Landschaftsbilder ergeben. Da- mit diese \vichtigen Funktionen auch künftig erfullt werden können, muß intensive Pflegearbeit geleistet werden. Dennoch soll der Park 'wald Fasanengarten im Gegensatz zum anschließenden Schloßgarten echten Waldcharakter behalten. Ziel der vom Staatlichen Forstamt Karlsruhe durchgefuhr- ten Maßnahmen ist die Erhaltung und Förderung der Baumartenvielfalt. Dies erfor- dert aber auch behutsame und kleinflächige VeJjüngung überalterter Bestände sowie Pflegedurchforstungen, verbunden mit Baum- rallungen. Denn gerade große freistehende Baumexemplare benötigen viel Platz zum Wachsen, so daß daz\vischen konkurrierende Bäume entnommen werden müssen. Das ehemalige Jagdschlößchen dient seit 1926 als Forstschule und stellt bis heute eines der forstlichen Aus- und Fortbildungszentren der Landesforstverwaltung Baden-Würtlem- berg dar. Ulrich Kinzier Wiedereröffnung eines "Musentempels" Zur Sanierung des Konzerthauses Wenn im August 1994 das Konzerthaus saniert und renoviert wieder nutzbar gemacht wird, sind 90 Jahre seit dem ersten Auftrag an die Architekten Robert Curjel und Karl Moser vergangen. 1906 hatten dann der Stadtrat und OB SchnetzIer beschlossen, einen Entwurf "für ein Ausstellungsgebäude mit Nebengebäuden, ein Theater mit Konzert- saal samt Verbindungsbau zum Anschluß an die Stadtgartenrestauration" anzufordern, die später der Direktor der Akademie der Bildenden Künste G. Schönleber "für hervorragend glücklich und schön" beurteil- te, entsprach er doch dem Bedürfuis, "einen wesentlichen Faktor zur Weiterentwicklung hiesiger Kunsttätigkeit aller Art" darzustel- len. Man orientierte sich am Mannheimer Rosengartensaal, der zwar architektonisch gelungen, aber weniger zweckmäßig er- schien, weil zu lang und ohne ansteigenden Boden fur die hinteren Plätze. Der Raum sollte im Winter als Konzerthaus, im Sommer als Theater dienen, ein geräumiges Foyer bieten sowie eine Hoftoge "mit eigener Treppe". Den Preis schätzte man auf 1.034.500 Mark laut RatsprotokOll vom 15. März 1906. Da zunächst die alten Bahnanlagen am Festplatz verlegt werden mußten, kam es 1913 zum ersten Spatenstich, und damit wurden die Bauarbeiten bald vom Ersten Weltkrieg überschattet. Am 8. Dezember 1915 weihte die großherzogliehe Familie mit zahlreichen Gästen den Bau anläßlich des 200jährigen Stadt jubiläums ein, freilich in eher gedrückter Stimmung. "Unter schwieri- gen Verhältnissen", heißt es in der Chronik von 1915, "mit immer kleiner werdender Arbeiterzah\ mußte der Bau zu Ende geführt werden. In schwerer Zeit errichtet, mag er für alle Zeiten ein Beweis des unerschütterlichen Vertrauens in den Sieg Deutschlands sein, das allein den Mut geben konnte, die Bauarbeiten fortzufahren, im festen Glauben an die große Zukunft unseres Vaterlandes und damit auch der Haupt-und Residenzstadt Karlstuhe." Die Ausstellungshallen waren nicht fertig- geworden und wurden später gleich vom Militär für Kriegszwecke beschlagnahmt, so wie das Theater als Lazarett diente . . Die Architekten Curjel und Moser zählten um die Jahrhundertwende zur Karlstuher Jugendstilarchitektur, und das Bild zeigt, wie das Konzerthaus in diesem Baustil errichtet worden wäre. Um 1910 hielt man sich jedoch an den gängigen neoklassizistischen Trend, baute die Ausstellungshallen nach Schinkels Vorbild (Ntes Museum neben dem Berliner Dom), und als Erinnerung an Friedrich Weinbrenners evangelische Stadtkirehe er- hielt auch das Konzerthaus einen klassizisti- schen Portikus, dessen Giebel ein Relief von Karl Albiker schmückte. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte mancher Karlsruher in dem hier eingerichteten Kino " Capitol" die An- fänge des Fihns. Während des Zweiten Welt- kriegs wurde der Bau mehrfach durch Bomben beschädigt, dem auch der Portik'Us 37 ~~= .. _ ... Entwurf eines Theaterprojekts J 906 im Jugendstil. zum Opfer fieL Noch 1943 versuchte man mit dem einfachen Wiederaufbau ohne Rekon- struktion das Haus zu nutzen. Ab 1945 konnte es darum als Ersatzspielstätte fiir das Badische Staatstheater dienen, dessen Bau am Schloß ausgebrannt war. Man erinnert sich an manche großartige Inszenierung, die in diesen 30 Jahren hier stattfand. 1975 nahm die Karlsruher Kongreß- und Ausstellungs GmbH das Konzerthaus in Besitz, das mit zahlreichen Veranstaltungen nicht weniger genutzt wurde. So erschien bald eine Renovierung ü berfallig, zumal die Kriegsfolgen nur notdürftig behoben worden waren und Sicherheitseinrichtungen wie Haustechnik völlig überaltert und nicht mehr den neuen Vorschriften entsprachen. 1982/83 begann zur Zeit des Stadthallenbaus das Gespräch über eine Großrenovation, zumal das Denkmalamt Ansprüche an den histori- schen Bau stellte. 1991 beschloß der Gemeinderat die Sanierung mit einem Kosten- 38 rahmen von 30 Millionen Mark, der auch eingehalten wird. Allein die Hälfte dieser Sunune kostet die neue technische Ausstat- tung, die der multifunktionalen Nutzung als Konzerthaus, Spielstätte fiir Gastspieltheater und Vortragssaal entsprechen muß. Mit 988 Plätzen wird der große Saal nicht weniger Besuchern Raum bieten als im Eröffnungs- jahr 1915. Der kleine Saal mit 200 Plätzen im Obergeschoß dient als Tagungssaal, dem sich 6 Konferenz- und Seminarräume anschließen. Die einstmals schräg verlaufenden Seiten- foyers im Erdgeschoß sind begradigt und etwas tiefer gelegt worden. Sie münden ins Hauptfoyer, das nach seiner Renovierung mit den noch erhaltenen großen, goldgerahmten Spiegeln und gerundeten Seitenwänden eine repräsentative Ambience fiir vielerlei Anläs- se geben kann. Im Theatersaal sind die im Rang befmdli- ehen Stützen wieder freigelegt worden, und die Decke wurde in ihrer ursprünglichen Fonn als Kassettendecke umgebildet, hatte man doch bisher schon die Akustik dieses Raumes gepriesen. Die Architekten Rupprecht u. Partner, Karlsruhe, naluuen sich auch des neuen Portikus an: 10 Säulen, je 8 Meter hoch, aus 17 Tonnen Beton geschält, darauf3 ,5 Tonnen schwere Kapitelle, 1,5 Meter hoch. Architrav und aufmontierte Rosetten setzen den originalgetreu nachempfundenen Bauentwurf fort. Bleibt noch die Frage offen, wie die Stimfläche ausgeftillt werden wird, die einst Karl Albiker gestaltet hat. Leonhard Maller Geschichte der Karlsruher Straßenbahn Als im Oktober des letzten Jahres der Stadtbahntunnel von den Karlsruher Bürgern abgelehnt wurde, war das nicht die erste Ent- scheidung großer Tragweite ftir die Zukunft der Karlsruher Straßenbahn. In der Geschichte der Straßenbahn gab es eine Vielzahl solcher Entscheidungen, die ftir den späteren Ausbau des Karlsruher Nahverkehrsnetzes von höch- ster Bedeutung waren, und auch damals wuß- te man selten, welche Perspektiven sich mit der jeweiligen Entscheidung eröffneten. ~~~~.Amc:~~er !~~~o~.~:'~~C:~~!.Lmm Mitte des 18. Jahrhunderts war von einem öffentlichen Personennahverkehr in den Me- tropolen der Welt nicht viel zu spüren. Aber als 1852 die erste Pferdebahn in New York ihren Betrieb aufualuu, dauerte es nicht lan- ge, bis auch diese Welle Europa erreichte. Siebzehn Jahre später erhielt dann auch der Amerikaner Louis Welles BroadweIl die Kon- zession ftir den Bau und Betrieb einer Pfer- debahn von Durlach nach Mühlburg. Hier beginnt die Geschichte der Straßenbahn in Karlsruhe. Bmadwell selber hatte allerdings kein Geld, um ein solches Vorhaben in Gang zu setzen. Der deutsch-französische Krieg Anfang der siebziger Jahre kam dem verschuldeten Ame- rikaner gerade recht, da dieser Krieg die Bau- vorhaben stoppte. Broadwell selbst nutzte die Gunst der Stunde und verschwand. Über sei- nen Verbleib gibt eS bis heute nur Spekula- tionen. Nach den Kriegswirren fand 1874 eine öffentliche Ausschreibung ftir eine Pfer- debahn statt. Der Zuschlag ging an den Bre- mer Karl Westenfeld. Für ihn stand damals schon fest, daß seine Bahn auf Regelspur- gleisen fahren sollte. Wie sich heute heraus- stellt, war dies eine weise Entscheidung. Am 21. Januar 1877 nahm schließlich die erste Pferdebahn ihren Betrieb auf. Westenfeld mußte sich das notwendige Material, wie pfer- de und auch Wagen, zu Beginn leihen, da der plarunäßige Betriebsstart erst ftir den 1. Mai angesetzt war. Die Strecke ftihrte vom Dur- lacher zum Mühlburger Tor und vom Markt- platz zum damaligen Bahnhof an der Kriegs- straße. Vier Jahre später, am 21. September 1880, gab es einen Eigentümerwechsel, und der neue Eigentümer Emmerich gründete die "Vereinigte Karlsruher, Mühlburger imd Dur- lacher Pferde- und Dampfbahngesellschaft". 1881 ging die erste Dampfbahn zwischen dem Durlacher Tor und Durlach in Betrieb. Pferde und Dampfrösser teilten sich damals ein gemeinsames Depot. In der ersten Hälfte der 90er Jahre kaufte die AEG die Gesell- schaft, und von nun an standen die Zeichen auf Strom. Man bekam dann auch relativ schnell die Konzession ftir den Bau und Be- trieb einer elektrischen Straßenbahn, aller- dings mußte im Bereich der Innenstadt aus 39 ästhetischen Gründen auf eine Elektrifizie- rung verzichtet werden. Die Versorgung die- ses Bereiches übernahmen Akkumulator- Triebwagen, die während der Wendezeiten an den Endhaltepunkten über die Oberleitung Energie "tankten". Die Nachteile dieses Sy- stems wurden schnell erkannt, und wenig spä- ter wurden auch die Gleise im Innenstadt- bereich mit einem Fahrdraht überspannt. Da- mit war das erste komplett elektrifizierte Stra- ßenbahnnetz in Karlsruhe fertiggestellt. 1899 wurde das noch heute benutzte Depot an der Tullastraße gebaut. Nur ein Jahr spä- ter schlug dann die letzte Stunde fur die Pfer- debahn. Am 19. März zog die legendäre Stu- te "Minna", bunt geschmückt, den letzten Pferdebahnzug voll Stolz durch die Karlsru- her Innenstadt. Kontinuierlicher Ausbau In den ersten drei Jahren seit Gründung wurde das Streckennetz kontinuierlich erwei- tert. 1903 übernahm die Stadt die Gesell- schaft fur fast 6 Millionen Goldmark. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte man den neuen Karlsruher Hauptbahn- hof an der südlichen Peripherie der Stadt fer- tigstellen, wodurch eine neue Gleisentwick- lung in Richtung Süden notwendig wurde. Bisher gab es eine Konzentration in der Ost- West-Achse, da kein Grund vorlag, aufgrund der Stadtentwicklung die Streckenfuhrung in nord-südlicher Richtung massivauszudehnen. Der Erste Weltkrieg stoppte zunächst den Ausbau des Karlsruher Straßenbahnnetzes. Als ein weiteres Hindernis einer kontinuierli- chen und erfolgreichen Weiterentwicklung der Straßenbahn wurde die Lokalbahn angese- hen, da deren Gleise teilweise parallel zu der Straßenbahn verliefen und oft den Raum nah- men, der zum weiteren Ausbau nötig war. 1915 konnte die Stadt Karlsruhe die Lokal- bahn nach schwierigen Verhandlungen fur 1,9 Millionen Mark übernehmen, um damit ungestört den Ausbau der Straßenbahn voran Die Pferdebahn auf der Fahrt durch Alt-MUh/burg. 40 zu treiben. Die Lokalbahn wurde daraufhin schrittweise von der Stadt stillgelegt. Ein wei- terer wichtiger Einschnitt war die Heraus- nahme der Albtalbahn aus dem Innenstadt- bereich. Der Endpunkt der damaligen schmal- spurigen Bahn aus dem Albtal wurde nun- mehr vom Ettlinger Tor an den neuen AlbtaI- bahnhof verlegt. An eine Verknüpfung mit dem innerstädtischen Straßenbahrmetz wur- de schon kurz nach der Inbetriebnahme ge- dacht, da es für den Fahrgast einer mühsa- men Prozedur gleichkam, in eine Straßen- bahn umzusteigen, die ihn in die Innenstadt bringen mußte. Eine Verknüpfung war aller- dings auf grund der unterschiedlichen Spur- breiten zum damaligen Zeitpunkt undenkbar. Während des Ersten Weltkriegs dienten die Gleise und Wagen der Straßenbahn nicht nur zur Fahrgastbeförderung; während dieser Zeit wurden auch Güter auf der Schiene transpor- tiert. Die Angebotspalette reichte von Milch, Gas und Koks über Müll bis hin zu Baumate- rialien. Durch die dem Krieg folgende Infla- tion kostete ein Fahrschein zur einfachen Fahrt in der kleinsten Zone 1923 ungefahr 500 Mil- liarden Mark. In den 20er und 30er Jahren- nach der Inflation - wurde das Streckennetz enorm vergrößert, zum Beispiel sollte die Trasse nach Knielingen bis zum Rhein ver- längert werden. In den zwanziger Jahren kam es zu einem "Machtkampf' zwischen der Stadt und dem damaligen Betreiber der Albtalbahn, der Ba- dischen Landeseisenbahn AG (BLEAG). Die Stadt forderte einen IO-Minuten-Takt zwi- schen dem Albtalbahnhof und Rüppurr. Die BLEAG aber verweigerte sich dieser Forde- rung, was zur Folge hatte, daß die Stadt mit Bussen den geforderten Takt einrichtete. Die Nachwirkungen waren für die BLEAG ge- waltig. Sie ging durch den Buseinsatz der Stadt, aber auch wegen anderer Gründe als Gesellschaft insgesamt 1932 bankrott; die Albtalbahn wurde daraufhin von der DEBG übernommen. Diese fligte sich den Takt- forderungen der Stadt. Die Nachkriegszeit als Neubeginn "'_~ __ ~_"""""""'_««<QX««-»'_"",*"X_ Der Zweite Weltkrieg brachte Leid und Zerstörung über die Stadt; auch die Straßen- bahn war davon betroffen. Dies bedeutete praktisch einen kompletten Neuaufbau, nicht nur in Karlsruhe. Während in vielen deut- schen Städten die vorher so populäre Tram einfach nicht mehr aufgebaut und der Nah- verkehr von den vermeintlich flexibleren Omnibussen überqommen wurde, entschied man sich in Karlsruhe für einen kontinuierli- chen Auf- und Ausbau des Straßenbahrmet- zes. Karlsruhe wurde in der Nachkriegszeit deshalb von anderen Städten eher belächelt, aber der Bau der Retortensiedlung Waldstadt mit sofortiger Straßenbahnanbindung galt schnell als Paradebeispiel fur einen guten Nahverkehr. Doch ·es gab auch in Karlsruhe nicht nur Befürworter fur einen schienen- bezogenen Nahverkehr. Gutachten wurden erstellt, in denen die Gegner nachweisen woll- ten, daß der Bus das flexiblere und kosten- günstigere Verkehrsmittel fur den Nahver- kehr sei. Aber die Verantwortlichen erkann- ten schnell, daß die Straßenbahn gegenüber dem Omnibus Vorteile mit sich bringt. Um diese Vorteile auszuschöpfen, mußte ein ge- eignetes Konzept entwickelt werden. Die Hauptstrategie lag vor allem darin, daß die Bahn soweit wie möglich auf eigenem Gleis- körper fahren sollte, um nicht durch den mo- torisierten Individualverkehr behindert zu werden. Damit war die Tram dem Bus weit überlegen. Hauptverantwortlicher zu dieser Zeit war Oberbürgermeister Günther Klotz, dem wir die Grundlage für den heutigen Erfolg zu verdanken haben. Er, bekennender Straßen- bahn-Fan, ließ kurzerhand Gutachten in sei- ner Schreibtischschublade versch\vinden, die 41 sich gegen die Bahn aussprachen. Klotz er- kannte auch die Möglichkeiten einer Anbin- dung der Region an die Stadt. Durch den Kauf der Albtalbahn 1957, deren schrittwei- se Umspurung von Schmalspur in Regelspur und die Beseitigung des Verkehrsbruches am Albtalbahnhof wurden in Karlsruhe die mei- sten Skeptiker, getragen von dem Erfolg die- ser Maßnahmen, eines Besseren belehrt. Von nun an konnte in Karlsruhe der Ausbau des Nahverkehrs auf der Schiene in allen Rich- tungen vorangetrieben werden. 1958 fuhren die Bahnen dann, anfangs in einem 20-Minuten-Takt, direkt von der Karls- ruher Innenstadt nach Ettlingen. Es dauerte nicht lange, bis die Strecke nach Bad Herren- alb ebenfalls von Straßenbahnwagen befah- ren werden konnte. Die Umspurung der Glei- se bis Langensteinbach und der Neubau der Strecke bis Ittersbach rundeten den ersten Ausbau ab. Aber der Bau von umsteigefreien Strecken in das Karlsruher Umland war und ist noch lange nicht vollendet. Es kamen ab den 80er Jahren Leopoldshafen, Hochstetten und der Bau der Rheinbahn nach Rheinstetten dazu. Das Meisterstück gelang den Verkehrs- betrieben allerdings mit der Verknüpfung der beiden Systeme Straßenbahn und Bundes- bahn. Den intensiven Versuchen folgte die Eröffnung der Strecke von Karlsruhe nach Bretten. Diese, von der OB zuvor stiefmüt- terlich behandelte und von den Fahrgästen nur wenig akzeptierte Nebenstrecke, entwik- kelte sich mit Fahrgastzuwächsen von über 400 % zu einem Vorbild flir erfolgreichen öffentlichen Personennahverkehr in Deutsch- land, Europa und der Welt. Die Beflirchtun- 42 gen der Brettener Kaufleute vor einer Flucht nach Karlsruhe war völlig unbegründet. Die- ses Beispiel machte Schule, neue Verbindun- gen wurden gebaut. Aber auch die Anschaf- fung modernster Fahrzeuge sorgt fUr einen ungebremsten Fahrgastzuwachs. Trotz des Scheitems der U-Strab wird es in Karlsruhe keinen Stillstand in der Entwick- lung des Nahverkehrs geben. Neue Strecken sind im Bau und werden 1997 teilweise schon in Betrieb genommen. In der Planung sind Neubaustrecken in die Nordweststadt und nach Aue-Wolfartsweier. Ab dem Fahrplan- wechsel im Mai 1997 wird man umsteigefrei von PflßZtal zum Karlsruher Marktplatz fah- ren können. Ebenso wird ab Mai das Umstei- gen in Bretten ein Ende haben, wenn man weiter nach Eppingen fahren möchte. Mit der durchgehenden Elektrifizierung fahrt der Stadtbahnwagen von nun an von Baden-Ba- den durch die Innenstadt nach Eppingen, teil- weise sogar mit einem Bistro-Abteil. 1m Sep- tember 1997 wird die Verknüpfung Straßen- bahn-OB in Wörth fertiggestellt; die Stadt- bahn wird ab diesem Monat auch bis nach Stutensee fahren. Man sieht, daß sich die Entwicklung des OPNV nicht nur auf Karlsruhe beschränkt, sondern gemeinsam mit der stadteigenen A VG die gesamte Region erfaßt hat, gemäß dem Wahlspruch: "Mit der Stadtbahn schnell, be- quem und direkt aus der ganzen Region mit- ten in die Stadt - und dies sehr preiswert." Dieler Ludwig Diskussion um die Straßenbahnen in Karlsruhe vor 100 Jahren Die Auseinandersetzungen um die richtige Erschließung Karlsruhes durch Straßenbah- nen sind alt. Vor ca. 100 Jahre-drschien am 10. Mai 1898 ein Artikel im " Badischen Beobachter ", der die Probleme des Über- gangs zur zeiigemtlßen Form der" Elektri- sehen" wiedergibt. "Nach den neuesten Nachrichten stehen die Verhandlungen zwischen dem Stadtrat der Residenz und der Gesellschaft der Karlsruher Straßenbahnen auf dem Punkt, auf der Grundlage des Akkumulatorenbetriebes zu den innerstädtischen Straßen und des Hochleistungsbetriebes auf den Außenlinien zur Einigung zu fuhren. So erfreulich die Aussicht ist, daß eine fur die Entwicklung des zum Übergang in die Eigenschaft als Großstadt sich anschickendes Gemeinde- wesen außerordentlich wichtige Frage nach jahrelangem Hin und Her der baldigen Lösung entgegenreift, so verstimmend wirkt, so unbegreiflich klingt, was über eine bedeutungsvolle Einzelheit des abzustim- menden Vertrages, über die Bestimmung der den künftig elektrischen Straßenbahnen zu gebende Spurweite verlautet. Wir hatten bisher die Spurweite der Hauptbahnen, die sog. Normalspur von 1,435 Meter, deren Wahl ftir Straßenbahnen durchaus keinen Sinn hat, während in Deutschland und in der Schweiz nach und nach als Regel die Schmalspur, und zwar meist wie bei der Albthalbahn und der Späck-Durmersheimer- bahn die Spur von 1 Meter, theilweise eine noch geringere Weite, angenommen worc!en ist. Bei der Normalspur soU es dem Vernehmen nach bleiben. Dem gegenüber fragen wir: sollen hier wirklich' die Erfahrungen anderer Städte unverwirklicht bleiben, will man sich in der That der Gefahr aussetzen, daß in verhältnismäßig kurzer Zeit abermals eine (dann noch mehr als heutzutage ftihlbar "Die Pferdebahn um 1900 ". 43 werdende) Stockung in der Entwicklung des Straßenbl!hnwesens eintritt! Will man in die Verlegenheit einer großen Stadt eines unserer Nachbarländer gerathen, die durch eine früher begangene Kurz- sichtigkeitssünde dieser Art so in die Enge getrieben wurde, daß ihr schließlich zur Besserung der Verkehrsverhältnisse nichts anderes übrig blieb, als Straßenbahnen anzukaufen, um sie auf eigene Kosten auf Meterspur umzubauen! Das kann und darf nicht sein, doppelt deswegen nicht, weil die vom Gesichtspunkt der Verkehrskonzentration ungünstige Konfi- guration der Residenzstadt dem Straßenbahn- netz der Zukunft eine außerordentliche Bedeutung für das Gemeinwohl zuweist. Der Laie wird fragen: weshalb soll die Normalspur ungeeignet sein! Zwei Haupt- gründe sind es, die gegen sie sprechen. Der eine liegt in der Schwierigkeit, die Normalspurgleise in gehöriger Kurve um Straßenecken herumzufiihren. Ist die Kurve zu klein, so treten Entgleisungen ein, die bei elektrischem Betriebe natürlich noch mehr als bei dem gemütlichen Betriebe durch animali- sche Kraft zu fürchten sind. Bei der Schmalspur kann man die Krüm- mungen schärfer nehmen. Diese Seite der Frage beansprucht die größte Aufmerksam- keit rur die in der Zukunft unentbehrlichen Ring- und Seitenlinien, welche Straßen berühren müssen, deren Ecken nicht etwa bloß in rechtem, sondern vielfach in spitzem Winkel liegen. Den zweiten Gegenstand bildet der Raum- anspruch der Normalspur. Die Mehrzahl der städtischen Straßen, einschließlich der neue- ren, ist durchaus nicht von übermäßiger Breite. Nun müssen bei eingleisiger Anlage noch stellenweise Ausweichsgleise angelegt werden, und es geht aus Betriebsrücksichten keineswegs an, diese Ausweichen immer nur in breiten Straßen unterzubringen. 44 Das leuchtet ein, daß dabei der Platz für gewöhnliches Fuhnverk in den schmaleren Straßen zu sehr eingeengt, daß es Verkehrs- stockungen geben würde. Indessen braucht man nicht nur enge Straßen und nicht bloß die Zukunft im Auge zu haben; man kann die Sache heute bereits praktisch in der Kaiserstraße studieren. Das ist gewiß eine breite Straße, und doch, welch' unverhältnis- mäßig großer Teil von ihr geht schon jetzt dem allgemeinen Fuhrwerksverkehr durch die unnötig breiten Gleise der Pferdebahn mehr oder minder verloren, so daß selbst diese Hauptverkehrsader vom praktischen Stand- punkte der Inieressen des Fuhrwesens nicht als breit betrachtet werden kann! Freilich sind es nicht die Gleise an sich, die den Platz rauben; denn sie können ja, wenn auch nur mit häufigeren Unterbrechungen, von Wagen und Karren aller Art überfahren werden. Raumsperrend sind vielmehr die Wagen der Straßenbahn. Oft genug hat man in Folge Raurnmangels bisher schon Zusammenstöße zwischen Pferdebahnwagen und anderen Fuhrwerken auf der Kaiserstraße erlebt; daß es dabei meistens ohne größere Beschädigun- gen abging, war nichts als Glücksfall. Besondere Prädisposition rur Karambolagen wurde durch Neu- oder Umbauten von Häusern geschaffen. Ein einziger Wagen mit Schutt oder Baumaterial am Gehwegbord aufgestellt, dahinter gegen das Geleis so ein paar Balken oder Ries, Schutt und derglei- chen - und alles ist so gut vorbereitet, daß es nur noch einer kleinen Komplikation bedarf, um ein Fahrhindernis fur die Pferdebahn hervorzurufen. Und wie die Fußgänger sich bei gespemem Gehwege zwischen den haltenden Fuhnverken, auch wenn hinter diesen kein Raum belegt ist, und den vorüberfahrenden Straßenbahnwagen hin- durchwinden müssen, daß ist auch ungehörig und gefahrlich. Darum, Karlsruher Bürger- schaft, stehe ohne Unterschied der politischen Parteiengruppierung zusammen und wehre Dich um der Zukunft Deiner Stadt willen, wehre Dich auch um der städtischen Finanzen willen gegen das irrationale Nonnalspur- projekt! Fordere mit Nachdruck die Schmal- spur! Noch wird es Zeit sein." Man entschied sich jilr die Normalspur und schufsomit die Voraussetzungjilr unser heutiges durchltlssiges Nahverkehrssystem. Leonhard Maller Schnakenstiche gegen Thingstätte Die Pläne für einen NS-Kultplatz in Karlsruhe Mit einem Netz von 66 Thingstätten sollte 1934 das Deutsche Reich überzogen werden, bis auf 400 dann anwachsend. Drei davon plante man in Baden, nämlich in Heidelberg, Freiburg bzw. Titisee und in der Gauhaupt- stadt. Bis August 1935 wurden 12 Thingstät- ten eingeweiht, darunter die auf dem Heiligen- berg in Heidelberg. Die Thingbewegung un- terstand dem Reichspropagandaminister Goebbels, womit auch ihre Ziele umrissen sind. Sie war Mittel nationalsozialistischer Propaganda, die "aus dem Gemeinschafts- erlebnis heraus den neuen deutschen Men- schen nach dem Willen des Führers" fonnen sollte. Gausonnwendfeiern, Fahnenweihen, Feierstunden von NS-Organisationen und vor allem "Thingspiele", die die "Kampfzeit der NSDAP" verherrlichten, wurden in den Thingstätten veranstaltet. "Das Thing", so wurde postuliert, "dient dem nationalsoziali- stischen Kult, der aus dem Kampf erwuchs, es dient der Gestaltung unserer Feste." Der Karlsruher Stadtrat erhielt erstmals im Mai 1934 Infonnationen über die Planung einer Thingstät1e beim Hochschulstadion. Die- ses war bereits durch Aulbrechen des Um- fassungswalls auf der Nordseite zum Auf- marschplatz erweitert worden. Der sollte durch eine schmale Schneise im Wald mit dem Thingplatz verbunden sein. Gedacht war, so Bürgenneister Fribolin, an eine hain artige und begrünte Anlage rur 10 000 Besucher. "Man müsse dem Reichstatthalter Robert Wagner dafur dankbar sein, daß er sich fUr das Zustandekommen des Planes einsetze; er wolle in Karlsruhe ein kulturelles Bollwerk fur Südwestdeutschland schaffen." Am 21. Juni genehmigte der Stadtrat den Abschluß eines Vertrages mit der "Landesstelle Ba- den-Württemberg des Reichsministeriums fur Volksaufklärung und Propaganda" zum Bau der Thingstätte. Offensichtlich hatten die Verantwortlichen der Stadt die Pläne des beauftragten Archi- tekten Prof. Hennann Alker von der Techni - sehen Hochschule noch nicht gesehen. Dieser stellte ebenfalls im Mai seinen Plan in einem Interview vor: "An das Hochschulstadion ( ... ) konnte ein riesiges Aufinarschgelände ange- schlossen werden, an welches sich ein Volks- festplatz angegliedert, und diese auf ein- drucksvolle Tiefenwirkung der großen Auf- märsche streng axial gefonnte Anlage findet ihren Abschluß in der Thingstätte. ( ... ) Inner- halb einer mächtigen Ringmauer von 120 Meter Durchmesser sind amphitheatralisch 10 000 Sitzplätze aufgebaut." Der dem Na- tionalsozialismus zugewandte Alker, der im übrigen auch das 1930 fertiggestellte Stadion geplant hatte, verstand es ganz offensicht- lich, das Bedürfnis der neuen Machthaber nach monumentaler Architektur zu befriedi- gen, denn der Gauleiter drängte im Oktober auf den raschen Bau der Thingstätte. Zu die- 45 Entwurf von A1ker kritisiert. Thing- stätten solIten in die Umgebung inte- griert werden unter Nutzung des na- türlich geformten Geländes, A1ker prä- sentierte aber umfangreiche Hoch- bauten, so daß man "in diesem Zirkus nichts mehr von der Landschaft" sehe. Und zuallererst brachte das Forstamt das von allen Seiten aufgegriffene Ar- gument, die Schnakenplage im Hardt- wald sei so groß, "daß ein Stillsitzen der Zuschauer und eine aufmerksame Anteilnalune an dem Thingspiel voll- ständig unmöglich sei." Als der Stadtrat am 6. Dezember er- neut über den Bau der Thingstätte be- riet, war man sich bewußt, daß der Gauleiter über eine Ablehnung "ver- schnupft" wäre und daß dann die Gau- tage und entsprechender Fremdenver- kehr nicht mehr nach Karlsruhe kä- men. Beschlossen wurde deshalb die grundsätzliche Zustimmung zu dem Projekt, das in Jahresabschnitten ver- wirklicht werden sollte, "die sich der städtischen Finanzlage anzupassen ha- ben". Der Beschluß enthielt auch den Hinweis, daß "die Benutzungsfahigkeit Plan der Thingställe von Prof Alker. Unten das Hf!chschulstadion, oben die kreisrunde eigentliche Thingställe, dazwischen der Aujinarschplatz. der Anlage vor dem Wirksamwerden der in Gang befindlichen Schnakenbekämp- fungsmaßnalunen" bezweifelt werde. Am 8. Dezember billigte der Gauleiter den Vor- schlag der Stadtverwaltung, angesichts der Probleme der Geldbeschaffung das Projekt vorläufig um ein Jahr zu verschieben. sem Zeitpunkt hatte sich aber schon eine vor- erst noch verhaltene, dann aber deutliche Ab- lehnung des Projektes artikuliert. Zunächst bemerkte Oberforstrat Dr. Bauer, und der Stadtrat schloß sich an, daß die massiven Eingriffe in den Fasanengarten von der Be- völkerung nicht akzeptiert würden. Dann scheuten Stadtverwaltung und Stadtrat vor den immensen Kosten von etwa 550 000 RM zurück. Angesichts eines IO-Mio.-lnvestiti- onsprogramms fti.r unter anderem Altstadtsa- nierung, Wohnungsbauforderung, Siedlungs- vorhaben und Aufschüttungen im Rhein- hafengebiet sei diese Ausgabe nicht vertret- bar. Schließlich wurde im Stadtrat auch der 46 Die Stadtverwaltung erk"Ulldigte sich im Ja- nuar 1935 bei 18 Städten, in denen Thing- stätten geplant oder gebaut waren, nach den Kosten. Diese lagen zwischen 13 000 und 110 000 RM, wobei die Kosten flir die eben- falls von A1ker geplante Heidelberger Thing- stätte von etwa 600000 RM nicht berück- sichtigt wurden. Neuberechnungen, bei de- nen z. B. statt einer Mauerumfassung nur eine Hecke vorgesehen war, ergaben Kosten zwischen 210 000 und 260 000 RM. Öffent- liche Mittel oder Parteizuwendungen waren dafür aber trotz aller Bemühungen nicht zu erhalten. Das sich abzeichnende Scheitern des Baus einer Thingstätte in Karlsruhe fiel zusammen mit Vorzeichen für das End - der Thing- bewegung. Am 23. Oktober erging vom Goeb- bels-Ministerium die Weisung an die Presse, mystische Begriffe wie Thing und Kult künf- tig nicht mehr zu verwenden. Nicht nur die z. T. schlechte Qualität der Aufführungen und die Witterungsabhängigkeit, sondern vermut- lich auch das AuJkommen weit effizienterer Propagandainstrumente wie der Volksempfan- ger und die Nutzung des Films dürften zum Ende des Things beigetragen h~ben. So war es denn nur konsequent, daß der Gauleiter am 19. Dezember 1935 die Stadtverwaltung wissen ließ, "daß der Bau von TIpngstätten bis auf weiteres nicht mehr in Frage.komme". Man/red Koch " ... wird wegen dem Geburtstag des Großherzogs morgen die Fabrik um 12 Uhr geschlossen" Das Finnenarchiv der Parfiimerie- und Feinseifenfabrik Wolff & Sohn im Stadtarehiv Karlsruhe Am 9. September 1899 wurde die damals schon weltweit agierende Karlsruher Firma Wolff & Sohn anläßlich des Geburtstages des badischen Landesherrn Friedrich I. ftir einen Nachmittag geschlossen, damit die Be- legschaft an der öffentlichen Parade teilneh- men konnte. 74 Jahre später schloß die vor allem durch ihr Produkt "Kaloderma" be- kanntgewordene Finna fUr immer ihre Pfor- ten. Heute erinnern in Karlsruhe noch das Fabrikgebäude und die im Stadtarchiv ver- wahrten Archivalien an "Wolff & Sohn". Den 126 Einheiten umfassenden Bestand erhielt das Stadtarchiv im Herbst 1996 von der Fir- ma Schwarzkopf GmbH in Hamburg und von Frau Vera Wolffaus Karlsruhe als Geschenk. Die Parftimerie- und Toilettenseifenfabrik Wolff & Sohn wurde im Jahr 1857 durch den späteren Kommerzienrat und Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe, Friedrich Wolff (1833- 1920), und seinen Vater, den Hoftheaterfiiseur Gottlob Friedrich Wolff (1803-1864), ge- gründet. Bereits aus der Gründungszeit be- sitzt das Stadtarehiv nun Unterlagen der Fir- ma Wolff & Sohn. Die älteste Archivalie des Bestands ist das handschriftlich geführte Hauptbilanzbuch der Firma aus den Jahren 1859 bis 1861. Aus dem dazugehörenden Per- sonen- und Firmenregister und aus den Ein- tragungen über "Soll" und "Haben" sind die Geschäftsbeziehungen der neugegründeten Firma im In- und Ausland ablesbar. Die mei- sten Beziehungen unterhielt "Wolff & Sohn" zu den ost- und mitteldeutschen Städten Ber- lin, Halle, Dresden, Leipzig, Königsberg, Breslau, Magdeburg, Erfurt und Chemnitz. In Süddeutschland sind es Lahr, Ulm, Frei- burg, München, Nürnberg und Stuttgart, in den nördlichen Landesteilen Hamburg, Han- nover, Düsseldorf, Aachen, Bonn, Frankfurt und Wiesbaden, die im ersten Hauptbilanz- 47 buch häufiger genannt werden. Bereits in den Anfangsjahren hatte "Wolff & Sohn" auch Geschäftsbeziehungen zu Finnen im Ausland. Hier wird am häufigsten Paris genannt, ge- folgt von London, Toulouse, Grenoble, Tri- est, Krakau und Luxemburg. Fast lückenlos sind die Bilanzbücher der Finna aus den Jahren 1859 bis 1941 erhal- ten , hinzu kommen je iwei Conto- Correntbücher und Conto-Memorialbücher. Eine stabile Geschäftslage mit soliden Erträ- gen bzw. stetigem Gewinnzuwachs ist bei- spielsweise aus den Eintragungen der Jahre 1904 bis 1910 ablesbar. Für den Zeitraum 1930 bis 1935 läßt sich ein kontinuierlicher, wenn auch geringfügiger ErtragsTÜckgang feststellen, während die Jahre 1936 bis 1943 von deutlich erkennbarem Gewinnzuwachs geprägt waren. Ein ebenfalls handschriftlich geführtes Pro- tokollbuch aus den Jahren 1912 bis 1942 informiert außerdem über die General- und Gesellschafterversarrunlungen. Bis zum Jahr 1863 hatte die Firma Wolff & Sohn ihren Sitz in der Karl-Friedrich-Stras- se 4. 1863 errichtete Friedrich WolfT ein neu- es Firmengebäude in der Kaiserstraße 104, zu dem er 1879 das Nachbargebäude Kaiser- straße 106 hinzu erwarb. 1891 bezog die Fir- ma ihren nach Plänen des fUr seine industrie- bauten bekannten Architekten Hermann Walder erbauten Gebäudekomplex in der Durlacher Allee 31/33. Die Finna hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Geschäftsbeziehungen bis in die Schweiz, nach Italien, Ungarn und Österreich und nach Malta ausgedehnt. Hiervon zeugen die handschriftlichen Rei- seberichte von JuniorchefFriedrich Wolffaus den Jahren 1884 bis 1887. Der Handlungsrei- sende Johann Tetsch bereiste im Auftrag von "Wolff & Sohn" in den Jahren 1896 bis 1902 darüberhinaus die baltischen Staaten, Finn- land, Schweden, Rußland, den Balkan mit Serbien, Rumänien, Bulgarien und Griechen- 48 land, den Vorderen Orient mit Syrien, Palä- stina, Ägypten und Libanon sowie China und Indien. Über den Handel mit Rosenseifen in China berichtet Johann Tetsch an die Firma in Karlsruhe sowie auch über geschäftlichen Ärger, den er in Rußland erlebte. "Ich habe ihm die Ungehörigkeit seines Benehmens ent- sprechend vorgehalten und ihm die sofortige Kündigung unserer Vertretung in Aussicht gestellt. Er versprach pünktliche Erledigung aller Sachen fur die Zukunft", schreibt Jo- hann Tetsch am 18. Januar 1899 aus Mos- kau. Außer geschäftlichen Angelegenheiten spiegeln diese Berichte auch politische, ge- sellschaftliche und soziale Verhältnisse in den bereisten Ländern. "Was die Tour nach Chi- na angeht, so sind hier ganz tolle Berichte über Hongkong in Cours die Pest betreffend, täglich sollen Europäer daran sterben und muß ich mir vorbehalten, den Platz evtl. aus- zulassen" berichtet Johann Tetsch am 9. Juli 1898 an die Geschäftsleitung. Der Handels- vertreter Albert Grieshaber geriet bei einer Balkanreise im Auftrag der Finna im Som- mer 1913 in die Wirren des Balkankrieges. "In Griechenland waren überall und speciell auf Corfu viele türkische Kriegsgefangene zu sehen; auch verwundeten griechischen Sol- daten begegnete man noch ab und zu" und " ... es wurde mir vielfach von Griechen versi- chert, daß ihr Haß gegen die Bulgaren viel größer sei als gegen die Türken; die Militär- pflichtigen stellten sich deshalb auch mit größ- tem Enthusiasmus" schildert er in einem Brief vom 18. Juli 1913 an Kommerzienrat Fried- rich Wolff seine Eindrücke. Der Arbeitsalltag <~·~;-;·;-:<·, :·;·,,·:.,;-:·:·x< ;,;,:<,:,x,;,x<,,:',:_..:ox·z·;·>:<·x',:-:·»;·>>;-:-:<·;.;.;.;-:·:·;.;.;." ;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.;.:< Vom Arbeitsalltag in der Finna vennitteln unterdessen zwei Cirkularbücher aus den Jah- ren 1897 bis 1905 und 1912 bis 1922Iebhaf- ten Eindruck. Strenge, zum Teil pedantische Anordnun- frontansiebt der ParlUmcrie- undSoilcUenseifcnfabrik F. \XolII , Sohn Zeichnung der Firmenanlage WoljJ & Sohn um /892. gen an das Personal erläßt die Geschäftslei- tung in diesen Büchern. " Das Lärmen und Schreien im Freien während der Pausen ist streng verboten, es ist strengstens verboten, innerhalb des Fabrikbezirks das Fahrrad zu besteigen und die Fahrradlaternen anzuzün- den" und ebenfalls strengstens verboten war "der grobe Unfug, daß insbesondere jugend- liche Arbeiter auf dem Weg von und zu der Garderobe ihr Messer offen in der Hand tra- gen". Die vorübergehende Schließung der Fabrik aufgrund besonderer Ereignisse unter Nach- holung der Arbeitszeit wird in den Ciru1:ular- büchern außerdem bekanntgegeben. Dies war z. B. arn 21. Mai 1900 der Fall, als eine kai- serliche Torpedodivision im Maxauer Hafen anlegte, alljährlich arn Geburtstag des Kai- sers und des Großherzoges und am 18. Okto- ber 1897 anläßlich der Enthüllung des Kai- ser-Wilhelm-Denkmals beim Mühlburger Tor. Gelegentlich fanden Veranstaltungen fur das Personal statt, über die in den Umlauf- büchern informiert wird. Jedes Jahr ließ Groß- herzogin Luise in der Adventszeit die Arbei- terinnen der Finna Wolff & Sohn zur Besich- tigung der in der Turnhalle der Victoriaschule ausgestellten Weihnachtstransparente einla- den. Am 5. Mai 1913 gab die Firma bekannt, daß die Studenten der Technischen Hoch- schule Volksunterrichtskurse "flir der Schule entwachsene Personen in den Elementar- fachern" abhalten, und im Mai 1912 bat der Badische Frauenverein das Personal der Fir- ma Wolff & Sohn zur Besichtigung des Tu- berkulose-Museums in der Ausstellungshalle anl Stadtgarten. Der Badische Frauenverein engagierte sich auch in der Arbeiterinnenfursorge und lud im Jahr 1912 die Arbeiterinnen nach Feierabend zu wöchentlichen Versammlungen mit kur- zen, leichtfaßlichen Vorträgen über Fragen der Haushaltsflihrung, der Gesundheitsvor- sorge und des Krankenkassen- und Versiche- rungswesens im Saal der Eisenbahnschule ein. Existentiell wichtige und arbeitsrechtlich be- deutsame Angelegenheiten flir das Personal finden ebenfalls in den Cirkularbüchern ih- ren Niederschlag. Urlaubs- und Arbeitszeit- regelungen werden bekanntgegeben, die Er- . 49 gebnisse der Wahl von Arbeitern und Arbei- terinnen in den Verwaltungsausschuß des fIrmeneigenen Wohlfahrtsfonds mitgeteilt und Regelungen zur Kriegsteuerungszulage ver- öffentlicht. Die Bücher enthalten Bekannt- machungen an das Personal über die Auszah- lung von Lohn, Krankengeld, Krankenkas- senbeiträge, die Invaliden- und Hinterblie- benenversicherung und die Gewährung der Weihnachtsgratifikation oder "Stetigkeits- prämie", die im Jahr 1919 anstelle des Weih- nachtsgeldes ausgezahlt wurde. Einen umfassenden Eindruck vom Betrieb in der Firma Wolff & Sohn während der 30er Jahre, die im Nationalsozialismus als "Mu- sterbetrieb deutscher Wirtschaft" galt, ver- mittelt die Werkzeitschrifi "Kalodernla-Nach- richten" aus den Jahren 1934 bis 1941. Sie informiert über Aktivitäten der Werksport- gruppe, der Gesangsabteilung und der Werk- musikkapelle, Betriebsangehörige schildern KdF-Fahrten und GrenzlandJ.mndgebungen, an denen sie teilgenommen haben. In der Werk- zeitschrift werden die Neuenverbungen der Werkbücherei bekanntgegeben und wird über Kameradschaftsabende in der Firma berich- tet. Alle diese Artikel stehen vor dem Hinter- grund der nationalsozialistischen Diktatur, die auch den Firmenbetrieb bei "Wolff & Sohn" prägte. Im Sommer 1939 wurde z. B. eine Stenotypistin vom Betriebsfuhrer der Firma zur Teilnahme an der von der Deutschen Arbeitsfront veranstalteten Berufserziehungs- woche ftir Stenotypistinnen in Bad Sulzbach bestimmt, worüber sie in den "Kalodernla- Nachrichten" berichtet. Die Vertrauens frau der Firma Wolff & Sohn erhielt im Sommer 1936 vom Frauenamt der Deutschen Arbeits- front die Aufforderung, an einem Schulungs- kurs ftir Vertrauensfrauen teilzunehmen, und der Betriebsobmann der Firma schreibt im 50 Herbst 1936 einen Reisebericht über seine Teilnahme an der Reichsarbeitstagung der Reichsbetriebsgemeinschaft Chemie in Ber- lin. Darüberhinaus enthalten die "Kaloderma- Nachrichten" Artikelserien zur Geschichte der Firma und zum Produktionsbetrieb mit aus- führlicher Beschreibung der Produktions- prozesse und vielfaltigem Bildmaterial von den Arbeitsvorgängen. Krieg und Verkauf ................................ ~ . •..•..•..•..•..•..•..•..•..•..•.. v.-..•.••..•..•..•..•..• w~.·.· ,, ·.·"w.· . .,., .· ..... · . ..., .. w ... w.·.·.··.·· ·· Bei Luftangriffen auf Karlsruhe am 25 . April, 8. September und 5. November 1944 erlitt "Wolff & Sohn" Fliegerschäden an der gesamten Fabrikarllage. Hierüber gibt eine Fotodokumentation Aufschluß, die Bildmate- rial von der ausgebrannten Reithalle, von den Schäden am Haupt- und Mittelgebäude so- wie am Ostflügel , an Siederei, Seifensaal, Kesselhaus und am Werkwohnungsgebäude in der Gerwigstraße enthält. Der Zeitraum von 1945-73 ist im Schrift- verkehr über Kriegsschäden, Beschlagnah- mung und Besatzung sowie in Produktions- statistiken und Werbekatalogen überliefert. Bereits 1970 hatte "Wolff & Solm" Gesell- schafteranteile an die Hamburger Kosmetik- fIrma Schwarzkopf GmbH verkauft, bis die Firma vollständig an Schwarzkopf überging und die Stillegung der Produktion Zunl 31 . Dezember 1973 erfolgte. Heute befindet sich im ehemaligen Hauptgebäude der Firma die Landespolizeidirektion Karlsruhe. Zusammen mit den bereits im Stadtarchiv vorhandenen Unterlagen zur Firma Wolff & Sohn - im wesentlichen sind dies 130 Blatt illustrierte Originalanzeigen aus den Jahren 1899 bis 1949, erschienen in der "Berliner illustrier- ten Zeitung" , in der Zeitschrift "Jugend" und in der Zeitschrift "Die Dame", die Werkzeit- schrift "Kaloderma-Nachrichten" und die par- furnierten Werbegeschenke "wohlriechender Taschenkalender" - bildet das Firmenarchiv eine umfassende und anschauliche Dokumen- eine wertvolle Bereicherung der Samm1ungs- tation zur Geschichte der Finna und bedeutet bestände des Stadtarehivs Karlsruhe. Angelika Sauer Der KarIsruher Hafen: Ein langer Weg zum Rhein "Der Handel, den die Stadt treibt, ist freylich nicht sehr ausgebreitet; doch auch nicht ganz unbeträchtlich. Hätte der MarkgrafKarl Wil- heim dafiir, daß er die Stadt in einem Walde gleichsam einschloß, sie an den Rhein - etwa nach Schröck - hin verlegt, so hätte es eine der blühendsten Handelsstädte werden und besonders Mainz wegen der weit geringeren Entfernung vom gesegneten Elsaß, lothrin- gen und der Schweiz in Absicht auf den Spe- ditionshandel sehr vielen Abbruch thun kön- nen." So beschrieb der Hauslehrer und Publi- zist Friedrich Leopold Brunn in seinen Brie- fen über Karlsruhe im Jahr 1791 ein Pro- blem, das die Stadt bis in unser Jahrhundert hinein beschäftigte und umtrieb: die fehlende Anbindung an den Rhein. In der Tat hatte der Karlsruher Stadtgründer Markgraf Karl Wil- helm von Baden-Durlach an viele Dinge ge- dacht, als er am 17. Juni 1715 den Grund- stein zu seinem neuen Residenzschloß und damit zur Stadt Karlsruhe legte, aber sicher nicht an eine Anbindung an den Rhein. Nach ersten Bemühungen bereits im 18. Jahrhundert \vidrnete sich die Stadt verstärkt nach dem Aufstieg Karlsruhes zur Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Ba- den zu Beginn des 19. Jahrhunderts diesem Thema. Angesichts der technischen und vor allem finanziellen Schwierigkeiten mußte man aber noch lange mit Lösungen vorlieb neh- men, die den Anforderungen der wachsenden Stadt nicht mehr gerecht werden konnten. Auch in Karlsruhe hielt die Industrie, wenn auch etwas verspätet, ihren Einzug. Eine er- ste Fabrik entstand 1836 mit der Maschinen- fabrik Keßler & Martiensen, die 1841 die er- ste badische Lokomotive baute. 1m Jahr 1843 erhielt Karlsruhe eine Eisenbahnverbindung nach Heidelberg. Das in Baden entstehende Eisenba1umetz erleichterte nun den Waren- verkehr erheblich . .Der Wunsch nach einem Hafen verstummte allerdings nicht: das expan- dierende MannIteim, das seit 1828 emen Rheinhafen hatte, war hier Vorbild. Die Rheinhäfen Leopoldshafen und Maxau :: Zunächst behalf man sich mit dem kleinen Hafen des bereits von Friedrich Leopold Brunn erwähnten Dörfchen Schröck. Der 1833 anläßlich der HafeneröfInung zu Ehren des regierenden Großherzogs in Leopolds- hafen umbenannte Ort verfugte aber nur über sehr bescheidene Hafenanlagen. Die Waren mußten zudem auch noch nach der Einfuh- rung des Eisenbahnverkehrs mit Pferde- fuhrwerken transportiert werden. 1862 versprach die Ausbaggerung des klei- nen Hafens Maxau - heute noch bekannt durch die Wasserstandsmeldungen des Pegels Maxau bei den häufigen Hochwassern der letzten Jahre - endlich Abhilfe. Auf ihre Ko- sten ließ die Stadt den Altrhein bei Knielingen ausbaggern und verbesserte damit die Lage deutlich, denn Maxau war immerhin schon mit einer Bahnlinie, der Maxaubahn, direkt mit Karlsruhe verbunden. Trotz unzurei- chender Infrastruktur - es gab z. B. nur einen Ladekran - stieg der Güterumschlag rasch an. Er vergrößerte sich von 1870 bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als das Zehn- 51 KARLSRUHE Rhei"h'aten \ Der Rheinhafen ist seit seiner Gründung ein beliebtes Postkartenmotiv. Postkarte um 1910. fache. Mit über 200 000 Tonnen war der Ha- fen 1899 aber an einer Kapazitätsgrenze an- gelangt, die ohne umfassende Ausbauten nicht mehr überschritten werden konnte. Zu die- sem Zeitpun.I..i waren die Würfel allerdings schon in eine andere Richtung gefallen. Auch die politische Großwetterlage hatte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt : nach dem deutsch-französischen Krieg 1870171 war durch die Annexion Elsaß-Lothringens ein wirtschaftlicher Großraum entstanden, des- sen weitere Entwicklung einen Ausbau der Schiffahrtsverhältnisse auf dem Rhein ober- halb von Mannheim geradezu zwingend erfor- derte. Die Stadt Karlsruhe wehrte sich aller- dings entschieden gegen Pläne, linksrheinisch einen Kanal zu erbauen, da sie dann von dem zu erwartenden Schiffaluisaufkommen weit- gehend abgeschnitten gewesen wäre. Unter- stützung erhielt man von der badischen Regie- rung, die bei einer linksrheinischen KanaI- lösung auch weitgehende Nachteile fiir die 52 badische Staatseisenbahn beflirchtete. Des- halb vereinbarten Stadt und Staat 1896, "ei- nen mit der Eisenbahn und der Wasserstraße des Rheins in unmittelbarer Verbindung stehenden, der Großschiffalm dienenden Ha- fen in der Niederung westlich von Mühlburg" zu bauen. Nach nur zweieinhalbjähriger Bau- zeit unter der Leitung des Ingenieurs Max HanselI, von dem auch die Idee stanuute, wurde der Hafen am I . Mai 190 I eröffnet. Für die Verwaltung des Rheinhafens war das neu geschaffene städtische Hafenamt zu- ständig. Bis zum Jahresende waren bereits nahezu 130000 Tonnen Güter umgeschla- gen. Die feierliche Einweihung fand im fol- genden JallT 1902 statt und zwar anläßlich des 50jährigen Regierungsjubiläunls Groß- herzog Friedrichs I. Karlsruhe hatte auf dem langen Weg zum Rhein sein Ziel erreicht. Kommunalpolitisch ist der Bau des Rhein- hafens einzuordnen in die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Anstrengungen der Kommunen im Zuge der Daseinsvorsorge. Die Kommunen waren damit wichtige Weg- bereiter rur das Sozialstaatprinzip. U. a. im Bereich der Ver- und Entsorgungswirtschaft sowie des Nahverkehrs übernahmen sie im Interesse ihrer Bürger neue Aufgaben, die aufs engste mit dem Wachstum der Städte verbunden waren. Die in den meisten Städten explosionsartig zunehmende ßevölkerung mußte mit Wasser und LebenslIlittein sowie mit Energie versorgt werden. Abwässer und Abfalle waren zu entsorgen. Im Verkehrs- bereich transportierten zunächst Pferde- bahnen, dann elek1rische Straßenbahnen die Menschen innerhalb der Stadt und in die umliegenden Dörfer. Zu diesem Zwecke ent- standen wirtschaftliche Unternehmen, die in- zwischen oftmals auf eine mehr als 100jähri- ge Geschichte zurückschauen können. Viele dieser städtischen Betriebe sind inzwischen privatisiert oder stehen zur Privatisierung an. Anläßlich der Internationalen Ausstellung rur Rettungswesen und Gesundheitspflege in Brüssel im Jahr 1876 publizierte die Stadt Karlsruhe einen Überblick über die seit 1860 zur Versorgung der Bevölkerung entstande- nen städtischen Einrichtungen: 1866 war die regelmäßige Dünger- und Müllabfuhr einge- ruhrt worden, 1869 das bis dahin privat be- triebene Gaswerk aufgekauft und in den fol- genden Jahren erweitert worden. 1869 bis 18 n entstand ein neues leistungsfähiges Wasserwerk. Als sich die Stadt sechs Jahre später wiederum an einer Ausstellung, dies- mal in Berlin, beteiligte, erschien eine aktua- lisierte Publikation, in der als eine wesentli- che Neuerung die seit 1877 betriebene städti- sche Pferdebahn von Karlsruhe nach Mühl- burg und die 188 I eröffnete Darnpfbahn nach Durlach vorgestellt wurde. Im Jahr 1900 fuhr die erste elektrische Straßenbahn. Die Pfer- de- bzw. Darnpfbahn wurde zunächst aller- dings noch privat betrieben, erst 1903 ging sie in städtischen Besitz über. Generell achteten die Kommunen auch in besonderem Maße auf die Entwicklung ihrer Wirtschaftsstruktur, fUr die der optimale Aus- bau vorhandener Wasserstraßen oder der An- schluß über Kanäle natürlich besonders wich- tig war. Eine Umfrage des Deutschen Städte- tages im Jahr 1911 ergab, daß von 113 Städ- ten 27, darunter Karlsruhe, besondere An- strengungen unternahmen oder unternommen hatten, Hafenanlagen zu errichten. In Karls- ruhe ist die Anlage des Hafens Teil des städti- schen seit den 70er Jahren verstärkt verfolg- ten Konzepts, die Ausrichtung der Residenz- stadt auf die Verwaltung und die Dienstlei- tungsbereiche abzuschwächen und neue in- dustrien anzusiedeln. Nicht zufallig entstand in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts am Rheinhafen ein drittes großes Industrieviertel. Im Rheinhafen selbst entstanden schon an zeitlichen Umfeld der Hafeneröffnung einige der heute noch charakteristischen Bauten: die Werfthallen, das Getreidelagerhaus und das Wohnhaus des Harenvorstands prägen bis heute das Erscheinungsbild des Rheinhafens. Sie gehören zu den herausragenden Beispielen Karlsruher Industriearchitek1ur. Ausgelegt war der Hafen auf zunächst 300000 Tonnenjährlich, die bereits im drit- ten Betriebsjahr erreicht waren, 1913 war mit knapp 1,5 Millionen Tonnen die vorläufi- ge Höchstmarke erreicht. Hauptumschlag war die Kohle mit 53 %, gefolgt von Holz mit 20 % und Getreide mi t 9 %. Versorgt wurde nicht nur Baden, sondern auch Württemberg, wo 28 % der Güter hingingen und die Schweiz mit 14 %. Die Zahl der angekommenen Schiffe verzehnfachte sich innerhalb von 10 Jahren nahezu, so daß Erweiterungen bald erforder- lich waren. 1916, mitten im Ersten Welt- krieg, ging ein weiteres Becken, das Nord- becken in Betrieb. Der Umschlag erreichte 53 im Ersten Weltkrieg allerdings nicht mehr den Vorkriegshöchststand und sank nach der Kapitulation rapide ab. 1920 fiel er gar wie- der unter die Millionengrenze wegen einer "seit der Entstehung der Großschiffahrt noch nicht beobachteten Wasserknappheit". Im Jahr 1922 erholte sich der Umsatz zwar wie- der, ging 1923 dann aber wegen der Ruhr- krise und der Besetzung des Karlsruher Rhein- hafens durch französische Truppen wieder stark zurück. Am 3. März 1923 besetzten französische Truppen fur rund 18 Monate den Hafen, der damit zu einem Politikum zwischen Frankreich und Deutschland wur- de. Durch zahlreiche restriktive Verordnungen ging der Umsatz wiederum deutlich zurück. Erst 1924 setzte ein erneuter Aufschwung ein, der erst gegen Ende des Zweiten Welt- krieges abrupt unterbrochen wurde. Selbst in den Weltwirtschaftskrisenjahren 1929 bis 1932 blieb der Aufwärtstrend erhalten, was nicht zuletzt an der 1930 abgeschlossenen Rheinregulierung der Strecke Mannheim- Sondernheim lag. 1928 war Karlsruhe nach Duisburg, Mannheim, Ludwigshafen und Köln der funf'tgrößte deutsche Rheinhafen. Die Expansion war in erster Linie zu La- sten des Mannheimer Rheinhafens erfolgt, der 1904 noch fast drei Viertel des Schiffverkehrs auf dem Oberrhein abwickelte, in den 20 Jah- ren aber nur noch ein Drittel. Beschäftigt waren in diesem Jahr beim Städtischen Ha- fenamt im Durchschnitt 130 Arbeiter und 35 Beamte. Dieser Personalstand wurde auch in den folgenden Krisenjahren gegen den allge- meinen Trend im wesentlichen gehalten. 54 Der im Vergleich mit der Gesamtentwick- lung des Rheinschiffahrtsverkehrs, der 1929 einbrach und 1932 nur noch rund 65 % des Standes von 1929 umfaßte, relativ stabile Umschlag im Karlsruher Rheinhafen nahm dafiir in den Jahren 1933 bis 1936 nur un- wesentlich zu, während der Rheinschifffahrts- verkehr insgesamt wieder stärker anstieg. Die Eröffuwlg des Hafens in Heilbronn im Jahr 1935 und die Angliederung des Saarlandes, das nun verstärkt den südwestdeutschen Raum mit Kohle versorgte, dämpfte den Aufwärts- trend zusätzlich. In den 30er Jahren erhielt der Rheinhafen auch seine heutige Größe, 1934 konnte das Südbecken eingeweiht und die Verbreiterung des Stichkanals zum Rhein abgeschlossen werden, 1935 folgte die Erweiterung des Olbeckens. Obwohl das Rheinhafengebiet im Zweiten Weltkrieg immer wieder das Angriffsziel al- lüerter Bombenangriffe war und auch erhebli- che Schäden davontrug, wurde 1948 bereits beim Güterumschlag wieder die Millionen- grenze erreicht. Zehn Jahre später waren die Vorkriegsergebnisse mit mehr als drei Mil- lionen Tonnen übertroffen. 275 Jahre nach der Stadtgründung wurde gar ein neuer Rekord mit nahezu 12 Millio- nen Tonnen aufgestellt. Damit ist er heute zweitgrößter europäischer Binnenhafen und größter Ölbinnenhafen. Andere Rheinhäfen wie das eingangs zitierte Mainz hat er längst hinter sich gelassen, eine Entwicklung, die Friedrich Leopold Brunn allerdings wohl hatte voraussehen können. Ernst 0110 Brtlunche Karlsruher Vereine: Die Gesellschaft Eintracht "Der Kräfte schön vereintem Streben, Erblickt der Eintracht wahres Leben." Dieser Leitspruch des Amortisationskassendirektors Karl Benjamin Friedrich Scholl, der ein Jahr nach Gründung der Gesellschaft Eintracht zu deren Vorsitzendem gewählt worden war, verdeutlicht klar die Zielsetzung der da- maligen Vereinsgründer: Dem Karlsruher Mittelstand sollte aufmöglichst breiter Basis ein k'\llturelles Aktionsfeld verschafft werden, wie es bis dahin weitgehend nur der Oberschicht offengestanden hatte. Zweck der Vereinsgründung vom 3. Juli 1835 war es u.a. gewesen, rur "die Erhei- terung und Erholung" der Mitglieder "durch Lektüre, gesellige Unterhaltung, Spiel, Tanz und Musik" zu sorgen, aber auch durch "musikalische Vervollkommnung", "die Be- sprechung technischer, überhaupt industriel- ler Gegenstände" und die "Anschaffung wis- senschaftlicher Werke" das Bildungsniveau zu heben. Dabei sollten bereits bestehende Vereine wie der 1831 gegründete Gewerbeverein, der Musikverein Harmonie und der Cäcilienver- ein sowie die schon seit 1816 vorhandene bürgerliche Lesegesellschaft in die Eintracht integriert werden. Man wollte damit offen- sichtlich eine starke Interessen vertretung fUr das mittlere Bürgertum schaffen, als Gegen- gewicht zu den in Karlsruhe vorhandenen Oberschichtvereinen wie dem vornehmen Museum, dem Kunstverein und einer Frei- maurerloge. Die Absicht der Gründer der Eintracht, unterschiedliche Interessensgebiete in ihrer Gesellschaft zu vereinen und damit weite Bevölkerungskreise zu erreichen, konnte in den ersten Jahren ihres Bestehens durchaus realisiert werden. So vergrößerte sich die Mitgliederzahl von 155 Personen im Grün- dungsjahr 1835, als der Verein in der Hauptsache aus Subalternbeamten bestand, durch die Angliederung der genannten Sektionen auf annähernd 800 Personen im Jahre 1839. Damals waren wohl wegen des auf sie zugeschnittenen Angebots auch zahlreiche Handwerker und Kaufleute Mit- glied in der Eintracht geworden. Die Hauptaktivitäten der Gesellschaft Eintracht sollten sich aber bald auf den musischen Bereich erstrecken. Daher wurde der Anschluß des Gewerbevereins an die Gesellschaft nach der Jahrhundertmitte wie- der rückgängig gemacht. Absplitterungen wa- ren aber auch auf die besonders geforderten Aktivitäten zurückzuftihren. So ging der 1842 gegründete Gesangverein Liederhalle aus der Eintracht hervor. Auch der erste Karnevalsver- ein von Karlsruhe, der 1843 gegründete "Narrenverein von Pfannenstielhausen", soll sich zu zwei Dritteln aus Eintrachtsmit- gliedern rekrutiert haben. Tatsächlich bestand ein großer Teil der Veranstaltungen in der Eintracht damals aus Maskenbällen, Kostümkränzchen und Fastnachtsspielen, wie uns eine frühe, bereits 1844 erschienene Chronik der Gesellschaft berichtet. So fanden in dem 1837 erworbenen Gesellschaftsgebäude, dem ehemaligen Cafe F rey neben der Wirtschaft zum Weißen Bären in der Karl-Friedrich-Straße, mehrere Mas- kenaufzüge statt, deren Figuren in der Mehrzahl zeitgenössischen Theaterstücken entlehnt waren. Mit dem "Bocksritter Kaka- du", Napoleon mit seiner Garde und den Polen, Gott Bacchus zu Pferde, einem Harlekin, Timler Schützen und anderen Gruppen ging die Eintracht sogar an Fastnacht 1841 auf die Straße und brachte damit den ersten Karnevalsumzug in Karlsru- he zustande. 55 Dasgroßzügige dreistöckige Gesellschafts- gebäude eignete sich nach einem Umbau, der den Verein über 31 000 Gulden gekostet hatte, hervorragend fur Bälle und Fest- veranstaltungen, aber auch rur eher zwiickge- zagene Zerstreuung. So enthielt das Gebäude u. a. mehrere Zimmer rur Billard und andere Spiele, ein großes Konversationszimmer mit Büfett, ein Lesezimmer mit Bibliothek, einen Speisesaal, einen Musiksaal, den großen Tanzsaal und Wohnungen fiir Diener und Wirtsleute. Entlang des Wirtsgartens hinter dem Gebäude war eine Kegelbahn errichtet worden. Dieses attraktive Angebot sollte natürlich zu der rasanten Mitgliederent- wicklung in den Anfangsjahren des Vereins beitragen. In der Zeit des Nachmärz, also nach den revolutionären Ereignissen von 1848/49, waren die Mitgliederzahlen dann wieder leicht rückläufig, was sicherlich auch mit der mißtrauischen Beobachtung aller Vereinsaktivitäten durch die Staatsorgane in der Phase der Restauration zusammenhing. Die Räumlichkeiten der Eintracht nutzten nun dann aber auch andere Vereine wie die studentische Verbindung Alemannia oder die dem Humor verpflichteten Gesellschaflen "Bärenzwinger" und "Schlaraffia". Der Gesangverein "Liederhalle" blieb bis 1885, als er sich schon längst selbständig gemacht hatte, in den Räumen der Eintracht. Dort feierte er 1868 sein 25jähriges und 1892 selbst nach seinem Auszug noch das 50jährige Jubiläum. Die Mitglieder der Eintracht kamen in dieser Zeit oft "zum geselligen Kegel-, Schach- oder Kartenspiel zusammen, besuch- ten die Konzerte im Saal und Garten, hörten Vorträge belehrender Natur an, erfreuten sich an unterhaltenden VorfUhrungen wandernder Künstler, Zauberer u. dgl.", wie Benedikt Schwarz in der Chronik der GesellschafI zum 90jährigen Bestehen 1925 berichtet. Gesell- schafliich nahm der Verein bis in die 56 Gründerzeit den zweiten Rang hinter dem "Museum" ein. So gehörte es fur die mittlere BeamtenschafI zum guten Ton, Mitglied dieser Vereinigung zu werden, wodurch sie aber auch in den Genuß der Unterhaltung kam, die diese zu bieten hatte. "Daß der Herr Kanzleirath jeden Abend .. . 2 Stunden in die Eintracht geht und hier zwei Schoppen Bier trinkt, ist sein Recht; denn nach den täglichen Plackereien auf dem Bureau und den Sorgen zu Hause gebührt ihm eine Erholung in erheiterndem Gespräche ... " schildert Albert Bürklin augenfallig den Vereinsalltag um 1860. Zu den größeren Veranstaltungen im Gesellschaflsgebäude gehörten nach wie vor Kostümkränzchen und Maskenbälle, die zumeist unter ein bestimmtes Motto gestellt waren, so noch nach der Jahrhundertwende ein "Schwarzwaldfest" mit bäuerlichen Trachten und das Kostümfest "Alt Karlsru- he", das sich auf die Biedermeierzeit bezog. Neben diesen kurzweiligen Unterhaltun- gen wurden recht aufwendige Bälle zu Jubiläen der großherzoglichen Familie veran- staltet. Zur silbernen Hochzeit des Groß- herzogspaars 1881 etwa wurde in lebenden Bildern die Geschichte des Fürstenhauses aufgeruhrt (Gründung von Karlsruhe, Aulhe- bung der LeibeigenschafI, Großherzog Leo- pold). Dazu sprachen Hofschauspieler die Prologe. Die Hinwendung zur höfischen Gesell- schafI veränderte im Verlauf des 19. Jahrhunderts langsam die Mitgliederstrul1ur des Vereins, so daß er - ähnlich wie das Museum - mehr und mehr zu einer Gesell- schaft rur die bürgerlichen Honoratioren wurde und seinen Anspruch auf die breite Vertretung des Mittelstandes aufgab. So schwankte die Mitgliederzahl des Vereins zwischen 1870 und 1925 immer nur um etwas mehr oder weniger als 300 Personen, eine Stagnation, die sich auf die Bedeutung der Gesellschaft angesichts des enormen Wachs- tums der Stadtbevölkerung und der damit verbundenen Auffacherung des Vereinswe- sens nach unterschiedlichen Interessen- gruppierungen und Gesellschaftsschichten in dieser Zeitspanne negativ auswirken mußte. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 wurden nur noch selten aufWendige Bälle gefeiert. Die letzten Jahre des Bestehens der Vereinigung waren nun im wesentlichen durch ,,gediegene" wissen- schaftliche Vorträge und einige anspruchs- volle Konzerte geprägt. Durch den Mitglie- derschwund sollte die Gesellschaft Eintracht nach der nationalsozialistischen Machter- greifung 1933 dann das gleiche Schicksal Foto: Stad/archiv 57 ereilen wie das "Museum". "Die alten Formen sind überlebt und verlieren damit ihre Daseinsberechtigung", heißt es lapidar in einem an die Mitglieder versandten Schrei- ben, das die Auflösung der Gesellschaft zum 29. November 1937 ankündigte. Dazu wurde eine außerordentliche Mitgliederversamm- lung im "Präsidentensaal" der Gesellschafts- räume anberaumt, in der zwei Liquidatoren gewählt wurden. Was aus dem sicherlich wertvollen und interessanten Vereins archiv und -inventar geworden ist, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Vielleicht ist es dem Bombarde- ment des Zweiten Weltkriegs ebenso zum Opfer gefallen wie das stattliche Vereins- gebäude und der benachbarte Gasthof zum Prinzen Friedrich von Baden, ehemals der "Weiße Bär". Pe/er Pre/sch Vom 1. Badischen Gesang-Fest 1844 in Karlsruhe zum Badischen Sängerbund , Wir sind gewohnt, flir die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts den Begriff"Biedermei- er" zu verwenden und stellen uns dabei eher eine Zeii der Idylle vor. Diese Jahrzehnte sind aber auch das Vorspiel, der "Vormärz" flir die Revolution 1848/49. Sie sind der Beginn der industriellen Revolution und der Über- gang einer Kulturtradition, bisher von Höfen und Klöstern gepflegt, auf das Bürgertum. Dazu gehören der Bau eigener repräsentati- ver Opernhäuser und Theater, die Gründung von Konzert- und Musikgesellschaften. Es ist auch die Zeit, in der Pestalozzis Ideen einen Niederschlag finden, der als Ausgangspunkt einer Volkserziehung das Musische, die Musikerziehung, ja besonders den Gesang betonte, dessen Richtigkeit in unseren Tagen der Ungar Kodaly beispielhaft flir die Volkshochschulen wie das Chorleben bewie- sen hat. Schließlich spielten auch politische Grün- de für die EntwickJung einer neuen Gesangskultur eine Rolle. Die Zerrissenheit im "Deutschen Bund" der Ära Metternich, die Ansprüche Frankreichs auf deutsches Land ließen Strophen wie Beckers Rheinlied "Sie sollen ihn nicht haben, den freien 58 deutschen Rhein" entstehen. Die Gründung der ersten Gesangvereine, der Berliner Liedertafel, vollzog sich 1809 durch Carl Friedrich Zelter, des Züricher Gesangvereins 1810 .durch Hans Georg Nägeli. Bald folgten Gründungen von Liedertafeln als Männergesangvereine in Frankfurt/Oder, Leipzig, Magdeburg, Harn- burg, Elbing, Königsberg und Danzig, die einen bestimmten Zug der Zeit widerspiegel- ten. Karlsruhe war um 1842 eine Stadt mit ca. 25 000 Einwohnern, deren gesellschaftlichen Mittelpunkt neben dem Hof die Vereinigun- gen "Museum" und "Eintracht" bildeten. Die "Eintracht" bestand aus vier Abteilun- gen, deren zweite die "musikalische Vervoll- kommnung" und Unterhaltung ihrer Mitglie- der als Zielsetzung hatte. Aus ihr war die "Liederhalle" entstanden. Gesellschafts- direktor der "Eintracht" von 1836 bis 1849 war Karl Friedrich Scholl. Von ihm sagt die Chronik der "Eintracht": "Er wirkte, durch- drungen von tiefem Mitgefuhl fur fremde Not, bei der Gründung wohltätiger Anstalten mit. "U. a. war er der Gründer der allgemeinen Versorgungsanstalt, der Karlsruher Lebens- Kar! B. Fr. Scholl. 1. Direktor 1836-1849. versicherung. Der Platz vor der KL V wurde nach ihm benannt. Als Gesellschaftsdirektor der "Eintracht" war er selbstverständlich auch Vorstand der Liederhalle. Daß dieser energiegeladene, schöpferische und weit- schauende Mann den engen Vereinsrahmen sprengte, war nur verständlich. Bezeichnend für die Zielsetzung ist der Sängerspruch, den die Liederhalle anno 1845 annahm: "Unserer Lieder Klänge läuten deutscher Eintracht Frühling ein."- Scholl suchte und fand Anschluß an die bekannten Männergesang- vereine jener Tage, den Karlsruher Lieder- kranz, den Singverein Lahr, die Mannheimer Liedertafel, die allesamt von herausragenden Persönlichkeiten geführt wurden. Die enge Fühlungsnahme führte bald zum Erfolg. So fand vor 150 Jahren, am 8. September 1844, im "Hof- theater" das "erste Badische Gesang-Fest" statt, an dem Sänger aus den Städten Achern, Bruchsal, Bühl, Karlsruhe, Durlach, Ettlingen, Gerns- bach, Heidelberg, Mannheim, Mühlburg, Rastatt und Wein- heim teilnahmen. Mit dem Erfolg dieses Festes erfolgte unter der Leitung von Scholl am 27. Oktober 1844 die Gründung der "Vereinigung Badischer Gesangvereine" - eigentlich Gründungsjahr des Badischen Sängerbundes. Am 11.112. Mai 1845 fand in Mannheim das "zweite Badi- sche Sängerfest" statt. An die- sem Sängerfest nahmen nun schon eine große Zahl außer- I badischer Vereine teil. Zur Vor- bereitung richteten die"Karlsru- her Sänger an die Stadtverwal- tung ein Gesuch um Überlas- sung des Rathaussaales von 5 bis 6 Uhr in der Früh, zum Einsingen der Chöre, bevor sie nach Mannheim fuhren. Das Gesuch war damit begründet, daß die Sänger in Mann- heim das Ansehen der Stadt Karlsruhe vertreten würden. Der damalige OB Füsslin hat den Bitten der Sänger entsprochen, weil er die "Macht des Gesanges" anerkannte. Nach dem dritten Badischen Gesangsfest 1847 in Lahr wurde der Wunsch laut, aus finanziellen Gründen nicht mehr in jedem Jahr eine solche Begegnung durchzuführen. Man wollte je- doch das Erreichte weiter ausbauen, indem das freie Jahr den Zusammenkünften der näheren Vereine untereinander dienen sollte. Die Revolutionsjahre 1848-49 haben das 59 Gesangsleben lahmgelegt und vielfach zu Vereinsauflösungen geftihrt, oder es wurden, aus politischen Gründen, im geheimen Sing- stunden abgehalten. Das vierte Badische Sängerfest 1848 - in Baden-Baden geplant, die Noten fur die Chö- re waren schon ausgegeben - konnte demnach erst 1858 stattfinden. Um diesem Fest einen besonderen Reiz zu verleihen, hat man ein erstes Mal ein Wettsingen veranstaltet. Aus dem Programm ist zu ersehen, daß neben den badischen Vereinen Chöre aus den Städten Freiburg, Hagenau, Frankfurt, Mutzig, Straß- burg und Würzburg teilnahmen, ein Zeichen der Verständigung und der verbindenden Kraft des Liedes. Das Fest in Baden-Baden hatte die höchsten Erwartungen erfüllt, fiel es doch in die Zeit des Schaffens der Komponisten Abt, Kreutzer, Kücken, Marschner, Julius Otto in der volkstümlichen Liedpflege und Carl Maria von Weber sowie Mendelssohn-Bartholdy in vaterländischen und geselligen Liedern. Unbekannt blieb noch das klassische Liedgut fUr den Chorgesang. Schuberts Zeit war noch nicht gekommen. Auf drei Seiten hat die Badische Landes- zeitung über dieses Sängerfest berichtet. Es schien fast wie ein Verdikt über Leben und Tod, als Dr. Wilhelm KolIka auf der Empore stehend verkündete, "Die Preisrichter haben ihre Arbeit vollendet" und die Ergebnisse bekanntgab. Aber nicht nur in der Liedpflege sahen die Gesangvereine ihre Aufgabe, sondern auch in der Linderung fremder Not. Nach der Chronik der Liederhalle Karlsruhe fanden in der Zeit von 1849 bis 1862 nicht weniger als 48 Wohltätigkeitskonzerte neben vielen anderen Veranstaltungen rur Hof und Stadt und der allgemeinen Öffentlichkeit statt. So war es andernorts auch. Die Sänger waren des "Volkes Stimme". Die Unsicherheit jener Zeit war nach wie vor groß. Am 15. September 1862 traten auf Antrag des Zentralkomitees die Vertreter von 42 badischen Gesangvereinen in der "Eintracht" zur Gründung des Badischen Sängerbundes zusammen. Andere hatten brieflich ihr Einverständnis mitgeteilt. Es wurde weiterhin der einstimmige Beschluß gefaßt, daß sich der Badische Sängerbund dem in der Gründung befmdlichen Deutschen Sängerbund an- schließen soll. 1864 zählten 3 lOO Sänger zum Badischen Sängerbund. Heute umfaßt er 22 Sängerkreise "vom See bis an des Maines Strand" mit I 487 Vereinen. In den 2 159 Chören sind Märmer-, Frauen, Kinder-, Jugend- und gemischte Chöre sowie Instrumental- und Tanzgruppen vereinigt. Die Gesamtzahl der Aktiven beträgt 71 050, der Fördernden 181 283, so daß der Badische Sängerbund insgesamt 254 333 Mitglieder zählt. Im Deutschen Sängerblmd sind insge- samt 1,83 Millionen Mitglieder zusammen- geschlossen, davon rund 670 000 Aktive, die einen wichtigen Teil unserer Musikkultur darstellen. Albrecht Manch Die Anfänge des Fußballsports in Karlsruhe Konrad Koch, der Vater des Schulfußballs in Braunschweig, stellte im Jahre 1895 in einem Aufsatz ,,zur Geschichte des Fuß- balls" folgendes fest: "Während an den meisten Schulen des Nordens und Ostens der 60 Fußball durch Lehrer, die Freunde desselben waren, zuerst eingefuhrt ist, hat sich in Karlsruhe - und rur die Städte des Südwestens scheint diese Art der Entwick- lung typisch zu sein - ohne irgend welches Zuthun von oben her das Spiel bei den Schülern eingebürgert." Eine solche Feststellung ist verlockend genug, den Anfangen des Fußballsports in Karlsruhe nachzuspüren. Bei der Durchsicht der "Badischen Presse (Kleine Presse). General-Anzeiger der Haupt- und Residenz- stadt Karlsruhe und Umgebung" der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts fallt erst einmal auf, daß relativ wenig über Fußball, aber umso mehr über vielfaltige Aktivitäten anderer Turn- und Sportvereine unter der Rubrik "Vereins- und Vergnügungs-Anzei- ger" zu lesen ist. - Dort finden sich z. B. Veranstaltungsankündigungen des Männer- turnvereins, der Karlsruher Turngemeinde, der Turn-Gesellschaft Karlsruhe, des Ruder- clubs "Salamander", der Rudergesellschaft, der Athleten-Gesellschaft "Herkules", des Athleten-Klubs "Germania", der Allgemei- nen Radfahrer-Union, des Bicycle-Clubs von 1882, des Radfahrer-Clubs "Germania", des Velocipedclubs " Fidelitas", des Fechtklubs "Hermanduria", der Schützengesellschaft, des Kegelklubs "Freundschaft" und des Karlsruher Eislaufvereins, der It. Bericht vom 17. Juli 1894 "am Sonntag, d. 8. ds. M .. . ein Lawn-Tennis-Turnier" veranstaltete. Eine beachtliche Palette turnerischer und sportli- cher Aktivitäten, allerdings kaum eine Ankündigung des Fußballsports. Anderer- seits fmdet sich da eine kurze, aber sensationelle Nachricht folgenden Wortlauts: "Der Footballklub Kickers in Karlsruhe gewarm bei dem Fußballwettkampf die Kontinentalmeisterschaft" (Badische Presse, 4. April 1894). Wenn ein solcher sportlicher Erfolg, über den im übrigen in den Einzelheiten wenig bekarmt ist, erzielt werden konnte, muß wohl eine entsprechende fußballsportliehe Basis schon vorhanden gewesen sein. Bei näherem Hinsehen wird das auch bestätigt. "Nachzu- tragen wäre, daß die Marmschaft der Karlsruher Kickers eine Reihe von Spielen in einigen Ländern des Kontinents gegen zum Teil namhafte Klubs siegreich bestanden hatte, und daß sie sich deshalb Meisterschafts- klub des Kontinents narmten." Walter Bensemarm Als Vater des Karlsruher Fußballsports ist zweifellos Walter Bensemarm anzusehen. Aus der Schweiz kommend, war er in die Unterprima des Karlsruher Gynmasiums eingetreten. In einem Aufsatz von K. Geppert, "Entstehung und EntwicklUng des Fußball- sports in Baden", wird Bensemarm selbst zitiert: " Im September 1889 ließ ich aus der Schweiz einen Fußball kOnIDIen; der Ball wurde morgens vor der Schule aufgeblasen, und in der Zehn-Uhr-Pause mußte bereits ein Fenster des Gynmasiums daran glauben. Der im Schulhof wandelnde Professor dujour, der Historiker Dauber, hielteine Karzerstrafe ftir angemessen; allein Direktor Wend! erklärte sich mit der Bezahlung des Fensters einver- standen und schickte uns auf den kleinen Exerzierplatz, 'Engländerplatz' genarmt. Hier hatten zwei Jahre vorher einige Engländer sowie Gynmasiasten, zu denen auch Prinz Max von Baden gehörte, Rugby gespielt. Der Spiel betrieb war bald wieder eingeschlafen. Wenige Tage nach unserer Übersiedlung auf den Engländerplatz gründeten wir den Karlsruher Football-Club, der zuerst nur aus Pennälern bestand, dem aber in Kürze 15-20 Engländer beitraten .. . ". Dieser Club war der erste süddeutsche Club überhaupt, in dem Assoeiation Football gespielt wurde. Er bestand übrigens nur bis zum Jahre 1893. 61 Die ersten Karlsruher Clubs In dem oben zitierten Bericht fuhrt Karl Geppert weiter aus, daß im allgemeinen der Besitz eines Balles ausreichte, um einen neuen Fußballclub zu gründen. Nach seiner Erinnerung gab es in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts folgende Fußballclubs in Karlsruhe: Karlsruher Football-Club, Karlsruher Fußball-Verein, Kickers, Phönix, Franconia, Alemannia I, Alemannia 11, Fide- litas, Badenia, Germania und Celeritas. Er sagt: "Die Clubs karnen und gingen mit dem Besitz oder Verlust eines Balles." Daß sich solche Vereinsgründungen oft recht formlos vollzogen, geht aus dem folgenden Bericht hervor: ,,17.11.1891. Die aus dem Internationalen Football-Club aus- getretenen Fußballspieler gründen auf dem Engländerplatz unter dem einzelnen dicken Baum an der Südseite des Platzes den Karlsruher Fußballverein (KFV)". Das Interessante und fiir Karlsruhe Besondere daran ist, daß diese neu entstehen- den Fußballvereine Schüler und Studenten nicht nur als Mitglieder und Übungsleiter, sondern auch als Vereinsvorsitzende hatten. Von Walter Bensemann, dem 16jährigen Unterprimaner und Vereinsgründer, war schon die Rede. Der Vorsitzende des neu- gegründeten Fußballvereins "Phönix" war Willi Müller, der an der TH Karlsruhe Chemie studierte. Franz Klotz, ebenfalls "Phönix", war Student am Staatstechnikum. Er war übrigens der Vater des ebenso fußballbegeisterten späteren Karlsruher Ober- bürgermeisters Günther Klotz. Die Karlsruher Aktivitäten sprangen auch auf andere Städte in Südwestdeutschland über. In ,,60 Jahre KSC" wird Bensemann mit folgenden Worten zitiert: " Im Jahre darauf rief ich im Verein mit den Schülern Ivo Schricker, Willi Back, Leoni und AdolfKohts den Straßburger Fußballclub ins Leben." Daß der Stamm der nach 1889 in Karlsruhe aus dem Boden schießenden Fußballvereine von Schülern der Karlsruher höheren Schulen gebildet wurde, geht aus den Berichten zur Mannschajl des von Walter Bensemann gegründeten Footbal/clubs " Kar/sroher Kicker " J 893. 62 Vereinsgeschichte der verschiedenen Fuß- ballvereine hervor. Als Beispiel sei hier der Verein "Phönix" zitiert: "Er gewann sehr rasch die Sympathie der auf dem Engländer- platz spielenden Schüler, hauptsächlich der Oberrealschüler. .. "In derselben Vereinsge- schichte heißt es zur Lage im Jahre 1902: "Nach Schulzugehörigkeit existierten dort zwei in sich geschlossene Gruppierungen: I. Die Schüler der Oberrealschule [jetzige Helmholtzschulel, 2. die des Gymnasiums und des Realgymnasiums aus der Stadtmitte und dem Osten." Im übrigen können wir aus den vorliegen- den Berichten darauf schließen, daß die jungen Karisruher Fußballvereine der 80er und 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Durchschnitt nur zwischen 15- 20 Mitglieder hatten, In der Vereinsgeschichte von "Phö- nix" ist aus den Jahren 1894/95 dazu folgendes zu lesen: "Durch Zuwachs aus Schülerclubs, die infolge von Gegnerschaft von Schule und Elternhaus und abhängig von dem Besitz eines Balles oft so schnell verschwanden, wie sie entstanden waren .. . , vermehrte sich die Spielerzahl so, daß in den Trainingsspielen gegen zwei Tore gespielt werden konnte. Das war fur die damalige Zeit schon etwas." Nur hatte die Sache noch einen Haken. So lesen wir in der Vereinsgeschichte von "Phönix" zu unserem Erstaunen noch folgendes: "Die Torstangen wurden im Hause Raible in der Bismarekstraße aufbewahrt und mußten jedesmal vor dem Spiel dort geholt, eingebaut und nach dem Spiel zurückgebracht werden," Die Identifizierung des Fußballspiels als englisches Sportspiel wurde schon in den Anfangsjahren in Karlsruhe deutlich. Der Schüler Walter Bensemann, der Gründer des ersten Karlsruher Fußballvereins, galt in den Augen seiner Mitschüler - allerdings zu Un- recht - als Engländer. Einer seiner Mitschüler, der spätere Regierungs-Baurat Gerhard Benstz, bestätigt das mit den folgenden Worten: "Als er in unsere Unterprima eintrat, erschien er uns als das Urbild eines Engländers .. . Er ... sprach das Englische si- cher besser, d. h. englischer aus als unser Professor fur diese Sprache." Interessant ist es auch, daß der ehemalige Karlsruher Kleine Exerzierplatz seinen Na- men in Engländerplatz, den er heute noch trägt, änderte, als dort das englische Spiel, nämlich Fußball, von deutschen Gymnasia- sten und englischen Collegestudenten gespielt wurde. Bensemann berichtet dazu: "Unsere hauptsächlichen Gegner waren und blieben die jungen Engländer von Neuenheims Col- lege und des Heidelberger College .. . " In ;m- derem Zusanunenhang spricht Bensemann davon, daß diese Colleges Vorbereitungs- anstalten fUr englische Offiziere waren. Auch ist von einem College von Friedrich Wilhelm Nohe die Rede. Nohe war Sprachlehrer an einer Militärschule in London gewesen. Dort hatte er das Fußballspiel kennengelernt, ehe er 1898 als 34jähriger nach Karlsruhe kam, wo er erst einmal Vorsitzender des Karlsruher Fußballvereins, dann (1898) Vorsitzender des 1897 gegründeten Süddeutschen Fußball- verbandes und gleichzeitig von 1904-1905 Vorsitzender des DFB wurde. In der o. a. Festschrift des Badischen Fußball-Verbandes heißt es: "Nohe hatte sein College nach Karlsruhe verlegt, mit dem er später nach Marxzell (Albtal) übersiedelte. Das College war in der Hauptsache vonjungen Leuten, die dem englischen Hochadel angehörten, be- legt. " Auch der Fachjargon wies das Spiel als englischen Import aus, was sicher zum Widerstand der deutschen Turner gegen Fußball beigetragen hat. Man sprach von Goal und nicht von Tor, von Full-back statt 63 Verteidiger, von Half-back statt Läufer, von Centre-half statt Mittelläufer, von Forward statt Stürmer, von Corner statt Eckstoß, und der erste Karlsruher Fußballverein hieß Karlsruher Football-Club, nicht aber Fuß- ball verein. Selbst Spielkleidung und Ausrüstung waren in jenen Tagen englische Produkte. Die Fußballstiefel mußten in den 80er Jahren aus England bezogen werden. Beliebt waren die Marken "Praxis" und "Forward". Der erste deutsche Lieferant für Fußballschuhe war wahrscheinlich C. W. Streidel in Berlin, des- sen Firma im "J ahrbuch für Volks- und Jugendspiele" 1894 unter dem Namen A. Streidel (General-Depot der Fa. Hillman & Cooper in Doos und Coventry, England) Sportausrüstung anbietet. Ähnliches galt für die Anschaffung von Trikots. Aus der Vereinsgeschichte des Fußballklubs "Phö- nix" wird uns Folgendes berichtet: "Erwäh- nenswert ist noch eine Generalversammlung im Januar 1897, in der die Anschaffung von Blusen, schwarz-blau gefeldert, beschlossen wurde. Die Blusen (24 Stück) mußten damals in England bestellt werden und kosteten einschließlich Zoll 6,50 Mark per Stück. Da waren bedeutende Opfer seitens der Spieler notwendig, um diese Kosten aufzubringen." Um diesen Preis richtig einschätzen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß beispielsweise der Eintrittspreis in das damals einzige Karlsruher Hallenschwirnm- bad in der Kaiserstraße (mit Wassertempera- turen von 16° und Duschen 10°!) 7-14 Pfennige und der Preis für das Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 2 Mark betrug. Die sozialen Schichten, aus denen sich die fußballbegeisterten Gymnasiasten und Stu- denten rekrutierten und die Andeutungen über die relativ hohen Kosten einer Fußballaus- 64 rüstung aus englischen Lieferungen deuten darauf hin, daß, zumindest in Karlsruhe, der Fußballsport damals noch nicht breite Bevölkerungsschichten erreicht hatte. Auch der Hinweis darauf, daß ein Angehöriger der großherzoglichen F arnilie, nämlich Prinz Max von Baden, unter den fußballspielenden Gymnasiasten zu finden war, deutet darauf hin, daß Fußball, in diesem besonderen Fall Rugby-Fußball, in höchsten gesellschaftli- chen Kreisen offenbar nicht den Ruf eines plebejischen Volks sports hatte. Das Wohl- wollen der großherzoglichen Familie dem Fußballsport gegenüber wird auch dadurch belegt, daß der Karlsruher Fußball-Verein noch im Jahre 1905 in seinem Briefkopf schreiben durfte: "Karlsruher Fußball-Verein (e.V.) - Gegründet 1891 -. Unter dem Pro- tektorat Sr. Gr. Hoheit des Prinzen Maxi- milian von Baden. 11. Januar 1905." Trotz solch offensichtlichen Wohlwollens des Prinzen hatten die jWlgen Fußballanhän- ger gegen mancherlei · Widerstände anzu- kämpfen. Die 80er und 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren zwar Jahrzehnte, in denen vor allem nach dem sog. Gosslerschen Spielerlaß (1882) und nach der Gründung des Zentralausschusses zur Förderunq der Volks- und Jugendspiele in Deutschland (1892) die Spielbewegung einen großen Aufschwung erlebte, aber im wesentlichen ging es dabei erst einmal um die Förderung der sog. Turnspiele. Viele Turner lehnten das Fußball- spiel als fremdländische bzw. undeutsche Form von Leibesübungen ab. So geschah es auch in Karlsruhe, wo der Vorstand der Karlsruher Turngemeinde einen Antrag junger Vereinsmitglieder ablehnte, eine eigene Fußballabteilung im Turnverein zu gründen. In der Festschrift ,,60 Jahre KSC" berichtet der Reg.Baumeister a. D. Gerhard Benstz darüber folgendes: "An einem schönen Sonntag Vormittag spielten wir Schüler aus verschiedenen Schulen auf dem Engländerplatz. Plötzlich kamen zelUl bis zwölf junge Turner in weißen, langell Hosen und in fröhlichster Stimmung von der nahen Zentralturnhalle her mit einem Fußball angesprungen und begannen nach Herzens- lust herumzukicken. Sie hatten ersichtlich noch nie einen Ball unter den Füßen gehabt... Aber schon nach einigen Wochen hatten sie die Fußballl"lIlst einigennaßen erfaßt. Sie gründeten einen Club und nannten ilUl Phönix .. ,". Turner als "Überläufer" Wir können annehmen, daß damals immer wieder "Überläufer" vom Turnen zum Fußballspielen überwechselten und daß die Turnvereine versuchten, das zu verhüten, indem sie ihre Vereinsarbeit in der Öffent- lichkeit so attraktiv wie möglich darstellten. Ein Beispiel dafur ist der folgende Artikel in der Badischen Presse vom Sonntag, dem 8. April 1894: "Auf zum Turnen! Gut Heil der Turnerei! Die so gesundheitsfOrdernden, Körper und Geist entwickelnden leibesübun- gen unter Aufsicht und Leitung von bewährten Fachmännern vernünftig getrie- ben, sollten nirgends mehr fehlen und möchten wir gerade jetzt, an dem Lebens- wendepunkt der jungen Leute VOll der Schule in die Lehre zum mannigfachen Arbeiten, den Mahn- und Weckrufergehen lassen, sich dem Turnen auch mehr und mehr anzuschließen. Hierzu bietet sich günstig Gelegenheit bei der Turngesellschaft, bei der Lehrlinge jeden Standes als Turnzöglinge Montag abends jeweils von 8-10 Uhr in der Turnhalle, SchützensIr. 35, sich bei Turnwart W. Blum anmelden können, wo selbst ihnen ein vom Vater oder Lehrherrn auszustellender Erlaub- nissehein eingehändigt wird. Noch wird besonders darauf aufmerksam gemacht, daß die Zöglinge nach Stufen ihrer Körper- konstitution eingetheilt und die betr. Übungen ihren Leistungsfahigkeiten angepaßt sind, so daß der schwächste Lehrling stets langsam in seiner weiteren Entwicklung vorwärts schrei- tet, aber zusehens an Fülle der nonnalen Körperausrüstung .gewinnt. In der schönen Sommerzeit wird der Turnplatz im Freien (Wiese) benützt und Turnspiele arrangiert, ebenso zur Erholung von Zeit zu Zeit an den Sommertagen kleine, halbtägige Touren, die keine Anstrengung und kein Geld kosten unter der Führung des Turnwarts veranstaltet." Mit welchen Schwierigkeiten die jugendli- chen Fußballspieler auch sonst zu rechnen hatten, soll noch ein weiteres Beispiel verdeutlichen. In der Festschrift der Sport- schule Schöneck berichtet K. Geppert über das Leben und Treiben auf dem Karlsruher Engländerplatz, der Wher Kleiner Exerzier- platz hieß und auf dem auch ein Feuer- wehrübungstunn stand. Er schreibt: "Der Feuerwehrtunn konnte ... zum Umziehen benutzt werden. Die meisten jener Spiel- freudigen ließen nämlich ihre Spiel aus- rüstung im Turm zurück, weil sie sich nicht getrauten, etwas davon nach Hause zu bringen." Erich Beyer 65 Politische Vereine in Karlsruhe während der Revolution 1848/49 1. Auch wenn Friedrich Heckers und Gustav Struves republikanische Aufstandsversuche zusammen mit ein paar Episoden von Barri- kadenkämpfen sowie die Nationalversamm- lung in Frankfurt stets besondere Aufmerk- samkeit in der Betrachtung der Revolution 1848/49 genossen, so erschöpften sich die Ereignisse insgesamt keineswegs darin. Nachhaltiger wirkte ein ungeheurer Pali ti- sierungsschub breiter Bevölkerungsschichten, der seinen sichtbaren Ausdruck im Entstehen und Wirken politischer Vereine fand. In ih- nen manifestierte sich ein Pluralismus, der eine Vorform der politischen Parteien dar- stellte, wie sie sich dann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Deutschland heraus- bildeten. Mit dem Verein war bereits Ende des 18. Jahrhunderts das Leitbild einer Gesell- schaft freier und rechtsgleicher Bürger gegen die starre ständisch-korporative Gesellschaft hervorgetreten. Der freiwillige organisatori- sche Zusammenschluß von Personen, der Idee nach nicht durch Standesschranken begrenzt, sprengte die Grenzen der alten Gesellschaft mit den verbindlichen Zugehörigkeiten des einzelnen zu lebens leitenden korporativen Verbänden, wie sie beispielsweise die Stän- de, die Zünfte, die Konfession, der Bürger- verband einer Stadt darstellten. Hervorgegan- gen aus aufklärerisch-bildungsbürgerlichen Idealen, wurde der Verein in der ersten Hälf- te des 19. Jahrhunderts zu einem liberalen Muster, mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Vielfalt reichte vom staatlichen Landwirtschaftsverein - auch Staat und bewahrende Kräfte setzten auf den Ver- ein als wirksames Mittel- bis zu zahlreichen Geselligkeitsvereinen. 66 Karlsruher Vereine nach 1830 Insbesondere nach 1830 setzte nicht zu- letzt als Auswirlnmg der französischen Juli- revolution eine um sich greifende und ausfa- chemde Vereinsgründungswelle ein. Bis da- hin hatten sich die städtischen Oberschich- ten, Adel, Beamte und bürgerliche Eliten, in ihfer exklusiven Vereinsgesellschaft getrof- fen; in der Residenz Karlsruhe in der "Mu- seumsgesellschaft". Nun wurden auch die mittleren und kleineren Bürger des Gewerbe- standes von den Vereinen erfaßt. So entwik- kelte sich in nahezu allen Städten des Groß- herzogtunIs eine zweigeteilte Vereinskultur. In Karlsruhe hatten sich 1835 die Gesell- schaft "Eintracht" lmd der "Bürgerverein" als Geselligkeitsvereine konstituiert, denen spä- ter noch eine Reihe Gesang-und M usiherei- ne folgten. Diese Vereine waren nicht poli- tisch angelegt. Doch allein die Tatsache, daß sich Bürger in ihrer freien Zeit trafen und gemeinsam räsonierten, bedeutete in begrenz- tem Maße die Herstellung einer Öffentlich- keit, in der sich gleichartige Interessen aus- tauschen oder erst formulieren konnten. Das ganze blieb auf die Männer begrenzt; Frauen besaßen keine staatsbürgerlichen Rechte, und im Bürgerideal des 19. Jahrhun- derts gab es keinen Platz rur eine öffentliche Stellung der Frau. Zugangsbeschränklmgen und vor allem die Höhe der Mitgliedsgebühr hatte die Exklusivität der Bürger bewahrt. Auf ausdrücklich politische Vereinsgrün- dungen wie die " Polenvereine" nach 1830 oder den " Preß- und Vaterl andsverein" in der Folge des Hambacher Festes 1832 hatten die Kräfte im Deutschen Bund mit ihrer ganzen restaurativen un~t.Leakti.onäre)1 .Energie_[ea~. ___ ~ giert. In Baden hieß es im Vereinsgesetz vom äußersten radikalen Flügels stehen sollten, 26. Oktober 1833 k"\lfz und bündig im Art. I : gehörten dem Vorstand des Vereins an, der "Die Staatsregierung kann jederzeit einen ,. regelmäßig zweimal die Woche im Lokal Verein, der die Sicherheit des Staates oder! "Stadt Rastatt", Amalienstraße 87, Haupt- das allgemeine Wohl gefahrdct, auflösen und versammlung abhielt. Neben den Vorträgen dessen Fortbestehen verbieten." hatten die etwa 80 Mitglieder auch die Mög- Die Ausdifferenzierung im Vereinswesen lichkeit, selbstfonnulierte Fragen zu bespre- ging indessen weiter. In den 1840er Jahren ehen. tauchte ein neuer Vereinstyp auf, der dem Durch einen Spitzel im Verein zeigte sich bekannten Bürgerverein immer weniger ent- das Polizeiamt sehr gut infonniert über die sprach, selbst wenn die Gründung noch durch dabei intensiv geflihrten politischen Diskus- "honette Bürger" ausging: Turn- und Gesel- sionen des Zeitgeschehens. Angesichts der len- bzw. Arbeitervereine sprachen auch die bereits aufgeheizten politischen Stimmung im unterbürgerlichen Schichten an. Februar 1848, als im Verein die radikalsten 1847 - März 1848: Der Karlsruher Arbeiterverein -=~~~~~~~~--- Eine entwickelte Industrie gab es in Baden 1848 noch nicht, immerhin bestand in Karls- ruhe mit der Keßlersehen Maschinenfabrik mit ungefahr 850 Beschäftigten die zweit- größte Fabrik in Baden. Um die Jahreswende 1847/48 drohte dem Unternehmen durch die angespannte Wirtschaftslage und die Krise des Bankhauses Haber der Konkurs. Just in diese Zeit fallt die Existenz eines Arbeiter- vereins. Er entsprach trotz der Mitgliedschaft von Keßlersehen Fabrikarbeitern insgesamt durchaus dem Typ in anderen Städten, dem- nach Handwerksgesellen und sogar verarmte Handwerksmeister die überwiegende Mit- gliedschaft stellten. Zweck war noch nicht die gebündelte Interessenvertretung im Klas- senkampf gegen den Unternehmer, sondern die Vennittlung von (bürgerlichen) Bildungs- idealen. Ähnlich wie in Mannheim der Gesellen- verein durch radikalisierte Liberale, dort durch Gustav Struve, geleitet wurde, hatten auch im Karlsruher Arbeiterververein Radikale die Führung inne. Die jungen Literaten Karl Blind und Karl Steinmetz, die im Verlauf der Re- volution noch an herausragenden Stellen des Flugblätter kursierten, die Nachrichten von der französischen Revolution eintrafen und im Verein angeblich Pläne zur gewaltsamen Erhebung besprochen wurden, schritt das Polizeiamt ein. Es verhaftete am 29. Febmar den Vorstand und verbot den Verein nach dem Vereinsgesetz von 1833, noch bevor er sich in der revolutionären Märzbewegung 1848 hätte artikulieren können. Dennoch richtete nur vier Wochen später im März eine mehrere hundert Köpfe umfas- sende Arbeiterversanunlung im Promenade- haus beim Karlstor eine Resolution an das Vorparlament nach Frankfurt. "Die arbeiten- den Klassen sind durch die jetzige Einrich- tung des Staates schwer gedrückt. Was sie mit sauenn Schweiß erwerben", hieß es dar- in, "das wird verwendet zur Erhaltung von Fürsten, Prinzen, Hofstaat, u.s.w. Oder es fließt in den Beutel eines Arbeitgebers, der von der Arbeit unsrer Hände seine großen Häuser baut und seine Equipagen [luxuriöse Kutschen I hält, und uns daftir auf die Straßen setzt, wann es ilun beliebt." Die Arbeiter- versammlung verlangte staUdessen "Bildung und Wohlstand ftir Alle" und sah das Ziel von "Freiheit, Gleichheit, Verbrüderung!" nur in einer Republik garantiert. Die Märzrevolution wurde zum Initial- funken eines politischen Vereinswesens, lau- 67 tete doch eine Kernforderung: freies Ver- einigungsrecht! März bis Juli 1848: Aufbruch - "Vaterländischer Verein" und "Demokratischer Verein" Bei der revolutionären Entwicklung im März war Karlsruhe zwar nicht vorausge- gangen, doch auch in der Residenzstadt hatte eine Bürgerversammlung am 15. März 1848 die "Gründung einer Art städtischen ausser- ordentlichen Ausschusses, d.h. eines Einheits- punktes in Mitte der Bürgerschaft und Hand in Hand mit den Gemeindebehörden, eines vaterländischen Vereines, oder wie man es nennen will, zur steten Wache über alle Vor- gänge und zur Belebung und Erweiterung des erwachten, freien Bürgergeistes durch regel- mäßige Besprechungen, Vorträge etc.", be- schlossen. Damit waren aber keineswegs die weitgesteckten Ziele der Offenburger Ver- sammlung vom 19. März 1848 verbunden, auf der zur Gründung von "vaterländischen Vereinen" im ganzen Land aufgerufen wurde und die zugleich einen "Central-Ausschuß" mit Friedrich Hecker an die Spitze gesetzt hatte. Die Frage von "mehreren Bürgern" anl 23. März im "Karlsruher Tagblatt", warum immer noch kein Verein gegründet worden sei, und ob die Haupt- und Residenzstadt zurückbleiben wolle, hatte den Grund nicht in eventueller Verschlafenheit, sondern in den Gegensätzen zwischen den sich auftuenden "Parteien". Denn mit den radikalen Beschlüs- sen der Offenburger Versammlung wollten die überwiegend gemäßigt-konstitutionellen Karlsruher Bürger, die ihr Auskommen auf den Hof und die zahlreichen zentralen Be- hörden zurückfUhrten, nichts zu tun haben. Am 12. April 1848 fand schließlich die konstituierende Versammlung des "Vaterlän- dischen Vereins" statt, nachdem in den Räu- men des "BÜfgervereins" zuvor mehrere vor- 68 bereitende Treffen stattgefunden hatten. Als Zweck hielten die Statuten fest, "einzustehen flir die Erhaltung und gesetzliche Fortent- wicklung unserer Rechte, - zu wachen über die volle und möglichst schnelle Erfullung aller uns gegebenen Zusagen", sprachen sich zugleich gegen jede " reaktionäre oder anar- chische" Richtung aus und setzten " unter Voraussetzung wahrer und unverfälschter Volkswahlen, [auf] das deutsche Parlanlent". Obwohl sich der Verein damit zum konstitu- tionell-monarchischen System bekannte, warb nur zwei Tage später ein Aufruf im "Karlsru- her Tagblatt" fur einen " Badisehen Volks- verein" mit der Befurchtung, daß im "Vater- ländischen Verein" die "Bestrebungen von Communisten und Republikanern" Einfluß hätten. Offensichtlich überzeugte der "Va- terländische Verein", daß er Garant fiir "Recht und Ordnung" sei und eine Spaltung nur scha- de, denn zu einem weiteren staatstragenden Verein kam es nicht. Die radikaleren Demokraten Karlsruhes waren bei den Vorbesprechungen zur Bil- dung des "Vaterländischen Vereines" in der Minderheit geblieben und hatten daher zur Gegengründung eines " Demokratischen Ver- eins" auf den 15. April 1848 aufgerufen. "Die Anerkennung der 'Rechte des deutschen Vol- kes ', wie solche von der demokratischen Parthei des Vorparlaments in Frankfurt auf- gestellt worden sind", d. h. das radikale so- ziale Programm Gustav Struves gab die Grundlage dazu. "Wer den bisherigen ge- drückten Zustand der arbeitenden Klasse, die Anmaßungen der bevorrechteten Stände ken- nen zu lernen Gelegenheit hatte", hieß es erläuternd in der "Mannheimer Abendzei- tung", die regierungstreue Presse der Resi- denzstadt Karlsruhe überging notorisch die revolutionären Verlautbarungen, "der weiß auch wie Noth es thut, den sogenannten vier- ten Stand zu haben, und ihm den Standpunkt in der menschlichen Gesellschaft anzuwei- Karl-Friedrich-Straße 30. Im linken Flügel befanden sich die Räumlichkeiten der Gesellschajl "Eintracht", in deren /AJkal der" Vaterländische ""rein" 1848 und 1849 regelm(jßig ""rsamm- lung hielt. Der danebenliegende sp(jtere "Friedrichshoj" gehlJrte nicht zur "Eintracht ". sen, den er einzunehmen ebenso berechtigt ist wie Andere." Offensichtlich stellte der Verein die soziale Frage in den Mittelpunkt und suchte sich insbesondere auch in den unterbürgerlichen Schichten Anhang zu ver- schaffen. In Friedrich Heckers republikanischen Auf- stand war der Verein nicht verwickelt. Daß er sich nach erfolgreichem Einzug der Frei- scharen in die Hauptstadt aber entsprechend revolutionär verhalten hätte, ist getrost anzu- nehmen. Inunerhin hatten sich republikanisch gesinnte Turner bereits Anfang April 1848 entsprechend der Losung nach allgemeiner Volksbewaffnung in Waffen geübt, obwohl dies durch das BÜfgerwehrgesetz vom I. April bereits unzulässig war. Die dabei verwende- ten Sensen wurden von der Polizei beschlag- nahmt. Das Programm, das erst im Mai gedruckt vorlag, gab als Zweck des "Demokratischen Vereins" an, "dahin zu wirken, daß dem deut- schen Volke seine Rechte endlich zu Theil werden. Dahin rechnen wir: Sicherheit des Eigenthums und der Person, Wohlstand, Bil- dung und Freiheit flir Alle ohne Unterschied der Geburt, des Standes und des Glaubens." Die dabei gemachte Aussage, dies nur "mit gesetzlichen Mitteln" erreichen zu wollen, war wohl der Einsicht nach dem gescheiter- ten Heckeraufstand zuzuschreiben. Die radi- kale Tendenz blieb aber offen sichtbar, denn 69 13 Punkte der radikalen und sozialrevolu- tionären Forderungen der "demokratischen Partei" aus Gustav Struves Feder standen schwarz auf weiß da. Zugespitzter Konflikt ,... ...... ~ ...... .u.v .w .w . • ·.·.·.·.w.v.w .... ·•· .... , · .......... ·,.,'w.· ....... _.v..o.w • .."" .· ... u.w.·., .·.·.·.·.·.·.·.·.·.w,.·.·.·.WN Der Streit der Karlsruher "Parteien" hatte sich anIäßlich der Wahlen zur Nationalver- sammlung entzündet, sowohl der "Vaterlän- dische Verein" als auch der "Demokratische Verein" hatten eine Liste von Persönlichkei- ten als Wahlvorschlag vorlegt, die unter- schiedlicher nicht sein konnte. Der Wahl auf- ruf der Demokraten, der in der Auffassung gipfelte, "Deutschland wird die Republik ha- ben; ob auf friedlichem Weg, ob über Blut und Leichen, das liegt in der Hand der Natio- nalversammlung", war zuviel fur die "Vater- ländischen". Der Konflikt eskalierte und wirk- te sich bis in die Gemeindeorgane hinein aus. Der demokratische Gemeinderat Ziegler wurde Zielscheibe in dem über die Presse heftig geführten Streit. Trotz Rücktritts- forderung von 107 Bürgern, viele im "Vater- ländischen Verein", trat .nicht er, sondern Oberbürgermeister Daler vom Amt zurück. Zicgler kandidierte um die Nachfolge. Er un- terlag zwar erwartungsgemäß, konnte aber immerhin als einer der treibenden Männer im "Demokratischen Verein" beweisen, daß auch in Karlsruhe die demokratische Bewegung über Anhang verfugte. Trotzdem gab er dem Druck nach und trat aus dem Verein aus, weil auch ihm der Wahl aufruf zu radikal sei, wie er beteuerte. Bei den Emeuerungswahlen zum Gemeinderat im Spätjahr 1848 wurde er nicht wiedergewählt. Aufsehen erregte der "Demokratische Ver- ein" auch durch seine Erklärung in der "Mannheimer Abendzeitung" vom 3. Juli 1848, nach der der Eid, den die Bürgerwehr auf Großherzog und Verfassung ablegen soll- te, abgelehnt wurde, weil er nicht freiwillig 70 sei und eventuell konträr zur künftigen deut- schen Reichsverfassung stünde. Diesem in Vereinsversammlungen getroffenen Beschluß zur Eidverweigerung kamen insgesamt zwar nur wenige nach, doch die wurden von den Behörden um so aufmerksamer registriert. Während der "Vaterländische Verein" no- minal 300-400 Mitglieder zählte, kamen die Demokraten nicht über 100 hinaus. Waren nach dem Heckeraufstand viele demokrati- sche Vereine in Baden verboten worden, so fiel der Demokratische Verein" in Karlsruhe nicht darunter, weil die vorsichtig agierende liberale Regierung nur gegen die unzweifel- haft in den Aufstand verwickelten Vereine und Komitees vorzugehen wagte. Für die Demokraten ging es in erster Linie nun darum, im Land eine Vereinsstruk1ur auf- zubauen. Der Anstoß kam diesmal von au- ßerhalb. Auf den 14. bis 17. Juni 1848 hatten Demokraten aus ganz Deutschland zum Kon- greß nach Frankfurt aufgerufen, um ein de- mokratisches Zweignetz zu errichten. Der Karlsruher "Demokratische Verein" war mit Kaufmann Lanzano und Karl Dänzer einer von vier badischen Vereinen, die mit Dele- gierten vertreten waren. Dieser Kongreß mit seinen Organisations beschlüssen stand im Juni und Juli 1848 auch im MittelpunJ..1 der örtlichen Vereinsaktivität mit seinen wöchent- lichen Versammlungen. Lanzano und Dänzer wurden zu MittelsmäJmern rur die Reorgani- sation der Vereine im Land. Da Karlsruhe rur die Demokraten ein zu wlsicheres Pfla- ster war, wurde rur den 16. Juli die zentrale Versammlung zur Errichtung einer demokra- tischen Vereinsorganisation in Ettlingen an- gesetzt. Dort bestand zwar kein offizieller Verein . Die " demokratische Partei" mit Sonnenwirt Thiebauth und Bürgermeister Schneider hatte aber anders als in Karlsruhe die Mehrheit der Bürgerschaft hinter sich, ähnlich wie im selbständigen Durlach der de- mokratische "Bürgerverein" die Mehrheits- verhällnisse in der Stadt beherrschte. Doch inzwischen hatte sich auch das Poli- zeiamt um den Karlsruher Verein gekümmert und seit dem 22. Mai eine intensive Untersu- chung mit Vorladungen von Vereinsmitglie- dern duchgeführt, deren ziemlich nichtssa- gendes Ergebnis dem Innernninisterium zu- ging. Dieses empfahl, ein "wachsames Auge" auf die Aktivitäten zu haben. Die Ak1ivitäten um den Demokratenkongreß versetzte die Re- gierung in solche Furcht, daß sie schließlich am 22 . Juli 1848 die Demokratischen Verei- ne, darunter den Karlsruher, verbot - nach dem immer noch bestehenden Vereinsgesetz VOll 1833! Vereinssplitter vom Turnverein und Frauenverein Ein Turnverein, als "Allgemeiner Turnver- ein" bekannt, bestand in der Stadt bereits seit 1846. 1848 gerierte er sich politisch. Ähnlich wie auf der erwähnten Arbeiterversammlung setzte sich ein Teil der Turner in einem Auf- ruf für die Republik als Staatsform ein und versprach auch tatkräftige Mitwirkung dabei. Darüber kam es zur Spaltung. Ein erhebli- cher Teil konstitutionell eingestellter Turner verließ den Verein und gründete arn 1. Au- gust 1848 den "Karlsruher Turnverein", weil "die Vermengung so unzusammenhängender Dinge wie Turnen und, was gegenwärtig be- liebt ist, Politik nur auf Kosten von beiden geschehen könne. Sie [der "Karlsruher Turn- verein" ) sind daher Turner in Turnvereinen, Männer der Partei in politischen Vereinen." Der überwiegende Teil des Leitungsgremiums gehörte dem "Vaterländischen Verein" an. Am 30. März 1848 konstituierte sich "Der Frauenverein zur Förderung deutschen Ge- werbsfleißes", weil, "in dieser bewegten Zeit [ ... ) dürfen auch wir Frauen aus unserm en- ger gezogenen häuslichen Kreise einen Schritt heraustreten, um in Gemeinschaft zu verab- reden, was unter so außerordentlichen Ver- hältnissen auch von unserer Seite gethan wer- den könne, um den Uebelständen zu begeg- nen". Frauen hatten hiermit erstmals über die ihnen allenfalls oITenstehende Form der Wohl- tätigkeitsvereinigung hinaus ein politisches Mandat ergriffen: Sie bekannten sich, "vor- zugsweise deutsche Erzeugnisse anzuschaf- fen'" um "den deutschen Arbeitenl den Ver· dienst zuzuwenden." Politische und wirt- schaftliche Motive gingen dabei Hand in Hand. Mit den "patriotischen Appellen" ver- suchten die Frauen die Existenz ihrer Män- ner, Handwerksmeister und Kaufleute, gegen billige Industrieprodukte von außerhalb zu verteidigen. Mit dieser Form politischer Teil- nahme konnten die Frauen auch mit der Un- terstützung höchster Stellen rechnen. Von den bald 237 eingeschriebenen Mitgliedsfrauen gehörte ein beträchtlicher Teil zur höfischen Gesellschaft, die doch eigentlich Adressat der Revolution war. Einen weiteren Beitrag lei- stete der Verein in der Kampagne des "Va- terländischen Vereins" zur Spendensammlung für eine "Deutsche Flotte". Als sich der Frauenverein im Sommer 1849 auflöste, hat- te er 70 Gulden dafdr zusammen. Jürgen Schuh/oden-Krämer 71 Politische Vereine in Karlsruhe während der Revolution 1848/49 11. Mitte Januar 1848 drückte ein Korrespon- dent in der radikalliberalen "Mannheimer Abendzeitung" seine Hoffnung aus, daß auch in Karlsruhe -langsamer freilich als anders- wo - mittels der Organisation von Vereinen die Emanzipation der Bürger vom Staat ge- fordert werde. "Man kann auch einer Stadt" , schrieb er, "die so lange geschlafen, nicht genug zu ihrer Aufmunterung wiederholen. Daß zu diesem Erwachen ganz besonders die jugendlichen erstandenen Männergesangver- eine, die Vereine der Turner und der Feuer- wehrmänner das ihrige beitragen, und schon beigetragen haben, steht außer aller Frage. Es wird durch sie, wenn auch n.icht immer gerade unmittelbar und mit bestinmlter, kla· rer Absicht, so doch durch den Einfluß des Gesanges, der freien kirchlichen Bewegung, der Übung in der Selbständigkeit und Selbst- thätigkeit ... von selber ein neuer, frischer Geistesstrom in die steifen und nervenschwa- chen Glieder des Residenzkörpers eingelei- tet, und ganz besonders durch das gegenseiti- ge Annähern der verschiedensten Stände und Religionen jenem heillosen Kastengeist entgegengearbeitet, der das Krebsübel vor- züglich der Residenzen ist." Wenige Wo- chen später wäre der Korrespondent gewiß noch euphorischer gewesen . Die März- bewegung hatte zwar nicht de jure, so doch de facto das im Vormärz geltende Verbot politischer Vereine überwunden. Nach dem Aufruf der Offenburger Versammlung am 19. März 1848, im ganzen Land politische Ver- eine zur Erkärnpfung der Volksrechte zu bil- den, wurde rasch deutlich, daß sich die Libe- ralen in zwei unversöhnliche Lager gespalten hatten. In der Residenzstadt fanden sich kon- stitutionelle Liberale im "Vaterländischen 72 Verein" zusammen, während die radikalen Liberalen den "Demokratischen Verein" ins Leben riefen. Letzterer wurde bereits am 22 . Juli 1848 wie andere demokratische Vereine im Land wieder verboten, erblickte die Re- gierung in ihnen nämlich "Angriffe auf die Grundlage der Staatsordnung". Der "Vaterländische Verein" seii dem Sommer 1848 Hatte der Vaterländische Verein in der Aus- einandersetzung gegen den " Demokratischen Verein" im Frühjahr 1848 anläßlich der Wahl der Nationalversammlung zu Frankfurt mit seinem Programm der Erlangung der "Volks- rechte und des Fortschritts auf dem Wege der Ordnung und des Gesetzes, den Kampf gegen die Reak-tion wie gegen die Anarchie" noch größte Entschlossenheit gezeigt, so erlahmte die Begeisterung der Mitglieder im Lauf des Sommers. Nach einem Polizeibericht vom Oktober sollen an den Versammlungen ledig- lich noch etwas über 50 der mehr als 300 eingeschriebenen Mitglieder teilgenommen haben. Aus dem Verein selbst wurde in der "Karlsruher Zeitung" beklagt, daß "die An- hänger der gesetzlichen Freiheit genug gethan zu haben glauben, wenn sie ihren Namen in einer Vereins liste geschrieben haben, aber weder Zeit finden., seinen Versammlungen anzuwohnen, noch Geld, um seine Zwecke zu fordern ; was aber Beides stets vorhanden ist, wenn es sich darum handelt, auf das Wohl der guten Sache - zu trinken." Der Schreiber erblickte die Gründe rur solches Verhalten in dem Wunsch der mehrheitlich loyal zu Groß- herzog und Regierung stehenden Karlsruher Bürger in der " Wiederkehr der Ruhe und des Vertrauens" nach den turbulenten Märztagen und der Sorge wegen des " stockenden Ge- werbes". Weil seiner Meinung nach aber die "Ernte der Früchte", die "Ruhe und Ord- nung", die die Nationalversammlung zu Frankfurt und die Wahl des Reichsvenvesers versprachen, nur durch Engagement der "Gut- gesinnten" erreicht werden könne, ermahnte er eindringlich zur Beteiligung im " Vaterlän- dischen Verein" . Die mangelnde Teilnahme der "braven" Residenzbürger glich der 15- köpfige Vorstand des "Vaterländischen Ver- eins" durch gesteigerte Aktivität aus. Ihm gehörten mit dem Oberbürgermeister, eini- gen Gemeinderäten und Bürgerausschuß- mitgliedern, viele davon in jungem und mitt- leren Alter, die Spitze der kommunalen Selbst- venvaltung an. In den rund 13 Monaten des Bestehens des Vereins fanden 50 Vorstands- sitzungen statt. Darin wurden die bis Mai 1849 insgesanll 16 unregelmäßig staugefun- denen Mitgliederversammlungen vorbereitet, zu verabschiedende Adressen und Petititonen an die Nationalversammlung, die badische Zweite Kammer und Regierung vorformuliert. Die Herstellung einer Öffentlichkeit war wich- tiges Mittel des Vereins. Dies geschah mit- tels der regierungstreuen Presse der "Karls- ruher Zeitung" und des "Karlsruher Tagblatt". Im Frühjahr 1849 kamen noch die eigens flir die Organisation der "Vaterländischen Ver- eine" gegründeten" Vaterländischen Blätter" hinzu. Die envähnten Adressen sowie auch Polemiken gegen die demokratischen Wider- sacher fanden wesentliche Verbreitung in ei- gens verbreiteten Flugschriften. Ein Hauptaugenmerk richtete der Verein auf wirtschaftliche Fragen, bildeten doch selb- ständige Gewerbetreibende und Kaufleute - und keineswegs Staatsdiencr- die Mitglieder- basis. In groß angelegten Adressen nach Frankfurt wurde die Forderung nach einem freien Binnenhandel innerhalb der deutschen Staaten bei gleichzeitigen Schutzzöllen ge- Joseph Victor von Scheffel, Rechtspraklikant, Literat (l826-1886) , 1849 Vorstandmilgt;::J'- des" Vaterländischen Vep!1i1s H. gen ausländische Konkurrenz erhoben. Die gesamte Venvaltung des künftigen Post- und Eisenbahnwesens in Deutschland soUte, so die Forderung in einer anderen Adresse, flir die "materieUe Wohlfahrt des Volkes", zen- tral von der Reichsgewalt und nicht mehr durch die einzelnen Länder ausgeübt werden. Auch flir das Karlsruher Bürgertum war also der einheitliche deutsche Nationalstaat, den der Verein auch mit einer Spendenkampagne fur die "Deutsche F1oUe" unterstützte, nicht bloß Herzensangelegenheit, sondern zugleich ökonomisches Projekt. Die Verbindung von Ökonomie und Politik zeigte sich auch in der eigens im Verein ein- gerichteten "Gewerbskommission", die in zahlreichen Sitzungen Vorschläge zur Stär- kung der örtlichen Wirtschaft machte. Mit 73 dem seit Dezember 1848 vorbereiteten Pro- gramm zur Einrichtung einer "städtischen Gewerbsleihkasse", sowie des "Aufruf zur Unterstützung nothleidender Gewerbsleute durch Arbeit" im Februar 1849 machte sich der Verein zum politischen Sprachrohr der Interessen der Wirtschafts bürger. Auf Initiative des Karlsruher "Vaterländi- schen Vereins" fand am 29. Oktober 1848 in Baden-Baden als verkehrstechnisch zentra- lem Ort das landesweite Treffen neun" vater- ländischer Vereine" statt. Wie bei der demo- kratischen Landesorganisation übernahm Mannheim die Leitungsfunktion. Der Karls- ruher Rathaussaal und das Lokal der "Gesell- schaft Eintracht" waren Schauplätze der Ver- sammlung des nächsten Kongresses, auf dem sich am 9. April 1849 über 200 Delegierte aus 32 badischen Vereinen sowie Gäste aus Vereinen anderer deutscher Staaten trafen. Die verabschiedeten drei zentralen Resolu- tionen an die "deutschen Bruderstämme" , die Nationalversammlung und den "durchlauch- tigsten" Großherzog betrafen die unbedingte Forderung nach Annahme der Reichsver- fassung. Doch eine Verständigung darüber, was getan werden könne, wenn der Appell rur "die Freiheiten des Volkes und die Ein- heit des Vaterlandes" von den Autoritäten nicht gehört würde, wurde nicht gefaßt, weil dazu der "Weg des gesetzlichen Fortschritt'" keine Richtung wies. Obwohl die Ablehnung der Paulskirchenverfassung durch eine Reihe deutscher Staaten - Baden hatte sie jedoch angenommen - auch die politischen Freihei- ten der gemäßigten Liberalen zunichte mach- te, lehnten sie revolutionäre Erhebungen ab. Folgerichtig stellte der "Vaterländische Ver- ein mit der Mairevolution 1849 die Tätigkeit ein. Seine Wirksamkeit konnte er aber in der dem Großherzog treu gebliebenen Bürger- wehr der Stadt inuner noch gegenrevolutionär zur Geltung bringen. 74 Die Karlsruher Demokraten und ihre Vereine seit Sommer 1848 Das Verbot des etwa 100köpfigen "Demo- kratischen Vereins" vom 22. Juli 1848 war keineswegs total. Eine von Zentralgewalt der Nationalversammlung in allen deutschen Staa- ten angeregte Untersuchung über bestehende politische Vereine fUhrte zur Antwort des "Po- lizei-Amtes der Residenz" an das "Stadtamt", daß sich bereits Anfang August der "Volks- verein" gebildet habe. Nicht nur die Namen der fUhrenden Mitglieder waren die gleichen wie beim "Demokratischen Verein", mit Aus- nahme des vormaligen Obmanns (Vorsitzen- der), Rechtskandidat Dänzer, der nicht das Karlsruher Bürgemecht besaß, und deshalb aus der Stadt ausgewiesen worden war, auch Programm und Statuten waren identisch. Die Behörden wiesen die Polizei dennoch ledig- lich an, die Aufmerksamkeit auf sein Wirken zu richten. Auch 'dieser Verein, der 80 bis 110 Mitglieder zählte, nach anderslautender Meinung nur 60, richtete seine Wirksamkeit auf die Erreichung einer Öffentlichkeil. Der gemäßigte demokratische "Stadt- und Land- bote" glich das Übergewicht der regierungs- treuen Presse nicht aus; mit Jahresbeginn 1849 stand mit dem "Verkündiger fur Karlsruhe und Umgebung" aber ein eigenes radikales Blatt zur Verfugung. Waren seit Beginn 1849 durch die Organi- sierung des demokratischen Landesausschus- ses in Mannheim überall im Land hunderte von "Volksvcreinen" emporgeschossen, so geschah in Karlsruhe Verblüffendes. Am 21. Januar gründete sich der demokratische "Deutsche Verein", der neben den bekannten demokratischen Forderungen nach unbeding- ter Volkssouveränität und sozialer Rechte auch eine lokale Begründung seiner Existenz gab: Der Zweck der Neugründung, hieß es, sei ein "durch die Verhältnisse der Stadt Karls- ruhe gebotener, das heißt, wir als Gemein- Kar! DUrr, Kaufmann, Mitglied des "Deutschen Vereins u. debürger von hier, wollen keineswegs die gemeindebürgerlichen und städtischen Inter- essen, insoferne sie den allgemeinen des Lan- des nicht entgegen sind, außer Auge lassen, wir wollen suchen, die Bahn des Fortschritts in unsern Mauem aufzupflanzen, wir wollen auf Verbesserung der städtischen Zustände, sowohl in politischer, als auch materieller Beziehung hinarbeiten". Aufnahme konnte statutenmäßig jeder Selbständige finden. Of- fensichtlich war dies ein Versuch, bei den bisher ablehnend gebliebenen bürgerlichen Schichten Anklang zu finden. Dies bedeutete keinen Gegensatz zum "Volksverein", son- dern war abgesprochene politische Strategie. Am 4. Februar war im "Verkündiger" die "Erklärung und Aufforderung" plaziert wor- den, daß nach Erklärung der Grundrechte durch die Nationalversammlung das Vereins- leben wirksam nur von Orts bürgern ausginge, die Einfluß auf Gemeinde- und Staats verhält- nisse ausüben könnten, was der "Volksver- ein" , der in Karlsruhe größtenteils aus nicht eingebürgerten Arbeitern bestünde, nicht er- reichen könne. Deshalb solle der "Deutsche Verein" an diese Stelle treten und der "Volks- verein" sei aufgelöst. An die Arbeiter aber erging der Aufruf zum Beitritt an den zeit- gleich ins Leben gerufenen "Arbeiter-Verein". Mit den "Betrachtungen über die gewerbli- chen Verhältnisse und die Mittel zur Hebung des Gewerbsstandes der Stadt Karlsruhe" rea- gierte der "Deutsche Verein" noch im Febru- ar 1849 auf das erwähnte wirtschaftliche Pro- gramm der Konkurrenz. Damit fand er bei den gewerbetreibenden Karlsruhern aber kei- nen Anklang, anerkannten die Demokra:en die Motive der "Vaterländischen" fur durch- aus lobenswert, um sie dennoch als unprak- tisch zurückzuweisen. Das alternative Mo- dell des "Deutschen Vereins", stadtnahe Domänengüter durch die Stadt aufzukaufen und zu parzellieren, um somit notleidende Handwerker zu subsistenzsichemden Acker- bürgern zu machen, war weder originell noch in der Lösung sozialer Fragen 'modem'. Im Ziel der Errreichung weiterer bürgerli- cher Schichten war der "Deutsche Verein" nicht erfolgreicher als seine Vorgänger. Über 86 Mitglieder, viele kleine Handwerksmeister und Gesellen, scheint er nicht hinaus gekom- men zu sein, wie eine beim Vorsitzenden, Rechtsanwalt Johann Konrad Dürr, gefunde- ne Mitgliederliste beweist. Immerhin gelang ihm aber, was dem "Vaterländischen Ver- ein" versagt blieb, im Landamtsbezirk Karls- ruhe Zweigvereine aufzubauen. Solche ent- standen zwischen März und Mai 1849 in den selbständigen Gemeinden Knielingen, Rint- heim und besonders aktive in Mühlburg und Hagsfeld. In (Welsch)Neureut soll eine Grün- dung ebenfalls kurz bevorgestanden haben. 75 Zwei ganz verschiedene Vereine: "Katholischer Verein", "Arbeiter-Verein". . ·.·.·.·.·.·.·.w.·.·."w.w ........... w.'" ... ·•· ... ~ ..... w...",. .......... v ... "..-. .... ·...",...., .. w ...... w.·.·.· ... w.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.· ... Die napoleonische Säkularisation und das Staatskirchentum im entstehenden modemen Staat hatte die Macht der katholischen Kir- che erschüttert. In der Durchsetzung einer römischen Papstkirche und mit der 1848 er- hobenen Forderung nach "Trennung von Staat und Kirche" bündelte sie ihre "Emanzipa- tionsbestrebung". Das hatte jedoch nichts mit der gleichlautenden liberalen Forderung zu tun. Es meinte lediglich, daß das Episkopat nicht mehr länger das Hineinreden des Staa- tes in kirchliche Angelegenheiten dulden woll- te, aber zugleich der kirchliche Einfl uß in der Gesellschaft bewahrt und sogar ausgedehnt werden sollte, beispielsweise in der geistli- chen Aufsicht über die Schulen. Wie überall in Deutschland organisierte der Katholizis- mus auch in Baden dazu eine Petitions- bewegung. Nach dem Muster des ersten "Pius- Vereins" in Mainz wurde im Juli 1848 durch den Laien Franz JosefBuß in der Erzdiözese Freiburg der "Katholische Verein in Baden" ins Leben gerufen, der ·sogleich mit über \00 000 Petitionsunterschriften an die Natio- nalversammlung zugunsten kirchlicher Rech- te in der künftigen deutschen Verfassung fUr Aufsehen sorgte. In Karlsnme besaß der po- litische Katholizismus mit dem Archivdirektor Franz Mone, wie Buß federführend in der Redaktion der katholischen "Süddeutschen Zeitung fUr Kirche und Staat", eine herausra- gende Persönlichkeit. Nachweislich lud ein Karlsruher "Katholischer Verein" im Herbst 1848 und Frühjahr 1849 unregelmäßig zu Vereinssitzungen sonntags nach dem Gottes- dienst ein. Beweise seiner Wirksamkeit dar- über hinaus liegen bis jetzt nicht vor. Als Bündnispartner war er für Konstitutionell- Liberale ebenso ungeeignet wie die staatli- chen Behörden seinem "Ultramontanismus" distanziert gegenüberstanden. Ein Vereins- 76 verbot brauchten die Katholiken nie zu fUrch- ten . Ganz anders die zweite Gründung eines Arbeitervereins in der Stadt nach dem Verbot des ersten im Februar 1848. Mit der "Allge- meinen deutschen Arbeiterverbrüderung" Ste- phan Borns war im Herbst 1848 in Deutsch- land eine Arbeiterbewegung sichtbar gewor- den. Zur Ausbreitung dieser ersten nationa- len Arbeiterorganisation fand am 28. Januar 1848 ein südwestdeutscher Bezirkskongreß in Heidelberg statt. Der Karlsruher "Volks- verein" hatte auf seinen Versammlungen im Januar 1849 ausführlich die Frage einer Arbeitervereinigung beraten und Delegierte nach Heidelberg gesandt. Zugleich mit seiner Auflösung hatte der "Volksverein" in einem flanunenden Appell im "Verkündiger" zur Bildung eines "Arbeitervereines" aufgerufen. Die neue Gesellschaft müsse sich von innen heraus entwickeln, hieß es da, "die Zukunft des Menschen ist der Sozialismus ... Die Män- ner, welche sich die wissenschaftliche Lö- sung dieser Frage zur Aufgabe gemacht ha- ben, die zahlreichen Vereine und besonders die Arbeiterkongresse haben als Mittel dazu die Arbeiter-Assoziationen bezeichnet .. . Ar- beiter von Karlsruhe! Auch an Euch ergeht nun die Aufforderung zum Anschluß an diese Bestrebungen." Am 19. Februar hielt der neue "Arbeiter-Verein" seine erste Generalver- sanunlung im Promenadenhaus ab, der bis Juni mindestens drei weitere folgten. Seine etwa 80 Mitglieder waren aktiv bei der Srur- mung des Zeughauses am 13. Mai 1849 da- bei. Am 2. Juni rief der Verein zur Bildung einer eigenen "Arbeiter-Compagnie" fUr die revolutionäre Volkswehr auf, der sich dem auf Initiative des "Deutschen Vereins" seit 11. Mai 1849 aufgestellten revolutionären Freikorps anschloß. Sie waren dann an den Abwehrgefechten gegen Preußen und Reichs- truppen beteiligt. Rudolph Kusel, Rechtsanwalt (1809-1890), Vorstandmilglied des" Vaterländischen Vereins" (A1tersportrail) . Die Mairevolution und das Ende Die Demokraten und ihre Führungsper- sänlichkeiten wurden mit den sich auftürmen- den Aufgaben nach der erfolgreichen Revo- lution vollkommen aufgesogen. AnIäßlich der Wahl zur badischen Verfassunggebenden Versammlung wurde die Vereinsorganisation jedoch nochmals mobilisiert, ebenso beim Aufiuf des Landesausschusses nach Geld-, Sach- und Verbandszeugspenden fur das be- drohte Land. Auch auf die von der revolu- tionären Regierung angesetzten Neuwahlen der Bürgermeister .und Gemeinderäte wirkte der "Deutsche Verein" ein. Doch die Ge- sinnung der Karlsruher Bürgerschaft blieb prinzipienfest: Oberbürgermeister bei der erst- mals durch alle Ortsbürger vorgenommenen Wahl, anstelle des Bürgerausschusses, blieb · wie bisher] akob Malseh, bekanntes fuhren- des Mitglied des vormaligen "Vaterländischen Vereins", Mit dem Einzug der Preußen war die Frei- heit fur die Demokraten zu Ende; kurz und bündig wurde verkündet: "Der zu Carlsruhe bestandene S.g. deutsche Verein, der Arbeiter- verein und der allgemeine Turnverein wer- den, da sie ihrem angegeben Zweck fremd geworden sind, und politische, mit der Staats- ordnung unvereinbarliche Zwecke verfolgt haben, fur aufgehoben erklärt". Jürgen Schuhladen-Krämer 77 Der Streit um den Bürgemutzen Konservative Durlacher in revolutionären Zeiten In diesem Jahr feiert Durlach sein 800- jähriges Bestehen als Stadt. Daher veröffent- licht das Stadtarchiv im September ein Buch über die Geschichte des heute größten Stadt- teils von Karlsruhe. Einige der dort fest- gehaltenen neuen Forschungsergebnisse sei- en hier schon dargestellt. Zu dem, was bis heute über Durlachs Vergangenheit erzählt wird, gehört, daß die Durlacher nicht immer gefügig gegenüber ihrem Landesherren gewesen seien. Zudem hätten sie über eine sehr große Gemarkung verfugt. Beide Erzählungen stinunen, und beide hängen zusammen. In der Zeit der Französischen Revolution von 1789 und während der deutschen Revolution 1848/49 erwachte der Durlacher Eigensinn. Der Ausgangspunkt war jedesmal die Gemarkung, die ftir das Selbstbewußtsein der Durlacher eine sehr große Rolle spielte. Der gemeinschaftliche Besitz, die Allmende, wurde zum Teil unter die Stadtbürger verteilt. Sie erhielten jahrhundertelang Acker- und Wiesenland zur Nutzung und aus dem Wald Anteile fur das Feuerholz. Dieser "Bürger- nutzen" ermöglichte es ihnen, nicht nur von ihrem Handwerk, sondern auch von der Landwirtschaft zu leben, so daß sie auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten besser da- standen als die Bewohner der umliegenden Orte. Immerhin erhielt jeder Bürger einen Morgen Wiese, einen halben Morgen Acker und zwei Klafter Holz. Die in der Stadt lebenden "Schutzbürger", das waren Bürger zweiter Klasse, die Aufenthaltsrecht genossen, aber von den Bürgerrechten ausgeschlossen waren, hatten keinen Anteil an der Allmende. Für die politische Haltung der Durlacher spielten die Verteilung und der jeweilige Anteil des 78 einzelnen an der Allmende bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fast eine größere Rolle als alle Forderungen nach bürgerlichen Freiheitsrechten. Bürg~~usschuß gegen ..• ~agistrat Als im Sommer 1789 die Nachrichten über die Revolution im benachbarten Frankreich die Stadt erreichten, bildeten die Durlacher neben dem damals von den Bürgern nicht gewählten Magistrat einen Bürgerausschuß, der sich direkt an die Bürgerschaft wandte. In den Versammlungen wurde Unmut über das Verhalten des Magistrats, des Ratskonsulen- ten und des Waldmeisters laut. Im August 1790 waren die Angriffe so vehement und das Ansehen des Ausschusses in der Öffentlich- keit so groß geworden, daß sich der Magistrat in seiner Autorität bedroht fuhlte und sich an "Serenissimus" mit der Bitte wandte, dem Ausschuß alle Zusammenkünfte zu untersa- gen und auf das Gesetzwidrige seines Tuns hinzuweisen. Der Bürgerausschuß reichte dagegen bei der Landesregierung eine "vollständige Beschreibung über die bisheri- ge Verwaltung des dortigen Stadtaerarii [= Stadtkasse] mit gemachten Vorschlägen zu dessen Aufhelfung" ein. Viele Vorwürfe des Bürgerausschusses fanden eine Bestätigung durch die Landesre- gierung: Die Verteilung von Acker- und Wiesenland und von Feuerungs- und Bau- holz, die Verpachtung der Obstbaumbestände und die Einnahmen von Diäten durch die Magistratsherren wurden beanstandet. Man warf ihnen Nachlässigkeit in der Rechnungsführung, Leichtsinn im Umgang mit den öffentlichen Mitteln und Parteilich- keit bei der Verpachtung des Gemeinde- Dur/aeher Birnkrug mls der Revo/utions- zeit /848- /849. eigentums vor. Die Angriffe der Bürgerschaft trafen die Honoratioren, die - ohne von den Bürgern gewählt zu werden - im Magistrat vertreten und die offensichtlich mit dem städtischen Eigentum nach Gutdünken, oft zu ihrem eigenen Vorteil umgegangen waren. Die Vorwürfe der Durlacher Bürger gegen das Rathaus waren nichtneu; der Umgang mit dem städtischen Eigentum hatt~ schon im 18. Jahrhundert zu Konflikten geflihrt. Doch waren diese Auseinandersetzungen in der Zeit der Französischen Revolution ein Ausdruck der politischen Veränderungen. Schon die Form des Protestes, d. h. daß die Durlacher einen Bürgerausschuß bildeten, der sich als Vertretung des gemeinen Volkes gegenüber den Stadthonoratioren verstand, war Beleg eines gewachsenen demokratisch-bürgerli- chen Selbstverständnisses. Das bewiesen die Durlacher auch bei einer weiteren in dieser Zeit erhobenen Forderung. Demokratische Bürgermeisterwahlen ~;';","_'-;-"-;-;';" :';*-"'_;';<-h~~:-;"':«< __ :-}~:"~'>>>_>>:"'>:<" Der Bürgerausschuß wandte sich nämlich gegen die damals in Durlach übliche "Vetternwirtschaft", indem er verlangte, daß der Bürgermeister von der Bürgerschaft direkt gewählt werde und nicht mehr durch die Magistratsherren. Auch wollten die Dur- lacher einen ständigen Bürgerausschuß, d. h. sie forderten eine Demokratisierung der innerstädtischen Verhältnisse und eine Teil- habe an der kommunalen Macht. Da Bürgermeister Daler im April 1790 starb, konnten sie diese Forderung um so gewisser erheben, als die von ihnen formulierten Anklagen gegen den Magistrat in Karlsruhe ja auf offene Ohren stießen. Der Magistrat war nun in hohem Grade bewuuhigt, zumal er nicht über alle Schritte des Bürgerausschusses informiert war. Daher sah er sich im August 1790 genötigt, dem Oberamtsassessor mitzuteilen, daß der Bürger- ausschuß bei der flirstlichen Regierung darum gebeten habe, "einen Bürgermeister ohne Zuthun des Magistrats und ohne daß ein Rathsglied dazu ein Votum haben solle, aus der Bürgerschaft wählen zu dürfen. Um aber diesem Unternehmen noch in Zeiten vorzu- kommen," solle das Oberamt doch mal vorflihlen, ob ein solches "Resolutum" etwa bei derflirstlichen Regierung schon eingegan- gen sei und falls ja, namens des Magistrats dagegen zu protestieren. Auch sollte man das gemeinsame Vorgehen gegen diesen Aus- schuß abstinunen. In einer Magistratssitzung am 10. Januar 1791 entschieden die Ratsherren, daß der Magistrat angesichts dieser Forderungen "kein gleichgültiger Zuschauer seyn kann, indem dadurch seine wohlhergebrachte Rech- te allerdings gekränkt werden, da von ohndenklichen Zeiten her immer ein Bürger- meister aus dem Magistrat von niemand als dessen Gliedern gewählt worden." Man be- 79 schloß, diese Gedanken in einem Schreiben der flirstlichen Regierung mitzuteilen. Doch waren die Kräfteverhältnisse zu diesem Zeitpunkt offensichtlich auf Seiten des Bürgerausschusses. Noch vor dem endgülti- gen Beschluß des Landesherren in dieser Angelegenheit einigten sich Magistrat und Bürgerausschuß. Am 26. Januar 1791 wählte die Bürgerschaft in Anwesenheit den neuen Bürgermeister. Dazu versammelten sich alle Durlacher Bürger auf dem Rathaus und gaben ihre Stimme einem der sechs Kandidaten, darunter zwei Ratsverwandte und der Bau- meister Fux; die restlichen waren Mitglieder des Bürgerausschusses . Der Münzwardein und damit ftirstliche Bediente Christoph Ernst Steinhäuser, der wie das Oberamt meinte - der "Chef der Antimagistratsparthie" war, erhielt die überwältigende Mehrheit von 395, die anderen Kandidaten zusanunen nur 23 Stimmeri. Damit hatten die Durlacher einen Macht- wechsei im Rathaus und eine Demokratisie- rung der innerstädtischen Verhältnisse er- reicht, an die sie in der Zeit der Revolution 1848/49 wieder anknüpfen konnten. Staatliche Reformen und städtische Tradition In der Zeit der Revolution von 1848/49 erwachte dieses Selbstverständnis nach Jahren der Restauration zu neuem Leben. In Durlach standen sich Demokraten und Monarchisten gegenüber; es gab einen revolutionären Bürgerverein, einen konserva- tiven Bürgermeister, gemäßigte und radikale Bürger. Wieder kam es zu einem Konflikt über den Bürgernutzen, der zurückging auf das Gemeindegesetz von 1831, das den Schutzbürgerstatus aufhob und die bisherigen Schutzbürger zu Bürgern mit allen Rechten erkJärte. Das betraf natürlich auch die Verteilung der Allmende; damit drohte der Anteil des einzelnen bisher Berechtigten 80 geschmälert zu werden. Auf das Gesetz von 1831 hatten die Durlacher reagiert, indem sie die Wartezeiten nach Antritt des Bürgerrechts bis zur Aufnahme in den Bürgergenuß verlängerten und den § 91 des Bürgerannahmegesetzes anwandten. Der legte fest, daß der bisherige Schutzbürger "den dreifachen Jahresbetrag der Bürgernutzungen in die Gemeindekasse zu entrichten" habe. Damit hatten die bisherigen Schutzbürger den Status von Ortsfremden, die ebenfalls, um aufgenommen zu werden, den dreifachen Betrag der durchschnittlichen jährlichen A1lmendnut- zungen zu entrichten hatten. In Durlach wurden daftir 200 GuJden verlangt, welche. Ortsfremde und seitherige Schutzbürger über das Bürgereinkaufsgeld hinaus zu zahlen hatten. Das galt aber nicht ftir die Söhne der Schutzbürger, denn § 95 des Gesetzes legte fest, daß diese mit Inkrafttreten des Ge- meindegesetzes, d. h: seit April 1832 so anzusehen seien, "als werm ihnen das Bürgerrecht angeboren wäre" . Dagegen wehrten sich die Durlacher Bürger mit aller Vehemenz, und es kam zu Auseinanderset- zungen, die am Vorabend der Revolution einsetzten und die in der revolutionären Zeit ihren Höhepunkt erreichen sollten. Der Konflikt darum begann Anfang des Jahres 1847, als zwei Söhne von ehemaligen Schutzbürgern den Antritt des Allmendge- nusses bzw. die Aufnahme in die Warteliste ohne Zahlung des Einkaufsgeldes verlangten. Der Zeitpunk1 war nicht zufallig, denn einmal fiel es aufgrund der damaligen Wirtschafts- krise den Söhnen ehemaliger Schutzbürger noch schwerer, 200 Gulden zu zahlen. Zum anderen genossen die Väter der zwei jungen Männer, die 1847 25 Jahre alt wurden, immerhin seit 1831 das Bürgerrecht. Nun wie Ortsfremde behandelt zu werden, konnte den bei den Schutzbürgersöhnen nicht mehr ein- leuchten. Beide beantragten, sie auf r...,---------:,.~ .. i, ""':t~·-o-~~--:--O;W~'!ll den Grund des § 95 des Bürgeran- nahmegesetzes zum unentgeltlichen Genusse, gleich jenen, welche ange- borenes Bürgerrecht besitzen, zuzu- lassen bzw. in die Warteliste zu demselben aufzunehmen. Der Ge- meinderat stimmte diesem gesetzmä- ßigen Anliegen im Januar 1847 zu, doch der kleine Bürgerausschuß versagte die Genehmigung, so daß sich der große Bürgerausschuß - das war das eigentliche Gemeinde- parlament - im Februar 1847 damit befaßte. Mit 83 gegen 5 Stimmen lehnten die Bürgerausschußmitglieder eine Aufnahme in den Genuß ohne Zahlung des Einkaufsgeldes ab. Für den nun anstehenden Rechtsstreit, der als Gemeindeangelegenheit be- trachtet wurde, beauftragten Ge- meinderat und kleiner Bürgeraus- schuß ein Komitee von vier Mitglie- dern des großen Ausschusses und zwei Jungbürgern. Ein Jahr später unternahm der Gemeinderat erneut den Versuch, das Anliegen der Schutzbürgersöhne zu vertreten; wieder lehnte der kleine Bürgerausschuß dies ab, wieder Durlacher Rathaus bis 1845. Hier trafen sich die Durlacher BUrgerversammlungen. wurde der große Bürgerausschuß zu dieser Angelegenheit zusammengerufen. Der nun beschloß einstimmig, die Schutzbürgersöhne abzuweisen und eine Petition um die Abschaffung des entsprechenden Paragra- phen an die Zweite Kammer im Ständehaus zu schicken. Im Gemeinderat, der die Anliegen der Schutzbürgersöhne unterstützte, saßen aber in dieser Zeit Mitglieder des demokrati- schen Bürgervereins, die hier einvernehnllich mit Bürgermeister Karl Wahrer und Gemein- derat Christian Hengst agierten, welche die gemäßigte Richtung vertraten. Zusammen stellten sie die politische Führungsschicht der Stadt, die erleben mußte, daß die Bürger- schaft ihnen bei der Frage des Bürgernutzens die Zustimmung verweigerte. Der Konflikt um den Bürgernutzen sollte in den Revolutionsmonaten eine eigene Dyna- mik und Sprengkraft gewinnen, zumal die Durlacher den Rechtsstreit nur verlieren konnten, da ihr Vorgehen gesetzeswidrig war. Nachdem die ersten Wirren der März- Revolution vorbei waren, unternahm der Gemeinderat inl Juni 1848 einen erneuten Vorstoß. Wieder verwies der kleine Bürger- ausschuß die Entscheidung an den großen Bürgerausschuß, der am darauJIolgenden Tag 81 sich nicht entscheiden wollte, sondern be- schloß, diese Angelegenheit der versammel- ten Gemeinde vorzulegen. Das war eine Selbstentmachtung des großen Bürgeraus- schusses, der im Dreiklassenwahlrecht ge- wählt wurde, d. h. daß die Stimmen der Bürger mit Vermögen mehr galten als die der vermögenslosen. Doch bestimmte er noch, daß die vier "zum Bezug des Bürgergenusses vorgerückten Schutzbürgersöhne vorderhand von dem Bezug ausgeschlossen, dahingegen in die letzteren die 4 nach der Rangliste zW1ächst stehenden Bürger mit angeborenen Rechten eingesetzt werden sollen". Damit war fur den Gemeinderat die brisante Situation entstan- den, daß er auf grund dieses Beschlusses zu einer gesetzeswidrigen Handlung aufgefor- dert war, die er zudem selbst ablehnte. Staatliche ExekutionsmaßnahnlCn Nun mischte sich auch das großherzogliehe Oberamt ein, welches rull 19. Juni das Ultimatum stellte, daß bis zum Mittag des 20. Juni drei namentlich genannte Schutzbürger- söhne in den Wiesengenuß eingewiesen werden sollten "bei Vern1eidung von Executionsmaßregeln". Der Gemeinderat und der kleine Bürgerausschuß teilten am 20. Juni dem Oberamt mit, daß sie die Entscheidung der Gemeindeversammlung überlassen wollten. Die Situation war inzwischen so zugespitzt, daß sie damit drohten, ihre Ämter sofort niederzulegen, falls das Oberamt sie zum Handeln zwingen wolle. Am 25. Juni 1848 versammelten sich morgens um 6 Uhr auf dem Rathaus 643 der 846 stimmberechtigten Bürger, um darüber abzustimmen, den großen Bürgerausschuß abzuschaffen. Auf die entsprechende Frage antwortete die Versammlung "mit einem donnernden Ja". Damit war in Durlach das 82 Zensuswahlrecht beseitigt. Nun setzte das Oberamt die angekündigten Executions- maßregeln, d. h. Militär ein, das seine Wirkung nicht verfehlte. Nachdem der Versuch von Vergleichsverhandlungen ge- scheitert war, wichen die versantnlelten genußberechtigten Bürger am 4. Juli 1848 der staatlichen Gewalt, doch erst im November 1848 wurde das Protokoll der entsprechenden Sitzung verfaßt. Nun hieß es: "Es seien die angeblichen Schutzbürgersöhne Friedrich Barthlott, Friedrich Sullerund Franz König in den hiesigen Allmendgenuß unentgeltlich einzuweisen, indem die Bürgerschaft hierzu durch eine militärische Besatzung auf dem Wege der Gewalt, der auf die Dauer nicht widerstanden werden krum, formlieh gez\V1lll- gen worden ist." Die Bürgerschaft verwahrte sich aber weiterhin dagegen und betonte, daß sie den entsprechenden Paragraphen der Gesetzgebw1g nicht anerkerme. "Sie behält sich aber die Reklamierung ihres schwer verletzten Eigentums ftir alle Zeiten aus- drücklich vor." Während des Schutzbürger- streits kam es zu Kräfteverschiebungen in den Gemeindegremien zugunsten des Bürger- vereins 1md zu einem Machtwechsel an der Spitze. Angesichts der revolutionären Ent- wicklungen halle Bürgernleister Karl Wahrer erstmals im April 1848 un1 Entlassung aus seinem Amt gebeten, was aber sowohl der Gemeinderat und der kleine Bürgerausschuß als auch der große Bürgerausschuß "unter gleichfallsiger Erteilung eines Vertrauensvo- tums" ablehnten. Am 2. Mai erneuerte Wahrer sein Gesuch "namentlich - aus Ge- sundheitsgründen", wieder wurde die Bitte abgelehnt, ihm aber ein Urlaub von zwei Monaten zugestanden. Das Protokoll vom 11 . Juni 1848 über die Sitzung des Gemeindera- tes und des kleinen Bürgerausschusses hielt darm lakonisch fest, man habe dem Gesuch um Amtsentlassung des Bürgermeisters Karl Wahrer willfahrt, "da dasselbe durch die Ereignisse vom geslrigen vollkommen be- gründet sei". Was sich hinter diesen Ereignissen ver- birgt, wissen wir nicht. Da aber in diesen Junitagen der Streit zwischen dem Gemeinde- rat und dem großen Bürgerausschuß über die Sache der Schutzbürgersöhne seinen Höhe- punkt erreichte, können wir vernJUten, daß der damit einhergehende Autoritätsverlust seine Rücklrittswünsche verstärkte. Sein Nachfol- ger wurde Kronenwirt Eduard Kraft, der als Mitglied des Bürgervereins zu den demokra- tischen Kräften zählte. Aus der Sicht des Oberamtes stellten sich diese Machtverschiebungen in den kommuna- len Gremien als Resultat der Aktivitäten des Bürgervereins dar. So berichtete das Oberamt im November 1848, daß der Verein sich einen Anhang verschafft habe, um mit diesem eine Änderung der Gemeindeverwaltung, "die in geregeltem Gange war und an deren Spitze tüchtige Bürger stunden", hervorzurufen. So sei es der Bürgerverein gewesen, der die Abschaffung des im Dreiklassenwahlrecht gewählten großen Bürgerausschusses zugun- sten der Gemeindeversammlung durchgesetzt habe. Diese Einschätzung der Lage seitens der Staats behörde läßt vermuten, daß der Bürgerverein die wegen der Allmendfrage aufgebrachte Stimmung aufgriff, um seine Forderungen nach Demokratisierung der Gemeindeverhältnisse und die Besetzung der Gremien mit eigenen Leuten durchzusetzen. Es handelte sich also um ein Bündnis von revolutionären Demokraten mit konservati- ven Bürgern, die spätestens seit dem Eingreifen des Mil.itärs im Oberamt, d. h. im Staat, einen gemeinsamen Gegner sahen. Nicht nur die Rufe nach Einheit und Freiheit, nach Menschenrechten und politischer Eman- zipation ließen die Durlacher zu Revolutionä- ren werden; sie wurden Revolutionäre aus konservativem Bürgersinn, der den Schutz- bürgersöhnen die Gleichberechtigung ver- weigern wollte. Susanne Asche Umstrittene Erinnerungen 1. Das Urteil der Nachwelt zur deutschen Revolution 1848-49 Wenn ftir 1998 schon zahlreiche Vorberei- tungen getroffen werden, um an die Revolution vor 150 Jahren zu erinnern, fragt sich wohl mancher: was geht das uns an? Das Kriegsende 1945 ist vielen noch gegenwärtig, doch schon 1918 liegt weit zurück, weil "Monarchie" kein Thema in Deutschland ist. Eher berührt die Kritik an der Form der Reichsgründung 1871 und einer Verfassimg, die ein "persönliches Regiment" des Kaisers zuließ. Aber die Mitte des letzten Jahrhun- derts? Vielleicht wird 1998 in den sicher bewegten Wahlwochen mancher stutzig, daß auch Zurückliegendes sich wieder einmal eignet, politisch instrumentalisiert zu werden, weil die einen die Radikalen, die anderen die Liberalen hochleben lassen. So ist es jedenfalls in den vergangenen 150 Jahren immer wieder geschehen. Die Reaktion ~_.~-~~-~ Nach 1849 wurde - gerade in Baden - jegliche Diskussion unterbunden, die "Reak- tion", wie das alte-neue Regime genannt wurde, gab den Ton an. In einem Geschichts- buch ftir badische Volksschüler um 1854 wurde Großherzog Leopold als der Gütige 83 gepriesen. "Die Revolution von 1848 und 1849 verursachte dem edlen Fürsten viel Leid; er wurde veraniaßt, sein Land, dem er so viel Gutes erwiesen, zu verlassen, und kehrte erst wieder zurück, als die Empörung unterdrückt war." Der Herausgeber der liberalen "Deutschen Zeitung" 1848, der Heidelberger Historiker Georg Gottfried Gervinus - in Karlsruhe wurde eine Straße nach ihm benannt - mußte sich 1853 vor dem Großherzoglichen Badischen Hofgericht verantworten wegen seiner "Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts" . "Es ist der Zweck dieser Schrift", so begann die Anklage des Staats- anwalts, "daß, einem bestinunten Gesetze der geschichtlichen Entwicklung folgend, die demokratischen Grundsätze trotz allen Hin- dernissen und Hemmungen in einem stetigen Fortschreiten begriffen seien." Das Urteil von zwei Monaten Geflingnis wurde zwar aufgehoben, die Universität Heidelberg entzog Gervinus aber die Lehrbefugnis. Als ihn 1862 Großherzog Friedrich I. jedoch um ein Gutachten zur Bildungsreform bat, spürte man einen anderen Geist in Baden, wo ab 1859 mit der Neuen Ära der Liberalismus als " regierende Partei" betrachtet wurde. Bei der Geburt des Thronfolgers 1857 waren die letzten ,,48er" amnestiert worden, Minister wurden ernannt, die im Landtag Rückhalt fanden, die badische Außenpolitik setzte auf eine Einigung Deutschlands durch Preußen, die der Nationalversammlung in der Paulskir- ehe nicht gelungen war. Baden, dem Deutschen Bund getreu, mußte zwar 1866 noch einmal gegen Preußen kämpfen, und nicht nur im katholischen Südbaden lehnte man sich gern an Österreich an; auch in Karlsruhe dachte mancher an den "Kartätschenprinzen" Wilhelm, der die badi- 84 sehen Aufstände niedergeschlagen hatte. Nach diesem Deutschen Krieg ging aber von dieser Residenzstadt eine Schrift aus, die die kleindeutsche Lösung forderte und in den deutschen Staaten ein breites Echo fand. Der Historiker Hermann Baumgarten am Poly- technikum, ein Schüler von Gervinus, pub- lizierte 1867 die Broschüre "Der deutsche Liberalismus. Eine Selbstkritik'. Sie ragte aus der Flut politischer Literatur heraus und hat über Generationen die Entwicklung des Nationalliberalismus beeinflußt. Baumgar- ten, ursprünglich Bismarck-Gegner, schwenk- te nun auf einen neuen Kurs. Zwar galt den Männern der Paulskirche von 1848 seine Achtung. Die Ausführung ihres Plans mußte aber scheitern, nicht nur weil Preußen damals " zur Lösung der ihm zugedachten Aufgabe durchaus unfahig, sondern weil die Reichs- verfassung (1848) .. . insofern ein theoreti- sches Produkt war, als sie sich nicht auf eine konkrete ausführende Macht stützte." Den Machtstaatsgedanken, die 'weiße' Revoluti- on von oben Bismarckscher Prägung prokla- mierte nun der Karlsruher Professor als nationalliberale Parole. Die revolutionäre Bewegung 1848 war fur ihn eine "traurige Verwirrung, welche in diesem Frühling die deutschen Lande erfüllte ... Der Bürger ist geschaffen zur Arbeit, aber nicht zur Herrschaft ... Es ist einer der verderblichsten Irrtümer zu meinen, jeder tüchtige Gelehrte, Advokat, Kaufmann, Beamte, der Interesse habe an öffentlichen Dingen und fleißig die Zeitung lese, sei befahigt, at..1iv in die Politik einzugreifen. " Mit Baumgarten kapitulierten breite Schichten des Bürgertums vor der These, daß nur die traditionelle Oberschicht herrschen könne. Im neuen Reich Nachdem 1871 das neue deutsche Reich gegründet worden war, dachte 1873 kaum jemand daran, sich an die Revolution vor 25 Jahren zu erinnern. Zwar erschienen Autobio- graphien, Quellen und erste Darstellungen. Die Bewertung war aber durch tonangebende Historiker wie Heinrich v. Treitschke und Heinrich v. Sybel bestimmt. Letzterer machte z. B. tUr die "radikale Verkündung in Süd- deutschland die gute Weinernte yon 1847 und das üppige Wirtshausleben" verantwortlich. Und so hieß es auch später in einem "lehr- buch ftir Geschichte tUr die höheren lehr- anstalten in Südwestdeutschland" über Ba- den: "Prinz Wilhelm v. Preußen, der spätere Kaiser, brachte das verirrte Land in tUnf Wochen zur Ordnung zurück; Großherzog Leopold überlebte die Heimkehr in sein Land nicht lange, er starb 1852, nachdem er noch die Reue seine Volkes gesehen hatte." 1898 AnIäßlich des 50. Jahrestages der Revoluti- on hüllten sich die Behörden geflissentlich in Schweigen. Gefeiert wurden andere Erinne- rungen anf dem Weg. zum Deutschen Reich: Schlachten, Geburtstage, der 18. Januar 1871. Einer Würdigung der freiheitlichen Bewe- gung kamen damals am ehesten noch die Arbeitervereinigungen nach. Der Offenburger "Volksfreund - Organ tUr die Interessen des werkthätigen Volkes", seit 1899 in Karlsruhe verlegt, berichtete am 23. März 1898 von der Debatte im Reichstag am 18. März: "Nichts zeugt mehr von dem Tiefstand der deutschen Presse, als die Art, mit welcher dieselbe die flammende Rede Bebel 's im Reichstage, die er zum ehrenden Andenken der Märzkärnpfer hielt, wiedergiebt. Die Junkerpresse schimpft und tobt ... Das einzige uns zu Gesicht gekommene bürgerliche Blatt, welches den Muth der vollen Wahrheit besitzt, ist die 'Ber!. Volksztg. '" Sie schreibt: "Es ist das Verdienst Bebeis, den Deutschen Reichstag vor der Schmach bewahrt zu haben, daß am gestrigen Tage nicht mit einer Silbe der hohen Bedeutung der März-Revolution gedacht worden wäre. Herr Bebel hat es durch eine geschickte Wendung der Debatte dahin zu bringen gewußt, daß die Todten der kampfreichen Märztage in der deutschen Volksvertretung diejenige geschichtliche Würdigung gefunden haben, die ihnen eine dankbare Nachwelt schuldig ist." Die nationalliberale "Badische Landes- zeitung" in Karlsruhe berichtete ebenfalls am 20. März 1898 in ihren Stimmungsbildern aus dem Reichstag von leidenschaftlichen Aus- einandersetzungen. "Nur in seltenen Momen- ten konnte der unkundige Tribünenbesucher heute bemerken, daß die zweite Beratung der Militärstrafprozeßnovelle auf der Tagesord- nung stand. Debattiert wurde fast ausschließ- lich über die Märzrevolution des Jahres 1848, deren 50. Jahrestag heute wiedergekehrt war ... Heute konnte man so recht sehen, welch eine gewaltige, riesengroße Kluft die An- schauungen und die Denkweise der Rechten und der Linken trennt .. . Ein Durcheinander- schreien, das sich zeitweise zu einem veritablen Wutgeheul steigerte, unterbrach fortwährend die Redner der beiden äußersten Flügel, und Worte wie "Gemeinheit, Frech- heit, Infamie, Fälschung, Pfui Teufel!" flogen unausgesetzt herüber und hinüber ... Die Verteidigung der Revolution fiel natürlich in erster Linie Herrn Bebel zu. Er feierte sie als die glorreiche Volkserhebung, welche dem Volke die politischen Rechte erzwungen und gegen Fürsten und Junker die Grundlage zur Einigung Deutschlands geschaffen habe ... Die hauptsächlichsten Wortftihrer der ande- ren Seite stellen die Märzereignisse als eine unselige Verirrung des Volkes dar ... und nach ihrer Auffassung war die Revolution gar keine impulsive Volksbewegung, sondern ist durch ausländisches Gesindel, das das preußische Volk durch einen Appell an die 85 schlechten Instinkte und durch Bestechung verfuhrt hatte, künstlich erzeugt worden." Der "Badische Beobachter", das Zentrums- blatt, brachte am 18. Mai/9. Juni 1898 eine ausfiihrliehe Darstellung "Vor fiinfzig Jah- ren" über das Parlament in der Paulskirche, das freilich nicht im Zusammenhang mit den März-Unruhen gesehen werden sollte. Der Autor G. H. "vom Neckar" verteidigte die Nationalversammlung vor der Kritik, in den ersten Frühjahrswochen 1848 nicht gleich die Einheit hergestellt zu haben, die "erst so viele Jahre später zu erkämpfen war", derm "die Vorwegnahme der Grundrechte vor dem Verfassungswerk hatte einen sehr zwingen- den Grund. Für den größten Teil der Bevölkerung war ja der eigentliche Kern der Märzbewegung doch mehr das freiheitliche als das einheitli- che Moment gewesen. Die Rechts- und Freiheitsbeschränkungen der vormärzlichen Zeit waren so bedrückend und namentlich fiir den Einzelnen so fuhlbar gewesen, daß der Drang, sie nicht nur abzuschütteln, sondern ihre Wiederkehr um jeden Preis zu verhin- dern, in weitesten Kreisen fortlebte und mit Macht Befriedigung erheischte." Der "Badische Landesbote" berichtete am 2. Juli 1899 von einer Rede des Großherzogs Friedrich gegen den Umsturz anIäßlich einer Denkmaleinweihung ftir Kaiser Wilhelm I. in Waldkireh und kritisierte, daß der badische Liberalismus "schon recht preußisch - kon- servativ geworden ist. Dermoch sei er besser als in Preußen." Das beweist die Tatsache, daß man dem Komitee fiir die Errichtung eines Denkmals zur Erirmerung an die im Jahre 1849 in Rastatt standrechtlich erschos- senen Freiheitskämpfer wenigstens erlaubt hat, eine Inschrift auf dem Denkmal anzubringen, während man in Berlin so etwas überhaupt nicht duldet. Vorsichtig genug ist allerdings auch die badische Polizei. Die Inschrift darf nur lauten: "Ruhestätte der im Jahre 1849 Erschossenen" . Trotz vorwiegender Ablehnung der Soziali- sten durch das Bürgertum, in denen sie die Urheber der blutigen Auseinandersetzungen 1848/49 sahen, kam es doch zu einer be- grenzten Art der Aufwertung der Revolution bei deutschen Historikern, die freilich die Mo- narchie und den "deutschen Beruf Preußens" nicht in Frage stellen wollten. Aber das wilhelminische Kaiserreich war ja nicht so einseitig geprägt, als daß man zu allen Zeiten in allen deutschen Landschaften gleiche Töne anschlug. Gerade die Skepsis Wilhelms 11. gegenüber den süddeutschen Herrscherhäusern und ihren Regierungen zeigte, welche anderen Akzente man südlich des Mains setzte. Doch fiir Wertungen der 48er-Revolution, wie wir sie heute treffen, schuf erst die Weimarer Republik Raum. Leonhard Müller Umstrittene Erinnerungen 11. Zum Umgang mit der Revolution von 1848/49 nach 1918 Die Revolution von 1918 schuf zweifellos ftir die Erirmerung an 1848/49 neue Aktualität. Sie änderte aber nichts daran, daß die Beschäftigung mit der Geschichte von 1848/49 sich zwischen Verdrängrmg, Bewäl- 86 tigung und Identifikation bewegte. Es blieb die konstatierte Spaltung nach Parteien und die von der jeweiligen historischen Situation Deutschlands bestimmte unterschiedliche Sicht auf die Ereignisse. Die 75-Jahr-Feier der Revolution im Jahre 1923 fiel in eine innen- wie außenpolitisch schwierige Phase der aus der Niederlage und der Revolution im Jahre 1918 hervorgegange- nen, noch jungen deutschen Republik. Im Innern hatten politische Morde z. B. an dem Finanzminister Erzberger und dem Außenmi- nister Rathenau und ein politischer Putschver- such rechtsgerichteter völkischer Kreise und Gruppierungen die Zerissenheit und parteipo- litische Spaltung des Landes verdeutlicht. Schwere Sorgen bereitete zudem die inflatio- näre Entwicklung und die steigenden Arbeits- losenzahlen. Außenpolitisch sah man mit der Besetzung an Ruhr und Rhein sowie im Saarland durch die Franzosen die Freiheit und Einheit des Landes bedroht. In dieser Situa- tion war es geradezu zwangsläufig, daß die in Frankfurt stattfmdende, von rechtsstehenden Kreisen mit Ablehnung kommentierte, zen- trale Gedenkfeier in Anwesenheit des Reichs- präsidenten Ebert politisch instrumentalisiert wurde. Kein Redner, der am 18. Mai im Frank- furter Römer und in der Paulskirche sprach, vergaß, auf die bedrohliche Lage der Re- publik durch die " schweren Anschläge und Anstürme unserer Gegner gegen unsere · nationale Freiheit und den Bestand des Reiches", so Friedrich Ebert, zu verweisen. Im Gedenken an die Männer der Paulskirche, deren vergebliches Bemühen ein "Denkstein" geblieben sei und über die Reichseinheit von 1871 und die Veriassungsgebung von Wei- mar 191 8/19 in die Gegenwart rage, müsse deren "Leitstern" "Einheit, Freiheit und Vaterland!" auch der Kern des gegenwärtigen Daseinskampfes an Rhein, Ruhr und Saar sein, so Ebert weiter. Der parteilose Reichs- kanzler Cuno variierte in seinem Grußwort den "Leitstern" Eberts, indem er "Vaterland" durch "Größe" ersetzte. Was er damit meinte, verhehlten weder er noch aUe übrigen Redner einschließlich jener der österreichischen, hochrangigen Delegation: den Zusammen- schluß Deutschlands und Österreichs. Zumin- dest während der Feierstunde schien die großdeutsche Lösung möglich, die 1848 das Paulskirchenparlament gespalten hatte. Eine Vorstellung, deren öffentliche Erörterung die VersaiUer Siegermächte wenig später unter- sagten. Nicht nur in den Frankfurter Feierlichkei- ten, sondern auch in der Sicht der Ge- schichtsschreibung überstrahlte die Paulskir- che und die dort diskutierten nationalstaatli- chen und außenpolitischen Themen das ge- samtrevolutionäre Geschehen des Vormärz bis zum Jahre 1849. Dieser Umgang mit den "Ideen von 1848" veranlaßte den Theologen und Philosophen Ernst TroeItsch im Blick ~uf die Revolution von 1918 zu der kritischen Feststellung: "Nur Kurzsichtige konnten triumphieren und meinen, das Ziel von 1848 sei jetzt erreicht. Nein, was 1848 ein kühnes Fortschrittsunternehmen war, das war jetzt eine konservative Retardierung und Bewälti- gung der Revolution ... ". Noch 1923 war die Forderung, die der Historiker Hermann Oncken 25 Jahre zuvor erhoben hatte, "den Gegensatz parteipolitisch befangener Über- zeugungen in einer höheren Instanz der Erkenntnis aufzulösen", nicht eingelöst. Vor- wiegend in den Büchern der Sozialdemokra- ten Blos, Mehring und Bernstein sowie in der DarsteUung des liberal-demokratischen Hugo Preuß war von Barrikadenkämpfen und Aufständen die Rede. Erst mit der zwei- bändigen "Geschichte der deutschen Revolu- tion 1848-1849" von Veit Valentin, die 1930/31 erschien, hatte sich ein Wandel in der Geschichtsschreibung der Revolution angezeigt. Das noch heute grundlegende, queUengesättigte Werk und die beginnende Sozialgeschichtsschrcibwlg eröffneten neue Perspektiven, die jedoch nach der national so- 87 zialistischen Machtergreifung nicht weiter- verfolgt werden konnten. 1948 1948 befand sich Deutschland in einer weit schlechteren Situation als 25 Jahre zuvor. Der von Deutschland ausgegangene Zweite Welt- krieg war verloren, die nationalsozialistische Diktatur und die in weite Teile Europas getragene Terrorherrschaft beendet. Das Land war besetzt und in vier Zonen geteilt. Man hatte 1947 eine katastrophale Ernäh- rungskrise überstanden, befand sich mitten im Wiederaufbau der zerstörten Städte und Industrieanlagen sowie der Ausgestaltung der von den Siegermächten verordneten Demo- kratie. In den Auseinandersetzungen der drei Westmächte mit der Sowjetunion über die Behandlung Deutschlands war bereits der "Kalte Krieg" ausgebrochen, die Teilung Deutschlands abzusehen. So wundert es denn auch nicht, daß die Rückbesinnung auf die demokratischen . Traditionen, auf den Kampf der "Achtund- vierziger" um die bürgerlichen Freiheits- rechte, von zentralem Interesse war. In vielen lubiläumsfeiern, Gedenkschriften und Aus- stellungen wurde der Ablauf der Ereignisse von 1847-1849 dargestellt und das Ringen in der Paulskirche um Einheit und Freiheit gewürdigt. Gelegentlich liest man dann auch, ohne das Scheitern der Revolution wäre den Deutschen die Katastrophe des Nationalso- zialismus vielleicht erspart geblieben. Abge- sehen davon, daß solche Interpretationen weder zu beweisen noch zu widerlegen sind, wird dabei gerne der vielen Revolutionären von 1848 durchaus nicht fremde Nationalis- mus und Antisemitismus übersehen. In Karlsruhe gedachte man der Revolution vom 25. April bis I. Mai mit einem Festakt, mit Vorträgen und einer Festauffiihrung des Dramas "Dantons Tod" von Georg Büchner. 88 Eine geplante Ausstellung konnte wegen Raurnmangels nicht stattfmden. Neben dem späteren ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß und dem Historiker Franz Schnabel sprach auch der sozialdemokratische Mini- ster und erste Karlsruher Nachkriegs-OB Hermann Veit. Er kritisierte die große Zahl der Feiern im Lande und konstatierte bei der Masse der Bevölkerung Teilnahmslosigkeit. Begeisterung erkenne er nur, wo Menschen- würde und Freiheit Herzenssache seien. Im näheren Umkreis fanden Feiern z.B. in Ettlingen, Baden-Baden und Offenburgstatt. Durch Karlsruhe fuhrte auch ein Teil des Stern-Stafettenlaufs von Leichtathleten nach Frankfurt zur Feier in der wiederaufgebauten Paulskirche, wobei eine Urkunde des Ober- bürgermeisters mit auf den Weg ging, in der der stolzen Söhne der Stadt gedacht wurde, die das Banner der Freiheit erhoben haben. Auch in Frankfurt standen die Gedenkfeiern ganz im Zeichen der Wiedergeburt der deutschen Demokratie im Geiste von 1848. Aus dem Blick geriet so allerdings in der Öffentlichkeit weitgehend, daß die Revoluti- on der Höhepunkt eines wei treichenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wand- lungsprozesses war, der alle Bevölkerungs- schichten erfaßt hatte. Ins helle Licht der . Berichterstattung in den Medien gerieten dagegen die konkurrierenden Revolutions- feiern in Berlin Ost und West, die bereits am 18. März stattfanden. Dieser Tag war nach dem Spiegel-Bericht "das bisher eindrucks- vollste Schauspiel nachkriegsdeutscher Zer- rissenheit. ... Die Barrikaden des 18. März 1848 wurden durch beiderseitige Polemik zu einer Mauer des 18. März 1948 verfestigt." Der Veranstaltung des Groß-Berliner Senats stellte die SED im Osten die Einberufung des ,,2. Volkskongreß fur Einheit und gerechten Frieden" nach Berlin-Ost entgegen. Im Osten reklamierte Wilhelm Pieck die demokrati- schen Traditionen fur die Ziele der SED: "Wir sind die Vollendung der unvollendeten Revolution." Das SED-Organ "Neues Deutschland" hatte am Tag zuvor mit der Parole: "Das ganze Deutschland soll es sein" das Interesse an nationaler Einheit dokumen- tiert. Im Westen dagegen sah man durch die Vorgänge in der sowjetisch besetzten Zone den Namen der Demokratie " l"sudelt" und die Freiheit in Gefahr. Deshalb dürfe die "Einheit unseres Vaterlandes nicht mit der Preisgabe unserer Freiheit" erkauft werden. So sah es am 18. Mai auch der Kommentator in den BNN. Die Feierlichkeiten standen, das war klar erkennbar, im Zusammenhang mit der historischen Legitimierung der staatlichen Neugründungen, die 1949 vollzogen wurden. Der "Streit um das Erbe" war entbrannt. 1973 Die 125-Jahr-Feiern legten in diesem Streit !Ur die Bundesrepublik eine ernüchternde Bilanz offen. Einem zentralen Forschungs- plan folgend, der die Revolutionsforschung !Ur die Gegenwartspolitik instrumentalisierte, hatte die DDR-Forschung einen Vorsprung errungen. Entsprechend intensiv und publi- kumswirksam wurden die Feiern 1973 gestaltet. Das Politbüromitglied Albert Nor- den behauptete: "Das Vermächtnis der Revolution von 1848 liegt bei uns in guten und sicheren Händen." Das Deutsche Historische Museum veranstaltete in Berlin und Leipzig Sonderausstellungen. Artikelserien in den Zeitungen befaßten sich mit der Revolution, und in einer in hoher Auflage verbreiteten "Illustrierte Geschichte der deutschen Revo- lution 1848/49" hieß es am Schluß: " Die Errungenschaften des sozialistischen deut- schen Staates wurzeln auch in den Kämpfen und Bestrebungen der revolutionären Massen von 1848. Deren Ideale wurden von jener Klasse verwirklicht, die vor 125 Jahren gerade die ersten Schritte ihrer eigenen Be- wegung tat, von der Arbeiterklasse, die sich damit fUr jeden klar erkennbar als die wirkliche und einzige Erbin von 1848 erwies." Der umfassenden und "offiziellen" Würdi- gung der Revolution in der DDR 1973 hatte die Bundesrepublik, wie es in einer Sam- melrezension 1975 hieß, wenig an For- schungsleistung und breitenwirksamer Dar- stellung entgegenzusetzen. In Frankfurt fand eine Ausstellung 125-Jahre-Paulskirche statt, badische Städte veranstalteten in Rastatt eine Gemeinschaftsausstellung, und in Karlsruhe zeigte das Stadtarehiv einschlägige Bestände im Pfmzgaumuseum. Seit 1970 gab es einen Neudruck des Werkes von Veit Valentin. Ein herausragendes Zeichen in der bundesdeut- schen Beschäftigung mit der Revolution setzte schon 1970 zweifellos Bundespräsi- dent Gustav Heinemann mit seiner Rede anIäßlich der historischen Bremer Schaffer- mahlzeit. "Einer ·demokratischen Gesell- schaft" , so flihrte er aus, "steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in die Schranken verwiesen wurden. So haben die Sieger die Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-demokratisches Deutschland un- sere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt." Eine Aufforderung, die nicht nur Zustimmung fand. Bei der Einweihung der "Erinnerungsstätte f1ir die Freiheitsbewegungen in der deutschen Ge- schichte" in Rastatt 1974 machte Heinemann deutlich, worum es dabei auch ging: "In der DDR pflegt man bewußt revolutionäre Überlieferungen. .. . Sie werden aber in Entwicklungsstufen zum kommunistischen Zwangsstaat verfremdet. Unerträglich ist es, daß wir dem durch eigene Untätigkeit Vorschub leisten und uns so einen Teil unserer Geschichte entwenden lassen. Wir 89 stehen mit dem anderen deutschen Staat im Wettbewerb ... Dazu gehört auch die Frage, wer sich mit mehr Recht auf die Freiheits- bewegungen in der deutschen Geschichte berufen kann, und wer die Ziele besser verwirklicht hat oder verwirklichen wird." 1998 Seitdem ist die Revolutionsforschung nicht zuletzt dank der seit den 60er Jahren eingefuhrten sozialwissenschaftlichen Frage- stellungen vorangekommen. Es entstand ein so verwirrend vielfaltiges Revolutionsbild - auch in der DDR hatte man zu differenzieren begonnen -, daß es schwer geworden ist, bündige Identiftkationsmuster flir die Revolu- tion von 1848/49 anzubieten. Man darf daher gespannt sein, wie die Landesausstellung in Karlsruhe die Ereignisse vor dem Hinter- grund eines flir Baden immer noch von Defiziten, so der Fachmann Dieter Lange- wiesehe,gekennzeichneten Forschungsstandes präSentieren wird. Das Jahr 1990 hat zudem mit der deutschen Einheit eine neue Situation geschaffen, und das Augenmerk wird sich 1998 daher wohl auch darauf richten, wie der "Streit um das Erbe" in den Revolutionsfeiem aufgehoben und wie die politische Öffentlich- keit nach 150 Jahren sich die Revolution aneignen wird. Manfred Koch "Fremde" in der badischen Revolutionsarmee Die Revolution 1848/49 wird oft als eine der wenigen Epochen gekennzeichnet, wo Liberale aus allen Landem, vor allem auch Deutsche und Polen, Seile an Seile standen. 1m Zusammenhang mit einem Akten/und aus dem Jahr 199/ wird als neuer Aspekt gezeigt, daß jene Stimmung, die vor 150 Jahren das politische Klima zu bestimmen schien, bald verflo- gen war. Mit der Morgenpost des 10. Juni 1849 er- hielt Maximilian Wemer, Rechtsanwalt aus Oberkireh, Paulskirchenabgeordneter und letzter Kriegsminister der badischen Revolu- tionsregierung, ein Schreiben, das ihm sicher- lich die Zornesröte ins Gesicht getrieben ha- ben wird. Absender war ein gewisser Stanun, nach eigenem Bekunden Gründer des "fran- zösischen Komitees flir Einigkeit und Frei- heit Deutschlands" in Straßburg, das seit Mitte Mai in ganz Frankreich aktive Propaganda flir die badische Bewegung betrieb, freiwilli- ge Hilfstruppen anwarb und deren Weiterbe- förderung nach Karlsruhe organisierte. Ein Demokrat und Kampfgeflihrte also, der schon deswegen von Bedeutung nir die revolutionä- re Regierung in Karlsruhe war, als sie - in 90 ihrem Kampf um die Reichsverfassung und eine soziale Republik - verzweifelt auf die Unterstützung des benachbarten Frankreich home. Schon am I. Juni hatte Kriegsminister Franz Sigel, ehemals badischer Leutnant, in Karlsruhe mit den Bürgern Stanun und Fran- ke als Abgesandte des Straßburger Komitees eine schriftliche Übereinkunft abgeschlossen, wonach Baden "die Bewaffnung, Besoldung und Verpflegung dieser Hilfstruppe" über- nehme, die aus kampferprobten Veteranen und "Altsoldaten" bestehen sollte. Als eine erste Gruppe von 20 Soldaten, "die fast alle in Italien oder im belgisehen Feldzuge gedient haben", am 7. Juni 1849 voller Begeisterung nir den "heiligen Kampf der Freiheit" in Karlsruhe eintrafen, mußten sie eine bittere Enttäuschung erleben: "Dort fanden sie verdammt schlechte Aufuahme. Man schickie sie von einem Büro zum an- dem, quartierte sie nirgends ein, so daß die Leute aus eigenen Mitteln leben mußten und wollte sie endlich der polnischen Legion ein- verleiben. Da dies gegen den Vertrag ist, da die Leute überdies sahen, da ß man den Schweizern, die gekommen waren, nicht bes- ser begegnete, da man diesen sogar ihre Waf- . fen nahm, da sie von der Karlsruher Bürger- wehr vielfach die Worte hörten: wir brau- chen keine Fremden u. dgl. , so kehrten sie wieder um und sind gestern wieder hier ange- kommen." So resümierte Stamm die Erleb- nisse der französischen Freiwilligen im revo- lutionären Baden, die sicher nicht geeignet waren, den erhofften Schulterschluß zwischen den revolutionären Nachbarn, Frankreich und Baden, herbeizuflihren. Von weiteren Zuzü- gen kampferprobter Männer aus dem Elsaß ist in den Quellen denn auch nichts mehr vermerkt! HofInung auf nichtmilitärische Lösung vN.W ... • . .,..·.·.·.w.w.· ... ·.• ... · ........ ..,....., . ...,w .... w.w.v.·.·.·.·.·.· .·.·.·.·.·.·.w'"'~ ... ""w.w •• ·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.w.y. Diese Episode wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation in Baden im Juni 1849. Die überschwengliche Begeisterung, mit der die Karlsruher Bevölkerung am 15. Mai den re- volutionären Landesausschuß in den Mauem ihrer Stadt begrüßt hatte, war verllogen. Die HofInungen auf einen Export der Revolution, auf den revolutionären Flächenbrand, hatten in den zurückliegenden Tagen empfindliche Dämpfer erlitten. Das Mitglied der provisori- schen Regierung Joseph Fickler war Anfang Juni in Stuttgart verhaftet, der von Kriegsmi- nister Sigel organisierte Marsch auf Frank- furt schon wenige Kilometer hinter der Gren- ze in Heppenheim von regierungstreuen hes- sischen Truppen gestoppt worden. Mit der Aullösung des "Klubs des entschiedenen Fort- schritts" am 6. Juni 1849 und der zeitweilien Verhaftung seiner Mitglieder hatten die Kräfte innerhalb der badischen Bewegung die Ober- hand behalten, die die Konfrontation mit den Bundestruppen zu vermeiden trachteten. Lorenz Brentano, ehemals Obergerichts- advokat und nun an der Spitze der Revoluti- onsregierung, hoffte mit der Mehrheit des Landesausschusses nach den Rückschlägen der letzten Tage mehr denn je auf eine nicht- militärische Lösung. Nur so glaubte er, die "Märzerrungen- schaften", also jene Reformgesetze, die im März I 848 von den Regierungen der Deut- schen Bundesstaaten der liberalen Bewegung zugestanden worden waren, dauerhaft sichern zu können. Pressefreiheit, Geschworenenge- richte, Einflihrung der VolksbewaiTnung in Form der Bürgerwehren und die Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung zählten in erster Linie dazu. Dabei hatte es zur Lebensfrage der Reichs- verfassungskampagne und damit der gesam- ten badischen Revolution gehört, daß sie wei- tere Breitenwirk-ung, über die Grenzen Ba- dens hinaus, gewann. Eine "badische Winkel- republik" hatte keine Überlebenschance. Dies hatte schon der ehemalige Innenrninister Bekk einer Delegation des Landesausschusses am 13. Mai 1849 höhnisch klargemacht. Die Umsetzung der Reichsverfassung gegen den erklärten Willen der bei den deutschen Groß- mächte Österreich und Preußen ließ sich nur mit WaiTengewalt bewerkstelligen. Dement- sprechend hatte der Landesausschuß schon Mitte Mai Aktivitäten auf militärischer Ebe- ne entwickelt. Dazu zählte in erster Linie die Anwerbung von Freiwilligen im benachbar- ten Ausland. Bereits am 16. Mai stellte er jeweils 1500 Francs rur die in Marseille und Lyon tätigen Organisationen der politischen Flüchtlinge zur Verfligung. 25 Francs Reise- geld erhielt dort jeder, der sich bereit erkJär- te, innerhalb einer gesetzten Frist in Baden einzutreffen und sich den dortigen Freikorps 91 Inspektion der Polnischen Legion auf dem Schloßplatz zu Karlsmhe durch die Mitglieder der Provisorischen Regienmg (Brentano, Goegg, Struve, Meierhäfer). anzuschließen. Viele strömten herbei, kampf- erprobt in den Schlachten der zurückliegen- den Jahre, die flir die demokratische Freiheit Europas gefochten worden waren. Ob in Si- zilien, Posen oder im Schweizer Sonderbunds- krieg des Jahres 1847, überall hatten sie flir ihre demokratischen Ideale gekämpft. Sogar Veteranen aus dem griechischen Freiheits- kampf wie der spätere Gouverneur der Fe- stung Rastatt, Gustav Nikolaus Tiedemann, boten ihre Dienste an. Aus allen vier Him- melsrichtungen trafen Nachrichten über Zu- züge von Freiwilligenformationen in Karls- ruhe ein. Aus Hanau kündigte sich eine knapp 600 Mann starke Legion der Hanauer Turner an; Heilbronner Turner, Tübinger Studenten und Arbeiter, daneben eine weitere Schwäbi- sche Legion, eine deutsch-schweizerische Flüchtlingslegion, die Besanyoner Legion aus deutschen Emigranten und französischen De- mokraten sowie zahlreiche Einzelpersonen aus fast allen Staaten des Deutschen Bundes und des benachbarten Auslands stellten sich der badischen Volksregierung zur Verfugung. Pensionierte Offiziere, in der Regel eher ohne 92 politischen Hintergrund, die auf ihre alten Soldatentage noch einmal den Pulverdampf atmen wollten, waren ebenso darunter, wie revolutionäre Enthusiasten ohne solide mili- tärische Kenntnisse. Die deutsch-polnische Legion .;.,:.:««<<-;.:<<<<<-:<<<.:<<.»,.,.,.,.,<<<.".:.;.:.;.:<<<.;.:-:w:'>:.;".;.;.:.;.:.:.;.:-:.;.,.,.","",.;.;.:.;.:-:.,.:.".,,.,.,.,.,.;.:-:«.,.,« Einen besonders guten Ruf, was persönli- cher Mut, strategisches Geschick und militä- rische Erfahrung betraf, genossen die emi- grierten Polen, die nach der neuerlichen Auf- teilung ihres Landes als politische Flüchtlin- ge vor allem in Frankreich lebten. Sie waren seit Jahrzehnten Symbolgestalten nicht nur fur den Unabhängigkeitskampf ihres Volkes, sondern auch fUr das Freiheitsbestreben der unter der "Fürstenknute" schmachtenden Völ- ker Europas. Mit Ludwig Mieroslawski, ei- nem der brillantesten Köpfe der polnischen Demokratie, konnten die Badener eine Per- sönlichkeit als Oberkommandierenden gewin- nen, dessen militärischer Ruf ebenso tadellos war wie seine politische Reputation. Einbin- dung der badischen Bewegung in den euro- päischen Völkerkampf, unter dieser Prämisse hatten sich auch eine ganze Reihe polnischer Emigranten im Umfeld Mierolawskis bereit erklärt, jenseits des Rheins revolutionären Kriegsdienst zu leisten. Schon am 17. Mai hatte sich in Karlsruhe auf höhere Order ein Komitee zur Gründung einer deutsch-polni- schen Legion konstituiert. F ; bestand aus AIexander Zurkowski, Abgeordneter des de- mokratischen Zentral-Komitees in Paris, dem polnischen Artillerie-Offizier Gajewski und dem polnischen Kavallerie-Offizier Brosz- niewski sowie den deutschen Vertretern Franz Joseph Lanzano aus Karlsruhe, Geschäfts- fuhrer und Kassier der Legion, dem Kriegs- kommissar Miller und dem Hartheimer Arzt Wenger. Eine ähnliche lnitiative fuhrte zur Gründung einer deutsch-ungarischen Legion. Durch die Gründung gemischt-nationaler Ein- heiten sollte wohl den Problemen begegnet werden, die durch mangelnde Kenntnisse der Sprache, des Terrains, der militärischen Ge- pflogenheiten sowie des badischen Volkscha- rakters unter den fremdsprachigen Auslän- dern entstehen konnten. Denn trotz aller Be- geisterung fur die gemeinsame Sache wurden die "Fremden" mit einer gehörigen Portion Mißtrauen empfangen. Dies war nicht Aus- druck eines Fremdenhasses als vielmehr Re- sultat der unterschiedlichen Vorstellungen über das politische wie militärische Ziel und die Stoßrichtung der badischen Bewegung. Sicherung des Erreichten fur Baden war das Credo der breiten Mehrheit der badischen Bevölkerung. Für die Freischärler und mit ihnen die republikanische Minderheit zählte die Südwestecke nur insoweit, als von hier aus die Revolutionierung Deutschlands und Europas und damit die Einbindung ihrer Hei- matstaaten in die republikanische Bewegung ausgehen sollte. Scheiterte das Unternehmen, so würde man es zu gegebener Zeit und am anderen Ort erneut versuchen. Hatten die fremden Revolutionäre bei ihrer Ankunft in Baden noch geglaubt, auf eine hochgradige revolutionär gesinnte Bevölkerung zu tref- fen, so wurden diese Erwartungen schnell enttäuscht. Die Vorstellungen, die man vom andern hatte, entsprachen keineswegs der Rea- lität, so wie man sie vorfand. Der Oberbe- fehlshaber Ludwig Mieroslawski, der wie die erwähnten französischen Freiwilligen eben- falls · am 8. Juni in Karlsruhe eingetroffen war, sein Generaladjutant Sigel und Oberst Becker, Kommandierender der Volkswehr, versuchten mit unermüdlichem Einsatz, aus den heterogenen Gruppen - Linienmilitär, Volkswehreinheiten und Freischarentruppen - eine schlagkräftige Einheit zu formen . Diese sollte jedoch unter dem Vormarsch der Preu- ßen schnell wieder zerbrechen. Die Serie der Rückzugsgefechte und Niederlagen in der zweiten Junihälfte 1849 zehrte am Selbstver- ständnis der revolutionären Armee. Beson- ders bitter empfanden die Soldaten, daß die gerechte Sache des Volkes, ihre Sache, dem Ansturm der "Tyrannen" nahezu widerstands- los erlegen war. Die Ursachen dafiir konnten nicht allein in der numerischen und strate- gisch-taktischen Überlegenheit des Feindes liegen. Das Wort vom Verrat machte schnell die Runde, Verantwortliche fur das Desaster wurden gesucht. Die Enttäuschung der Sol- daten über den scheinbar unerklärlichen Ver- lauf des Feldzugs wandelte sich in Wut. ~ Visier der angestauten Aggressionen gerieten die bereits von Brentano abschätzig titulier- ten "hergelaufenen Fremden", insbesondere die Polen, denen allein schon aufgrund der bestehenden Sprachbarrieren mit Mißtrauen begegnet worden war. Bereits Anfang Juni war es in Rheinsheim zu ersten Spannungen zwischen badischer Bevölkerung und der deutsch-polnischen Legion gekommen. DW bei Philippsburg gelegene Gemeinde hatte sich nämlich nachhaltig geweigert, den "Fremden" , die unisono mit dem schmückenden Beiwort "Gesindel" belegt wurden, Quartier und Ver- 93 pflegung zur Verftigung zu stellen. Als die Soldaten sich mit Gewalt das nehmen woll- ten, was ihnen ihrer Meinung nach zustand, war es zu wüsten gegenseitigen Beschimp- fungen und Schlägereien gekommen. Ende Juni rumorte es in fast allen Truppenteilen, in denen polnische Offiziere dienten. Vergessen war der heldenhafte Einsatz des polnischen Oberleutnants Tobian, der beim Gefecht in Käfertal schwer verwundet worden war, ver- gessen auch der BravoursIreich des Haupt- manns Adam Mieroslawski, der unter Ein- satz seines Lebens die Mannheimer Rhein- brücke in die Luft gesprengt hatte und damit die Eroberung der Stadt durch die Preußen um einige Tage verzögerte. Im Gegenteil: Von der Unfahigkeit und Feigheit der fremden Offiziere war nunmehr überall die Rede. Seltsam verkehrte Welt! Hat- ten noch vor wenigen Tagen eine fremde Na- tionalität, die französische oder polnische Sprache allein schon genügt, um deren Inha- ber fur Führungsaufgaben in der revolutionä- ren Armee zu prädestinieren, gerieten diese Attribute nun zum Makel. Um den "ehren- rührigen Verfolgungen" zu entgehen, die frü- her oder später in einem "blutigen Zusam- menstoß" enden würde, bat der polnische Hauptmann Bogdan Dziekonski am 29. Juni 1849 um Versetzung von der deutsch-polni- schen Legion zur Division des Majors Ga- jewski, die ausschließlich aus Polen bestand. Selbst Mieroslawski, der "Abgott des Hee- res", wie ihn der polnische Demokrat Helt- mann noch am 26. Juni charakterisierte, blieb vom Imageverlust der Polen in der öffentli- chen Meinung nicht verschont. In Meckesheim hatte er es Franz Sigel zu verdanken, daß 94 einer Revolte der Obersten Thome und Beckert kein Erfolg beschieden war. Noch ehe er mit seinem Stab verhaftet werden konn- te, hatte sein Generaladjutant die Meuterer entwaffuen können. Grund genug allerdings für Mieroslawski, am 27. Juni in Rastatt eine nunmehr rein polnische Legion zu bilden und sie als seine Leibwache einzusetzen. In an- dem Einheiten artete die Unzufriedenheit mit den polnischen Offizieren, die natürlich von einigen, im Herzen großherzoglreu gebliebe- nen Offizieren nach Kräften gefordert wurde, in regelrechte J agdzenen aus. So wurde Ge- . neral Sznayde in Graben von Soldaten des Leib-Infanterie-Regiments unter roher Ge- waltanwendung aus einem Haus gezerrt und mitten unter das marschierende Regiment ge- schleppt. Dort mußte er sich Beschimpfun- gen und Verhöhnungen ob seines am Vortage bei Ubstadt-Weiher gezeigten "feigen Ver- haltens" gefallen lassen, woran sich sogar die Offiziere des Regiments tatkräftig betei- ligten. "Weg mit dem Mann" oder "Nur vor- wärts mit dem Kerl" waren dabei noch die geringsten Beschimpfungen, die sich General Sznayde von den badischen Offizieren anhö- ren mußte. Die Spannungen innerhalb der Armee spie- gelten die politischen Zielkonflikte in den Reihen der revolutionären Regierung wider. Gerade weil die überwiegende Mehrzahl der Badener nicht revolutionär gesinnt, sondern Anhänger des "Brentanoschen Moderantis- mus" waren, so der Historiker Ludwig Häus- ser, blieb die revolutionäre Bewegung in Ba- den - unter militärischen Gesichtspunkten - in einer Insurrektion stecken. "Im Grunde wußten weder die Bürger noch die Soldaten, für was sie kämpfen sollten", so Ludwig Mieroslawski in einer bitteren Nachbelrach- !ung zum badischen Feldzug des Jahres 1849. Kurt Hochstuhl 150 Jahre badische Revolution Zur Landesausstellung 1998 in Karlsruhe Baden-Württemberg feiert die demokrati- sche Revolution von 1848/49. Vor 150 Jah- ren haben sich die Bürger mit demokrati- schem Engagement in den Dienst des Ge- meinwesens gestellt. Viele der damals for- mulierten politischen Forderungen gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in das deutsche Grundgesetz ein. 1m Rahmen des Jubiläums gilt es, den Einsatz der 1848/4ger wieder bewußt zu machen, sich der demokratischen Traditionen zu erinnern und zu einem neuer- lichen gesellschaftlichen Engagement aufzu- rufen. Die baden-württembergische Landes- regierung stellt mehr als fünf Millionen Mark zur Verfügung, um die Feiern zum Gedenken an die Revolution von 1848/49 zu ermögli- chen. Veranstaltungen in Baden-Württemberg Zum Auftakt des Jubiläums feierte im ver- gangenen September die Stadt Offen burg mit dem großen "Freiheitsfest" die 150. Wieder- kehr der Volksversammlung vom 12. Sep- tember 1847. Damals wurden im Offenburg- er Gasthaus " Salmen" die demokratischen Forderungen an die badische Regierung for- muliert. Der Abschluß der baden-württembergi- sehen Jubiläums-Feierlichkeiten wird, der Chronologie der Ereignisse von 1848/49 ent- sprechend, im Sommer 1999 in Rastatt statt- fmden . Bis dahin werden in über 110 Städten und Gemeinden des Landes mehr als 350 Veranstaltungen durchgefuhrt. Das Spektrum reicht von Ausstellungen über Volkshoch- schulkurse und Theateraufführungen bis hin zu Denkmalsetzungen. Hauptveranstalter des Jubiläums sind die baden-württembergischen Kommunen, das Haus der Geschichte Ba- den-Württemberg (regionale Ausstellungen), die Landeszentrale fur politische Bildung (Einrichtung von Wanderwegen entsprechend den Revolutionszügen in Südbaden), das Lan- desmuseum fur Teclutik und Arbeit in Mann- heim (Wanderausstellung in einem histori- schen Dampfzug) sowie das Badische Lan- desmuseum in Karlsruhe (Landesausstellung, Tafel-Wanderausstellung, zwei Ausstellun- gen zeitgenössischer Kunst). Konzeption der Landesausstellung -,.,.,.,.,.,.,., -- • y-=.~"*,,, Das Badische Landesmuseum Karlsruhe veranstaltet die zentrale Ausstellung z:nn Revolutionsjubiläum. Die Landesausstellung ,,1848/49. Revolution der deutschen Demo- kraten in Baden" fmdet vom 27. Februar bis 2. August 1998 im Karlsruher Schloß statt. Auf ungefahr 2 000 Quadratmetern sind über 700 Exponate zu sehen. Die Ausstellung zeigt die Bedingungen, den Verlauf, die deutschen und internationalen Zusammenhänge und die Wirkungsgeschichte der Revolution auf. Die badische Demokratiebewegung wird zudem in ihre historischen und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge der Zeit von der Französi- schen Revolution bis zur Reichsgründung 1871 eingebettet. Die Landesausstellung wird allen heutigen Anforderungen an eine große Ausstellung ge- recht: Eine von figurativen Installationen ge- prägte Ausstellungsarchitektur geleitet die Besucher durch die Abteilungen. Das mu- seumspädagogische Team steht für Führun- gen bereit und bietet didaktische Aktionen an, u. a. den Dialog von Schauspielern mit den Ausstellungsbesuchern. Eine Multivi- sionsschau fuhrt in die Ausstellung ein. Der im Landesmuseum und im Buchhandel er- 95 hältliche Katalog (Nomos-Verlag, Baden- Baden) ist als Ausstellungsbegleitbuch kon- zipiert, in dem fast alle Exponate farbig ab- gebildet sind, und k"Ufze Aufsätze sollen die Ideen der Ausstellung vertiefen. Ergänzt wird die Ausstellung von einem Begleitprogramm mit Konzerten, Vorträgen und vielem mehr. Seit drei Jahren laufen im Badischen Lan- desmuseum die Vorbereitungen zur Ausstel- lung, die von einer schließlich sechsköpfigen Projektgruppe durchgefUhrt wird. Ihr stand bei den konzeptionellen Arbeiten ein Wis- senschaftlicher Beirat zur Seite. Die vielen Fachabteilungen, Werkstätten und Ateliers des Museums sind in die Vorbereitungen einbe- zogen. Hinsichtlich der Exponate galt es zu- nächst, die verstreuten und zum Teil uner- kannten Dokumente, Erinnerungsstücke und Kunstwerke zur Revolution von 1848/49 zu- sammenzustellen. Schließlich konnten etwa einhundert private und öffentliche Sammlun- gen des In- und Auslandes als Leihgeber ge- wonnen werden. Viele Exponate wurden in einem schlechten konservatorischen Zustand aufgefunden und eigens fiir die Ausstellung restauriert. So trägt die Landesausstellung auch dazu bei, die Erinnerungsstücke an die Revolution von 1848/49 fUr die Zukunft zu sichern. Die Revolution von 1848/49 ist neben den historischen Sachdokumenten vor allem in den drucktechnischen Medien der Zeit doku- mentiert: In zahllosen Flugblättern wurden Informationen über den jeweils aktuellen Stand der Entwicklung in Umlauf gebracht. Zeitungsillustrationen und Einblattdrucke sorgten dafür, daß - häufig mit nur zwei- Im Zuge der Vorbereilung,m fiJr die Landesausstellung werden im badischen Landesmuse- um viele Exponate restauriert, so auch diese große schwarz-rot-goldene Wahlurne aus Leutkirch, die 1848 bei der Wahl zur Nationalversammlung benutzt wurde. 96 wöchiger Verzögerung - Bilder der Ereig- nisse verbreitet wurden. Bilderbögen aus Nürnberg, Neuruppin oder dem elsässischen Weißenburg entwickelten sich, in hohen Auf- lagen gedruckt, zu wichtigen publizistischen Organen. Die Malerei widmete sich in wenigen, aber bemerkenswerten Werken der Revolution von 1848/49. Johann Baptist Kim, ' war auf grund seiner Stellung als badischer Hofinaler der antirevolutionären Seite verpflichtet. So mal- te er ein Bild, das zeigt, wie militärisch ge- schlagene badische Freischärler der Aus- sichtslosigkeit ihres Tuns gewahr werden. Aber andererseits stammt von Kirner auch ein Gemälde, in dem 1849 fast portraithaft drei Badener aus der städtischen und ländli- chen Bevölkerung dargestellt werden, die sich im Kampf um die Freiheit als Freischärler zusammengefunden haben. So symbolisiert der Maler die breite Verwurzelung der Revo- lution in Baden. Nach der Niederschlagung der Revolution malte Kirner noch ein kleines, als lediglich private Arbeit zu wertendes Öl- bild, in dem er die standrechtliche Erschie- ßung eines Schwarzwälder Bauern vor der Festung Rastatt zeigt. Das Gemälde bringt die Betroffenheit des Künstlers über die Er- barmungslosigkeit der preußischen Standge- richte zum Ausdruck. Die preußischen Sieger ließen ihren Tri- umph über die badische Revolution auf re- präsentativen Gemälden festhalten. Dafiir en- gagierten sie auch badische Künstler, z. B. Louis HofImeister und den in Lörrach gebo- renen Friedrich Kaiser, dessen Entwicklung besonders bemerkenswert ist. Seit dem Früh- jahr 1848 dokumentierte Kaiser die revolu- tionären Ereignisse in zahlreichen Ölbildern, Aquarellen, Lithographien und Vorlagen fiir Holzschnitt-Illustrationen der Leipziger ,,!Uu- strirten Zeitung" . Dabei nahm er beide Blick- winkel ein - den der Aufständischen und den der anti revolutionären Seite. So zeigt Kaiser die Vereinigung der badischen und pfalzi- schen Truppen im Mai 1849 in Karlsruhe und portraitierte dabei die Protagonisten der Revolution Lorenz Brentano, Amand Goegg, Georg Böhning, Germain Mettemich, Mat- hilde Franziska Anneke, Elise Blenker etc. Doch dann wurde Kaiser von Prinz Wilhelm von Preußen eingeladen, als Berichterstatter in seinem Lager vor Rastatt tätig zu werden. Kaiser nahm dieses Angebot an. In der Fol- gezeit arbeitete er nur noch aus der Sicht der Preußen und machte sich sogar ihrer hämi- schen antibadischen Bildpropaganda dienlich. Nach dem Ende der Revolution ging Kaiser mit nach Berlin, malte dort fiir das Königs- haus noch einige Bilder der Ereignisse von 1849 und wandte sich dann allgemein der Schlachtenmalerei zu, ohne jedoch jemals wieder die hohe künstlerische Qualität seiner frühen badischen Jahre zu erreichen. w •• "u.~,~~~~Sc~~~:rz-Ro!:pold" __ ". In der Landesausstellung wird anband zahl- reicher Objekte auf die Farben der Revoluti- on aufinerksam gemacht: Die aus der Traditi- on der Freiheitskriege stammende deutsche "Trikolore" Schwarz-Rot-Gold war das Sym- bol der Einigungsbewegungen des Vormärz und der Revolution von 1848/49. Im Zug zum Hambacher Schloß wurden 1832 schwarz- rot-goldene Fahnen mitgeführt. 1848/49 tauchten die Farben sehr vielfaltig auf. Die Landesausstellung zeigt beispielsweise eine große Wahlurne, die im württembergischen Leutkirch bei der Wahl des Abgeordneten zur Nationalversammlung benutzt wurde. Von einer Dame, die in der Frankfurter Paulskir- ehe die Debatten der Abgeordneten verfolg- te, ist ein schwarz-rot-goldener, gehäkelter Pompadour erhalten, mit dem sie ihre Sym- pathie fiir das Parlament zum Ausdruck brach- te. Frauen nähten und bestickten die Fahnen vieler demokratisch gesinnter Vereine, Bür- 97 gerwehren und Freischarenbataillone in den Farben schwarz-rot-gold. Die Kokarden an den "Heckerhüten" Wld die Schärpen der Mit- glieder der provisorischen Regierung in Ba- den waren schwarz-rot-gold. Die Farben fm- den sich auf Tabakspfeifen Wld Weinkrügen. Und selbst ein Schwarzwälder Aussteuer- schrank wurde 1848 Schwarz-Rot-Gold be- malt, was das Möbel zu einem privaten Be- kenntnis seiner Besitzerin rur die Ideen der Revolution machte. Den hiermit angedeute- ten breiten Einfluß der Revolution auf die GestallWlg von Gegenständen des alltägli- chen Gebrauchs wird die AusstellWlg aus- ruhrlieh zeigen, ebenso die Gegenstände, mit denen die Protagonisten der Revolution ver- ehrt wurden. In Baden war dies insbesondere die Kultfigur Friedrich Hecker. Sein Portrait fmdet sich auf Tabakpfeifen, Schmuckkäst- chen, am Knauf eines Spazierstocks, auf An- stecknadeln, einer Ofenkachel etc. Das Ende der Revolution Der Krieg der badischen Revolutionäre ge- gen die Preußen wird in zahlreichen Druck- graphiken dokumentiert. Die Landesaus- stellung zeigt die AusstellWlgsstücke der kämpfenden Parteien: Bürgerwehrbluse, "Heckerhut" und umgeschmiedete Sense auf der einen - preußische Pickelhaube, Kanone Wld neuartiges Zündnadelgewehr auf der an- deren Seite. Der Niederschlagung der Revolution in Baden folgte die Zeit der preußischen Besat- zung und der Repression. Die revolutionären Symbole wurden verboten, das Andenken an die demokratische BewegWlg WlterbWlden. So wurden die Gräber gefallener oder hinge- richteter Revolutionäre eingeebnet, während die Preußen in ganz Baden Grabmäler rur ihre Gefallenen und Denkmäler zur Feier ih- res Triumphs aufstellten. Das zentrale, vom König Friedrich Wil- helm IV. in Auftrag gegebene preußische Denkmal wurde ausgerechnet am dritten Jah- restag der Kapitulation der FeslWlg Rastatt- und das als deutliches Siegeszeichen - auf dem Karlsruher Friedhof an der Kapellen- straße eingeweiht. Es ist dort noch heute frag- mentarisch erhalten. Das erste Denkmal rur die standrechtlich erschossenen Demokraten konnte dagegen erst nach 25 Jahren, 1874, in Mannheim errichtet werden. Das rur lange Jahre schwierige Andenken an die Revoluti- on von 1848/49 wird also in einem Epilog der Landesausstellung aufgezeigt. Jutta Dresch Die Petition des Vaterländischen Vereins Karlsruhe an die Deutsche Nationalversammlung vom 4. Juli 1848 Am ,18 . Mai 1848 trat die Deutsche Nationalversamm1Wlg als erstes freigewähltes deutsches Parlament in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Geschaffen durch den "stürmende(n) Geist der Zeit", so der Wortlaut der Karlsruher Petition, war sie fiir viele Menschen "Deutsehlands große HoffuWlg". Auch in den Augen des Karlsruher Vaterländi- 98 sehen Vereins, galt sie als "das Organ ... , auf welches wir mit Vertrauen hinblicken." HoffuWlgen, Erwartungen, aber auch Beftirch· IWlgen drückten sich in der wahren Flut von Petitionen aus, die sich über die Paulskirche ergaß. Auch die Karlsruher griffen wiederholt zu diesem Mittel. War bisher die Zweite Kammer der Badischen Landstände die Adressatin der Karlsruher Petitionen, so bot sich nWlßlehr die Nationalversammlung als zusätzlicher Ansprechpartner an. Die hier vorzustellende Petition des Karlsruher Vaterländischen Vereins vom 4. Juli 1848 trägt die Nummer 1500 im Register der Nationalversammlung; sie wurde in deren 54. Sitzung vom 5. August 1848 vorgelegt und an den volkswirtschaftlichen Ausschuß verwiesen. Diesem Gremium, dem Karl Mathy angehörte, wurde sie am 9. August präsentiert und schließlich von da am 19. August dem Reichsministerium des Handels weitergeleitet [Bundesarchiv FrankfurtlM. Sammelpetition 1500 aus DB 58/83). Verfassungs ausschuß und Volkswirtschaft- licher Ausschuß der Paulskirche waren zu diesem Zeitpunkt längst in die Diskussion des Katalogs der "Grundrechte der Deutschen" eingetreten und hatten damit zugleich Prinzipien der künftigen deutschen Wirt- schaftsordnung berührt. Als Stichworte seien hier nur genannt Freizügigkeit, Gewerbefrei- heit, Recht auf freien Erwerb von Grundbe- sitz, ein mögliches Recht auf Arbeit. In diese Diskussion griff der Karlsruher Vaterländi- sche Verein mit seiner Petition ein. Einleitend zeichnen die Autoren ein düsteres Bild der Wirtschafts lage. Der Zollverein, "Anker früherer Hoffnungen", habe die in ihn einst gesetzten Hoffuungen nicht erfullt; so seien am "rücksichtslosen Widerstreben einzelner Glieder des Vereins" alle Anträge zur "Entwicklung der Fabrik- industrie" gescheitert. Als kennzeiclmend ftir die Lage des "engeren Vaterlandes" werden ausgemacht: eine stärker anwachsende Aus- wanderung, ein zerstückeltes und mit Schul- den überladenes Grundeigentum, ein über- setztes Handwerk, ein vernachlässigtes Fabrik- wesen, der Mangel an Schutz und Schirm gegen das alte Kapital und die geübte Kraft des Auslandes. AIs nun die "Stimme nach Einigung der Deutschen" sich erhoben habe, "als die Kraft der öffentlichen Meinung an dem Bestehenden rüttelte und, was nicht fest war, stürzte", sei zugleich "in solchem Drängen auch die wirthschaftliche Grundlage unseres Vaterlandes tief erschüttert worden." Das "künstliche System des Credits" sei fast vernichtet, das Vertrauen gewichen, die Produktion geschehe nur noch mit geringer Hoffuung auf den Absatz der Erzeugnisse, der Kaufmann sehe "die bekannten Wege seines Absatzes verödet "Die Situation des "von der Bestellung des Tages" abhängigen Handwer- kers, "der arbeiten will und nichts zu arbeiten" habe, sei "wahrhaft beunruhigend" . In solcher Lage befanden sich viele Geschäfte, insbeson- dere aber "alle, die nicht Gegenstände des gemeinen Lebensunterhaltes" lieferten. "Die- ser Zustand der Dinge muß ein Ende, muß bald sein Ende erreichen, wenn nicht die Noth, der Hunger, die Schranke jeder Ordnung brechen und namenlose Verwirrung unserer Hoflhung auf ein größeres Vaterland mit den schönsten Rechten seiner Bürger vernichten soll." An die Reichsversammlung richteten deshalb 'die Petenten die Aufforderung, "bald, recht bald" das zu veranlassen, was der Bürger "ftir die wirthschaftliche Wohlfahrt" von ihr erwarten dürfe. Man könne nicht warten, bis die "Garantien gesetzlicher Ordnung und Freiheit für das Gesammtvaterland" errungen seien. Das Programm, das der Karlsruher Vater- ländische Verein zur Behebung der Not vorschlug, zeichnet sich durch seinen konse- quent ,virtschaftsliberalen Grundtenor aus. Gefordert werden: Gewerbefreiheit, Freizü- gigkeit ftir Personen und Kapital, Abschaffung der Zunftschranken, Beseitigung von Binnen- zöllen und Transitgebühren bei gleichzeitigem Schutz des deutschen Wirtschaftsgebietes vor ausländischer Konkurrenz. Der Staat wird im wirtschaftlichen wie im sozialen Bereich auf 99 die Rolle des Nachtwächters reduziert. Den Handwerkern werden genossenschaftliche Einrichtungen rur Ein- und Verkauf empfoh- len. Die Arbeiter sollten sich ebenfalls zur gegenseitigen Selbsthilfe in Notfallen verbin- den, dies auch unter Hilfestellung durch Meister und Fabrikanten. Daß der Staat auf diesem Gebiet nichts Positives bewirken könne, wird mit dem Beispiel des gescheiter- ten französischen Konzepts der National- werkstätten belegt. Der Staat sei lediglich in Verantwortung zu nehmen, um die Auswan- derung der Arbeitskräfte zu sichern, die in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in der Fabrik keine Zukunft fanden . Hier das Programm im Wortlaut: " Der Gewerbsmann bedarf Schutz gegen fremde Uebermacht, frei will sich der Handelsmann in ganz Deutschland bewegen, seine Fuhren belaste kein Transit und seine Schiffe kein Wasserzoll, der Landwirth wünscht die Schranken fallen zu sehen, die seinen Absatz nach deutschen Ländern · noch verkümmern, der Handwerker will das Lästige des Zunftzwangs ablegen und doch scheut er die ungebändigte Concurrenz; er harrt der neuen Bahn, die ihm vorgezeichnet werde; er ahnt das Richtige in der Vereinigung fiir Ein- und Verkauf, in freier Gemeinschaftlichkeit fUr wirthschaftliche Zwecke; er erwartet Regel und Ermunterung zu solchen Schritten; der Arbeiter verlangt, daß er nicht verlassen stehe, wenn Kraft und Gesundheit ihm fehlen, daß er nicht darbe, wenn der F abrikherr es seinem Interesse gemäs fmdet, die Arbeit einzustellen. - Er sieht, daß der Staat es übernimmt, seiner Bürger Obdach zu sichern, wenn Flammen es verzehrt haben, er sieht sich vergeblich nach der Anstalt mn, welche die Flammen der Verzweiflung dämpfe, welche ihn verzehrt, wenn die Arbeit fehlt das 100 Bedürfniß bleibt. - Er hom, daß die Ge- sammtheit seine Arbeit versichere. Leider ist nach den Erfahrungen eines Nachbarstaates zu bezweifeln, daß Bestre- bungen der Gesammtheit in dieser Richtung von Erfolg sind, daß von dem Staate mehr geschehen könne, als durch Verbindungen der Arbeiter unter sich und mit Beihilfe der Meister und Fabrikherrn zu erreichen ist. - Es erwartet aber der Landmann, dem es an eigenem Boden fehlt, der Handwerksgehilfe, der in seinem Gewerbe nicht unterkommen kann, der Fabrikarbeiter, der gedruckt ist, daß der Staat es fiir seine Pflicht erachte, Mittel und Wege zu verschaffen, das Vaterland zu verlassen, wem es gegen die Gesetze des Verkehrs und menschlicher Natur verstößt in der Heimath Arbeit zu sichern. - Fassen wir diese Wünsche zusammen, so lauten sie auf: I)Vereinigung von ganz Deutschland zu gleichem, wirksamen Schutz der Gewerbe gegen Außen mit freiem Verkehr im Innern; 2) eine gemeinsame Vollzugsbehörde zur Erreichung dieser Zwecke; 3) gemeinsame deutsche Gewerbsgesetzgebung; 4) Unter- stützung und Schutz der Auswanderung." Mit der nochmaligen Mahnung, rasch, einträchtig und entschieden zu handeln, lUD den Hoffnungen des Gewerbestandes Genüge zu leisten, schließt die Petition. Sie trägt die Unterschriflen folgender Vorstandsmitglie- der des Vaterländischen Vereins: Hermann Zimmer, Postrat; Johann Georg Vogel, Buch- druckereibesitzer; Rudolf Kusel, Advokat; von Boeckh, Major; Emil Groos, Rechts- praktikant; Georg Holtzmann, Buchhändler, Jakob Stüber, Kaufmann, Karl Männing, Handels- und Kunstgärtner, Gemeinderat; Wilhelm Müller, Verlagsbuchhändler; Lud- wig Kachel, Münzrat; Jakob Malseh, Druk- kereibesitzer und ab dem 4. Juli 1848, dem Datmn der Petition, Karlsruher Oberbürger- meister; Leo von Stelten, Rechtskandidat. Werbung für die Petition , ..... v..<o.-N~.'N ... v ... =~ _ _ ..... . ·.· . ..--__ ,.".·,,·.w ... w ww.v. ...... ·.wN .. WN.w. Ein besonderes Gewicht versuchte der Vaterländische Verein zu Karlsruhe seiner Petition dadurch zu verschaffen, daß er sie in gleichlautenden Abschriften verbreiten ließ und um Beitritt bat. Es war dies ein übliches Verfahren. Tatsächlich trate.. nahezu 30 weitere Vereine, Institutionen lL,d Unterneh- mer der Petition bei, und zwar in einer geographischen Streuung "vom See bis an des Maines Strand", um ein badisches Motto zu zitieren. Aus Karlsruhe selbst waren dies: die Handelskammer, der Gewerbeverein, der "Maschinenfabrikant" Emil Keßler, die Chemische Fabrik, die Direktion des Badi- schen Bergwerk-vereins, die Direktion der Badischen Gesellschaftftir Zuckerfabrikation und die CentraisteIle des Landwirtschaftli- chen Vereins. Weiter traten in den Tagen bis zum 25 . Juli bei : die Handelskammer zu Wertheim, der Freiherr Larnbert von Babo zu Weinheirn als Vorstand der landwirtschaftlichen Kreisstelle zu Heidelberg, die Handelskammer zu Mann- heim, der Badische Industrieverein zu Ett- lingen, die Gesellschaft für Spinnerei und Weberei Ettlingen, das Fabrikcomite und der Handelsvorstand zu Pforzheim, der Vaterlän- dische Verein zu Rastatt, die Handelskammer zu Rastatt, der Verein für politische und sociale Zwecke zu Baden (-Baden), der Gewerbs-verein zu Kehl, der Vorstand des Handelsstandes zu Offenburg, der Gewerbe- verein zu Lahr, der Gewerbeverein zu Freiburg, der Uhrengewerbeverein zu Furt- wangen auf dem Schwarzwald, der Vaterlän- dische Verein zu Sulzburg und Umgebung, der Vaterländische Verein zu Kandern mit den Orten Riedlingen, Liel, Feuerbach, Tannenkireh, Weil und Binzen, der Vaterlän- dische Verein zu Tien-gen, der Vorstand der landwirtschaftlichen Kreisstelle zu Konstanz und die Handelskammer zu Konstanz. Maschinenfabrikant Emil Keßler, 1813-1867. Die Beitrittserklärung des Rastatter Vater- ländischen Vereins liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Übernahme der Karls- ruher Petition geschehen konnte. Es heißt hier: "Rastatl, den "15. Juli 1848. Bei der heutigen Generalversammlung der Mitglieder des vaterländischen Vereins wurde die Adres- se des Karlsruher vaterländischen Vereins vom 4. d. M. , welche hier angeschlossen ist, öffentlich verlesen und 'einstimmig' be- schlossen, derselben ihrem ganzen Inhalte nach beizutreten. [ .. . 1 Das Protokoll nebst Anlage wird dem vaterländischen Verein in Karlsruhe in Bezug auf die gef. Zuschrift vom 9. d. M. mitgetheilt." Der Aktivität des Karlsruher Vaterländi- schen Vereins in dieser Sache verdanken wir damit nicht nur einen Einblick in die von ihm selbst vertretenen Ziele, sondern darüber hinaus Erkenntnisse über den Organisations- grad politischer und wirtschaftlicher interes- sen in Baden im Sommer des Jahres 1848. Bei 101 einem genaueren Zusehen zeigt sich aller- dings auch, daß nicht jeder der beitretenden Vereine in allen Fragen aufder konstitutionel- len Linie des Karlsruher Vaterländischen Vereins lag. Der Vaterländische Verein zu Tiengen beispielsweise wurde nur wenige Tage nach seinem Beitritt zur Karlsruher Petition wegen seiner demokratischen Ten- denz von den Behörden aufgelöst. Festzuhal- ten bleibt ferner, daß die Behauptung der Petition, der Handwerker wolle "das Lästige des Zunftzwangs ablegen" , mit einiger Vor- sicht aufzunehmen ist. So unterzeichneten 7 Karlsruher Schneider eine Petition des Zentralkomitees deutscher Schneiderinnun- gen vom September 1848 an die Pauls- kirchenversammlung. [Die folgenden Zitate aus: R. Moldenhauer: Die Protokolle des Volkswirtschaftlichen Ausschusses der deut- schen Nationalversammlung, Boppard o.J.] Diese Petition richtete sich gegen die Einfuhrung der Gewcrbefreiheit, die gerade- zu als "Hauptursache des Verfalls des sonst so blühenden Standes" der "Kleidermacher" denunziert wird. Das auf die Französische Revolution von 1789 iurÜckzuflihrende Prin- zip der Gewerbefreiheit habe das Kleider- macherhandwerk "seiner gänzlichen Zerrüt- tung" entgegengefuhrt. Die Gewerbefreiheit dürfe deshalb in Deutschland unter keiner Bedingung eingefuhrt werden; da, wo sie bereits bestehe, sei sie wieder abzuschaffen. Im Dezember 1848 meldete sich der Vaterländische Verein Karlsruhe erneut mit einer Petition zu Wort. Diese Petition vom 20. Dezember 1848 wurde der Nationalver- sammlung durch den Abgeordneten Karl Mathy übergeben. Die "Dringende Erklärung des Vaterländischen Vereins zu Karlsruhe gegen den von Abgeordneten norddeutscher Handels- und vereinsländischer Meßplätze der Reichsversammlung vorgelegten Entwurf zu einem Zolltarif fur das vereinte Deutsch- land" präzisierte die zollpolitische Forderung 102 der Petition vom 4. Juli 1848. Aus Karlsruher bzw. badischer Sicht waren niedrige Einfuhr- zollsätze, wie sie von den Küstenstädten und Messeplätzen favorisiert wurden, überaus schädlich. Die Absenkung der Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse wurde abgelehnt, da sie, so das bezeichnende Argument, die "Wein- und Tabakskultur im eigenen Vaterlande schwer zu verletzen" drohe. Eine Beibehaltung auch der Eisen- zollsätze sei nötig, um " dem Vaterlande seine uralte, weithin Arbeit und Nahrung gebende Eisenindustrie" zu erhalten. Hierbei mochte den Karlsruhern die Keßlersche Maschinen- fabrik vor Augen gestanden haben; zwar war diese keineswegs "uralt", aber sie gab einer Reihe von Menschen in und um Karlsruhe "Nahrung und Brot". Die Senkung der Einfuhrzölle auf Baumwollgarne würde eine "Vermehrung deutscher Spinnereien" gänz- lich vereiteln; hier tritt das Interesse an der Spinnerei und Weberei Ettlingen deutlich zu Tage, und folgerichtig wird auch der Schutz der inländischen Baumwollweberei vor der Baumwollindustrie Großbritanniens einge- fordert. Nicht fehlen darf im badischen Zusammenhang die Rübenzuckererzeugung als ein Industriezweig, "in welchem im Vertrauen auf den Schutz des Gesetzes große Kapitalien angelegt sind", er war in Baden durch die Zuckerfabrik Waghäusel vertreten. Somit [mdet sich in dieser Petition letztlich die "Drei-Fabriken-Frage" wieder angespro- chen. Hatte Karl Mathy sich etwa ein Jahr zuvor in der Zweiten Kammer der Landstände fUr die Unterstützung dieser Betriebe stark gemacht, so war es nur folgerichtig, daß er es war, der nun diese Petition der Paulskirchen- versammlung vorlegte. Im Übrigen bekräftigt die Petitionstätigkeit des Vaterländischen Vereins den ökonomischen Schwerpunkt der Vereinsziele, worauf neuerdings in dieser Reihe Jürgen Schuhladen-Krämer zu Recht aufmerksam gemacht hat. Rainer Gutjahr Ankäufe aus dem Besitz des Markgrafen von Baden I. Die markgräfliche Bibliothek aus dem Neuen Schloß in Baden-Baden Die Versteigenmg von KulturgU/ern im Neuen Schloß von Baden-Baden während des vergangenen Herbstes hat in breiten Kreisen ein großes Interesse gefunden. Lei/er Karlsruher Institutionen sind dankenswerterweise fiJr "Blick in die Geschichte" gewonnen worden, in dieser und der am 15. März 1996 erscheinenden Ausgabe aber Erwerbungen zu berichten, die nicht nur von der Landesregierung, sondern auch durch zahlreiche Sponsoren und einzelne Spender finanziert wurden. Die Existenz einer größeren Bibliothek war der Badischen Landesbibliothek (BLB) bis zum April 1995 nicht bekannt. Die Direktion konnte davon ausgehen, daß sie in der fur den Oktober geplanten Auktion des Hauses Sotheby's nicht fundig werden würde. Dies änderte sich schlagartig, als Anfang Mai die Oberfinanzdirektion Karlsruhe eine Liste der zu versteigernden Objekte erhielt. Hier fand sich eine geschlossene Bibliothek verzeichnet und eine Sammlung von Photoalben, die vor allem fur das Generallandesarchiv Karlsruhe von hohem Interesse war. Es war zu befurchten, daß diese Bibliothek durch die Versteigerung auseinandergerissen und auf eine Vielzahl von Besitzern verteilt würde. Da die Badische Landesbibliothek 1918 aus der Großherzoglichen Hofbibliothek her- vorgegangen ist, war es fur alle an den Kaufverhandlungen beteiligten Personen von vornherein klar, daß auch die Privatbibliothek der badischen Großherzöge vernünftigerwei- se ungeteilt in die BLB überfuhrt werden sollte, un} deren Altbestände zu ergänzen. Dies erleichterte das weitere Vorgehen erheblich, obwohl die Voraussetzungen fur einen Ankauf durch das Land Baden- Württemberg in Anbetracht der äußerst knappen Haushaltsmittel alles andere als günstig waren. Im Mai 1995 fand eine erste Besichtigung der Schloßbibliothek in Baden-Baden statt. Die Bücher waren zu diesem Zeitpunkt in Regalen oder in Stapeln auf dem Boden in einem Saal sowie in mehreren Räumen des ehemaligen, stark renovierungsbedürftigen Küchentraktes untergebracht und zum großen Teil grob sachlich geordnet..Im Saal standen die vom Auliionshaus Sotheby' s für besonders wertvoll erachteten Bände. Keiner der leicht feuchten Räume war heizbar, im Küchentrakt fehlte in einigen Zimmern elektrisches Licht. Aufgrund der völlig inadäquaten Unter- bringung hatten einige Einbände Schimmel angesetzt. Besonders die Bücher, die auf dem Boden lagen, waren stark verschmutzt. Die Erwerbungen ...... ·~,...~,...~"·,,, ... ,, .. ,.. ............... w ...... N..'.w ... ••• ....... ·.w.w.·.,·.w.,' .·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.w.·.·.·, ........... Als erfreulich erwies sich dagegen der Inhalt mit etwa 40 000 Titeln. Von einigen offensichtlich erst im 19. Jahrhundert er- worbenen Altdrucken (Johannes Reuchlin, Philipp Melanchthon, Matthäus Merian, Johann Daniel Schöpflin, Martin Gerbert) abgesehen, liegt der Schwerpunkt der Bibliothek im 19. Jahrhundert. Es dominiert die in Baden oder über Baden erschienene Literatur auch außerhalb der in den Sothe- by's-Listen genannten Bereichen, so im Falle von Eisenbahnbau (u. a. Die Badische Eisen- bahn. Sammlung von Constructionen der 103 Johann Peter Hebel: Allemannische Gedichte. Karlsrnhe 1803 (Handexemplar des Dichters). hauptsächlichsten Bauwerke, Maschinen und Fahrzeuge, Abt. 1-2, Karlsruhe 1844/45- 1852), Gesundheitswesen, Militärgeschichte, Kunst- und Universitätsgeschichte. Eine be- sonders wertvolle Abteilung ist die der Reise- und Entdeckungsliteratur in oft prachtvoller und reichillustrierter Ausstattung (u. a. Maxi- milian Prinz zu Wied und Neuwied: Reise in das innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834, Koblenz 1839-1841; Erik Jönsson Dahlberg: Suecia hodierna et moderna, Stockholm 1691-1715). Weitere Gruppen, beispielsweise große Konvolute zur Ge- schichte des Roten Kreuzes sowie zum Für- sorge- und Gesundheitswesen, lassen sich auf einzelne Persönlichkeiten des Hauses zu- 104 rückftihren, in diesem Fall auf Großherzogin Luise (1838-1923). Schließlich findet sich hier eine größere Musiksammlung mit ge- druckten und handschriftlichen Partituren. Zu den fur Karlsruhe besonders wertvollen Einzelstücken gehören ein Exemplar der Erstausgabe von Johann Peter Hebels Alemannischen Gedichten (Karlsruhe 1803) mit zahlreichen Einträgen von der Hand des Dichters sowie eine in Anlehnung an mit- telalterliche Handschriften illustrierte Aus- gabe des gleichen Werkes (Karlsruhe 1856), die zusätzlich auf eingebundenen Blättern mit ganzseitigen Aquarellen von verschiedenen Künstlern (z. B. von Friedrich Würthle) versehen wurde. Den Band erhielten Groß- herzog Friedrich I. (1826-1907) und Groß- herzogin Luise anIäßlich ihrer Hochzeit 1856 von den Amtsbezirken Müllheim und Schopfheim als Geschenk. Sonst ist der Bereich der schönen Literatur, mit Ausnahme einer großen Sammlung französischer Werke, nicht sehr groß, ebenso der der wissen- schaftlichen Literatur im engeren Sinn. Die Ausstattung ';;':';''''' ''''';':';'''>'':« :.:.,:-:.".: ,,:-:~. :.: <. :.:., :,;. :-:,,;,:., :<,,:-:.;,:-:.,,:.;.:-:. ,: .:.,: ." :.:. ,, . •.......•• ".,,,.,.:-:.,.:< ........ . Als besonders schätzenswert stellt sich die Ausstattung vieler Bände dar, die nicht selten durch private, rote Maroquineinbände ge- schützt werden. Ihnen zur Seite stehen aufwendige Verlagseinbände des 19. Jahr- hunderts sowie Unikate in Sonderausstattung, im Regelfall Dedikationsexemplare, weiter Bände mit handschriftlicher Widmung, beispielsweise von Hans Thoma. Es handelt sich bei der Büchersammlung alles in allem unI eine typische Fürstenbibliothek des 19. Jahrhunderts, deren Ensemblewert weit über dem Preis der Einzelstücke liegt. Ihre Bedeutung fur die BLB ist zum einen im spezifisch badischen Bezug zu sehen, zum anderen im Reichtum der Literatur des 19. Jahrhunderts allgemein. Gerade fur diesen Originalaquarell von Friedrich WUrthle aus: Hebel, Allemannische Gedichte, 1856. Zeitraum welsen die Bestände der BLB aufgrund der Zerstörung des Hauses 1942 große Lücken auf. Die Finanzierung Auf der Basis eines von Dr. Stamm (BLB) nach einer Inspektion erstellten Gutachtens wurde der Ankauf der Sammlung beim Ministerium beantragt; der Preis sollte zu diesem Zeitpunkt 3 bis 3,5 Millionen Mark betragen. Bereits Ende Mai signalisierte die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg ihre prinzipielle Bereitschaft zur Mitfinanzierung des Kaufs. Das Ministerium mahnte allerdings Eigenleistungen an. Am l. Juni 1995 fanden erste Verkaufsverhandlungen zwischen den Landesbevollmächtigten Dr. Ehrle und Prof. Dr. Schwarzmaier sowie Dr. Christoph Graf Douglas statt. Einen Tag später konnte man Aus: Musterbltiller jUr die Uhrenschildmaler, gezeichnetvon LucianReich, litographiertvon Joh. Nep. Heinemann, HUjingen, um 1850. sich auf eine Verkaufssumme von 2,5 Millionen Mark einigen. Sowohl Sotheby' s als auch BLB und GLA waren an einer schnellen Übernahme interessiert, da die Räume zum einen fiir die Auktion gebraucht wurden, zum anderen die Bibliothek immer noch relativ ungeschützt, konservatorisch bedenklich und fiir verschiedene Personen zugänglich untergebracht war. Etwa zeitgleich wurde auf Veranlassung des Ministeriums der Freiburger Historiker Prof. Dr. Dieter Mertens um ein Gutachten gebeten. Seine Stellungnahme bestätigte das Urteil, das sich die BLB gebildet hatte. Mertens betonte den hohen Quellenwert der Sammlung für die badische Geschichte des 19. Jahrhunderts, da in erheblichem Umfang Werke enthalten seien, die die wirtschaftliche, technische, soziale und kulturelle Entwicklung 105 des Landes widerspiegeln. Ebenfalls hohen Quellenwert habe die Reise- und Ent- deckungsliteratur. Vor allem aufgnmd des Ensemblewerts sei der Ankauf durch das Land und die Aufstellung in der BLB sehr zu begrüßen. Ebenfalls im Juni setzten verschiedene Aktivitäten ein, deren Ziel es war, einen Teil des Kaufpreises durch Spenden zu fmanzieren. Die Badische Bibliotheksgesellschaft (BG) stellte DM 50 000,- zur Verfügung, und die Wilhelm-Baur-Stiftung stimmte zu, daß eine frühere Spende in Höhe von DM 75 000,- an die BG zur Finanzierung des Ankaufs der Schloßbibliothek verwendet werden konnte. Ein AUfruf des Vorstandes der BG an die Mitglieder, durch eine Spende den Transport der Schloßbibliothek in die BLB zu fmanzieren, erbrachte mehr als hundert Einzelspenden im Gesamtwert von etwa DM 16000,-. Die Buchhandlung Mende stiftete fur den gleichen Zweck weitere DM 14000,-. Parallel dazuhalten sich die an Käufen aus dem Versteigerungsgut inter- essierten Landesinstitutionen mit der Bitte um Spenden an die Öffentlichkeit gewandt . Jede beteiligte Institution fUhrte ein eigenes Spendenkonto; die BLB erhielt auf diese Weise DM 10000,- vom Kernkraftwerk Philippsburg, DM 10 000,- von der Stiftung Hirsch (Hirsch-Reisen Karlsruhe) und DM 3 000,- aus Einzelspenden. Insgesamt wurden immerhin über 200 000,- DM an Spenden fur den Ankauf und den Transport der Schloßbibliothek erbracht, ein sehr beachtliches Ergebnis, wenn man berück- sichtigt, daß auch fur den Ankauf von Kunstgegenständen flir das Badische Landes- museum und andere Institutionen zahlreiche Spenden eingeworben wurden. Den weit .. ~~{ . ~:~;:~ Die badische Eisenbahn. Sammlung von Conslrnclionen der hauplstichlichslen Bauwerke, Maschinen und Fahrzeuge, AbI. 1, Karlsrnhe 1844, nlelblaU. 106 überwiegenden Teil des Kaufpreises (ca. 2,3 Millionen Mark) mußte jedoch die beim Ministerium flir Wissenschaft und For- schung (MWF) angesiedelte Stiftung "Kul- turgut Baden-Württemberg" übernehmen, der auch an dieser Stelle ftir ihre rasche und unbürokratische Hilfe zu danken ist. Obwohl es schon Anfang Juni zu einer prinzipiellen Einigung bezüglich des Kaufs gekommen war, gingen die Kaufverhand- lungen zwischen dem MWF und der markgräflichen Verwaltung wegen Differen- zen über die Einbeziehung weiterer Samm- lungen in die Kaufinasse nur langsam voran. Am 29. August 1995 informierte das Auk- tionshaus Sotheby's die BLB von der Not- wendigkeit sofortiger Übernahme, da die Räume, in denen die Sammlung unterge- bracht war, ftir die Versteigerung benötigt wurden. Bei einem Orts termin arn folgenden Tag stellte sich heraus, daß der Hof des Schlosses nur bis zum Wochenende mit Lastkraftwagen passierbar sei, so daß der Transport an den nächsten beiden Werktagen abgewickelt werden mußte. Der Umzug selbst begann unter Zeitnot am Morgen des 31. August 1995. Die Herren Dr. Ehrle, Hauser und Dr. Schlechter packten die im Saal untergebrachten,wertvolleren Bücher, eine Münchener Kunstspedition den Rest. In Karlsruhe wurden die auf Paletten gelagerten Kartons in den Flur vor der Titelaufnahme gebracht, von wo sie durch die Hausmeister und die Magaziner des Hauses an die provisorischen Standorte zu transportieren waren. Da von der Spedition bis ca. 21.30 Uhr gepackt wurde, endete der Umzug trotz der ungünstigen baulichen Gegebenheiten in Baden-Baden, die beispielsweise die Nutzung ",w ,.~ ,/,." 4'""..: _ . ...., ..:....;;;~..;: • .",..:,.- "'~ " "', "' " .~, ''' ' ''' ''1' ' " "~' '' 1 "" "_ ,,, Maximilian Prinz zu Wied lind NellWied: Reise in das innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834, Koblenz 1839- 1841: Campirende Punka-Indianer. 107 eines größeren Lastkraftwagens unmöglich machten, schon am Mittag des Folgetages. Insgesamt wurden I 055 bis zum Rand geftillte Umzugskartons sowie der Inhalt von zehn Rollwägen überfuhrt. Ein besonders markierter Teil der Kartons (270 Einheiten) fand Aufstellung im Handschriftenmagazin, der Rest im 4. und 5. Stock des Geschlossenen Magazins. Die Kosten rur den Umzug beliefen sich auf ca. DM 33 000,-. Separat wurde am I. September 1995 vom GLA der ihm zugefallene Anteil abgeholt, neben eigentlichen Archivalien auch die Sammlung von Gratulationsbänden sowie die Photo- alben. Zur Zeit sind die Kartons bereits ausgepackt, die Bücher provisorisch aufgestellt und grob sortiert. Leider bestätigten sich die früheren Becbachtungen: ein nicht geringer Teil ist aufgrund der langen Vernachlässigung der Sammlung zumindest leicht schimmelgeschä- digt. Es wird umfangreicher Restaurierungs- maßnahmen bedürfen, um diese Bücher ftir die Benutzung zugänglich zu machen. Ein wei- teres Problem besteht darin, daß der Zugang von etwa 40 000 Bänden den regulären Jahreszuwachs der BLB übertrifft und daß die Bearbeitung dieses Bestandes nur mit zusätzlichem Personal innerhalb eines über- schaubaren Zeitraums zu leisten sein wird. Zahlreiche schöne Entdeckungen ent- schädigenjedoch fur die Mühen: so ist eine 15 Blätter umfassende lithographische Folge mit Ansichten des Klosters Lichtenthai aufgetaucht (e. Guise: Das Kloster LichtenthaI, Karlsruhe 1833), die außerordentlich qualitätvoll kolo- riert wurde und die in dieser Version bisher • 108 nicht bekannt war. Eine zehnteilige Folge von kolorierten Lithographien mit Ansichten von Baden-Baden und Umgebung wurde zwischen 1830 und 1840 eigens fur das Herrscherhaus hergestellt und findet sich in einer Kassette, die mit Haarlocken der großherzoglichen Familie geschmückt ist. Unter den älteren Beständen ist ein außerordentlich seltenes Andachtsbuch rur alle Tage des Monats Mai zu erwähnen, das mit koloriertem badischem Wappen verziert ist (Der geystlich May, gedruckt in Verlegung der durchleuchtigen Fürstin ... Jacobe, Hertzogin in ... Bayrn, geborne Marggräfin zu Baden, München 1549). Auf das Kloster St. Peter im Schwarzwald läßt sich ein Atlas von ungewöhnlich großem Umfang zurückfuhren. Die einzelnen Karten des Werkes wurden von dem fur die Geschichte der Klosterbibliothek sehr bedeutenden Abt Philipp Jakob Steyrer nach ürten in alphabetische Folge gebracht und erhielten 1771 in Emmendingen einen neuen Einband. In diesem "Atlas urbium" sind auch ftinf zum Teil sehr seltene Pläne von Karlsruhe enthalten. Von der Handwerkskunst der badischen Bevölkerung legen "Musterblätter fur die Uhrenschildermalerei des Schwarzwaldes" , gezeichnet von Lucian Reich und Heinrich Frank, lithographiert von Johann Nepomuk Heinemann, Hüfmgen 1850-1851, ein schönes Zeugnis ab. Diese Beispiele sollen genügen, um auf die Ausstellung der BLB und des GLA neugierig zu machen, die im Januar und Februar 1996 in der BLB eine Auswahl der schönsten Stücke aus der Schloßbibliothek Baden-Baden zeigen wird. Pe/er Michael Ehrle, Armin Schiech/er 11. Archivgut aus der Schloßbibliothek des badischen Hauses Der Ankauf der Schloßbibliothek Baden- Baden bot die einmalige Chance, vor Beginn der großen Auktion in Baden-Baden fiir den Bereich des Ministeriums fiir Wissenschaft und Forschung ein Ensemble von gedrucktem und ungedrucktem Schriftgut zu erwerben, das sich als höchst bedeutsam fiir die lan- deskundliche Forschung in Baden herausstellte. Das Generallandesarchiv Karlsruhe war von An- fang an in die Verkaufs- verhandlungen einbezo- gen, da sich bei verschie- denen Begehungen her- ausstellte, daß die Schloß- bibliothek auch Archiv- gut enthielt, das mit dem Bibliotheksgut vermischt war. Darin befanden sich durch Jahrzehnte hin- durch ungesichtete, weit- gehend ungeordnete und einer Öffentlichkeit noch nie zugänglich gemachte Materialien verschieden- ster Art. Während die Badische Landesbiblio- thek Karlsruhe das ge- druckte Schrifttum und damit mengenmäßig den größten Teil der Erwer- bung bekam, hat das Generallandesarchiv das ungedruckte Schrift- und Bildmaterial übernom- schwer bemessen läßt, da recht unorthodoxe Formate und Behälter einschließlich kunst- voll gefertigte~ Schatullen, Briefbehälter, Schreib- sowie Buchmappen und Fotoalben die klassischen Vorstellungen von Archivgut zu sprengen schienen. Doch gab es von der Gattung her keine Definitionsschwierigkeiten, men, inunerhin in einem Grußodresse der Heidelberger Studenlenschajl zum 25jtJhrigen Umfang von ca. 75 Regal- RegierungrjubiltJum Großherzogs Friedrich 1 und zur Hochzeit seiner metern, der sich freilich Tochter VictoriamitGustavAdoifv. Schweden, 1881 (Einband). 109 so daß lediglich die Frage der künftigen Lagerung einige Probleme aufgeben wird. Der Bestand wurde im Generallandesarchiv beisammengelassen und als Bestand 69/ Schloß Baden-Baden unter die Privatarchive eingereiht. Besonders sind eine Reihe fürstlicher Nachlässe bzw. Nachlaßteile aus den beiden letzten Generationen der badischen Monar- chie zu nennen, vor allem Material von Großherzog Friedrich und der Großherzogin Luise, einer Tochter Kaiser Wilhelms 1., so daß aus ihrer Hinterlassenschaft ein eigener Bestand von Unterlagen ihrer Mutter, der Kaiserin Auguste, zutage kam. Die nächste Generation ist vertreten durch Großherzog Friedrich 11., Regent bis 1918, gestorben 1928, und der Großherzogin Hilda, gestorben 1952, deren Unterlagen man beim fliegeran- griff auf Freiburg 1944 gänzlich vernichtet glaubte. Da die beiden Großherzoginnen den Vorsitz des Badischen Frauenvereins und des Roten Kreuzes, die Schutzherrschaft über nahezu alle karitativen Einrichtungen und Institute der Sozialftirsorge innehatten, sind aus diesem Bereich Unterlagen, vor allem auch Bildmappen und Fotoalben vorhanden. Manches davon fiihrt in den Privat- und Intimbereich der fiirstlichen Persönlichkei- ten, Poesie- und Postkartenalben, wie sie damals auch in den bürgerlichen Familien üblich waren, Briefsamm1ungen, Notizbü- cher, Reisetagebücher und ähnliches. Von einer ltalienreise Großherzog Friedrichs und seines Sohnes Ludwig im Jahr 1900 findet sich ein ganzes Album mit den täglich der daheim gebliebenen Großherzogin geschick- ten Bildpostkarten, eine r«eht persönliche Korrespondenz. Mehr offiziellen Charakter hat ein umfangreicher Briefwechsel Fried- richs·l . mit seinem Sohn, dem Erbgroßherzog, der sich über nahezu 40 Jahre hinzieht und viele politische Themen berührt. Aus dem Bildbereich sind umfangreiche Bauplanbe- 1110 Vignette aus eine, Grußadresse der Heide/- berge, und Freiburge, studentischen Co,ps zum 50jah,igen Regierungsjubi/tlum F,iedrich /., 1896. stände von fiirstlichen Gebäuden, gebauten und geplanten, zu erwähnen, Kupferstiche und Lithographien von Fürstenporträts, vor allem aber Fotos nicht nur von Personen, sondern auch von Jubiläumsveranstaltungen, Ausstel- lungen, Festzügen, Kaisermanövem etc. Den letzten großen Komplex bilden die sog. Huldigungsadressen und Dedikationsurkun- den, aufwendig gearbeitete und dekorierte, in Schönschrift meist auf Pergament geschriebe- ne Texte in kunstvollen Mappen und Rahmen. Auch hier sprengen die schönsten von ihnen letztlich die Formen des Archivgutes, wes- halb einige besonders kostbare Stücke, etwa ein Schrein der badischen Städte, der in einzelnen Schubladen die Namenlisten der städtischen Magistrate enthält, in das Badi- sche Landesmuseum gewandert sind. Nicht wenige haben davon als Bilder in der Auktion hohe Preise erzielt. Drei davon konnte das Generallandesarchiv mit fmanzieller Unter- stützung seines Färdervereins und einzelner Sponsoren in der Auktion noch nachkaufen, um auf diese Weise die ganze Spannbreite dieser Gattung demonstrieren zu können. Die ca. 600 Stücke betreffen Regierungs- und Familienjubiläen von Mitgliedern des Groß- herzoglichen Hauses, vor allem im Jahr 1906, als sich das 50jährige Regienmgsjubiläum Großherzog Friedrichs mit seiner Goldenen Hochzeit deckte. Alle Teile des Landes, Städte und Gemeinden, Vereine und Verbän- de, Behörden und auch Einzelpersonen sind daran beteiligt, erwähnenswert die Universi- täten des Landes, die Vereinigungen der Badener in Kairo, Konstantinopel oder in Amerika, aber auch die Zweite Kammer des badischen Landtags mit einem kostbaren Umschlag, die badischen Feuerwehren, der Badische Frauenverein oder auch Arbeiter- und Militärvereine. Die Texte dieser Urkun- den sind weniger hoch einzuschätzen, verdienen jedoch eine zusammeufassende Würdigung. Abschließend ist auf die Perspektiven zu verweisen, die sich aus diesem Ankauf ergeben. Die Konservierungsprobleme halten sich in Grenzen. Die Tatsache, daß nahezu nichts von diesen Dingen jemals ausgestellt oder ausgewertet wurde, begünstigte ihre gute Erhaltung, macht jedoch auch ihr Studium besonders sparmend. Die Erschließung wird Zeit kosten und die wissenschaftliche Auswertung noch mehr. Eine baldige Präsen- tation der Dinge ist schon deshalb geboten, weil die Öffentlichkeit und vor allem die Sponsoren große Anteilnahme an diesem Vorgang nahmen. Die Presse beteiligte sich daran, und so hat die Bürgerschaft auch das Recht, die Neuerwerbungen bald sehen zu können. Vieles ist wirklich sehenswert, und anders als sonst, ,venn wir von Archivgut sprechen, sind diese Dinge auch auf Präsentation angelegt. Erste kleinere Vorstel- lungen wertvoller Einzelstücke haben schon stattgefunden, andere sind geplant. Wichtiger bleibt jedoch die sachgemäße Aufbewahrung, die baldige Erschließung des Materials und damit auch seine Einbeziehung in die wissenschaftliche Forschung. Zum Thema " Fürst und badisches Land am Ende der Monarchie" vermag es wichtige Akzente zu setzen. Hansmarlin Schwarzmaier 111. Die Erwerbungen des Badischen Landesmuseums Als Ende 1994 die umfangreichen Verkaufs- absichten des Hauses Baden auf grund seiner damaligen finanziellen "Schieflage" zu- nächst hinter den Kulissen, aber sehr rasch auch in der Öffentlichkeit bekarmt wurden, war gleich bewußt, daß von einem solchen Vorgang das Badische Landesmuseum in besonderer Weise herausgefordert sein muß- te. Einmal, weil das Landesmuseum selbst in seinen Anfangen aus der Fürstlichen Sarn- meltätigkeit hervorgegangen war und seine Altbestände, die nach 1919 in der Folge der Abdanlmng des Monarchen als Besitz des neuen badischen Staates bzw. als Bestandteil der "Zähringer-Stiftung" in die Öffentlichkeit gelangten, mit dem privat verbliebenen und nunmehr zur Veräußerung stehenden Kunst- gut eine Einheit bildeten. Es war sogar damit zu rechnen, daß ein Großteil des Eiruich- tungsinventars, z. B. der Möbel, mit denen vom 18. Jahrhundert bis 1918 das Karlsruher Schloß als Stammhaus des Badischen Lan- 111 Hermann Volz "Zeitgeist und Staatsschiff', Bronze; Geschenk der acht großen badischen Stadte an Großherzog Friedrich' 1. zum 70. Geburtstag1896 (Ausschnitt). des museums ausgestattet war, zum Verkauf gelangten, durfte doch die furstliche Familie große Teile der Gebäudeeinrichtung an sich nehmen und in die privat verbliebenen Familiensitze, vor allem in Baden-Baden und Salem, verlagern. Zum anderen war das Badische Landesmu- seum in besonderer Weise herausgefordert, weil es von Gründung und Auftrag her als die zuständige staatliche Museumsinstitution gelten muß, die die Kultur- und Landesge- schichte Badens dokumentiert und präsen- tiert. Dazu gehört die Repräsentations- und Alltagskultur des flirstlichen Herrscherhau- ses, seine Förderung der bildenden Künste und seine Sammeltätigkeit, flir die in dem riesigen, seit 1918 weitgehend den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Objektbestand 112 in Baden-Baden eine Fülle einzigartiger Zeugnisse vermutet werden mußte. So stand fur das Badische Landesmuseum (BLM) keineswegs im Vordergrund, mit "Lust- käufen" wünschenswerte Ergänzungen seiner Sammlungen vorzunehmen, sondern einer elementaren Sicherungspflicht unverzichtba- rer Zcugnisse badischen Kulturerbes zu genügen; Werke, die vor 1918 schon einmal zumindest zum geistigen Kulturbesitz des Landes gehört hatten. Bis es schließlich zum Erwerb von über 500 bedeutenden Zeugnis- sen der badischen Kunst- und Kultur- und Landesgeschichte kam, den das Badische Landesmuseum schließlich bis heute tätigen konnte, war ein hindernisreicher, teilweise abenteuerlicher Weg zurückzulegen. Entdeckungen über Entdeck'Ullgen ""..,.w."' .... w . .".. ... w ...... w .w ... v .w .· ...... w ... w""w.w .w .w .v .w .· ...... w ... w .·.w ... w .w .· ... -...w.w.w Seit Beginn des Jahres 1995 waren Ex- perten des Aukiionshauses Sotheby's, das vom markgräflichen Haus mit der Veräuße- rung beauftragt war, mit der Sichtung des gesamten über 25 000 Objekte unuassenden Inventars des Neuen Schlosses in Baden- Baden beschäftigt. So schrittweise, wie sich dieser Expertenstab durch die 105 Räume des Schlosses durchkämpfte und dabei selbst erst nach und nach Entdeckung auf Entdeckung machte, konnte auch das Badische Landesmu- seum nur an detaillierte Einzelinformationen über das Kunstgut gelangen. In lebhafter Erinnerung ist es noch, wie zwei Tage nach der Eröffnung einer Ausstellwlg über die 750 Jahre Geschichte des Klosters Lichtentlial im Badischen Landesmuseum aus Baden-Baden bekannt wurde, die in der Ausstellung als "seit 1936 vermißt" angeflihrten Glasmale- reien aus der Lichtenthaler Klosterkirche aus der Zeit um 1300 mit den ältesten Bild- darstellungen badischer Markgrafen schlecht- hin seien im Neuen Schloß entdeckt worden. Auch die Existenz unlfangreicher Bibliotheks- und Archivbestände wurde erst Monate nach Beginn der Sichtungen bekannt. Und schließ- lich war es ein denkwürdiger Moment, als das Haus Sotheby's bekanntgab, das markgräfli- ehe Haus wolle sich nicht nur vom gesamten Inhalt des Neuen Schlosses in Baden-Baden trennen, sondern auch eine Reihe hochkaräti- ger Kunstwerke aus Schloß Salem veräußern; einige Tage später rollte ein schwerer Kunsttransporter vor dem Badischen Landes- museum vor, um "zur Ansicht" auszuladen: die Tafeln des Marienaltars aus Salem von Bemhard Strigel, ein Hauptwerk der süddeut- schen Kunst zu Beginn des 16. Jahrhunderts, von dem das BLM bereits den geschnitzten Mittelschrein besaß, weitere Tafelbilder desselben Künstlers und des Ulmer Malers Martin Schaffner, einen gemalten astrologi- schen Kalender des 15. Jahrhunderts aus dem bei Konstanz gelegenen Kloster Peters- hausen, Gobelins aus der einstigen Ausstat- tung des Mannheimer Schlosses, Glasmale- reien des 15. und 16. Jahrhunderts aus Schloß Staufenberg, ein vielteiliges Tafelaufsatz- ensemble von 1885. Ankaufsstrategien Diese Objekte wurden deswegen ins Karlsruher Schloß verbracht, weil die Lan- desregierung auf die Verkaufsabsicht des Markgrafen mit einem "Verbringungsverbot" nach dem Denkrnalschutzgesetz reagiert hatte: erst nach der Vorlage einer genauen schriftlichen und fotografischen Dokumenta- tion aller dort vorhandenen Gegenstände könne über eine Freigabe rur den Verkauf entschieden werden. Trotz eines einstimmi- gen VOtunlS einer interministeriell aus Vertretern aller betroffenen Institutionen zus3Dlmengesetzten Arbeitsgruppe wurde das Angebot des Markgrafen, den gesamten Inhalt des Neuen Schlosses fur einen Pau" schalpreis von 80 Mio. DM zu erwerben, von der Landesregierung abgelehnt; ein modifi- zierter Vorschlag des damaligen Vorsitzen- den des" Vereins der Freunde des Badischen Landesmuseums", eine solche Gesamtauf- lösung mittels einer "Auffanggesellschaft" oder GmbH mit Beteiligung des Staates IIDd der Industrie möglich zu machen, die selber auch Verkäufe. des Entbehrlichen tätigen könne, stieß, trotz des heute auch im kulturellen Bereich generell eingeforderten "unternehmerischen Denkens" , wohl als zu Glasmalerei aus Kloster Lichtenthai, um 1310, mit Darstellung von MarkgrafRudolf 1 von Baden und seiner Frau Kunigunde von Eber- stein und Markgraf Rudolf 11 von Baden. 113 utopisch auf keinerlei politische Resonanz. So wurde diese im Auftrag des Denkmalamtes durchgefiihrte Inventarisierung Grundlage der Einzelentscheidungen verschiedener In- stitutionen wie dem Badischen Landesmuse- um, welche Prioritäten beim Erwerb ausge- wählter Einzelobjekte zu bilden waren. Verschiedentlich mögliche eigene Sichtungen haben dann jedoch den entscheidenden Ausschlag fiir die Erwerbungsentscheidungen gegeben. Bis es dazu kam, waren weitere Hürden zu überwinden. Nachdem der Gesamterwerb gescheitert war und auch deswegen fragwür- dig wurde, weil inzwischen die zusätzlichen Verkaufsangebote aus Salem vorlagen und andererseits aus dem Inhalt des Neuen Schlosses Objekte zum Verbleib in der markgräflichen Familie entnommen wurden, stand zunächst eine von Sotheby's selber zusammengestellte Auswahlliste rur einen Teilerwerb im Raum, die jedoch nicht den eigenen Vorstellungen entsprach und deswe- gen zurückgewiesen werden mußte. Nur schwer waren die - aus geschäftlicher Sicht nachvollziehbaren - Bedenken des Veräus- serers zu überwinden, ein Teilerwerb nach Museumswünschen könnte alle wichtigsten Stücke der im Anschluß daran vorgesehenen Auktion entziehen und diese dadurch wesent- lich entwerten; nicht nur auf seiten der Landesregierung, sondern auch beim Verkäu- fer mußten so vielerlei Schwierigkeiten über- wunden werden, daß es überhaupt zu einem qualifizierten Teilerwerb vor der Auktion kam. Schließlich siegte die Einsicht in die kulturelle Verantwortung, nicht zuletzt dank der Vermittlungsdienste des damaligen Ge- schäftsfiihrers von Sotheby's Deutschland, Dr. Christoph Graf Douglas. Nach langen Diskussionsprozessen und vielerlei Initiativen konnte schließlich im Juni 1995 im fUr das Badische Landesmuseum zuständigen Ministerium fiir Familie, Frauen, 114 Weiterbildung und Kunst der Vertrag über 273 Objekte zum Preis von 17 Mio. DM abgeschlossen werden. Die Mittel dafur wurden aus den den fiinf großen staatlichen Kunstmuseen zustehenden Lotto-Toto-Erträ- gen und Spielbankeinkünften, ohne Inan- spruchnahme von Steuergeldern, aufge- bracht. Voraussetzung war ein Beschluß aller an diesen Mitteln partizipierenden Museums- direktoren. Dieser Ankauf wurde flankiert durch die Schenkung von 69 Objekten landesgeschichtlicher Bedeutung, die das markgräfliehe Haus dem Badischen Landes- museum machte, und die Überlassung der Tafeln des Antoniusaltares von Martin Schaffner als Dauerleihgabe an die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Auswahl der Ankäufe Die Auswahl erfolgte nach folgenden Kri- terien: I. Es bestand eine Absprache mit anderen Institutionen, daß das BLM sich - neben eini- gen unverzichtbar ,vieh ti gen Einzelobjekten - auf Zeugnisse der historischen badischen Kunstkammer konzentrieren solle. Die Exi- stenz einer solchen Kunstkammer wurde erst im vollen Umfang während der Sichtungen des Jahres 1995 bekannt. Es war allerdings unumgänglich, daß im Rahmen der zur Verfugung stehenden Finanzmittel lediglich eine repräsentative Auswahl von ca. der Hälfle der ca. 200 Objekte erworben werden könne, wobei der Schwerpunkt auf "klassi- schen" Kunstkammerobjek1en des 16. und 17. Jahrhunderts lag und spätere Erweiterungen- eine Besonderheit badischer Kunstsammel- tätigkeit - nur in wenigen ausgewählten Objekten Berücksichtigung finden konnte. 2. Bei den weiteren erworbenen Objekten hatten herausragende Kunstwerke wie die Lichtenthaler Glasmalereien oder die histori- schen Tafelaufsätze besonderen Vorrang. 3. Generell waren die auf der "Liste nationalen Kulturgutes" befmdlichen Objek- te vorrangig zu berücksichtigen, um diese Werke nationalen Ranges vor einem Verkauf zu retten und damit auch einer Verkaufsbe- dingung des Veräußerers zu entsprechen. Es gelang bei allen 14 auf dieser Liste her- ausragenden nationalen Kunstgutes verzeich- neten Objekten, sie entweder zu erwerben oder im Besitz des markgräflichen Hauses zu halten. 4. Schließlich hatte bei allem der ge- forderte Preis eine wesentliche Rolle zu spielen. Niemandem lag zum damaligen Zeitpunkt das gesamte Verkaufsangebot quasi wie ein Warenhauskatalog - wie später die Auktionsbände - zur Auswahl vor, sondern die Preise mußten stets einzeln in einem umständlichen Verfahren von den Sotheby's-Experten abgefragt werden. In einigen Randbereichen war dies bis zum Vertragsabschluß im Kunstministerium gar nicht möglich. Und es bedarf besonderer Betonung, daß die geforderten Festpreise rur den staatlichen Vorerwerb nicht etwa mit den späteren Festpreisen im Auktionskatalog identisch, sondern in der Regel weitaus höher waren. Die später erzielten Auktions- ergebnisse, die ja die Schätzpreise weithin um ein Mehrfaches, manchmal Vielfaches über- schritten, stellten sich darm aber oft wiederum als weitaus höher als die vorherigen Fest- preise heraus . In einigen wenigen Fällen, bei denen der Vorerwerb des BLM wegen zu hoher Preisforderungen nicht zustandekam, gab dem freilich auch das spätere niedrigere Auktionsergebnis recht. Insgesamt hat das BLM aber, wie ihm verschiedene auswärtige Gutachter bescheinigten, beim Vorerwerb preislich durchaus sehr günstig ankaufen können. Bei diesem ersten Erwerbungspaket, das schließlich die " Kulturstifiung der Län- der" in Berlin und das Bundesministerium des Innern in Bonn mit jeweils 5 Mill. DM mit- fmanzierten, blieb doch das Schicksal der Tafelmalereien von Bernhard Steigel unge- wiß, rur die das Land Baden-Württemberg eine Erwerbungsoption aussprach. Sie konn- ten darm schließlich in einem zweiten Schritt im September 1995 zu einen herunter- gehandelten Preis von 12 Mio. DM erworben werden. Nunmehr waren die staatlichen Mittel erschöpft. Die nicht vom BLM und den staatlichen Schlösser und Gärten des Landes erworbenen Objekte gelangten in eine Auktion, der schon im Vorfeld und nach Veröffentlichung des sechsbändigen Auktions- kataloges das Attribut " Jahrhundertereignis" zugemessen wurde. Auf alle Fälle offenbarte der Auktionskatalog, daß noch zahlreiche Objekte von zentralem kultur- und landes- geschichtlichen Rang zum Verkauf standen, deren Existenz bekarmt war,jedoch vorher im Rahmen der staatlichen zur Verfugung stehenden Mittel nicht gesichert werden konnten, aber viel mehr erst jetzt ans Tageslicht geriet, was in den Inventarver- zeichnissen von Sotheby's aufgrund des enormen Zeitdrucks nicht erfaßt oder nicht in seinem Rang erkenntlich war. Private Spendenaktionen __ N'Noy.w.w.·.w.w.·.,·.·.·.·."".·.w.·"'.~ ___ ~~~ ...... ..., .... " ..................... ... Um nunmehr innerhalb der Auktion weiteres Kulturgut zu sichern, das mit Vorlage des Auktionskataloges im August 95 nicht mehr rur Vorerwerbungen zur Verfu- gung stand, galt es, private Spenden- und Sponsorenmittel aufzubringen, die in der Auktion eingesetzt werden konnten. Glückli- cherweise konnte das BLM dabei schließlich über 3,1 Mio. DM verfugen. Der Dank hat hierfur vor allem einzelnen Unternehmen zu gelten, die im Vorstand und Beirat des "Vereins der Freunde des Badischen Landes- museums" engagiert sind: der Badischen Beamtenbank, der Bausparkasse Schwäbisch 115 Hall, der Fa. SEW Eurodrive in Bruchsal, der Baden-Württembergischen Bank, der Fa. Würth in Künzelsau. Gleichzeitig engagier- ten sich, dank der Initiative der 1. Vorsitzenden Gerlinde Hämmerle und des 2. Vorsitzenden Dr. Gerhard Zehender, auch die persönlichen Vereinsmitglieder insgesamt in vorbildlicher Weise, und schließlich wurde die Vereinskasse selber rur ein solches " Jahrhundertereignis" geschlachtet. 170 Erwerbungen hat das Badische Landesmuseum während der 16 Tage vom 5. bis 21 . 0\..10ber 95 dauernden Auktion in 125 Bietzuschlägen noch tätigen können. Mit an die 40 getarnten Beauftragten in wechseln- dem Einsatz vermochten wir in einer ausgeklügelten Bietstrategie, bei der dem Museumsdirektor selber eine zusätzliche strategische und mehr schauspielerische Rolle, die zusätzliche Verwirrung stiftete, zukam, zu moderaten Preisen weitere Erwerbungen zu tätigen. In mehr als doppelt so vielen Fällen wie den erfolgreichen Zuschlägen hat das BLM, wenn die Limits der Beauftragten erschöpft waren, bei den Bietgefechten verloren. Nur in zwei exorbi- tanten Fällen, einem kostbaren Schachbrett aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, das als einziges Objekt insgesamt durch eingelegte Initialen als persönlicher Besitz des Markgra- fen Karl Friedrich und der Markgräfin Karoline Luise ausgewiesen ist, und einer allegorischen Bronzegruppe von Hermann Volz von 1896, einem Geschenk der acht großen badischen Städte an den Großherzog Friedrich I. zu seinem 70 . Geburtstag, in dem die damalige Selbstdefinition Badens als "Musterländle" focusartig verdichtet ist, war es notwendig, die Preislimits deutlich zu überschreiten, um diese unverzichtbaren Werke im öffentlichen Besitz des Landes gegen auswärtige Gegenbieter zu erhalten. 116 Die Sonderausstellung Aus den 512 Erwerbungen zeigt das Museum vom 13. März bis 9. Juni gut die Hälfte der bedeutendsten Objekte in einer Sonderausstellung. Mehr konnte aufgrund der äußerst kurzen Zeit, dem beschränkten Platz und der Notwendigkeit, daß so gut wie alle Enverbungen der Restaurierung bedürfen, vorläufig nicht geleistet werden. Die Ausstel- lung beinhaltet die hochrangigen Werke der badischen Kunstkammer, die vom 5. bis zum 18. Jahrhundert reichen: mittelalterliche Elfenbeinreliefs, Goldschmiedearbeiten vom 15. Jahrhundert bis in die Barockzeit, darunter die berühmte " Jamnitzerburg", die Glasmalereien vom 14. bis zum 17. Jahr- hundert, eine herausragende spätgotische Pietä, Tafelmalereien jener Zeit. Die höfische Kunst des 18. Jahrhunderts ist veranschau- licht durch einzigartige Uhren, Möbel, Wandbespannungen aus den Schlössern Karlsrube und Bruchsal und charakteris- tische Zeugnisse der Kulturgeschichte jener Zeit, z. B. der Karlsruber Hofapotheke, dem Mikroskop der Markgräfin Karoline Luise, Porzellanen und Fayencen aus markgräfli- chem Besitz. Das 19. Jahrhundert ist breit repräsentiert durch Objekte, die die badische Landesgeschichte widerspiegeln: von der Epoche des Großherzogs Karl über die Revolution von 1848/49 (in einem Gemälde der Schlacht von Waghäusel 1849) bis zur Regierungszeit der Großherzöge Friedrich I. und Friedrich 11. Neben Zeugnissen der EinrichtungsI.."Ultur des Karlsruber Schlosses, die bis zu modemen Schöpfungen des Jugendstils z. B. der Werkstätten in Nance von Emile Galle und den Gebrüdern Daum reichten, besitzen die Jubiläumsgeschenke aus Kreisen der badischen Bevölkerung an das großherzogliche Haus nach 1850 eine besondere Rolle, auf deren Enverb sich das BLM besonders konzentrierte. Solche Jubi- läumsanlässe wie Geburtstage, Hochzeiten, Hochzeitsjubiläen und runde Regierungs- daten manifestierten sich z. B. in dem dreiteiligen, fast 10 Meter breiten Gemälde- zyklus, der den Festzug des badischen Volksvereins 1881 vor dem Karlsruher Schloß wiedergibt, dem Silbergeschenk von 1885 oder dem "Staatsschifl" von 1896. Viele andere Schenkungen dieser Art kom- men hinzu. Ein kurioses Objekt konnte noch zuletzt außerhalb der Auktion erworben werden und bildet den Schluß der Ausstel- lung: ein gerahmtes Bild mit der fotografi- schen Reproduk1ion eines Gemäldes von Friedrich Il. von Preußen, von einem großen Loch zerfetzt, das durch den ersten Schuß der Revolutionäre 1918 auf das Karlsruher Schloß bei der Vertreibung des Großherzogs vor seiner Abdankung entstanden ist. Symbo- lischer könnte die Ausstellung, die im ersten Obergeschoß des Karlsruher Schlosses ge- zeigt wird, kaum beschlossen werden. Gleichzeitig stellt das BLM die Präsentati- on des wiedervereinigten Strigel-Altares in den Mittelpunk1 einer - provisorischen - Erweiterung seiner Mittelalterabteilung. Sie verfugt mit diesem einzigartigen Werk, dessen Bilddarstellung der "Geburt Christi" z. B. das erste Nachtbild in der deutschen Malerei überhaupt ist, über einen neuen Höhepunkt innerhalb der mittelalterlichen Kunst- und Kulturgeschichte im Erdgeschoß des Karlsruher Schlosses. Schrittweise wer- den auch die anderweitigen Neuerwerbungen aus markgräflichem Besitz in die neu- gestalteten Räume unserer ständigen Schau- sammlungen integriert. Kein Schlußstrich ---~. Unter dem Ausverkauf des markgräflichen Kunstbesitzes, der zwar das badische Landesmuseum bereichert, aber gleichwohl zu unwiderbringlichen Verlusten gefuhrt hat, ist noch kein Schlußstrich gezogen. Nicht nur der Kunsthandel und private Erwerber, die mittlerweile die Geldausgabe reut, bieten nunmehr ihre Auktionserwerbungen zum Weiterverkauf an staatliche Institutionen an, auch weitere Kunstverkäufe teilweise einzig- artiger Objekte - außerhalb der Auktion durch den Kunsthandel - stehen zur Dis- kussion. Wie prophezeit, wird das Thema das BLM und potentielle Mäzene noch lange Zeit beschäftigen. Es ist zu wünschen, daß viele die Verantwortung spüren, sich in dieser außerordentlichen Situation weiter engagie- ren zu müssen. Das jährliche Museumsfest, das das BLM 1996 vom 3.-5. Mai mit dem Thema "Der Glanz Badens. Schätze einer Kulturlandschaft" zu der Ausstellung seiner Erwerbungen aus markgräflichem Besitz veranstaltet, sollte diesem Engagement neuen Auftrieb geben. Harald Siebenmorgen IV. Die Erwerbungen der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe Für die Kunsthalle Karlsruhe war - anders als für das Badische Landesmuseum - aus dem Angebot der reichen markgräflichen Sammlung nur ein geringer Teil interessant, hat sie doch schon im 19. Jahrhundert auf das großzügigste sogenanntes "Allerhöchstes Privateigentum" überwiesen bekommen. Auch war ihr 1920 im Zuge der "Fürstenteilung" schon fast alles für sie Wichtige zugefallen. 117 Daß die vier Flügel und die Predella des Salemer Altars von Bernhard Strigel als Hauptwerk spätgotischer Malerei nicht in die altdeutsche Abteilung ihrer Gemäldegalerie Einzug halten darf, entspricht nicht dem Verständnis ihrer Direktion und der wissen- schaftlichen Mitarbeiter. Sie habenjedoch die Entscheidung des Ministeriums fur Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden- Württemberg und der Direktoren der Staatli- chen Museen des Landes zu respektieren, daß das Badische Landesmuseum durch den jahrzehntelangen Besitz des geschnitzten Mittelschreins dieses Altars zur Zusammen- fuhrung in seinen Räumen legitimiert sei. Erwerbungen N....",.· ... NW.W.W.·~ ·.·.·.·.·.w . ..,.. ........ w ....... .., .......... .."... VA""'W.W .W • ..,..,.w ....... "w.w.·.v.· ......... .".,W' Im Rahmen eines Vertrages zwischen dem Ministerium fur Familie, Frauen, Weiterbil- dung und Kunst und S. K. H. Maximilian Flora Geraldy Bildnis der Großherzogin Sophie von Baden, Prinzessin von Schweden, um 1830. 118 Markgraf von Baden vom 3. Juli 1995 gelangte die Kunsthalle in den Besitz einer . kleinen Tafel Bernhard Strigels mit der Darstellung des Gebets Christi am Ölberg. Sie gehört zu einem aufgelösten Altarretabel, von dem die Kunsthalle bereits zwei größere Tafeln besitzt. Darüber hinaus erhielt die Kunsthalle ein Album mit Nachzeichnungen der Deckenbilder Tobias Stimmers im zerstörten alten Baden-Badener Schloß als Geschenk des Markgrafen von Baden sowie als Leihgabe vier Tafeln des Salemer Altars von dem Ulmer Maler Marlin Schaffner, die Szenen aus dem Leben des h1. Antonius darstellen. Die in Öl und Tempera auf Holz gemalten, 146 x 55 cm großen Figurszenen mit landschaftlichen Hintergründen spiegeln die Beschäftigung Schaffners mit der Malerei Albrecht Dürers, der Donauschule und Matthias Grünewaids. Sie fugen sich als bedeutende Akzente in die altdeutsche Abteilung der Gemäldegalerie ein. 12000 DM Spenden w.w ..... ___ ............ V"O'·'"V.M ......... ""W.v"-"N-'...,..""·~ In der Baden-Badener Versteigerung der Sammlung der Markgrafen und Großherzöge von Baden durch das Auktionshaus Sotheby' s konnte die Kunsthalle im Oktober 1995 einige Kostbarkeiten des 19. Jahrhunderts fur sich sichern. Ein an die Öffentlichkeit gerichteter Spendenaufruf erbrachte aus privaten Händen 12000 DM Spendenmittel, die zur Erwerbung eines Bildnisses der Großherzogin Sophie von der Pariser Miniaturmalerin Flora Geraldy verwendet werden konnten. Das in seinem originalen Goldrahmen mit alter Verglasung erhaltene, in Deckfarben auf Pergament gemalte Hochoval aus der Zeit um 1830 kann den Grundstock einer bisher in der Kunsthalle nicht vertretenen Sammlung von Bildnis- miniaturen des 19. Jahrhunderts bilden. Es zeigt die junge Gemahlin Großherzogs Leo- Carl Agricola Bildnis der Großherzogin Slephanie von Baden (1789- 1860) um 1815. polds in einem lichtgelben Sonnenhut, der ihre rüschengeschmückte Lockenfrisur betont. Da badische Fürstenportraits infolge der Fürsten- teilung nach dem Ersten Weltkrieg bisher in der Kunsthalle fehlten, kommt dieser reprä- sentativen Bildnisminiatur wie auch den beiden anderen Erwerbungen besondere Bedeutung zu. Aus einer Spende der Volksbank Karlsruhe konnte das um 1815 entstandene Aquarell- Bildnis der Großherzogin Stephanie von dem Wiener Maler earl Agricola erworben werden, das ebenfalls von feinster Qualität ist. Ein ausgesprochenes Spitzenwerk der Portrait-Miniatur ist das z. T. aus Mitteln der Volksbank, privaten Spenden und Toto- Lotto-Mitteln erworbene Bildnis des jungen badischen Erbprinzen Ludwigs 11., das dieser während seines Wiener Studienaufenthalts um 1842 von dem bedeutenden Wiener Biedermeiermaler Moritz Michael DafI"mger Moritz Michael Daffinger Bildnis des Erbprinzen Ludwig II von Baden. hat malen lassen. Als Halbfigur vor einer Säule mit Vorhang und einer Parkkulisse verbindet es die einem Großformat entspre- chende Würde des Motivs mit zartester Feinmalerei. Ein Glücksgriff Ein besonderer Glücksgriff gelang der Kunsthalle, nachdem ihr Konservator Dr. RudolfTheilmann unter den erst eine Woche vor der Auktion zur Besichtigung freigegebe- nen Zeichnungen eine Reihe von Blättern entdeckt hatte, deren Zugehörigkeit zu einem besonderen Zeugnis der badischen Kunstge- schichte den Experten des Auktionshauses Sotheby's entgangen war. Als Einzellose auf verschiedene Tage der Auktion verteilt, mußte jedes Blatt im einzelnen Bietgefecht ersteigert werden. Die Zeichnungen gehören zu dem seit dem 19. Jahrhundert in der Kunsthalle verwahrten Friedrich-Luisen- Album, das badische und deutsche Künstler auf einen Aufruf des Akademiedirektors 119 Amalie Kaercher (1819- 1887) Rasens/rauß. S/anislalls van Kalckreu/h (J 820-1894) Burg in den Alpen. 1856. 120 Johann Wilhelm Schinner und des Kunst- hallendirektors earl Frommel als Geschenk zur Vennählung Großherzog Friedrichs I. von Baden mit Prinzessin Luise von Preußen im September 1856 gestiftet hatten. Sie werden nun mit den bereits in der Kunsthalle vorhandenen 95 Blättern vereint. Ihr besonde- rer Reiz ist eine 1856 eigens aus Spenden- mitteln finanzierte, vom Hofmaler und Landeskonservator August von Bayer ent- worfene Pultvitrine. Was nun glücklich zusammengeftihrt ist, bietet mit den überwie- gend von der Düsseldorfer Malerschule beeinflußten Landschaftsdarstellungen, den Historienbildern wld Portraits einen repräsen- tativen Querschnitt des badischen Kunst- schaffens WlI die Mitte des 19. Jahrhunderts. Zugleich ist es ein besonderes landes- geschichtliches Dokwnent der Zusammenge- hörigkeit von Hof, Bürgerschaft und Künst- lern. Leider ließen überhöhte Preise die Erwerbung von weiteren zehn Blättern nicht zu. Auch müssen der kostbar verzierte Deckel und die übrigen 20 Blätter weiterhin als verschollen gelten. Siegmar Holsten V. Erwerbungen fiir die Stadt Karlsruhe Wie hinreichend bekannt ist, fand im Okto- ber vergangenen Jahres im Neuen Schloß zu Baden-Baden eine der größten je abgehalte- nen Auktionen von Kunstschätzen statt. Die international renommierte englische Finna Sotheby's versteigerte große Teile des mark- gräflich badischen Kunstbesitzes und viel Mobiliar und Ausstattungsstücke unterschied- lichster Art. Insgesamt erbrachte die Auktion laut Ergebnisliste des Hauses Sotheby's DM 80.043.812,-. Das ist weit mehr als erwartet worden war. Die erzielten Preise erreichten in vielen Fällen ein mehrfaches realistischer Schätzwerte. Mit anderen Worten: Fast alles war viel zu teuer. Aber wer etwas erlangen wollte, mußte eben mithalten. Die Situation flir die Städte Die Vorbereitung von Institutionen und in- teressierten Personen auf die Auktion war er- schwert, solange nur unvollständig bekannt war, was wirklich zur Versteigerung anstand. Nur den Landesinstitutionen waren wenn auch nicht ganz vollständige Listen überlassen und ihnen im Vorabverkauf Teilerwerbungen zu- gestanden worden. So kamen das Badische Landesmuseum, das Generallandesarchiv und die Badische Landesbibliothek schon vor der Auktion in den Besitz wertvoller Schätze. Weiteres mußten auch sie in der Versteige- g erwerben. Den interessierten Städten war die Möglichkeit zu einem Voraberwerb trotz aller Bemühungen nicht eingeränmt worden. !'St die VeröffentlichWlg des sechsbändigen Katalogs kurz vor der Auktion ennöglichte einen genauen Überblick über die zur Veräu- ßerung stehenden Objekte. Auch flir die Stadt Karlsruhe erhob sich die Frage, ob die Auktionsmasse Stücke enthielt, die ftir ihre Stadtgeschichtlichen Sammlungen von Bedeutung waren" Allzu viel war es, ge- messen anl Gesamtvolurnen, nicht. Selbstver- ständlich war das Badische Landesmuseurn der wichtigste Teilnehmer an der Versteige- rung, und dieses hatte viele Objek1e, flir die sich auch die Stadt interessierte, bereits vor der Auktion erworben, so daß sie ftir die Stadt nicht mehr zur VerfligWlg standen. Dazu ge- hÖrlen unter anderem so gut wie alle Dur- lacher Fayencen. Die Finanzierung -~-- Ein weiteres Problem flir die Stadtgeschicht- lichen Sammlungen bestand darin, daß im Haushaltsplan der Stadt flir derartig kost- spielige Erwerbungen keine Mittel vorgese- hen waren. Hier sprangen großzügige Spen- der ein, an erster Stelle die Sparkasse Karls- ruhe und mit weiteren Beträgen die Firma Kamphues, die Grötzinger Heimatfreunde, der Verein Baden in Europa und der Freundes- kreis Pfmzgaurnuseum Durlach. Die verfligbaren Mittel wurden verantwor- tungsbewußt eingesetzt und reichten schon deswegen aus, weil die Zahlung immer höhe- rer Preise nicht in jedem Fall vertretbar er- schien. So erwarb die Stadt Karlsruhe schließ- lich nur 16 Lasnummern, die allerdings zum Teil aus einer größeren Anzahl von Einzel- stücken bestehen. 121 Die Erwerbungen Die zweifellos wertvollste Erwerbung ist ein sogenanntes "Tete-a-Tete" aus dem Be- sitz der Markgräfin Karoline Luise. Es han- delt sich dabei um ein Frühstücksservice ftir zwei Personen mit Kaffee- und Teekan- ne, Milchkrug, Zuckerdose und einer großen Servierplatte. Alle Teile sind auf dunkelblau- em Fond in goldurnrandeten Medaillons indi- viduell mit spielenden Putten bemalt. Das aus dem Karlsruher Schloß stammende Ser- vice wurde um 1780 in der Berliner Porzel- lanmanufaktur hergestellt. Im Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais wird es künftig in der Abteilung über das 18. Jahrhundert einen August Pecht nicht zu übersehenden Platz einnehmen. Ein wichtiges Stück dieser Abteilung wird auch ein Elfenbeinporträt des Stadtgründers, des Markgrafen Karl Wilhelm, bilden. Das im 18. Jahrhundert entstandene ovale Relief ist auf einen Ebenholzsockel montiert und mit aus Obstholz geschnitzten militärischen Emblemen (Fahnen, Kanonenrohre, Spieße) umgeben. An den letzten ftirstlichen Besitzer des Prinz-Max-Palais und letzten Reichskanzler des deutschen Kaiserreiches, Prinz Max von Baden, erinnert eine Reihe von Porzellan- plaketten der Kopenhagener Manufaktur Bring & Gröndahl aus den Jahren 1910 bis 1913. Es handelt sich dabei um Oster- Schiller nach der Erstauffr1hrung der Räuber 1782, vor dem Hoftheater in Mannheim. 122 geschenke der Großherzogin Luise an ihren Neffen. Für das Prinz-Max-Palais sind dies die einzigen Stücke, die aus dem Haus selbst und aus dem Besitz des Namengebers des Hauses stammen. Ein Hochzeitsgeschenk an Großherzog Friedrich I. und die Großherzogin Luise ist das 1856 von dem Karlsruher Schreiner Au- gust Glaenz hergestellte neugotische Eck- schränkchen. Dieses reich beschnitzte Mö- belstück erhält seinen besonderen Reiz da- durch, daß auf den Innenseiten der Schrank- türen unter Glas zwei gut erhaltene Aquarel- le des Hofmalers Wilhelm Dürr angebracht sind, die überdies Ausschnitte aus Gedichten Johann Peter Hebels und Ludwig UhIands ent- halten. Eine gleichfalls gut erhaltene farbige Zeich- nung fmdet sich im Deckel einer Schreib- schatulle aus der Zeit um 1840. Sie stellt den von Weinbrenner erbauten Gotischen Turm mit einigen Personen dar. Schon zwanzig Jah- re später verschwand das Bauwerk, so daß das Bild zugleich dokumentarischen Wert hat. Ähnliches kann von einer großformatigen Bleistift- und Tuschepinselzeichnung gesagt werden. ,,Auf dem Weg nach Beiertheim" heißt das 1856 von F. von Stockhorn gemalte Bild. Es gibt einen guten Eindruck davon, wie das Gebiet, das heute noch Beiertheimer Wäldchen heißt, damals ausgesehen hat. Eine Ansicht des Schlosses Gottesaue aus der Mitte des 19. Jahrhunderts findet sich auf einer großen, ansonsten sehr bunt verzierten Porzellantasse. Einige Gegenstände, welche die Stadt in der Auktion erworben hat, entstammen der Karlsruher handwerklichen Produktion. Dazu gehört eine große Kanzleiuhr des Uhrmachers Otto Freyheit vom Ende des 19. Jahrhunderts. Zu seinem 70. Geburtstag am 9. September 1896 erhielt Großherzog Friedrich I. unzäh- lige Geschenke aus ganz Baden von allen möglichen Institutionen und Vereinigungen. Diese zum Teil äußerst kunstvollen Gaben gingen fast alle an das Badische Landesmu- seum, auch die aus Karlsruhe stammenden. Für die Stadtgeschichtlichen Sammlungen konnte ein großes ovales Kupfertablett er- worben werden, das die Metzgergenossen- schaft Karlsruhe dem Großherzog zum Ge- schenk gemacht hatte. Die Platte ist reich verziert und mit dem badischen Wappen und entsprechender Widmung versehen. Ein besonders bemerkenswertes Stück ist ein von der Karlsruher Möbelfabrik Bern- hard Grothues gefertigter Prunktisch aus Nuß- baurnbolz und Einlegearbeiten aus verschie- denen Edelhölzern. Die Schützengesellschaft Karlsruhe schenkte den Tisch dem Großher- zogspaar 1881 zur Silbernen Hochzeit. Einige Erwerbungen der Stadt sind fur das Pfmzgaumuseum Durlach gedacht, darunter eine Fayence-Platte aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit sehr schöner Blumenbema- lung, aber leider auch einigen Randbestos- sungen. Aus der Zeit um 1700 stammt eine kleine silber-vergoldete Patene (Abendmahlsgerät) mit dem Wappen von Baden-Durlach. N ach einem Gemälde des Hofmalers Johann Baptist Kirner entstand eine großfor- matige Lithographie, die zwar als "Jagdpartie im großherzoglichen Wildpark" bezeichnet, aber etwas nördlich von Durlach aufgenom- men ist. Man sieht die Stadt und den Turm- berg im Hintergrund. Vorne steht Großher- zog Leopold mit einer Anzahl von J agd- genossen. Auf das Jahr 1833 datiert ist ein großes Aquarell von earl Ludwig Fromme!. Es zeigt eine Gruppe von Bauern im Innenhof der Karlsburg. Weil später verschwundene Ge- bäudeteile auf dem Bild noch zu sehen sind, besitzt es dokumentarische Bedeutung. Vielleicht das größte Interesse vieler Dur- lacher wird ein Gemälde von 1856 fmden, 123 das der Maler Karl Roux "Der Bauherr" beti- telt hat Auf ihm erkennt man den Markgrafen Karl II., wie er auf einer Baustelle aus seiner legendären "Dasch" die Bauarbeiter auszahlt. Der Schauplatz Durlach wird durch den im Hintergnmd sichtbaren Turmberg angedeutet. Gemeinsamer Erwerb mit der Stadt Mannheim Unkonventionell wurde beim Erwerb eines Gemäldes von August Pecht aus dem Jahr 1865 verfahren, das Schiller nach der Ur- auffiihrung der "Räuber" 1782 vor dem Hof- theater in Mannheim zeigt. Den Kaufpreis von DM 60000,- erbrachten je zur Hälfte das Mannheimer Reiss-Museum und die Stadt Karlsruhe. Da Mannheim gleichermaßen an diesem Bild interessiert war, konnten so Über- bietungen vermieden werden. Für Karlsruhe ist das Bild deswegen von Bedeutung, weil das Pendant dazu "Goethe am Karlsruher Hof' ehedem im seI ben Zimmer im Karlsru- her Schloß hing. Heute befindet es sich im Museum fur Literatur am Oberrhein. Dorthin soll das sehr große neu erworbene Bild nach dem Umzug des Dichtermuseums in's Prinz- Max-Palais auch kommen. Zunächst wird es aber fur einige Zeit in Mannheim gezeigt. Wo das Gemälde dann endgültig bleiben soll, muß eine spätere Vereinbarung ergeben. Alle Erwerbungen der Stadt werden nach ihrer Restaurierung in den Räumen der Spar- kasse Karlsruhe der Öffentlichkeit präsen- tiert werden. Heinz Schmili 40 Jahre Bundesfachschule Sanitär- und Heizungstechnik an der Heinrich-Meidinger-Schule Karlsruhe Vor 40 Jahren, am 20. Februar 1954, fand in der Aula der damaligen Gewerbeschule im Gebäude der jetzigen Carl-Hofer-Schule eine Feierstunde statt, in der zum letzten Mal Absolventen der Meisterschule fur das Installateur- und Klempnerhandwerk entlassen und die Umwandlung und Eröffnung der Bundesfachschule fur das Installateur-, K1emp- ner-, Zentralheizungs- und Kupferschmie- dehandwerk vollzogen wurden. Die Meister- schule war zu diesem Zeitpunkt bereits 45 Jahre alt, - sie war 1909 gegründet worden. In ihrer Geschichte spiegelt sich die technische Entwicklung der Sanitärtechnik von einfach- sten Handgriffen zu vielseitigen und umfassen- den handwerklichen Fertigkeiten und emer hochtechnischen Gerätetechnik wider. 124 Ursache und Aulaß im 19. Jahrhundert: "_v_,_w •. ~.,,~~~!:~~;:::::v~I~!:::'~,, •. wW"w._.w, Ende des 18 . Jahrhunderts in der Rokoko- zeit gehörte Waschen und Baden nicht zum guten Ton. Schminke, Puder und Parfum ließen Unsauberkeiten und unangenehmen Geruch verschwinden. Die Abfalle wurden in die Flüsse geworfen, durch das Regenwasser oder durch Bächle - heute noch in Freiburg zu sehen - in die Flüsse gespült. Aus den Flüssen aber kam das Wasser in die Trinkwasser- versorgungssysteme. Eine weitere Belastung ergab sich durch die zunehmende Industriali- sierung. Die Abgänge der Fabrikation wurden in die Flüsse und Seen geleitet. Die 1817 aus Indien eingeschleppte Cho- lera und ihr epidemisches Auftreten in den folgenden Jahrzehnten waren u. a. die Ur- sache fiir eine intensive wissenschaftliche Erforschung der Zusammenhänge zwischen dieser Krankheit wie auch von Pest und Typhus und dem Zustand des Trinkwassers, der körperlichen, hygienischen Sauberkeit und der Entsorgung des verbrauchten Was- sers. Robert Koch entdeckte 1882 den Er- reger der Tuberkulose und 1883 den Cho- lerabazillus. Max von Pettenkofer begründe- te die experimentelle Hygiene. 1892 brach in Hamburg eine Choleraepidemie aus, an der in kurzer Zeit 8 600 Menschen starben. Nun drang ins allgemeine Bewußtsein, daß eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser, häusliche Hygiene und ein Abwassersystem, das ein Eindringen von Bakterien und krankheitsübertragenden Tieren in die Häu- ser des einzelnen aber auch des Volkes unabdingbare Voraussetzung waren und entscheidende Bedeutung hatten. Die Stunde der Technik: Erfmdungen, Entwicklung!~ und ein neuer Beruf_ Die Naturwissenschaft hatte grundlegende Zusammenhänge aufgedeckt. Das Ziel war bekannt. Die Technik hatte nun die Aufgabe, die Vorgaben in die Wirklichkeit umzusetzen und mit den entstehenden Schwierigkeiten fertig .zu werden. Das Großherzogtum Baden schuf sich in Karlsruhe im 19. Jahrhundert hierfür beste Voraussetzungen: 1825 wurde das Polytechnikum gegründet und 1834 das duale Ausbildungssystem geschaffen, das die Lehrlingsausbildung revolutionierte und ge- rade heute nicht nur in Deutschland hoch- gelobt wird. Die öffentlichen Wasserver- und -ent- sorgungsunternehmen verlegten Trinkwasser- leitungen und Abwasserkanäle bis zur Grundstücksgrenz.e bzw. zum Hauseingang, so wie es auch heute noch üblich ist. Auf dem Grundstück bzw. im ' Haus war es dann Aufgabe der selbständigen Handwerker, die notwendige Technik einzubauen oder, wie es jetzt hieß, zu installieren. Mit diesem aus dem Französischen entnommenen Wort (instal- lation = Anlage) war auch gleich die Be- zeichnung fiir den sich neu entwickelnden Beruf gefunden~ Der Installateur war gebo- ren, d. h. der Anlagenbauer. Heute: der Anla- genmechaniker. Die Ursprünge des Berufs liegen am Beginn des Mittelalters und zwar beim Schmied, der Eisen und Kupfer zu Blechen (= Blechner) ausschmiedete und.daraus Spangen (= Speng- ler), Behälter (= Flaschner), Rüstungen (= Plattner, Harnischmacher) und Klempen (mittelhochdeutsches Wort fiir Haken oder Spange: Klempner) herstellte. Durch das rasche Wachstum der Städte im 19. Jahr- hundert weiteten sich die Aufgaben der Klempner auf die Ausfiihrung der Trink- wasserversorgungs, und Abwasserentsor- gungsanlagen sowie der Gasleitungsanlagen aus. Die fachmännische Installation und Wartung der Wasserversorgung, 'der sanitä- ren Anlagen, der Entwässerungsanlagen, der Gaskocher und der damit zusammenhängen- den Einrichtungen waren Ziele und Aufgaben des nun neu entstandenen Berufsbildes des Gas- und Wasserinstallateurs. Trotz der fortschrittlichen beruflichen Ausbildung seit 1834 in Karlsruhe zeigte es sich, daß aufgrund der fortschreitenden Technik, der immer komplizierteren An- lagensysteme und des zunehmenden fach- kundlichen Wissens eine solide handwerkli- che Ausbildung allein nicht mehr ausreichte. Vor 85 Jahren genehmigte die Stadtverwal- tung die Einrichtung von dreimonatigen Fachkursen im Ganztagsunterricht rur Blechner und Installateure. Am 17. Mai 1909 begann der erste Kurs mit neun Teilnehmern, die "Süddeutsche Fachschule fiir Blechner und Installateure" war gegründet. 125 Mit der GründWlg der neuen Fachschule war damals eine vielfaltige Zielsetzung verbWlden: - In technischer Hinsicht wird eine weit über den üblichen Rahmen hinausgebende gründli- che Fach- und WeiterbildWlg vermittelt. - Tüchtige Handwerksmeister sollen heran- gebildet werden, Staatsbürger mit einer ver- antwortungsbewußten Persönlichkeit. - Für den Beruf des Blechners Wld In- stallateurs wurde eine Aufstiegsmöglichkeit geschaffen, da an keiner Bau- oder Ingenieur- schule ein entsprechendes Studium eingerich- tetwar. - Die staatliche personelle und sächliche Trägerschaft Wld Aufsicht garantierte einen Qua1itätsstandard, wie er in Baden bereits Tradition hatte und der von äußeren Interessen- lagen und Situationen unabhängig war. . Mit der Aufualune des Lehrbetriebs war eine geschlossene AusbildWlg der Blechner und Installateure vom Lehrling bis zum Meister gewährleistet. Die Voraussetzungen zur Bewältigung der technischen Probleme, die sich mit der EntwicklWlg der Haustechnik ergeben haben, waren damit geschaffen. Die UmwandlWlg zur BWldesfachschule: Vom Installateur zum Sanitärtechniker Die Situation zu Beginn der 50er Jahre war nicht unähnlich der zu Beginn des JahrhWl- derts: Die Bauwirtschaft Wld damit die Bauhandwerksberufe wurden bald nach der WährWlgsreform vor große Aufgaben ge- stellt. Wie auch damals ging die Initiative von der Wirtschaft, d. h. vom Zentralverband des Installateur- und Heizun~shandwerks in Bonn, aus, eine zentrale BildWlgsstätte zu schaffen. Eine GründWlgsvereinbarWlg zwi- schen dem Zentralverband des Installateur-, K1empner-, Kupferschmiede- Wld Zentral- heizungsbauerhandwerks Bonn, dem Lande Baden-Württemberg Wld der Stadt Karlsruhe 126 wurde am 20. Februar 1954 in die Wirk- lichkeit umgesetzt: Die "BWldesfachschule" war geboren. Auf der Grundlage einer mit Gesellenprüfung abgeschlossenen Lehre Wld einer dreijährigen Gesellenzeit wird der künftige Techniker in drei Semestern in einer der F achrichlWlgen Klempnerei und installa- tion bzw. Kupferschmiede Wld Apparatebau bzw. Heizung-Lüftung-Wärmewirtschaft aus- gebildet. Nach erfolgreicher Abschlußprü- fung darf er sich "Staatlich geprüfter Tech- niker" in einer der drei FachrichlWlgen nen- nen. Das Ziel der BWldesfachschule . wird folgendermaßen beschrieben: Dem hand- werklich vorgebildeten Wld beflihigten jWlgen Menschen soll eine wissenschaftlich fundier- te theoretische Wld praktische AusbildWlg geboten werden, die ihn beflihigt, als Techni- ker in handwerklichen, industriellen Wld öffentlichen Betrieben in PlanWlg, Fertigung Wld ÜberwachWlg erfolgreich tätig zu sein. Die Unterrichtskonzeption war außerordent- lich fortschrittlich: Der gegliederte Unterricht in den einzelnen Fächern wurde durch Projekte kleinerer Wld größerer Art fächer- übergreifend thematisch zusammengefaßt Wld Wlter Realbedingungen durchgefuhrt, wie sie für den Techniker in den Betrieben vorlagen. Diese Konzeption stellte hohe AnforderWJgen an die Lehrer, denn die Praxis in den PlanWlgsbüros diktierte Inhalte Wld Unterrichtsstil, sowie an die Schüler, denn die umfangreichen Projekte erforderten Genauig- keit Wld hohen Zeitaufwand. Diese Konzepti- on wurde erst in den 80er Jahren mit der NeuordnWlg der Metallberufe neu entdeckt; sie hat auch wohl die Qualität, das Niveau Wld den guten Ruf der BWldesfachschule erwirkt Wld läßt sich mit sporadisch eilig eingerichte- ten Technikerklassen in ansonst ganz anders konzipierten Gewerbeschulen nicht kopieren. 1961 wurde die im Laufe der vorangegan- genen Jahrzehnte fiir das Installationsgewer- Blick in den Ausstellungs- und v"rsuchsraum der Blechner- und InstaliateurjachschuJe Kar/srnhe. be neu aufgenommene Bezeichnung Sanitär- technik in den SchuInamen übernommen: Sie heißt nun "Bundesfachschule rur Sanitär- und Heizungstechnik" . Mit diesem Begriff wird wohl auch die Hauptaufgabe dieses Hand- werks umschrieben, nämlich die technischen Voraussetzungen rur ein gesundes Leben in den Wohnungen und Häusern zu schaffen (Sanitär von: sanitaire (franz.) von: Sanitas (Iat.) = Gesundheit). Interessanterweise ist es der lateinische Begriff fUr die gleiche Aus- sage, die mit dem Wort Hygiene beschrieben wird. In der weiteren Entwicklung der Bundes- fachschule wurde die Meisterschulausbildung wieder aufgenommen, durch die Berufsschule ergänzt und rur diese gesamte organisatori- sche Einheit der Name "Heinrich-Meidinger- Schule" eingefuhrt. Die Ausbildung wurde auf vier Semester Dauer erhöht, durch zu- sätzliche Kurse wurde der Durchstieg zur Fachhochschule ennöglicht und die Verbin- dung zum allgemeinbildenden Schulwesen mit der Zuerkennung der F achschuIreife hergestellt. Die ideelle Trägerschaft des Zentralverbandes Sanitär-Heizung-Klima St. Augustin und des Bundesverbandes Heizung- Klima-Sanitär in Bonn ist geblieben und bildet ein unverzichtbares und wichtiges Verbindungselement zu den Betrieben, die die ausgebildeten staatlich geprüften Techni- ker einstellen, z. B. fiir speicherprogram- mierbare Steuerungstechnik, Datenverarbei- tung, 'Energiesparsysteme, umweltschonende Geräte- und Anlagensysteme. Seit 1909 wurden ca. I 500 Fachschüler erfolgreich auf die Meisterprüfung vorbereitet, seit 1954 haben etwa 6 400 staatlich geprüfte Techni- ker der Sanitär- bzw. der Heizungs-Lüftungs- Klimatechnik die Bundesfachschule verlas- 127 sen und sind im ganzen Bundesgebiet in Industrie, Handwerk, Behörden, Verbänden und Verlagen tätig. Insofern hat die Heinrich-Meidinger-Schu- le Karlsruhe eine Schlüsselstellung erhalten, wie wir sie uns in unserer modemen deut- schen Zivilisation nicht mehr wegdenken können. Wolfgang Paech Straffälligenhilfe in Baden Der Badische Landesverband rur soziale Rechtspflege Der Name des Verbandes steht nicht nur fiir anderthalb Jahrhunderte Gefangenenfiirsorge, sondern ebenso fiir mannigfache neue Arbeitsfelder der Straffalligenhilfe, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind. Bis ins beginnende 19. Jahrhundert hinein hatte man nämlich die Strafgefangenen in Türmen und Kellerverliesen eingesperrt und bis zur Hinrichtung oder Freilassung nur mit dem Nötigsten versorgt. Eine eher zufallige Betreuung in der Zelle verdankten sie allein der karitativen Initiative einzelner Helfer oder kleiner Gruppen. Erst im Gefolge der Aufklärung, dann der Französischen Revolu- tion, wandelte sich der Straf gedanke und damit die Vollzugsbedingungen. Mehr und mehr setzte sich jetzt die Erkenntnis durch, daß der Delinquent bes- serungsiahig sei. Man errichtete menschen- würdigere Haftanstalten - ,.zucht-, Arbeits- und Spinnhäuser" -, wo .trotz harter Straf- vollstreckung mittels Erziehung und Ausbil- dung ein tadelfreies Leben nach der Ent- lassung vorbereitet werden sollte. Frühe Gefangnisreformen Mutige Wegbereiter wie John Howard {I 726-1790) und Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) haben schon früh Gefangnis- reformen und persönliche Fürsorge fiir die Gefangenen eingefordert. Ihre Gedanken fie- len auf fruchtbaren Boden, bald entstanden 128 "Schutzgesellschaften" wie die 1776 gegrün- dete Philadelphia Society. 1826 kam es in Rheinland-Westfalen zur Gründung . einer Gefangnis-Gesellschaft, 1828 folgte der Berliner Verein fiir die Besserung der Strafgefangenen. In WürUemberg bildete sich 1830 der erste Verein zur Fürsorge fiir entlassene Strafgefangene. Um die gleiche Zeit wurden im Großherzogtum Baden Schritte eingeleitet, um ebenfalls einen Schutzverband zu gründen. Schlüssel gestalt war der Rechtsprofessor Karl Joseph AntonMiuermaier(l787-1867), der an der Universität Heidelberg neben anderen Fächern Strafrecht, Strafprozeß und Kriminologie lehrte, der 1833 zum Präsiden- ten des badischen Landtags in Karlsruhe und 1848 auf den Präsidentenstuhl des Vor- parlaments in Frankfurt berufen werden sollte. In einer Denkschrift des Jahres 1830 schlug Mittermaier vor, an allen Orten im Badi- schen, wo Gefangnisse bestehen, einen Bezirksverein zu schaffen. In Karlsruhe müsse ein Zentralverein - der spätere Landesverband - entstehen, der eine Art Oberleitung über die örtlichen Zusammen- schlüsse ausüben sollte. Am 21 . August 1830 legte der Professor der Karlsruher Regierung einen 44 Artikel umfassenden Satzungs- entwurf vor für einen" Verein zur Besserung der Strafgefangenen und Verbesserung des Schicksals entlassener Häftlinge", der unter dem 20. Januar 1831 vom Staatsministerium gebilligt wurde. Zum ersten Vorstand der Generaldirektion wurden mehrere Karlsruher Bürger gewählt: Geheimer Referendar Ziegler als Vorsitzen- der sowie Geheimer Rat Baumgärtner, Hofdiakon Deimling, Oberpostdirektor Frei- herr von Fahnenberg, Hande1smann Gries- bach, Prälat Hüffel und Finanzrat Rutsch- mann als weitere Vorstandsmitglieder. Am 14. November 1832 fand die erste Generalver- sammlung statt - dies sieht man heute als offizielles Gründungsdatum an. Um die glei- che Zeit bildeten sich draußen im Land 16 Be- zirksvereine. Ihre Zahl sollte im Laufe der nächsten Jahrzehnte bis auf 60 ansteigen. Eine Vielzahl von Hilfsrnaßnahmen lief an: In den Gefangnissen erteilten Lehrer auf Kosten der Vereine Unterricht im Rechnen, Schreiben und Handwerken. Erhebliche Mittel wurden aufgewendet rur die Unterstüt- zung von Fanulienangehörigen während der Haftzeit des Ernährers. Bei Entlassung wurde der Gefangene mit neuer Kleidung ausgestat- tet, mit Reise-, Überbrückungs- und auch Auswanderungsgeldern versehen, verpfande- tes Handwerkszeug ausgelöst. Zur Existenzgründung hat man Spinnma- schinen, Webstühle oder Tischlergerät ange- scham. Die Vereinsmitglieder standen den ehemaligen Gefangenen mit Rat und Tat zur Seite, bemühten sich vor allem um geeignete Arbeitsstellen. Mancher Helfer hat einen Strafentlassenen in seinem eigenen Betrieb angestellt oder gar in sein Wohnhaus auf- genonunen. Im Jahre 1888 errichtete der Landesverband das Erziehungsheim Flehingen und 1912 in der Karlsruher Werderstraße ein Wohnheim rur gefahrdete männliche Jugend- liche. Im Jahre 1919 wurde das Erziehungs- heim Stutensee ftir schulentlassene Jungen Kar! Jase! Anion Millermaier 1787-1867 eröffnet, vom stellvertretenden Verbandsvor- sitzenden Dr. Wetzlar und seiner Frau jahrelang persönlich betreut. Das erfolgreiche Wirken war auch von Seiten der Obrigkeit anerkannt worden, denn der Großherzog hatte 1887 dem Landesver- band, 1896 auch den Bezirksvereinen den Sonderstatus von Körperschaften des öffent- lichen Rechts verliehen, den sie bis heute innehaben. Die Verbandsgeschichte hat seither gute wie ungünstige Phasen durchlau- fen. So ging mit der Inflation das gesamte Vereinsvermögen verloren. Nach der braunen Machtübernahme wurde 129 der Verband dem Amt fiir NS-Volkswohl- fahrt angegliedert. Gleichwohl konnte die Hilfstätigkeit noch einige Zeit ziemlich ungestört fortgesetzt werden, bis dann mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Arbeit wegen Personalmangels weithin eingestellt werden mußte. . Nach dem Zweiten Weltkrieg Nach Kriegsende und Währungsreform regte sich das Vereinsleben wieder. Nunmehr bemühte man sich um Ausstattung der Haftanstalten mit Rundfunk- und Femsehan- lagen, Büchereien, Sport- und Bodybuilding- geräten, weiter um Kostentragung rur Aus- und Fortbildung, z. B. soziales Training; in einem Falle wurde eine Schweißlehrwerk- stätte angescham. Hand in Hand liefen die traditionellen Einzelfallhilfen fUr Gefange- ne, Entlassene und deren Angehörige weiter. Zu Anfang der 70er Jahre ging man dazu über, schrittweise Einrichtungen der teil- stationären Straffalligenhilfe zu schaffen. Dort beraten Sozialarbeiter in AnlaufsteIlen die Beschuldigten und Pi-obanden, in Über- gangswohnheimen fmden Entlassene erste Unterkunft bis zur Wiedereingliederung im normalen Wohnbereich. Im Jahre 1973 konnte der Karlsruher Verein fiir Jugendhilfe im Stadtteil Daxlanden das Neue Christo- phorushaus eröffnen, wo junge Menschen ein Stück Heimat, zugleich modernste jugend- pädagogische Betreuung [mden. Inzwischen betreiben die Bezirks- und Mitgliedsvereine des Verbandes im badischen Landesteil über 20 ortsgebundene Hilfseinrichtungen. Neue Sozialarbeit Parallel hierzu hat man zahlreiche rechts- und kriminalpolitische Maßnahmen gefordert 130 und mitgetragen. So wurde nach Einfiihrung der Strafaussetzung zur Bewährung 1954 das Wirken der Bewährungshelfer unterstützt, die Wiedereinfiihrung der Gerichtshilfe ist Verdienst des Landesverbandes, denn er hat die ersten Sozialarbeiter fUr die neuartige Aufgabe gewonnen und eingesetzt, bis sie vom Staat übernommen wurden. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang die gleichzei- tig in Karlsruhe laufende Erprobung des Modells Vollstreckungsgericht, wodurch alle Entscheidungen nach rechtskräftiger Verur- teilung zentral ein und demselben Gericht übertragen werden sollten. Aktuelle . Auf- merksamkeit [mden Entschuldungsberatung und Täter-Opfer-Ausgleich als neuzeitliche Formen der Kriminalitätsprophylaxe und der Diversion im Strafrecht. _ . ____ _ ~~~ gegenwärtige L~e:_",_",_",~~ Nach der Wiedervereinigung hat man partnerschaftlieh zuni Aufbau der Straf- [alligenarbcit im neuen Bundesland Sachsen beigetragen. Zu nennen sind schließlich die Bemühungen um grenzüberschreitende Straf- falligenhilfe hinüber zu den Nachbarländern. Vorbereitungen sind getroffen, um gemein- sam mit französischen Freunden in Straßburg eine europäische AnlaufsteIle rur Straffallige zu eröffnen, in der namentlich auch deutsche Beschuldigte Rat und Hilfe [mden sollen. Der Badische Landesverband fUr soziale Rechtspflege versteht sich als selbständiger regionaler Träger der freien Straffalligen- hilfe. In gemeinnützigem Einsatz versuchen seine Mitglieder, einer mit Vorurteilen betrachteten Randgruppe weiterzuhelfen. Nur wenn wir den vorbestraften Mitbürger wieder annehmen und eingliedern, vermag er straffrei unter uns zu leben. Reiner Haehling von Lanzenauer Die Entwicklung des Volksschulwesens im Raum Karlsruhe Vom 16. zum 19. Jahrhundert Zuvor ein Rückblick: Über Jahrhunderte hinweg ging die Volksbildung von den Klöstern aus. In den Klosterschulen wurden sprachliche und andere Kenntnisse vermittelt. Sogenannte Ritterschulen sorgten fiir die körperliche Ertüchtigung der künftigen Tur- nier-Streiter. Die Markgrafen von Baden, oft in Fehden zur Sicherung ihres Herrschaftsbe- reiches verwickelt, begrüßten es, daß die Klöster Bildungs- und Erziehungsaufgaben übernahmen und gewährten ihnen Schutz und Unterstützung. In den einzelnen Dörfern beschränkte sich jedoch die Unterweisung der Bevölkerung auf die Verkündigung der christlichen Lehre und auf die Anleitung zur Bestellung der Felder sowie anderer fiir den Lebensunterhalt notwendiger Verrichtungen. Das Lesen und Schreiben war fiir sie eine unbekannte Kunst. Von einem allgemeinen Schulwesen in der badischen Markgrafenschaft kann deshalb vor dem 16. Jahrhundert nicht gesprochen ~erden. In den Anfangsjahren des 16. Jahrhunderts entstanden neben den Lateinschulen die sogenannten "niederen lateinischen Schu- len". Während in den Lateinschulen vorwie- gend die künftigen Geistlichen und Söhne aus den Adelsgeschlechtern, aber zunehmend auch Söhne aus dem Bürgertum herangebildet wurden, besuchten diese kleineren Schulen auch Kinder aus dem Kaufinanns- und Handwerkerstand. Diese "niederen lateini- schen Schulen" waren örtliche Einrichtun- gen, von den Gemeinden unterhalten und beaufsichtigt. Eine solche Schule befand sich z. BinDurlach. Aus einer Schulordnung fiir diese Schule aus dem Jahre 1536 ist zu erfahren, daß der Stadtschreiber die Oblie- genheit hatte, Schule zu halten und er dafiir eine jährliche Besoldung von 10 Gulden und 4 Malter Kom bezog. Die Schulordnung gibt u. a. folgende Anwei$ung: "Ein Schulmeister zu Durlach soll zum Vordersten geloben und schwör einen jeden jungen Knaben, der ihm zur Zucht und Lehre befohlen, er sei fremd oder heimbsen, reich oder arm, erstlieh zu Gottes Ehr, zur Zucht und Ehrerbietung gegen der Obrigkeit, ihren Eltern, auch alle alte gelepten Personen zum fleissigsten anhalten, lernen und weisen .. . ". Weiter enthält die Schulordnung die Anwei- sung, Knaben, die nicht Latein lernen, sondern "allein ein Namen zu lesen und schreiben in teutscher Sprach zu lehren begeren und folgens zu Handwerken oder andern Geschäften thun und brauchen wollen, dieselben soll der Schulmeister mit obge- meltem und gleichformigem fleiß und Ernst teutsche Sprach zu schreiben und zu lesen unterweisen, zu göttlicher Forcht, gutenn Sitten und Tugenden ... " in Bedacht des Spruchs Aristotelis - zu deutsch -: "Fort- schritte im Wissen ohne gute Sitten schaden mehr als sie nützen." Außer diesen "niederen lateinischen Schulen" war auch in der Entwicklung zu einem allgemeinen Schulwe- sen mit den sog. " Pfarrschulen" ein guter Anfang gemacht worden. Diese waren eine Einrichtung, die mit kirchlichen Mitteln unterhalten wurde. 131 Die "pfarrschulen" ---,~~, ------ Im Jahre 1556 fUhrte Markgraf Karlll, in der Markgrafschaft Baden-Durlach die Re- formation ein und gab am 1. Juni 1556 eine neue Kirchenordnung heraus. Er erteilte einer aus Beamten und Geistlichen bestehenden Kommission den Auftrag, in jeder Gemeinde neben' der Zustimmung zur neuen Kirchen- ordnung auch überall festzustellen, ob eine Schule vorhanden sei. In jeder größeren Gemeinde, wo bis dahin keine Schule bestanden habe, solle eine solche gegründet werden. Der Superintendant jeder Diözese habe sie jährlich mindestens zweimal zu visitieren und darüber Bericht zu erstatten. In der neuen Kirchenordnung ist im Hinblick auf die Unterrichtung der Jugend u. a. folgendes zu lesen: "Ein jeglicher Pfarrher oder sein Diakonus soll alle Sonntag eine sondere Zeit zu dem Catechisimo, fiirnämlich fiir das jung Volck inn der Kirchen ... fiirnehmen, und die Jugend dahin gewonen, daß sie folgender Catechisi- mum von Wort zu Wort auswendig lernen ... Hernach soll er ettliche Jungen öffentlich verhören ... und sollen die Kirchendiener mit der Jugend so freundlich und holdselig handeln, daß sie nicht von dem Catechismo abgeschreckt, sondern deren lustig werden, wie unser Herr Christus selbst sich der Kinder auf das freundlichste angenommen hat." Im Jahre 1599 gab Markgraf Ernst Friedrich Richtlinien fUr die Kirch- und Schuldiener der Markgrafschaft bekannt, in denen es heißt: "Es obliegt Uns, vorneblich auffKirchen und Schulen nach äusserstem vermög ein wachsa- mes aug zu haben," Die Unterrichtszeit beschränkte sich an- fanglich in der Regel auf die Wintermonate. Die Eltern schickten ihre Kinder erst nach der Erntezeit zur Schule, und im Frühjahr, wenn di,e Feldarbeit begann, hielten sie diese vom Unterricht fern. Jedoch ist Berichten zu 132 entnehmen, daß es im 16. Jahrhundert neben den Winterschulen vereinzelt zusätzlich auch Sommerschulen gab, die während des 17. und 18. Jahrhunderts zur allgemeinen Einrichtung wurden. Gleichzeitig mehrten sieb aber auch die Klagen wegen des unregelmäßigen Schulbesuchs gerade bei den Sommerschulen. Auch im Karlsruher Raum wurden solche Sommerschulen in vielen Orten eingefUhrt. Anfang des 18. Jahrhunderts erf~en wir von solchen u. a. in Bauschlott, Durlach, Eg- genstein, Linkenheim, Hochstetten, Knielin- gen, Grötzingen, Staffort, Wolfartsweier, Ittersbach, Söllingen, Stein und anderen Orten. Doch auch hier reißen die Klagen we- gen des schlechten Schulbesuchs nicht ab. So wird aus Ittersbach gemeldet: "Schule wird schlecht frequentiert, Ermahnungen haben nicht gefruchtet". Von Bauschlott ist ZU hö- ren: "Schulmeister halte zwar Sommerschule, aber Niemand als des Pfarrers Kinder besu- chen dieselbe." Die Klage aus Eggenstein ist mit einem energischen Vorschlag verbunden: "Die Eltern sollen das Schulgeld bezahlen, ob sie ihre Kinder schicken oder nicht; das sei das einzige Mittel, das helfen könne." Aus Stein hört man, "daß ungeachtet die Som- merschule allezeit verkündigt werde, schik- ken die Eltern ihre Kinder nicht einmal den Winter hindurch in die Schule, geschweige im Sommer". Selbst aus Durlach kommen Kla- gen, daß die Kinder besondcrs im Sommer "liederlich zur Schulc kommen". Die Lehrer Sicher spielte dabei auch die wirtschaftli- che Lage der Eltern eine nicht unerhebliche Rolle, da die das Schulgeld fUr den Lehrer aufbringen mußten. Von einem Volksschul- Lehrerstand kann in jener Zeit noch nicht gesprochen werden; oft war der Pfarrer der Lehrer. In manchen Orten wurden auch Lehrer aus anderen Gegenden als Schulmei- Schulmuseum Friedrichshafen am Bodensee, in dem Darstellungen des Schulwesens vom Miltelalter bis zur Gegenwart gesammelt werden. (Ojfnungszeilen Di~ 10-17 Uhr) ster angenommen. Oder man holte als Lehrer Leute im Ort, die lesen, schreiben, singen und den Katechismus abhören konnten. Diese übten ihre Tätigkeit meist als Nebenberuf aus, denn das Schulgeld, das sie von den Eltern erhielten, stellte infolge des unregelmäßigen Schulbesuchs kein sicheres Einkommen dar. Viele übten deshalb ein Handwerk aus, oder sie wurden als Gerichts- schreiber und zu Arbeiten im Gemeindedienst herangezogen. So waren z. B. die Schulmei- ster von Rüppurr und Berghausen 1658 mit dem Schätzungseinzug beschäftigt. Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts erhielten die Schulmeister an manchen Orten auch schon eine Besoldung durch die Gemeinde. _~~hulhäuser un.d Lehrerbesold,;",;;:g~_ Schulhäuser entstanden erst langsam gegen Ende des 16. und im Laufe des 17. Jahr- hunderts. Vorher war es üblich, daß der Schullehrer in der eigenen Wohnung Schule halten mußte. Das Wohnzimmer des Lehrers war zugleich die Schulstube. Der Bericht eines Schullehrers aus jener Zeit gibt einen Einblick in diese Situation: "Wenn Einer den Winter über 20 bis 30 Schulkinder bekommt, wäre es Noth, daß Weib und Kinder aus der engen Schulstuben wichen und den ganzen Winter über den anderen Leuten überlästig sein müssen." Von den im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts unter großen Anstrengungen errichteten Schulhäusern wurden dann viele im 30jährigen Krieg zerstört. Nur langsam 133 kamen danach die Schulen wieder in Gang; doch es währte nicht lange, da erlitt wiederum eine große Zahl der erbauten Schulhäuser das gleiche Schicksal. Die badische Markgrafschaft war durch den PIalzischen Erbfolgekrieg erneut Kriegs- schauplatz geworden, wobei neben vielen anderen Orten am Oberrhein Durlach in Schutt und Asche sank. Die Kriegsfolgen bekamen nach der Wiederaufua1une des Schulunterrichts auch die Lehrer zu spüren, denn die Gemeinden konnten ihre Besoldung nicht mehr aufbringen. Erst um das Jahr 1720 wurde durch Markgraf Karl Wilhelm, dem Stadtgründer von Karlsruhe, der Ausbau des Schulwesens wieder systematisch vorange- trieben. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte auf Antrag der Kirchenbehörde eine zweimalige jährliche Kollekte fiir einen Schulhaus-Baufonds. Gleichzeitig wollte man auch eine Aufbesserung der Besoldung fiir die Lehrer erreichen. Nach einer Übersicht von Kirchenrat Bürklin im Jahre 1747 mit einer Aufzählung der Gemeinden, bei denen der Lehrer ,,hinreichende" Bezahlung erhielt, - wozu auch Karlsruhe zählte -, wird festgestellt: "bei den übrigen Schulstellen benebst einer Anzahl Pfarreien reicht das Einkommen zur täglichen Nothdurft nicht hin". Am 16. März 1747 winI der Marlcgraf gebeten, diefiirstliche Rentkammer solle wegen. der Aufbesserung der Lelncibesoldung einen Vorschlag machen. Allein die Rentkammer war mit einer solchen Aufbesserung keineswegs einverstanden. Sie erwiderte, daß sie "die Verbesserung · der allzu geringen Pfarr- und Schulkompetenzen, welche sich auf 4-5 000 Reichsthaler belatifcn dürfte, vor eine pure Ohnmöglichkeit ansehe". Naeh<einem weiteren Vorstoß bei Marlcgraf Katl 'Friedrich erging jedoch ein Betrag des Fürsten an die Rentkammer, um durch einen jährliChen Zuschuß an den geistlichen Ver- waltungsfundus zur Verbesserung der schlech- ten Landesschulbesoldungen beizutragen. Diese Zuschüsse galten jedoch nur fiir die ,,geringsten Schulbesoldungen". Eine weitere Verbesserung, die heute wohl besonderes Erstaunen hervorruft, betraf die Heizung des Schulzimmers. Es bestand bisher die Anwei- sung, daß jedes Schulkind im Winter täglich 1 Scheit Holz in die Schule mitbringen mußte. Mit Decret vom 17. Mai 1754 wurde an- geordnet, daß die Lieferung des Brennholzes künftig durch die Gemeinde erfolgen muß. Die Förderung des Schulwesens durch Markgraf Karl Friedrich zeigte sich auch in der Einfuhrung der Schulpflicht fiir alle Kinder vom 6.-13. Lebensjahr (General- Verordnung vom 28. September 1753). Sie galt sowohl fiir die Winter- wie Sommer- schulen. Außerdem richtete er zusätzlich die Sonntagsschulen fiir die aus der Schule entlassenen Jugendlichen ein, wobei der Unterricht 1768 dahingehend erweitert wur- de, daß er neben Religionslehre auch Lesen, Schreiben und Rechnen umfaßte. In einer General-Synodal-Verordnung vom 25. Mai . 1756 wird im Hinblick auf den Schulbesuch den Eltern, die ihre Kinder künftig nicht regelmäßig zur Schule schicken, angedroht, daß die Schultheißen diese fiir jeden versäumten Schultag sollen ,,ganz ohnfehlbar einstecken lassen". Gleichzeitig wird bestimmt, daß fiir arme Kinder das Schulgeld "aus dem Flecken-Almosen" beschaffi werden soll. Die einzelnen Unter- richtsfacher wurden in einem Schulschema- tismus geregelt. Vereinigung der Markgrafschaften """"""':««<0 :"'": ~»»:~ __ • 1m Jahre 1771 wurden die seit dem Jahre 1527 getrennten Markgrafschaften Baden- Durlach und Baden-Baden wieder vereinigt. 'In der Markgrafschaft Baden-Baden, die nach der Reformation katholisch verblieben war, hatte es in den vergangenen 250 Jahren ebenfalls große Anstrengungen zur Hebung des Volksschulwesens gegeben. Zuletzt hatte Markgraf August Georg v. Baden-Baden vor seinem Ableben in einer ,,Allgemeinen Landschulordnung" vom 27. Juni 1770 ebenfalls die Schulpflicht fiir das ganze Jahr eingefiihrt. Hic wurden fiir Eltern, die ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule schickten, Straf gelder angeordnet. Schulgeld wurde fiir arme Schu1kinder nicht erhoben. Nach dem Zusammenschluß der beiden Markgrafschaften blieben die konfessions- verschiedenen Schulen erhalten, und meist schickten die Eltern ihre Kinder auch in die Schule ihres Bekenntnisses; ein Zwang hierzu bestand jedoch nicht. Da sich in der Folgezeit durch die Herausbildung verschiedener Schultypen das Schulwesen inuoer mehr differenzierte, entwickelte es sich zunehmend hin zur Simultanschule, die dann in Baden im 19. Jahrhundert eingefUhrt wurde und Vorbild- funktion fiir das Schulwesen in den anderen deutschen Ländern erlangte. Die Lehrerausbildung . Zur Ausbildung der Lehrer ist erst aus dem Jahr 1756 eine allgemeine Verordnung bekannt. Sie sah vor, daß sich der angehende Lehrer bei dem Pfarrer und einem guten Schullehrer in den Schulunterricht - auf seine Kosten - wenigstens ein Jahr lang einfuhren und einüben ließ. In einer Anweisung von 1757 werden nähere Ausführungen über die "am Schlusse der Ausbildung vor dem Fürstlichen Kirchen- rats-Kollegium abzulegende Prüfung" gege- ben. 1768 wurde beim Gymnasium in Karlsruhe ein Schulseminarium eingerichtet. Aufnahme in das Seminarium sollten nur solche finden, die "schon die ganze Schul- Präparation durchlaufen haben". Die Ausbildungszeit dauerte ein Jahr. Im letzten Halbjahr sollte sich der Schulkandidat bei einem der besten Schullehrer "täglich eine Stunde in Methode Docenti üben". Im Hinblick auf den Bauernstand sollte auch das Okulieren der Bäume und der Seidenbau erlernt werden, ebenso mit Rücksicht auf die Handwerker und Architekten "die Reiß- stunden auf dem Rathaus zu Carlsruhe" besucht werden. Den Nachweis über ihre Eignung hatten die Lehrer in häufigen Schulvisitationen zu erbringen. Bereits 1756 war eine monatliche und vierteljährliche ·Schulvisitation angeord- net worden. Beim jährlichen Hauptexamen waren 65 Prüfungsfragen zu beantworten. 1805 hatte Baden nach dem Sieg Napoleons über Österreich einen Teil der vorder- österreichischen Lande, zu denen der Breis- gau gehörte, erhalten. Die Schulen dieses Gebietes unterstanden bisher der Regierung in Wien. Auch durch diesen Gebietszuwachs ergab sich fiir Baden, das nun Großherzogtum geworden war, die Aufgabe, durch einen Organisationsplan das gesamte Schulwesen neu zu ordnen, womit die Weichen fiir die weitere Entwicklung des Volksschulwesens in das 19. Jahrhundert gestellt wurden. AmalieHeck 135 Hofrat Johann Lorenz Boeckmann und das erste deutsche Telegramm Ein Karlsruher Physiker fördert "Telegraphik" Bemühungen, Nachrichten auf große Ent- fernwigen schneller als durch Boten zu übermitteln, reichen bis ins Altertum zurück. Vielfliltig waren im Laufe der Jahre die Versuche; mit Hilfe von Apparaten optische Signale zu übermitteln, doch erst dem Franzosen Claude Chappe gelang es, einen wirklich brauchbaren optischen Telegraphen zu konstruieren. In seinem Land war 1789 die Revolution ausgebrochen, und der zur Untätigkeit verdammte Abb6 Chappe hatte nun genügend Zeit, sich mit der von ihm geliebten Physik zu beschäftigen. Damals reifte in dem ehemaligen Geistlichen der Gedanke an eine telegraphische Übertragung, "die es der Regierung möglich machen könnte, Anordnungen in einem Bruchteil der bisher benötigten Zeit zu übermitteln". Nach vielen Versuchen, die seine Angehörigen mit umfangreichen Geldmitteln unterstützten, gelang es Claude Chappe, diesem optischen Telegraphen seine endgültige Form zu geben. Das Signalisiergerät hatte einen zweiarmi- gen Hebel, der aus Brettern balkenartig zusammengesetzt auf einem Gerüst drehbar gelagert war, und an dessen Endenjeweils ein kleiner Flügel zusätzlich bewegt werden konnte. Mit Hilfe des Hebels und der Flügel vermochte Chappe 196 verschiedene Zeichen darzustellen. Um aber allzu schwierige Einstellungen zu vermeiden, beschränkte er sich auf 92 Zeichen. So brauchten nur Stellungen benutzt zu werden, die sich deutlich gegen den Horizont abhoben. 136 Claude Chappe Am 22. März 1792 legte Claud~ Chappe seine Erfmdung dem Konvent (V olksvertre- tung) der französischen Republik vor. Dieser entschied, daß eine Versuchsstrecke gebaut werden solle, die von Pelletier SI. Fargeau nach SI. Martin du Thertre fiihrte. Am 17. Juli 1793 tauschte man auf dieser Telegraphenli- nie - unter den mißtrauischen Blicken von Politikern und Wissenschaftlern - zweI Depeschen aus. Die Nachricht lautete: "Danou ist hier angekommen, er kündigt an, daß der Nationalkonvent seinen Si- cherheitsausschuß autorisiert hat, die Papiere der Deputation zu versiegeln." Die Antwort hieß: "Die Bewohner dieser reizenden Gegend machen sich durch ihre Achtung gegenüber dem Nationalkonvent und dessen Gesetzen der Freiheit würdig." Claude Chappe verblüffte die Prüfungs- kommission mit einer fiir damalige Zeiten unglaublichen Geschwindigkeit, in der die Telegramme durchgegeben werden konnten: Das erste benötigte fur die 70 Kilometer lange Strecke elf, das zweite neun Minuten! Er wurde von der Regierung zum Telegraphen- ingenieur ernannt und der Pioniertruppe zugeteilt, denn das neue Kommunikationsmit- tel sollte militärischen Zwecken vorbehalten bleiben. Zugleich beauftragte man ihn mit dem Bau einer Telegraphenlinie von Paris nach Lilie. Es stellte eine gewaltige Herausforderung fiir ihn dar, eine Strecke von rund 225 Zwei Chappe-Telegraphen: Anfang und Ende der Linie Paris - Lilie Ein Pariser Bürger berichtet: "Der hiesige Telegraph befindet sich aufdem mitte/sten Pavillon des Louvre. Es ist eine Art Observatorium, das aber dem Dach emporragt, hat eine viereckige Form und ist flach gedeckt. Seine Seiten sind ganz verglast, damit man sich allenthalben umsehen kann .. . 'Wenn die Maschine schreibt, dann sagt das zu Tausen- den umher versammelte Volk: 'La maschine va, ah! 10 maschine va! '" Kilometern mit seinem System zu überbrük- ken. 22 Stationen mußten gebaut werden, und er äußerte sich hierzu: "Es waren Initiative, Mühe und Hilfsmittel in unvorstellbarem Ausmaß aufzuwenden, um die zunächst nicht vorhersehbaren Hindernisse und Schwierigkeiten wegzuräumen und eine entsprechende Organisation zu bilden." Kaum hatte diese Linie mit ihrer Erprobung begonnen - ein Zeichen durchwanderte die 225 Kilometer in 2 Minuten -, als schon spektakuläre Depeschen nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa aufhorchen ließen. In der Conde war es zu einem Aufstand von Royalisten gegen die neue Republik gekom- men. Die Regierung gab den Generälen Kleber und Westermann Order, die Erhebung niederzuwerfen. Mit Hilfe des Chappe- Apparates konnte die Einnahme der Conde durch republikanische Truppen dem Konvent während einer Sitzung telegraphisch von Lille aus gemeldet werden. Der Text lautete: "Die Conde ist der Republik wiedergewon- 137 nen worden, die Eingliederung hat heute um sechs Uhr stattgefunden." Der Chappe-Telegraph hatte seine Lei- stungsfähigkeit bewiesen, und sein Erfinder wurde von der französischen Republik beauftragt, weitere Telegraphenlinien aufzu- bauen. Johann Lorenz Boeckmann Schon seit 1793 hatte im badischen Karlsruhe ein Mann mit wissenschaftlichem Interesse den Werdegang dieses neuartigen Signalsystems verfolgt: Hofrat Johann Lo- renz Boeckmann. Geboren wurde er am 8. Mai 1741 in Lübeck. Nach dem Besuch des Gymnasiums in seiner Heimatstadt studierte er in Jena Theologie und Mathematik. Bereits 1764 wurde er zum Professor der Mathematik und Physik am akademischen Gymnasium in Karlsruhe ernannt. Zeitweise war er auch als Lehrer am badischen Hof tätig und genoß besonders das Vertrauen des Markgrafen Karl Friedrich. Im Dezember 1794 erscheint in der Zeitung "Allgemeines Intelligenz = oder Wochenblatt für sämtlich = Hochfiirstlich = Badische Lande" folgende Anzeige: "Carlsruhe. Des Herrn Hofrath BoeckmlllUlS Versuch über Telegraphik und Telegraphen, nebst der Beschreibung und Vereinfachung des französischen Telegraphen und der Anzeige einiger von ihm vorgeschlagener neuen Methoden, mit Kupfern, hat soeben die Presse verlassen und ist in Macklots Hof- buchhandlung a 1 fl. (Gulden) zu haben." Am Anfang seines Büchleins stehen die Zeilen: "Wenn anders ein Gegenstand, der von unbezweifeiter Wichtigkeit ist, und ein reiner, guter Zweck einer literarischen Arbeit auch bei sonst geringen Vorzügen einigen Werth geben können, so verdient diese kleine Ab- handlung über Telegraphik vielleicht eine nicht 138 ungütige Aufnalune vom Publikum. Denn sie zielt ab auf Menschen und Länder Wohl, und ihr Thema ist vielumfassend und groß; zwar wohl nicht durchaus neu, und schon von würdigen Männern vor mir bearbeitet, doch immer noch mancher Entwicklung fähig, ganz das Augenmerk der itzigen Zeitperiode, und den Bcdürfuissen derselben vollkommen angemessen!" Einige Seiten weiter vermerkt er: . "Was ist denn also Telegraphik? Was sind Telegraphen? - Nach dem eigentlichen Sinn des Wortes ist jene eine Schreibkunst in die Feme, oder die Wissenschaft, jemandem eine willkürliche Gedlinkenreihe in beliebiger Entfernung und mit ungewöhnlich großer Geschwindigkeit bestimmt und sicher be- kannt zu machen; und ein Telegraph wäre dann ein Mann, der diese Kunst auszuüben versteht. Doch ,vird das Wort Telegraph itzt größtentheils in einer anderen Bedeutung, und fUr die ganze Einrichtimg selbst gebraucht, vermittelst welcher die Gedanken in die Feme mitgetheilt werden ... " J ohann Lorenz Boeckmann geht nun auf Methoden ein, die bislang zur Übertragung von Botschaften oder Hinweisen verwendet worden waren: akustische Signale durch Zurufe über eine Menschenkette oder Spre- chen in Röhren, um so den Schall möglichst weit zu befördern, Glockenschläge, Abfeuern von Geschützen usw. Beim optischen Signalisieren verweist er auf Feuer und Rauch, erwähnt dabei die Fackelzeichen des Altertums und schlägt vor, sehr hohe Buchstaben herzustellen, die mit Ferngläsern abgelesen werden könnten,ja, durch Beleuch- ten von hinten dem Beobachter auch nachts sichtbar zu machen wären. Eine neue Methode Doch auch eine neue Methode fmdet in seiner Schrift ihren Platz, nämlich das Zei- chengeben mit Hilfe der Elektrizität. Natür- lich drückt sich unser Physiker noch recht vage aus, schließlich hat er dies schon vor 200 Jahren geschrieben. "Sie gäbe ohne Zweifel", so Professor Boeckmann, "die geschwindeste, weitrei- chendste, unaufhaltbarste, geheimste, allge- meinste Methode von allen, wC.m sich bei ihrer Anwendung nicht so viele Schwierigkei- ten fanden, und wenn sie nicht so außeror- dentlich teuer bey der ersten Anordnung wäre." Natürlich ist sich Hofrat Boeckmann darüber im klaren, daß zu der Zeit, während der er das Manuskript flir sein kleines Werk erarbeitet hat, der Chappe-Apparat wohl das optimalste auf dem Gebiet der Telegraphik darstellte, und er meint: "Der merkwürdigste Zeitpwtkt flir die Telegraphik seit Jahrtausenden fangt ohne Zweifel im vorigen Jahre an, da die fran- zösische Nation, mitten unter ihrer schreck- lichsten Staatsumwälzung, von der Wichtig- keit dieser Kunst belebt, sich en!schloß, einen sehr ausgedehnten Gebrauch davon zu ma- chen, die schleunigste Anordnung dazu furs erste von Lilie bis Paris anbefahl, solche seit wenigen Monaten mit dem Aufwande sehr großer Sununen vollendet und benutzt sieht, und nun ähnliche Einrichtungen flir alle Hauptorte des Reichs wirklich beschlossen hat ... Die Mittheilung der Depeschen kann bey jeder Witterung geschehen, nur nicht bey starkem Nebel und regnerischem Himmel. Und die Nachrichten können auf jeder Station entweder bekannt werden oder geheim bleiben; können mit großer Schnelligkeit auf beträchtliche Weiten fortgeschickt, auch zur Vermeidung von Irrthümem revidiert und verbessert werden," Doch so ganz ist unser Karlsruher Physiker mit der Konstruktion des französischen Telegraphen nicht einverstanden, und er t I·t ' .. '~ : -+ -~ ":\ 'Z ." ' L!1{lTl r;t .',y 1>1<: 2 J r< ~ ~ v'>' $',-->x, 4 DasAlphabetvon Chappe-Telegraphen (0.) und das vereinfachte AlphdJet von Boeckmann (zLJ .. /eh will es nicht nlgen ", meinte der Karlsru- her Physiker zur oberen Tabelle, .. daß einzelne Buchstaben dar nicht da sind, wie zum Einen das kleine d /eh will es abersehen, daß unter- schiedliche Buchstaben mit einerlei Figuren bezeichnet sind, denn es kiJnnen dieses Fehler des Zeichners oder Kupferstechers seyn. " meint: "Übrigens hat diese Methode im Ganzen viel Schätzbares an sich. Sie ist nämlich in Absicht ihrer Erfindung nicht ohne Witz und Scharfsinn. Sie hat eine gewisse Einfachheit zur Grundlage, und es fehlt ihren Signalen nicht an Wahrnehmbarkeit und Deutlichkeit. Doch fmden sich auch bei der näheren Untersuchung und wirklichen An- wendung derselben mancherlei Sch\vierigkei- ten und Mängel, und daher ziemlich viel Stoff zu allerhand Bemerkungen, und Veranlassun- gen genug zum Wunsche, sie vereinfacht und verbessert zusehen ... Sobald ich die erste Nachricht von der 139 Beschaffenheit dieses Telegraphen erhielt", erklärt er, "so verfertigte ich mir auf der Stelle ein kleines Modell und signalisierte zuerst mit demselben im Zimmer. Dadurch fand ich denn bald das Mangelnde und Beschwerliche bey ihm, sowohl im Geben der Zeichen als im Beobachten derselben. Ich beschäftigte mich nun vor allen Dingen mit der Vereinfachung des Alphabetes, indem ich zuerst die überflüssigen Zeichen ftir die großen Buch- staben verwarf, und dann die Zeichen ftir Colon und Semicolon, ftir Frage und Ausrufung und fur die Klammem ausstrich. Denn wer wird wohl in einem Aufsatz ftir Telegraphen Einschiebsel bringen? Oder, wer wird seine Periode (Satzgeftige) nicht so bilden, daß man eine Frage auch ohne das Zeichen erkennen könne? Wem indessen diese Zeichen am Herzen liegen sollten, der kann sie immerhin behalten, da Figuren ftir diesselben genug da sind, Allein es muß bey dieser Schreiberey alles aufs möglichste vereinfacht werden, so lang' es nämlich ohne Nachtheil der Deutlichkeit geschehen kann ... Allein auch hier mißfiel mir die unaufhörli- che Veränderung in der Lage der zween Arme gegen die große Rahme, weil sie zeitfressend ist und leicht Gelegenheit zu Irrthümem geben kann. Ich bediene mich daher izt nur noch eines einzigen Armes, und gebe zu diesem Zwecke der einen Hälfte der großen Rahme ein Unterscheidungs-Merkmal, wozu ich unter mehreren anderen deswegen die durchscheinenden Intervalle an der Rahme und dem Arm wählte, weil diese Seite, die durch den Arm etwas schwerer ist, dadurch wieder etwas erleichtert wird. Aus dieser Veränderung entspringt nun der Vortheil, daß die große Rahme fur sich allein, und ohne Arm, durch ihre vier HauptsteIlungen schon acht deutlich ausgedruckte Zeichen abbildet; weil nämlich in jeder Lage derselben die durchscheinende Hälfte einmal oben und einmal unten ist. Es liefert femer der Arm, 140 wenn er mit der großen Rahme unter einem Winkel von 90° einmal rechts und einmal links verbunden wird, wieder 16 Zeichen, und so sind denn die 24 Buchstaben-Charaktere da! Wird endlich der Arm spitzwinklig gestellt, so gibt er Zeichen ftir die Zahlen. So vereinfacht ist denn nun der französische Telegraph noch weit brauchbarer als vorher. Auch ist der Unterricht fur seine Behandlung weniger mühsam; und selbst der Kostenauf- wand scheint mir izt, da wir die ganze Sache kennen, ganz anders." Am Ende seines Büchleins vermerkt Jo- hann Lorenz Boeckmalm: "Ehrfurchtsvoll zieh' ich mich hier zurück mit der bescheidenen Hoffnung, daß dereinst, wenn die izt ausgestreute Saat in vollen Ähren aufblühet und der reichen Emte entgegen- reifet, daß dann ein Biedermann vielleicht es der Nachwelt sagen wird, daß auch meine schwache Hand in gutem Lande eine kleine Furche zur Aufnahme und Entwicklung jenes Samens gezogen habe!" Zu der Zeit, als das Manuskript in Druck gegangen ist, muß es gewesen sein, daß der Hofrat einen Telegraphen nach seinen Entwürfen anfertigen läßt und einige Helfer mit der Handhabung des Geräts vertraut macht. Am 22. November hat Markgraf Karl Friedrich Geburtstag, und Professor Boeck- mann plant, ihm einen außergewöhnlichen Glückwunsch zu übermitteln. Der Physiker braucht ftir seinen Telegraphen einen günsti- gen Standort, damit dieser vom Schloß aus gut zu sehen ist, und man kann annehmen, daß er dazu den Turmberg bei Durlach bestimmt hat. Das Ganze ist von Boeckmann gut organisiert worden, und so kann er am 22. November 1794 Deutschlands erstes Telegramm durch- geben. Dieses Ereignis dokumentiert die "Hanauer Neue Europäische Zeitung". Am 13. Dezember 1794 bringt sie die Nachricht: "Bei Gelegenheit des Geburtsfestes des Herrn Markgrafen von Baden ward folgendes kleine Gedicht durch den neuen Telegraphen des Herrn Hofraths Boeckmann aus einer Entfernung von anderthalb Stunden (gemeint sind Wegstunden, etwa 6,5 km) nach Karlsruhe signalisiert: Groß ist das Fest, und schön! der Gute lebt, Um dessen Fürstenthron der Vorsicht Auge schwebt, Den seines Volkes Lieb', den Bürgertreu beglücket. Heil ihm! so tönt es fern und nah! o Fürst, sieh hier, was Teutschland noch nicht sah, Wie Direin Telegraph heut Segenswünsche schicket. " Die Zeitung fugt hinzu: "Die Depesche hat mehr als 200 Buchsta- ben und war in weniger als 10 Minuten deutlich und sicher signalisiert." "Mit seinem Instrument (dem Telegra- phen)" berichtet Hofrat Wucherer, ein Zeit- genosse von Boeckmann, später, "begab er sich im Januar 1795 nach Heidelberg und von da nach Mannheim, wo, auf Befehl des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, Versu- che damit angestellt wurden, die so befriedi- gend ausfielen, daß seine Königliche Hoheit den Entschluß faßte, eine telegraphische Linie von Mannheim nach Mainz errichten zu lassen," Albert von Sachsen-Teschen war Oberbe- fehlshaber der damaligen Reichsarmee, die die Absicht hatte, Boeckmanns optisches Signalsystem einzufahren. Doch die wirren Zeiten wirkten sich ungünstig Hir den Karlsruher Physiker aus. Seit 1792 tobt der erste Koalitionskrieg mit Frankreich auf der einen und Österreich und Preußen auf der anderen Seite. Die Franzosen haben in der jetzigen Phase der Auseinandersetzung ein- deutig die besseren Karten, und schon knapp drei Monate nacb Boeckmanns Versuchen in Mannheim schließt Preußen am 5. April 179 5 zu Basel eine Separatfrieden mit der französischen Republik. Zum Bau einer Telegraphenlinie kommt es deshalb nicht. "Merkwürdig ist's", vermerkt Hofrat Wucherer geheimnisvoll, "daß schon 1795, gleich nach den in Mannheim angestellten Versuchen, zu verschiedenen Zeiten drey vornehme Fremde die sich aber nie völlig zu erkennen gaben - ihn hier in Carlsruhe besuchten und ihm fremde Dienste unter höchst vorteilhaften Bedingungen anboten. Er aber blieb unbeweglich bey seinem Entschluß: Hochftirstlich Badische Dienste verlaß ' ich nicht!" Seine wohl letzte Kutschenreise unter- nimmt er aufangs des Jahres 1802 zu seinem "Sohn und Erben" nach Erbach. Vermutlich will er an seinem Lebensende alles geregelt wissen. Am 15. Dezember 1802 schließt Hofrat Boeckmann . in Karlsruhe ftir immer die Augen. Sein Lebenswerk Der badische Professor war ein arbeitsamer und schreibfreudiger Mann. So erschien 1769 sein Buch " Erste Gründe der Mechanik", dem 1775 die "Naturlehre" folgte. 1781 und 1784 wurden seine Schriften "Beyträge zur neuesten Geschichte der Witterungslehre" und "Carlsruher Beyträge zur physischen Geschichte des außerordentlichen Winters von November 1783 bis April 1784" verlegt. 1786 kam dann die Arbeit "Ueber Anwen- dung der Electricität bei Kranken" beraus, und 1787 seine Abhandlung "Welche Fortschritte machten Mathematik und Natur- lehre in den badischen Ländern" . 1794 wurde "Versuche ueber Telegraphie und Tel.gra- phen" veröffentlicht, und 1830 - 28 Jahre nach seinem Tod "Ueber Blitzableiter" als Neuauflage. Im Ganzen erschienen von ihm 141 24 Arbeiten sowie zahlreiche Artikel und Rezensionen in verschiedenen Journalen und Zeitungen. In seinem Nachruf fur den Wissenschaftler Johann Lorenz Boeckmann schreibt Hofrat Wucherer unter anderem: "Nun sieht er die Wahrheit im vollen Lich- te, Boeckmann, dessen Leben der Erweite- rung seiner Lieblingswissenschaften, dem näheren Dienst des Hochflirstlichen Badi- schen Hauses, unserer akademischen Fürsten- schule, dem Vaterland im Ganzen und seinen Freunden gewidmet war." Heinz Straub <=ltristiall 1rltrall Markgräflich Badischer Hofgärtner und Afrikareisender Touristen, die sich heute in den Badeorten der tunesischen Mittelmeerkiiste sonnen, werden wahrscheinlich kaum eine Vorstel- lung davon haben, wie gefahrvoll und strapaziös eine solche Reise vor mehr als 250 Jahren war. Darüber berichtet uns der markgräflieh badische Hofgärtner Christi an Thran, der von 1731 bis 1733 im Auftrag des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden- Durlach eine Reise nach Afrika machte, um seltene Pflanzen und Tiere fuf den Schloßgar- ten der gerade neu angelegten Residenzstadt Karlsruhe zu holen. Daß sich seine Aufzeich- nungen überhaupt erhalten haben, ist als Glücksfall zu bezeichnen. Erst 1914 nämlich wurde das Tagebuch seiner Afrikareise auf einer Straßburger Auktion fur den Groß- herzoglichen Hausfideikommiß erworben. Es befmdet sich deshalb seither im General- landesarehiv. Daß Thrans Reise überhaupt zustandekam, ist allerdings dem Erkenntnisinteresse eines anderen Monarchen zu verdanken, dessen Hofhaltung weit prächtiger und größer als die des badischen war. Es handelt sich um Friedrich August 1., genannt der Starke, der in Personalunion Kurfurst von Sachsen und 142 König von Polen war. Seine Prachtentfaltung am Dresdener Hof ist legendär. So hatte Markgraf Karl Wilhelm u. a. an den dortigen Karnevalsfestlichkeiten, die mit enormem Aufwand veranstaltet wurden, teilgenommen. Zu einer standesgemäßen Hofhaltung gehörte es damals offensichtlich aber auch, daß die furstlichen Gärten mit exotischen Gewächsen und Tieren ausgestattet waren. So wollte sich der sächsische König von Polen mit seinen vier Löwen, zwei Leoparden, zehn Tigern und mehreren Affenarten, die er in seinen Menagerien in Dresden und beim Jagdschloß Moritzburg hielt, noch nicht zufriedengeben und genehmigte die Mittel fUr eine natunvis- senschaftliehe Entdeckungsreise des Leipzi- ger Gelehrten Johann Ernst Hebenstreit (1702-1757) nach Afrika. Diesen begleiteten u. a. der Botaniker Christian Gottlieb Ludwig, der englische Forschungsreisende Thomas Shaw und der Maler · Christian Friedrich Schuberth. Die Reise fUhrte zunächst über Frankfurt nach Karlsruhe, um den "Blu- mengärtner Thran, einen in der Kräuter- wissenschaft und Zeichnungskunst erfahre- nen Menschen", aufzunehmen, aber auch "sowohl einige in des Herrn Markgrafen Menagerie befmdliche seltene Tiere, als sonderlich einen guten Vorrat fremder Gewächse nach dem bereits eingesandten Verzeichnis zu erwerben". Der leidenschaft- liche Botaniker Karl Wilhelm hatte offenbar schon bis dahin eine so imposante San1llllung in Fauna und Flora vorzuweisen, daß man auch in Dresden davon profitieren wollte. Die Expedition aus Sachsen kam ihm gerade recht, um seinen Gärtner mit nach Afrika schicken und damit seine Sammlung ergänzen zu können. Am 14. November 1731 reiste Thran " in Gesellschaft der von Ihro Chur- fOrstlichen Durchlaucht von Sachsen an die Barbarische Cüstcn beorderte Compagnie" von Karlsruhe ab, zunächst "unl das lustig und wohlgebaute Schloß Rastatt zu besehen" . Man ließ sich offensichtlich Zeit, unl die Sehenswürdigkeiten der an der Reiseroute liegenden Orte und Landschaften studieren und außerdem noch botanische Studien betreiben zu können. So beschreibt Thran ausftihrlich die Stationen der Reise von Straßburg durch das Elsaß nach Basel, durch die Schweiz nach Lausanne und Genf, und durch Frankreich von Lyon über Orange und Avignon nach Marseille. Die Reise nach Algier __ ,;-;-;,;-;->:"",:0. • -. -,*:<';"';-;'''~_X-;<""".;.:<-:*,_ In Marseille schille sich die Reisegesell- schaft nach Algier ein. Der englische Kapitän des Schiffes "Neptun" und sein betrunkener Steuermann bewiesen sich als unzuverlässige Seeleute, die in einem Nordweststurm den Kurs verloren. Erst nach 23tägiger Irrfahrt erreichte man erschöpft, aber glücklich Aigier, "ganz weiß zwischen den Bergen", nachdem schon Proviant und Trinkwasser ausgegangen waren. Die Expedition betrat afrikanischen Boden am 16. Februar 1732, somit nach einer bisherigen Reiscdauer von einem Vierteljahr. Algerien und Tunesien sind seit der Eroberung durch die Kalifen im 7. Jahrhun- dert n. Chr. unterschiedlich stark vom Islam geprägte Länder. Im flühen 18. Jahrhundert • '~ , • .•• ~ , "" I ,.,' GeseUenbriejvonMeisterOv'istienTJumjirGott.friedAbrdlanSchtreberger /755. In derMqjuskel"J" des A.=:hnitLs steDt die Figur mit dem Rechen wcWscheinlich ein Selhstporlrait von Ov'istian TJum dar. 143 waren sie Vasallenstaaten des osmanischen Reiches. Die Entdeckungsreisenden sollten dies gleich bei ihrer Ankunft zu spüren bekommen. Auf Empfehlung des englischen Konsuls Mr. Black wurden sie in den Palast des türkischen Dey vorgelassen, der sie in seinem Schlafzimmer empfing, nachdem ihnen sogenannte Christensklaven die Schuhe ausgezogen hatten. Vor dem Dey mußten sie daraufhin niederknien und ihm die Hand küssen. Er gab ihnen die Genehmigung, die Stadt zu besichtigen und das Land zu bereisen, Thran beschrieb die Lebensverhält- nisse in Algier in seinem Tagebuch auf mitunter recht drastische Art, wobei er auf Eß- und Trinkgewohnheiten, Kleidersitten und die Behandlung der Frauen in der islamischen Gesellschaft einging. Auch die Bauart der Wohnhäuser und der Sklaven- markt waren ihm eine Bettachtung wert. Eine Strafexpedition, die der Dey unter Leitung seines Sohnes mit 150 Spahis ausgeschickt hatte, um von maurischen Gebirgsvölkern den überfalligen Tribut einzufordern, gab unseren Afrikaforschern die Möglichkeit, das Landes- innere zu besichtigen. Bei dieser Gelegenheit wurden nun auch Pflanzen gesammelt und Tiere eingefangen. Außerdem stieß man auf die Spuren römischer Ansiedlungen, die mit besonderem Interesse wahrgenommen und in den Reiseberichten beschrieben wurden. Nach A1gier zurückgekehrt, begab sich die Reisegruppe mit Empfehlungsschreiben des Deys per Schiff nach T unesien, wo sie mehrere Küstenorte besichtigte, bevor sie auf dem Landweg nach Tunis aufbrach. Weiter nach Tunesien ~~.~--- Hier wurde ihnen die weitere Reise ins Landeliinnere verwehrt, da der Bey von Tunis "wegen des Hasses der Mauren gegen die Christen" um ihr Leben flirchtete. Nachdem sie die.Rninen von Carthago besichtigt hatten, 1411 machte ein Teil der Gruppe, unter ihnen Hebenstreit und Thran, auf dem Seeweg noch einen Abstecher nach Tripolis. Von hier brach man zu einer Reise nach Lepida (Leptis Magna) auf, um die dortigen römischen Altertümer in Augenschein zu nehmen. Die botanische Ausbeute in dem kargen Land war allerdings gering, so daß man alsbald wieder abreiste und über die Insel Malta nach Tunis zurückkehrte. Mit den in Tunis zurückgelassenen Gefahrten machten unsere Afrikaforscher noch eine Expedition an die heute durch die Reiseprospekte be- kanntgewordenen Badeorte an der tunesi- sehen Ostküsle Hammamet und Monasti und die Hafenstädte Sousse und Sfax sowie in das Landesinnere, nachdem dies ihnen der Bey inzwischen erlaubt hatte. Dabei streiften sie die Stadt Kairuan, die wegen ihrer großen Moschee das Mekka Nordafrikas genannt wird, und EI Djem, das römische Thysdrus, in dem noch heute ein antikes Amphitheater steht, das dem Kolosseum in Rom in den Ausmaßen durchaus vergleichbar ist und das Thran in seinem Tagebuch auch begeistert beschrieben hat. Die Rückreise Nach den archäologischen Studien wandte man sich wieder dem eigentlichen Zweck der Reise zu, nämlich seltener Exemplare in Fauna und Flora habhaft zu werden, und kehrte schließlich mit einer Karawane auf dem Landweg nach Tunis zurück. Dort erreichte die Expedition die Nachricht vom Tode Augusts des Starken, der am 1. Februar 1733 gestorben war, und die Aufforderung, in die Heimat zurückzukehren. Ursprünglich sollte die Reise nämlich noch an die afrikanische Westküste in den Senegal und sogar bis zum Kap der Guten Hoffuung ge- hen. So aber machten sich unsere Afrika- forscher am 17. April 1733 per Schiff auf den Heimweg, was ähnlich gefahrvoll wie die Hinreise werden sollte, gingen doch mehrere Tiere und ein Teil der Ladung im Sturm verloren. Die Gruppe hatte sich allerdings getrennt. Der Botaniker Ludwig und einige Gefahrten reisten auf dem Seeweg über England zurück, Hebenstreit, der schon in Marseille per Reskript zum Pr"fessor an der Universität Leipzig ernannt wurde, und Thran durch Frankreich, Holland und Belgien. Dies gab unserem Hofgärtner die Gelegen- heit, wiederum die Städte auf dieser Reiseroute zu bewundern, wobei ihn Paris und Amsterdam besonders faszinierten, Thran traf am 26. September 1733 wieder in Karlsruhe ein und war damit fast zwei Jahre unterwegs gewesen. Wie er hier empfangen worden ist und wie die Ausbeute seiner Afiikareise ausgefallen war, hat er in seinem Tagebuch leider nicht mehr überliefert. Dresden erreichten immerhin 50 Tiere, darunter "eine muntere Löwin", ein "Tiger- thür", eine Hyäne, ein Schakal, sechs "barba- rische Schafe" , zwei Stachelschweine und mehrere Vogel- und Affenarten. Welche Pflanzen den Weg in die kurfiirstlichen Gär- ten nahmen, ist einem Verzeichnis von 1735 zu entnehmen. Die Naturaliensammlungen, Zeichnungen Schuberths und vielleicht auch Thrans wurden im Zwinger aufbewahrt und bei einem Brand am 6. Mai 1849 vernichtet. Den Verlauf der Reise harMartin Große aber anband der Berichte Hebenstreits und Lud- wigs und noch ohne Kenntnis von Thrans Tagebuch 190 I in den "Mitteilungen des Ver- eins fUr Erdkunde zu Leipzig" rekonstruieren können. Wissenschaftliche Ausbeute Was Thrans Aufzeichnungen über die zumeist trocken wissenschaftliche Berichter- stattung der anderen Reiseteilnehmer hinaus- hebt, ist die lebendige Schilderung "von Landschaft und Leuten, vor allem aber Sitten und Gebräuchen", wie Emil Lacroix schon 1932 in der Zeitschrift "Pyramide" festge- stellt bat. So ist sein Tagebuch nicht nur eine interessante Quelle fUr Botaniker und Archäologen, sondern auch fUr Ethnologen und Historiker. Um diese Quelle dem ge- nannten Forscherkreis besser nutzbar machen zu können, wurde das 175 Doppelseiten umfassende Tagebuch im Rahmen eines Praktikums bei den Stadtgeschichtlieben Sammlungen von Roland Dauber bereits vollständig transkribiert. Vielleicht kann es sogar einmal ediert und in gedruckter Form vorgelegt werden. Thrans Lebensweg >C{.,.. ... """w:.",.,.,,.,.,:-:-:.:-:-:w:-:.,.,.,.,..,.,...,.,.,...;.:.:.:.,,.;.:-:-:*'*'''' • .,-><=<-»:-:=W<.,.,.,...,-:-'''w:'..:.:.;.:.,.,,, Zur Biographie seines Verfassers ist relativ wenig bekannt. So weiß man über Thrans Lebensweg vor seiner Tätigkeit in Karlsruhe allein, daß er 1695 in Sonderburg auf der dänischen Insel Alsen geboren wurde. Viel- leicht hat ihn Markgraf Karl Wilhelm auf einer seiner zahlreichen Auslandsreisen kennengelernt und nach Karlsruhe mitge- nommen. Bedarf nach kundigen Experten war j a bei der Anlage der Schloßgärten genug vorhan- den. Wer fUr die Planung der Gärten nach dem Versailler Vorbild seit der Stadtgründung im Jahre 1715 die Hauptverantwortung trug, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen, waren doch dort noch andere Gärtner außer Thran am Werk. Sein Einfluß scheint erst später gewachsen zu sein. 1739, ein Jahr nach dem Tod des Stadtgründers, zeichnete er die bekannten Karlsruher Stadtansichten aus der Vogelperspektive in den entgegengesetzten Himmelsrichtungen. Hier beschreibt er auch sehr detailliert die Gartenanlagen und die Menagerien und bezeichnet sich selbst als "Gärtner, der die Inspection über sämtliche allhiesigen FürstI. Gärten hat". Nach Karl Gustav Fecht gab kundschaften" waren im 18. Jahrhundert Thran 1747 einen Pflanzenkatalog heraus, üblich. Thran bescheinigte darin dem Dur- der "über 2000 verschiedene exotische Pflan- lacher Gottfried Abraham Schneeberger, daß zen und Bäume" enthielt, darunter Kampfer- dieser drei Jahre lang ,,fleißig" die Garten- und Maulbeerbäume, die wohl zur Ausbeute kunst bei ihm erlernt habe und nun auf seiner Afrikareise gehört hatten. Wanderschaft gehen wolle. Die vegetabili- Nach Otto Konrad Roller soll Thran schen Verzierungen und der exotische angeblich auch die Krapp-Pflanze, die sich Figurenschmuck auf der Urkunde sind zum Färben von Stoffen eignete, aus Afrika sicherlich eine Reminiszenz an seine Afrika- mitgebracht haben. reise. Kleine Veduten von Paris, ~arlsruhe Sicher ist, daß er 1753 eine privilegierte und Rom sowie offensichtlich ein Selbst- Gesellschaft zur Einfiihrung der Krappin- portrait mit Rechen sind ebenfalls unter dem dustrie gründete. barocken Zierat zu finden. Daraufhin entstanden Krappfabriken in Bis ins hohe Alter war Thran als Gärtner Durlach und Grötzingen, und noch zu Anfang tätig. So fertigte er noch als über 80jähriger des 19. Jahrhunderts bauten die Bauern der ein Verzeichnis über sämtliche Gemüsearten Umgegend Krapp an, bis der Anbau dieser in den markgräßichen Küchengärten an. Als Pflanze durch die Farbstoffe der chemischen er am 17. November 1778 starb, hinterließ er Industrie unrentabel wurde. seinen drei Töchtern ein recht ansehnliches Als Markgraf Karl Friedrich 1746' die Vermögen, was er vielleicht durch die Be- Regierung antrat, wurden die barocken .· teiligung an der Krappfabrikation erworben Gartenanlagen und Menagerien als nicht hatte. Seine Frau Rosina, geb. Kummer, die er mehr zeitgemäß empfunden und verschwan- 1734 geheiratet hatte, war ihm bereits 1761 den nach und nach. Thran zog sich nach vorausgegangen, und seine beiden Söhne, Durlach zurück und betreute den dortigen Johann Christi an, zu dessen Taufe 1735 auch Schloßgarten. Er nahm aber auch noch der Leipziger Gelehrte Hebenstreit gekom- Lehrlinge an. So ist ein prächtiger 1755 von men war, und der 1744 geborene August ihm ausgestellter und gezeichneter Gesellen- Theodor waren wahrscheinlich auch nicht brief überliefert, der im Stadtarchiv aufbe- mehr am Leben. wahrt wird. Derart aufwendige "Handwerks- Peter Pretsch Der Karlsruher Theaterbrand 1847 und sein letztes Opfer Am 28. Februar 1847, einem Sonntag, brach bald nach 17 Uhr im Großherzoglichen Hof- theater zu Karlsruhe ein verheerender Brand aus, der das von Weinbrenner erbaute Thea- ter in kurzer Zeit völlig vernichtete. Das Brandunglück forderte zah1reiche Todesop- fer. Das für die Unglücklichen im alten Fried- 146 hof an der Kapellenstraße errichtete Denk- mal zählt 64 Namen. In Wirklichkeit waren es 65 Tote. Ein Name war vergessen worden. Die Kunde von der Brandkatastrophe erschüt- terte nicht nur die Stadt Karlsruhe und das badische Land, sondern verbreitete sich rasch in ganz Europa. Überall erschienen ausfUhr- Blick ins Innere des Hoftheaters beim Ausbruch des Brandes. liehe Presseberichte und eine Unzahl von Bro- schüren, welche die Vorgänge beim Brand ausftihrlich schilderten, oft unter Zitierung von Augenzeugenberichten. Danach war der Brand an der Holloge ausgebrochen, als ein Hofdiener die schadhafte Gasbeleuchtung ent- zündete und die durch einen Luftzug noch verstärkte Flamme die zu nahe angebrachte, leicht brennbare Draperie ergriff. Hof-Feuer-Polizei und Feuer-Lösch- ~. . Ordnun(,,~2<~ 1840 _"*<'.= Der dramatische Verlaufdes Unglücks zeig- te, daß viele Sicherheitsvorgaben unbeachtet geblieben waren, obwohl die Vorschriften solche durchaus enthielten. So erscheint es unverständlich, daß von vier vorhandenen Türen auf der dritten Galerie, um Personal zu sparen, seit langem nur eine einzige geöffuet war. Die Flüchtenden stürzten vor dieser Tür übereinander und verstopften sie so vollstän- dig, daß niemand mehr hindurchkommen konnte. Erst als der siebenundzwanzigjährige Kaufmann Moritz Reutlinger eine weitere Tür durch Einsatz aller Körperkräfte aufgebro- chen hatte, konnte noch eine Anzahl von Ge- fahrdeten durch diese nach unten gelangen. Nachdem die Besucher des Parterres und der unteren Galerien sich relativ problemlos retten konnten, kam die verhängnisvolle Falschmeldung auf, es sei niemand mehr im Theater. Infolgedessen wurden die Türen im Parterre geschlossen. Wer von der dritten 147 Galerie hinuntersprang, kam nicht mehr hin- aus. Zu allem Überlluß schaltete man die Gaszufuhr ab, so daß alle noch nicht von den Flammen ergriffenen Gänge und Treppen völ- lig im Dunkeln lagen. Verzweifelt versuchten viele sich durch Spriinge aus dem dritten Stock auf ein Vor- dach zu retten, was tatsächlich den meisten ohne größere Verletzungen gelang. Das Schreien und Jammern der Eingeschlossenen endete, als sie allmählich durch den beißen- den Rauch betäubt wurden und vollends, als das Gebäude lichterloh brennend in sich zu- sammenstürzte. Alle Maßnahmen geschahen völlig unko- ordiniert. Die vorhandenen Hilfsmittel waren absolut unzulänglich. So zeigte sich unter anderem, daß die Rettungsleitern alle zu k'U!'z waren. Nicht viel besser stand es mit den drei verfiigbaren Feuerspritzen, von denen überhaupt nur eine funktionierte. Als die gut ausgerüstete und wohl trainierte Durlacher Freiwillige Feuerwehr eintraf, war nicht mehr viel zu retten. Immerhin war es ihr möglich, angrenzende Gebäude vor dem Übergreifen der Flammen zu bewahren. Die vielen Versäumnisse und das zum Teil verständliche Fehlverhalten der Verantwort- lichen während der Brandkatastrophe wurde diesen bald um Vorwurf gemacht. Man glaub- te, daß es kaum zu Todesopfern hätte kom- men müssen, wenn nicht völlig kopflos ge- handelt worden wäre. Zu den Opfern zählten vor allem Besucher der über der Hofloge gelegenen dritten Gale- rie. Dort hatte sich das Publikum schon früh- zeitig eingefunden und drängte sich lange vor 5 Uhr um die besten Plätze. Das auf dem Spielplan stehende Stück "Der Artesische Brunnen" von G. Raeder war eine ausgesprochen volkstümliche Zauberposse mit 148 Joseph Fromholzer 1825- 47, nach einer Daguerreotypie, iahr 1846. Musik, die sich bereits in der vorausgegange- nen Fasnachtszeit als Kassenschlager erwie- sen hatte. Daher waren die billigen Plätze der dritten Galerie vorwiegend von jungen Leu- ten besetzt. Bei den städtischen Unterlagen befmdet sich ein "Verzeichniß der bey dem Hof Theater Brand am 28. Februar 1847. Verunglück1en". Hier sind 64 Namen aufgefUhrt mit Anga- be des Geburtsortes, des Alters, der Konfes- sion oder der familären Herkunft. Das jüng- ste Todesopfer war der achtiährige Sohn Edu- ard des Oberleutnants Kobe. Die älteste Ver- unglückte war mit 44 Jahren die aus Otto- beuren stammende Dienstmagd Josepha Rot- härmel. Viele der Toten stammten aus Karls- ruhe. Es befanden sich aber auch zahlreiche Dienstmägde aus der näheren Umgebung und vor allem Handwerksgesellen darunter, die in Karlsruhe in Arbeit standen, deren Hei- matorte zum Teil aber weit entfernt lagen. In diesem ersten handschriftlichen, aber auch in den nachfolgend gedruckten "erzeichnJssen ist der Name des FärbergeseUen Joseph Fromholzer nicht enthalten. Er steht jedoch auf dem Denkmal im alten Friedhof From- holzer starb erst am 9. April 1847 an seinen schweren "erletzungen im S~ i tal. Da von den meisten Todesopfern des Theatersbrandes außer den genannten Daten so gut wie nichts bekannt ist, kann es als glücklicher Umstand bezeichnet werden, daß sich von Wld über Joseph Fromholzer in Fa- milienbesitz schriftliche Unterlagen, ja sogar eine frühere Photographie, eine sogenannte Daguerreotypie erhalten haben. Die Familie Fromholzer betreibt heute noch in Ruhmanns- felden im Bayerischen Wald eine Färberei Wld textile Handdruckerei. Sie hat das Bild, das Wanderbuch Wld Briefe ihres im Alter von 22 Jahren verWlglückten Familienange- hörigen treulich bewahrt. Durch diese Doku- mente kann die Biographie eines der vielen "erWlglückten exemplarisch erhellt werden. Das letzte Opfer Joseph Fromholzer hat seine Lehre als Fär- ber im väterlichen Betrieb absolviert. Im Al- ter von 18 Jahren ging er 1842 auf die vorge- schriebene Wanderschaft. Diese fuhrte ihn über Sachsen nach Berlin bis nach Königs- berg Wld schließlich über Danzig nach Neu- stadt in Westpreußen, anschließend nach Pom- mern Wld Mecklenburg. In Rostock blieb er ein "iert~ljahr Wld reiste dann weiter durch ganz Norddeutschland. "on Düsseldorf ging die Reise Joseph Fromholzers nach Frankfurt am Main, dann durch Thüringen, Sachsen, Böhmen, Ober- österreich, Salzburg Wld München. Schließ- lich kehrte er am 14. November 1843 in sei- nen Heimatort Ruhmannsfelden zurück. Ein Jahr Wld sieben Monate war er der Heimat fern gewesen. Moderne "erkehrsmittel wie die Eisenbahn konnte Fromholzer nur selten benutzen, da zu der Zeit nur wenige Strecken existierten. Ge- legentlich fuhr er auch mal mit einem Dampf- schiff. Grundsätzlich mußte damals alles zu Fuß zurückgelegt werden, es sei denn, man leistete sich eine Postkutsche. Das aber tat ein Handwerksgeselle nur in äußerst seltenen Fällen. Joseph Fromholzer hielt sich fast nie länger als einen Tag an einem Ort auf. Er notierte aber bei jeder Stadt die Einwohner- zahl Wld die wichtigsten Gewerbe. Bei den durchwanderten Landschaften vermerkte er inuner die Fruchtbarkeit der Böden Wld die angebauten Feldfrüchte. Zwei Jahre Wld vier Monate blieb Joseph Fromholzer nWl im väterlichen Betrieb, um seine WanderWlg 1846 fortzusetzen. Dieses Mal ging die Reise durch Süddeutschland. München, Augsburg Wld Ulm waren die er- sten Stationen. Es· folgten Stuttgart Wld Tü- bingen. Über den Schwarzwald kam From- holzer am 20. März 1846 nach Lahr. In einem ausfuhrlichen Brief an seine "AeltemH , die er mit "Sie" anschreibt, be- richtet er am 19. Juli 1846 aus Lahr über seine ErfahrWtgen im Beruf, die zum Teil sicher auch seinem "ater nützlich sein soll- ten. Lahr wollte er vor allem wegen des Lie- derkranzes nicht so schnell verlassen. Nach relativ kurzem Aufenthalt hatte der renom- mierte "erein den Färbergesellen zum Mit- glied aufgenommen, was auf dessen BildWlgs- niveau, seine Umgangsformen Wld eine ge- wisse Wohlhabenheit schließen läßt. Der strebsame jWlge Mann war sogar in der Lage, Arbeitskollegen Geld zu leihen. Ansonsten gefielen F romholzer die badische Lebensart, der Wein Wld die Gegend, die er fur die schönste Wld fruchtbarste Deutschlands" hielt. Mit dem Brief übersandte Joseph Fromholzer seinen Eltern sein "Portraits", "gemacht auf einer Kupfertafel", die schon erwähnte in Lahr 149 angefertigte Daguerreotypie. Der nächste erhaltene Brief Fromholzers datiert vom 14. Februar 1847 aus Karlsruhe. Er war froh, in Eduard Printz in Karlsruhe einen Arbeitgeber gefunden zu haben, der ihm anbot, ,,für immer hier zu bleiben", al- lerdings unter der Bedingung "im fall es kei- ne Arbeit giebt, so giebt es auch keinen Lohn" . Nach längerem Zögern nahm Fromholzer das Angebot an, "den ich hatte keine beßere Aus- sicht, das Reißen im Winter ist beschwerlich, kostet viel Geld, u. wan ich auch Arbeit er- halte, so ist sie nur von kurzer Dauer. Den bis ende Merz müßte ich wieder hier sein, da ich doch noch mehr Uebung bey dieser Ar- beit haben will". Fromholzer deutete aber an, daß er bei Herrn Printz nicht auf Dauer blei- ben wolle und sich um eine Stelle an einem anderen Ort bewerbe. "Im Monate Juni wer- de ich mehr zu schreiben haben u. wen ich es ausfuhren kan so ist es der letzte Brief aus Karlsruhe." Es sollte sein letzter Brief über- haupt sein. Am 5. März 1847 ließ der Schön- färbermeister Eduard Printz durch seinen Bru- der in einem Brief Herrn "Krummholzer" in Ruhrnannsfelden mitteilen, daß sein Sohn bei dem Theaterbrand "ebenfalls sehr stark ver- wundet wurde". Printz gesteht, daß er das Unglück zunächst verschweigen wollte, "al- lein das Uebel hat so sehr um sich gegriffen daß ich es für meine Pflicht halte Ihnen hier- von Nachricht zu geben". Am 16. März schreibt Printz "mit großem Vergnügen" an Herrn Fromholzer, daß sein "Sohn Joseph gänzlich außer Gefahr" sei. Auf ein Schrei- ben des Vaters Fromholzer vom 22. antwor- tete Printz am 27. März sehr ausfuhrlich mit einer Schilderung des Brandunglücks, und daß sich Joseph durch einen Sprung aus einem Fenster im dritten Stock wie viele andere ret- ten konnte, wenn auch mit schweren Brand- 150 wunden an Gesicht und Händen. Der Bericht von Printz muß, soweit er Joseph Fromholzer betraf, auf dessen eigener Erzählung beru- hen. Daß dies möglich war, deutet tatsäch- lich auf eine fortschreitende Heilung hin, denn in der Broschüre des Stenographen Erhard Giavina über den Hoftheaterbrand heißt es von dem "Färbergesellen Frommholzer aus Rumansweiden bei Passau" noch: "Dieser junge Mann ist im Gesicht dermaßen ver- brannt und überpflastert, daß dasselbe mehr einem Skelett als dem eines lebenden Men- schen ähnlich sieht. Uebrigens konnte dersel- be nicht vernommen werden, da er besin- nungslos im Bette liegt und kein anderes le- benszeichen von sich gibt, als das eines schnarchenden Athems." Trügerische Hoffuungen .·.·.·.·.·.·.·.·.w.'w.·.·.·.·.·.·.·.v.·.·.w.w.·.·.·.·.·.·.·~ .w.w.·.w.·.·.·.·.·.·.·.·.·.w.·.·.w.·~ . Printz drück1 die Überzeugung aus, daß Joseph Fromholzer in höchstens drei Wo- chen das Krankenhaus verlassen könne. Es sei !Ur die fünf Verwundeten in! Spital schon viel Geld gesammelt worden, und selbst der Großherzog mit seiner Familie nähmen An- teil am Schicksal der Unglücklichen. Im nächsten Brief vom 8. April bestätigt Printz noch einmal den guten Heilungsverlauf der Brandwunden, schränkt jedoch diese gute Nachricht durch die Mitteilung ein, daß die Brust von Joseph Fromholzer "durch den schweren Rauch stark noth gelitten" habe und sein Zustand seit fünf Tagen " etwas schlimm wieder geworden" sei. Die Krank- heit nähme nach Aussage des Arztes "ein sehr bedenklichen Karak1er an", doch gäbe der Doktor "die Hoffuung nicht ganz auf'. Printz lädt den Vater Fromholzer in sein Haus ein, falls er seinen Sohn besuchen sol- le. Es gäbe zwar "noch keinen Beweis daß er stirbt", aber die Familie solle auf alles vorbereitet sein. Nach dieser schlechten Botschaft überrascht es nicht mehr, daß Printz bereits am nächsten Tag "den wertesten Herrn Fromholzer" vom Tod seines Sohnes unterrichten muß. Printz hatte ihn am Vorabend noch besucht, wobei ihm das Sprechen sehr schwer gefallen war. Am Vormittag hatte Joseph nach einem Pfar- rer verlangt und war bald nach dessen Be- such verstorben. Printz versucilt die Angehö- rigen damit zu trösten, daß Joseph schwer gelitten habe und sein Tod fiir ihn die Erlö- sung bedeutet hätte. Außerdem wäre er bei seiner Genesung sicher sehr entstellt gewe- sen. Er würde ein Ehrenbegräbnis erhalten, und die Krankenhauskosten übernähme wohl der Staat. Zum Andenken fiir die Familie hatte Printz eine Haarlocke von Joseph From- holzer abnehmen lassen. Der Verstorbene wurde bei den am 4. März bereits in einem gemeinsamen Grab Beige- setzten bestattet, sein Name auf das Denkmal fiir die Opfer des Theaterbrands gesetzt. Der Karlsruher Bürgermeister Helmle schrieb an den Vater Fromholzer einen Beileidsbrief, in dem er von dem Ehrenbegräbnis berichtete und von dem großen Trauerzug. Heinz Schmill earl Friedrich Meerwein - ein vergessener Flugpionier Im alten, längst nicht mehr benutzten und zum Teil in eine Anlage umgewandelten Friedhof der südbadischen Stadt Emmen- dingen befmdet sich das Grab dieses Man- nes. Die Gedenktafel auf seiner Ruhestätte trägt die Inschrift: ,,Hochfiirstl. Bad. Landbau- mstr. Carl Friedrich Meerwein, • 22. 8. 1737 in Leiselheirn, t 6. 12. 1810 in Emmendingen". Nach mündlichen Überlieferungen ist der Badische Landbaumeister tatsächlich geflo- gen, und die Strecke, die er mit seinem selbst- gebauten Flugapparat zurücklegte, betrug 50 Meter. Eine winzige Strecke im Vergleich zu den Entfernungen, die die Astronauten in ih- ren Raumschiffen durchmessen. Doch wenn man überlegt, daß dieser denkwürdige Flug- versuch .schon im Jahre 1784 stattfand, zu einer Zeit also, in der die Postkutsche das allgemeine Verkehrsmittel war, sieht die Sa- che schon anders aus. Und während die ame- rikanischen Weltraumflieger anfangs zur wei- chen Landung den Ozean benutzten, war Landbaumeister Meerwein mit einem Dung- haufen zufrieden. Daß die Kunde von seinem Flug kaum über die Grenzen Badens hinausdrang, mag zum Teil am Wesen dieses im Grunde bescheide- nen Mannes gelegen haben. 10 der Hauptsa- che gaben aber wohl die spektakulären N ach- richten aus dem Nachbarland Frankreich den Ausschlag, daß nur wenige Notiz von Meer- weins Versuch nahmen. Dort waren fast zur gleichen Zeit der Warmluftballon - die Montgolfiere - und der Gasballon - die Charliere - erfunden worden und im Jahre 1783 der bemannte Flug eines Warmluftballons von 25 Minuten Dauer über Paris hinweg geglückt. Im gleichen Jahr flog ein bemannter Gasballon über 4 Stunden und erreichte dabei eine Höhe von 2 700 Metern. Mit solchen Rekorden konnte der Badische Landbaumeister nicht aufwarten. Sein Lebensweg Über seinen Lebensweg wissen wir Fol- gendes: Er wurde als Sohn des Pfarrers Chri- stian Meerwein geboren. Nach einer kurzen Lehrzeit beim Hochfiirstlichen Bauamt in Karlsruhe studierte er in Straßburg und Jena. 151 Meerweins Flugmaschine Wie man aus den Bildern ersieht, sollten die FlUgel nicht mittels ausgebreiteter Arme be- wegt werden. Durch Vorstoßen einer "Balancier-Stange" (h) wurde die Muskelkraft wesent- Im Jahre 1764 trat er wieder beim Bauamt in Kar1sruhe in den Dienst seines Landesherrn. Nach vollzogener Prüfung in der "Civil- baukunst" wurde er zum "Cammer-Accessist" ernannt. Schon im Jahre 1769 übertrug man ihm den Posten des Landbaumeisters in Emmendingen, der fiir das gesamte Bauwe- sen des badischen Oberlandes zuständig war. Als "Hochfiirstlich Markgräflich Badiseher Landbaumeister" mußte er diesen Landstrich regelmäßig, sicher meist auf Schusters Rap- pen, bereisen. Bei seinen vielen Dienstgängen mag er wohl ebenso oft den Flug der Greifvö- gel in den Aufwinden an den Schwarzwald- hängen beobachtet haben, als auch den der Wasservögel über den Altrheinarmen. Auf Grund dieser Beobachtungen wird Meer- 152 wein - genau wie später Olto Lilienthai - zu der Erkenntnis gekommen sein, im Vogelflug die Grundlage des "menschlichen Fliegens" zU sehen. Seine Untersuchungen und seine Ansichten darüber schrieb er nieder in der Abhandlung: "Der Mensch! sollte der nicht auch mit der Fähigkeit zum Fliegen gebohren seyn?", er- schienen in den "Oberrheinischen Mannig- faltigkeiten", Basel 1782. Im Jahre 1784 gab der Landbaumeister die gleiche Denkschrift, mit zwei Kupferstichen versehen, ebenfalls in Basel, in Buchform heraus. Darin sagt er über den Ballon: "Der Her- lich rationeller übertragen. Trotz allem überschätzte naWrlich Meerwein die menschlichen Kräfte. Im Gnmde genommen war seine Konstruktion ein Gleiter, bei dem in gewissen Gren- zen die Tragflächen auf und ab bewegt werden konnten. ren Montgolfiers par hazard erfundene Me- thode, sich, vermittelst einer leichtern Luft- art, in der Luft zu erheben, ist aber mehr ein Schwimmen in der Luft, nach der Art der Fische im Wasser, als ein Fliegen, nach Art derer Vögel, zu nennen. Es bleibt demnach die Montgolfierische Erfindung von der mei- nen noch weiter verschieden, als das Schwim- men des Fisches, vom Fahren auf einem Schif- fe, verschieden ist." In seiner Abhandlung versucht er die Grün- de darzulegen, weswegen dem Menschen die Fähigkeiten des Fliegens versagt geblieben waren, und zählt auf: "I. Entweder in dem Bau und in der Struk- tur des Menschen selbst; 2. Oder in dessen zu großer Schweere; 3. Oder im Mangel hinlänglicher Stärke, die Maschine zu regieren; 4. Oder endlich im Mangel tauglicher Ma- terialien zu einer solchen Maschine." Meenvein geht nun diesen Punkten nach und kommt zu der Ansicht, daß der Mensch mittels einer "tauglichen Maschine" durch- aus das Fliegen erlernen könne. "Daß nehm- lieh der Mensch das Complementum der gan- zen thierischen Schöpfung, und daher eben sowohl zum Fliegen als zum Schwimmen, oder einen Elephanten zu besteigen, und der- gleichen mehr, fabig gebohren seye; sobald er nur ernstlich will." Dem Haupteinwand vieler seiner Zeitge- nossen, der Mensch sei viel zu schwer, um fliegen zu können, entgegnet der Landbau- 153 meister, "die Vögel seien ja auch schwer und selbst der Adler wird zum fliegen zu schweer, so bald man ihm die Flügel stutzet oder die Schwungfedern ausrupfet; oder wenn man ihm Zaunkönigs-Flügel geben könnte. - Und eben so, wenn man behauptet, der Vogel Strauß sey zum fliegen zu schweer, so sagt man doch gewiß nichts weiters, als daß dasjenige, was man dieses Vogels Flügel nennet, vor den Strauß zum fliegen nicht hinreichend sey." Wenn ich die tragende Fläche meiner Ma- schine nur groß genug mache, so überlegt sich Meerwein, muß ein Mensch damit flie- gen können. Um die erforderliche Größe der Fläche zu finden, braucht er ein Vergleichs- objekt. Der Landbaumeister wählt eine wilde Ente. "Niemand wird in Abrede stellen, daß eine wilde Endte gut fliegen könne", meint er in seiner Schrift. Meerwein vergleicht nun das Gewicht der Ente mii der tragenden Fläche ihrer ausge- spannten Flügel und errechnet daraus die theo- retische Fläche fUr ein Pfund. Er setzt sein Körpergewicht und das geschätzte Gewicht des Flugapparates zusammen mit 200 Pfund in die Rechnung ein und erhält eine benötigte Fläche von 126 Quadratschuh fur die Ma- schine, wenn sie unter gehörigem Gebrauch 200 Pfund eben so sicher durch die Luft tra- gen solle, als eine wilde Endte fliegt". Unser Landbaumeister ist aber ein vorsich- tiger Mann und stellt deshalb noch Verglei- che mit anderen Vogelarten an, die sehr un- terschiedlich ausfallen. Zwar erhält er bei einem Schwan einen ähnlichen Wert, näm- lich 116 Quadratschuh, doch bei einem Fisch- reiher erhöht sich die Fläche auf 3 13, und bei einer Ohreule sogar auf 634 Quadratschuh. Mit weiteren Vogelarten werden die Unter- suchungen fortgesetzt, und deren Ergebnisse differieren ebenfalls. Vermutlich nimmt der Landbaumeister aus den unterschiedlichen Ergebnissen den Mit- telwert,.denn bei der Flugmaschine, die er in 154 seinem Büchlein vorstellt, gibt er die Fläche mit 240 Quadratschuh an, "ohne das Steuer- ruder, welches vor sich ebenfalls 20 bis 40 Quadratmeter,je nachdem das Gleichgewicht eine Größe erfordert, halten kann." .. w ...... wow Der Flugapparat 'oW.~.w.'~.'~~_ Über die Konstruktion seines Flugapparates schreibt Meerwein: "Wenn ich mir also eine Maschine mache, welche aus 2 gleichen Theilen bestehet, und wenn ich diese Flügel im Mittel durch biegsame Bande verbinde, auch diese zusammen gesetzte Maschine noch soweit als breit mache, und so, daß ich mich in horizontaler Lage darinn zu befestigen und mich mit derselben so zu vereinigen vermag, daß ich dadurch gar nicht gehindert werde, alle meine Kraft auf die vorteilhafteste und der Absicht angemeßenste Art anzuwenden: so darf ich sicher darauf zählen, daß ich mit einer solchen Maschine werde fliegen lernen kÖlUlen." Er warnt allerdings vor übertriebenen Hoff- nungen und meint: "Da aber der kleinste Um- stand oft alles ändern kann, so könnte, wenn auch gleich die Erfindung und Zusammenset- zung der Maschine schon ihre vollständigste Richtigkeit hätte, dennoch die erste Probe, wegen eines kleinen Versehens in den Hand- griffen, welche doch erst erlernt werden müßen, - und aus Mangel der Uebung, miß- lingen; so wie schon mancher ertrunken ist, nicht deswegen, weil das Schwimmen dem Menschen unmöglich ist, gewiß nicht! son- dern ganz allein deswegen, weil man zu er- schrocken war, oder die Vortheile noch nicht kannte, oder ein anderer Zufall- selbst schon dem beßten Schwimmer - begegnete." Was das Baum.terial betriffi, fUhrt er aus: "Wenn unter der bestimmten Größe die Ma- schine nicht mehr als 40 bis 50 Pfund schweer seyn darf, und dabey doch von erforderlicher Stärke seyn muß, so müßen die Materialien zähe und stark und dennoch so leicht als mög- lich gewählet werden." In der Carlsruher Zeitung" vom 24. März 1784 lesen wir: "Der Badische Herr Landbau- meister Meerwein, Emmendingen, hat schon seit 18-20 Jahren auf die Methode gedacht, den Menschen zum Fliegen zu bringen ... und glaubt nun, in dieser Kunst SC .. ~lt gekommen zu seyn, daß er nicht abgeneigt ist, vielleicht ehestens eine Probe damit zu machen. Sollte dieser Versuch glücklich von statten gehen, so gehört die Ehre der Erfindung der Teut- sehen Nation, weil sie älter ist als die Erfin- dung des Herrn Blanchard. Auch kann man dieses versichern, daß die Einrichtung sehr einfach ist." Der Franzose Blanchard hatte ebenfalls ei- nen Flugapparat konstruiert, der aber nie flog und iIun nur Spott und Hohn seiner Landsleu- te einbrachte. Kurzerhand hing Blanchard sei- ne Maschine an einen Gasballon und gab vor, ihn damit lenkbar machen zu können. Obwohl der Franzose von vielen seiner Zeit- genossen fur einen Scharlatan gehalten wur- de, sei zu seiner Ehre gesagt, daß es iIun, mit dem Engländer Dr. Jeffries als Passagier, im Jahre 1785 als erstem gelang, mit einem Bal- lon den Kanal von England nach Frankreich zu überqueren. Seinen nutzlosen Hugapparat, den er an die Gondel montiert hatte, um da- mit angeblich nach Frankreich zu steuern, mußte er allerdings ins Meer werfen, um den immer mehr sinkenden Ballon flugfahig zu halten. Doch nun zu unserem Landbaumeister zu- rück, der. nicht mehr lange zögerte, mit einer Maschine die Richtigkeit seiner Behauptun- gen unter Beweis zu stellen. Flugversuche ~=W."''''''''''''=,"",N.' ................... ~WWIWN'''''''' '''-.vNM.'''' ___ ''''''''''''''N" ....... 'NoV So kam es zu diesem denkwürdigen Flug, der auf einer Geländeerhebung, der sogenann- ten "Burg", in der Nähe des Meerweinsehen Hauses seinen Ausgang naIun und auf dem umfangreichen Dunghaufen im Hof des Gast- hauses "Zum Engel" endete. Ob bei diesem UnterneIunen der Landbau- meister mit den Hügeln zu schlagen imstande war, ist nicht bekannt geworden. Vermutlich dürfte es sich um einen reinen Gleitflug ge- handelt haben. Von einem zweiten Flugversuch, den Meer- wein in Gießen im Jahre 1785 unternaIun, berichtet uns der Schriftsteller und Robinson- Crusoe-Übersetzer Joachim Heinrich Campe. Er hatte den Landbaumeister bei dessen Schwager Professor Schlettwein kennenge- lernt. Der Flug fiel weniger glücklich aus als der erste in Emmendingen, da Meerwein ver- sucht hat, diesmal mit den Flügeln zu schla- gen. In seiner Beschreibung "Reise von Ham- burg bis in die Schweiz im Jahre 1785" be- richtet Canlpe unter anderem darüber folgen- des: "Er wollte sich, auf einer Anhöhe ste- hend, durch Hilfe gepolsterter Riemen an diese Flügel festbinden lassen, und sich alsdann von der Anhöhe herabwerfen. Dann hoffte er, es nicht bl os in seiner Gewalt zu haben, sich schwebend zu erhalten, sondern auch durch eine leichte Bewegung der Flügel sich ge- mächlich fortzuschwingen ... Zum Glück war der Ort, von welchem er sich herabstürzte, eben nicht hoch, und die ausgebreiteten gro- ßen Flügel hielten seinen Fall doch soviel auf, daß er nicht gar zu unsanft niederstürz- te." Von weiteren Flügen hört man nichts mehr. Wahrscheinlich hing dies mit dem Al- ter Meerweins, er ging schon auf die Fünfzig zu, zusammen. Leider ist seine Flugmaschine nicht erhalten geblieben. Sie wurde zunächst von seinen Nachkommen aufbewahrt, später jedoch wegen Raummangels abgebrochen. Wenn auch der Flugpionier Meerwein nur noch selten in fluggeschichtlichen Veröffent- lichungen Erwähnung emdet, sollte man iIm doch nicht ganz vergessen. Obwohl der ge- 155 lungene Gleitflug nur mündlich überliefert ist, gibt sein Büchlein schriftliche Kunde von ernsthafter Forschertätigkeit auf flugtech- nischem Gebiet. Und als Otto LilienthaI im Jahre 1889 seine Schrift "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" veröffentlichte, war Meerweins Abhandlung immerhin schon über hundert Jahre alt. Heinz Slraub Ein Zirkel zur Förderung der Kunst Der Badische Kunstverein feiert 1993 sein 175. Griindungsjubiläum. Im Jahr 1818 fanden sich Karlsruher Bürger in einem elitären Zirkel zusammen, um sich gemeinsam mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen: Sie gründeten - als einen der ältesten in Deutschland - den Ba- dischen Kunstverein, der bis 1823 der Karlsruher "Museumsgesellschaft" angeglie- dert war. Der Verein dehnte seinen Zustän- digkeitsbereich auf das gesamte Großher- zogtum aus. Sein definiertes Ziel war es, "Sinn und Liebe für die bildende Kunst" zu fordern. Dies geschah auf zwei Wegen, innerhalb des gesellschaftlichen Zirkels und als öffentliches Wirken. Die Vereinsmitglieder tiafen sich sonntags nach der Vormittagskirche im Vereinslokal, um gemeinsam über Kunst zu debattieren. Die dem Verein angehörenden Künstler standen dabei den Laien, den sog. Kunst- freunden, beratend zur Seite. Als Jahresgaben wurden an die Mitglieder Reproduktions- graphiken nach historischen oder aktuellen Gemälden ausgegeben. Dies und besonders die Aussicht, bei der jährlichen Mitglieder- verlosung ein wertvolles Ölgemälde zu gewinnen, boten einen durchaus ökonomi- schen Anreiz zur Teilnahme am Kunstverein. Das Vereinsvermögen wurde in einer eigenen Gemäldesammlung angelegt. Das öffentliche Wirken des Kunstvereins bestand vor allem in der Veranstaltung jähr- licher Verkaufsausstellungen. Um dies finan- ziell und organisatorisch bewältigen zu kön- 156 nen, war jedoch ein Zusammenschluß meh- rerer Kunstvereine notwendig. So schloß sich der Badische Kunstverein 1836 mit den Kunstvereinen in Mainz, Darmstadt, Mann- heim und Straßburg zum "Rheinischen Kunstverein" zusammen. Gemeinsame Aus- stellungen wanderten zwischen Frühjahr und Herbst durch diese Städte. Dabei holten die Kunstvereine aus einem Einzugsbereich, der immerhin von den Städten Paris, Lyon, Mailand, München, Prag, Berlin, Hamburg und Brüssel umschlossen war, gleichzeitig bis zu 500 Exponate in die Ausstellung. Die Kunstvereine wurden so zu lokalen Trägern des Ausstellungswesens und des Kunstmark- tes. Gleichzeitig wirkten sie als Mittler zwischen Künstlern und Publikum bzw. Käufern. Das Bürgertum fand in den Ausstellungen der Kunstvereine die Bilder zur Ausstattung seiner Wohnzimmer. So war die Hir die Ausstellungen der Kunstvereine typische Kunst k1einformatig, im Motiv vom bürgerli- chen, durchaus dekorativ ausgerichteten Kunstgeschmack bestimmt und im Preis an den finanziellen Möglichkeiten dieser Käufer- schicht ausgerichtet. Nur selten wurde ein Bild für mehr als 200 f1. verkauft. Werke der zeitgenössischen berühmten Künstlerpersönlichkeiten und besonders die Bilder der monumentalen Historienmalerei überstiegen dieses Preislimit um ein Vielfa- ches und waren deswegen auf den Kunst- vereinsausstellungen nur in AusnahmeflilIen vertreten. Um auch sie fordern zu können, schlossen sich die Kunstvereine 1854 in der "Verbindung flir historische Kunst" zusam- men. Diese bildete gleichzeitig den nationa- len Dachverband der Kunstvereine, dem sich neben den deutschen auch die österreichi- schen Kunstvereine anschlussen. In der "Verbindung" äußerte sich das Interesse der bürgerlich geprägten Kunstvereine an der Einheit der deutschen Nation. Die ,,verbin- dung" gab großformatige Historienbilder in Auftrag, sandte sie auf melujährigen Aus- stellungstourneen durch ihre Mitgliedsver- eine und verloste sie schließlich. Das Losglück beschied dem Badischen Kunstverein bis zum Ende des 19. Jahrhun- derts immerhin vier "Verbindungs"-Gemäl- de, darunter das "Gastmahl der Generale Wallensteins", das der Dresdener Maler Ju- lius Scholtz 1862 vollendete. Das Gemälde wurde 1881 zum Preis von 9 000 Mark an Großherzog Friedrich I. verkauft, der es in die Karlsruher Kunsthalle gab. Mit dem Geld konnte der Kunstverein einen Großteil der Kosten bestreiten, die der Bau seines ersten eigenen Ausstellungsgebäudes erforderte, das nördlich der Karlsruher Kunsthalle errichtet wurde. Dieser Ankauf war einer von vielen Gunstbezeigungen, die der Karlsruher Kunst- verein vom Großherzoglichen Haus erfuhr: Die badischen Großherzöge Ludwig, Leo- pold und Friedrich I. waren Mitglieder des Badischen Kunstvereins, Sie wirkten als Protektoren, besorgten dem Verein Staatszu- schüsse .zur Veranstaltung von Ausstellun- gen, überließen ihm in der Kunsthalle und in den Orangerien Räume als Vereins- und Ausstellungslokale, Der Badische Kunstver- ein dankte es mit dauerhafter Loyalität. Die Großherzöge kauften zahlreiche Ge- mälde aus den Ausstellungen des Kunstver- eins an. Die meisten dieser Bilder gelangten direkt oder über die großherzoglichen Privat- Blick in den " Kunstgewerbesaal" des Badischen Kunstvereins in der Karlsruher Waidstraße (/906). sammlungen in die Karlsruher Kunsthalle, deren Sammlung in vielfacher Weise von der Tätigkeit des Badischen Kunstvereins zeugt. Bis 1900 errichtete Friedrich I. dem Kunst- verein in der Waidstraße ein repräsentatives Gebäude. Der Kunstverein überließ nun seine Räume vor allem der örtlichen Künstler- schaft, die so die Möglichkeit erhielt, aktuelle Werke auszustellen. Hatte sich der Kunstver- ein seit seiner Gründung stets auf die Be- schäftigung mit der zeitgenössischen Kunst konzentriert, so folgten seine Ausstellungen doch dem Kunstgeschmack des konservativen Bürgertums, dem die meisten Mitglieder an- gehörten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Karlsruher Kunstszene besonders von Hans Thoma beherrscht, der 1899 im bereits 157 hohen Alter von 60 Jahren zum Direktor der Kunsthalle und zum Akademieprofessor ernannt worden war. Im Einvernehmen mit dem ihm besonders wohlgesinnten Grhzg. Friedrich I. bestimmte Thoma die Ankaufs- politik des Museums. Er erwarb vorwiegend badische Kunst und kaufte häufig aus den Ausstellungen des Kunstvereins, der dafiir eine Provision von 10% des Verkaufspreises erhielt. Dagegen fand der Badische Kunstverein lange keinen Zugang zu progressiven Kunst- strömungen. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts wurde die Abweisung der inter- nationalen Avantgarde besonders offensicht- lich: Das Ausstellungsprogramm des Kunst- vereins sah es vor, neben heimischer Kunst auch die aktuelle nationale und internationale Kunst bekannt zu machen. Hierfur nahm der Verein das Angebot der durch Deutschland in Umlauf gegebenen Wanderausstellungen wahr, die in der Regel auf Empfehlung, aber unbesehen übernommen wurden. Mit dieser Ausstellungspraxis holte sich der Kunstver- ein bis 1910 drei Ausstellungen ins Haus, die zu Aufregungen und gar zu Skandalen fiihrten. Kunstverein, Presse und Karlsruher Publikum standen dieser Kunst offensichtlich hilflos gegenüber: 1906 betraf es die Aus- stellung "Französische Künstler", in der u.a. Werke von van Gogh, Paul Gauguin, Georges Seurat, Paul Signac und Emile Bernard gezeigt wurden. Im Jahr 1908 stellte die expressionistische "Dresdener Brücke", die Künstlergruppe um Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff im Badischen Kunstverein aus. Die Ausstellung der "N euen Münchener Künstlervereinigung " vom Oktober 1910 wurde zum größten Karlsruher Kunstskandal des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zu dieser Vorläufergruppe des "Blauen Reiter" gehörten neben dem Karlsruher Maler Alexander Kanoldt u.a. Franz Mare, A1exej von Jawlensky, Pablo 158 Picasso, Georges Braque und Wassily Kan- dinsky. Der Vorstand des Badischen Kunst- vereins sah sich zur Übernahme der Aus- stellung verpflichtet, distanzierte sich aber öffentlich von ihr. Der Kritiker des "Badi- schen Beobachters" fand die auf acht Tage verkürzte Ausstellung skandalös und be- zeichnete die gezeigten Werke als Leinwand- schmierereien und Verunglimpfungen der Kunst. Obwohl in den 1920er Jahren auch die Karlsruher Realisten, zu denen Georg Scholz, Karl Hubbuch und Wilhelm Schnarrenberger zählen, im Badischen Kunstverein ausstellen konnten, änderte sich am prinzipiellen Selbstverständnis des Kunstvereins nichts. So kann es nicht verwundern, daß er sich nach der Machtergreifung der Nazis äußerst bereitwillig den neuen Verhältnissen anpaßte. Die traditionelle Loyalität des Kunstvereins zur herrschenden Macht setzte sich auch nach 1933 fort. Der Badische Kunstverein betrieb quasi seine eigene Gleichschaltung und richtete sein Ausstellungsprogramm nach dem offiziellen Kunstverständnis des "Drit- ten Reiches" aus. Umnittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Badische Kunstverein seine Tätigkeit wieder auf. Die Hinwendung zur Avantgarde war von nun an Programm. Eine besondere Popularität erreichte der Karlslll- her Kunstverein 1958 bis 1967 unter der Geschäflsfuhrung von Klaus Gallwitz. Er organisierte eine Serie bedeutender Ausstel- lungen der klassischen Modeme und der aktuellen Kunst. Erinnert sei an den 1967 im Rahmen der Bundesgartenschau installierten, heftig diskutierten "Garten der Lüste" von Horst Antes. Die Nachfolger, Georg Bussmann und Michael Schwarz, hoben in den 1970er Jahren mit ihren Ausstellungen den politi- schen und gesellschafllichen Auftrag der historischen und aktuellen Kunst hervor. Julla Dresch Europäische Kulturtage J acques Delors, dem Präsidenten der Kom- mission der Europäischen Gemeinschaft, wird der Satz zugeschrieben: "Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt." Kein Zweifel: Ministerratssitzungen über Agrarpreise, über die Harmonisierung der Besteuerung von Last- kraftwagen bis zum Erlaß einer Vorschrift über die Standardschnitthöhe des künftigen europäischen Rasenmähers sind keine Themen und Anlässe, die die Herzen höher schlagen lassen. Das Band, das Europa zusammenhält, die Kraft, die die Menschen verbindet und motiviert, ist vielmehr die gemeinsame Kul- tur. Die Werteordnung der griechischen Phi- losophie, das römische Staats- und Rechts- wesen, die jüdisch-christliche Tradition, aber auch die germanischen, keltischen Wurzeln und der Einfluß der arabischen Welt und der Slaven sind ihre prägenden Elemente. Das Abendland - um einen Begriff zu verwenden, der diese geschichtlichen kulturellen Gemein- samkeiten wohl am besten Ausdruck verleiht -war sich seiner Identität immer gewiß. Den- noch ist Europa kein "melting-pot". Es sind viele und sehr verschiedene Kulturen im Lau- fe der Jahrhunderte in Europa entstanden und zusammengekommen. Europäische Kultur zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie un- ter Bewahrung ihrer Vielfalt einerseits aus verschiedenen Nationalkulturen besteht, an- dererseits aber auch spezifisch Europäisches zusammenfaßt. Einheit und Vielfalt sind die ErlJjfrJUng der 1. Europttischen KullUrtage 1983 (Kunst und Kultur Kataloniens) mit Ministerprtl- sidenl !.olOOr Sptlth, Minister fi1r Wissenschajl und Kunst Prof Dr. Eng/er, OB 0110 Dullenkopf 159 zwei Momente europäischer Kultur, die ihr beide gleichermaßen wesentlich sind. Einheit und Vielfalt sichtbar zu machen, das ist auch das Anliegen, das die Europäischen Kulturta- ge Karlsruhe verfolgen. Sie werden seit 1983 von der Stadt Karlsruhe gemeinsam mit dem Badischen Staatstheater veranstaltet und kön- nen auf eine nunmehr schon über zehnjährige Tradition zurückblicken. Die Europäischen Kulturtage stehen jeweils unter einem beson- deren Thema. Sie beschränken sich auch nicht auf eine einzige künstlerische Gattung, son- dern sind fur alle Kunstformen offen. Darüber hinaus nehmen auch historische, gesellschaft- liche und politische Fragestellungen einen breiten Raum ein. Die Darstellung von Ländern und Regionen (Katalonien 1983, Deutschland 1991, Estland 1992, Slowakei 1993) war dabei ebenso Ge- genstand der Kulturtage wie die Beschreibung von Epochen (Biedermeier und \brmärz 1984, die 50er Jahre 1986, Jahrhundertwende 1987, Gegenwart 1988) und die Aufarbeitung von Sachthemen (Klassiker 1985, Französische Revolution 1989, Städtegründungen - Grün- dungsstädte 1990). Die Sachthemen werden in diesem Jahr mit dem Thema" Widerstand" fortgesetzt, während 1996 mit dem Thema St. Petersbwg - nach fmanzbedingter Unterbre- chung 1995 - eine Europäische Stadtregion im Mittelpunkt steht. Mit ihrer ThemensteI- lung wollen die Europäischen Kulturtage be- wußt auch einen Beitrag zu den politischen und gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit leisten und sich dieser Verantwortung nicht durch Flucht in die reine Ästhetik der Künste entziehen. Der Fall des Eisernen Vorhanges gebietet es insbesondere den Ländern MitteI- und üsteuropas, durch Präsentation ihrer Kul- tur die Rückkehr ins gemeinsame europäische Haus zu erleichtern. Durch ihre themen- bezogene Projektarbeit sind die Europäischen Kulturtage auch nicht der Gefahr der Nivel- lierung und Austauschbarkeit durch Veräußer- lichung und Starkult erlegen. Die Europäi- schen Kulturtage sind kein "Einkaufsfestival" . Sie setzen nicht auf das einmalige Ereignis der "Megastars" , sondern auf die Kontinuität einer thematischen Aufbereitung eines The- mas. Die Zusammenarbeit mit den örtlichen kulturellen Initiativen und Institutionen ist dafür ein wichtiger Eckpfeiler. Die Europäi- schen Kulturtage sind dem örtlichen Kultur- leben nicht "aufgesetzt", sondern mit diesem in langfristiger Zusammenarbeit vernetzt und von diesem mitgestaltet. In seiner Entschlie- ßung vom 9. September 1993 hat der Deut- sche Städtetag ausgefiihrt: "Entscheidend sind weniger einmalige, repräsentative Veranstal- tungshöhepunkte als vielmehr langfristige Arbeitskontakte unter Einbeziehung der All- tagskultur und kultureller Initiativen und Ver- eine." Für diese Empfehlung sind die Europäi- schen Kulturtage ein gutes Beispiel. Als Fest und Lernort werden sie auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Begegnung der Men- schen und zum Zusammenwachsen Europas leisten. Michael Heck Heinrich Hübsch (1795-1863) Zum 200. Geburtstag des großen Architekten Zum zweihundertsten Male jährt sich 1995 der Geburtstag von Heinrich Hübsch. Das ist ein Anlaß, seiner zu gedenken, nimmt er doch in der großen Reihe bedeutender Karlsruher 160 Baumeister des 19. Jahrhunderts einen her- ausragenden Platz ein. Er galt seinerzeit als einer der wichtigsten Architekten Deutsch- lands. Als unmittelbarer Nachfolger seines Lehrers Weinbrenner trat Heinrich Hübsch 1827 in dessen Funktionen ein und war einige Jahrzehnte lang oberster badischer Bau- beamter, zugleich auch Professor am Poly- technikum. Studium und erste Bauten Am 9. Februar 1795 wurde Hübsch in dem damals noch pfalzischen Weinheim an der Bergstraße als Sohn eines äußerst wohlha- benden und studierten Postmeisters geboren. Seine Mutter war eine lutherische Pfarrers- tochter aus dem Odenwald. Nach seiner Schulzeit in Weinheim und Darmstadt stu- dierte er zunächst Philosophie und Mathema- tik in Heidelberg, kam aber 1815 fur zwei Jahre an Weinbrenners Bauschule, um sich ganz der Architektur zuzuwenden. Ein mehr- jähriger Italienaufenthalt und eine Griechen- landreise schlossen sich an. Italien blieb zeit- lebens das Land seiner Sehnsucht. Insgesamt sieben Mal hielt er sich, zum Teil viele Mo- nate lang, dort auf. Nach der Examinierung durch Weinbren- ner in Karlsruhe erhielt Hübsch seine erste Ausstellung 1824 beim Städelschen Kunst- institut in Frankfurt am Main. In diese Zeit fallt die Ausftihrung erster Bauten, eines Waisenhauses in Frankfurt und einer Kirche in Barmen (Wuppertal). Auch mit seiner schriftstellerischen und architekturtheore- tischen Publikationstätigkeit hatte Heinrich Hübsch bereits begonnen. Aus seinem ersten Werk "Über griechische Architektur" ent- spann si~h ein heftiger Streit mit dem Berliner Professor A10ys Hirt. Dieser vertrat eine Position, die deJjenigen Weinbrenners ent- sprach, so daß sich Hübschs Polemik in der zweiten Auflage des Buches indirekt auch gegen seinen Lehrer richtete. Sein bekannte- stes Werk "In welchem Style sollen wir bau- en?" ließ Hübsch aber erst nach Weinbren- ners Tod erscheinen. Er wandte sich darin vollständig von Weinbrenners klassizisti- schen Auffassungen ab und propagierte eine neue monumentale Architektur. Diese sollte im wesentlichen auf dem Rundbogenstil be- ruhen und Zweckbestimmung wie Konstruk- tion sichtbar werden lassen. Wege zum eigenen Stil In seiner architektonischen Praxis folgte Hübsch zwar nicht immer konsequent seiner eigenen Theorie, doch entwickelte er einen eindeutig identifizierbaren Stil. Ohne eine eigentliche Schule zu bilden, übte Heinrich Hübsch großen Einfluß auf die deutsche Architektur seiner Zeit, ganz besonders natürlich in Baden aus. Wichtig war ihm unter anderem die Materialsichtigkeit. Es gibt bei ihm nur wenige verputzte Bauten. Als Hauptbaumaterial verwandte Hübsch roten und gelben Sandstein, sowie besonders hart gebrannte Backsteine. Zierformen wurden 161 häufig in Terrakotta ausgefiihrt. Als einer der ersten wandte sich Hübsch dem Einsatz von Eisenkonstruktionen zu. Auch in der Schaf- fung von Gewälbeformen entwickelte Hein- rich Hübsch interessante Modelle, die statische Erfordernisse mit optimaler Materi- alausnutzung zu ästhetisch befriedigenden Lösungen verbanden. Heinrich Hübsch hat nur wenige Wohnhäu- ser geschaffen, einige fUr Verwandte in seiner Heimatstadt Weinheim und einige Dienst- wohnungen. Der Schwerpunkt seiner Tätig- keit lag bei öffentlichen und repräsentativen Bauwerken. Als vornehmste Aufgabe fiir einen Architekten sah Hübsch immer den Bau von Kirchen an. Um die dreißig hat er fUr beide große Konfessionen entworfen. Aber nicht alle wurden gebaut. Die Krönung seines Lebenswerkes war fiir Heinrich Hübsch der Neubau des Westwerks am Kaiserdom zu Speyer, den er im Auftrag der bayerischen Könige Ludwig I. und Maximilian 11. Joseph von 1854 an ausfUhrte. Hier konnte Hübsch seine Auffassung von romanischer Baukunst und seine denkmalpflegerischen Vorstellun- gen verwirklichen, wie er sie bereits an der Ludwigskirche in Freiburg und am Konstanzer Münster erprobt hatte. Die dem Umfang nach größte Bauaufgabe, vor die sich Heinrich Hübsch je gestellt sah, war das Männerzuchthaus in Bruchsa!. Dieses galt lange Zeit als modernste Ein- richtung seiner Art. Um Anregungen zu erhalten, hatte Hübsch Reisen nach Paris und London unternommen. 1841 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Der Komplex war bis 1848 soweit fertiggestellt, daß Teilnehmer an den revolutionären Unruhen in Baden als erste Insassen der Strafanstalt eingeliefert werden konnten. In ganz Baden stehen Kirchen von Heinrich Hübsch, fiir die er ein auf dem Rundbogenstil basierendes Schema einfacher Landkirchen entwickelte. Alle sind aus rotem Sandstein 162 erbaut. Einige Beispiele seien genannt: Epfenbach, Zaisenhausen, Bauschlott, Stah- ringen, Weizen, Bad Dürrheim. Die nie ge- bauten Entwürfe fiir eine evangelische und eine katholische Kirche in Karlsruhe sowie einen neuen Dom fiir das württembergische Rottenburg unterschieden sich freilich erheb- lich von den genannten Landkirchen. Dassel- be gilt fiir die doppcltürmige Stadtkirehe in Ludwigshafen am Rhein, die n.ach den Kriegszerstörungen stark verändert wieder aufgebaut wurde. Es ist hier nicht der Ort, alle wichtigen Bauwerke von Heinrich Hübsch aufzuzählen, doch sei, bevor auf seine Karlsruher Bauten eingegangen wird, wenigstens die Trinkhalle in Baden-Baden erwähnt, weil sie zu Hübschs eindrucksvollsten Profanbauten zählt. Sie dient immer noch dem Zweck, der ihr vom Bauherm zugedacht war, ein Zeichen daflir, daß Hübschs Entwürfe nicht nur ästhetischen, sondern funktionellen Anforderungen, ge- recht wurden. Auch fiir die meisten seiner anderen Bauwerke läßt sich das sagen, obwohl sein Stil zeitweilig nicht mehr sehr geschätzt war. Karlsruher Bauwerke .~_. _-- Wenden wir uns der Karlsruher Bautä- tigkeit von Heinrich Hübsch zu. Eine ganze Reihe von Bauten sind, zumeist infolge von Kriegseinwirlmngen, verschwunden. Dazu gehören die Töchterschulen in der Linden- straße, das Karlstor, das Lehrerseminar in der Akademiestraße, das Landesgestüt, von dem noch ein Torso an der Rüppurrer Straße bis vor wenigen Jahren erhalten war, das alte Vincentiuskrankenhaus am Karlstcrund schließ- lich als größter und nach wie vor bedauerns- wertester Verlust das Hoftheater und spätere Badische Landestheater am Schloßplatz. Am 28. Februar 1847 war das von Friedrich Weinbrenner erbaute Hoftheater abgebrannt, und schon im Mai erhielt Heinrich Hübsch vom Großherzog den Auftrag zur Planung eines neuen Theaters. Im Februar 1851 wurde mit dem Bau begonnen, der am 17. Mai 1853 eröffnet wurde. N abezu neunzig Jahre stand das vornehme Bauwerk als eines der schönsten Theater Deutschlands zwischen Schloß und Kunsthalle. Der Schloßplatz mit seiner vor dem Theater verlaufenden Linden- allee und dem Botanischen Garten als Hintergrund bildete ein wunderschönes Ambiente für das festliche Haus, das an italienische Vorbilder erinnerte. Im Septem- ber 1944 trafen britische Brandbomben das Theater. Die zwar ausgebrannte, aber wieder herstellbare Ruine stand noch bald zwanzig Jahre am Schloßplatz, bis sie schließlich doch dem Neubau des Bundesverfassungsgerichtes weichen mußte. Einige beachtliche, teilweise stadtbild- prägende Bauwerke Heinrich Hübschs sind in Karlsruhe erhalten geblieben und dienen nach wie vor ihrer Bestimmung. Das schon zwi- schen 1830 und 1833 erbaute Regierungs- präsidium beherbergte früher das badische Finanzministerium. Es füllt den östlichsten Baublock zwischen Schloßplatz und Zirkel. Das Gebäude war der damals noch am Schloßplatz bestimmenden barocken Gestal- tungsidee anzupassen. Das bedeutete, daß Hübsch Kompromisse eingehen mußte. So nahm er die Schloßplatzarkaden auf, konnte aber die von ihm angestrebte Dreistöckigkeit nur für den Mittelteil des Bauwerkes durchsetzen, weil drei Stockwerke immer noch allein dem Schloß vorbehalten waren. Freier war Heinrich Hübsch in der Gestal- tung des Hauptbaues der "Polytechnischen Hochschule", der heutigen Universität, der etwa gleichzeitig an der Kaiserstraße ent- stand. Wie sich das Bauwerk heute präsen- tiert, besteht es allerdings erst seit 1864. Orangerie und Gew(lchsh(luser. erbaut 1857. 163 Theodor Fischer erweiterte damals das Hoch- schulgebäude, indem er etwas weiter östlich eine genaue Kopie des Hübschbaues errichte- te und die bei den "Zwillinge" durch einen angepaßten Mittelbau verband. Sowohl die Hochschule als auch das Regierungspräsi- dium sind im Inneren ähnlich angelegt. Beide haben gewölbte Flure und zu den weiträumi- gen Treppenanlagen transparente Säulenstel- lungen, wodurch eine großzügige Raum- wirkung entsteht. ",",~W'W",.~ •• • • ~~~~~~II".U11d. ()rangerie ............. w.w .• w . Das bis heute am meisten besuchte Hübschbauwerk ist die Staatliche Kunsthalle. Sie entstand in den Jahren 1837 bis 1845. Dieses vornehme Gebäude wurde mehrfach erweitert, zuletzt von Heinz Mohl, zeigt aber zur Hans-Thoma-Straße immer noch die von Hübsch geschaffene Fassade samt den er- halten gebliebenen Türflügeln des Hauptpor- tals. Bei der letzten Renovierung wurden die Erdgeschoßsäle in ihren ursprünglichen, von Hübsch konzipierten Zustand zurückversetzt und präsentieren dessen eindrucksvolle Innen- raumgestaltung, die auch im Treppenhaus mit der monumentalen Wandmalerei Moritz von Schwinds zur Geltung kommt. Die erst etwa zehn Jahre später von Heinrich Hübsch geplanten und gebauten Orangeriegebäude werden teilweise auch von der Kunsthalle genutzt. Sie umstellen den Botanischen Garten, der früher im Osten vom Hoftheater begrenzt wurde. Obwohl von den glasgedeckten großen Gewächshäusern zum Teil nur noch die damals moderne Eisen- konstruktion vorhanden ist, wirkt das En- semble sehr romantisch im Sinne von Hein- rich Hübsch. Hierzu trägt vor allem das Tor- gebäude mit seinen bei den ornamentierten Rundtürmen bei. Ganz sicher hat man zwischen Kunsthalle und Orangerie auch den besten Platz ftir das SI.-Cyriakus-Kirche in Bulach, erbauI1834- 1837. 164 Heinrich-Hübsch-Denkmal gefunden, das 1867, vier Jahre nach seinem Tod, errichtet wurde. Das in seiner Umgebung auffalligste Bau- werk von Heinrich Hübsch stcht in Bulach. Wer sich der Stadt Karlsruhe VOll Südwesten her nähert, erblicl.1 schon von weitem das Doppelturmpaar der St. Cyriakus-Kirche. Hoch ragt der Kirchenbau über die Fach- werkhäuser des alten Ortskerns hinaus. Zur Zeit seiner Erbauung in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mager indem dörflichen Ortsbild recht fremd gewirkt haben. Für Heinrich Hübsch war die Bulacher Kirche aber ein Höhepunkt seiner kirchlichen Bautätigkeit. Schon die Nähe der Gemeinden Bulach und Beiertheim, fUr welche die Kirche erbaut wurde, zur Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe waren fUr Hübsch Anlaß, ein Beispiel fur seine Auffassung vom Kirchen- bau zu geben. Das betraf den konstruktiven, dekorativen wie funktionalen Bereich. Hübsch hatte die Kirchenarchitektur seiner Zeit immer wieder kritisiert. Sowohl klassizisti- sche als auch gotische Formen lehnte er ab. Vorbild war fur ihn der "frühchristliche" Kirchenbau, was er in seinen theoretischen Schriften ausflihrlicher darlegte. Bulach war dafiir ein Exempel. Zeiten der Hochschätzung von Heinrich Hübsch folgten solche, in denen seine Architel.1ur nicht mehr so viel galt. Heute können wir objektiver urteilen. Die große, nicht zu überschätzende Bedeutung des Architekten Heinrich Hübsch liegt darin, vor Ausbruch des Eklektizismus einen eigenstän- digen Baustil geschaffen zu haben, 1er romantische Rückbesinnung und zeitgemäße technische Entwicklungen in sich vereint. Heinz Schmilt Begegnungen mit Max Reger In der Ausgabe vom 15. November 1994 überraschten die Badischen Neuesten Nach- richten mit der Meldung, daß voraussichtlich das Max-Reger-Institut von Bonn nach Karlsruhe übersiedeln werde. Unbestreitbar gewönne damit unsere Stadt einen weiteren kulturellen AnziehungspunIct. Mit vielen Impulsen könnte ein solches Institut das Karlsruher Musikleben bereichern. Hatte der Komponist Max Reger (1873 bis 1916), dessen Schaffen "in seinen giganti- schen Ausmaßen nur dem Lebenswerk alter Meister vergleichbar" ist, und der vor allem in seiner Orgel- und Kammermusik "einen noch nicht abzuschätzenden Einfluß auf die neue Musik gehabt" hat (Heimuth Wirth) persönli- che Beziehungen nach Karlsruhe? Nun, neun- mal hat er hier konzertiert. Und wenn er auch einmal wütend ausgerufen haben soll: "nie wieder nach Karlsruhe", der Konzertsaal behagte ihm ganz und gar nicht (Karlsruher Tagblatt vom 13. November 1927), er kam doch immer wieder. Unter der Protektion des Prinzen Max von Baden veranstaltete man im Jahre 1912 sogar ein Karlsruher Regerfest, bei dem der Meister in der ehemaligen Festhalle mit seiner berühmten Meininger Hofkapelle auftrat und dabei, neben eigenen Werken, auch die dritte Sinfonie von Brahms dirigierte. Nach Regers frühem Tod. am 11. Mai 1916 fand schon am 7. Juni in Karlsruhe eine Ge- denkfeier statt, bei der "eine reiche Folge Re- gerseher Tonwerke" erklang. Und nebenbei, 165 Reger bei der Reinschrift einer Partitur (Ballettsuite op. 130). ein kongenialer Interpret von Regers Orgel- musik wurde in Karlsruhe geboren: Günther Rarnin (1898-1956), der ab 1918 als Tho- masorganist, später auch als Thomaskantor in Leipzig wirkte. Regers Werk wurde in Karlsruhe kontinu- ierlich gepflegt, von den Chören, von den Organisten, im Bereich der Kanunermusik, unlängst erst erklang eines der orchestralen Hauptwerke Regers, die" Vier Tondichtungen !Ur Orchester nach A. Böcklin", op. 128, in einem Sinfoniekonzert der Badischen Staats- kapelle. Auch wenn die Beziehungen des Komponisten nach Karlsruhe eher sporadi- schen Charakter hatten, es gibt sie immerhin, ganz anders als im Falle Georg F riedrich Händel. Über die Generation der Schüler und Enkelschüler hat Regers Tonsprache in Karlsruhe noch bis weit in unser Jahrhundert, ja sogar noch bis in unsere Tage nachgewirkt, 166 man denke etwa an Franz Philipp, von 1924- 1942 Rektor der Musikhochschule (damals Badisches Konservatorium) und an dessen Schüler. Der einundzwanzigjährige Max Reger verfaßte während seiner Wiesbadener Studi- enzeit 1894/95 eine Suite fur Orgel (op. 16), der er in einer Mischung aus Huldigung und Stolz den Untertitel beigab: "Den Manen Johann Sebastian Bachs". Er sandte das Werk an Johannes Braluns in Wien und fragte an, ob dieser einer Widmung an ihn zustim- men würde. Braluns, jungen Komponisten gegenüber meist recht abweisend, antwortete sofort und bedankte sich "hochachtungsvoll ergeben" rur "das schöne Geschenk einer Widmung", worauf beide Photographien austauschten. "Dem Bild mit herzlicher Widmung von Braluns an Reger kommt die Bedeutung eines "Meisterbriefes" zu, der den Traditionszusanunenhang der deutschen Mu- sik besiegelt, wie einst von Schumann zu Braluns, so jetzt von Braluns zu Reger" (Riemann-Lexikon, 1961). Braluns war fur den jungen Reger "der, an den man sich halten kann. Ich tue es aber auch!" (1891). Daneben steht rur Reger stets das Bekenntnis zu "Allvater Bach, ... fur mich Anfang und Ende aller Musik". Um die Jahrhundertwende wurde Regers Musik als sehr modem empfunden, man sah in ihm den "Sozialdemokraten (!) unter den jetzigen Komponisten", einen "der den Umsturz predigt" (an A. Lindner, 1897). Ein Münchner Kritiker warf Reger 1903 gar vor, einen "Kult des Häßlichen um seiner selbst willen" zu betreiben. Reger selbst beteuerte demgegenüber immer wieder, daß es ihm um "Weiterbildung des Stiles", niemals um "Umsturz" ging. Deshalb lehnten andere bald auch seine Musik als konservativ ab. Kein Geringerer als Amold Schön berg äußerte dagegen 1924: "Ich halte ihn fur ein Genie". In Schönbergs Wiener "Verein fur musikali- sehe Privatauffiihrungen" war Reger der meistgespielte Komponist. Schönbergs Wert- schätzung bezog sich dabei vor allem auf Regers Kammermusik, die im sogenannten "Jenaer Stil", der letzten Schaffensperiode, zu einer fast klassizistischen Klarheit und Durchsichtigkeit gefunden hatte. Thre klangli- che Sensibilität und Ornamentftille machen sie zum wertvollen Zeugnis einer zwischen Jugendstil und Impressionismus angesiedel- ten Kunst. Am stärksten hat Regers Musik bis heute weitergewirkt im Bereich der Kirchenmusik und bei den Organisten. Die Orgel betrachtete Reger als sein ureigenstes Terrain, wo ihm, zumindest in Deutschland, von keiner Seite Konkurrenz erwuchs. Dabei war seine Stellung zwischen den Konfessionen durch- aus delikat. Der gebürtige Oberpfalzer schickte seine ersten Kompositionen nach Regensburg, damals eine Hochburg der katholischen Kirchenmusik. Wegen ihrer Neuheit stießen sie bei den strengen Cae- cilianern auf Ablehnung. Verstörend wirkte auch Regers Hinwendung zum evangelischen Kirchenlied: "Die Protestanten wissen gar nicht, was sie an ihren Chorälen haben." Die großen Choralfantasien Regers durften in katholischen Kirchen nicht gespielt wer- den. Für seinen Hauptinterpreten, den ihm freundschaftlich verbundenen Karl Straube, verfaßte Reger deshalb Orgelwerke, die auch ftir eine Auff'lihrung in katholischen Kirchen geeignet seien, wie etwa die "Variationen und Fuge fis-Moll über ein Originaltherna", op. 73, aus dem Jahre 1903. Erst recht prekär wurde Regers Situation nach der Heirat einer geschiedenen Protestantin, Eisa von Bercken geb. von Bagenski 1902. Regers Tätigkeit in Leipzig, Meiningen und Jena fiihrte imnler wieder zur Entstehung von Werken, die dem protestantischen Milieu jener Zeit verhaftet sind. Die neuere Geschichte der evangeli- schen Kirchenmusik ist ohne Max Reget kaum denkbar. Gleichwohl bekannte dieser bis zu seinem Lebensende, er sei ,,katholiiCh bis in die Fingerspitzen". Diese inneren Spannungen fanden iIu:en Ausgleich in der Musik. Die großen Choral- fantasien Regers, etwa die über den "Mar- genstern" oder das "Wachet auf, ruft uns die Stimme" wurden zu Schlüsselwerken der neueren Orgelkunst. Thre Botschaft hat die Grenzen der Konfessionen weit hinter sich gelassen. An packender Wirkung haben sie bis heute nichts verloren. Regers Choral- bearbeitungen, die Orgelwerke, die reiche K1aviermusik, seine noch zu entdeckenae Vokalmusik oder das hinreißende Klarinetten- quintett, Regers letztes vollendetes Wcik, sind einzigartige .Dokumente einer äußerst verfeinerten musikalischen Kunst zu Beginn unseres Jahrhunderts, unmittelbar vor dem Umbruch zu einer vollständig neuen Ton- sprache. Die Beschäftigung damit wird eine Herausforderung CUr jede Musikergeneration bleiben. Das Max-Reger-Institut in Karlsnihe könnte diese Musik am Aufbruch zur Modeme, die Zeit zwischen Brahms, Strauß, Mahler und Schönberg, neu in den BliCk rücken. Baden-Württemberg besitzt zur zeit nur ein musikwissenschaftliches Forschungs- institut (Edition "Neue Schubert-Ausgabe"iin Tübingen). mit einem Max-Reger-Institut !in Karlsruhe entstünde auch im badischen Landesteil ein Forschungszentrum, dem internationale Beachtung sicher wäre. Andreas SchrIJder 1017 Der Hofkapellmeister Felix Mottl in Karlsruhe Als Felix Mottl 1880 nach Karlsnilie berufen wurde, konnte man kaum ahnen, daß der vierundzwanzigjährige Hofkapellmeister, Schüler von Anton Bruckner und Otto Dessoffin Wien, der gerade die Uraufiuhrung seiner ersten Oper "Agnes Bemauer" unter der Protektion von F ranz Liszt in Weimar geleitet hatte, in wenigen Jahren zu einem der bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit aufstei- gen würde. In dem Vierteljahrhundert seiner Karlsruher Ära entwickelte sich die Badische Hofoper zu einer der führenden Bühnen Europas. Mottl konnte hierbei an das Wirken einiger hervorragender Vorgänger anknüp- fen. Joseph Strauß, tätig von 1824 -1863, hatte die Hofkapelle zu einem leistungsfahigen sinfonischen Klangkörper geformt. Über ihn schrieb Richard Wagner, der ihn bei einer Karlsruher " Lohengrin" -Aufiuhrung erlebt hatte: "Dun gehorchte alles wie einem Manne, der keinen Spaß versteht." Mit seinem Nachfolger Hermann Levi"leitete zum ersten Mal ein Dirigent moderner Prägung das Karlsruher Orchester. Unterstützt vom inten- danten Eduard Devrient pflegte Levi das große klassische Repertoire und fuhrte in den Sinfoniekonzerten die Werke seines Freundes Johannes Braluns auf. Der Komponist war damals als Klaviersolist und Dirigent seines "Deutschen Requiem" häufiger Gast in der Badischen Residenz. Otto Dessoff, Hofkapellmeister von 1875 bis 1880, vorher Dirigent der Wiener Phil- harmonischen Konzerte, setzte den Kontakt zu Braluns fort und dirigierte im Abonnements- konzert am 4. November 1876 die Urauffiih- rung der Ersten Sinfonie in Anwesenheit des Komponisten. Der Nachfolger Felix Mottl hatte sich schon während seines Studiums in Wien fur Wagner begeistert und mit 17 Jah- 168 ren einen Richard-Wagner-Verein gegründet, in dem er mit Hans Paumgartner, dem Vater des bekannten Salzburger Mozart-Biogra- phen, den ersten Akt der "Walküre" an zwei Flügeln auffiihrte. In Wien durfte er dem Komponisten bei den Einstudierungen von "Tannhäuser" und "Lohengrin" as~istieren. Für das Festspieljahr 1876 engagierte Wag- ner Mott! als Notenschreiber der Bayreuther "Nibelungen-Kanzlei" und musikalischen Assistenten. Bereits !O Jahre später dirigierte er bei den Festspielen Auffiihrungen von "Parsifal'~ und "Tannhäuser". Die außerordentliche Ausstrahlung des Dirigenten Mottl wird von allen Zeitungen gerühmt. Am Pult identifizierte er sich völlig mit dem Werk und verausgabte sich bis zum Äußersten. Er hatte die Fähigkeit, alle Mit- wirkenden mitzureißen und über sich selbst hinauswachsen zu lassen. Als späterer Direk- tor der Münchner Akademie muß er eine faszinierende Wirkung auf die Studenten ausgeübt haben. Der Komponist Walter Braunfels, der bei ihm an der Münchner Oper assistierte, hat in einem Nachruf Mottls Künstlerpersönlichkeit treffend charakteri- siert: "Eine einzigartige Vitalität lag in diesem Manne, alle Lebensreize prickelten in ihm, und wie aus einem Dämon sprudelte ihm bei jeder Gelegenheit seine ungemeine Begabung hervor. Seine Bewegungen waren von einem unbeschreiblichen Ausdruck, trafen das Wesentliche einer Stelle so bestimmt, daß die Geste selbst gleichsam zum neuen Einfall wurde, der wie ein Blitz Ausfuhrende wie Hörer erleuchtete." Sicher war die Veranlas- sung einer solch ungemein plastischen Zeichengebung auch die Tatsache, daß da- mals viel weniger als heute probiert wurde, manche Vorstellungen nach langer Pause wieder aufgenommen wurden und der Diri- gent die richtige Spielweise sowie den ent- sprechenden Ausdruck im Augenblick for- dern mußte. Die Aufführungen in dem .on Heinrich Hübsch erbauten Hoftheater neben dem großherzoglichen Schloß hatten ihre beson- dere Atmosphäre. Die Zuschauer kamen zu den Vorstellungen mit der Kutsche oder zu Fuß über den Schloßplatz. Der städtische Betrieb lag weitab, und man ließ sich innerlich erheben vom glanzvollsten festli- chen Geschehen, das eine städtische Residenz ihren Bürgern damals bieten konnte. Die Karlsruher Gesellschaft saß im Parkett, auf den unteren Rängen und in den Logen, die Schüler und Studenten auf dem vierten Rang, wo damals der Platz nur 50 Pfennig kostete. In den Pausen promenierte man unter den Kastanien des Schloßplatzes oder am Teich im Botanischen Garten. Mit dem Solisten- ensemble, bei dem es wenig Wechsel und nur selten Gastspiele gab, war das Publikum wohl vertraut. Ein ganz außergewöhnliches Ereig- nis war es, wenn der berühmte Bariton Francesco d' Andrade den Don Giovanni sang oder wenn im Schauspiel die große Eleonora Duse mit ihrem italienischen Ensemble als Kameliendame auftrat. Der junge aufstrebende Mottl hatte das Glück, daß die beiden Intendanten, die in seiner Ära das Theater leiteten, Edler zu Putlitz bis 1889, danach Albert Bürcklin, ihm weitgehende künstlerische Freiheit ließen und seine ehrgeizigen Intentionen unterstützten. Während im Schauspiel die klassischen Dramen von Goethe, Schiller und Shake- speare gespielt wurden, standen in der Oper jährlich etwa 40 verschiedene musikalische Werke auf dem Repertoire, wobei Mottl mei- stens selbst dirigierte, dazu die sechs Abon- FelixMolI1 injilngeren Jahren in Karlsrnhe. nementskonzerte im Museum leitete und zudem bei den vier Kammerkonzerten im Foyer des Theaters häufig als Pianist und Liedbegleiter mitwirkte. Mottl wagt Wagners Werke ·.w.·.w .• ·._·_".w •. W.·_~.vN.W' .~_ Mottls jährliches Auftreten als Bayreuther Festspieldirigent und die damit verbundene internationale Reputation stärkten seine Position gegenüber dem Badischen Hof. Seine Vorliebe fiir die Bühnenwerke Richarll Wagners wurde von Großherzog Friedrich ~ . unterstützt. Dieser hatte schon 1861 versucht, durch die geplante Uraufführung von "Tristan und Isolde" den Komponisten ganz naCh Karlsruhe zu ziehen, was sich zerschlug, wcll der damalige Intendant Devrient das Weslk ablehnte. Im Dezember 1884 konnte Mottl die Oper erstmals in Karlsruhe aufführen. Das Karlsruher Publikum hatte damals nodh 169 Schwierigkeiten, Wagners neue chromatische Tonsprache zu verstehen; so wurde hier der Schüttelreim geprägt: Geh doch nicht in Mott!' s T ristan und hör dir dieses Trotte!'s Mist an! Schaff' dir lieber ein Drittel Most an und trink dir mit diesem Mittel Trost an! Schon im März 1883 hatte Angelo Neu- manns reisende Wagnerbühne unter der musikalischen Leitung von Anton Seid! mit dem gesamten "Ring der Nibelungen", im Karlsruher Hoftheater gastiert. Sicher schmerzte es damals Mottl, daß nicht er, sondern sein Bayreuther Kollege aus der Nibelungen-Kanzlei von 1876 den ersten "Ring" in Karlsruhe dirigierte. Jedenfalls begann er kurz danach mit der Einstudierung des "Rheingold" , und in jährlichem Abstand folgten die drei weiteren Abende. Dadurch konnte er ab 1888 den "Ring" geschlossen auff'Uhren und in jeder Saison meist zweimal bringen. Jeweils im Sommer zogen zu den Bayreuther Festspielen mit Mott! etwa 15 Orchestermusiker, eine ebenso große Gruppe von Chorsängern und einige Solisten. Die enge Verbindung der Badischen Hofoper mit Bayreuth veranlaßte Cosima Wagner, zu häufigen Besuchen hierher zu kommen, Sänger anzuhören und Spielplan-Konferen- zen flir die Festspiele mit Mottl und Levi abzuhalten. Im Frühjahr 1889 wirkte sie mit bei der Einrichtung fur die Erstauffiihrung des "Rienzi" und half regielich bei der szenischen Wiedergabe der " Legende der Heiligen Eli- sabeth" ihres Vaters Franz Liszt. Ihr Sohn Siegfried studierte zwei Semester Architektur am Karlsruher Polytechnikum und wurde durch die Auff'uhrungen unter Mottl be- stimmt, sich ganz der Musik und dem Theater zuzuwenden. Neben den Musikdramen Wagners pflegte 170 Mottl die Werke Mozarts sOWIe die ita- lienische und französische Oper. Unter seiner Leitung erschienen ersbnals Verdis "Tra- viata", " Rigoletto" und "Falstaff" auf dem Spielplan, aber auch Bizets "Carmen". Seine besondere Vorliebe galt den Werken von Hector Berlioz, der sich damals in Paris noch nicht durchgesetzt hatte. Als Urauffiihrung dirigierte Mottl 1890 an zwei Abenden "Die Trojaner"; drei Jahre später bracl]te er in einem Berlioz-Zyklus von vier Abenden auch "Benvenuto Cellini" und "Beatrice und Bene- dict", eine ungeheure Leistung des Hof- theaters, das damit internationales Echo fand. Der französische Komponist Emanuel Chabrier wurde Mottls Freund durch die hiesigen Erstauff'lihrungen seiner Opern "Gwendoline" und " König wider Willen". Motd berichtete darüber Cosima Wagner. Chabrier sei in geradezu demonstrativer Weise gefeiert worden; der Großherzog betrachte ihn als Friedensbotschafler, da er die Harmonie mit sich bringe. Alle neuen Projekte beriet Mottl mit seinem Karlsruher Vorgänger und väterlichen Freund, dem Münchner Hofkapellmeister Hermann Levi, mit dem er bei den Bayreuther Fest- spielen zusammenarbeitete. Bei manchen Novitäten rivalisierten die beiden um die Urauff'uhrung, und oftmals war Mottl in Karlsruhe der Münchner Oper um Nasenlän- ge voraus. So verbreitete sich ab Ende der Achtziger Jahre der Ruf der Badischen Hofoper in musikalischen Fachkreisen, und bedeutende Musiker kamen von weither, um die vielgerühmten Auff'uhrungen unter Mottl zu hören. Dieser erhielt viele ehrenvolle Einladungen, unter anderem, mit seinem Ensemble in Brüssel und London zu gastie- ren. Bernard Shaw schrieb in einer Musik- rezension, das Londoner Orchester solle sich die Auff'uhrung des" T annhäuser" unter Mottl in Karlsruhe zum Vorbild nehmen. In einer Besprechung über Mottls Interpretation des Festhalle Knrlsruhe. 8 Abonnem.ents-Konzerte ,,, Gpossh. HofopohesteJ:. (t;trstärkt durch Cluswärligt Künstler). Mittwoch den 14. Oktobar 1903. Solist: Herr Hofollernsänger Karl Burrian (Dresden), Gemischter Chor: Geladene Damen und Herren, Hoftheaterchor, uDttr Leitung des Rem Generalmusikdirektors Fellx Uottl. PROGRAMM. 1. Eine Faust-Ouverture ' Ge,,;:brieben m Puu lMO. umprbtiUt ill Zlilkh. JIIIU1!' I~. I Du O«t.. drr lIIir Im Bu.o wobllt, KUli tier mein lnnenu. enq"e" : D,... tlber . neo lIIeUMn !:rlttlll thront, :Er bnn Dach I11utn nichta be"ttea: Lad to ilt mir du lJl"", eint lA3t Der Tod trw1lntc.lll, du Leben mir urlusat. (GQ~lht.J 2. Vorspiel zum S. Akt und Gebet >U9 der Oper "Rienzi. der Rich. Wagner. letzte der Tribunen" . . . . . Rich. Wag""'. 3. Der 13. Psalm (für TfIlOr-Solo, Cbor und Orchester) Fronz Lud. 4. Siebente Symphonie (A-d .... 'p. 92) L. v . .&aho"",. I . PICO I"t ... t, • Viv ... , b. All"""", Co , .... t.. d. AW •• ,.. _ ..... Aaraq 7 11. 1,J.r. EH. cecen 0 liltr. Erlft" ........ 1[ ..... '7 tJhr. All, rJltrln.lart.a,. 0 ... 2 , ,.., 11M. ............... """""j ..................... ,..,....... . . _-... _b-I .. ~ ... ~·~ .. ~-~~·~~:t~.~~n:~-: v..-.............. ... ' .• $ 7 ...... Wu.r..... P .. .- n ........... .. ,.... rr .... _ .... ,_& 17l Vorspiels zu "Lohengrin" las man über den Dirigenten: "Sein Beschwören, Anflehen, Abwehren, Drängen, würden Herzen von Stein erweicht haben." In den Konzertprogrammen brachte Mottl neben der klassischen Sinfonik von Haydn, Mozart, Beetboven und Schubert die neuen Orchesterwerke von Smetana, dirigierte aber neben Wagner und Bruckner auch die Sin- fonien von Brahms. Die Abonnements- konzerte im Museum gewannen an Bedeutung durch das Erscheinen der damals berühmten Solisten, den Pianisten Eugen d' Albert, Ferruccio Busoni und Max Paur, den Geigern Leopold Auer und Eugene Y saye. Zu den seltenen Gastdirigenten zählteRichard Strauss, der hier 1891 seine sinfonische Dichtung ,,Aus Italien" und 1902 seinen "Till Eulen- spiegel" dirigierte. Strauss hatte sich mit Mottl in Bayreutb angefreundet, wo er ihm bei den Einstudierungen von "Tristan" und "Tannhäuser" assistierte. Siegfried Wagner leitete 1903 ein Konzert mit Werken von sich und seinem Vater. Seine Oper "Der Bären- häuter" hatte Mottl kurz nach der Münchner Uraufftihrung 1899 in Karlsruhe einstudiert. Star im neuen Konzertsaal --~._--, Ab 1897 fanden die Sinfoniekonzerte in der am Rand des Stadtgartens neu erbauten Festballe statt. Mottl weihte den wegen seiner hervorragenden Akustik vielgerühmten Kon- zertsaal mit einer Auffiihrung des Requiems von Berlioz ein, wobei die 20 Pauken auf die vier Ecken des Saales verteilt waren. Unter Mitwirkung des schon 1861 von Wilhelm Kalliwoda gegründeten Philharmonischen Vereins konnte nun Mottl hier große Chorkonzerte mit Beetbovens "Missa Solem- nis", "Fausts Verdammnis" von Berlioz und dem "Liebesmahl der Apostel" von Wagner veranstalten. Die "Matthäus-Passion" von J. S. Bach führte er mit 600 Chorsängern und 172 einem zusätzlichen Knabenchorvon 120 Mit- \virkenden auf. Außerdem wurde die Hof- kapelle durch externe Musiker und Volontäre verstärkt. Gelegentlich dirigierte Mottl eigene Kom- positionen, wie sein Ballett "Pan im Busch". Bei der Premiere seines Einakters "Fürst und Sänger" stellte er 1893 dem Karlsruher Publi- kum in der weiblichen Hauptrolle die aus Wien stammende Sopranistin Henriette Standhartuer als seine Frau vor. Um den Diri- genten hier zu halten, wurde sie als En- semblemitglied verpflichtet, und Mottl erhielt den damals selten verliehenen Titel "General- musikdirektor" . Seine Jljhresbezüge waren von anflinglich viertausend auf ftinfzehn- tausend Mark gestiegen. Er zog nun von seiner Wohnung in der Belfortstraße 21 in ein Haus mit Vorgarten in der Westendstraße 44. In Wien, München und Berlin versuchte man mehrfach, den berühmten Karlsruher Dirigenten abzuwerben, doch stets gelang es dem Großherzog, Mott! durch großzügige Urlaube und Erhöhungen der Gage zu halten. Indessen kam es im Herbst 1903 zu einem ersten Konflikt, der zur Trennung fUhrte. Mottl nahm eine Einladung an die New Yor- ker Metropolitain Oper an, bevor er die offi- zielle Genehmigung seines halbjährigen Ur- laubs in der Tasche hatte. Mit der Aussicht, während 6 Monaten in Amerika soviel zu verdienen wie in Karlsruhe in 10 Jahren, trat er die Seereise an. Zum 15. Oktober 1903 wurde Mottls Vertrag als Großherzoglieh Badischer Hofkapellmeister gelöst, nachdem er eine Woche zuvor eine Gesamtauffiihrung von Wagners "Ring" und "Meistersinger" sowie das erste Abonnementskonzert geleitet hatte. Als letztes Auftreten in Karlsruhe dirigierte er dazu noch ein Konzert mit vier Kantaten von J. S. Bach in der Christuskirche. - In diesen Wochen wurde durch den plötzlichen Tod von Hennann Zumpe die Position des Bayerischen Hofkapellmeisters vakant, und Mottl, dem die offizielle Entlassung nachge- schickt worden war, konnte bei der Rückkehr aus New York sofort seine neue Position in München antreten. So verließ Mottl ohne einen festlichen Abschied die Stadt, in der er 23 Jahre unermüdlich und mit weltweiter Resonanz gewirkt hatte. Nach München _.~.~ .. _~~==_.~._~ Als Folge seiner rastlosen Tätigkeit und einer unbändigen Intensität, mit der er sich beim Dirigieren verausgabte, hatten sich schon frühzeitig bedrohliche Anzeichen eines Herzleidens gezeigt. Die in München zu- nehmenden Beschwerden beachtete er nicht, erweiterte im Gegenteil seine beruflichen Verpflichtungen als Operndirektor und Leiter der Akademie neben Auslandsgastspielen. Nachdem er im II. Akt einer "Tristan"- Auffiihrung zusammengebrochen war, starb er wenige Tage später, am 2. Juli 1911, kaum 55 Jahre alt. Noch auf dem Totenbett ließ er sich mit seiner zweiten Frau, Zdenka Faß- bender, trauen, die er schon 1900 als dra- matische Sopranistin nach Karlsruhe enga- giert hatte und die ihm nach München gefolgt war. Seit dem Wirken Mottls in Karlsruhe ist ein ganzes Jahrhundert vergangen; seine Spuren sind verweht. Die Räume, die er mit seinem begnadeten Musizieren erfullt hatte, sind im letzten Krieg in Schutt und Asche gesunken. Es bleibt aber das Beispiel einer einzigartigen Persönlichkeit, die in den zwei Dezennien ihrer besten Jahre das künstlerische Profil der Stadt Karlsruhe geprägt hat und der Gene- ration unserer Großeltern kostbare Augen- blicke höchster Beglückung schenkte, Mo- mente des Außergewöhnlichen, nach denen wir uns als Angehörige einer nüchternen Umwelt mit nostalgischer Wehmut sehnen. FrilhjofHaas 100 Jahre Karlsruher Künstlerbund Fortschrittliche KÜllstlervereinigung 1896 gegründet Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich in den europäischen Kunstzentren Künstlervereinigungen, die sich als Sezessio- nen bezeichneten. In der Regel stellten sich die Sezessionen in Opposition zu den in den Kunstakademien verwurzelten Künstlern und zu den von staatlicher Seite befurworteten Kunstnormen. Dagegen forderten sie die sich frei entfaltenden Künstler, von denen viele nach einem individuellen, der Modernität verpflichteten Stil strebten. Die früheste Sezession entstand 1884 in Paris. Dort schlossen sich die Impressionisten in der Societe des Independants zusammen. In Deutschland spalteten sich die Sezessionen von der Allgemeinen Deutschen Kunstgenos- sensehaft ab, die seit 1856 Standesvertretung der Künstler war und sich die Förderung der nationalen Kunst zur Aufgabe gemacht hatte. 1892 wurde die Münchner Sezession gegrün- det. Im selben Jahr begann die Spaltung der Berliner Künstlerschaft. 1897 entstand die Wiener Sezession. Im Karlsruher Lokalverein der Kunst- genossenschaft standen sich Ende des 19. Jahrhunderts zwei Gruppen gegenüber. Im Gegensatz zu den anderen Kulturzentren verlief in der badischen Residenz der Bruch nicht zwischen den Vertretern der Akademie und den freien Künstlern, sondern innerhalb der Kunstakademie. Die Exponenten der bei- den Gruppen waren die Professoren Ferdi- 173 nand Keller und Leopold Graf von Kalck- Ir reuth. Zwei gegensätzliche Grup,.",pe=. n~ _ _ Ferdinand Keller erhielt in den 1860er Jahren in Karlsruhe seine künstlerische Ausbildung. 1854 war auf Initiative des Regenten und späteren Großherzogs Fried- rich I. in der badischen Residenz die Kunst- akademie gegründet worden. Zunächst war die Landschaftsmalerei im Mittelpunkt des Lehrplans gestanden, doch hatte sich bald auch die Historienmalerei etabliert. Im Jahr 1873 übernahm Keller die Professur fur Historien- und Porträtmalerei, die er bis 1913 innehatte. Keller wurde an der Karlsruher .1 Kunstakademie Hauptvertreter des Figuren- Leopoldv. Kalckreuth, 1855-1928, Selbstbildnis. fachs und erwarb sich darüber hinaus den Ruf eines der fithrenden deutschen Historien- malers der Gründerzeit. Sein virtuoser Malstil war an der aufwendigen Kunst des Barock geschult. Großartige Kompositionen und eine koloristische Ausftihrung sind rur seine Werke charakteristisch. Kellers Karls- ruher Hauptwerk ist das bis 1879 im Auftrag des Großherzogs rur die Kunsthalle geschaf- fene Kolossalgemälde mit der Darstellung des Markgrafen Ludwig WilheIm, des "Tür- kenlouis" , in der Schlacht bei Salankamen. Leopold Graf von Kalckreuth stammte aus Düsseldorf und war nach .einer Lehrtätigkeit in Weimar als freischaffender Künstler tätig. Er war Mitglied der Münchner Sezession. 1895 wurde er als Professor an die Karlsruher Kunstakademie berufen. Kalckreuth zählte zu den frühen deutschen Vertretern der natu- ralistischen Freilichtmalerei. Daneben setzte er sich intensiv mit Drucktechniken auseinan- der, besonders mit der Lithographie. Kalck- reuth stand in freundschaftlichem Kontakt zu Alfred Lichtwark, der als Direktor der Ham- burger Kunsthalle einer der bedeutendsten Förderer der deutschen Avantgarde und der 174 zeitgenössischen graphischen Künste war. Es waren nicht die unterschiedlichen Kunstauffassungen, die Kalckreuth und Kei- ler trennten. Denn in Karlsruhe vertraten mehrere Künstler Malweisen, die der Kellers entgegengesetzt waren, ohne daß sie mit ihm in Konflikt gerieten. Hier sei nur Gustav Schönleber genannt, der in der Tradition der Münchner Freilichtmalerei stand und seit 1880 an der Karlsruher Akademie Professor rur Landschaftsmalerei war. Andererseits op- ponierte Keller nicht nur gegen Kalckreuth. So verhinderte er, daß der Hamburger Fried- rich Kalhnorgen, der 1881 nach Karlsruhe gekommen war, an der Akademie angestellt wurde. Der Freilichtmaler und virtuose Zeichner Kallmorgen konnte sich dennoch in Karlsruhe etablieren. Er wurde Vorsitzender des Lokalvereins der Kunstgenossenschaft und war 1889lnitiator der Grötzinger Maler- kolonie, als er sich in dem Karlsruher Vorort ansiedelte. Während Keller mit der Kar1sruher Kunst- landschaft offensichtlich zufiieden war, strebte Kalckreuth nach Erneuerungen. Er wollte vor allem die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten der Künstler verbes- sern. Denn seit Jahren gab es eine Überpro- duktion von Gemälden und Bildwerken, und gleichzeitig war die wirtschaftliche Lage besonders der jungen Künstler schlecht. Kalckreuth set7te auf die graphischen Künste und home, mi: ihnen neue Käuferschichten heranziehen zu können. Denn die in Auflagen gedruckten Graphiken waren im Vergleich zu künstlerischen Originalen sehr preisgünstig. Kalckreuths Initiative forderte die Abwen- dung vom idealen Künstlerbild, bot aber auch eine Antwort auf ökonomische Fragen. Die Künstlergruppe um F. Keller, zu der Caspar Ritter und Carl Schurth gehörten, war gegen den Wandel. Kalckreuth fand jedoch die Förderung Friedrichs 1., der offensichtlich erkannt hatte, daß Veränderungen notwendig waren. Mit Unterstützung des Großherzogs konnte Kalckreuth an der Karlsruher Akade- mie eine Lithographie-Klasse einrichten und seinen Schüler Carl Langhein als Assistenten einstellen. Die Spaltung 1896 ~~- ---~- In dieser Zeit der Veränderung, im Frühjahr 1896, kam es zur Spaltung der Karlsruher Künstlerschaft. Anlaß war die Jurierung der Kunstwerke, die Karlsn"'e auf der Großen Berliner Kunstausstellung desselben Jahres vertreten sollten. Eine aus Mitgliedern des Lokalvereins der Kunstgenossenschaft zu- sammengesetzte Jury hatte die Bilder fiir Berlin ausgewählt. Ihre Entscheidung wurde jedoch von den Unzufriedenen und Zurückge- wiesenen heftig kritisiert. Man warf der Kommission unsachliches Handeln und die Bevorzugung eigener Werke vor. Diesen Vorwurf wies die Jury auf einer Generalver- sammlung am 16. April 1896 zurück. Doch konnte der Streit nicht geschlichtet werden, FriedrichKallmorgen, 1856-1924, Selbstbildnis. und die Versammlung endete mit dem Austritt der 24 Jurymitglieder. Der Lokalverein der Kunstgenossenschaft verlor auf diese Weise viele seiner angesehensten Mitglieder. Neun Tage später, am 25. April 1896, konstituierten die Ausgetretenen die Sezessi- on und nannten sie Karlsruher Künstlerbund. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Julius Bergmann, Carlos Grethe, Robert Poetzelberger, Georg Tyrahn und Hans von Volkmann. Außerdem waren Künstler der Grötzinger Malerkolonie, Schüler des Land- schaftsmalers Gustav Schönleber (der erst 1897 beitrat) und andere Anhänger der Frei- lichtmalerei dabei. Als erster Vorsitzender wurde Friedrich Kallmorgen gewählt. Leo- pold Graf von Kalckreuth wurde zweiter Vorsitzender. Der Künstlerbund machte sich die Pflege der hohen Kunst zur Aufgabe und strebte gleichzeitig danach, den Ausbau des Karlsruher Kunstlebens gemeinnützig und den Zeitverhältnissen angemessen voranzu- treiben. Kalckreuth war nicht nur der fiihrende 175 Kopf, sondern wohl auch der Namensgeber der Karlsruher Sezession. Er scheint eine Vorliebe fiir die deutsche Bezeichnung "Bund" gehabt zu haben, die an den histo- rischen Bundschuh und an den Bauernbund erinnert. Der KÜDstlerbund beeilte sich jedoch bekanntzugeben, daß er - im Ge- gensatz zu diesen Namensvettern - nicht umstürZlerisch gesinnt war, sondern rein künstlerisch agieren wollte. Er war loyal gegenüber dem großherzoglichen Haus, dem er stets seine Pläne unterbreitete, und be- mühte sich um die Protektion des Großher- zogs fUr seine Unternehmungen. Auch sein Verhälbtis zum Lokalverein der Kunst- genossenschaft war im großen und ganzen unproblematisch. Gemeinsame Ausstellun- gen im Badischen Kunstverein waren über viele Jahre hinweg üblich. Kalckreuths Bestrebungen zur Förderung der Druckgraphik wurden in den Karlsruher Künstlerbund eingebracht. Sein Assistent Langbein gründete 1897 eine eigene Drucke- rei. Sie f1nnierte als "Steindruckerei von earl Langbein, Kunstdruckerei fiir den Künstler- bund Karlsruhe". Ziel des Unternehmens war die Pflege der künstlerischen Lithographie, die Vennittlung der Kunst an breite Be- völkerungsschichten und die Schaffung neuer Absatzgebiete fiir die Karlsruher Künstler. Noch im Gründungsjahr wurde Langbeins Unternehmen an die G . . Braun'sche Hof- buchdruckerei verkauft und erhielt die Bezeichnung "Kunstdruckerei Künstlerbund Karlsruhe". Mit dem Verkauf wurde die Herstellung hochwertiger Druckgraphiken auf eine ökonomisch solide Basis gestellt. Neben Lithographien wurden bald auch Holzschnitte und Radierungen gedruckt. Der Badische Kunstverein in Karlsruhe war regelmäßiger Abnehmer von Graphikmappen der Kunstdruckerei, in denen Werke von drei oder vier Künstlern zusammengefaßt waren. Zwischen 1904 und 1914 und dann noch 176 einmal 1919 gab er solche Mappen als Jahresgaben fiir seine Mitglieder aus. Der Karlsruher Künstlerbund bemühte sich intensiv darum, die Kunst seiner Mitglieder weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekanntzumachen. Er bereitete seine kollekti- ven Beteiligungen an nationalen und interna- tionalen Ausstellungen mit großer Sorgfalt vor. Schon zur Wiener Aquarellistenaus- stellung von 1896 schrieb ein Rezensent: "Einen überraschend frischen Zug brachten die farbigen Lithographien des Karlsruher KÜDstlerbundes, der als geschlossene Gruppe auftritt und sich sehr kräftig von der sonstigen ( ... ) Ausstellung abhebt." Im Jahr 1899 schlug sich das positive Auftreten des Karlsruher Künstlerbundes auf einer Ausstel- lung in Dresden in sechs Auszeichnungen nieder. So wurde er erfolgreicher als der Karlsruher Lokalverein der Kunstgenos- senschaft. Die Kunsterziehungsbewegung __ ·H.-·· --_······ xv>: Neben den Ausstellungserfolgen waren es vor allem Abhandlungen in überregionalen Kunstorganen, die den guten Ruf des Karls- ruher Künstlerbundes ausmachten. Hier sei der Beitrag von Woldemar von Seidlitz in der avantgardistischen Zeitschrift "Pan" hervor- gehoben. Er erschien bereits 1897 und ging - einmal mehr - auf eine Initiative Kalckreuths zurück. Dieser hatte seine Freundschaft mit Alfred Lichtwark genutzt, um den Artikel zu plazieren. Lichtwark und Seidlitz waren auch Förde- rer der deutschen Kunsterziehungsbewegung, deren Ziel die künstlerische Erziehung und sittliche Erneuerung des Volkes war. Ende 1900 beschloß der Karlsruher Künstlerbund, dieser Bewegung beizutreten. Auf dem I. Deutschen Kunsterziehungstag, der im dar- auffolgenden Jahr in Dresden stattfand, stellte die Karlsruher Kunstdruckerei ein Verlags- programm mit dem Titel "Wandschmuck !Ur Schule und Haus" vor. Angeboten wurden Drucke in verschiedenen Formaten und passenden Wechselrahmen. Der fmanzielle Erfolg des Unternehmens wurde im Mai 1901 gesichert, als der Karlsruher Künstlerbund bei den renommierten Leipziger Verlagen Voigtländer und Teubner unter Vertrag ging eine Entscheidung, die mit Genehmigung des Großherzogs erfolgte und bald alle anderen Aktivitäten des Künstlerbundes in den Hintergrund drängte. Die beiden Verlage organisierten fortan den Vertrieb der Karlsru- her Drucke. Dies bedeutete zwar die Kom- merzialisierung der Produktion und verur- sachte ein Nachlassen der künstlerischen Originalität, ermöglichte aber den meisten Mitgliedern des Künstlerbundes den Broter- werb. Bebilderte Kataloge informierten über das Angebot. Die Preise fur eine Grafik lagen zwischen 15 und 50 Mark. Plakate wurden schon !Ur drei Mark angeboten, Original- lithographien in Postkartengröße gab es ab einer Mark. Hergestellt wurden auch künstle- risch gestaltete Glückwunsch-, Tisch- und Tanzkarten, die nur wenige pfennige koste- ten. Kalckreuth verließ die badische Residenz schon im Jahr 1900, um Direktor der Kunstakademie Stuttgart zu werden. Der Karlsruher Künstlerbund war zu diesem Zeitpunkt etabliert und blieb in seiner Struktur unangefochten, bis nach dem Ersten Weltkrieg die nächste Generation der Künst- lervereinigung heranwuchs. Von diesen sei nur die avantgardistische Gruppe Rih ge- nannt, die 1919 gegründet wurde. Die in- flation raubte dem Künstlerbund den fmanzi- ellen Rückhalt. Sein Ende kam 1933, als er im Zuge nationalsozialistischer Gleichschaltung vom Reichsverband bildender Künstler Deutschlands, Gau Südwest, vereinnahmt wurde. Jutta Dresch Wie kommt das Bild in die Kaserne? "Und er hatte einen Traum ... " So könnte die Gründungslegende der Stadt Karlsruhe märchenhaft beginnen. Den meisten Karlsru- hern dürfte bekannt sein, wie von dem Jagdausflug des Markgraten Karl Wilhelm in den Hardtwald erzählt wird: Auf der Rast sei er eingeschlafen und habe von einem Schloß geträumt, viel schöner als Durlach, mit Strahlen wie eine Sonne. Daraufhin soll er beschlossen haben, an dieser Stelle seine neue Residenz zu gründen. In Karlsruhe gibt es eine Darstellung die- ser Legende, die in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist. Es handelt sich um ein Majolika- Wandbild im Speisesaal des Unteroffiziers- casinos in der Grenadierkaserne an der Moltkestraße, das 1938 von dem Keramiker Gustav Heinkel angefertigt wurde. Ende letz- ten Jahres hat die Stadt Karlsruhe beim Landesdenkmalamt angefragt, ob das Wand- bild aus seinem baulichen Zusammenhang herausgenommen und an einem anderen Ort neu montiert werden könnte. Da das Wand- bild Teil des Kulturdenkmals Grenadier- kaserne ist, kann es nicht ohne weiteres ent- fernt werden. Allerdings gehört es nicht zur Original ausstattung des 19. Jahrhunderts, weshalb sich die inhaltliche Zusammengehö- rigkeit von Bild und Gebäude nicht von selbst ergibt, sondern begründet sein will. So galt es, eine Antwort zu fmden auf die Frage: Wie kommt das Bild in die Kaserne? Die Grenadierkaserne entstand in den Jah- ren ab 1892, unmittelbar im Anschluß an die 177 Bauarbeiten an der benachbarten Kadetten- anstalt und gleichzeitig mit der Dragoner- kaserne an der Kaiserallee. In den Baumaß- nahmen spiegelt sich die Bedeutung Karlsru- hes als größte badische Garnisonsstadt wi- der. In der Grenadierkaserne wurde das am 16. März 1936 nach Einfuhrung der allge- meinen Wehrpflicht neu gegründete Infante- rieregiment 109 zunächst behelfsmäßig un- tergebracht. Die bauliche Instandsetzung die- ser und auch anderer alter Kasernen ging zügig voran. Gleichzeitig wurde überall im Gebiet der ehemaligen 50-km-Zone mit dem Bau neuer Kasernen begonnen. Innerhalb weniger Jahre entstanden neue Anlagen, bei denen trotz aller Zweckmäßigkeit und Ein- fachheit doch auch Wert auf baukünstleri- sche Qualität gelegt wurde. Schließlich re- präsentierte sich die Armee nicht zuletzt auch durch die Militärbauten. Die Heeresbaudienst- stellen konnten sich auf einen Erlaß des Reichs-ministers für Volksaufk)ärung und Propaganda von 1934 berufen, der die Auf- tragsvergabe an bildende Künstler und Kunst- handwerker bei Bauaufgaben der Staatshoch- bauverwaltung regelte. So wurden auch bei Militärbauten mit der Ausschmückung Ma- ler, Bildhauer und Kunsthandwerker beauf- tragt. Besonders beliebt war die I..'Ünstleri- sche Ausstattung der Speisesäle, die sich hier- für aufgrund der Raumgröße, des geselligen Charakters der Nutzung aber auch durch die regelmäßige Frequenz eines Großteils der Sol- daten besonders anboten. Die großformati- gen Bilder zeigten Szenen aus dem Soldaten- leben, wobei oft ein Bezug zum Standort oder zur stationierten Truppe gesucht wurde, da- neben waren auch Stadtansichten und Welt- karten beliebt. In Karlsruhe bot es sich an, mit der künst- lerischen Ausstattung öffentlicher Gebäude die Staatliche Majolika-Manufaktur zu be- auftragen. Bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung 1901 war hier die Baukeramik als 178 wichtiger Produktionszweig ausgebaut wor- den. Die Arbeiten erlangten schnell interna- tionalen Ruhm, und noch in den 20er Jahren gehörte die Majolika zu den Spitzenbetrie- ben. Eine veränderte Architekturauffassung fUhrte Ende der 20er Jahre zu einer Rückbe- sinnung auf die Gestaltungsmöglichkeiten von Wandbildern zum einen als Fliesenbilder, zum anderen aber entwickelten mehrere Künstler die neue Form der "Putzkeramik"; unregel- mäßig geschnittene Fliesen werden hier ent- weder nur glasiert oder auch bemalt zu gro- ßen Motiven zusanunengesetzt und in einen Putzgrund eingelassen. Neben August B!bberger (1885-1936) und Erwin Spuler (1906- 1964) war Gustav Heinkel einer der Hauptvertreter dieser Art von Baukeramik. 1907 in Karlsruhe geboren, absolvierte Heinkel 1923-25 eine Lehre als keramischer Maler an der Manufaktur. Seine künstlerische Ausbildung verfeinerte er durch ein halbjähriges Studium an der Landes- kunstschule Karlsruhe und die Mitarbeit im Atelier von Ludwig König. Später fand er Anregung in der gemeinsamen Arbeit im städ- tischen Atelierhaus in der Westendstr. 65 (heute Reinhold-Frauk-Straße) mit Künstlern wie Emil Sutor oder eben Erwin Spuler. Heiukels erste große selbständige Arbeit sind Putzkeramiken fUr das Bezirkskraukenhaus in ForbachJSchwarzwald 1932. Es folgten weitere wie z. B. das Wandbild im Bahnhof am Karlstor in Heidelberg. Als staatlicher Betrieb wurde die Manufaktur insbesondere in den 30er Jahren in inuner größerem Um- fang mit öffentlichen Aufträgen versehen. Gestützt wurde die Auftragsvergabe auch durch ideologische Sichtweisen. " Kunstwer- ke aus heimischer Erde" entsprachen ganz der aktuellen politischen Weltanschauung. In den Arbeiten der Manufaktur wurde " .. . ein Stück echter Heimatkunst (gesehen), der im dritten Reich wieder die ihr zukommende Be- achtung zuteil wird" ("Der Führer" 11. Mai 1937). Entsprechend stieg die Produktion an gegenständlich erzählenden und symbolischen Putzkeramiken nach 1933 rasch an. Heinkel entsprach mit seiner Darstellungsweise den formal und inhaltlich restaurativen Tenden- zen der 30er Jahre. Gerade auch in Kasernen begegnet man zahlreichen Putzkeramiken, die zum großen Teil von Gustav Hcinkel stam- men. Als weiteres Beispiel sei hier auf die Wandbilder im Hauptraum des Stabsgebäudes der Rheinkaserne in Karlsruhe-Knielingen hingewiesen. Vor der Kulisse des Speyrer bzw. Wormser Domes zeigen sie mittelalter- liche Szenen, die einen unmittelbaren Bezug zum Kaiserreich assoziieren. Pikanterweise spielen diese Szenen auf Schifibrücken. Hier drängt sich der Gedanke des Brückeschlagens auf, eine Brücke schlagen in das zu erobern- de Land - ein in der Kunstgeschichte immer wieder begegnender propagandistischer Topos - hier konkret die Überquerung des Rheins in Richtung Frankreich. Darüber hinaus besteht ein direkter Bezug zu dem hier stationierten Pionierbataillon, dem auch die sogenannte Brückenbaukolonne angehörte, die den Pio- nierhafen am Rhein als Wasserübungsplatz nutzte. Doch zurück zum Ausgangspunkt. Es wur- . de deutlich, daß die Putzkeramik im ehemali- gen Unteroffizierskasino der Grenadierkaser- ne viel mehr Informationen trägt, als sich aus dem Inhalt des Bildes alleine erschließen läßt, das künstlerische Qualität sowohl in farbli- cher als bildnerischer Qualität besitzt und souveränen Umgang mit der Technik erken- nen läßt. Gerade durch ihre Anbringung in der Kaserne wird von einem wichtigen histo- rischen Zeitabschnitt berichtet, die Wieder- besetzung der entmilitarisierten Zone 1936 wird gegenwärtig, die zur Instandsetzung al- ter Kasernen fiihrte, das Selbstbewußtsein der deutschen Armee wird spürbar. Wir er- fahren von den Anfangen der nach heute als "Kunst am Bau" existierenden staatlich~n Kunstforderung, die im Dritten Reich als In- strument zur Propagierung der neuen Welt- anschauung eingesetzt wurde, aber auch, wie durch diese Fördei-politik die Arbeiten der Karlsruher Majolika neue Möglichkeiten zur Entfaltung erhielten. Heimatverbundenheit 179 einerseits, wie sie in der Gründungslegende zum Ausdruck kommt, aber auch relativ un- verblümt dargestellte militärische Ansprüche, wie in den Bildern in Knielingen, sind The- men, die erst durch den Zusammenhang mit den Kasernengebäuden ihre Aussage ganz entfalten, die Motive fur uns heute nachvoll- ziehbar werden lassen. Es ist offensichtlich, daß dieses Bild, um seine geschichtliche Aus- sage bewahren zu können, in dem Kasino der Grenadierkaserne verbleiben muß. Die Grenadierkaserne steht seit dem Ab- zug des Französischen Militärs 1991 leer. Die Gebäude wurden 1994 vom Land ge- kauft, um hier ein BehördenzenIrum einzu- richten, doch aufgrund der Finanzlage geht die Umsetzung nur langsam voran. Auch das ehemalige Unteroffizierskasino steht seitdem leer. Das Wandbild zeigt mechanische Be- schädigungen, rundum blättert die Farbe von der Wand, eine baldige instandsetzung ist notwendig. Sicherlich wird in dem ehemali- gen Kasino eine Landesverwaltung unterge- bracht werden, doch ist zumindest der Spei- sesaal tur eine Büronutzung wenig geeignet. Eher wäre der Raum mit seiner großzügigen Durchfensterung und der weiträumigen Kup- pel als Seminarraum oder Vortragssaal sinn- voll, doch besteht daran nach dem bisherigen Nutzungskonzept des Gesamtareals ebenso- wenig Bedarf wie an einer Reaktivierung als Speiseraum - wenn überhaupt, so soll eine Kantine in der ehemaligen OffIziersmesse ein- gerichtet werden. Unbedingt wäre eine Nut- zung des Gebäudes wünschenswert, die der Karlsruher Öffentlichkeit die Möglichkeit bie- tet, das Bild und damit auch einen Teil der erzählten Geschichte zu erleben. Hier bestän- de die Möglichkeit, einen neuen "Karlsruher Blickpunkt" zu erhalten. Ulrike Plale "Woher hat der Dompfaff seinen Namen" oder: "Die Lust dagegen" Zur Erinnerung an einen "Kunstskandal" im Karlsruher Botanischen Garten Als am Freitag, dem 14. April 1967, in Anwesenheit höchster Repräsentanten der Bundesrepublik und des Landes die Bundes- gartenschau eröffnet worden war, als bis zum Sonntag abend die ersten 250 000 Besucher die "Olympiade der Gärtner" besichtigt hatten, ahnte noch niemand etwas von einem "Kunstskandal", der sich an einer im alt- ehrwürdigen Botanischen Garten eingerich- teten "Sperrmüll-Sonderschau" entzündete und vier Wochen lang Diskussionsstoff fur Tageszeitungen, Leserbriefschreiber und Rundfunkanstalten lieferte. in diesem Lust- garten der badischen Großherzöge, der selbst nicht in die Planung der Bundesgartenschau 180 einbezogen worden war, aber als historisches Gelände dennoch dazu gehörte, an dessen östlicher Begrenzung gerade der Neubau des Bundesverfassungsgerichts errichtet wurde, waren keine erkennbaren, auf das Publikum zielenden gärtnerischen Eingriffe vorgenom- men worden. Die Karlsruher konnten, wenn auch gegen Eintrittsgeld, ihr geliebtes Kleinod genießen und auswärtige Besucher die kunstvolle, in vielen Generationen ge- wachsene Anlage kennenlernen. Aber halt, es hatte sich doch etwas verändert: Die übli- chen Frühjahrsblumen fehlten, dafur standen sieben plakativ grellbunte "Dinger" auf dem kurzgeschnittenen Rasen. Kein Hinweis auf ihren Urheber, ihre Na- men oder ihren Sinn war vorhanden (die Namens- schildehen wurden ein paar Tage später ange- bracht}. Horst Antes, Lehrer an der Karlsru- her Kunstakademie, hat- te im Auftrag des Badi- schen Kunstvereins und dessen Geschäftsführers Klaus Gallwitz - dieser wiederum im Auftrag der Gartenbauleitung - zum Thema "Plastik im Freien" einen poppi- gen " Lustgarten mit 7 Monumenten der Lü- ste " geschaffen. Hier ragte ein Kopf aus dem Rasen, dort stand eine im Drahtgitterkäfig eingesperrte Hand unter einer Wolke, drüben bestaunten auf einer Liege zwei gebogene Rohre ihre kugelige Nachkommenschaft, ein dampfendes Schiffsungeheuer - seinem Na- men Yellow submarine zum Trotz weder gelb noch Unterseeboot und dennoch eine Anspie- lung auf den im August 1966 eingespielten "Ohrwurm" der "Pilzköpfe" - lud zu einer imaginären Rundreise durch den Lustgarten ein. Kaum waren die Beschriftungen ange- bracht worden, begannen sich Stirnen zu run- zeln. " Eine der Blech gewordenen Geist- reicheleien nennt sich "Die Blume oder die Lust dagegen". Auch wenn Horst Antes und der Badische Kunstverein es glauben: Die Lust dagegen ist einhellig." Man schäIDte sich "stellvertretend vor jedem auswärtigen Besu- cher" und dachte wehmütig an die "wertvol- len Plastiken" der Reichsgartenschau 1938 in Stuttgart. Einen Monat lang erschienen Le- serbriefe und redaktionelle Stellungnahmen in der lokalen, regionalen und schließlich überregionalen Presse und im Rundfunk zum angeblichen "Schandfleck" der Bundesgar- tenschau. Auf der Jahreshauptversammlung des Verkehrsvereins stellten die Mitglieder Die Familie oder die Lust der Lust. den Antrag, die Antesfiguren sollten ver- schwinden, nachdem der Verkehrs direktor selbst schon zwei Tage nach der Eröffnung im "Karlsruher Fächer" auf die befremdlichen Gebilde hingewiesen hatte. Parlamentarische Gremien und der Bund der Steuerzahler wurden aufgefordert, sich der Sache anzun· h- men, nachdem die demokratischen Spielre- geln der Auftragsvergabe mißachtet worden seien. Hätte nicht ein "unabhängiges" Gre- mium "wirklicher" Sachverständiger gebildet werden müssen? Die "Olympiade der Gärt- ner" war durch die mit der bildhauerischen Tradition brechenden Werke eines Außensei- ters unterlaufen, die große Harmonie aller Leistungen war gestört worden, so hieß es. Hier hatte sich ein zeitgenössischer Künstler provokant mit einem "Kunstbaufen" in den Vordergrund gespielt, um seinen Bekannt- heitsgrad zu erhöhen, aber er hatte nichts Vorbildliches fur den bürgerlichen Hausgar- ten oder die kommunale Parkanlage geschaf- fen . Der Botanische Garten war sozusagen im Handstreich von ein paar Spinnerten miß- braucht worden. Der Stadt der " vielen Mög- lichkeiten" drohte die Gefahr kultureller Diktatur durch Verrückte, deren Aktionen bestenfalls in die Räume des Kunstvereins paßten. "Dekorationen" Wld "Spielereien", intellektuelle Gedankensprünge und Pop Art entsprechen weder den Zielen der Bundes- gartenschau noch den Bedürfnissen der 181 Besucher. Irn Rückblick erkennen wir freilich, daß vor über dreißig Jahren erstmals auf einer Bundesgartenschau modeme Kunst zum Gesamtprogramm gehörte, daß in Karlsruhe die erste Pop Art-Installation eingerichtet wurde, noch bevor sie auf einer documenta höhere Weihen erhalten hatte: Das geschah ein Jahr später, und Antes war auf Kurt Martins Empfehlung hin mit eben seinem Lustmonument vertreten. Auf dem Höhe- punkt des "Skandals" luden Klaus Gallwitz, nun designierter Direktor der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, und Horst Antes, inzwischen Professor der Staatlichen Akade- mie der Bildenden Künste Karlsruhe, zu einer Pressekonferenz ein. Als die Sprache auf die "Diskrepanz zwischen Werk und Titel" kam, stellte Antes schlagfertig die Gegenfrage: "Woher hat der Dompfaff seinen Namen?" ". Die sieben Monumente blieben bis zum Ende der Bundesgartenschau im Oktober an ihrem Platz; heute befmden sie sich in öffentlichen und privaten Sammlungen. Einem Denkmal ähnlich steht Antes' " Karlsruher Kopf' auf dem Neubau der Staatlichen Kunsthalle, schaut in den Botanischen Garten und erinnert sich an die Symbolik der Zahl Sieben, an Gestalten in Grimms Märchen und Morgen- sterns .oder Ringelnatz' phantastische Ge- dichte: Sieben Todsünden, sieben Zwerge, sieben Töne der Tonleiter, sieben Wochenta- ge, Zwergnase, Nasobem ("es steht noch nicht im Brehm" ), Suahelischnurrbarthaar bei Norderney. Wi/fried RIJß/ing fellow Submarine oder die Lust an der verlorenen Zeit. :1 82 Literarisches Nachkriegsleben in Karlsruhe Anmerkungen zur Lyrik zwischen Gottsuche und Entfremdung "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Dieses Verdikt Theodor W. Adornos wurde von der Nachkriegszeit entschieden widerlegt. Nicht der Verzicht auf Lyrik war die Folge des Nationalsozialismus, sondern geradezu eine Lyrikschwemme. Die Lyrikerin Oda Schaefer begründete dies so: "Nach all dem Schreien, Singen, Marschieren ... dem panikartigen Heulen der Sirenen ist nun Stille eingetreten. Es überrascht mich ... daß die Jugend diese Stille zu hören versteht und daß sie danach verlangt, - daß sie nach der größten Konzentration der Stille verlangt: nach dem Gedicht." Es sei daran erinnert, daß etwa der Gründer der Gruppe 47, Hans Werner lUchter, - er war Ehrendoktor der Karlsruher Fakultät fiir Geistes- und Sozial- wissenschaften - in der ersten großen Nach- kriegszeitschrift "Der Ruf' die Rückbesin- nung des einzelnen auf sich selbst als Ausgangspunkt des Denkens und Handelns forderte: Das individuUm wird zum "ruhen- den Pol eines neuen gesellschaftlichen Seins". Diese Überzeugung fand in der sogenannten subjektiven Gattung der Lyrik ihren ursprüng- lichsten Ausdruck. Eine Durchsicht der zwischen den Jahren 1945 und Anfang der 60er Jahre in Karlsruhe erschienenen bzw. von Karlsruher Autoren und Autorinnen geschriebenen Literatur zeigt, daß die Karlsruher " Nachkriegslitera- tur "im ganzen dieselben Symptome, Themen und Formen aufweist wie die Literatur im Nachkriegsdeutschland überhaupt. Es gab keinen lokalen oder landschaftsgebundenen Sonderweg. Dies soll an Beispielen aus der Lyrik erläutert werden, auch wenn der litera- rische Markt hier nicht besonders groß war und ist. Es geht dabei nicht darum, die bekannteren Karlsruher Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu würdigen, also z. B. Otto Schrag, Otto Gillen, Ernst Feuerstein, 10la Ervig, Ludwig Egler mit Beispielen zu berücksichtigen, wie es etwa Friedrich Benbnann im einzigen literaturwissenschaft- lichen Titel über Karlsruhe "Karisruhe im Blickfeld der Literatur" getan hat. Vielmehr sollen anband einiger Beispiele typische Themen der Nachkriegslyrik in Karlsruhe verdeutlicht werden. Neuer Sturm und Drang oder Kontinuität? ,.,. »»: - - -~;.,.,."",*,~ Das einschneidende Datum 1945 wurde bald verbunden mit dem Schlagwort '·',lU "Nullpunkt". In der Tat empfanden viele, wenn nicht die meisten Menschen Kriegsende und Befreiung vom Faschismus als radikalen Einschnitt, der eine völlige Neuorientierung bedeuten mußte. AIfred Anderseh, der zwar kein Karlsruher war, aber zum südwestlichen Raum gehört, hat dies in seiner Rede "Deutsche Literatur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der literarischen Situati- on" entsprechend gefordert. Andersch hielt die Rede auf dem zweiten Treffen der Gruppe 47, die im November 1947 nicht in Karlsruhe, sondern in Herrlingen stattfand. Gedruckt wurde die Rede jedoch 1948 in Karlsruhe im Verlag Volk und Zeit. Andersch fUhrte aus : "Der Zusanunenbruch der alten Welt hat aber, vor allem bei der jungen Generation, das Gefuhl einer völligen Voraussetzungslosigkeit geschaffen, das Vorgefiihl eines originalen Neu-Werdens, fiir das es keine Muster und Vorbilder gibt. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so richtet sich der dichterische Wille der jungen Generation auf einen neuen Sturm und Drang ... ". Jedoch - die Zeichen trogen. ,,'Eine Stunde Null ', einen ,Kahlschlag', hat 183 es, wie auch anderswo, 1945 in der Kul- turlandschaft des deutschen Südwestens nicht gegeben." So formulierte es z. B. Karl Schwedhelm in seinem Beitrag zur Nach- kriegs literatur in "Literatur im deutschen Südwesten". Das heißt also: auch in Karls- ruhe nicht. Statt "Stunde Null" lautete das neue Schlagwort "Kontinuität". Dies läßt sich am Beispiel des Scheffelbundes gut belegen. Der Scheffel-Bund bzw. die Literarische Gesell- schaft wurde 1924 in Karlsruhe gegründet. Die ihr angelegene Pflege der oberrheini- schen Literatur und die Sammlung des Oberrheinischen Dichtermuseums wurde im Jahr 1933, der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, bruchlos fortgeführt, wenn man einmal davon absieht, daß der bisherige Bundesvorsitzende Prof. Friedrich Panzer im Dezember 1933 zum "Bundes- fuhrer" ernannt wurde. Im Jahr 1933 fanden die üblichen Dichterstunden statt, in denen z. B. Werke von Emil Strauß, Hans Carossa und natürlich Victor von Scheffel gelesen wurden. Die Dichterstunden standen unter dem Motto, wie es der Geschäftsführer Siegrist in den Mitteilungen von 1934 formulierte: "Das geisttreu gesprochene dichterische Wort wirkt unmittelbarer und stärker als das still gelesene. Unsere Dichterstunden sind Weihe- stunden, Stunden der inneren Sammlung und Besinnung." Insgesamt aber blieben nationa- listische oder gar nationalsozialistische Töne weitgehend aus. Lediglich im Mitteilungs- blatt von 1939 gab es zwei Ausfalle, einen bekennerischen in den redaktionellen Mittei- lungen vom Preisträger-Treffen von 1939 und einen antisemitischen in einem Aufsatz über Marlowes "Juden von Malta" vom Scheffel- Preisträger W. MargendorfI. Beide Ausfalle wurden in den 50er Jahren im Exemplar der Badischen Landesbibliothek überklebt; beide sind allerdings ohne weiteres noch lesbar. Zum I. September 1944 mußte der Schef- 184 fel-Bund seine Tätigkeit einstellen. Ein Jahr später begann der "Wiederaufbau", wie es in den Mitteilurigen von 1946 heißt, und der Scheffel-Bund wurde in "Volksbund für Dichtung" umbenannt. Den Sinn der Dichter- stunden erläuterte der Geschäftsführer Sieg- rist mit wenigen Varianten seiner früheren Formulierungen: "Der Grundgedanke unserer Dichterstunden ist der, daß das Werk des Dichters erst gesprochen seine stärkste Wirkung erlangt. Auf die Wirkung des Werkes aber kommt es an; der sprechende Künstler tritt also in die Rolle des Mittlers, des Dieners am Werk, ZUfÜCk. H Diese Kontinuität läßt sich auch an den wenigen Publikationen von Dichtungen, die den Mitteilungsblättern beigegeben waren, bele- gen. Im Heft von 1943 wurden zwei Gedichte des jungen Oskar Gitzinger abgedruckt, "Sonnenuntergang" und "Schlaflose Nacht", bei des religiös gestinunte, unpolitische Ge- dichte, offenbar aus eigenem Erleben ge- schrieben, gottsuchende Verse, die nichts von seinem persönlichen Schicksal im Krieg erahnen lassen. Oskar Gitzingers Verse "Gebet" finden sich a~ch auf dem Umschlag- blatt der ersten Mitteilungen nach dem Krieg, begleitet von der redaktionellen Mitteilung: "Oskar Gitzinger ist unseren Mitgliedern schon aus frühen Mitteilungen als begabter junger L)'Tiker bekannt. Träger des Scheffel- Schulpreises 1942 an der Wirtschafts- oberschule in Freiburg i. Br. hat er nach dem Abitur den Feldzug in Rußland mitgemacht, wurde schwer verwundet und lebt heute wieder in Freiburg i. Br." Zwei Strophen des Gedichts seien zitiert: "Gott - das läßt sich nicht sagen) ihn faßt kein wollendes Wort.! Gott wächst aus allen Tagen) wächst aus den Dingen fort.!1 Gott ist Vergehen und Reifen) er ist Rufer und HalV und über allem Begreifen! Saatkorn und ewiges All." "Neue Epoche der Metaphysik und Religion" Keine Spur des von Andersch prophezeiten Sturm und Drang. Das Gegenteil ist der Fall. Das Thema - die Gottsuche - bleibt, und die Form wird traditionell, klassizistisch. Die Verse sind gereimt, ihnen liegt ein regelmäßi- ges Metrum zugrunde, und die Formu' ierun- gen bleiben einer traditionellen, allgemeinen und unkonkreten Wort- und Bildwelt ver- pflichtet. Rückwendung, nicht Neubeginn ist zu konstatieren. Das ist keineswegs nur fur Karlsruhe typisch, obwohl die Tendenz hier besonders stark ausgeprägt war und die religiöse Thematik bei weitem überwog. Für die Nachkriegsliteratur gilt allgemein, was fur das genannte Beispiel im besonderen zutreffend ist. Sie ist stark metaphysisch geprägt und knüpft damit - und vor allem mit dem Existentialismus - an die Zeit der späten 20er und frühen 30er Jahre an. Alfred Döblin, der 1945 als französischer Kulturoffizier nach Deutschland zurückkehrte und 1947 einen Essay in Baden-Baden ,,zur literari- schen Situation" publizierte, gab die Begrün- dung: Nach der Zeit der äußersten Verweltli- chung und Technifizierung durch den Nationalsozialismus breche eine "neue Epo- che der Metaphysik und Religion" an: "Wo das Göttliche sich nähert, mit seinem Ernst, seinen Schauern, seiner Wahrheit und Herrlichkeit, klingen die Lieder der Kunst anders. Die Harfen werden neu gestimmt. Das ist keine Zeit fur Klassen, Nationen und private Eigenbrötelei . Es ist die Epoche, in der wieder, und nicht das letzte Mal, die Frage nach dem Menschen aufgeworfen wird." Deutlich wird: die Übermacht des Politi- schen während des Nationalsozialismus rief geradezu nach dem Unpolitischen, Überna- tionalen - wobei übrigens auch die Dichter- stunden im "Volksbund fur Dichtung" nach dem Krieg ausländischer und klassischer Literatur geöffnet wurden. Die Erfahrungen der Barbarei und der fabrikmäßigen Vernich- tung von Menschenleben hatte die notwendi- ge Besinnung auf den Menschen, das heißt auch seiner Ethik, zur Folge, und die Suche galt der verlorengegangenen, veräußerlichten und verdinglichten Ganzheit des Menschen. Verbunden war damit die Abkehr bzw. Verachtung der Masse, die ja eines der prä- genden faschistischen Phänomene war, sowie die Besinnung auf die Bedeutung des Todes, der einerseits durch den Krieg und die Ver- nichtungspolitik der Nazis zum Massen- phänomen geworden war, der andererseits in der Existenzphilosophie gerade als das Exi- stential bestimmt worden ist, das zum je eigenen Dasein des Menschen gehört und das er im "Sein zum Tode" als die absolute Gren- ze der Persönlichkeit zu bedenken hat. Die Rückkehr zum Klassizismus war keineswegs äußerlich. Formzertrümmerung als typische Erscheinungsform fur die Litera- tur der Moderne war bereits in den 20er und 30er Jahren vielfacher Angriffspunkt der lite- rarischen Kritik. So funktionierte die klassizi- stische Formerneuerung nach dem Krieg ge- wissermaßen als Ausdruck einer gebändig- ten, quasi in neue Zucht genommenen ethischen Haltung, die gegenüber der zer- trümmerten Umwelt Halt, Harmonie und menschliche Erneuerung versprach. Auch hierzu ein Beispiel aus der Karlsruher Nach- kriegsliteratur: 1967 publizierte der außeror- dentlich produktive Lyriker Kurt Rüdiger, der schon vorher einige Nummern des "Karlsru- her Boten" mit seinen Gedichten gefullt hatte, in der 305. Ausgabe einen Zyklus aus funf- zehn Sonetten. Darin fuhrte Rüdiger seine formale Eigenart der Verknüpfung der ein- zelnen Sonette zur letzten Konsequenz. Der letzte Vers eines Sonetts bildete nicht nur den Anfangsvers des folgenden, alle vierzehn 185 Schlußverse ergaben zugleich das fünfzehnte Sonett. Dieses Verfahren greift tief in die Tradition christlicher Erbauungsliteratur zu- rück, also nicht nur in die des bürgerlichen Klassizismus: Keine Erneuerung also, keine Formenzertrümmerung, sondern Traditions- pflege und Suche nach Formvollendung. Die Bewahrung der Form hängt eng mit dem Dauertbema der Literatur des Nach- kriegszeit zusammen, das bereits für die Literatur des Expressionismus kennzeich- nend ist: die Erfahrung, daß der Mensch in der industrialisierten Welt immer mehr ZUlU Objekt wird. Für die Karlsruher Nachkriegs- literatur ist eine religiöse Wendwlg als Antwort darauf charakteristisch. Das Gefühl, daß man nicht lebt, sondern gelebt wird, war eine der Grunderfahrungen, die sich in der Nachkriegszeit erneut besonders stark aus- prägte. Eiu Sonett aus dem Zyklus "Dämon. Starker Engel. Sonette 1934-1959" von Kurt Rüdiger aus dem Jahr 1949 kann dies belegen: "Und sind sie denn so fremd, der Geist, der Sillll?/ Hat sie vielmehr ein Wahn nicht aufgespalten,! Die eins warn von je? Wird uns nicht illlle,! Daß wir Chimären an der Brust gehalten? // Nie hat dem nackten Geist ins Aug geschaut! Ein MenschenantIitz, immer warn sie beide,! Geist, Seele eins, erst mit Eurer Scheidet schuft Ihr die Hydra, vor der uns nun graut.! / Dreieinig war der Leib, dreieinig Gott,! Doch wir zerfielen über dieser Dreiheit,! Die Lieb, die alles ein- begreift, ward Spott.// Drei auch der Orte: Himmel, Erd und Hölle!! Genug, zerrissner Wahn! Wir wollen stellen! Die Lieb als Ort und Mitte unsrer Freiheit!" "Verlust der Mitte" <·",.,., ·;>,·:...,.,.,.,.,~·,.",.,.,·>>>,.,~·""""~·w·:«""<":·:.>:.:«.:".,,,,, ,,,,,,,,_,w"'''''w·''''·'·w''''''-"".,,,,,·,.,,p Auffallend sind die Kemvokabeln, die Hir die Erfahrung der Entfremdung und Anony- misierung des Menschen in der Modeme stehen. Alles scheint "fremd" geworden, 186 Geist und Silllle sind entfremdet. Im Hin- tergrund droht der "Wahn", die Wirklichkeit erscheint in Fonn von "Chimären'\ von "Ungeheuern". Die Folge für das Subjekt ist die Erfahrung des Grauens und der Zerrissen- heit. In der Forschung zum literarischen Ex- pressionismus wird diese Zerrissenheit unter "Ich-Gissoziation" geführt. Als Ausweg da- raus erscheint, wld zwar nicht nur in der Karlsruher Literatur, einzig die Wiederher- stellung der Liebe und der, wie es heißt, begegnenden Beziehung Zll1l1 Du, über den Glauben; Neufindung der Mitte, Rückbesin- nung auf das Subjekt. Walter Helmut Fritz, der wohl derzeit bekannteste lebende Karlsruher Schriftstel- ler, formulierte Ende der 50er Jahre dieselbe Erfahrung der Entfremdung, wellll auch ll1l1 einiges anders. Fritz hat 1956 seine lite- rarische Arbeit - wie damals auch anderswo üblich - mit Natur- und Landschaftsge- dichten begollllen. Seine Diktion ist gegen- über Rüdiger knapp, Verdichtend. Auch wellll er nicht mehr primär auf klassische Formen zurückgreift, bleibt doch in den früheren Gedichten der Wille nach entschiedener Formung sehr deutlich, und das Motto des Gedichts "Das Unglück" - "Frei geht das Unglück durch die ganze Erde"/ Tbekla in "Wallensteins Tod" - greift auf die deutsche Klassik zurück, knüpft an Tradition an: "Selbst die Dunkelheit! kann sich nicht davor retten.!/ Nichts ähnelt mehr dem,! was die Hoffnung erfand.!/ Der Friede ist zu fern,! als daß man gelassen sein kÖllllte.!/ Die Hei- terkeit meidet die Stadt.// Es ist etwas Son- nenlicht auf der Allee,! das bald erstirbt.!/ Die Menschen sind beschäftigt! mit einem Leben, das sie nicht erreicht hat." Ausgangspunkt ist wiederum die Erfah- rung, übennächtigen, aber unbekannten, anonymen Gewalten ausgesetzt zu sein. Was bei Rüdiger in Gestalt von Chimären begeg- net, sind bei Fritz das "etwas SOllllenlicht, ... das bald erstirbt", die Hoffimngslosigkeit und die Friedlosigkeit, die das nicht genauer bezeichnete "Unglück" universell werden lassen. Die Menschen sind außengeleitet, beschäftigt mit etwas, das sie sich selbst entfremdet, und verpassen so das Leben. Auch hier liegen konkrete Erfahrungen zugrunde, die aus der Tradition kommen, in den 50er Jahren aber eine neue Ausrichtung erhalten. Eines der Erklärungsmodelle für den Faschismus war nach dem Krieg, daß man in der im Weltkrieg dann ja sozusagen ent- fesselten teclmischen Welt die Gefahr einer totalen Ordnung und damit eine totale Funktionalisierung des Menschen sah. Disku- tiert wurde der Amoklauf der Technik unter dem Schlagwort "Verlust der Mitte", das Walter Scdlmayr mit seinem gleichnamigen Buch von 1948 einfUhrte. Den Verlust der Mitte führte Sedlmayr auf eine bewußte Absperrung des modemen Menschen gegen eine "obere Realität" (Transzendenz also) zurück: Der Mensch vertraut einzig auf sich, auf seine eigene Planung und vergißt die Besinnung auf sein Selbst, auf die menschli- che Mitte. Dämonen erscheinen in der Karlsruher Literatur der fünfziger Jahre allenthalben als Metapher für das Grauen und den Schrecken der Entfremdung. Für Kurt Rüdiger war der Begriff titel gebend, auch wenn er bei ihm doppeldeutig, also im Sinn der religiösen Wiederfindung der Mitte, gemeint ist. Auch die Frauenliteratur, der z. B. die Ausgaben innerhalb des "Karlsruher Boten", der "Amaryllis", gewidmet waren, befaßte sich damit. Margot Krumms Gedichte beziehen ihre Thematik rast ausschließlich aus der Welt des Zirkus und der Schausteller. Die Wahl des Gedichts "Der Feuerschlucker" erscheint in diesem Zusammenhang erst auf den zweiten Blick einleuchtend. Es war bereits die Zeit, in der zunächst durch den Hörfunk, dann immer mehr durchs Fernsehen die Welt der Show in den Blick- punkt rückte und der Kritik ausgesetzt wurde: " Dieser Mann ist ungeheuer, Leute,! seht ihn Euch nur an!! Dieser Mann schluckt rotes Feuer, Leute!/1 Sagt, daß er was kann!! Dieser Mann macht das schon Jahre - / und noch nie ist was passiert!! Seht doch seine weißen Haare!/ Seht nur hin,! ganz wlgeniert. ' /I Steht mit olf'nem Mund die Menge,! staunt den Mut an! und den Mann -/ Daß die Seele er ver- senge!! Niemand - / niemand denkt daran!" Durch die radikale Entfremdung in der MenschelIDlasse konmIt der Mann nicht zur Selbstbesinnung. Nur das lyrische Ich stellt die Frage und kommt zur Antwort: der Mann verbrennt sich seine Seele. Damit wird der Feuerschlucker Zunl Bild des technischen Menschen, der in seiner Tätigkeit seine Mitte verliert und dennoch von der Menge begaffi und bestaunt wird. Eben diese Veräußerli- chung war für die 50er Jahre typisch. Das "Wirtschaftswunder" brachte eine Flucht in die Sachwerte mit sich, eine Rückbesinnung hatte trotz der versuchten Einkehren nach dem Krieg nicht stattgefunden. Und wenn es noch eine Mitte gab, so nur in Technicolor: Im Wald, auf der Alm, am Wildbach mit der geliebten Heidi, oder auf Immenhof mit den schönen, jungen unverdorbenen Mädels, oder auf dem Elbkahn mit dem schmalzig singenden Hans Albers - als Vorgaukeln eines schönen Scheins, dem keine Wirklich- keit mehr entsprach. Lyrik als Zeitkritik ....... ·.·~.·.· ......... w~ ...... w.·.·.·,.·.w ..... ,~_,..... ...... 'NU' .. ·.·.w.·.·.w .. • ... ....,..,..·......,.. ... ". In einer Anthologie mit Großstadtlyrik, die einem Preisausschreiben des "Karlsruher Boten" gewidmet ist, fmden sich die zwei wesentlichen Typen des Menschen der 50er Jahre wieder. Die einen, die "Maschinen- Menschen", könnten ebenso gut aus den 20er Jahren stammen: "Und Schicht um Schicht, wenn die Sirene brüllt! Durchhetzen . Men- 187 schenmassen Asphaltbahnen-! Und manch- mal, wo der Kolben Fäuste lauern,! Ge- schieht's, daß sich ein Schicksal jäh erfiillt." Mit den anderen, den "Halbstarken", kam ein neuer Typus des veräußerlichten Menschen in die Alltagswelt, und natürlich traf er auf Kritik. Die roarin' fifties kamen in die Literatur. Capri und Maria aus Bahia wurden von den hämmernden Klängen des Rock 'n' Roll verdrängt. Elvis Presley und Bill Haley hießen die neuen Götter. Die Karlsruher Reaktion darauf lautete so: "Halbstarke!! Zu groß fur ihr Alter.! Leiber von Riesen! mit Köpfen von Kindern.! Geltungsbedürftig, intellektuell,! aber mit unterentwickelter! Vernunft.! Hilflos in Wachstums! Dissozia- tionen gestürzt.! Wer kann das ausbalancie- ren?! Dem dauernden Angriff! von Sexbom- ben ausgesetzt.! Kein Beispiel, kein Vorbild,! oft auch keine Familie;! wenn's hochkommt:! verständnislose Eltern.! Denen wollen wir's zeigen!! Und wenn sie sich gerade! ganz stark fiihlen,! von Schwächlingen! Halbstark' . genannt..." Auch hier zeigt sich das Thema der Veräußerlichung und der Dissoziation bruch- los fortgefuhrt. Die Nachkriegszeit brachte nicht den ersehnten Einschnitt. Auf andere Weise und vielleicht in verschärfter Form setzten sich die Entfremdungen fort. Verein- samung und Lebensverlust waren die Folgen. Vor allem jene Literatur, die die lyrische Einkehr forderte - sie war in der Nachkriegs- zeit in Karlsruhe dominant - übernalun kri- tische, wenn man will, gesellschaftskritische Funktion. Die Kritik freilich kam aus kon- servativer Überzeugung, die als Verlust be- klagte, was an der Zeit und nicht auf zuhalten war. In dem Gedicht "Alter Mann" von Walter H. Fritz wird die Vereinsamung thematisiert, Menschen begegnen sich als Masken - ein deutlicher Hinweis auf die im Modeboom sichtbar zunehmende Veräußerlichung. Das 188 Ende von Fritz' Gedicht beklagt das Leben als Unfall, das nicht vom Ich, sondern von anderen, unbestimmten Leben gelebt wird. Was bleibt ist die Vereinsamung und das Warten auf den Tod. Ein weiteres Gedicht aus der Großstadtanthologie des "Karlsruher Boten" kann dies noch einmal belegen und zugleich auf einen weiteren zeitgeschichtli- chen Hintergrund verweisen: " Immer die Geräusche! aufs Trommelfell.!Trommellfeld.! Einschüsse! in das leichte Gewebe! der Stille.! ! Radio! Husten! Rufen! Hupen -! Dum-Dum scharf geschossen.!! Aber ich werde das weiße Tuch! nicht werfen,! den Bunker meiner Einsamkeit! nicht preisgeben.! Der Feind wird den Versen,! die ich ins Kampfgetümmel morse,! auf die Dauer erliegen.!! Ich habe Geduld." Ausgangspunkt des Gedichts ist die zu- nehmende Monotonie des Alltags, die sich durch die Motorisierung der, westlichen Gesellschaft, durch die Einheitsbebauung, Bertolt Brecht sprach von Einheitsstallungen zur Wiederherstellung der Ware Arbeits- kraft, vor allem aber auch über die Medien ausbreitete. Deren Siegeszug brachte in den 50er Jahren nicht etwa - das wissen wir heute noch deutlicher - Kommunikation mit sich, sondern Zerstreuung, die wiederum zu Einsamkeit fuhrte, nicht aber zu einer Einsamkeit, die als Raum der Stille gewählt wurde - dies meinte Oda Schaefer - , sondern die aufgezwungen war, und zwar auf mar- tialische Weise: von Einschüssen ist die Rede, von Dum-Dum-Geschossen, vom Bunkerdasein, von Feinden und von Kampf- ge\vimmel. Die Kriege der Zeit, aber auch die Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll, fanden nicht nur in der Ferne, sondern konkret auch im alltäglichen Leben statt und de- formierten die Menschen und verletzten sie. Der Krieg, der doch mit dem zweiten, weltweiten Krieg abgeschlossen zu sein schien, war nicht vorbei; er ging weiter, und zwar nicht nur in der Feme, sondern auch im scheinbar befriedeten Wohlstandsalltag der Bundesrepublik. Ende der Nachkriegszeit .·.·.·.·.·•·.·.· ..... ·•·.·.· ............ · ... W .. ,.,..."Vh...,..· ......... ...,... __ ...... ~~..",....",..w.~ .... . ... ,,' Für Walter H. Fritz wird das Deutschland der 50er und der frühen 60er Jahre zum Grenzland, bald ohne Namen, zum Nie- mandsland, in dem sich die weltweiten Konflikte spiegeln. Friede ist weit entfernt: "Vorwände// Zwischen uns und den Frieden! haben wir Vorwände geschoben.! Sonst würden wir ihn entdecken! mitten auf der Ebene,! über der unaufhörlich Schnee fallt,! verlassen und bereit, sich zu nähern." Die Wiederbewaflhung Deutschlands prägte in den Jahren 1957/58 die Schlagzeilen. "Kampf dem Atomtod" und Angst vor neuen Kriegen in Europa bestimmten die Diskussion und das LebensgefUhl vieler Menschen. Wie wir wissen, ohne Auswirkungen auf politi- sche Entscheidungen. Aber deutlich wird, die Nachkriegszeit war immer noch nicht vorbei, jedenfalls nicht in der Literatur, wenn die Verse Ende der 50er Jahre lauteten: "Denn geht's nicht mit Hitlcr, dann geh'n sie mit Clay/ Und wechselt die Firma - auch dann ist's okay/ Sie sindja die alten geblieben ... " Einschneidende Veränderungen waren nicht eingetreten, und die Aussichten schienen düster zu sein, wenn Walter H. Fritz schreibt: "Hafen!/ Frachtschiffe, Tanker,! Jachten, Passagierdampfer.! Ein Lotsenboot inmitten:! der Tod eines Mannes,! der sich langsam! dem Hafen nähert." Die Literatur, auch die Karlsruher, verwei- gerte sich den materiellen Aufschwüngen der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den 50er Jahren und versuchte, die verdrängten Ängste und Gefahren zu formulieren sowie die Kontinuitäten der nicht "erledigten" - man sagte und sagt heute noch "bewältigten" - Vergangenheit offenzulegen. Ende der 50er Jahre begann zum ersten Mal der Putz von der bunten Wohlstandsfassade abzufallen. Statt Aufbau gab es die ersten Demontagen in der Industrie, die die betroffenen Kumpel im Ruhrgebiet als Demontage der Demokratie interpretierten. Die Literatur reagierte darauf mit einem neuen Realismus und der Pro- pagierung von Gemeinschaft sowie Durchset - zung der Demokratie; Die Zeit der Vereinsa- mung, des Subjektivismus ging zuende - um später, aber das ist ein anderes Thema, er- neuert zu werden. Jan Knopf Der schwarze September 1944 KarIsruhe im BombenhageI In diesen Tagenjährt es sich zum 50. Male, daß unsere Heimatstadt dank der verkehrs- strategischen Lage und des Fehlschlages vom Groß angriff am 25. April 1944 das Ziel einer Reihe, z. T. schwerer Luftangriffe wurde. Nach dem Durchbruch von Avranches am 31. Juli hatten die Alliierten in einem Sieges- zug ohnesgleichen Frankreich und Belgien zurückerobert. Im Zuge der Verfolgung sollte der Aufbau einer neuen deutschen Front ver- hindert werden. Zur Unterbindung von Nach- schub und Truppenverschiebungen aus dem Inneren des Reiches konnte eine Reihe auf- einanderfolgender schwerer Schläge das Ei- senbahnnetz im Dreieck Mainz-Saarbrük- ken-Karlsruhe zerschlagen. 189 Bombing round the clock ---~, Die Angriffsfolge eröffuete die 8. Britische Bomberflotte am 5. September um 1.58 Uhr. Auf das von zahlreichen Zielmarkierungen ausgeleuchtete BaJmhofsviertel wurden 23 Luftminen und 60 Sprengbomben abgewor- fen. Am RangierbaJmhof wurde ein Stellwerk leicht beschädigt, die Strecke nach Mühlacker und Heidelberg sowie die Güterzugstrecke nach Hagsfeld zeitweise unterbrochen. Der Rest der Bomben richtete nur Wald- und Flurschäden an. Kaum waren die letzten britischen Flugzeuge zu ihren Einsatzhäfen zurückgekehrt, erhoben sich etwa I 000 amerikanische Bomber, um Ziele in Südwest- deutschland anzugreifen. Ein Teilverband von 185 fliegenden Festungen spaltete sich bei Pirmasens ab und überschüttete von I L35 bis 11.58 Uhr den RangierbaJmhof, die EisenbaJmhauptwerkstatt und die angrenzen- den Stadtteile mit I 452 Spreng- und 45 980 Stab brandbomben. Zahlreiche Bomben der im schweren Flakfeuer pendelnden Flugzeuge verfehlten ihr Ziel und streuten von der Südweststadt bis nach Rintheim. 235 Tote und 28 Verwundete waren Opfer dieses An- griffes. Aber auch die Angreifer kamen nicht ungerupft davon. Von den am Morgen gestarteten Flugzeugen fielen 31 dem Ver- nichtungsfeuer der Flak an den verschiedenen Orten zum Opfer. Kaum waren die schwersten Schäden eingedämmt, Verschüttete, sowie Hab und Gut geborgen, schlug die 8, Britische Bom- berflotte erneut zu. Ab 1.30 Uhr warfen am 8, September Einheiten dieses Verbandes 22 Luftminen, 59 Spreng- so\vie viele Brand- bomben verstreut vom BaJmhof bis in den Hardtwald. Zehn Gefallene, zwölf Verwun- dete und 350 Obdachlose waren die traurige Bilanz dieses Angriffs. Blick vom Kaufhaus Hölscher (heute Karstadt) nach Osten über die nach dem 27. Septem- ber 1944 weitgehend zerstörte Innenstadt. 190 Die Zerstörung der Hauptwerkstatt ~ __ --=._.~_~·_'''w_w Seit dem 5. August 1941 versuchten die Alliierten wohl ein Dutzendmal, jeweils unzureichend, die Eisenbahnhauptwerkstatt nachhaltig zu zerstören. Um diesem langwie- rigen, von keinem nachhaltigen Erfolg gekrönten Kräfteverschleiß ein Ende zu bereiten, beschloß der Stab der 8. USAAF, endlich "Nägel mit Köpfen" zu machen. Von den in den frühen Morgenstunden des 8. September 1944 gestarteten I 200 Bombern griffen 247 die Hauptwerkstatt mit 1 031 Spreng- und 66 330 Brandbomben an und vollendeten so das Werk der Zerstörung. Wiederum rauschten viele Bomben in der näheren und weiteren Umgebung bis zu dem bereits schwer heimgesuchten Rintheim nieder. Die St.-Bernhard- und die Luther- kirche standen in hellen Flammen. In der Südstadt erhielten die Johannis- und Lieb- frauenkirche nochmals Treffer. 123 Tote und 129 Verletzte waren zu beklagen. Nur 22 der angreifenden Bomber, darunter vier durch die Karlsruher Flak, wurden an diesem Tag abgeschossen. Vorbei waren die Zeiten, als, wie bei den Angriffen auf Schweinfurt, ganze Geschwader vom Himmel gefegt wurden. Eine verantwortungsbewußte, nicht durch die Forderung nach der bedingungslosen Kapitu- lation politisch eingeengte Führung hätte den vom Zaune gebrochenen Krieg sofort be- enden und der Bevölkerung weitere sinnlose Opfer ersparen müssen! Die Fächerstadt unter dem "Todesfacher" Richteten sich die bisherigen Septemberan- griffe gegen strategisch wichtige Ziele, so sollte der nächste Großangriff das Stadtge- biet, die Zivilbevölkerung, treffen. Dazwi- schen aber lag eine revolutionäre Neuerung der Angriffstechnik, die Überflugmethode, auch Todesfacher genannt. Bisher wurden oft die Himmelsmarkierungen, die "Christbäu- me", vom Winde abgetrieben, z. B. am 25. April, oder die Bodenmarkierungen vom Qualm der Entstehungsbrände verdeckt. Ver- gebens hatten sich jahrelang die Stäbe aller Kriegsparteien um die Behebung dieser "Un- zulänglichkeit" bemüht. Schließlich wurde dieses als unlösbar angesehene Problem verblüffend einfach gemeistert. Ein vor dem Zielbereich liegender, gut erkennbarer Platz, wurde bei Sicht im Tieffiug mit Boden- markierungen abgesteckt. Jedes angreifende Flugzeug flog einzeln diesen Punkt in einer vorgeschriebenen Höhe an, schwenkte unter befohlenem Winkel ab und klinkte nach genau berechneter Zeit die Bomben aus. Dadurch entstanden in einem engbegrenzten Sektor, eben dem "Todesfacher" , größte Zerstörungen mit Tausenden von Toten. Erstmals wurde der "Todesfacher" arn Abend des 11. September 1944 über Darm- stadt aufgespannt. Der Scheitel lag am Exer- zierplatz zwischen Neckarstraße und Haupt- bahnhof. Ca. 10 000 starben unter den Trüm- mern, die Stadt war verglüht. Diese so " er- folgversprechende" Angriffs taktik schien den Stäben in High Wycombe geeignet, endlich auch Karlsruhe, das sich immer wieder der völligen Zerstörung entziehen konnte, den Todesstoß zu geben. Kleinere Störeinflüge in der Nacht vom 26./ 27. September und die durch sie ausgelösten Alarme ließen die ohnehin geschwächte Luftabwehr und die Bevölkerung ermüden. Als gegen 5 Uhr erneut die Sirenen auf- heulten, blieben in der Annahme, der Alarm gelte einzelnen zurückfliegenden Maschinen, die meisten Leute übermüdet liegen. Minuten später mischten sich in das Abwehrfeuer der Flak die Detonationen der ersten Luftminen und Sprengbomben. Die 5. Britische Bomber- flotte hatte den Angriff eröffnet! Luftmarschall Harris hatte nach den Er- fahrungen von Darmstadt sich fiir einen· durch 191 Minen und Sprengbomben unterstützten Brandbombenangriff entschieden. Im Schei- ne grüner, am Himmel baumelnder Leucht- kaskaden markierte der Angriffsftihrer mit roten Bodenmarkierungen den damals kreis- runden Engländerplatz als Marking-Point. Fächerfcirmig ausschwärmend ließen 237 Bomber fast eine halbe Million Brandbomben vor allem auf die Innen-, Weststadt und Mühlburg herabprasseln. Binnen weniger Minuten wogte ein riesiges Flammenmeer vom Durlacher Tor bis zum Rheinhafen. Nur den breiten Straßen der Barockstadt, den vielen geräumigen Plätzen und den allenthal- ben klaffenden Lücken vorangegangener Zerstörungen, vor allem der bereits 1942 ausgeglühten Reinhold-Frank-Straße, ist es zu verdanken, daß der Glutofen der Innen- stadt nicht mit der sengenden Lohe im Westen zu einem alles verzehrenden Moloch zusam- menwuchs und es zu keinem Feuersturm vom Ausmaße wie in Hamburg, Wuppertal oder Darmstadt kam. Was aber Karlsruhe sein unverwechselbares Aussehen gab, stand in Flammen. Überhöht von dem in allen Farben des Goldes durch die züngelnden Flammen beleuchteten und im thermischen himmelan rauschenden Sog sich rasend drehenden und schließlich sanlt dem seiner Festigkeit beraubten Gebälk in die Tiefe stürzenden Engel auf der evangelischen Stadtkirehe ging das Karlsruhe eines Weinbrenner, Durm, Jeremias Müller, Hübsch u. a. unter. Die TH, das Schloß, das Rathaus, die Randbebauung von Schloßplatz und Zirkel, die Christi- Auferstehungs-, Bonifatius- und Markuskir- ehe brarmten. In der venvinkelten, mit Sei- tenbauten, Hinterhäusern und Schuppen eng bebauten Innenstadt fand die Lohe reiche Nahrung. Die von Stab brandbomben massen- weise getroffenen Häuser konnten von Selbst- schutzkräften nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden. Allein durch Flucht zum Ettlinger Tor, dem Friedrichsplatz, S:h1oß- 192 platz oder in den Hardtwald war das nackte Leben zu retten. Nur von wenigen Stab- brandbomben getroffene Gebäude waren zu bewahren, wenn die Bomben sofort mit Sand abgedeckt oder vom Dachboden geworfen wurden. Zudem mußte der seiner Ziegel beraubte, entrümpelte Speicher gegen Fun- kenflug verteidigt werden. Ein Spiel mit dem Leben war es allemal. Erleichtert dürften die Bergungstrupps aufgeatmet haben. Statt wie in Darmstadt etwa 10000 Tote, waren "nur" 51 Opfer zu beklagen. I 029 Venvundete, darunter 878 Rauchvergiftete, gemahnen daran, daß zu einer Katastrophe wahrlich nicht viel gefehlt hatte! Nach all dem Erlebten kam man zur Überzeugung, schlimmer könne es ja nicht mehr kommen; ein Feuersturm sei hinfort allein mangels zusanllllcnhängender brennbarer Masse nicht mehr möglich. So ging man daran, auf dem Lande Zuflucht zu suchen oder sich in den erhalten gebliebenen Wohnungen, Kellern und Gartenhütlen häus- lich einzurichten. Noch lag das "Erdbeben" am Abend des St. Barbara-Tags im Schoße der Zukunfl verborgen! Die Angreifer verloren lediglich drei Flugzeuge. Ein Abschuß wurde der Luft- waffenhelferbatlerie des Helmholtz-Gymna- siums vom Oberkommando der Luftwaffe bestätigt. Noch lag beißender Qualm über der geschundenen Stadt, wurden Opfer versorgt und wieder aufilackernde Brände bekämpft, da beendete die 8. Britische Bomberflotte den " Schwarzen September" . 54 Tonnen Spreng- und Brandbomben fielen verstreut von Rüp- purr über die Bahnhofsgegend bis zum Bin- senschlauch. Am bedrohlichsten war die Be- schädigung des Albwehrs beim Kühlen Krug. Ein Bruch hätte den Verlust von gestautem Löschwasser zur Folge gehabt. Ein halbes Jahrhundert ist seit jenem Sep- tember vergangen. Mitteleuropa hat seitdem nicht mehr unter der Geisel des Krieges ge- litten. Möge es den Verantwortlichen gelin- gen, statt falsche Hoffnungen zu wecken, endlich auch weltweit einen friedlichen Aus- gleich zu schaffen. Erich Lacker Zum "Reichseinsatz" in Karlsruhe Ausländische Frauen und Männer in Karlsruher Betrieben 1939-1945 Während des II. Weltkrieges waren rund zehn Millionen ausländische Menschen, dar- unter ca. zwei Millionen Kriegsgefangene, zum Arbeitseinsatz in das Deutsche Reich gebracht worden. Ohne diese Ausnutzung frem- der Arbeitskraft in der deutschen Kriegswirt- schaft hätte das nationalsozialistische Deutsch- land den Krieg nicht so lange fUhren können. Die Kriegsgefangenen sowie zwangs- verpflichtete und verschleppte ,,zivilarbeite- rinnen und -arbeiter", kamen aus den von Deutschland besetzten Ländern. Sie wurden auch in Karlsruhe in Industrie, Handel, Handwerk, Land\virtschaft, öffentlichen Ver- waltungen und Privathaushalten eingesetzt. Es waren insgesamt bis 1945 über 17 000 "Fremdarbeiter" aus Polen, den Niederlan- den, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Däne- mark, Norwegen, der Tschechoslowakei (bzw. Protektorat Böhmen und Mähren), Griechenland, Jugoslawien, den baltischen Ländern und der Sowjetunion in Karlsruhe im Arbeitseinsatz. Die damals übliche Benen- nung als " Fremdarbeiter" unterschlägt, daß sich etwa ein Drittel " Fremdarbeiterinnen" darunter befanden. Am Kontingent aus der Sowjetunion betrug der Frauenanteil sogar über die Hälfte. Daneben arbeiteten in Karls- ruhe noch Hunderte von Menschen aus neu- tralen und mit Deutschland verbündeten Staa- ten. Deren Rechtsstatus und die Behandlung unterschied sich grundsätzlich von den Zwangsverpflichteten. "Nachschub" nach Karlsruhe War Karlsruhe zu Beginn des Krieges wegen seiner Grenzlage noch weitgehend aus den Rüstungsplanungen herausgenommen und deswegen auch der Einsatz nicht- deutscher Arbeitskräfte, außer Kriegsgefan- genen, beschränkt, so änderte sich dies ab 1941. Die ersten großen Kontingentwellen zwangs verpflichteter, aber zum Teil auch mehr oder weniger frei\villig gekommener ausländischer Arbeitskräfte trafen ab dem Frühjahr 1942 in der Stadt ein. Der "Ge- neralbevollmächtigte fUr den Arbeitseinsatz" Sauckel sorgte fiii inuner neuen "Nachschub" aus den besetzten Ländern. Diese sogenann- ten "fremdvölkischen Arbeiter" wurden von den Arbei tsämtern vor Ort, den durch stän- dige Einberufungen aus der Stanunbeleg- schaft zur Wehrmacht und steigenden Rü- stungsauflrägen nach Arbeitskräften verlan- genden Betrieben zugewiesen. Bis zum Kriegsende hatten auf diese Weise z. B. die zehn größten Karlsruher Betriebe fast 9 000 der von 1941 bis zum Kriegsende eingesetz- ten ausländischen Arbeitskräfte in der Stadt genutzt; darunter z. B. die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (später IWKA) in ihren Werken in Karlsruhe und Grötzingen über 4 500, Gritzner & Kayser (später Pfaff) in Durlach mindestens I 300, Haid & Neu rund 500. Rassenschranken Von den über 17 000 in Karlsruhe einge- 193 setzten Arbeitskräften kamen etwa 20 Prozent aus Polen, 35 Prozent aus der Sowjelunion. Letztere wurden unter der Bezeichnung "Ostarbeiter" gefiihrt. Unter den mehr als 40 Prozent "Westarbeitern" sununierten sich Menschen aus sogenannten " starnmesähnlichen" Ländern. Die Situation der verschiedenen Gruppen der "Fremdarbei- ter" unterschied sich je nach den nationalso- zialistischen Kriterien der "Volkstums zuge- hörigkeit". Wesentlich in der rassistischen Hierarchie oben standen "germanische Völ- ker" wie Holländer, Flamen, Dänen. Ihnen folgten Franzosen und Belgier, dahinter Men- schen aus den besetzten Gebieten Südeuro- pas. Danach rangierten am Ende der Skala die slawischen " Untermenschen" aus Polen und dahinter die aus der Sowjetunion. Polen und Sowjetbürger wurden gezwungen, sich durch ein "P" bzw. "Ost" auf der Oberkleidung ähnlich dem Judenstern, deutlich zu kenn- zeichnen. In der Bestimmung des Reichsftihrers SS vom 20. Februar 1942 "über Anwerbung und Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten", hieß es unter anderem, daß ;,entsprechend der Gleichsetzung der Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet mit Kriegsgefan- genen eine straffe Disziplin in den Unterkünf- ten und am Arbeitsplatz herrschen muß". Die Bestimmung zeugt davon, daß die Situation der " zivilen" sowjetischen Arbeitskräfte sich zu Anfang ihres Einsatzes nicht wesentlich von dem ihrer kriegsgefangenen leidensge- nossen unterschied. Auch wenn sich die ebenfalls darin enthaltene Anordnung, "wäh- rend des Aufenthalts der Arbeitskräfte aus dem . sowjetrussischen Gebiet im Reich ... diese streng von der deutschen Bevölkerung, (den anderen) ausländischen Zivil arbeitern und allen Kriegsgefangenen abzusondern" , sich in der Praxis nicht hundertprozentig durchfuhren ließ, so war doch damit das Ziel vorgegeben: Kontakte zwischen De"tschen 194 und Sowjetbürgern und Polen sollten, abge- sehen von der Arbeitsaufsicht und Bewa- chung, nicht erfolgen. Strenge Bestrafung stand auf Arbeits- bummelei, das ,,Aufhetzen" anderer Arbeiter, auf eigenmächtiges Verlassen des Arbeits- platzes und sonstige Verstöße gegen die Arbeitsordnung. Sexuelle Beziehungen zu Deutschen hatten "Sonderbehandlung" , d. h. Tod durch Strang oder Einweisung in ein Konzentrationslager zur Folge, ebenso krimi- nelle Delikte wie Diebstahl oder Plünderung. Etwas besser erging es den "Westarbeitern". Formell hatten sie gleiche Arbeitsbedingun- gen und Entlohnung wie deutsche "Gefolg- schaftsmitglieder", praktisch aber war ihre Freiheit als Menschen der besiegten Natio- nen eingeschränkt. Oft genug fanden sie sich auch Mißgunst und Verdächtigungen Deut- scher ausgesetzt, die mitArgusaugen darüber wachten, daß diese ja nicht vermeintlich gleich oder gar besser als "deutsche Volksgenossen" gestellt würden, wie die geheimen SD-Berichte auch aus Karlsruhe mitteilten. Der größte Teil der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter war auch in Karlsruhe in Lagern zusammengefaßt. Dazu wurden eigens ab 1942 Baracken errichtet oder instandgesetzt, wie z. B. in der Karl-Wilhelm-Straße 89 und 91 (heute Teil der Haid-und-Neu-Straße). In den großen Betrieben wurden eigene Lager eingerichtet. Doch auch damit genügte die Kapazität immer noch nicht, so daß weiterhin ein großer Teil in Sälen und Gasthäusern in der Stadt untergebracht wurde. Wirtshäuser wie Ziegler, Walhalla, Festhalle in Durlach und viele andere waren Orte, an denen zumeist verschiedene Nationen auf engstem Raum zusammengepfercht und ständig über- wacht leben mußten. Der Karlsruher Polizeipräsident beschwer- te sich im Januar 1942, daß sich deutsche Frauen in würdeloser Weise mit Ausländern abgegeben und Liebesverhältnisse ange- knüpft hätten, was aus Gründen der "Rassen- pflege", aber auch wegen der großen An- steckungsgefahr, die von fremden Arbeitern allgemein ausginge, als verwerflich zu be- trachten sei. Deswegen erwartete er polizeili- ches Einschreiten, wenn es sich um Arbeiter der Feindstaaten, insbesondere Polen oder Russen handelte. Dies zeigt das Dilemma der Rassenfanatiker. Gegenüber den ausländi- schen Arbeitskräften aus mit Deutschland verbündeten oder neutralen Staaten, wie z. B. Italien bis 1943 oder Spanien und Rumänien, getraute sich die Staatsgewalt nicht so energisch vorzugehen, weil dies die Zahl der Anwerbungen gedrückt hätte. Nach dem Waffenstillstand Italiens, am 8. September 1943, entlud sich der "Volkszorn" über den ehemaligen Verbündeten dann auch an den hier in Karlsruhe lebenden italienischen Arbeitskräften. Hunderte italienischer Solda- ten mußten bei Gritzner & Kaiser als Militärinternierte arbeiten, über 1000 Italie- nerinnen und Italiener wurden allein nach dem 8. September 1943 nach Karlsruhe gebracht. Für Tausende von "Fremdarbeiterinnen und -arbeitern" brachte der Einmarsch der Franzosen in Karlsruhe am 3./4. April 1945 die Befreiung. Über 10 000 ausländische Menschen, die nun "Displaced Persons" hießen, warteten seit Mai 1945 in den großen Lagern in der Forstnerkaserne, der Rhein- kaserne, der Kaserne in der Moltkestraße und in der Rheinlandkaserne in Ettlingen auf ihre Repatriierung, vor allem nach Polen und in die So\-:jetunion. Wie wenig auch nach dem Krieg die Einsicht in die eigene Vergangen- heit bei einigen deutschen Dienststellen entwickelt war,' zeigt ein Schreiben des Feld 23 auf dem Hauptfriedhof 195 Ettlinger Bürgermeisters an den Landrat aus den ersten Monaten der jungen Bundesrepu- blik, 1949, worin er mitteilt, daß 22 polnische Staatsangehörige nicht nach Polen zurück- kehren wollen. Daraus folgert er, daß "da- durch die vielfach verbreitete Meinung über die Verschleppten nach Deutschland ... ins Wanken gebracht (ist), denn meistens sind die Leute nicht verschleppt worden, sondern befinden sich aus Gründen, welche nicht näher untersucht werden sollen, in Deutsch- land," Eine für die Betroffenen · nachträglich belastende Situation stellt die Tatsache dar, daß ein großer Teil von ihnen, insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion, bis jetzt keine Wiedergubnachung erhalten hat. Viele sind mittlerweile verstorben, die noch Lebenden sind heute 70 Jahre und älter. Jürgen Schuh/aden-Kramer Das Oberlandesgericht Karlsruhe im "Dritten Reich" Die Rolle der Justiz im Nationalsozialis- mus ist vielfach untersucht, dennoch sind Arbeiten zu der Geschichte einzelner Ober- landesgerichte selten. Dies obwohl die Oberlandesgerichte mit der sogenannten "Verreichlichung der Justiz" , der Abschaf- fung der Landesjustizbehörden also, funktio- nell an deren Stelle traten. Gerade die Akten der Oberlandesgerichte lassen deshalb ein weites Spektrum an Material über die Stei- lung der Justiz in jener Epoche erwarten, da sie sowohl Verwaltungsakten als auch Pro- zeßakten umfassen. Als besonders glücklicher Umstand darffür das Oberlandesgericht Karlsruhe die Dichte des im Generallandesarchiv in Karlsruhe überlieferten Quellenmaterials gelten. Die Akten der Verwaltungsabteilung, der späte- ren Präsidialabteilung, sind fast lückenlos vorhanden, auch sind noch etwa 85 % der Zivilurteile überliefert. Ein geschlossener Bestand an Strafurteilen existiert demgegen- über nicht, jedoch finden sich etliche der politisch brisanten Urteile in Hoch- und Lan- desverratssachen in Gefangenenpersonalakten der Strafanstalten Bruchsal und Mannheim. Ergänzt werden diese Bestände durch Per- sonalakten im Bundesarchiv in Koblenz und Akten der NSDAP des Gaus Baden, worunter 196 insbesondere die politischen Beurteilungen der Richter von Interesse sind. So kann die Geschichte des Oberlandesgerichts Karlsru- he in der Zeit des Nationalsozialismus ge- zeichnet werden, und zwar die Geschichte der Institution, zunächst unter badischer Justiz- verwaltung, dann als Mittelbehörde der Reichsjustizverwaltung, zum anderen deren Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen. Ferner bezeugen die Akten des Generallan- desarchivs die Geschichte der badischen An- waltschaft während der Zeit der Nazidiktatur. Geschichte der Institutionen Die Geschichte der Justiz im " Dritten Reich" ist die einer Staatsgewalt, die sich von einem Machtfaktor in die Rolle eines Voll- zugsorgans fremder Interessen drängen ließ. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe und die iIun nachgegliederten badischen Gerichte vollzogen diesen Weg, zunächst unter der Führung des 1930 zum Präsidenten ernannten Dr. Buzengeiger und dann seit 1937 unter der Präsidentschaft des überzeugten Nationalso- zialisten Reinle. Das Land Baden verfugte zwar bis zum Ende der Weimarer Zeit über relativ stabile politische Verhältnisse, aller- dings war auch in Baden eine fortschreitende Radikalisierung der politischen Ansichten zu verzeichnen, eine Entwicklung, der man auch unter Zuhilfenahme der Justiz zu begegnen suchte. Wenn man der Justiz nicht zu Unrecht vorwirft, sie sei in der Weimarer Zeit auf dem rechten Auge blind gewesen, so war sie doch in die Bemühungen des demokratischen Staa- tes um Behauptung gegen die Bedrohung von links wie von rechts einbezogen, und Urteile über politisch motivierte Straftaten fanden bei weiten Teilen der Bevölkerung keine Akzep- tanz. Das Zivilrecht und mit ihm die Zivil- rechtsprechung standen in dem Rufweltfremd und volksfern zu sein. Die badische Justiz und an ihrer Spitze das Oberlandesgericht Karlsruhe begab sich also in die ihr bevorstehende Auseinandersetzung nicht hocherhobenen Hauptes, sondern be- reits angegriffen und sich ihrer Autorität keinesfalls gewiß. Andererseits war der Na- tionalsozialismus, trotz der auf nationalsozia- listischer Seite weitverbreiteten Justizkritik, gerade bei jüngeren Richtern nicht unpopulär. Die nicht zu leugnende Abstraktheit des bürgerlichen Rechts konnte in der Tat als re- formbedürftig erscheinen. Die populistische Forderung der Nationalsozialisten nach einer Abkehr von formaler Rechtsfindung und einer Hinwendung zu einer "völkischen Rechtsord- nung" bot sogar Ansätze fur ein Richter- königtum und verhieß größere Akzeptanz der Justiz bei der Bevölkerung. Die Demokratie mit ihrem Parteienstreit stand demgegenüber in Verruf Die Gruppe der badischen Richter, die dem Nationalsozialismus zunächst wenig abgewinnen konnten, kamen an der Erkennt- nis nicht vorbei, daß tatsächliche oder ver- meintliche politische Abseitigkeit mit Kar- riereverzicht gleichzusetzen war. Von großer Bedeutung war hier der Einfluß, den die neue Führung auf die Personalpolitik gewonnen hatte. Begeisterung und das Bemühen um Anpassung bildeten also wichtige Motive, sich in den Dienst der neuen Führung zu stellen. Andererseits konnte die neue Führung auf die Justiz nicht verzichten. Um einen wirt- schaftlichen Aufschwung zu erreichen, mußte das Zivilrecht berechenbar bleiben. Zudem war die Justiz erforderlich, um die politische Opposition zu kriminalisieren. Da man die Justiz brauchte und unter der badischen Richterschaft im Jahre 1933 alte Nationalso- zialisten auch nicht annähernd in ausreichen- dem Maße vorhanden waren, übten badische Nationalsozialisten erheblichen Druck auf die Richterschaft aus, die diese dem neuen Staat gefügig machen sollte. Neben den be- reits genannten Motiven sicherte also Zwang die Loyalität der Richter. Und die badische Justiz verweigerte sich in ihrer ganz über- wiegenden Mehrheit den neuen Machthabern nicht, man diente der neuen Führung, teils begeistert, teils opportunistisch und zum Teil sicher auch eingeschüchtert. Der Preis der Anpassung war von Anfang an hoch. Mit der Entlassung der jüdischen Richter wurde das richterliche Privileg der Unabsetzbarkeit beseitigt, und die Justiz- kritik der Nationalsozialisten verstummte während der Nazidiktatur nie. Im Gegenteil, sie nahm inuner bedenklichere Ausmaße an und untergrub die Autorität der Justiz voll- kommen. Den Richtern wurde die eigene Machtlosigkeit fortwährend demonstriert, etwa indem Freisprechungen von der Polizei durch die Verhängung von Polizeihaft kor- rigiert wurden, oder indem die Polizei ganz ohne vorangegangenes Gerichtsverfahren Haft verhängte oder Beschuldigte einfach er- hängte und wie im Mittelalter öffentlich zur Schau stellte. Aber auch die Entscheidungen der Zivil- justiz wurden nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert. So verhinderten Badische Partei- institutionen durch Aufinarsch der SA die Vollstreckung von Zivilurteilen, wenn man glaubte, das Urteil habe gegen nationalsozia- listische Grundauffassungen verstoßen.' Zwi- 197 schen den Parteiinstitutionen und der entfes- selten Exekutive war fiir eine mit eigenständi- ger Kompetenz ausgestattete Justiz kein Raum. Und flir die eigentlichen Machtzentren bestand immer weniger Veranlassung, sich der behäbigen Justiz zu bedienen, wenn Entscheidungen auch ohne Justiz herbeige- fuhrt werden konnten. Aus dem vielfach vorhandenen Wunsch, dem "neuen Staat" zu dienen, und der fortwährenden Demonstrati- on der Machtlosigkeit und Überflüssigkeit der Justiz entwickelte sich ein Teufelskreis von Repression und Anpassung, bei demjedes Bemühen um Anpassung die eigene Autorität weiter untergrub und der nächsten Pression Vorschub leistete. Die Konsequenz dieser Entwicklung waren die Richterbriefe und die, wie man damals sagte, "Lenkung" von Entscheidungen, ein Verfahren, bei dem der Oberlandesgerichtspräsident Reinle in poli- tisch brisanten Prozessen vorab über den Ausgang der Verhandlung bestimmte und den eigentlich zur Entscheidung berufenen Rich- tern entsprechende Weisungen erteilte. Die Gerichtsverhandlung stellte lediglich noch eine Legalität zur Schau, die es längst nicht mehr gab. Zwar war bei weitem nicht die Mehrzahl der Fälle das Ergebnis gelenkter Entscheidungen; sobald aber politische Rele- vanz gegeben war, verzichtete die badische Justiz immer mehr auf eigenständige Macht- ausübung, ein Umstand, der vom überzeugten Nationalsozialisten Reinle in mehreren nach Berlin gerichteten Schreiben bitter beklagt wurde. Die badische Richterschaft scheiterte also an der Justizfeindlichkeit des Nationalsozia- lismus, sie scheiterte aber auch, weil sie sich auf ein System eingelassen hatte, dem sie nichts bedeutete. Die badische Anwaltschaft im "Dritten Reich" Die Vorstände der badischen Anwaltsver- 198 eine wurden nach der "Machtergreifung" schnell abgelöst und die Verbände in den Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juri- sten überftihrt, ein Vorgang, der ohne jeden Widerstand vollzogen werden konnte. Diese neue Führung der badischen Anwaltschaft wirkte intensiv bei der Diskriminierung der jüdischen und der politisch verfemten Kol- legen mit und arbeitete dabei mit dem zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden badi- schen Justizministerium eng zusammen. Ei- nige Anwälte ließen sich ganz auf die neuen Gegebenheiten ein und zitierten in Schriftsät- zen aus Hitlers "Mein Kampf' oder ver- suchten, indem sie sich an Parteiinstitutionen wandten, Druck auf die Richter auszuüben und so flir die eigene Mandantschaft etwas zu erreichen. Widerstand und offene Kritik waren auch hier die Ausnalune, obwohl die badische Anwaltschaft mit dem am Oberlan- desgericht zugelassenen Rechtsanwalt Rein- hold Frank einen Vertreter aufzuweisen hatte, der zum Kreis der Widerstandskämpfer des 20. Juli gehörte, was er mit dem Tode be- zahlte. Gerade die Anwaltschaft mußte je- doch in einen unausweichlichen Konflikt mit dem neuen System geraten. Die vom Anwalt erwartete Durchsetzung von Einzelinteressen konnte in einem Staat, der immer den Vorrang der Interessen des "Volksganzen" propagier- te, auf Dauer nicht hingenommen werden. So waren es in der Endphase des Dritten Reiches vor allem die Plädoyers von Strafverteidi- gern, die auf Mißfallen stießen, da jedes Eintreten fur die Angeklagten als Regime- kritik aufgefaßt wurde. Es ergingen ernste Mahnungen, und der Anwaltschaft wurde verdeutlicht, daß die freie Advokatur auf dem Spiel stehe, wenn sich die Anwaltschaft nicht mäßige. Es gilt, was bereits zur badischen Richterschaft festgestellt wurde: die Mehrheit fligte sich. Zivil- und Strafurteile Vom Oberlandesgericht sind noch etwa 4.200 Zivilentscheidungen überliefert. Einen Bezug zu den politischen Verhältnissen wei- sen nur etwa 6 % der Entscheidungen auf. Dieses Ergebnis überrascht zunächst, dürfte aber vor allem der politischen Neutralität der überwiegenden Mehrzahl der Zivilentschei- dungen zuzuschreiben sein. Allerdings war das Oberlandesgericht Karlsruhe das erste Obergericht, das in einer reichsweit Auf- merksamkeit erregenden Entscheidung aus dem Jahre 1934 der Eheanfechtungsklage eines christlichen Ehemannes gegen seine jüdische Ehefrau stattgab. Dieser hatte sich auf einen Irrtum über die " Rasseeigenschaf- ten" seiner Ehefrau berufen. Das Urteil wurde in Fachzeitschriften wie in der Tagespresse besprochen, und dies nicht nur wegen des Ergebnisses, sondern vor allem auch, weil die Urteils begründung des 2. Senats übelste anti- semitische Ausfalle enthalten hatte. Weiter- hin kann festgestellt werden, daß neue, l'i~ &1rjj~:fü~i,mt roiijm~6~ on1~mtbnr lilne grun~lrgrn~c ~nfitf)rl~ung ~r5 Nrrlnn~rSgrrhlitS storlSrube ~i~ C!rltttr.tni.l über ~ ( f t öt u n b ~ t. beutuna bel !Hci llt. mit fit 11:, nQ!ionale !Htuolution 10 Qu~trorllrnttjc!) verbreitd unh ..Ijt:lörbcrl fjat, Jjct bOj:.! 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Nr. /05. ~ i e I ~ (!r'cl1nlni~ jei gegenüber :'cr fra~( .. ren eine anbere. rdd mtitne6C'n~e:rt. tiefere unb florere ßemorllcl1 . .. !llan bot bt'ut~ crlonn''', ja fii~rl ba ß llr,. !ei( fort ... bOB bit jiibiidie !RaHc f)injid)Hid) ~r~ ~!u lr~. bc4 (fl')IlIo!ted, bel i.1trlönIilf)teH unb bcr ~chcn.~o\liilliiulIll cJroa~ Gon3 'anber 'e~ trt, ar~ öie ari[d}e :noiie unb ~QB eint $erbinbung unb 'l~aa r ul1n mit einem ~111!lc6öligen bie:ier ~nnife: jür ilclI :'(Il llel}iir igtn ber ariid}en 9lafit nidH lill r ni ,fJl ll1ii:tirbclh~ nl~rt. IO lt..'lc f n t1 CI· ~ erb I i Ir,. 11 II n Q tür I i U} U 11 b IV i b ern a · t ii r' i L1 i il. lNi( He ~Clt ~(rier llU J (!i::JdllCn, namcntHd) aber Qudi in feiner Cilgenjd}aft or!3 :no{ ( .~G en olicn in bie l»efn6r thing! feiner ~aiit un~ fcinem :noIt~\lum frcmb ~U :verben unb bariibcr 6inauJ arlfrun bc Slinb~r öU , er- jcugrn • . . . . ~cr C;rflrl1 i a~ ber ~llliirn. mie er fjeutt cx-, fa nnt ijL Ht t'in 10 ticrac~enber, ~aB I:I {~ not!) ,;U einer I!' ~e: .lTtlilrfJcn ~(r;nn llnb midjJ., ariern fübrcn mir/'l," . ~ ~ ~al'\ 0.irrir~1 At'ijt bt3~a[b bal'Du at:a,· ba(J ~ct ' $1Icgrr !Jei ~c:n nlnI3 bn Jl1c!jrtn Zcdjfogt bie (!' ~e nidil gcldifoßclI ~(jbcn l:)ürbt. ' ~omit nn~ ober \'lic !!3orQu~lebungcn fnt bie ~(llftc!)tUll!l rucgen nrrfutrllJ gem. § '1333 bd (l!irncrIi(f)cn mtlct:ollCf" ~ orgeoclI. ' , :':::ie (!:nllrf)ci~una bc~ctllet gerQ~föU einen :1.natljlcln in bel bcu!ld}cn ~led) t~llefd}idjl e. : ~tt oringt arlll tritt btn !J1aliegtbanlcn Q.ud) im e~e::edjt cur <»cttung unb bcmift, baB 'bit ll)Ctid)le Id)on nod) g,lI,n~,m !R'd)1 bei lid). tlgcr mtd)t~Qnroenbung ber nationQlfo~iaHiti_ "~en . !'!!)dlnltlJ)Quun~ 3um !Curdj&tu.di tlerr,c.I- · len fBnncn. 0,· .0; ca< 199 spezifisch nationalsozialistische Regelungen, wie etwa das neue Ehegesetz aus dem Jahre 1938, auch im Sinne der nationalsozialisti- schen Machthaber angewandt wurden. 10 Bereichen tnit unveränderter Rechtslage fanden demgegenüber nationalsozialistische Wertungen nur sehr spärlich Eingang in die Entscheidungen. Im Einzelfall waren diese Urteile aber, wie etwa die oben angeruhrte Eheanfechtungsentscheidung, genauso spek- takulär wie verabscheuenswürdig. Schließ- lich ist in einigen Fällen nachweisbar, daß bereits in der Anfangsphase der Nazidiktatur starker Einfluß auf die Richter ausgeübt wurde, um deren Entscheidung zu bestimmen. Die zahlenmäßige Erfassung von gelenkten oder offenkundig nationalsozialistisch moti- vierten Entscheidungen liefert sicher nur ein ungenaues Bild. Der eigentliche Schaden, den die Zivilrechtsprechung genommen hatte, diiIfte darin zu suchen sein; daß potentiell jedes Verfahren zum Gegenstand außeljusti- tieller Einflüsse werden konnte, wenn ein politischer Ansatzpunkt gegeben war. Als Beispiel seien hier die Prozesse unter Be- teiligung jüdischer Parteien aufgefiihrt. Das Prozeßrisiko hatte sich entscheidend zu La- sten der nwunehr verfemten Minderheiten verändert. Schließlich mag die Beforderung von Richtern, die zumindest nach außen hin in der Lage waren, den Eindruck der Linientreue zu erwecken, ein übriges getan haben, um in Verfahren von politischer Relevanz Linien- treue zu gewährleisten. Dies läßt den Schluß zu, daß sich politisch verdächtige Parteien gerichtlicher Hilfe nach Möglichkeit nicht mehr bedienten. Die Unvoreingenommenheit der Ziviljustiz war nicht mehr allen Recht- suchenden garantiert und die Justiz damit eines wesentlichen rechtsstaatlichen Elemen- tes beraubt. Für die Straf urteile gilt, daß das Oberlan- desgericht die neue Regierung bei der Verfol- gung der politischen Opposition unterstützte. 200 Die Zuständigkeit fiir die Hoch- und Lan- desverratssachen hatten die Oberlandesge- richte erst im Jahre 1933 erhalten, und der Geschäftsanfall gerade in den politischen Sachen war nach 1933 so hoch, daß ein weiterer Strafsenat gebildet werden mußte. Beim Oberlandesgericht Karlsruhe folgte der Anklage wegen Vorbereitung zum Hochver- rat in aller Regel die Verurteilung, und fiir eine Gefängnisstrafe reichten bereits gering- ste Verstöße aus, wie etwa das Lesen eines oppositionellen Flugblattes. Allerdings ging es bei den Urteilen des Oberlandesgerichts in Hoch- und Landesverratssachen nicht um die physische Vernichtung der politischen Geg- ner, wie dies vor allem ftir die späte Praxis des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte prägend war. Das Oberlandesgericht ver- hängte kein Todesurteil, die durchschnittliche Strafe fiir politische Delikte lag bei etwa 2 Jahren. Trotz seiner eifrigen Unterstützung bei der Verfolgung der politischen Oppositi- on, und damit bei der Stabilisierung der politischen Verhältnisse, verlor das Oberlan- desgericht Karlsruhe im Jahre 1937 die Kom- petenz zur Aburteilung der Hoch- und Lan- desverratssachen an das Oberlandesgericht Stuttgart. Einige Hinweise deuten daraufhin, daß rur den als schmerzlich empfundenen Verlust die als zu großzügig eingestufte Strafpraxis des Oberlandesgerichts verant- wortlich zu machen ist. Bezeichnend rur die Situation der Strafju- stiz im "Dritten Reich" ist, daß über die Stra- fe fUr politische Delikte auch das Oberlandes- gericht nicht letztverbindlich entscheiden konnte, sondern daß diese Entscheidung der Gestapoleitstelle Karlsruhe vorbehalten war. Dort wurde nämlich darüber befunden, ob sich an die StraJhaft die Haft in einem Kon- zentrationslager anschloß, ein Verfahren, das der Autorität der Justiz äußerst abträglich war. Die Akten des OLG's Karlsruhe bieten also einen faszinierenden wie auch erschrecken- den Einblick in den Justizalltag des "Dritten Reiches". Sie dokumentieren, wie im Land Baden rechtsstaatliche Errungenschaften, die man über Jahrzehnte erkämpft hatte, in nur 12 Jahren aufgegeben wurden. Sie belegen, daß fUr die Justiz wie fUr die Anwaltschaft die Abkehr von diesen Grundsätzen unausweich- lich ins Verderben fUhrt. Christo! Schiller Hintersassen, Bürger und Stadträte in der Frühzeit der Stadt "Wurde Johann Friderich Scharbach, der Hintersaß dahier, statt des Feiglens; welcher sich heute fur den Bettelvogtdienst bedancket und solchen aufgegeben, zum Bettelvogt an- genommen und ihme das Tractament, wie sol- ches der Feigle bishero genossen, verspro- ehen." Das Amt des Bettelvogts, das zu den niederen städtischen Diensten gehörte, wurde mit diesem Eintrag in dem Karlsruher Rats- protokoll vom 31. Juli 1754 neu besetzt. Der Amtsinhaber Hanns Georg Feigie war zu die- sem Zeitpunkt noch nicht lange im Dienst. 1m März 1754 wird er zum erstenmal erwähnt, als er Joseph Pierot aus Italien angezeigt hatte, "welcher ohne Erlaubnus mit zilUlenen Löffel und Salzbüchslen hausiren gegangen ist", und daftir "als Denunciant die Quart" der verhäng- ten Strafe in Höhe von 15 Kreuzer erhielt. Warum Feigle seinen Dienst so rasch wie- der quittierte, erfahrt man erst im Protokoll vom 14. August: Feigle hatte sich schriftlich an Bürgermeister Kreglinger mit der Bitte um Wiedereinstellung gewandt. Dieser Wunsch wurde nun im Rat behandelt: "Hanns Georg Feigle, der geweste Bettelvogt dahier, welcher, als er den 31. elapsi (des vorausge- gangen Monats )vor versammIetern Gericht und Rath im Rausch sich von seinem Amt abgebetten, dazumahlen sogleich auch we- gen seiner täglichen Trunckenheit und sonsti- gen üblen AufI'tihrung davon entlassen wor- den, hat nach der Hand, nachdeme der Wein bey ihm ausgetobt, dem Herren Amts- bürgermeister Kreglinger anligenden Aufsatz, so eine Bittschrift, daß er widerum zu sol- chem Dienst aufgenommen werden möchte seyn solle, überreichet." Die hier erwähnte Bittschrift fmdet sich nun in einer der weni- gen Akten des Stadtarchivs, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Feigle schreibt: "Hochedler Herr Bürgermeister! Es sagt zwar der weise Zucht- und Sitten- lehrer Syrach, der Wein erfreuet des Men- schen Herz. Ich aber muß diesem Sittenspruch noch den fernern Beysaz zufugen, daß der überflüssig genossene Wein den Menschen zum Narren macht. Und ebenso ist mirs auch gegangen, da ich m[ich] bey dem Tanzen also starck erhizet und darauf einen kleinen Trunck über den Durst gethan. Dann dieses Labsahl hat mein Gehirn in solche Zerrüt- tung gebracht, daß ich besonders, da man mir den Kopf durch andere Erzehlungen noch so warm gemacht, mich erfrechet, in der Hize bis vor Euer Hochedel und ein Ehrsames Ge- richt und Rath zu taumeln und mein bisher so treu verwaltetes Nachtwächter- und Bettel- vogts-, auch Ausschellersamt ganz unbeson- nener Weise aufgekündet. Da mir aber diese begangene Übereilung um so unerträglicher fallt, als meine Hand der bisher so geschickt geftihrten Schelle unmöglich entbehren kan, meiner wachsamen Stimme, mit welcher ich nicht nur ein ganzes Ehrsames Gericht und 201 Rath, sondern auch die gesammte Bürger- schaft die ganze Nacht hindurch so munter behelliget, nicht zu gedencken, so verhoffe ich, es werden Euer Hochedei in bedauerli- cher Beherzigung, wie ich nicht nur meinen begangenen Fehler grundmütig bereue, son- dern auch künftighin mit der bisherigen Em- sigkeit meinem wichtigen Amte vorstehen will, meine gethane Erklärung umso weniger um baar Geld annehmen, als ich, falls diesel- be es ebenfalls im Ernst verstehen und ich würcklich meines Amts entsezet werden soll- te, bey meiner herzgeliebten Ehegattin, die doch von meiner Auffiihrung kein einiges Wort gewußt, keine ruhige Stund mehr im Haus haben würde. Ich lebe solchemnach zu Euer Hochedel der obwohl noch etwas be- wenden, dennoch getröstenden Zuversicht, es werde dieselbe an der Störung meines Haus- friedens keinen Gefallen tragen und mich hier- mit der so sehnlich erbittenden Verzeihung zu beseeligen belieben, damit ich künftighin mit freudiger Stimme deroselben bey anbre- chendem Tagelicht nach wie vorher den gu- ten Morgen anzuwÜDschen im Standt seyn möge, und weilen ich an der Willfahr nicht zweifle, so will ich mich auch neuerdingen unterschreiben Euer HochedeI getreuer Nachtwächter, Bettelvogt und Aus- scheller Hanns Georg Feigle." Carlsruhe, den 11. Augustii 1754 Trotz der so anschaulich vorgetragenen schwerwiegenden familiären Gründe wurde Feigle nicht wieder eingestellt. Sein weiterer Weg bleibt im Dunkeln, das er, wie die mei- sten der Karlsruher oder Klein-Karlsruher Hintersassen des 18. Jahrhunderts, nur kurz durch diesen in den Ratsprotokollen überlie- ferten Fauxpas verlassen hat. 10 den lange verloren geglaubten Karlsruher Ratsproto- kollen des 18. Jahrhunderts werden eine Viel- zahl solcher "kleinen Leute" erwähnt, über die man sonst wohl kaum etwas erfahren hät- 202 te, häufig im Zusammenhang mit der Beset- zung der niederen städtischen Ämter. Die niederen städtischen Ämter --~. Über derer Besetzung mußte der Rat ent- scheiden: Bettelvögte, die gleichzeitig Nacht- wächter und Ausscheller waren, Feldschü!zen, Mehlwieger, Organisten, Orgeltreter, Stadt- knechte, Stadtmeßner, Stadttamboure, Toten- gräber und Viehhirten waren von der Stadt angestellt. Wenn diese Dienste nicht ordent- lich versehen wurden, schritt der Rat konse- quent ein. So wurde der bisherige Kuhhirt "Niclaus Aster verabschiedet und zwar der Ursachen, weilen er des Forstamts einge- schickter Beschwerden nach großen Schaden in denen Waldungen gethan, mithin die Statt beständiger Verantwortung sich gewärtigen müssen, und ist daraufhin dem bisherigen Schweinhürthen, Herrn Martin Müller, auch das Rindvieh zur Hut anvertrauet und zu sei- nem Lohn von I Stück Rindvieh I 1/2 Kreu- zer, von einem Schwein 1/2 Kreuzer nebst denen in Durlach gewöhnlichen Accidentien bestimmet worden." 10 aller Regel übernahmen Karlsruher Hin- tersassen die niederen städtischen Dienste. Hintersassen ----~-~---- Wohl schon recht früh durfte der Rat über die Annahme von Hintersassen beraten. Auf eine oberamtliche Anfrage antwortete man am 22. Juli 1797, daß der Magistrat seit Grün- dung der Stadt Hintersassen angenommen habe, die vom Oberamtjeweils bestätigt wor- den seien. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gehörten diese Gesuche zum fast alltäglichen Geschäftsbereich des Stadtrats, wobei die meisten Gesuche - 110 von 119 - beftirwor- tet wurden. Hintersassen, d.h. Personen, die keine Vollbürger waren, aber den Schutz der Stadt genossen, mußten Hintersassengeld zah- len und waren zur Ableistung von Fron- diensten und zur Übernahme von Wachen verpflichtet. Am 8. März 1763 wurde sogar betont, daß ein Mangel an Hintersassen herr- sche. Wenige Tage später lehnte der Rat aber kurioserweise ein Annahmegesuch mit der Begründung ab, daß "die hiesige Stadt ohne- hin schon mit dergleichen Leuthen übersezet seye." Ebenso befaßte sich der Stadtrat mit Bitt- gesuchen Karlsruher Hintersassen um Unter- stützung. Häufig handelte es sich um den Erlaß von schuldig gewordenen Abgaben, die nach Prüfung der sozialen Lage der Bittstel- ler meistens bewilligt wurden. 1746 erschien "Johann Georg Hübscher, der Hintersaß da- hier, und gibt mit gantz kläglichen Wortten zu vernehmen, wie daß ihne schon in anno 1744 im Juli der Schlag getroffen habe, dahero er seit der Zeit etwas zu verdienen außerstan- de, mithien gezwungen scye, sein tägliches Stück Brod bey gutllhertzigen Leuthen zu su- chen. Gleichwie ihme aber bey dem löbli- chen Bürgermeisteramt bis daher das Hintersassengeldt nachgeführet und angefor- dert werde, er hingegen selbiges abzutragen ohnvermögend seye, als wolle er hiemit gantz unterthänig gebetten haben, ihme nicht nur seit der Zeit, da er von dem Schlag getroffen worden und nichts mehr verdienen können, das angesetzte Hintersaßgeldt zu schencken, sondern auch in Zukunft, und bis er wieder etwas zu verdienen imstand scyn würde, da- vor los zu sprechen." Auch über die Annahme als Bürger ent- schieden zunächst die markgräflichen Behör- den. Erst am 9. November 1747 befaßte sich der Rat erstmals mit einem Bürgerannahme- gesuch. Das Oberamt hatte mitgeteilt, daß der ehemalige Karlsruher Bürger Caspar Zwickel mit seiner Frau von Spcyer zUTÜck- kommen wolle und man diesen "Ieidentlich" behandeln solle. Daraufhin ermäßigte der Rat das frillige Bürgergeld von 30 Gulden, 20 für den Mann, 10 für die Frau, auf die Hälfle. Neubürger mußten außer der Bürgertaxe ei- nen Feuereimer, das Rathausbaugeld sowie das Dielen- und Schragengeld bezahlen. Au- ßerdem waren sie seit 1724 zur Ableistung von Wachdiensten verpflichtet, für die sie aber Stellvertreter stellen konnten. Nach 1750 scheint es dann üblich gewor- den zu sein, dem Rat die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu geben. Von den ins- gesamt 485 Anträgen auf bürgerliche Annah- me lehnte der Stadtrat 110 ab. Abgelehnt wurden nur Männer, da die Frauen, um deren Annahme nachgesucht wurde, in der Regel Karlsruher Bürger heirateten. Die häufigsten Begründungen für Ableh- nungen waren das unzureichende Vermögen des Petenten (500 Gulden waren vorgeschrie- ben), die noch nicht erreichte Volljährigkeit oder aber die Überbesetzung der Zunft, in die der Petent eintreten wollte. Gelegentlich ließ man auch einfließen, daß der Aufnahmewillige katholischer Religion sei, ohne zu betonen, daß dies der ausschlaggebende Grund fur die ablehnende Haltung des Rats war. Gegenüber Ortsfremden wurden diese Kri- terien stets strenger angewandt als gegenüber Bürgersöhnen, es sei denn, es gab einen fi- nanzkräftigen Schwiegervater, der vielleicht sogar bereit war, sein Handwerk zugunsten des ortsfremden Schwiegersohns aufzugeben. In einigen Fällen wurden die um bürgerliche Annahme Bittenden aber trotz des ablehnen- den Votums des Stadtrats von den markgräf- liehen Behörden angenommen. Gerne befürwortete der Rat dagegen An- nahmegesuche, wenn das Handwerk nur schwach besetzt war, wie z.B. 1761 im Falle des Zimmerers Johann Ludwig Weinbrenner, des Vaters des bedeutendsten Karlsruher Ar- chitekten Friedrich Weinbrenner. Oberstes 203 Kriterium war aber immer, ob der künftige Bürger sich und seine Familie werde ernäh- ren köhnen. Ganz in diesem Sinne unterstützte der Rat Annahmegesuche, wenn durch die Heirat mit dem Aufnahmesuchenden eine Witwe oder eine unverheiratete Bürgers- tochter versorgt wurde, so z. B. am 30. Mai 1754: "Erscheinet auch Augusta, eine geboh- rne Vortischin, weyland Johannes Schuma- chers, des gewesten Bürgers und Becken dahier, hinterbliebene Wittib, und bittet Jo- hannes Fugmann, den bey ihr in Arbeit ste- henden Beckerknecht von Bönnigheim aus dem Churmaynzischen gebürthig, welcher sie heurathen wolle, zu einem Bürger dahier auf- zunehmen, welches Gesuch dann in Delibera- tion gezogen worden. Und möchte man die- ser armen Wittib mit ihren 6 kleinen Kindern gerne gönnen, daß sie durch diese Heurath wiederum versorget würden. Da aber bekannt, daß der Fugmann sich in geringen Vermögens- umständen befmdet und das, was nach der neuerlichen Hochfurstlichen Verordnung zum Carlsruher Bürgerrecht erforderlich ist, nicht praestiren kan, so wird Serenissimi gnädig- sten Resolution in Unterthänigkeit anheim- gestellet, ihne, Fugmann, disfalls, wann er sich seiner ehrlichen und leibsfreyen Her- kunft halben behörig legitimiren kan, gnädigst zu dispensiren. " Fugmann wurde sicher nicht zuletzt wegen dieser befiirwortenden Stellung- nahme im Jahr 1754 als Bürger angenom- men. Ebenso bereitwillig wurden Frauen auf- genommen, die einen verwitweten Karlsru- her Bürger heirateten. Die in den Protokollen festgehaltenen Bür- gerannahmegesuche liefern generell Informa- tionen über die Haltung des Stadtrats in die- ser Frage und ergänzen die vorliegenden Bürgerlisten. Häufig erfahrt man von den Ver- mögensverhältnissen und ob die um Aufnah- me Bittenden leibeigen waren. Auch hier be- gegnet man zahlreichen Personen, die anson- sten kaum in den Quellen erwähnt werden. 204 Innerhalb der Bürgerschaft nahmen die Stadträte, oder wie sie damals hießen, die Ratsverwandten, natürlich eine besondere Stellung ein. Am 24. März 1718, knapp drei Jahre nach der Stadtgründung, hatten 55 Karlsruher Bürger aus ihren Reihen den er- sten Stadtrat gewählt, der wenig später von der markgräflichen Regierung in seinem Amt bestätigt wurde. Er bestand aus einem Bür- germeister und sechs Rats- und Gerichtsher- ren. Doch erst am 24. November 1718 tagte der Rat zum erstenmal, da die "Dringlichkeit der Geschäfte .. . nicht sehr groß gewesen zu sein" scheint. Die Befugnisse dieses Stadtrats waren zu- nächst auf wenige Aufgabenbereiche konzen- triert. In den auf Bitten der Stadt gewährten Stadtprivilegien vom 12. Februar 1722 wur- den diese genauer festgelegt: "Wir gestatten ferner denen Innwohnern zu Carlsruhe hiemit wohlbedächtiglieh und wollen dazu beför- derlich seyn, daß sie gute ehrbare Policey in ihrem Stattweesen selbst aus ihrem Mittel, doch mit Unserer Landesftirstlichen Ratifi- cation, Bürgermeister, Baumeister, Gericht, Rath und aus demselben alle überige zu Er- haltung eines löblichen Wesens nöthige Ämb- ter ohne Partheylichkeit erwehlen und unter Direction und Aufsicht Unseres jedesmaligen Beambten durch dieselbe allen ihnen selbst und ihren Mitbürgern vorkommende Kauf, Tausch, Testamenten und andere Handlun- gen, Erbtheylungen, Versorgung derer bür- gerlichen Waysen mit tüchtigen Vormund- schaften verrichten, zumahlen auch allerhand vorfallende bürgerliche Strittigkeiten erör- teren und überhaubt gut Zucht und Ehrbar- keit mit Bestrafung aller vorgehenden Frevel und Muthwilligkeit nach Anleitung und Mas- gab Unsrer Fürstlichen Landrecht und Ord- nungen in prima instantia handhaben und bey- behalten mögen." Für diese Geschäfte des Stadtrats reichten offensichtlich ZIDlächst sechs Ratsvawandte aus. Zum Vergleich: In der vonnaligen Residenz Durlach gab es zu dieser Zeit je zwölf Ge- richts- und Ratsherren. Aber auch in Karlsruhe gab es noch vor 1725 zwölfRatsmitglieder. Bis 1770 dominierten die Handwerker mit 30 von insgesamt 44 Personen unter den Rats- verwandten (5 Bäcker, 3 Barbiere, 2 Glaser, 1 Hotbuchbinder, 1 Hotbuchdrucker, 3 Kü- fer, 1 Kupferschmied, 1 Kürschner, 3 Metz- ger, 1 Säckler, 1 Schlosser, 2 Schneider, 1 Schreiner, 3 Schuhmacher, 1 Seifensieder, 1 Zimmennann.) Der erste Ratsverwandte, der kein Hand- werker war, wurde erst 1731 mit dem Apo- theker Johann Ernst Kaufmann gewählt, sieht man davon ab, daß der 1723 gewählte Johan- nes Rachael Küfer und Wirt war. Insgesamt umfaßte die Gruppe der Nichthandwerker 3 Apotheker, 4 Händler und 7 Wirte. Es domi- nierten also relativ rasch die Ratsverwandten, die in einer Beziehung zum markgräflichen Hof standen. Viele der gewählten Handwer- ker waren in der Tat als Hofhandwerker von den markgräflichen Aufträgen abhängig. Die Wirte beherbergten Hofgäste, Händler belie- ferten den Hof Neue Ratsverwandte wählte der Rat je nach Bedarf selbst dazu, die erforderliche Bestäti- gung durch das Oberamt traf in der Regel wenige Tage später ein. Ausdrücklich bestä- tigt wurde die Wahl der Schwäger Johann Ernst Kaufmann und Georg Ernst Baumann am 15. März 1731. Die Neuwahl des Bür- genneisters erfolgte ebenfalls durch den Rat in Anwesenheit eines fUrstlichen Beamten. Städtische Ämter Aus ihren Reihen besetzten die Ratsherren folgende Ämter: Almosenpfleger, Billetten- schreiber, Feuerbeschauer, Fleischschätzer, Gewicht- und Maßeicher, Kaufhausinspektor, Kirchenrüger, Marktmeister, Quartiermeister, Stadtleutnant, Umgelder, Waisenrichter und Weinsiegier. Da in der Regel pro Amt je- weils zwei Stellen besetzt wurden, übernah- men die Ratsmitglieder häufig mehrere Äm- ter. Als der Ratsverwandte Johann Michael Stargard 1754 starb, mußten z. B. ein Almo- senpfleger, ein Feuerbeschauer und ein Brot- wieger neu gewählt werden. Daß diese Ämter nicht nur eine Ehre, son- dern durchaus auch eine Belastung sein konn- ten, belegt die Bitte der Fleischbeschauer: "Wurde auf gethanen Vortrag derer Fleisch- beschauere Herren Rachels und Casteis, daß ein Gewisses wegen der Beschau und Ab- schätzung zur Gebühr reguliret werden mö- ge, per unanimia der Schluß abgefaßt, daß, weilen die jeweilige Fleischbeschauere keine Besoldung oder etwaige Douceur dieses ver- sehenden Amts halben von Gemeiner Stadt genießen, ihnen, da sie viele Versäumnus ha- ben und Gänge thun müssen, von jedem Stück Ochsen, Rinder oder sonstigen Schmahlviehe der Metzgenneister, welcher solches schlach- tet, vier Kreuzer, von denen Juden aber, wel- che dergleichen Viehe schächten, von jedem Stück sechs Kreuzer zur Belohnung gegeben werden solle." Die alltäglichen Geschäfte des Stadtrats galten im 18. Jahrhundert häufig wenig spek- takulären Dingen und Personen, von deren Existenz man sonst kaum erfahren hätte: der Hausierer Joseph Pierot, der Bürger Caspar Zwickel, die Witwe Augusta Schumacher, der Bäckerknecht Johannes Fugmann, der Kuh- hirt Niclaus Aster, der Schweinhirt Martin Müller, der Hintersasse Johann Friderich Scharbach, der Bettelvogt und Nachtwächter Hans Georg Feigle oder der Hintersasse Jo- hann Georg Hübscher, sie alle hätten wohl kaum irgendwelche Spuren hinterlassen, wenn sie nicht aus den unterschiedlichesten Grün- den Objekt der Verhandlungen des Stadtrats geworden wären. Ernst 0110 Bräunehe 205 "So einen schönen Vikar kriegen wir nicht mehr. .. " Nachlaß des Knielinger Vikars und Mühlburger Pfarrers Wilibald Reichwein gelangte durch Schenkung ins Stadtarchiv Karlsruhe "So einen schönen Vikar kriegen wir nicht mehr, welches auch ganz wahr ist. Wir meinen halt alle, Sie sollten einmal unseren Herrn Pfarrer geben. "So die Vorsitzende des Knielinger Jungfrauenvereins Ursula Knob- loch in ihrem Gratulationsbrief zur Hochzeit jenes beliebten Knielinger Vikars Wilibald Reichwein aus Karlsruhe mit Herta Albrecht im Jahr 1927. Der Brief ist Teil des Reich- wein'schen Nachlasses, den Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer, ein Neffe Herta Reichweins, im Januar 1994 dem Karlsruher Stadtarehiv schenkte. Die zwei Kartons umfassenden Unterlagen aus den Jahren 1915 bis 1967 bilden den ersten Pfarrernachlaß, den das Stadtarchiv Karlsruhe in seinen Beständen aufbewahrt. Jugend und Ausbildung ··:···:V:<· :·: ·~:·'·~"·"·'"'"''''''''·:·:·''x·~x*·>x''':.,.,.>:·,x·,:<.,.", ... ,:.,.,,,,~:.:<.:-:«.:-:,,:-:.:.,:-:.,.:-:,';':":.;.:.: .,., Wilibald Reichwein wurde am 1. März 1900 in Karlsruhe geboren. Nach dem Besuch des Bismarckgymnasiums und des damaligen Reformgymnasiums Goetheschule legte er 1918 das Abitur ab und studierte von 1919 bis 1922 in Heidelberg und Leipzig Theologie. Diese Stationen seines Lebens sind im Nachlaß durch ein Zeugnis der Goetheschule aus dem Jahr 1915, durch Urkunden der Universitäten Heidelberg und Leipzig sowie durch Prüfungsbescheide des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe überliefert. Auch daß Reichwein, der von Juni bis November 1918 als Kanonier am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, Mitglied des Karlsruher Arbeiter- und Soldatenrats war, geht aus den dem Stadtarehiv überlassenen Unterlagen hervor. Sie enthalten das Foto seines Mit- , 206 gliedsausweises und das Foto einer roten Armbinde. 1922 trat Wilibald Reichwein in der damals noch selbständigen Gemeinde Knielingen seine erste Vikariatsstelle an. Hier verfaßte er auch sein erstes schriftstelle- risches Werk, die Ortsgeschichte " Knielingen - ein Beitrag zur Heimatgeschichte". "Und wir danken Ihnen auch noch für das schöne Büchlein ... , wo alles richtig drinnen steht", urteilt die Knielingerin Ursula Knobloch über die Chronik und fügt selbstbewußt hinzu: "Es ist nur ein Fehler, daß der Knielinger Jung- frauenverein nicht drinnen steht, wo wir Jung- frauen jetzt sogar das Wahlrecht haben." Unter den Zeitungsartikeln, die Wilibald Reichwein während seiner Knielinger Vika- riatszeit aus dem "Rhei'nboten" ausgeschnit- ten hat, befindet sich aber ein Bericht über die Tätigkeit des Knielinger Frauenvereins . Auch das Ergebnis der Reichspräsidentenwahl vom 26. April 1925 in Knielingen und ein Bericht über den damals 20jährigen Knielinger Fuß- ballverein sind in der kleinen Zeitungsaus- schnittsammlung dokumentiert. Knielinger Chronist """'~"'."~'~"~Y~YN=W"·.·",·""""" ·,,,w,w ....... ·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.w ................. • ... WN.MN~ ..... , Mit seinem Werk "Knielingen -ein Beitrag zur Heimalgeschichte" schufWilibald Reich- wein die ersle bis dahin erschienene Gesamtchronik der Gemeinde. Das Buch enthält zahlreiche Abbildungen des 1935 nach Karlsruhe eingemeindeten Ortes. Ein eigenes Kapitel ist der Knielinger Orts sage "Die vier Kreuze von Knielingen" und einem Versuch ihrer geschichtlichen Beurteilung gewidmet. Ein Verzeichnis der Knielinger Bürgermeister von 1831 bis 1921, eine Bevälkerungstabelle Knielingens der Jahre 1814 bis 1919, namentliche Aufstellun- gen des Knielinger Gemeinderats und Bür- gerausschusses aus dem Jahr 1923 sowie das Lehrerverzeichnis von 1923 machen die Chronik darüber hinaus zu einem wertvollen Nachschlagewerk fur die Knielinger Ge- schichte. Ein Arbeitsexemplar dieses Buches mit handschriftlichen Anmerkungen ist in Reichweins Nachlaß enthalten; ein Exemplar des 1924 erschienenen Werkes befindet sich selbstverständlich in der Bibliothek des Karlsruher Stadtarchivs. Pfarrer in Mühlburg ·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.·.w.·.·.·.·.w.· ... ·.w ................... · ... ·•· ............ ""·.w ............. ,,· ....... w ........ ·•·•••· ................. _ Reichweins erster Vikariatsstelle in Knie- lingen folgten weitere in Mannheim, Rastatt und in der Karlsruher Altstadtgemeinde des "Dörfle". 1929 trat er seine erste Pfarrstelle in Boxberg im Odenwald an. Nach zehnjähri- gem Dienst in Boxberg wurde er schließlich zum Pfarrer der Karl-Friedrich-Pfarrei in Karlsruhe-Mühlburg ernannt. Die Bestal- lungsurkunde der Evangelisch-Protestanti- schen Landeskirche vom 12. September 1939 ist im Nachlaß Reichweins ebenso erhalten wie andere Unterlagen, die seine Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs in Mühlburg dokumentieren. Ein Schreibendes Knielingers Emil Stellwag vom 31. Januar 1943 an Pfar- rer Reichwein läßt vermuten, daß dieser am vorausgegangenen Sonntag eine Predigt zum 10. Jahrestag der nat.-sozialistischen Macht- ergreifung gehalten hat: "Es drängt mich formlich, Ihnen fur Ihre heute gehaltene bedeutungsvolle Predigt ganz besonders zu danken. Der Inhalt dieser Predigt wäre wür- dig, in die ganze Welt hinausposaunt zu wer- den", lautet Emil Stellwags Reaktion. Daß Konfirmation und Konfirmandenun- terricht auch im Kriegsjahr 1944 in der Karl- Friedrich-Gemeinde in Mühlburg stattge- funden haben, geht aus einem Brief der da- Wilibald Reichwein (1900--1967). maligen Konfirmanden Wolf gang und Doris aus dem Jahr 1953 an Wilibald Reichwein hervor. ,,10 Jahre ist es jetzt her ... " schreiben sie und "wir waren uns einig, daß wir aus diesem Grunde ganz besonders Ihrer, verehrter Herr Pfarrer, gedenken wollen". Der Brief gibt außerdem Aufschluß über die Bedeutung des Pfarrers fur die Jugendlichen. "Lassen Sie mich bitte ... auf das herzlichste danken fur die hohen unersetzlichen Werte, die Sie uns mit ins Leben gegeben haben. Glauben Sie mir bitte, daß uns allen Ihre Person und die Art, in der Sie uns Gottes Wort nahe gebracht haben, stets unvergessen blei- ben werden und daß wir immer das Gefiihl tiefer Dankbarkeit fur Sie in uns tragen wer- den, der Sie so väterlich zu uns waren", 207 schreibt Wolf gang und fUgt noch einen persönlichen Eindruck über Wilibald Reich- wein hinzu: "Überhaupt scheinen Sie mir jeden von uns besser gekannt zu haben, als wir es je nur ahnen konnten." Das Jahr 1944 war in Karlsruhe von zahlreichen schweren Luftangriffen auf das gesamte Stadtgebiet geprägt. Den schwersten Angriffwährend des Zweiten Weltkriegs, den die Stadt am 4. Dezember 1944 erlebte und bei dem vor allem die Weststadt und Mühl- burg getroffen wurden, hat Wilibald Reich- wein mit Blick auf die Auswirkungen fUr Mühlburg und die Karl-Friedrich-Gedächtnis- kirche geschildert: Meine Kirche dagegen brannte völlig aus ... Nur der Turm hat stand- gehalten", schreibt er in seinem "Situa- tionsbericht zur augenblicklichen Lage in Karlsruhe und fahrt fort: "So konnte ich noch das im Keller aufbewahrte Altarkruzifix und die Abendmahlsgeräte sowie das Taufgerät herausholen. Es gab diesmal sehr viele Tote, besonders bei uns in Mühlburg, da die "Drei Linden" mit einem öffentlichen Luftschutz- raum sehr schwer betroffen wurde. Dort hatte es allein etwa 200 Tote ... Der Zustand der Stadt nach diesem Angriff ist trostlos." In Wilibald Reichweins Nachlaß ist auch das Foto einer Kohlezeichnung der Karl-Fried- rich-Gedächtnis-Kirche nach diesem Luftan- griff dokumentiert. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Glau- bensbewegung "Deutsche Christen" während der Jahre 1933 bis 1945 wurde Wilibald Reichwein mit Wirkung vom 2. Mai vom Dienst suspendiert. 1947 stellte die Spruch- kammer Karlsruhe das Verfahren gegen Wilibald Reichwein als nicht betroffen ein, da 208 Die Karl-Friedrich-Gedtichtnis-Kirche in Mühlburg nach der Zerstörung durch den Luflangriffvom 4. Dezember 1944. Kohle- zeichnung von H. Straub. die Mitgliedschaft bei den "Deutschen Christen" fUr sich allein keine Belastung im Sinne des Gesetzes zur Befreiung von Natio- nalsozialismus und Militarismus bedeute. In seinem Lebenslauf vom 9. April 1946, den Wilibald Reichwein zum Zwecke der Lizenzerteilung, vermutlich flir schriftstelle- rische Betätigung verfaßt hat, begründet er seine Mitgliedschaft bei der Glaubens- bewegung: "Deutscher Christ bin ich ge- wesen, um der Partei gegenüber einen Aus- weis zu besitzen und ungehindert wirken zu können", Am 16. Dezember 1946 trat Wilibald Reichwein seine letzte PfarrersteIle in Neun- kirchenlOdenwaid an, die er bis 1959 inne- hatte. Aus gesundheitlichen Gründen wurde er im Oktober 1959 vorzeitig in den Ruhe- stand versetzt. Seinen Lebensabend ver- brachte Wilibald Reichwein mit seiner Frau in Baden-Baden. Hier versah er oftmals aushilfsweise Pfarr- stellen, was u. a. aus dem Glückwunsch- schreiben von Prälat Bornhäuser zum 65. Geburtstag Wilibald Reichweins hervorgeht. " Ich freute mich, neulich Dich und Deine liebe Frau wieder eimnal zu sehen und bei schreibt der Prälat. Am 17. August 1967 starb Wilibald Reich- wein in Baden-Baden. Ein letzter Bezug zu Karlsruhe erscheint in seinem Nachlaß mit einem Nachruf der Karl-Friedrich-Pfarrei Mühlburg im Gemeindebrief vom September 1967: " ... Er ist allen, die in diesen Jahren in unserer vom . Krieg schwer heimgesuchten Stadt lebten, in guter und dankbarer Erin- nerung als treuer und tatkräftiger Gemeinde- pfarrer, der nach den Bombennächten mit seiner Frau in selbstloser Hilfsbereitschaft dieser Gelegenheit zu hören, daß Du immer seinen Nachbarn beistand." noch die Baden-Badener Feuerwehr bist", Angelika Sauer Der Badische Rat Dr. Johannes Pistorius Niddanus d. J. (1546-1608) Genau genommen hat J. Pistorius d. J. mit Karlsruhe nichts zu tun. Als er lebte, gab es die Gründung des Markgrafen Karl Wilhelm noch nicht. Keine geringe Rolle aber spielte der aus dem hesslschen Nidda stammende Humanist in der badischen Geschichte des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Damals wäre vom benachbarten,jetzt eingemeindeten Dur- lach aus "das Badnerlied" dirigiert worden - mit"Gcgcnstimme" aus Baden-Baden -, wenn es diese Weise schon gegeben hätte. Der badische Markgraf und Reformator Karl 11. (1529-1577) suchte einen fahigen Leibarzt, einen Historiographen und zugleich eine gestandene Persönlichkeit, die die reli- giöse Erziehung seiner drei Söhne Ernst Friedrich (1560-1604), Jakob III. (1562- 1590) und Georg Friedrich (1573-1638) fordern sollte. All diese Anforderungen er- fullte ab dem Jahr 1575 Johannes Pistorius Niddanus d. J. Sein Vater, Pistorius d. Ä., ging als Reformator Oberhessens in die Geschichte ein. Neuerdings ist wieder be- kannt, daß er am Augsburger Reichstag von 1530 aktiv teilnahm und am Zustandekom- men der "Augsburger Bekenntnisschrift" un- ter der Federfiihrung Melanchthons beteiligt war. Später galt er als einer der Wortfiihrer auf mehreren großen Religionsgesprächen der Reformationszeit. Die wertvolle Biblio- thek des Vaters benutzte bereits der junge, hochbegabte Pistorius. Der Vater konnte sich dem einzig verbliebenen Kind besonders widmen, nachdem die Familie 1555 bei einer Pestepidemie die anderen funf Kinder ver- loren hatte. Mit 13 Jahren immatrik-ulierte er sich in Marburg, wechselte nach Wittenberg und setzte danach in Tübingen seine Studien fort . Theologie, Jura und Medizin waren seine Studiengebiete. In Padua und Paris lernte er die damals modernste Medizin kennen: die Erkenntnisse, die Andreas Vesalius aus sei- ner "Anatomie" gewOtUlcn hatte und die "in- nere" Medizin eines Jean Femel. 209 Dr. med. Pistorius am Durlacher Hof 21 Jahre war der junge Dr. med. 1. Pistorius alt, als er - auch qualifiziert als Dr. jur. - in Frankfurt und danach in Worms seine Tätigkeit als Arzt aufitahm. Er war bereits verheiratet und hatte drei Kinder, als Markgraf Karl II. den sprachkundigen, humanistisch breit ausgebildeten, zudem rhetorisch geschliffen auftretenden jungen Mann nach Baden holte (1575). Auch nach dem Tod (1577) des Erbauers der Durlacher Karlsburg blieb Pistorius am Hof. Weiterhin war er als Arzt gefragt, doch verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit am Hof auf die Aufgaben eines Historiographen. Historiker und Schulgriind=e=r _ In den Folgejahren edierte er mehrere bedeutende Geschichtswerke, jeweils ausge- stattet mit umfangreichen Registern, so eine erste "Polnische Geschichte" (1582) und zwei Foliobände einer "Deutschen Geschich- te", die noch im 18. Jahrhundert nachgedruckt wurde. Nicht mehr bekannt .war bis vor kur- Dur/ach im /7. Jahrhundert. 210 zem, daß der Forscher aus Nidda der Begrün- der der badischen Geschichtsschreibung ist. Pistorius war es, der z. B. herausfand, daß das badische Haus sich von den Zähringern herleitet. Daniel Schöpflin, der große Histo- riker des 18. Jahrhunderts, nennt in der Ein- leitung seiner "Historia Zaringo-Badensis" Pistorius noch als seine erste Quelle. Johann Christian Sachs verschweigt ihn fast gänz- lich, Friedrich v. Weech erwähnt seine dies- bezügliche Leistung gar nicht mehr. Von sei- nen Arbeiten zur badischen Geschichte sind noch einige genealogische Tafeln erhalten. Das heutige Bismarck-Gymnasium ging aus dem 1585/86 eröffneten Durlacher "Gymna- sium Illustre" hervor. Niemand anderer als Johannes Pistorius Niddanus organisierte die Gründung der ersten nachreformatorischen badischen Lateinschule, er war es, der die Lehrpläne erstellte und die Lehrer berief. Die badische Ausbildungsstätte fiir Pfarrer und höhere Beamte, das als "Modell" dienende erste badische Gymnasium, wurde also von ihm initiiert. Die Kosten des Unternehmens trugen die Söhne Karls II. im Verhältnis zur Größe ihrer badischen Teillande: Ernst Fried- rich zahlte die Hälfte der Kosten, Jakob 111. kam fiir 215, Georg Friedrichs Lande fiir 3/5 der Auslagen auf. So hieß die älteste nach- refonnatorische Lateinschule Badens im er- sten Jahrhundert ihres Bestehens auch nicht "Emestinum" oder "schola Ernestina" . Berater der Markgrafen Ernst Friedrich und Jakob m. ----~~~~~~~~ In Anerkennung seiner Leistungen für das Haus Baden wurde Pistorius 1585 von Ernst- Friedrich wie auch von Jakob III. zu ihrem " Consilliarius" berufen. Sein Aufgabenge- biet erweiterte sich dahingehend, daß er als "Rat" sein Verhandlungsgeschick in " außen- politischen" Missionen beweisen konnte und als Rechtsberater Vertragstexte vorfonnu- lierte. Da Jakob III. seit 1584 auf der Hoch- burg bei Emmendingen seine Residenz hatte, pendelte Pistorius oft zwischen Ernst- Friedrichs Durlacher Karlsburg und dem Hachbergerland. Ein schlimmer Schicksal- schlag traf 1585 die Familie Pistorius: Catharina, seine Ehefrau, die ihm acht Kinder geschenkt hatte '- vier davon wurden erwachsen - starb in Durlach. Der neunund- dreißigjährige Witwer war in der Folgezeit einerseits flir seine Kinder da, andererseits \vidmete er sich neben Arbeiten fur die Markgrafen seinen \vissenschaftlichen Studi- en. Pistorius war es gewohnt, bis in die Nacht hinein zu lesen und zu schreiben. Das Theologiestudium, das er in Marburg be- gonnen hatte, setzte er jetzt intensiv fort. Nach dem Tode seines Vaters 1583 wurde er Alleinerbe von dessen wertvoller Bibliothek. Sie enthielt sämtliche Schriften Luthers, Melanchthons und anderer Refonnatoren. Ihre Lektüre und die Auseinandersetzungen damit bestimmten von nun an bis zum Lebensende den Forscher und Schriftsteller. Ein nicht unbedeutender Rest der ehemaligen Pistorius-Gesamtbibliothek von 150 Titeln Fo lo: H. J. ,-> u.me," ew konnte 1993 in Straßburg \viedergefunden werden. Das Manuskript einer zwei bändigen Refonnationsgeschichte, die der Refonnator Pistorius d. Ä. als bedeutender Zeitzeuge und Mitgestalter der Vorgänge seit 1530 fast edi- tionsreif vorbereitet hatte, kam ebenfalls in seinen Besitz. Damit war der Badische Rat J ohannes Pistorius einer der bestinformierten Zeitgenossen in allen Fragen, die die Refor- mation und ihre Männer betrafen. Forschen, also " Dingen auf den Grund gehen" und "ak- tiv seine Umgebung mitprägen", wurde von nun an noch mehr seine Devise. Wie sein Vater war Pistorius innerhalb der Refonna- tionsbewegung verschiedenen Erneuerungs- ansätzen gegenüber positiv eingestellt. Wie er war er nie "Calvinist", auch wenn das spä· 211 ter immer wieder behauptet wurde, oder "Kryptokalvinist", kein "Philippist" oder "Lutheraner". Die Sache einer Kirchener- neuerung war beiden viel zu wichtig, um sich nur auf Luther, Melanchthon, Zwingli oder Calvin einzuengen. Erbitterte Richtungsstrei- tigkeiten waren gut drei Jahrzehnte lang nach Luthers Tod (1546) in der protestantischen Bewegung entbrannt. Bei der Konkordien- formel (1577), die längst nicht von allen evan- gelischen Ländern mitgetragen wurde, hatte sich dann die lutherische Orthodoxie durch- gesetzt. Die Konversion Je mehr Pistorius Luther las, der ihm in vielem widersprüchlich vorkam, und er vor allem die Vertreter der Orthodoxie aus dem benachbarten Tübingen kennenlernte, um so mehr ging er auf Distanz zur Konkor- dienkirche. Pistorius erlebte nicht existentiell nah die z. T. verwerflichen Mißstände der vorreformatorischen Kirche wie z. B. sein Vater oder Martin Luther. Seine Zeit wird mitgeprägt vom Schwung und der Aufbruch- stimmung in der nachtridentinischen Reform- kirche, die es ohne Luther und seine Be- wegung wohl kaum gegeben hätte, die inzwischen aber in manchen Bereichen der Reformation in Deutschland den Wind aus den Segeln genommen hatte. In dieser Re- formkirche begarui Pistorius immer mehr seine religiöse Heimat zu fmden. Konsequen- terweise konvertierte der Badische Rat 1588 im Alter von 42 Jahren zur katholischen Kirche. Zwei bedeutende Religionsgespräche zwischen Protestanten und Katholiken fanden damals aufbadischem Territorium statt. 1589 in Baden-Baden war der wissenschaftlich fundiert und rhetorisch geschickt agierende Johannes Pistorius Hauptdisputant der katho- lischen Seite. Als sein "Contra" trat Jakob Andreae an. Zwischen bei den hatten sich seit 212 Jahren - auch über Vater Pistorius - der- maßen viele Animositäten aufgebaut, daß der Stil der Unterredung höchst unerfreulich wurde. Ökumenische Annäherung war bei den damaligen kontrovers theologischen "Tur- nieren" nicht angesagt. Als Beobachter und Berater im Hintergrund fungierte Pistorius beim" Colloquium Emmen- dingense", das im Juni 1590 stattfand. Das Gespräch verlief spannungsgeladen, weil die Konversion Markgraf Jakobs III. unmittelbar bevorstand. Als Jakob dann am 15. Juli 1590 zur katholischen Kirche übertrat, kam es zu einer großen Unruhe unter den betroffenen 28 Predigern der Markgrafschaft, so daß sich Jakob III. veranlaßt sah, auf "allerhandt heimliche Zusanunenkünfte unserer gewe- senen lutherischen Prediger" hin, seinen Amt- mann Varnbühler anzuweisen, "ohne Milde eine gebürende und ernstliche straff" gegen die "Übertretter" vorzunehmen. Einen Monat später starb der vitale achtundzwanzigjährige Markgraf. Der Arzt Johannes Pistorius, der bei der sich anschließenden Sektion - ein sehr seltenes Ereignis im 16. Jahrhundert! - an- wesend war, überlieferte darüber vorzügliche Details und ebenfalls das auch heute nicht zu widerlegende Urteil der beiden Freiburger Medizinprofessoren: Tod durch eine einmalig verabreichte Dosis Arsenik, wovon Reste noch an der Mageninnenwand gefunden wurden. Mit Jakobs Tod war Pistorius' gut flinfzehnjährige Zeit in badischen Diensten abrupt beendet. Etwa in dem Alter, in dem Luther nach zwanzigjähriger Zeit als Au- gustinermönch die Nonne Catharina von Bora heiratete, wurde der Witwer Pistorius nach fast zwanzigjähriger glücklicher Ehe katholi- scher Priester und bereits 1591 Generalvikar in Konstanz, dem damals größten deutsch- sprachigen Bistum. 1597 kehrt er nach Frei- burg zurück. Ab 1600 reist Pistorius ein bis zweimal jährlich nach Prag, wo ihn Kaiser Rudolph II. zu seinem Rat, Hofprediger und Beichtvater erwählt hatte. Das bleibt Pistorius auf Lebenszeit. Ein mutiger Humanist im Zeitalter des Hexenwahns Mutig setzte sich der aufgeklärte Humanist Dr. Johannes Pistorius gegen den damals vor allem in Süddeutschland grassierenden He- xenwahn ein. So rettete er 1603 in Freiburg ein vierzehnjähriges Mädchen, das als Hexe verbrannt werden sollte, vor dem Feuertod und brachte es in einer Konstanzer Pflegefa- milie unter. Es erscheinen nach den Durlacher Jahren vor allem theologische Werke von ihm. Die kontroverstheologische Haupt- schrift, die Pistorius, der genaue Kenner sämtlichen Lutherbücher, ediert, verriet im Titel den Arzt. Er nannte sie "Anatomia Lutheri". Er nahm hier den vielfach derben Stil Luthers aufund übertraf den Wortgewal- tigen z. T. noch. Vor allem in Ehefragen war Pistorius Luther gegenüber äußerst kritisch. Wußte doch Pistorius aus eigener Erfahrung, wovon die Rede war. Bei der Analyse der "Anatomia" erkennt man auch, daß der Autor Archivalien seines Vaters über damals ge- heimgehaltene Vorgänge der Reformations- zeit benutzt hat, z. B. Luthers Beichtrat zur Bigamie des hessischen Landgrafen Philipp des Großmütigen. Dieses Buch löste in den von Intoleranz und Rechthaberei bestimmten zwei Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg laute Contra- und Pro-Diskussionen aus. Es gab bis in unser Jahrhundert noch Leute, die Pistorius nur" nach dieser theo- logischen Streitschrift, der "Anatomia Lutheri" beurteilen. Das Buch war damals ein "Best- seller", wenn auch nicht sein bestes Werk. Doch kann Pistorius, vorbei am Streit der Theologen, mit ganz anderen Lebenslei- slungen aufwerten, ,vie schon gezeigt wurde. Johannes Pistorius d. J. starb am 19. Juni 1608 und wurde im Kreuzgang des heutigen Freiburger Augustinermuseums begraben. Seine Ruhestätte liegt also heute in Baden, für das er viel geleistet hat. Hans-./ürgen Günther Pfarrer D. Ernst Friedrich Fink - der 'badische' Wiehern "Der evangelische Verein" Wenn ein Name für die Anfange der Inneren Mission in Deutschland steht, dann der von Joh. Hinrich Wiehern. Sein Le- benswerk hat die Forschung eingehend untersucht und gewürdigt. So gilt er gemein- hin auch als Wegbereiter der Liebestätigkeit in Baden, nicht zuletzt dank seiner program- matischen Rede anIäßlich der Durlacher Versammlung am 10. Oktober 1849. Wenig bekannt dagegen ist, daß bereits vier Jahre zuvor eine anonyme 46seitige Schrift in Heidelberg erschienen war, von der Wiehern " 1847 urteilte: "Wir haben nirgends eine so klare Dar- stellung dessen, was auf dem Gebiete not tut, wenn ein gesundes Gedeihen der freien Lie- besarbeit erzielt werden soll, wiedergefun- den. In ihr weht der Geist der wahren evan- gelischen Freiheit, die rem von aller Ein- seitigkeit und Beschränktheit, das tiefe Be- dürfnis unserer innerlich zerrissenen Kirche erfaßt hat und eine so großartige EinigUng der 213 nach allen Seiten bis dahin isolierenden Vereins tätigkeit erstrebt, eine Einigung und Gliederung, wie sie uns von jeher in einem recht organisierten Verein flir Innere Mission, seit darüber öffentlich verhandelt worden ist, vorgeschwebt hat." Autor war unstreitig Pfarrer Ernst Friedrich Fink, geb. 1806 in Kandem. Nach seinem Theologiestudium in Halle, Freiburg, Berlin und Heidelberg wurde er 1833 Pfarrverwalter in Leutesheim und von 1842 bis zu seinem . Tode (1863) Hausgeistlicher in der Illenau. Fink war der erste evangelische Geistliche dieser 1835 von Dr. Christian F. W. Roller gegründeten Anstalt, die schon bald einen fiihrenden Ruf in der deutschen Psychiatrie gewann. Fink, der somit wie kaum ein anderer Pfarrer die Problematik von Behinderten aus eigener Anschauung kannte, berief sich in seinen "Aufruf ... " ausdrücklich aufWichems 1844 in Hamburg erschienenen Schrift "Not- stände der protestantischen Kirche und die Innere Mission" und die Vorbildfunktion des 'RauhenHauses' (gegr. 1833) flir ganz Nord- deutschland. Jubiläum eines Programms Somit sind genau 150 Jahre vergangen, seit der Autor mit seiner Schrift "Der evangeli- sche Verein - Ein Aufruf an die Gemeinde." an die Öffentlichkeit trat. Eingangs erfolgt eine Bilanz der Not, " ... die immer allgemei- ner und schwerer zu Tage kommt, immer drohender das häusliche Glück, die Ordnun- gen des Staates, das Gedeihen der Kirche gefahrdet. Verkrüppelte Kinder, Waisenkinder in den Händen wenigstfordemder und noch weniger leistender Gewinnsucht, Blinde, Taubstum- me, eine Jugend, die gar zu früh aller sittlichen Zucht beraubt ist, ... Armuth und Verbrechen, zu spät entdeckt, noch schwerer zu heilen, Kranke und Ge- fangene, die der Pflege brauchen zur Wieder- herstellung leiblicher und geistlicher Gesund- heit, nehmen die Theilnahme der Gemeinde in Anspruch. Das Schlimmste bei all dieser Noth ist der Mangel einer sittlichen Grundlage in den Familien, ist der Mangel eines lebendigen Christenthums, das mit seinem ewigen Trost die Noth lindert .... " Bisher hat man da- gegen "mancherlei Anstalten ... errichtet, aber ... wir haben der Anstalten nicht ge- nug, wir haben fur die Anstalten nicht ge- nug, wir haben an den Anstalten nicht ge- nug . .. . '" Die eigentliche tie- fere Ursache fur die Notsituation ist, so " Pfarrer Fink, " .. . ei- . .J nem Wlodrte gThes~glntah: es mange t le el - Handschrijl des Predigt/exles von Pfarrer Fink von 1838 aus dem Nachlaß im Landeskirchlichen Archiv Kar1sruhe. me der Gemeinde. Der Staat, die Lan- 214 deskirehe sind nicht unthätig geblieben. Aber wenn die Liebe in den Staatseinrichtungen sich fmdet und in den Herzen der Gemeinde- glieder nicht, was hilft es? ... Mit Geld allein kann ja nichts ausgerichtet werden, das könnte der Staat durch die Steuern herbeischaffen. Aber die persönliche Theilnahme christlicher Liebe fehlt .... Daß diese Theilnahme der Gemeinde fehlt, das ist eine schwere Schuld, die mit ihrem Unsegen auf uns lastet." Die Gemeinde, wie bereits der Untertitel der Schrift 'Aufruf .. .' besagt, ist daher ge- fordert: "Die Gemeinde Christi soll helfen. Ihr ist der Beruf geworden zu suchen und zu retten, was verloren ist, mit dem Wort und der That des Glaubens und der Liebe. Wo das durch die Organisation nicht geschehen konnte, da muß eine andere versucht wer- den .... So ist der Kirche Beruf und Bedürfniß, eine Mission nach innen zu stiften, woraus ein evangelischer Verein entsteht ... Evangelisch heißt dieser Verein, denn er stehet auf dem Grunde des Evangeliums; er will, wie es den Heiden gepredigt wird, so auch das Wort der Predigt an die Armen in der Christenheit durch die That rettender Liebe unterstützen; er will, dem Gebote des Mei- sters folgend, helfen die Hungrigen speisen, die NackIen kleiden, die Kranken pflegen, die Verwirrten zurecht bringen, die Kinder zu Ihm führen .... Die Kirche kann sich unseres Erachtens nur freuen, wenn solche Vereine aus ihrem Grun- de hervorgehen, vorausgesetzt, was wir stets voraussetzen, daß diese Vereine ihren inneren Zusammenhang mit der Kirche treu bewah- ren . ... der Staat hat sich eine eigene Behörde gebildet, die Polizei, die unter andern Ver- richtungen auch die der Abhülfe von Noth und Armuth auf sich genommen hat. Aber diese einseitige Aushülfe reicht nicht weit. Der Staat ist wesentlich auf die Idee des Rechts gegründet, und das Recht reicht nicht aus, die Noth zu heilen. Gegenüber der Noth giebt es kein anderes Heilungsprinzip als das der Gnade .... In Summa, wir können im Allgemeinen den Satz aussprechen: unsere Elemente in Staat, Kirche, freier Geselligkeit liegen alle vor- handen, sie sind aber zerstreut, zum Theil in Streit und Mißverständniß. Wir sehen Ar- menkommissionen, Physikate, Dekanate, ein- zelne Vereine, aber alles das rur sich, jedes geht seinen Weg, es fehlt die organisierende, sammelnde, zusammenhaltende Macht. Zer- streutes zu sammeln, ist Sache des Evangeli- ums. In diesem Sinne des Evangeliums möchten wir einen evangelischen Verein gegründet und wirksam sehen .... " Fink sieht rur einen derartigen Verein sieben Aufgabenbereiche Erziehung: Kinder- und Jugendpflege Unterstützung: Armen- und Krankenpflege Zucht: "Besserung" und "Gefangnispflege" Bibelverbreitung, Gustav-Adolph-Verein, "Colonistenpflege (in Amerika)" und Äußere Mission. Der Autor schließt mit einem Satzungs- Vorschlag: Grundlage des evangelischen Vereins l. Nach der Pflicht der Mitglieder evange- lischer Gemeinden bildet sich auf den Grund des göttlichen Wortes in unserem Land ein evangelischer Verein zu leiblicher und gei- stiger Bewahrung, Pflege und Rettung der Hülfsbedürftigen. 2. Der evangelische Verein hat den Zweck, alle auf Abhülfe der vorhandenen, besonders sittlichen, Noth bei Kindern, Armen, Kran- ken, Gefangenen und andern Hülfsbedürftigen gerichtete christliche Tätigkeit des Staates, der Kirche, der Einzelnen oder anderer Ver- 215 eine vorbauend, mitwirkend, nachhelfend zu unterstützen und darin die Gesinnung der aus dem Glauben kommenden Liebe zu bethätigen. 3. Das Ziel des evangelischen Vereins ist nicht vornehmlich die Gründung neuer Anstalten. Er will vielmehr der werkthätigen freien Liebe der Glaubensgenossen Aufforde- rung und Gelegenheit verschaffen, sich zu üben, durch Vereinigung stärker zu werden und Erfahrungen zu sammeln, damit so bald als möglich in den Gemeinden lebendige Fürsorge zur Abhülfe der manchfaltigen Noth bereit sei. 4. Mitglied des Vereins kann jeder evan- gelische Christ werden, der sich verpflichtet, nicht nur dem Gebet der Kirche rur die Hülfsbedürftigen sich anzuschließen, son- dern auch seine herzliche Theilnahrne durch Leistungen an Wort, Gaben und Handrei- chung zu persönlicher Aufsicht und Pflege nach Kräften zu beweisen ... 9. Während die Mitglieder einzeln oder verbunden die vorkommenden Gelegenhei ten zum Dienst der Armen, Kranken, Gefangenen und anderer Hülfsbedürftigen wahrnehmen und benutzen, macht es sich der Verein zum besonderen Geschäft, taugliche junge Leute von christlicher Gesinnung und unbescholie- nem Wandel zur Ausbildung und Verwen- dung fiir solchen Dienst der Liebe zu sammeln .... Sind diese Ausfiihrungen nur von histori- schem Interesse? Hermann Erbacher hat bereits 1957 die wechselvolle Geschichte der Inneren Mission in Baden untersucht und besonders die Erfolge auf den Gebieten Rettungshaus- bewegung, K1einkinder- und Altenpflege herausgestellt. Mittlerweile sind auch die dunklen Stunden, beginnend mit dem Kriegs- ausbruch 1939, weithin erforscht. In den 216 darauffolgenden beiden Jahren wurden aus den Anstalten der Inneren Mission in Baden Kork und Mosbach ca. 375 Patienten in den Gaskammern von Grafeneck und Hadamar ermordet. Noch Ende Juni 1944 wurden wei- tere 49 Personen, von denen nur 5 überlebten, nach Uchtspringe b. Stendahl und Eichberg b. Wiesbaden abtransportiert. Dem Gedenken an diese Vorgänge galt eine Fachtagung auf dem Schwarzacher Hof der Johannes-Anstalten Mosbach unter dem Wort "Euthanasie" damals und heute. Die Referenten, besonders Prof. Dr. W. Wol- fensberger von der Syracuse UniversityINew York, verwiesen auf sehr bedenkliche Ten- denzen in der Gegenwart - "Totmachen: Der neue Genozid an den Benachteiligten, Alten und Behinderten". Überblickt man die Forderungen Finks und vergleicht sie mit der heutigen Situation, so ist zu konstatieren: die materielle Not ist fur den Einzelnen kaum noch existenzbedrohend. Dank unseres sozialen Netzes muß niemand in Deutschland verhungern. Zu beachten bleibt aber, was Oberkirchenrat W. Schnei- der, Hauptgeschäftsftihrer des Diakonischen Werks, in seinem Geleitwort zum Diakonie- Kalender 1995 feststellt: "Die Grenzen des Finanzierbaren zeichnen sich ab. Es muß möglich bleiben, daß auch in Zeiten sozialer Veränderungen die Hilfe erhalten, die diese vor allem brauchen, um nicht ausgegrenzt zu werden." Entscheidend allerdings ist sein Eingangssatz, wenn er das Wesen "Unsere Diakonie" beschreibt: "Ge- tragen von der Solidarität einer Gemein- schaft ... " als zeitloses Postulat gegen egoisti- sche Gruppeninteressen. An eben diese Soli- darität appellierte schon Pfarrer Fink, als er die "Theilnahrne der Gemeinde beschwor, und bereits 1838 mahnte er in einer Predigt über Apg. 20,28-32 die Pflichten der Geist- lichkeit an: "Achthaben sollen die Kirchendiener (Pfar- rer) demnach auf die Führung des Haus- wesens, ob es ein Tempel Gottes sei im Hei- ligen Geist; auf die Jugend, ob sie erzogen werde in der Furcht des Herrn, unterwiesen in der Lehre des Heiles, aufwachse zu Christi Bilde; auf dim Wandel der ganzen Gemeinde, ob sie heilig sei und unsträflich in der Liebe; auf die Armen, daß sie unterstützt, und, welche der Welt Güter haben, daß sie ermun- tert werden mitzutheilen und wohlzuthun ... " Wertschätzung und Hoffuung auf die christliche Gemeinde sind bei Fink demnach bereits Ende der 1830er Jahre nachweisbar; von ihr erwartete er Hilfe. Hermann RQckleben Alfred Maul und die Großherzogliche Badische Tumlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe Sein Werdegang_ Alfred Maul wurde am 13. April 1828 im Schloß Fürstenau bei Michelstadt im Odenwald als Sohn des Gräflich Erbach-Fürste- nauischen Rentamtman- nes, Kammerrat Johann Wilhelm Maul, geboren. Alfred Mauls Vater war schon in jungen Jahren ein begeisterter Turner und 1819 Mitbegründer einer Turnvereinigung in Mi- chelstadt, die allerdings durch die von der hessi- sehen Regierung verhäng- te Turnsperre schon nach einem halben Jahr aufge- löst wurde. Nach dem En- de der Turnsperre wurde Wilhelm Maul auf dem Friedhof von Michelstadt ein Denkstein errichtet. Die Gedächtnisfeier auf dem Friedhof von Michel- stadt war fiir Alfred Maul offenbar der Anlaß, sich Hofrat Alfred Maul, Direktor der Turnlehrerbildungsanstalt. 217 den Turnern anzuschließen. In seinem Tagebuch vennerkte er: "Am 3. Juli 1843 meldete ich mich zum Turnen an, 30 Kr. monatlich, wobei ich Wams, Hose und ein Springseil haben muß." Die Turngruppe, der er sich damals anschloß, war eine private Turngesellschaft. Nach dem Tode der Mutter und dem frühen Tode des Vaters war Alfred Maul Vollwaise und wurde von seinem Onkel in Darmstadt aufgenommen. Dort studierte er von 1843- 1848 an der Höheren Gewerbeschule Mathematik und N atunvissenschaften. Der 1846 gegründeten Darmstädter Tumgemeinde trat er noch im Gründungsjahr bei und lernte später Adolf Spieß kennen, der 1848 aus der Schweiz zurückgekonuuen war, um von Darmstadt aus das Schulturnen im Groß- herzogtum Hessen neu zu organisieren. Die Begegnung mit Adolf Spieß, dessen Turnschüler er in den Jahren 1850/51 wurde, war sowohl ftir seinen künftigen Lebensweg als auch ftir den Inhalt seiner Tumlehre von großer Bedeutung. So war es AdolfSpieß, der Alfred Maul inl Jahre 1856 eine feste Stelle am Realgynmasium in · Basel vennittelte, nachdem die hessische Regierung Alfred Maul wegen des Verdachts demokratischer Gesinnung eine staatliche Anstellung verwei- gert hatte. Am Realgynmasium in Basel entfaltete Maul eine rege Tätigkeit im Schul- und Vereinsturnen. Mit seinem im Jahre 1858 in Basel verfaßteri Aufsatz "Das Riegen- turnen und die Spießsehe Methode der Gemeinübungen" knüpfte er an das Wirken Adolf Spieß' in der Schweiz und an seine Lehrjahre bei ihm an. Mauls Wirken in der Schweiz hat viel zur späteren grenzüberschreitenden Wirkung des von ihm geprägten badischen Schulturnsystems beigetragen. In den Jahren seiner Lehrtätig- keit in Basel, wo ihm zwei Jahre vor seinem Weggang noch das Bürgerrecht verliehen wurde, hatte er durch seine erfolgreiche prak- 218 tische Unterrichts tätigkeit, seine turnpäd- agogischen Publikationen und seine organisa- torischen Fähigkeiten so auf sich aufmerksam gemacht, daß er 1869 auf den Posten des Direktors der neugegründeten Großherzog- lichen Badischen Tumlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe berufen wurde. Direktor in Karlsrulle Offiziell eingeweiht wurde die Turnlehrer- bildungsanstalt in Karlsruhe am 26. November 1869. Ein halbes Jahr später, im Juli 1870, wurde die Anstalt während des deutsch- französischen Krieges in ein Lazarett umge- wandelt, und Maul fungierte in dieser Zeit als Lazarettverwalter. Über die damit verbunde- nen baulichen Veränderungen berichtet er in der Deutschen Turnzeitung von 1872: "Etwas Gutes brachte die Lazarettzeit doch ftir die Turnanstalt mit sich, nämlich bauliche Veränderungen. Früher war die Turnhalle, wegen des einfach mi t Schiefer gedeckten Daches trotz vier eiserner Öfen bei strenger Kälte nicht heizbar; ... Da drohte denn die famose Kälte im Dezember 1870 die Aufhebung des Lazaretts in der Turnhalle nötig zu machen, was ganz gegen die Absicht des Kriegsministeriunls gieng. Dieser Um- stand wurde schleunigst benutzt, um der Halle einen wärmeren Hut zu verschaffen .... Jetzt ist die Halle ganz nach Wunsch heizbar, und von den jetzt darin befmdlichen Oefen haben wir selten mehr als drei zu feuern nöthig." Nach der Wiederaufualune des Lehrbetriebes im Frühjahr 1871 ergaben sich fUr die Tum- lehrerbildungsanstalt drei Hauptaufgaben: I. - Abhaltung von Kursen, in denen schon im Schuldienst tätige Lehrer zu Turn- lehrern ausgebildet werden sollten. 2. - Erteilung von Turnunterricht fur ver- schiedene höhere Schulen in Karlsruhe. Diese Aufgabe ergab sich vorwiegend daraus, daß wegen des Lehrer- und Turnhallen- mangels die Schulen darauf angewiesen waren, den Turnunterricht in der Zentral- turnhalle der Tumlehrerbildungsanstalt abzu- halten. Denn 1869 hatte keine badische Schule eine schuleigene Turnhalle. Das änderte sich erst in den folgenden Jahrzehn- ten. Bis zum Jahre 1894 wurden dann in Baden 38 Schulturnhallen neu gebaut, und im ganzen gab es ca. 80 Turnhallen, die rur das Schulturnen zur Verfiigung standen. Die dritte Hauptaufgabe der Turnlehrer- bildungsanstalt war die Inspektion des Turn- unterrichts an auswärtigen Schulen durch den Direktor der Anstalt. Der erste Tumlehrkurs fand 1871 mit 15 Lehrern statt, von denen 12 bis zum Schluß durchhielten. In den folgenden Jahren wurden jeweils zwei solcher Kurse pro Jahr durch- geflihrt, einer im Frühjahr ftir Volksschulleh- rer mit drei Wochen und einer im Herbst fur Lehrer höherer Schulen mit vier Wochen. Die Kurse wurden weitgehend in den Schulferien veranstaltet. Am Ende der Kurse wurden keine Prüfungen abgehalten und die Absol- venten erhielten lediglich eine Teilnahme- bescheinigung. Der Lehrstoff bestand zu- nächst aus Frei- und Ordnungsübungen sowie aus dem Turnen an Geräten. Unter dem Einfluß der Spielbewegung karnen später noch Turnübungen hinzu. Vereine und Schule Alfred Maul hat sich ebenso große Ver- dienste um die Förderung des Vereinsturnens elWorben. In seiner Person ist der Gedanke der Kooperation von Schule und Verein inso- fern vereint, als er Wesentliches zur Förderung sowohl des Schul- als auch des Vereins-turnens geleistet hat. Er war ja nicht nur Direktor der Großherzoglichen Badi- schen Turnlehrerbildungsanstalt, sondern auch von 1869-1881 Vorsitzender der Karlsruher Turnerschaft und des Turngaus, Mitglied des Oberrheinischen Turnerbun- des und 1887-1895 der Deutschen Turner- schaft. Aus den Erfahrungen der eigenen Lehrtä- tigkeit schöpfend hat A1fred Maul eine ganze Reihe turnpädagogischer Schriften verfaßt. So hatte fur ihn der Turnunterricht in erster Linie eine erzieherische Funktion im Sinne der Herrschaft des Willens über den Körper. Darüber hinaus sollte der Turnunterricht auch der Gesundheitspflege dienen. Nach Spieß' schem Vorbild sollten die Ordnungs-, Frei- und Geräteübungen vorwiegend als Gemein- übungen und auf Befehl ausgefuhrt, der Turnstoff auf die einzelnen Schulklassen gemäß Alter und Können verteilt werden. Dabei sah er einen methodischen Stufen- gang vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten vor. Unabding- bar waren fur ihn die Prinzipien der An- schaulichkeit, der Ganzheit und der Ent- wicklungsgemäßheit. Methodische Hilfsmit- tel beim Erlernen der Übungen waren rur ihn die mündliche Bewegungskorrektur und die ak-tive Hilfe. Anfangs standen in den Turn- stunden Ordnungs- und Freiübungen sowie Übungen an Reck, Barren und Pferd im Vordergrund. Später karnen die anfangs von Maul abgelehnten Stabübungen hinzu. Noch von Basel aus hatte Maul diese Stabübungen kritisiert: "Man glaubt überall den reglement- mäßigen Corporal zu hören... Obendrein sollen die Jungen dabei noch stets einen drei Fuß langen eisernen Stab tragen, aus dem sie sich vorstellen sollen, einen Schießprügel machen zu können." Erst nachdem er auf einer Tumlehrerversamm1ung in Stuttgart die Vorfiihrung der Stabübungen gesehen hatte, war er bereit, diese in das System des badi- schen Schulturnens aufzunehmen. Daß Maul im Prinzip erst einmal auf Spieß aufbaute, wird aus dem deutlich, was er in seiner "Anleitung fur den Unterricht in 219 · Knabenschulen" im Kapitel "Grundsätze des Turnunterrichts" ausfuhrte. was auch heute noch Gültigkeit hat: "Der Turnunterricht muß vor allen Dingen • ...• anschaulich sein. Die Anschaulichkeit gewährt aber in erster Linie das Vorturnen der Übung. die die Schüler ausfahren sollen. Dieses Vorturnen kann zwar unter Umständen einem oder dem anderen Schüler übertragen werden. aber der Turnlehrer kann doch in die Lage kommen .. . selber die Übung vorzeigen zu müssen; auch ist sein Vorbild jederzeit wirksamer als das eines andern. Deshalb können dem Turnleh- rer bloß theoretische Kenntnisse nicht genügen; er muß auch bis zu einem gewissen Grade selber turnen können." Von den Schülern verlangt er höchste Genauigkeit bei der Ausfiihrung der Bewe- gungen und - verglichen mit den Gelenk- übungen von Pestalozzi und Spieß - stellt er noch eine weitere wichtige Forderung auf. "Jede Übung soll also nicht eine Übung flir einen einzelnen Körperteil allein. sondern stets eine Übung fur den ganzen Körper sein." Beim stufenweisen Aufbau der Leistungs- forderungen legt er abernicht nur Wert auf die Genauigkeit der Ausfuhrung der Bewegun- gen. Er ist darüber hinaus bestrebt. "die Schüler an gute Körperhaltung und schöne Bewegungsformen zu gewöhnen .. . " Es ist ferner nicht zu übersehen. daß der Turnunter- richt zugleich eine Schule der Zucht und Ordnung rur die Jugend sein soll. So sehr es auch zu seiner Aufgabe gehört. ihre Bewe- gungslust zu beleben. so muß er nichtsdesto- weniger sie an die strengste Beherrschung derselben gewöhnen." Offenbar war ihm aber klar. daß solche Betriebsweisen nicht unbedingt die Motivati- on der Schüler fur das Turnen erhöhen. Deshalb wies er noch einmal auf die beson- dere Aufgabe des Lehrers hin. daß "die Turnlust der Schüler und die Freudigkeit. mit der sie am Unterricht teilnehmen. geweckt 220 und erhalten" werden muß. Und das hängt eben weitgehend von der Persönlichkeit des Lehrers und seinem Ver- halten den Schülern gegenüber und von der Lebendigkeit des Unterrichtsverfahrens ab. Alfred Maul war sich bewußt. daß nur durch eine sorgfaltige Ausbildung von Turn1ehrern der Turnunterricht in der Schule wirksam gefordert werden konnte. Deshalb baute er die Karlsruher Turnlehrer- bildungsanstalt durch regelmäßig ausge- schriebene Lehrgänge fur Lehrer und lehre- rinnen zu einer rur damalige Verhältnisse vorbildliche Ausbildungsstätte aus. So ist es nicht verwunderlich. daß die Teilnehmer an diesen Kursen nicht mehr nur aus Baden. sondern auch aus Württemberg. der Schweiz, Holland. dem Elsaß. aus Norddeutschland und aus dem ferneren Ausland kamen. Damit wurde sein badisches Modell des Schulturnens weithin bekannt und vielerorts übernommen. "",",~",!~rung des M.~d:,~:!!.~:~~ __ _ Maul stellte seine Gedanken dazu in seinen "Turnübungen rur Mädchen" vor und ent- wickelte darin einen Stufengang. Für die Sechs- bis Neunjährigen empfahl er Ordnungs- übungen. Gehen. Laufen. Hüpfen und Frei- übungen im Gehen und Stehen. Für die älteren Schülerinnen wurde dieses Übungsprogramm durch Übungen an Geräten. z. B. waagerechte Leitern. Rundlauf. Schaukelringe und Schwingseil erweitert. Am Barren sollten Stützübungen vermieden werden. Später ka- men noch Schlagball mit Schlagholz oder Schlagnetz und andere Turnspiele \vie Kreis- laufen. 'Katze und Maus' oder 'Schwarzer Mann' hinzu. In der Zeitschrift "Schul turnen" vom April 1928 berichtete die Turnlehrerin Ottilie Kam- merer aus Freiburg die am letzten. von Maul geleiteten Kurs fur Mädchenturnen teilge- nOmmen hatte: "Punkt acht Uhr stehen wir in Einweihung des DenkmalsfiJr AlfredMaul am 14. April 191J. Reih und Glied. Tumschnhe und Kleid, das 20 cm vom Boden entfernt abschließt, sind Vorschrift. Mit flottem Wechsel von Gang- und Hüpfarten wird begonnen; manch hübscher Tanzschritt, auch manche Ordnungs- übung wird eingefiigt". Weiter heißt es dann: » ... zur Belohnung fiir saubere Arbeit wird das ganze Gefiige, von Frieda Maul am Klavier begleitet, wiederholt ... mit großer Bewunderung erinnere ich mich der Sicher- heit und Körperbeherrschung, mit der die große aufrechte Gestalt des ehrwürdigen Greises J)rehungen, Tanzschritte und Schritt- folgen vormachte, aber auch der geistigen Beweglichkeit, mit der er bei den Lehrproben auf das Denken der Einzelnen einging .. . Als er die Segnungen der körperlichen Erziehung auch den Mädchen zuteil werden lassen wollte, mußte er sich anfanglich gefallen lassen, daß die Schülerinnen in Anwesenheit der Mütter turnten;ja es war den Eltern sogar anheimgegeben, ob sie ihre Töchter am Tumunterricht teilnehmen lassen wollten; Ansicht der Landesmutter und vieler anderer Mütter war, daß ein anständiges Mädchen den Fuß nie höher als 20 cm vom Boden hebt." Vorsitzender von Tumvereinen --~_.~- Alfred Maul hatte im Anschluß an die Fortbildungslehrgänge an der Tumlehrerbil- dungsanstalt im Jahre 1872 den Karlsruher Tumlehrerverein gegründet, der dann 1874 die erste Badische Tumlehrerversammlung mit der beachtlichen Zahl von 11 0 Teilneh- 221 mem in Karlsruhe veranstaltete. Da die badi- schen Turn1ehrerversamm1ungen auch eine große Zahl von Teilnehmern anzogen, die von außerhalb Badens anreisten, wurden diese Turn1ehrerversamm1ungen ab 1880 in Ober- rheinische Turn1ehrerversamm1ungen umbe- nannt. Diese Veranstaltungen waren Fortbil- dungsveranstaltungen mit praktischen Übun- gen und mit Vorträgen und Diskussionen. Aus den Programmen und Versamm1ungsberichten bis zum Jahre 1902, als in Karlsruhe Turn- lehrerversamm1ungen stattfand, lassen sich auch Weiterentwicklungen des badischen Schulturnsystems ablesen. So lesen wir in der Monatsschriftfiirdas Turnwesen 1899: .. Das Ungewöhnliche und Eigentümliche des Badi- schen Verfahrens besteht ... darin, daß auch die schwierigeren, voUe Kraftausladung bean- spruchenden Leistungen, z. B. Umschwünge und Kippen am Reck, von mehreren Turnern zugleich nach Zählen und schließlich nach dem Takte eines Klavierstückes ausgeflihrt werden. So traten sogar die höchsten und der Natur nach subjek1ivslen Kraftübungen unter die Zucht des Rhythmus." Aus gesundheitlichen Gründen, vor allem wegen seiner schwindenden Sehkraft, zog sich Alfred Maul aUmählich aus der aktiven Arbeit zurück. Nach 1890 kam noch ein Rheumaleiden hinzu. Nach einem schweren Grippeanfall verstarb Alfred Maul am 12. Oktober 1907 in Karlsruhe. In Anerkennung seiner Verdienste um die Förderung des Schul- und Vereinsturnens wurde ihm im Dezember 1889 der Titel eines Hofrates verliehen. Zum äußeren Zeichen des Dankes an den Vater des badischen Schulturnens wurde 1911 vor der Turn1ehrerbildungsanstalt ein Denkmal mit der Büste Alfred Mauls feierlich 222 eingeweiht. Die rechte Seite des Sockels zeigte einen speerwerfenden Jüngling, die linke Seite ein reifenschwingendes Mädchen. Die Einweihung erfolgte in Gegenwart des Großherzogs Friedrich Il. - übrigens vor- übergehend auch ein Turnschüler von Alfred Maul - und im Beisein des damaligen Oberbürgermeisters Siegrist. Bei der Denkmalseinweihung wurden im. Namen des eidgenössischen Turnvereins, des hoUändischen Turnverbandes; des Allgemei- nen deutsch-österreichischen Turn1ehrer- vereins und des Nordamerikanischen Turner- bundes Kränze niedergelegt. Schon vorher hatte die eidgenössische Societe Federale de Gymnastique als Kostenbeitrag fiir die Errichtung des Denk- mals den Betrag von 200 Francs zum Zeichen der Verbundenheit der Schweizer Turner mit Alfred Maul gespendet. Im 2. Weltkrieg wurden sämtliche Bronze- teile dieses Denkmals eingeschmolzen und .der stehengebliebene steinerne Sockel wurde erst 1958 entfernt und ist seitdem verschollen. 125 Jahre nach der Gründung der Groß- herzoglichen Badischen Turn1ehrerbildungs- anstalt wurde im Auftrag des Badischen Turnerbundes am 19. Oktober 1994 eine Er- innerungstafel fiir Alfred Maul am Gebäude der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, das heute auf dem Platze der 1944 durch -Bomben zerstörten Landesturnanstalt steht, enthüllt. Außerdem würdigt der Badische Turner- Bund seit 1995 verdienstvolle ehrenamtliche Mitarbeit durch die Verleihung der Alfred- Maul-Plakette, die an Persönlichkeiten ver- liehen wird, die sich - wie es in der Ehren- ordnung des Badischen Turner-Bundes heißt - .. durch beispielhaftes und herausragendes Wirken um das Turnen in Baden · verdient gemacht haben." Auch die Schulbehörde versucht, das Andenken anAlfred Maul wachzuhalten. Das Badische Ministerium des Kultus und Unter- richts stiftete anIäßlich der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Alfred Maul am 13. April 1928 die Alfred-Maul-Gedächtnisme- daille, die noch heute vom Oberschulamt Karlsruhe an Abiturienten und Abiturientin- Zweifellos gehört Alfred Maul zu den herausragenden FührungspersönIichkeiten der Leibesübungen im 19. Jahrhundert. Was ihn besonders auszeichnete ist die Tat- sache, daß er in seiner Arbeit Theorie und Praxis in glücklicher Weise miteinander ver- nen fiir hervorragende Leistungen auf dem einte. Gebiete des Sports verliehen wird. Erich Beyer V om einfachen Schöpfbrunnen zum Qualitätsprodukt Trinkwasser Die Geschichte der Karlsruher Wasserversorgung Neben vielen anderen Vorzügen hat Karls- ruhe heute auch einen Spitzenplatz in Sachen Trinkwasserqualität. Karlsruhe gehört zu den wenigen deutschen Großstädten, deren Trink- wasser nicht gechlort werden muß und das ohne die Zugabe von HilfsstolJen fiir die Wasseraufbereitung an die Bevölkerung ver- teilt werden kann. Aus den Karlsruher Was- serhähnen fließt ein naturbelassenes, aus Grundwasser gewonnenes Trinkwasser, das die Einwohner unserer Stadt unbeschwert genießen können. Ein Blick in die Geschichte der Karlsruller Wasserversorgung zeigt, daß dies nicht zu allen Zeiten der Fall war. Wasserversorgung im 18. Jahrhundert .:>:<:.:~,,»< __ ""_..... ,~_»:««<.,."»x.,x .... In den ersten Jahren nach der Stadtgrün- dung im Jahre 1715 wurde das notwendige Wasser fur den markgräflichen Hof und fiir die sich in der Nähe ansiedelnde Bevölkerung mit einfachen Pump- und Schöpfbrunnen dem in geringer Tiefe anstehenden Grundwasser entnommen. Da man alle Abwässer einfach im Boden versickern ließ, kam es aber bald zu "Kurzschlüssen im Wasserkreislauf'. Krank- heiten, die durch verunreinigtes Trinkwasser entstehen, waren die Folge. Aber nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ war diese einfache Form der Wasserversorgung bald nicht mehr ausreichend. Bei wachsender Bevölkerung der. aufstrebenden Residenz- stadt stieg der Wasserbedarf stark an. Der Nachfolger des Stadtgründers, MarkgrafKarl Friedrich, ließ daher fur die Wasserversor- gung des Hofes und des Schloß gartens im Jahr 1762 das erste Wasserwerk an der heutigen Ecke Lamm- und Kaiserstraße bau- en. Es war ein sogenanntes Pferdegöppel- werk, bei dem das aus einem Kesselschacht entnommene Grundwasser mit Hilfe von Pferdekrafl in ein turmartiges Wasserreser- voir gepumpt wurde. Von dort fuhrte eine Leitung in den Hofbezirk und den Schloß gar- ten. Für die Karlsruher Bevölkerung wurden aus dem Wasserwerk lediglich einige ein- fache Laufbrunnen in der Langen Straße, der heutigen Kaiserstraße, gespeist. Die Einwohner der Stadt mußten ihr Was- ser noch mehr als 100 Jahre am nächsten Brunnen holen und in die Häuser und Woh- nungen tragen. Der Wasserverbrauch dürfte schon aus diesem Grund sehr niedrig gewesen sein, während der markgräfliehe Hof mit dem 223 großen Schloßgarten W1d den zahlreichen Brunnen W1d Fontänen relativ verschwende- risch mit Wasser umging. Die EntwicklWlg im 19. JahrhWldert Schon Anfang des 19. J ahrbWlderts reicbte die Kapazität des Wasserwerks an der Lamm- straße nicht mehr aus. 1815 hatte Karlsruhe bereits über 15 000 Einwohner. Durch die BevölkerWIgszunahme W1d damit durch die ZWlahme der Senkgruben wurde außerdem die Qualität des Grundwassers im Stadtgebiet immer schlechter. Die großherzogliche Hof- verwaltung ließ daher zwei gußeiserne Was- sereitungen aus dem Durlacher Quellgebiet am Turmbergfuß nach Karlsruhe bauen, Eine war fiir die WasserversorgWIg des Hofes bestimmt W1d eine rur die SpeisWlg der Brunnen, an denen sich die BevölkerWIg mit Wasser versorgte. Nach den BerechnWlgen des Architekten Weinbrenner waren die Wasserwerk Lammstraße. Das erste Karlsruher Wasserwerk wurde auf dem Gel(jnde der kleinen und armen katholischen Gemeinde an der Lammstraße gebaut, die sich noch keine Kirche leisten konnte. Um die architektonische Symmetrie aus der Sicht des Schlosses wiederherzustellen, sah das Wasserwerk von außen wie eine Kirche aus und bildete ein Pendant zur bereits erbauten evangelischen Kirche an der Kreuzstraße. 224 beiden Leitungen in der Lage, über das Pumpwerk Durlach zwölf Liter Wasser pro Sekunde von Durlach nach Karlsruhe zu transpcrtieren. Bei der feierlichen Inbetrieb- nahme der beiden Leitungen am 5. Januar 1824 betonte der damalige Bürgemleister Winter euphorisch, daß die Zeit der Zieh- und Pumpbrunnen ftir Karlsruhe nun endgültig vorbei sei, obwohl es zu jener Zeit noch keine Wasser-Hausanschlüsse und damit noch kein Trinkwasser frei Haus gab. Bald zeigte sich aber, daß die Ergiebigkeit der Durlacher Quellen überschätzt worden war. 1m Trockenjahr 1835 mußten zum großen Leidwesen des Hofes zeitweise sogar die Ziehbrunnen und Fontänen in! Schloßgar- ten abgeschaltet werden. Daß die Karlsruher Bürger in Trockenzeiten mit minimalen Was- sermengen auskommen mußten, ist also sehr wahrscheinlich. Der Brand des Hoftheaters im Jahre 1847 forderte 65 Menschenleben, weil neben baulichen Mängeln das zum Löschen notwen- dige Wasser fehlte. Diese furchtbare Brand- katastrophe gab den letzten Ausschlag ftir die Bildung einer Wasserleitungskommission im Jahr 1856. Sie beauftragten den berühmten badischen Ingenieur und Politiker Robert Gerwig, ftir die Versorgung der Stadt eine neue Wasserleitung und die dazugehörigen Wassergewinnungsanlagen zu planen und zu bauen. Als ideales Wassergewinnungsgebiet hat der großherzogliche Baurat das Gelände im Rü ppurrer Wald empfohlen, auf dem heute noch das Wasserwerk "Durlacher Wald" steht. Die Qualität des Wassers aus diesem stadtnahen Waldgebiet hatte Robert Gerwig Zl:vor mit allen ihm verfügbaren Mitteln Historische Zeichnung vom Wasserwerk Dur/acher Wald Das erste Wasserwerk für die Trinkwasserversorgung der Karlsruher Bevölkenmg wurde iB71 in Betrieb genommen und ist nach umfangreichen Modernisierungen heute noch" im Dienst ". Es beherbergt auch die Betriebszentraie der Karlsruher Wasserversorgung. 225 Ball einer Hallptwasserieilllng im Jahr /9/2. getestet. So hatte er zum Beispiel die Was- serhärte durch die Ermittlung der Erbsen- kochzeit, durch Geschmackstests beim Bier- brauen und durch den Seifenverbrauch beim Wäschewaschen bestimmt. 1858 legte er dem " Großen Bürgerausschuß" und dem groß- herzoglichen Hof eine Denkschrift vor, in der er die Vorteile des Wassers aus dem Rüppur- rer Wald wie folgt angepriesen hat: "Das Hir die Versorgung von Karlsruhe vorgeschlagene Wasser enthält um ein Siebtel weniger haltmachende Stoffe als das Durla- cher Quellwasser und es darf daher wohl mit Zuversicht behauptet werden, daß der von mir vorgeschlagene Platz auch hinsichtlich der Güte des Wassers sehr günstig ist." Wie so oft haben aber auch in diesem Fall fmanzielle Streitereien den Baubeginn über Jahre verzögert, so daß Großherzog Fried- rich I. 1862 ruf die Bedürfnisse des Hofes im Hardtwald beim heutigen Ahaweg ein eigenes Wasserwerk errichten ließ. Der Bau des nunmehr ausschließlich städtischen Wasser- werkes nach den Plänen von Gerwig ver- zögerte sich durch die beiden Kriege 1866 226 und 1870171 zusätzlich, so daß es erst am 17. März 1871 in Betrieb genommen werden konnte. Erst ab diesem Zeitpunt..1 kann man von einer allgemeinen öffentlichen Wasser- versorgung der Stadt Karlsruhe sprechen. Etwa zur gleichen Zeit wie das fließende Wasser hielt übrigens auch das Gaslicht Ein- zug in die Wohnungen der badischen Re- sidenzstadt. Um 1880 begann dann die Kana- lisation der Karlsruher Straßen, so daß bald auch das Problem der Abwasserentsorgung gelöst war. Im Wasserwerk im Rüppurrer Wald konn- ten 2 550 Kubikmeter oder rund 2,5 Millio- nen Liter Wasser pro Tag gefordert und über die dazugehörenden Versorgungsleitungen in der Stadt verteilt werden. Da sich der Wasser- bedarf in der Zeit zwischen der Planung und der Fertigstellung des Wasserwerkes aber erheblich vergrößert hatte, mußten die Be- rechnungen von Gerwig aus den Jahren 1856 bis 1858 bald aktualisiert werden. Schon 1884 wurden zwei und 1888 drei weitere Brunnen gebaut. Trotzdem konnte der Bedarf in den Hauptverbrauchszeiten bald nicht mehr gedeckt werden. Man beschloß daher, auf einer künstlich hergestellten Aufschüt- tung im Stadtgarten, dem heute noch vor- handenen Lauterberg, einen Wasserhoch- behälter zu bauen. Bei seiner Einweihung im Jahr 1893 hatte er ein Fassungsvermögen von 2 000 Kubikmeter, das bald auf 3 400 Kubikmeter vergrößert wurde. Den Ludwig- see im Stadtgarten verdanken die Karlsruher im übrigen der Aufschüttung des Lauterbergs, fiir die 194 000 Kubikmeter-Erdmaterial be- nötigt wurden. Neue Wege seit der Jahrhundertwende Aber auch nach dem Bau des Lauterberg- Hochbehälters waren die Kapazitäten des Wasserwerkes bald wieder erschöpft. Schon 1912 mußte die Zahl der Brunnen auf 14 erhöht werden. Die Erschließung eines neuen Wasserversorgungsgebietes war dringend erforderlich. Zunächst durchkreuzte aber der Erste Weltkrieg alle Pläne fiir einen ange- messenen und raschen Ausbau der Karlsruher Wasserversorgung. Erst zehn Jahre nach dem Krieg begann man mit dem Bau von Brunnen fiir ein neues Wasserwerk im Mörscher Wald. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage und den Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeiten allerdings immer wieder verzögert. Erst in den Jahren von 1948 bis 1952 wurden die provisorischen Anlagen im Mörscher Wald zu einem richtigen Wasserwerk aus- gebaut, das dann am 27. August 1952 feier- lich in Betrieb genommen wurde. Das fiir die Standortbestimmung des Was- serwerks im Mörscher Wald zugrundegelegte hydrogeologische Gutachten ging davon aus, daß der Schwarzwald an den Grundwasserlei- ter der Rheinebene fast unermeßlieh große Wassermengen abgeben würde und daß damit im Mörscher Wald, der auf der Mittelterrasse des Rheines liegt, der Wasserbedarf von Karlsruhe fiir alle Zeiten gedeckt werden kön- neo Tatsächlich ist aber die Infiltration von Grundwasser aus anderen Gegenden sehr ge- ring, und die Grundwasser-Neubildung ist fast ausschließlich auf die Niederschläge angewiesen. Die Ergiebigkeit des Wasser- werkes "Mörscher Wald" war daher nie zu- friedenstellend, obwohl im Laufe der Zeit ins- gesamt 26 Brunnen gebaut wurden. Schon bald nach der Inbetriebnahme des Wasserwerkes "Mörscher Wald" trat in Karlsruhe wieder Wassermangel auf. Denn bis zum Jahr 1962 hatte Karlsruhe 250 000 Einwohner, und der wirtschaftliche Auf- schwung in der Nachkriegszeit vergrößerte den Wassermangel zusätzlich: Sicher können sich noch viele Karlsruher an die Autowasch- und Gartenbewässerungsverbote Anfang der 60er Jahre erinnern. Der Bau eines Wasserwerkes im nördlich der Stadt gelegenen Hardtwald sollte Abhilfe schaffen. Doch trotz günstigerer hydrogeoloii- scher Verhältnisse als im Mörscher Wald war die im Hardtwald mögliche Wasserentnahme auf3 000 Kubikmeter pro Stunde beschränkt. Das reichte gerade aus, um das inzwischen vorhandene Defizit zu decken. Nach der Inbetriebnahme des Wasserwer- kes "Hardtwald" im Juli 1965 war der Bau eines größeren und höherliegenden Hoch- behälters überf"aI1ig. Außerdem hatte sich inzwischen die noch eigenständige Wasser- versorgung von Durlach aus den Hangquellen am Turmberg quantitativ und qualitativ so verschlechtert, daß es immer wieder zu großen Problemen in der Wasserversorgung dieses 1938 eingemeindeten Stadtteils kam. Gelöst wurden diese Probleme durch den Bau des Hochbehälters" Luß" in der Vorbergzone von Durlach, der die Einbindung der Dur- lacher Wasserversorgung in das Karlsruher Versorgungsnetz ermöglichte. Der neue Hochbehälter wurde 1967 fertiggestellt und hat ein Fassungsvermögen von 20 000 Kubik- metern. Außerdem liegt der Wasserspiegel 20 227 Meter höher als im Lauterbergbehälter, der im gleichen Jahr außer Betrieb genommen wurde: Damit ließen sich die Druckver- hältnisse im Karlsruher Wasserversorgungs- netz, an das immer mehr und immer höhere Gebäude angeschlossen wurden, erheblich verbessern. Der Hochbehälter "Luß" sorgt aber auch fiir einen wirtschaftlichen Betrieb der Karlsruher Wasserwerke. Denn in den Nachtstunden kann mit billigem Nachtstrom Wasser gefördert und in den Hochbehälter . gepumpt werden. Die heutige Situation Mit dem Bau des Wasserwerks "Hardtwald" und des Hochbehälters "Luß" wurde die Karlsruher Wasserversorgung entscheidend verbessert. Bei ständig steigenden Einwoh- nerzahlen und einer stetigen Zunahme des Wassergebrauchs pro Person durch einen immer höher werdenden Lebensstandard mußte aber auch an die Zukunft gedacht werden. Daher hatte man schon 1962 mit Vorversuchen fiir den Bau eines weiteren Wasserwerks im Süden von Karlsruhe be- gonnen. 1968 bekamen die Stadtwerke dann die wasserrechtliche Genehmigung fiir den Bau eines Wasserwerks in den Rheinaue- wäldern auf den Gemarkungen der Gemein- den Elchesheim und Würmersheim. Es sollte aber noch fast zehn Jahre dauern, bis das gemeinsam von den Karlsruher Stadtwerken und dem ,,zweckverband Wasserversorgung Albgau" gebaute Wasserwerk "Rheinwald" 1977 in Betrieb ging. Mit einer Kapazität von insgesamt 5 400 Kubikmeter pro Stunde fiir Karlsruhe, den Albgauverband und die mit- versorgten Umlandgemeinden sorgt es heute fiir eine ausreichende Versorgung der Stadt mit Trinkwasser bester Qualität. Dennoch haben eine Reihe von Unflillen mit wassergefahrdenden Flüssigkeiten in Wasser- schutzgebieten in den · vergangenen Jahren gezeigt, daß Wasserwerke aus Vorsorgegrün- den zeitweise auch abgestellt oder in ihrer Färderkapazität eingeschränkt werden müs- sen. Aus diesem Grund wurde ein Wasser- sicherstellungsgebiet im Gewann Kastenwärt in den Rheinauewäldern südwestlich von Daxlanden beantragt, um auch in Zukunft die Bürgerinnen und Bürger in Karlsruhe und den Umlandgemeinden jederzeit sicher und zu- verlässig mit Trinkwasser versorgen zu kön- nen. JUrgen Ulmer unter M itwirkung von Gerda Willig und Markus Schneider Über Steinkohledestillation zum Erdgas Die Geschichte der Karlsruher Gasversorgung Ein Blick auf die AnHinge der Gasversor- gung Karlsruhes ist direkt mit der Geschichte der Straßenbeleuchtung der Fächerstadt ver- bunden. In den vergangenen 150 Jahren hat die Entwicklung der Technik im Bereich der Gasversorgung viel bewegt: Nach dem Koke- reigas und dem Raffmeriegas kam im Oktober 1972 das Erdgas und damit die Grundlage für eine starke Ausweitung der Gasversorgung. 228 Über 70 000 Karlsruher Wohnungen nutzen heute diese umweltschonende Heizenergie. Mit den zwei Engländern namens Barlow und Manby begann im Jahre 1845 die Ge- schichte der Gasversorgung Karlsruhes. Sie errichteten außerhalb der damaligen Stadt- grenzen, vor dem Mühlburger Tor, eine "Gasanstalt". Nach langen "Verhandlungen, Versuchen und Begutachtungen" hatte sich der Stadtrat in diesem Jahr als Ersatz f1ir eine vorhandene Straßenbeleuchtung mit Rapsöl- lampen fIir eine Kohlengasbeleuchtung in den Straßen entschieden und mit den beiden Landoner Unternehmern einen 25jährigen Vertrag zur Errichtung der Gasbeleuchtung abgeschlossen. In einer alten Chronik ist zu dieser Entscheidung des Stadtrates zu lesen: "Wenngleich die hiesige Beleuchtung glän- zend genannt werden darf, wenn sie vielleicht die Beleuchtung der meisten Städte Deutsch- lands übertriffi, kann dies doch nicht aus- schließen, vom Guten zum Besseren zu schreiten. " Den 30. November 1846 kann man dann auch als Geburtsstunde der Karlsruher Gas- beleuchtung bezeichnen: Um 21.30 Uhr wurde das mit Blumenkränzchen geschmück- te Karl-Friedrich-Denkmal arn Schloßplatz prachtvoll erleuchtet. Zu dieser Zeit dachte man noch nicht an eine Verwendung des Gases etwa zu Heiz- oder Kochzwecken, ja selbst die Gasbeleuchtung fand nur sehr schwer Eingang in die Häuser. So ist es nicht verwunderlich, daß die Gasanstalt unrentabel war. Sicher lag es auch daran, daß mit den anfallenden Nebenerzeug- nissen der Steinkohlevergasung wie Koks und Teer noch niemand etwas anzufangen wußte. Steigender Gasverkauf an private Verbraucher <_.""<.:<.:«~.:.":«.":., :"",,,":-; .»:y,.,.,.,.,.,,««.,.:-:-;..;.;.: ._;.;';'»:««-»;-:-:-:.,;.;.,, . ,,.,.:-:.,.:-.~,,«.,.".>>>>>' In den folgenden Jahren wechselten auch gleich mehrmals die Besitzer der noch jungen Gasanstalt. Erst 1860 hatte die Firma Spreng & Pwicelly als 5. oder 6. Besitzer einigen Er- f<,lg. Erst nachdem die Stadt das Werk 1869 f1ir 343 000 Mark gekauft hatte, ging es richtig aufwärts. In einem Bericht über die ersten zehn Betriebsjahre des nun "Städti- Blick auf das" Gaswerk Ost" in den Nachkriegsjahren, langjdhrige "Erkennungsmarke" der Stadt im Osten. 229 Fnlher kam einmal im Monat der" Gas- mann " in jedes Haus und hat gleich vor Ort mit dem Kunden abgerechnet. sehen Gaswerkes" ist zu lesen: "Die Gasanstalten haben längst aufgehört, das zu sein, was sie vor 25 Jahren in den Augen des Publikums waren: Anstalten, weI- che die öffentliche Beleuchtung besorgen und nebenbei auch Gas an Private abgeben. Sie sind im Gegenteil 'Anstalten, welche Privat mit Gas versorgen und nebenbei auch die öffentliche Beleuchtung und zwar meistens ohne oder mit nur ganz geringem Gewinn besorgen." Von Anfang an wurde das sogenannte Leuchtgas nach dem klassischen Verfahren der "trockenen Destillation von Steinkohle" gewonnen. Nach den sogenannten Retorten- öfen waren später Kammeröfen gebräuchlich. Entsprechend dem Anstieg der Gasabgabe wurde das Gaswerk laufend ausgebaut und im 230 Jahr 1885 im Osten der Stadt, hinter dem damals entstehenden neuen Schlachthof, das Gaswerk 11 (Gaswerk Ost) erbaut. Beide Werke versorgten über zwei Jahrzehnte parallel die Stadt, bis im Jahr 1917 das Gas- werk West stillgelegt wurde. Dieses Gelände des ersten Karlsruher Gaswerks an der Kaiserallee beherbergte dann übrigens bis 1977 die Hauptverwaltung der Stadtwerke. Steter Ausbau des Gaswerkes Ost Schon 1914 wurde im Gaswerk Ost zu den bei den vorhandenen 20 000 Kubikmeter fas- senden Gasbehältern ein neuer mit 40 000 Kubikmeter Fassungsvermögen gebaut. Die Tageserzeugung lag in dieser Zeit in einer Schrägkammerofenanlage, bestehend aus zweimal sechs Öfen bei 100 000 Kubikme- tern. In den Jahren 1926/27 erfolgte der Bau weiterer Öfen und hierdurch stieg die Ka- pazität der Tageserzeugungsanlage auf 150 000 Kubikmeter. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ist die Geschichte der Gasversorgung Karls- ruhes durch steigende Bevölkerungszahlen und ein rasches WirtschaftswachstunI, durch den ständigen Ausbau der Erzeugungs- und Verteilungs anlagen und die zunehmende Ver- größerung der Versorgungsgebiete gekenn- zeichnet. Der Zweite Weltkrieg unterbrach diese Entwicklung. Fliegerangriffe beschä- digten im September 1944 das Gaswerk schwer. Auch die Verteilungsnetze wurden arg in Mitleidenschaft gezogen. In den Jahren nach 1948 galt es daher, die Erzeugungsanlage und das Gasverteilungs- netz schnellstens wieder instandzusetzen, um den wachsenden Gasbedarf decken zu kön- nen. Eine Koks-Zentralgeneratorenanlage und eine Anlage zur Gasbeimischung steigerten neben den erneuerten und umgebauten Öfen die Erzeugungskapazität in den Nachkriegs- jahren, so daß der damalige Generaldirektor Der 1960 neuerbaule Ofenblock IV in der Gaskokerei. der städtischen Versorgungs- und Verkehrs- betriebe, Dr.-Ing. Karl Möhrle, 1957 das Fazit ziehen konnte, daß, nach kontinuierli- chen Umbauten auf den neuesten Stand der Technik, täglich eine Erzeugungsanlage von rund 230 000 Kubikmeter zur Verfugung stehe. Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ..... N;.=~· ... ·.M.' ... w.w.·~ Über 81 Kilometer Gasrohre wurden in dieser Zeit neu verlegt und das gesamte Rohrnetz auf eine Länge von 350 Kilometer ausgebaut, Die Zahl der Hausanschlüsse stieg auf nahezu 13.000. Auch eine andere Zahl verdeutlicht das wirtschaftliche Wachstum der Nachkriegsjahre: Im Jahr 1955 betrug der Gasbedarf das 2,2fache der Abgabe des Jah- res 1936. Unter der Werkleitung von Dr. Möhrle wurde auch ein neuer Gasspeicher geplant und gebaut. 130 000 Kubikmeter Gas sollte sein Speichervolumen betragen, um die Versor- gungssicherheit der Stadt zu erhöhen. Dieser Scheibengasbehälter war über Jahrzehnte eine Erkennungsmarke der Stadt im Osten, insbesondere von der Autobahn her gesehen, und wurde erst 1990 durch eine moderne großvolurnige Leitung mit Speicherfunktion (bis zu 300 000 Kubikmeter) ersetzt. Die Produktion von Kokereigas im städti- schen Gaswerk in der Schlachthausstraße wurde 1965 eingestellt. Bis 1972 kochten und heizten die Karlsruher dann mit Raffmeriegas aus den Erdölraffmerien im Westen der Stadt und mit Kokereiferngas, das von überregiona- len Gasversorgungsunternehmen bezogen wurde. 231 Erdgas wird zur beliebtesten Heizenergie in Karlsruhe ~~~ .......... w ................. ~w.w.w.w.·.·.w.·.·.·.w.·.w.w ........ ·.·.·.·.,".·.·"", . .v. ......... .v. ......... ... Auf dem Gebiet der Gasversorgung brach in Karlsruhe am 10. Oktober 1972 ein neues Zeitalter an. An diesem Tag war die Um- stellung des Karlsruher Gasnetzes auf Erdgas abgeschlossen und damit die Grundlage fiir eine starke Ausweitung der Gasversorgung geschaffen. In einer zweijährigen Aktion stellten da- mals die Stadtwerke in Zusammenarbeit mit den örtlichen Gas- und Wasserinstallateuren über 140 000 Gasgeräte bei rund 74 000 Gaskunden in Karlsruhe von Stadtgas auf Erdgas um. Die Zahl der Heizgaskunden stieg von 15000 im Jahr 1968 auf über 25000 1971 und 33000 im Jahr 1972. Aufgrund seiner chemischen Zusammen- setzung verbrennt Erdgas umweltschonend. Es rußt nicht, ist ungiftig, kommt unsichtbar und unhörbar über die unterirdischen Versor- gungsleitungen ins Haus. Auch das leidige Energiebestellieferlager-Problem entfallt. Gründe, die heute über 70 000 Karlsruher Haushalte überzeugten . und Erdgas zur beliebtesten Heizenergie in Karlsruhe wer- den ließen. Das in Karlsruhe verteilte Erdgas stammt zum größten Teil aus westeuropäischen För- derländern, zum Beispiel aus den Niederlan- den und aus Norwegen. Rund ein Viertel des in Deutschland verbrauchten Erdgases stammt sogar aus inländischen Lagerstätten. Langfri- stige Erdgasbezugsverträge mit dem Vor- lieferanten der Stadtwerke, der Ruhrgas AG in Essen, sichern Karlsruhe heute eine ausreichende Gasversorgung flir viele Jahre, weit ins neue Jahrtausend hinein. Jürgen Ulmer unter Mitarbeit von Markus Schneid Geschichte der Karlsruher Stromversorgung Die vielseitige Energie Strom ist fiir unser modemes Leben einfach unverzichtbar. Ohne Strom geht heute fast gar nichts mehr. Und doch ist diese Erfmdung erst etwa 100 Jahre alt. Als der Karlsruher Stadtrat im Jahr 1899 die Errichtung einer "Elektrischen Zen- tralanlage flir Licht- und Kraftversorgung" beschloß, haben unsere Groß- und Urgroßel- tern sicher nicht geahnt, was fiir Folgen dieser Beschluß haben würde. Denn die elektrische Energie wurde rasch zu einer Schlüssel- energie, die die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend geprägt und die Lebens- und Arbeitsweise der Menschen vollkommen ver- ändert hat. Um die Jahrhundertwende hatte Karlsruhe knapp 100000 Einwohner. Durch die Straßen fuhren noch die Pferdebahnen, und in den 232 Häusern brannten überwiegend Petroleum- lampen oder Gaslichter. Aber die Industrie und das Gewerbe waren flir damalige Verhältnisse in lebhaftem Aufschwung. Die industrielle Revolution war in vollem Gange, Für den Antrieb der immer zahlreicher wer- denden Maschinen sucht man neue Kraftquel- len. So entstanden um diese Zeit auch in Karlsruhe die ersten privaten Stromer- zeugungsanlagen. Gleichzeitig wurden in Deutschland die ersten großen Elektrizitäts- werke gebaut. Am 28. April 1899 beschlossen nun Stadt- rat und Bürgerausschuß unter Oberbürger- meister Schnetzier, daß auch in Karlsruhe ein Elektrizitätswerk gebaut werden sollte, und zwar in unmittelbarer Nähe des damals im Bau befmdlichen Rheinhafens. Nach einer Bauzeit von zwei Jahren ging das neue Elektrizitätswerk an der Honsell- straße am 9. April 1901 in Betrieb. Es war mit zwei Drehstromgeneratoren mit einer Lei- stung vonje 400 Kilowatt bei 4 000 Volt und 50 Hertz ausgestattet. Die bei den Generato- ren wurden von Kolbendampfmaschinen mit einer Leistung von je 600 PS angetrieben. Neben Marmheim hatte Karlsruhe damit eines der ersten Drehstromkraftwerke rur die örtliche Stromversorgung in Deutschland. Gegenüber den damals noch gebräuchlichen Gleichstromanlagen bot das Drehstrom- system wesentliche technische und wirt- schaftliche Vorteile, so daß es sich letztlich durchgesetzt hat. Damals war Strom noch teuer Der Strom aus dem ersten Karlsruher Elektrizitätswerk wurde vor allem fur die Beleuchtung benutzt. Elektrische Haushalts- geräte gab es noch nicht. In Gewerbe- und Industriebetrieben wurden Maschinengruppen von größeren Elektromotoren angetrieben, Einzelantriebe waren noch nicht üblich. Und teuer war der Strom! Für eine Kilowattstunde. Lichtstrom mußten die Karlsruher zunächst einen Arbeitspreis von 70 Pfennig bezahlen. Das war viel Geld, denn ein Kilogramm Rindfleisch kostete damals nur rund 1,40 Mark, ein Zentner Kartoffeln rund 2,20 Mark. Trotzdem war der Strom aus dem neuen Städtischen Elektrizitätswerk sehr begehrt. Schon zwei Jahre nach der Inbetriebnahme mußte das Werk um einen dritten Maschinen- satz erweitert werden. Ein besonderes Ereignis feierten die Karlsruher am 20. September 1912: Die elektrische Straßenbeleuchtung in der Kaiser- straße wurde offiziell in Betrieb genommen, "die mit ihren hellen Lichtausstrahlungen einen imposanten Eindruck machte", wie die "Badische Presse" am nächsten Tag berichte- te. Die Ära der Gaslaternen war damit aber noch lange nicht beendet. Erst im Dezember 1973 wurde die letzte Karlsruher "Gas- funzel" vom damaligen Oberbürgermeister Otto Dullenkopf gelöscht. Von 19l1 bis 1917 wurden die mit Kolben- dampfmaschinen angetriebenen Generatoren des Kraftwerks durch modeme Dampfturbo- aggregate ersetzt. Der jährliche Strombedarf stieg in diesen Jahren von knapp 5 auf über 17 Millionen Kilowattstunden. Schon 1927 mußte das Werk dann erneut erweitert wer- den. Im gleichen Jahr wurde auch die Hoch- spannungs-Schaltstation im Westen der Stadt verstärkt wld eine neue Station im Osten gebaut. Über beide Stationen konnte auch Strom von benachbarten Versorgungs unter- nehmen bezogen werden. Schon ab 1918 a,beitete das Karlsruher Elektrizitätswerk mit anderen Stromversorgem zusammen, um bei einem Ausfall der eigenen Produktionsan- lagen die Stromversorgung zu gewährleisten. Denn Strom kann man bis heute nicht 111 Für die Versorgung der Stadt und des HaJengebietes mit elektrischer Energie entschloß man sich zur Anwendung von Drehstrom. Dieses Stromsystem bot gegenber den damals gebräuchlichen Gleichstromanlagen wesentliche techni- sche lind wirtschaftliche Vorteile. Damit sollte Karlsruhe neben Mannheim eines der ersten DrehstromkraJtwerke ftJr die örtliche Stromversorgung erhalten. 233 versorgung. Am 4. Dezember 1944 wurde das Elektrizitätswerk bei ei- nem Fliegerangriff so schwer beschä- digt, daß ein weiterer Betrieb nicht mehr möglich war. Auch die Strom- verteilungsanlagen waren Ziel des Angriffs der britischen Luftwaffe. Wo das Kabelnetz und die Schalt- anlagen noch intakt waren, konnte die Stromversorgung bis zur Beset- zung der Stadt durch Strombezug vom Badenwerk aufrechterhalten werden. Erst am 11. Dezember 1945 wurde nach wnfangreichen Instand- setzungsarbeiten der reguläre Be- trieb im Städtischen Elektrizitäts- werk wieder aufgenonunen. Parallel zum Bau des Elektrizittitswerkes wurden ab 1899 Stromkabel verlegt. Ende 1901 war das Karlsnt- her Stromverteilungsnetz bereits über 60 Kilometer lang. 392 Hauser wurden schon mit der neuen Energie versorgt. Daß damals bei Bauarbeiten noch aberwie- gend die menschliche Arbeitskrajl eingesetzt wurde, zeigt die Aufoahme von 1900 am Milhlburger Tor. Ein starkes Bevölkerungswachs- turn und das "Wirtschaftswunder" fUhrten in den Nachkriegsjahren zu einem raschen Anstieg des Strombe- darfs. Daher wurde 1954 ein zweiter kohlestaubbefeuerter Kessel mit ei- ner Dampferzeugungsleistung von 80 Tonnen pro Stunde installiert, 1957 ein dritter Drehstromturbosatz in Betrieb genommen. Ein starker Ausbau des Verteilungsnetzes kenn- zeichnete die fUnfziger Jahre. Neue größeren Mengen speichern. Er muß in dem Moment erzeugt werden, in dem er auch gebraucht wird. In zehn Jahren Strombedarfverdoppelt 1927 war das Karlsruher Stromverteilungs- netz schon 386 Kilometer lang. VOll 1927 bis 1937 hat sich die Stromabgabe von etwa 38 auf 72 Millionen Kilowattstunden nahezu verdoppelt. 1937 wurde daher ein weiterer Turbosatz mit einer elektrischen Leistung von 16 000 Kilowatt installiert. Der Zweite Weltkrieg unterbrach die stür- mische Entwicklung der Karlsruher Strom- 234 Wohnsiedlungen und Industriegebiete wur- den erschlossen. 1960 war das Karlsruher Stromnetz schon über I 000 Kilometer lang. Geburtsstunde der Fernwärme in Karlsruhe 1961 beschloß der Karlsruher Gemeinderat den Aufbau einer großräumigen Fernwärme- versorgung und den Umbau des Elektrizitäts- werkes an der Honsellstraße zum Heizkraft- werk, in dem Strom und Fernwärme in so- genannter Kraft-Wärme-Kopplung gemein- sam erzeugt wird. Dabei kann ein großer Teil der Abwärme aus der Stromerzeugung fUr die Produktion von Fernwärme genutzt werden. Blick auf eine Kondensationslurbine in der Maschinenhalle des Heizkraftwerks im Jahr J 957. Der Wirkungsgrad des Kraftwerks verbessert sich hierdurch erheblich und wertvolle Ener- gie wird eingespart. Außerdem entlastet eine Fernwärmeversorgung Innenstadt und Wohn- gebiete von Luftschadstoffen, die aus den Heizungsabgasen stammen. Im Mai 1964 faßte der Karlsruher Gemein- derat einen weiteren Beschluß, der die Wei- chen fur die Energieversorgung der Stadt bis in die Gegenwart gestellt hat: die Beteiligung der Stadt Karlsruhe an der Kernkraftwerk Übrigheim GmbH. Seit 1968 wird Strom aus dem Kernkraftwerk in der Nähe von Mosbach in das Karlsruher Stromnetz eingespeist. Neben dem Umbau des städtischen Elektri- zitätswerkes zum Heizkraftwerk von 1963 bis 1965 wurden in den sechziger und sieb- ziger Jahren vor allem die Stromvertei- lungsanlagen ausgebaut. Neue Schaltanlagen und Umspannwerke entstanden und wurden durch 110000-Volt-Hochspannungs-Kabel miteinander verbunden. Im N iederspannungs- netz wurde ab 1975 die Spannung von 3 x 220 Volt auf3 x 3801220 Volt erhöht. Das Strom- verteilungsnetz wurde dadurch leistungsfahi- ger und sicherer, Stromausfalle seltener. Heute müssen übrigens die Stromkunden der Stadtwerke Karlsruhe rein statistisch nur alle 17 Jahre einmal mit einem Stromausfall rechnen. Strombezug auch von der Badenwerk AG 1975 hatten die Stadtwerke Karlsruhe schon über 120 000 Stromkunden, die in diesem Jahr zusammen über 650 Millionen Kilowattstunden Strom verbraucht haben. Rund 40 Prozent des Stroms wurden von den Stadtwerken und vom Kernkraftwerk Übrig- heim erzeugt, etwa 60 Prozent von der Baden- 235 werk AG bezogen, von der die Karlsruher Stadtwerke schon seit 1922 Strom kaufen. Das Slromverteilungsnetz war 1975 1 778· Kilometer lang. Fünf Umspannwerke und 450 Netzstationen sorgten für die richtige Span- nung. 1980 wurde das Heizwerk in der Wald- stadt, das diesen in den fiinfziger Jahren ge- bauten Stadtteil von Aufang an mit Fern- wärme versorgt hat, zum Heizkraftwerk um- gebaut. Auch hier kann seither Fernwärme zusammen mit Strom in energiesparender und umweltschonender Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden. Im gleichen Jahr wurde an der Hertzstraße ein weiteres Umspannwerk in Betrieb genommen. Es hat die Versorgungs- sicherheit in den Stadtteilen Neureut und Knielingen wesentlich verbessert. Für die sichere Stromversorgung der nordöstlichen Stadtteile sorgt ab 1988 das neue Umspann- werk "Blöße" im Süden von Hagsfeld. 1983 nahm eine computergesteuerte Strom- Netzleitstelle ihren Dienst auf. Durch eine in doppelter Ausfuhrung vorhandene Computer- anlage und ein zusätzlich installiertes Not- bediensystem wurde die Versorgungssicher- heit weiter erhöht. Netzstöiungen können nun schneller behoben und genauer analysiert werden. Den Stromnetzplanem liefert der Computer genaue Iuformationen, welche Stromleitungen wann wie stark belastet sind. Das erleichtert die Netzplanung erheblich und macht den Netzausbau wirtschaftlicher. Rauchgasreinigungsanlage im Heizkraftwerk Das Heizkraftwerk an der Honsellstraße, nach wie vor der wichtigste Karlsruher Strom- und Fernwärme-Lieferant, wurde in den Achtziger Jahren erheblich erweitert und umweltschonender gemacht. Im April 1984 ging ein neuer kohlebefeuerter Kraftwerks- block mit einer Nennleistung von 32 Me- gawatt in Betrieb. Er wurde mit einer Ent- 236 schwefelungs- und Entstickungsanlage aus- gestattet, die seit 1990 den Schadstoffausstoß des Kraftwerks minimiert. Interessant ist auch, daß seither im Heizkraftwerk nicht nur Strom und Fernwärme produziert wird, sondern auch Ammoniumsulfat, ein hochwer- tiges, schwefelhaltiges Düngemittel. Es ist das nützliche Nebenprodukt der Rauchgas- entwicklung nach dem sogenannten Walther- Verfahren. Von 1975 bis 1993 hat sich der Strom- verbrauch der Stadtwerke-Stromkunden - das sind die Einwohner aller Stadtteile westlich der Autobahn A 5; die östlichen Stadtteile werden vom Badenwerk versorgt - von 650 Millionen Kilowattstunden auf über 1,4 Mil- liarden Kilowattstunden mehr als verdoppelt. Allerdings gab es 1986 und 1987 erstmals seit 1945 einen Rückgang des Stromverbrauchs, der konjunkturbedingt war und in erster Linie auf den geringeren Strombedarf von großen Industriekunden zurückgeführt werden kann. Das Stromverteilungsnetz ist heute rund 2 000 Kilometer lang. Sieben Umspannwerke und 621 Netzstationen sorgen für die richtige Spannung in diesem weiterverzweigten Netz elektrischer Leitungen. Leistungsfaruge Heizkraftwerke, ein gut ausgebautes Stromverteilungsnetz, eine mit moderner Computertechnik ausgestattete Netz- leitstelle und nicht zuletzt die Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter der Stadtwerke sorgen dafür, daß die Karlsruher es hell, warm und komfortabel haben und daß ihnen modeme Elektrogeräte viel Arbeit abnehmen. Heute versorgen die Stadtwerke die Karlsruher aber nicht nur sicher mit Energie, sondern sie zeigen ihnen in der 1992 eingerichteten, vielbeachteten Kundenberatung in der Kaiser- straße, wie sie ohne großen Komfortverlust Strom sparen und die Umwelt schonen können. Jürgen Ulmer tmler Mitarbeit von Gerda Willig und Marklls Schneider Strom für Baden Von den Anfängen der Elektrifizierung bis zum heutigen EnergiedienstIeister "Wer heutzutage in Baden einen Sehalter betätigt, um elektrischen Strom fiir Licht, Kraft oder Wärme fließen zu lassen, kann fast inuner sicher sein, daß hierfiir Leistungen des Badenwerks in Anspruch genommen werden. Es ist nicht nur größter Stromproduzent im Gebiet des ehemaligen Landes Baden (vom Bodensee bis zum Main), sondern auch Ei- gentümer des Verbundnetzes von Hoch- und Höchstspannungsleitungen, die gewisserma- ßen die Hauptschlagadern der Stromversor- gung sind. Auf diesem Wege werden auch die erforderlichen zusätzlichen Strommengen bereitgestellt, die das Badenwerk von seinen in- und ausländischen Partnern bezieht. Die Verteilung erfolgt zum einen über regionale bzw. lokale Elektrizitätswerke, zum anderen liefert das Badenwerk in weiten Teilen des Landes den Strom direkt bis zum Endverbrau- cher. Seit seiner Gründung als Badische Landeselektrizitätsversorgungs-Aktiengesell- schaft am 6. Juli 1921 hat das Unternehmen die elektrizitätswirtschaftliehe Entwicklung des Landes maßgeblich bestinunt." Die Anfange Die Elektrifizierung Badens nahm ihre Anfange bereits ca. 30 Jahre bevor .das Badenwerk gegründet wurde. Diese Zeit war durch private und räumlich begrenzte Versorgung gekennzeichnet. Mit sogenann- ten EinzClanlagen wurden einzelne Gebäude oder Anlagen beleuchtet. So gab es 1887 in Karlsruhe acht elektrische Anlagen mit 134 Bogen- und 321 Glühlampen, in Heidelberg verfugten vier Fabriken über elektrische Beleuchtung, und auch in Pforzheim gab es zwei Einzelanlagen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Elek- trizität fiir größere Städte schließlich als etwas Selbstverständliches. Unklar war je- doch oft, wer die Trägerschaft der Elektrizi- tätswerke übernehmen sollte. In der Regel entschied man sich fur den kommunalen Eigenbetrieb. ÖlfentlicheVersorgung konnte aber auch von privaten Unternehmen über- nommen werden. Diese engagierten sich in der Regel jedoch nur dort, wo die Kunden- struktur eine hohe Auslastung des Werkes erwarten ließ. Somit blieben insbesondere die dünner besiedelten, landwirtschaftlichen Re- gionen Badens in der Elektrizitätsversorgmig bald zurück. Im November 1918 wurde am Oberlauf der Murg bei Forbach nun das erste staatliche Wasserkraftwerk Badens in Betrieb genom- men: Das "Murgwerk" nutzte die beträchtli- chen Wasserkräfte des nördlichen Schwarz- waldes, einer der regenreichsten Gegenden Deutschlands, zur Erzeugung von elektri- scher Energie. Nach langen Debatten und Kontroversen war es im Jahr 1912 vom ba- dischen Landtag beschlossen worden. Der aus Schwarzwälder Wasserkraft gewonnene Strom sollte nämlich über eine ebenfalls vom Staat zu bauende Hochspannungsleitung ins Rheintal transportiert werden und den bislang noch kaum elektrifizierten mittelbadischen Raum von Rastatt über Karlsruhe und Pforzheim bis vor die Tore des Mannheimer Industriereviers mit elektrischer Energie versorgen. Eine neue staatliche Energiepoli- tik bahnte sich also an, die das "Gemeingut Wasserkraft" nicht mehr der Privatwirtschaft überlassen wollte. 237 Das Badenwerk Schließlich wurde am 6. Juli 1921 die "Ba- dische Landeselektrizitätsversorgungs AG" 1938 in Badenwerk AG umbenannt - ge- gründet. Aufgabe dieser Gesellschaft war der Aufbau einer flächendeckenden und billigen Versorgung des Landes Baden mit elektri- scher Energie. Ging es in den Anfangsjahren darum, das Land Baden flächendeckend mit Energie zu versorgen, sieht sich das Unternehmen heute, 75 Jahre nach der Gründung, neuen Heraus- forderungen gegenüber: Als moderner Ener- giedienstleister macht es sich fit fiir den Wettbewerb mit Orientierung an den Kunden und flexible, innovative Anpassung an sich verändernde Kundenbedürfuisse. Entsprechend seines Auftrages ging das Badenwerk in den folgenden Jahrzehnten daran, neue Kraftwerksleistung bereitzustel- len und fiir den Ausbau von Überlandnetzen mit Verbindung zu seinen Nachbarländern zu sorgen: In der Anfangszeit waren die wich- lEKTRIS SSTElLUNß tigsten Stationen unter anderem die Beteili- gung 1921 an der Grün- dung des Großkraft- werks Mannheim, der Ausbau der zweiten Stufe des Kraftwerkes Forbach 1922, die in- betriebnahme des Kraft- werkes Schwabenheim am Neckar 1925,die Gründung der Sehluch- seewerk AG 1926 und der Baubeginn der Ober- stufe Häusern. 238 Gleichzeitigwurdedas 1l0-kV-Netz erweitert. 1926 erfolgte z. B. mit Inbetriebnahme der 110- kV-Leitung Seheiben- hardt-Offenburg-Vil- lingen-Laufenburg der Stromaustausch mit der Schweiz. 1926 wurde mit dem Zusammen- schluß des Badenwerk- Netzes mit dem Rhei- nisch-Westfälischen Elektrizitätswerk Essen (R WE) der Austausch mit den auf rbeinischer Braunkohle basierenden Dampfkraftwerken begründet. Stromliefe- rungsverträge mit Elektrizitäts-Versorgungs- Unternehmen in Württemberg machten schließlich 1928 die Errichtung einer 110- kV-Leitung von Scheibenhardt über Pforz- heim zur württembergisch-badischen Lan- desgrenze notwendig. Im Dezember 1935 wurde das Energiewirt- schaftsgesetz erlassen. Einer großen Ver- bundwirtschaft gleich, sollte das Gesetz die Elektrizitätswirtschaft zusammenfassen und rationalisieren. Es war jedoch auch dazu gedacht, die Rüstungsindustrie zu fordern. Nach dem 11. Weltkrieg w.v .. w ... w .w."N.· .... v·'" w.w.v.w." .... ~N'.,,~ .... Die Folgen des Zweiten Weltkrieges trafen das Badenwerk ähnlich hart wie alle Ener- gieversorgungsunternehmen in Deutschland. Durch akuten Material- und Geldmangel konnten wesentliche Aufbau- und Erwei- terungsarbeiten sowie neue Projekte fiir die kommenden Jahre nicht in Angriff genommen werden. Stromlieferungen über die Schweiz nach Frankreich (Lieferungsverpflichtungen), Wasserknappheit etc., hatten zur Folge, daß der erste Nachkriegswinter nur mit Hilfe von Kohlelieferungen der Militärregierung und der Einrichtung von Stromspartagen bewäl- tigt werden konnte. Um die Stromversorgung landesweit und über die Grenzen hinweg gewährleisten zu können, schlossen sich im November 1948 neun deutsche Verbundunternehmen, darun- ter das Badenwerk, anf eigene Initiative zur "Deutschen VerbundgeseUschafte.Y." (DVG) zusammen. Parallel zur DVG wurde 1951 die Union fiir die Koordinierung der Erzeugung und des Transports elektrischer Energie" (UCPTE) gegründet, die den Großraum-Verbund zwi- schen den westeuropäischen Ländern gestal- ten helfen sollten. Trotz dieser Maßnahmen konnte der sprung- haft angestiegene Strombedarf in den 50er Jahren durch die hauseigene Energie- bereitstellung nicht gedeckt werden. 1953 baute das Badenwerk daher ein eigenes Dampfkraftwerk am Rhein bei Karlsruhe. Im Jahr 1959 war die erste Ausbaustnfe des RDK fertiggestellt und ging mit einer Leistung von 230 MW ans Netz. In den letzten 36 Jahren nahmen insgesamt sieben Blöcke mit unterschiedlicher Leistung den Betrieb auf. Ab 1984 jedoch wurden aus Alters- und Umweltschutzgründen die Blöcke 1-4 stillgelegt. Block 4 wird zur Zeit zu einer kombinierten Gas- und Dampfturbinenanlage umgebaut. Mit einer Gesamtleistung von 360 MW wird der Wirkungsgrad der Anlage bei etwa 58 % liegen. Ein Wirkungsgrad, der weltweit noch nicht erreicht wurde. Anfang 1998 wird der Block den Leistungsbetrieb aufnehmen. Die 50.er und 70er Jahre In den 50er Jahren stieg der Energiebedarf durch den Aufbau neuer Industriezentren und den hohen Elektrizitätsverbrauch in Haushalt und Gewerbe stark an. Neben der Be- reitstellung eigener neuer Leistung wurde so eine umfassende Erweiterung der Hoch- und Mittelspannungsnetze sowie eine Entlastung der vorhandenen Netze durch den Bau von 220-kV -Höchstspannungsleitungen nötig. Die Bewältigung dieser Aufgaben, auch der Orts- netzumstellung auf2201380 Volt, zog sich bis zu Beginn der 60er Jahre hin. Die 70er Jahre waren bestimmt durch die Planung und den Bau von Kernkraftwerken, aber auch durch die dadurch ausgelöste Anti- Kernenergie-Diskussion. Das Badenwerk be- teiligte sich an den Kernkraftwerken Obrig- heim, Philippsburg sowie Cattenom und Fes- senheim in Frankreich und Leibstadt in der Schweiz. Das geplante Kernkraftwerk Whyl wurde nicht mehr gebaut, weil an diesem 239 Standort der Bau eines Kernkraftwerks nicht durchsetzbar war. 70 % der Stromerzeugung des Badenwerks werden aus der Kernenergie gewonnen, 18 % aus Kohle. Einen hohen Anteil an der Stromerzeugung hat jedoch mit rund 10 % weiterhin die Wiege des Badenwerks: die Wasserkraft. Ausgestattet wurde das Baden- werk mit einem Grundkapital von 30 Mil- lionen Mark, welches der Staat durch Ein- bringen des Murgwerkes und der dazugehöri- gen Anlagen aufbrachte. Damit verbunden war die gesetzliche Verpflichtung, das ge- samte Grundkapital stets im Staats besitz zu behalten. Erst 1970 öffilete der damalige Alleineigeotümer, das Land Baden-Württem- berg, per Gesetz dem privaten Kapital den Zugang zum Unternehmen, ohne dabei auf die Aktienmehrheit zu verzichten. Bis zum 13. Oktober fmdet im Badischen Landesmuseum zu diesem Thema eine Ausstellung "Die elektrisierte Gesellschaft" statt. Aus den Beiträgen von Uwe Kühl und Alexia Haus im Ausstellungskatalog stam- men die Zitate. Außerdem sei auf das Sonderheft der "Badischen Heimat" 1993 mit seinem Aufsatz von Bemhard Stier "Elektri- zität aus Schwarzwälder Wasserkraft" hinge- WIesen. Diana St6cker Das Großherzogtum Baden und die Politik des Reichskanzlers Bismarck (1871-1890) I. Jubiläum und Person Termingerecht zum 30 .. Juli 1998, dem einhundertsten Todestag des ersten deutschen Reichskanzlers Otto v. Bismarck, läuft der als Verkaufs- und Profilierungsvehikel durchaus lukrative historische Jubiläumsbetrieb unter stimulierender Beteiligung der Medien ein- mal mehr auf Hochtouren: Der mäßig ge- schichtskundige, gleichwohl interessierte Bür- ger ertrinkt formlich in einer Flut einschlägi- ger Schriften und Biographien unterschied- lichster Qualität, deren Zahl der talkrunden- erprobte Erlanger Historiker Michael Stür- mer bereits 1987 Legion nannte. Hinzu kom- men ungezählte, häufig wohlgemeinte Gedenk- veranstaltungen, Ausstellungen, Tagungen und Symposien, gekrönt von den Aktivitäten einer vor Jahresfrist mit Bundesmitteln üppig dotierten Otto-von-Bismarck-Stiftung. Alle- samt sollen sie die Erinnerung an das poli- tische Wirken und die Person Bismarcks 240 wachhalten oder aufs neue wecken. Tatsächlich aber drohte Bismarck niemals kollektivem Vergessen anheimzufallen. Im Gegenteil: Rund 100000 Menschen besuchen jährlich den Friedrichsmher Alterssitz des 1890 amtsenthobenen Kanzlers am Unterlauf der Eibe; Repräsentativumfragen weisen ihn kontinuierlich als den bei weitem bekannte- sten deutschen Politiker des 19. Jaluhunderts, ja als einen der prominentesten deutschen Staatsmänner überhaupt aus. Zusätzlichen Schwung verlieh der ungebrochenen Bis- marck-Faszination schließlich die staatliche Vereinigung von 1989/ 90, denn jetzt er- blickten nicht wenige in der Reichsgründung von 1870171 den zentralen Orientierungs- punkt fUr eine heutige Identität der Deutschen - jener Deutschen, die im Juni 1991 per Bundestagsbeschluß von der als Rheinbund- staat (Rudolf Augstein) verächtlich gemach- ten atlantischen (Bonner) Bundesrepublik in die eher kontinental verortete Berliner Repu- blik befördert worden waren. Trotzdem blieb das politische Werk Bismarcks insgesamt umstritten, unter Fach- leuten freilich stärker als in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Den Anhän- gern einer neoborussischen Geschichtsauf- fassung gilt er schlicht als blut- und eisenbewußter Vollender der deutschen Berufung Preußens, anderen wiederum als der selbst unorthodoxe Mittel ebenso skrupel- los wie virtuos gebrauchende Heros einer konservativ getönten Realpolitik (weißer Revoluliontlr, Lolhar Gall), während man- cher kritisch-ablehnende Betrachter in ihm gar einen fiir die nationalen Katastrophen bis 1945 mitverantwortlichen Dämonen (Johan- nes Willms) zu sehen glaubt. Kurzum: Bismarck ist ein "deutscher Streitfall" par excellence, der die Janusköpfigkeit des gleich sehr zu hassenden und zu liebenden Preußens (Theodor Fontane) geradezu ideal- typisch personifiziert. Die vielen meist im ersten Drittel dieses Jahrhunderts nach dem Reichskanzler be- nannten Straßen, Plätze und öffentlichen Einrichtungen waren allerdings kein Thema jener Kontroverse. Ihre überkommene Signa- tur hatte durchweg Bestand, wurde in der Regel nicht einmal hinterfragt, und das wirft auch rur Baden die unumgängliche Frage nach den vielfach unbekannten, vergessenen oder verdrängten regionalen Bezügen der Bismarckschen Innenpolitk auf: Im Kern geht es hier um den Antagonismus zwischen der vom Ministerium und Großherzog Friedrich I. formulierten badischen und der von Bismarck durchgesetzten Reichspolitik, also um die problematische Gewichtung der bundesstaat- lichen Föderativrechte und der Zentralgewalt im preußisch-deutschen Kaiserreich, aber auch um verfassungskonformes und extra- konstitutionelles Handeln sowie letztendlich um konträre politische Identitäten und Prin- zipien. 11. Preußens Bismarck und _~B~a~~. ~~_~?~~":~g im Kaiserrei~ Zur Zeit der ReichsgTÜndung pflegten Berlin und Karlsruhe einvernehmlichen Umgang, nachdem Preußens militärische Intervention (1849) wie Badens Option fiir Österreich (1866) die bilateralen Beziehun- gen vorübergehend getrübt hatten, Nun genoß die vom Schwiegersohn des preußischen Königs Wilheim, Großherzog Friedrich I., maßgeblich inspirierte badische Politik Bismarcks deutliches Wohlwollen. Unter den vier sOddeutschen Staaten, bemerkte jener schon Anfang 1870 vor den Abgeordneten des Norddeutschen Bundestags, sei das Groß her- zogtum der einzige offizielle Trtlger des nationalen Gedankens. Noch im hohen Alter würdigte er die vorbehaltlose FIJrderung der hegemonischen Bestrebungen Preußens: 1871 , in Versailles, sei der badische Landes- herr der einzige unter den deutschen FOrsten gewesen, der mir bei dem KIJnige in der Kaiserfrage UnterslUtzung gewtlhrte und mir aktiv und wirksam in der Überwindung der preußisch-partikularistischen Abnei- gung des KIJnigs beistand Friedrichs I. herausragende Rolle als uneigennütziger Gründungs-Helfer war nicht allein Ausdruck seiner nationalpolitischen Anschauungen und engen verwandtschaftlichen Verbindung zum Berliner Hof, die ihn zum Wortfiihrer einer kleindeutsch-preußischen Lösung der deut- schen Frage machten, sondern ebenso Folge des Schulterschlusses mit Bismarck im eskalierenden Kulturkampf, der epochalen Auseinandersetzung zwischen Liberalismus, Staat und katholischer Kirche. Als dann aber der Gründungsenthusiasmus zu verfliegen begann, mehrten sich die Klagen des über die Verfassungswirklichkeit des Hohenzollemreichs sichtlich enttäusch- ten und immer mißtrauischer werdenden Großherzogs. Scharf kritisierte der MO'narch, 241 daß nach Badens freiwilligem Verzicht auf ein eigenes Militär-, Post- und Telegraphen- wesen "kein Reichsheer unter einem entspre- chenden Kriegsministerium geschaffen und neben dem Reichskanzleramt kein separates Reichsministerium mit verantwortlichen Mi- nistern installiert wurde. Die einseitigen Vorleistungen hätten lediglich Preußens Vorherrschaft gestärkt, anstalt die deutsche Vormacht im Reich aufgehen zu lassen. Namhafte Vertreter der nationalliberal ge- " sinnten Führungsschicht des Landes stießen ins gleiche Horn. So fallte Staatsminister Jolly beim Anblick des Bundesrats, des zwischen der mächtigen preußischen Ministerialbürokratie und dem selbstbewuß- ten Reichstag zur Ohnmacht verurteilten föderalen Verfassungsorgans, ein vernichten- des Verdikt: Die Tatigkeit des Rats sei eine Farce, an der sich zu beteiligen die MUhe nicht lohnt. Resigniert schrieb die badische Regierung Bismarcks Bundesrat als Clearing- steIle bundesstaatlicher Reichspolitik ab; sie verzichtete dort auf das Einbringen eigener Gesetzesinitiativen und instruierte ihren Ratsgesandten, mit der preußischen Majorität zu stimmen, ralls nicht gerade ausgesproche- ne Landesinteressen (Reichseisenbahn-, Mi- litär- und Sozialistengesetz, Tabaksteuer, Kirchen- und Schulfragen) auf dem Spiel ständen und ein abweichendes Votum erforderten. Verantwortlich ftir die in wach- sendem Maße empfundene Stagnation des Verfassungslebens war nach Meinung des politisch isolierten und über die liberale Fortentwicklung der Reichsinstitutionen zu- tiefst pessimistischen Großherzogs allein der Reichskanzler, dessen internationale Reputa- tion er jedoch einstweilen als unersetzbar erachtete. Den Differenzen über die Ausgestaltung des Reichs lagen auch gegensätzliche politische Stile und Wertmaßstäbe zugrunde. Friedrichs I. persönlicher Berater, Professor 242 Gelzer, hegte bereits 1872 moralisch fundier- te Vorbehalte gegen Bismarcks bonapartistisch gefärbten, prinzipien/os anmutenden Machia- vellismus und warnte vor dieser geflihrlichen Hypothek: Der preußisch-militarische und bUrokratisch-zentralistische Unitarismus, verbunden mit dem kalten, frivolen, egoisti- schen Berlinismus, werde mit fatalistischer Konsequenz den deutschen Idealismus und den berechtigten Individualismus der Stan- de, der Stadte und Persönlichkeiten zu verschlingen suchen. Ähnlich dachte der Großherzog; jener war überzeugt, daß der Reichskanzler for eine stete FUhrung in friedlichen Zeiten als vorausdenkender, forsorglicher Staatslenker nicht geschaffen sei. Bismarcks System der Aushilfen diene einzig der Demonstration seiner Unentbehr- lichkeit und verhindere langfristig eine gesunde Entwicklung: Wir werden durch ihn von einem Versuch zum andern gefohrt werden, charakterisierte der badische Lan- desherr die schillernde Herrschaftstechnik des Kanzlers; diese bezweckte, die "staats- tragenden" Kräfte durch sozial-imperialisti- sche Ablenkungsmanöver und Bekämpfung sogenannter innerer - sozialdemokratischer und ultramontaner - Feinde sekundär zu integrieren, um die gesellschaftspolitischen Verhältnisse Ostelbiens im Verbund mit den monarchischen Vorrechten zu konservieren (Hans-Ulrich Wehler). Und wenn diese genialen Versuche mißlingen, so wirjl er irgendeine Streitfrage auf, welche umstim- mend wirken sol/ lind woraus dann eine Motivienmg zum Einschlagen einer anderen Richtung gewonnen wird. Eine derartige Überraschungspolitik habe obendrein den Nachteil, daß man in Europa kein Vertrauen zu Deutschland gewinnen kann. Später wurde Friedrich I. noch deutlicher und sprach offen von Gewaltpolitik und Despotismus, bisweilen sogar von Dikiatur. Umgekehrt mißbilligte Bismarck das vermeintliche Po- pulariltitsbedürfnis des badischen Regenten, das diesen veranlasse, jeder Regung der 6jJentlichen Meinung nachzugeben. Die badische Politik sei mehr auf Populariltil berechnet gewesen, als sonst in Deutschland üblich; profitiert habe davon eine eigne Art von subalterner Bürokratie, eine 1848/49 gegenüber der Dynastie provozierend illoyale Schreiberherrschajl. Für die liberalere Va- riante der konstitutionellen Monarchie in Baden hatte der von Revolutionsängsten geplagte Bismarck jedenfalls nur Gering- schätzung und Argwohn übrig. Darum verwarf er sie kurzerhand als eine vom fran- zösischen Bürgerkönigtum Louis Philipps angeregte Modeerscheinung und lehnte es auch kategorisch ab, dem Großherzog und seiner Regierung gestalterischen Einfluß anf das annektierte Nachbarterritorium Elsaß- Lothringen einzuräumen. 111. Badisch-preußische Differenzen in der Ära Bismarck Trotz gleicher Stoßrichtung und enger Tuchflihlung setzten beide Seiten im Kultur- kampf gegen die katholische Kirche unter- schiedliche Akzente: Während Badens poli- tisch tonangebende Kreise mit der Staats- kirchenhoheit eine nach liberalen und nationalen Normen geformte, äußerlich aber selbständige Kirche anvisierten, steuerte der Reichskanzler - ganz der preußischen Staats- räson verhaftet - einen rigiden obrigkeitli- chen Kurs, wobei er allerdings den Antikleri- kalismus der liberalen Öffentlichkeit ge- schickt zu instrumentalisieren wußte. Dies fuhrte zu mehr als nur taktischen oder methodischen Unstimmigkeiten. 1872 brüs- kierte das juristisch fragwürdige Verbot des Jesuitenordens den Großherzog, der Preußen zu Recht beschuldigte, ein ureigenes Problem über das Reich nach Baden exportiert zu haben, um die dort schwelenden landeseige- nen kirchen- und kulturpolitischen Konflikte anzuheizen und eine vorzeitige regionale Entspannung zu verhindern. Andererseits war Bismarck unvoreingenommen genug, sich die reichen badischen Kulturkampferfahrungen zunutze zu machen: Im Großherzogtum längst erprobte Kampf-Paragraphen dienten 1873 den "Maigesetzen" (Vorbildung der Geistlichen, Einschränkung bzw. Aufhebung der kirchlichen Disziplinargewalt sowie der kirchlichen Straf- und Zuchtmittel, Regelung des Kirchenaustritts) und Anfang 1875 dem Altkatholikengesetz als Vorlage. Die Ver- schärfung der Klassengegensätze, der schwin- dende gesellschaftsstabilisierende Einfluß der Kirche und sein patriarchalisches Ver- antwortungsgefühl bestärkten Friedrich I. schließlich, einen Modus vivendi zu suchen Md die Konfrontation zu beenden. Nach dem Vorbild und dank der diplomatischen Hilfe Preußens nahm die badische Regierung 1879 mit dem Vatikan Friedensverhandlungen auf. Schneller als Berlin gelangte sie zu greifbaren Ergebnissen (1880 Übereinkunft beim Priesterexamen, 1882 Neubesetzung des Freiburger Bischofsstuhls), mußte seither aber von ideologisch festgefahrenen Positio- nen aus zusehen, wie man 1886/87 an der Spree den Kulturkampf zügig und ohne Rücksicht auf die schwierige innere Situation des oberrheinischen Verbündeten liquidierte. 1878/79 brachte Bismarcks wirtschaftspo- litische Wende vom Freihandel hin zum Schutzzoll eine heikle Kollision fiskalischer Interessen. Ohne die Kehrseite der Wende, die politisch brisante Verteuerung des allgemeinen Lebensbedarfs, zu verkelUlen, akzeptierte Badens Ministerium nach sechs lähmenden Krisenjahren (Große Depression, Hans Rosenberg) die zur Stärkung der Reichsfinanzen und zum Schutz bedrohter einheimischer Industriezweige drastisch er- höhten Zolltarife. Auf breiten, energischen Widerstand stieß indes Bismarcks Vorhaben, 243 im Zuge der ökonomischen Umorientierung die indirekte Besteuerung auszuweiten und ein Reichs-Tabakmonopol zu errichten, das den bislang privat organisierten Einkaufs-, Fabrikations- und Verkaufsbetrieb staatli- cher Regie unterstellen sollte. Dadurch drohten dem Großherzogturn, wo allein rund 40 Prozent des damals im Deutschen Reich erzeugten Tabaks produziert und weiterverar- beitet wurde, herbe volkswirtschaftliche Einbußen und Steuerausfalle, flir die weder adäquate Ausgleichsleistungen noch Entla- stungen anderer Art vorgesehen waren. Folglich verwarfFinanzminister Ellstätterdie als Vorstufe zum Monopol geplante Anhe- bung der Tabaksteuer: Sie werde den gewichtigen Interessen großer badischer Bevölkerungskreise erheblichen Schaden zufiigen. Hiervon ließ sich der Reichskanzler freilich nicht beirren. Immerhin erreichte es die hartnäckig und mit Augenmaß agierende Karlsruher Regie- rung, den Gesetzentwurf auf Einfuhrzölle und eine Pflanzungssteuer zu beschränken, bevor er im Juli 1879 verabschiedet wurde. Am Ende hielten sich Bismarcks Konzessionen jedoch in engen Grenzen, und selbst das in Baden mit Erleichterung begrüßte definitive Scheitern des Tabakmonopols (1881/82) war kaum mehr als ein Pyrrhussieg, denn von den zu Lasten der ansässigen Bevölkerung hochgeschraubten Steuersätzen profitierte zuvörderst das Reichsschatzanlt. Auch bei der Bekämpfung der Sozialdemo- kratie wichen die Motive und Strategien ab. Prinzipiell unterstützte zwar das badische Ministerium Bismarcks Repressionspolitik; es lehnte aber das weitgefaßte, bundesstaatli- che Kompetenzen beanspruchende Ausnah- megesetz aus föderalistisch-rechtlichen Er- wägungen und vor allem deshalb ab, weil jenes - so der Großherzog - der Hebel sei, mit dem der leitende Staatsmann die Zerstörung der jetzigen Parteiverhältnisse (Dominanz 244 der Liberalen im Reichstag) anstrebt. Innenminister Stösser erklärte, das bewährte badische Vereinsgesetz reiche völlig aus, um alle sozialdemokratischen Vereine und Ver- sammlungen zu verbieten. Erfahrungsgemäß seien örtlich und persönlich begrenzte Maßnalunen im Rahmen des geltenden Reichsstraf- und Preß gesetzes effizienter als generalisierende Bestinllllungen. Anfang Juni 1878 geschah ein zweites Attentat auf den betagten Kaiser. Jetzt verfielen große Teile der bereits aufgeschreckten deutschen Öffent- lichkeit einer regelrechten Umsturzhysterie, die zusätzlich publizistisch geschürt wurde. Dieser Stim-mungswandel erlaubte es Bis- marck, den unbotmäßigen Reichstag aufzulö- sen, eine Art von Wahl plebiszit zu inszenie- ren und so der strengen, von verwässernden Ausschuß-retouchen freien Fassung des Sozialistengesetzes eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Nachdem der Kanzler den Dissidenten im Bundesrat die Verhängung des unbefristeten Kriegszu- stands sowie eine Revision der Reichs- verfassung angedroht hatte, lenkten die opponierenden Badener widenvillig ein. Daraulhin druckte die (halbamtliche) "Karls- ruher Zeitung" einen vom badischen Staats- minister Turban angeregten, reichsweit leb- haft diskutierten Artikel, welcher die willkür- liche Reichstagsauflösung kritisierte und nachdrücklich vor einer reaktionären Wen- dung in der deutschen Politik warnte. Man habe lediglich zugestimmt, hieß es rechtferti- gend, um der deutschen Vormacht und dem leitenden Staatsmanne in einer hochge- spannten Lage die dringend verlangte An- wendung einer verfassungsmäßigen Maß- nahme nicht zu venveigern. Da Bismarck verständlichenveise sehr am Bild eines ein- helligen Bundesratsbeschlusses gelegen war und einen ihm äußerst mißlichen Preßkampf vermeiden wollte, flihlte er sich düpiert und reagierte angesichts des staatsanwaltlichen Zuschnitts der badischen Polemik recht ungehalten. Scharf rügte er die innenpolitischem Druck ausgesetzte badische Führung, die ihr Gesicht sowie das Ansehen der ihr nahestehenden Liberalen zu wahren hoffe, und meinte verächtlich, der Großherzog habe im Sinne der badischen Traditionen das Gewinnen statt des Bekampfens der Gegner befiJrwor- tel. Der reichsamtlich vorgegebenen Ausfüh- rung des Sozialistengesetzes tat die Schelte nachweislich keinen Abtrag; den Großherzog verbitterte hingegen das Gesetz so sehr, daß er schon im August 1878 von einer vollendeten Diktatur des Reichskanzlers aber Deutschland sprach. Zugleich sah sich eine wachsende Zahl von Badenern zum saddeutschen Hilfsvolk Preußens degradiert. IV. Bismarcks Arm und Ohr im Großherzogtum Baden: __ -:;~:oP!:ußische Gesandtsch~~_~ Die nach der Reichsgründung in sämtlichen größeren deutschen Bundesstaaten aufrecht- erhaltenen preußischen Gesandtschaften ge- hörten, wie Bismarck 1872 betonte, zu dem unentbehrlichsten Handwerkszeug unserer Politik. Er sei dringend darauf angewiesen, dort ein vertraules. eingelebtes. mit allen Faktoren bekanntes Organ zu haben. mit dem ich korrespondieren kann und das mich au/klarl aber die Saiten. die man anschlagen muß. um zu einer Verstandigung [im Bundesrat] zu gelangen. Hauptaufgabe .der Karlsruher Mission war also, dem Berliner Auswärtigen Amt umfassend über Baden und das regionale Echo der Reichspolitik zu berichten, des weiteren diskret zu sondieren und erforderlichenfalls zu intervenieren. Dies oblag den Diplomaten Graf Flemming und (seit Sommer 1884) v. Eisendecher. Sie versorgten den Reichskanzler mit einer Fülle von Nachrichten über die Vorgänge in den Kammern des Landtags, erkundeten die Stimmung der Bevölkerung und das Hin- tergrundgeschehen, informierten über Land- tags- und Reichstagswahlen, Presse und Parteien sowie über Wirtschafts-, Kirchen-, Kultur- und wichtige innere Angelegenheiten. Außerdem unterhielten sie engen Kontakt zum Hof und zur großherzoglichen F arnilie. Natürlich interessierte Bismarck bei Regie- rungsumbildungen besonders die reichs- politische Verläßlichkeit der neuen Minister, Anlaß dazu gab der Rücktritt des in Berlin geschätzten Ministeriums Jolly-Freydorf im September 1876 oder die Verkleinerung des Staatsministeriums 1881. Überhaupt leiste- ten ihm die Kommentare zu Schlüsselper- sonen der badischen Politik wertvolle Orien- tierungshilfe: Treffend beschrieb Flemming den seit 1883 amtierenden Leiter des Innen- ministeriums August EisenIohr als einen durchsetzungsfahigen Mann, der sich aufdie Disziplinierung der Verwallungsbeamten versteht und die erforderliche Energie und Erfahrung besitzt. um ihre Krafte im Dienste der Regierung zu verwerten. Dank der aufinerksamen Gesandtschaft war der Reichskanzler gut über badische Belange unterrichtet und in der Lage, seine Ziele im bzw. mit dem Großherzogtum meist ohne Aufsehen oder Reibungen zu realisieren, obgleich die Rivalität zwischen der badischen und der unter preußischer Ägide stehenden elsaß-lothringischen Staatsbahn ständig Vor- sicht gebot. Offene Konflikte beschwor schließlich, nach einer Phase relativer Ruhe, der alternde Bismarck selbst herauf, ein Indiz daftir, daß es ihm zunehmend an taktischer Sensibilität wie am Gespür ftir das Zumutbare mangelte: Bemüht, das Reichsland Elsaß- Lothringen durch Einführung der Paßpflicht stärker von Frankreich zu isolieren, verlangte er im April 1888 auch an der badisch- elsässischen Grenze flankierende Paßkon- trollen. Vehement weigerte sich die badische 245 Regierung. dem überzogenen Ansinnen des Reichskanzlers stattzugeben; Jahre später räumte der Fürst freimütig ein. daß der Grenzverkehr mit Frankreich je nach Stand- punkt anders zu beurteilen lind zu behandeln sei. Die Anzahl der badischen StaatsangehIJ- rigen. welche in der Schweiz und im Elsaß als Arbeiter. Handlungsgehilfen und Kellner Beschäftigung finden lind über den Elsaß hinaus an einer IInges/l)rten Verbindung mit Lyon lind Paris interessiert sind, ist ziemlich groß. lind von den großherzoglichen Beam- ten war kaum zu verlangen. daß sie ihre Verwaltungssorgen einer Reichspolitik un- terordnen sollten. de- ren politische Ziele dem Reiche zllgute. deren lokale Nachtei- le aber Baden zur Last kamen. Bismarck-Denkmal von Friedrich Moest vor der ehemaligen Festhalle. heute vor dem Bismarck-Gymnasium ... Die energische Haltung des großen Kanzlers stellt den Gewaltigen unbedeckten Hauptes. mit der Rechten auf ein Dokument gestützt. etwa in der Haltung dar, in der er im Reichstag an 'großen Tagen' als Redner zu sehen war." (Karlsruher Leserbrief 190/). Erst recht eskalierte der Konflikt zwischen den badischen Anrai- ner- und den auswärti- gen Reichsinteressen im Sommer 1889. Nach der Verhaftung eines unter Exil-Sozialdemo- kraten verdeckt ermit- telnden deutschen Poli- zeiagenten durch die Aargauer Behörden übte Bismarck massi- ven Druck auf die Schweiz aus. damit de- ren politische Zentral- gewalt eine festere Stellung und schärfe- re Kontrolle alsfrüher über die deutschen Sozialisten lind die Kantänli-Politik ge- wänne. Da die Eidge- nossen anfanglich zö- gerten, die ihnen zuge- dachte Helferrolle im Kampf gegen die deut- sche Sozialdemokratie zu akzeptieren. griff der Reichskanzler zu aufwendigen Grenz- 246 kontrollen, der Verhängung des Paßzwangs und der Kündigung des deutschschweizeri- schen Niederlassungsvertrags. Vor allem die beiden letztgenannten Sanktionen, die den Aufenthalt der 4-5 000 in der Schweiz arbei- tenden . Badener betrafen, schreckten das badische Ministerium, das neben einer gehörigen Verschlechterung der bisher vor- züglichen nachbarschaftlichen Beziehungen gravierende wirtschaftliche Nachteile be- fiirchtete. Deshalb drang es in der Reichs- hauptstadt auf die gelindeste Gestaltung und die engste Begrenzung der geplanten Maß- regeln. Als Großherzog Friedrich I. den 30jährigen Kaiser Wilhelm H. überzeugen konnte, den vorgesehenen Paßzwang abzu- lehnen, bekam der Gesandte v. Eisendecher, der wiederholt Verständnis fiir die badischen Wünsche anklingen ließ, Bismarcks Zorn über den bremsenden, ja sabotierenden Bun- desgenossen zu spüren: Eisendeeher mlJge die preußischen und Reichsi~teressen bei der Großherzoglichen Regierung, nicht aber die Interessen dieser bei mir vertreten oder gar versuchen, mich nach badischer Anlei- tung eines Besseren zu belehren. Einmal mehr wurde Baden gute Miene zu Bismarcks kompromißlosem, auf Preußen zentrierten Spiel abverlangt, das hier die legitimen Erwartungen und Interessen der Peripherie souverän ignorierte: Ohne vorherige Konsul- tation hatte nun das Großherzogtum als Vorposten des Reichs das Gros der aus der Vertragskündigung resultierenden Lasten zu schultern. Am Hochrhein und Bodensee hielt die ökonomisch kostspielige Machtdemon- stration an, bis die Schweiz Mitte Oktober 1889 einen ' Bundesanwalt ernannte und Berlin sich mit dem kargen politischen Ertrag zufriedengab. Die dann rasch wiederherge- stellte Normalität verdeckte jedoch nur vordergründig, daß die vielfaltige Kritik an Person und Politik des Reichsgründers um eine spezielle bundesstaatlich-regionalistische Facette bereichert worden war. Und ihr wohlinformiertester und angesehenster Re- präsentant im Land war bekanntlich seit langem - der Großherzog. V. Preußische Götterdänunerung mit badischen Zutaten: Bismarcks Entlassung «,:*»:>x_«-»»:,;,x<<<<<<<_~·»:"":·>""<<<_XV»:-»:<<~_>:';'»:<<<<<<<<<<<<·X·»:·X*- Er glaube nicht, schrieb Bismarck in seinen Memoiren, daß der Großherzog mit Bewußt- sein auf seine Amtsenthebung hingearbeitet habe, wenn auch das Wohlwollen des Monarchen fiir ihn allmtJhlich erkaltet sei. Selbst die stlJrende, . überaus konflikt- verschärfende Einflußnahme des badischen Landesherrn auf den Kaiser während der Kanzlerkrise (März 1890) hätte keineswegs seinen Sturz bezweckt. Vielmehr war die lfrsache des Bruchs zwischen ihm und Wilhelm H. eine klassische Machifrage: Das Vortragsrecht der Minister beim Kaiser (Kabinettsorder) und der Entschluß des ambitionierten jungen Monarchen, sein Persönliches Regiment ohne einen Mentor zu errichten . . Dagegen reklamierte Friedrich I. die Entlassung des Reichskanzlers zum größten Teil als sein Verdienst, was ihm besondere Befriedigung bereite, eine Version, die ein- geweihte Berliner und Karlsruher Zirkel bestätigten. Anders als in den glättend-ver- söhnlichen Erinnerungen zu lesen ist, hatte Bismarck auf seiner Abschiedsaudienz tat- sächlich dem Großherzog die Schuld an seinem unfreiwilligen Abgang gegeben und ihm namentlich vorgeworfen, den Kaiser fiir die umstrittene Arbeiterschutzgesetzgebung eingenommen und so maßgeblich zum Bruch beigetragen zu haben. Der Angegriffene bestritt dies energisch und verwies statt dessen auf preußische Angelegenheiten (Kabinettsorder), in die er sich wiederum nie eingemischt habe. Jetzt, erzählte der authen- tisch informierte Fürst Hohenlohe-Langen- 247 burg vier Wochen danach, sei Bismarck grob geworden, worauf der Badener protestierte, er klJnne sich das nicht gefallen lassen, und mit dem Ruf .. Es lebe der Kaiser und das Reich " den Raum verließ. Nach einem sol- chen Eklat verwundert es aUerdings kaum, daß Friedrich I. in den frühen I 890er Jahren auch aus Rücksicht auf den Kaiser versuchte, die VerleihWlg der Ehrenbürgerwürde an den Altkanzler durch badische Städte zu unterbin- den; und noch den im Todesjahr des Reichs- . gründers erschienenen ersten Memoiren- Band (Gedanken undErinnerungen) schimpf- te er ein infames LUgenbuch. Ebenso umstritten wie Bismarcks Platz in der Geschichte ist die Beurteilung seiner Per- son .. Schon zu Lebzeiten hatte er die Nation tief gespalten: Leidenschaftliche Gegner (So- zialdemokraten, Demokraten) und ressenti- mentgeladene Skeptiker (entschiedene Ultra- montane) begegneten auch im Großherzogtum Baden glühenden Anhängern, zu denen etwa die 3 000 Menschen zählten, die am 1. April 1890 in der Karlsruher Festhalle enthusia- stisch den 75. Geburtstag ihres just demissio- nierten "Eisernen Kanzlers" feierten. Viele, insbesondere die Angehörigen des von einer schweren Identitätskrise befallenen liberalen Bürgertums, brachten ihm als Synonym fiir den steilen Aufstieg und die ungeheure Machtentfaltung des Reichs seit 1871 kultische Verehrung entgegen. Dies half, den realen Bedeutungsverlust der Bundesstaaten durch Verabsolutieren des nationalen Macht- und Großstaats bei gleichzeitiger Identifikati- on zu kompensieren; zudem erlaubte die Ver- herrlichWlg der in den preußisch-deutschen Olymp erhobenen Gründerfigur anfangs, das Persönliche Regiment Kaiser Wilhelms II. dadurch zu attackieren, daß man Wilhelms autokratische Haltung dem Autoritatismus des .Kanzlers Bismarck gegenüberstellte. Die Mängel der Reichsverfassung - die auf ihn zugeschnittene Amterpolykratie, die Konser- vierWlg der halbautokratischen Stellung des Deutschen Kaisers und endlich die Zementie- rWlg eines unlösbaren Problems, nämlich der Beziehungen von Reich und Preußen (lohn C. G. Röhl) - bildeten im Verein mit der von Bismarck ausgeformten politischen Kultur Deutschlands -latenter Antiparlamentarismus, fahrlässiger Umgang mit Bedrohungsszenarien (Revolutionsfurcht im Innern, Kriegsgefahr nach außen), Entfesselung von chauvinisti- schen Hysterien und PopularisierWlg von rassistisch-völkischen Zerrbildern - eine Hypothek, welche die späteren Katastrophen und Umbrüche erheblich begünstigte. Inso- fern ist das Verdikt des Großherzogs über den Reichsgründer nur schwer nachzuvollziehen: ,,11 n'est qu'un vieux radoteur" (Er ist nur ein alter Schwätzer). Hans-JUrgen Kremer 300 Jahre Schloß Augustenburg in Grötzingen Kurz hinter dem Ortseingang, ein paar hun- dert Meter rechts die Kirchstraße hinauf, ge- genüber der Grötzinger Kirche mit ihrem auf- falligen gedrehten Turm, steht noch heute die ,,Augustenburg" . Das alte Grötzinger Schloß ist inzwischen ein Seniorenheim fiir 100 Be- wohnerinnen und Bewohner.Wer die Mühe 248 einer kleinen Besichtigungstour unternimmt, kann im Innenhof der kleinen Schloßanlage einige Hinweise auf die wechselvolle Ge- schichte des Hauses fmden. Auffallig ist zu- nächst die über der Eingangstür angebrachte Tafel mit der Inschrift: MICH HAT VOR KURTZER ZEIT - WIE MAN MICH ALL- HIER SCHAUT - GLEICH NACH DEN FRIEDEN SCHLUS AUGUSTA SO GE- BAUT - UND WEIL ICH NUN DA STEH / VON IHRER FÜRSTEN HAND / SO WERD ICH AUCH NACH IHR / AUGUSTENBURG GENANOT / 1699. Anfange im 17. Jahrhundert Vor etwas mehr als dreihundert Jahren, im Jahr 1678, hatte MarkgrafFriedrich Magnus (1647-1709) seiner Gattin Augusta Maria (1649-1728) anläßlich seines Regierungsan- tritts das Grötzinger Anwesen gegenüber der Kirche aufLehenszeit geschenkt, zu dem auch 26 Morgen Weinberge auf dem dahinter lie- genden Büchelberg , dem später so genann- ten Augustenberg, gehörten. Das unter diesem Spruch aufgemalte Wap- pen und die Jahreszahl 1576 geben uns je- doch einen Hinweis darauf, daß das Gebäude schon einige Jahre älter sein muß. Dieses Allianzwappen Baden-Veldenz verweist auf Markgraf Karl II. (1529-1577), der 1558 Anna von Zweibrücken-Veldenz geheiratet hatte. Markgraf Karl hatte das Grötzinger Schloß schon vor Augusta Maria besessen. Doch der erste fiirstliche Bewohner des "Ho- hen Hauses", wie es damals genannt wurde, war Markgraf Christoph I. (1453- 1527) ge- wesen, der auch die gegenüber dem Schloß gelegene Grötzinger Kirche hatte erbauen las- sen. Er hatte das Pfründhaus der Grötzinger St. Barbara Kapelle, die schon im Besitz- verzeichnis des Weißenburger Abtes Edelini von 991 erwähnt wurde, gekauft, und zum fiirstlichen Wohnsitz umbauen lassen. Der untere Teil des Mittelflügeis der Augustenburg stammt aus jener Zeit. Karl 11. hatte dann die beiden Türme und die Anbauten an den Ecken im Südosten und Nordosten anbauen lassen. Bereits mit sei- nem Umbau war also im Prinzip die nach Westen hin geöffilete GebäudeanJage mit drei Flügeln entstanden, wie sie sich noch heute dem Betrachter zeigt. Entlang der Staigstraße fuhrt an der Süd- seite der Umfassungsmauer ein kleiner Weg. Folgt man ihm, so fmdet man nach einigen Metern eine in die Mauer eingelassene Tafel mit der Inschrift "MARKGRAF KARL ER- BAUTE MICH 1556, MARKGRAF WIL- HELM REPARIERTE MICH 1827". Die Staigstraße entstand in ihrer heutigen Form, mit der Brücke über die Kirchstraße, während Augusta Marias Grötzinger Zeit. Soldaten hatten sie während des Spanischen Erbfolgekriegs errichtet. . Markgräfm Augusta Maria hatte mit fman- zieller Unterstützung ihres Mannes auch das Augusla Maria, 1649~1728. 249 Grötzinger Schlößchen noch einmal gründ- lich renovieren und umbauen lassen. Die Bau- arbeiten zogen sich fast 20 Jahre, VOn 1681 bis 1699, hin. Die markgräfliche Familie leb- te während dieser Zeit wegen der verheeren- den kriegerischen Auseinandersetzungen - es war die Zeit des pfälzischen Erbfolgekriegs - meist im sicheren Basel, während das Dorf Grötzingen geplündert und verbrannt wurde und ein großer Teil der Bevölkerung starb oder wegzog. Das Schloß überlebte die ge- fährlichen Zeiten - als einziges in Mark- graf Friedrich Magnus' Territorium. Daher zog er 1698 bis zum Wiederaufbau der abge- brannten Durlacher Karlsburg!Ur einige Mo- nate mit seinem gesamten Verwaltungsstab nach Grötzingen. Augusta Maria ließ sich erst nach dem Tod des Markgrafen im Jahr 1709 endgültig in ihrem Witwensitz nieder und !Ur einige Jahre kam nun höfisches Leben nach Grötzingen. Mehrere lnventarverzeichnisse geben Aus- kunft über die Austattung der 35 Zimmer in denen die Markgräfin lebte. Teppiche, Bilder und Tapeten, Bettzeug, Geschirr und Gläser, Schmuck und Kleider, Bücher und Manu- skripte - "A1lerley Hausrath" befand sich in den zahllosen "Buffets" und "Commoden" mit denen die Zimmer möbliert waren. Zwi- schen den hinteren Flügeln der Augustenburg lag der Schloßgarten, mit einer kleinen Oran- gerie und -einem Bassin, einem Gartenhaus, einem Taubenhaus,'einem Vogelhaus und ei- nem Fischteich. Zum !Urstlichen Leben der frommen Mark- gräfm gehörte auch eine Kapelle beim Süd- turm, ein Kutschenhaus mit Pferden und Wa- gen und einiges an landwirtschaftlichem Ge- rät. Die zum Schloß gehörenden Ländereien wurden bebaut und in den Ställen stand Vieh. Für die Versorgung der Markgräfm und die in den Räumen der Augustenburg anfallende Arbeit waren Hofkavaliere und Kammerfrau- en~ ein "Secretarius", einen "Rath und Leib- 250 medicus" sowie Bedienstete aller Art zustän- dig: Es gab Kutscher, Diener, Weingärtner und Waschfrauen, Mägde, Köche und Gärt- ner, Konfektmägdlein und Tagelöhner. Un- terhalb des Schlosses, in nördlicher Rich- tung, hatte die Markgräfm eine Meierei be- treiben und direkt neben dem Schloß die "herr- schaftliche Schwanenwirtschaft" errichten lassen, deren "Schildgerechtigkeit" später weiter nach Norden, an ihre heutige Stelle "transferiert" wurde. Nach Augusta Marias Tod im Mai 1728 zerfiel die höfische Herrlichkeit in Grötzingen rasch: Schloß und Gut wurden dem mark- gräflichen Kammergut Gottesaue unterstellt. Bereits nach wenigen Jahren wurde das Schloß von der Dorfbevölkerung als eine Art Abstellkammer benutzt und nur die mark- gräflichen Schäfer und "Wingertmeister" hat- ten dort noch ihren Wohnsitz. 1749 mußte das Kutschhaus wegen Baufälligkeit abgeris- sen werden. Während der vielen Kriege des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts, die tausende von Soldaten aus allen Ländern Europas auch in die Grötzinger Gegend fiihrten, wurde die Augustenburg immer wieder als Quartier und Lazarett fUr militärische Zwecke genutzt. Doch die zur Augustenburg gehörende Landwirtschaft auf dem hinter dem Schloß liegenden Augustenberg brachte wenig ein und der Unterhalt des inzwischen ziemlich maroden Schloßgebäudes belastete die herr- schaftliche Kasse immer mehr. Das ehemali- ge Stallgebäude hatte man bereits am Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Krappfabrik umgebaut - einer der vielen Versuche Land- wirtschaft und Gewerbe im Land zu moder- nisieren. Im Jahr 1807 entschloß man sicb nun Schloß Augustenburg und Gut Augusten- berg getrennt voneinander zu verkaufen. Für die Weinberge hatte sich HofIaktor Reutlinger interessiert und die Augustenburg ging an den Pforzbeimer Fabrikanten Gehres zur Aus- weitung seiner Metallknopffabrik. Doch bei- den Unternehmen war kein großer Erfolg be- schieden. Gehres mußte 1828 von der Knopf- herstellung auf Bierbrauen und Weinaus- schank umsteigen und Reutlingers Witwe ließ 1827 das Gut Augustenberg wieder verstei- gern. Wechselnde Schicksale Während in den folgenden Jahrzehnten aus den Ländereien auf dem Augustenberg unter der Regie des Markgrafen Wilhelm (l792- 1859) ein erfolgreiches Mustergut und später eine Landwirtschaftsschule wurde, in deren Gebäuden heute noch u.a. die " Landwirt- schaftliche Untersuchungs- und Forschungs- anstalt" (LUFA) untergebracht ist, drohte Schloß Augustenburg der Abriß. 1876 hatte es der Schwanenwirt und späte- re Grötzinger Bürgermeister Reichart Jordan von der Famile Gehres zum Abbruch gekauft, weil er seinen Biergarten erweitern wollte. Doch der Abriß des ganzen Schlosses wäre zu teuer gekommen und so ließ Jordan nur einen Teil des NordflügeIs abtragen. In der Augustenburg lieferten sich in den 1880er Jahren schlagende Studentenverbindwlgen ihre Gefechte, während sich im Schwanen- garten die später so genannte Grötzinger Malerkolonie traf. Von den Künstlerinnen und Künstlern, die Grötzingen als Ort für geselli- ge Treffen und als Motiv fur ihre Bilder ent- deckt hatten, blieben einige ftir immer. 1891 kaufte der Tiermaler Otto Fikentscher die Augustenburg und zog mit seiner Familie und einigen anderen Malerkollegen in das Schloß, bevor er sich unl die Jahrhundert- wende das Atelierhaus neben dem Eingang an der Kirchstraße bauen ließ. Fikentscher konnte jedoch die nötigen Mittel fur den Un- terhalt der Augustenburg nicht auJbringen. Das Grötzinger Schloß, das seit dem Ersten Weltkrieg unter Denkmalschutz stand, zer- fiel weiter, ohne daß es den Denkmalschutz- behörden oder der Gemeinde möglich gewe- sen wäre es auch nur notdürftig zu erhalten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Augusten- burg seit 1942 als Lager fur mehrere hundert Zwangs arbeiterinnen und zur Zwangsarbeit verpflichtete Kriegsgefangene, die bei der Grötzinger " Deutschen Waffen- und Muniti- onsfabrik" eingesetzt waren, genutzt, da man die ausländischen Arbeitskräfte nicht in Privatunterkünften unterbringen konnte und wollte. Nachträglich eingebaute Wasserlei- tungen und sanitäre Einrichtungen schädig- tcn das Mauerwerk noch zusätzlich und nach Kriegsende war der Zerfall weiter vorange- schritten. Das Dach des Südflügels war un- Schloß A IIgllstenburg vor dem Umball. 251 dicht und drohte einzustürzen. Trotzdem dien- te Schloß Augustenburg wegen der großen Wohnimgsnot der Nachkriegszeit noch jah- relang als Unterkunft für Flüchtlingsfamilien, die dort vorübergehend eine neue Heimat ge- funden hatten. Die nach dem Tode Otto Fikentschers im Jahr 1945 gebildete Erbengemeinschaft sah sich immer noch außerstande das Gebäude zu sanieren und wollte daher Anfang der 60er Jahre - wieder einmal- auf Abriß verkaufen. Eine Wohnungsbaugesellschaft plante, auf dem Grundstück drei Wohnblocks zu errich- ten. Es ist vor allem dem Einsatz Einzelner, allen voran dem zuständigen Landrat Groß und Bürgenneister und Ortsvorsteher Her- bert Schweizer sowie dem 1971 gegründeten Arbeitskreis Schloß Augustenburg zu ver- danken, daß das Grötzinger Schloß trotz der am Ende auf mehrere Millionen Mark ange- stiegenen Umbaukosten erhalten werden konnte. Im Jahr 1963 verkauften die Fikent- schererben die "Ruine" Augustenburg an das Land Baden-Württemberg, das darin ein Vor- 252 seminar fiir ausländische Studenten der Karls- roher Hochschule unterbringen wollte. Doch nachdem sich herausstellte, daß die Landes- regierung nicht bereit war, die Kosten zur Sanierung für eine sinnvolle Nutzung des Gebäudes aufzubringen, mußte eine neue lö- sung gefunden werden. Der Plan eine Richter- akademie in der Augustenburg einzurichten zerschlug sich ebenfalls. Doch mit der Firmen- pensionskasse Mannheim wurde schließlich eine Bauherrin gefunden, die das Risiko des Umbaus in ein Seniorenwohnstift in den Jah- ren 1973-1978 übernahm - allerdings ohne finanziellen Erfolg. Erst nachdem die Kasse mit Verlust verkauft, und der neue Besitzer noch einmal bauliche Verbesserungen an der Augustenburg hatte vornehmen lassen, än- derte sich die Situation. Die jetzigen Besitzer des Schlosses, zwei schwedische Geschäfts- leute, haben die Augustenburg für insgesamt 20 Jahre an die "Gesellschaft fiir soziale Dienstleistungen" verpachtet, die dort seit nunmehr zehn Jahren erfolgreich ein Senioren- heim betreibt. Ule Grau Badener oder Badenser? Als vor Jahren auf dem üblichen Neujahrs- empfang der Industrie- und Handelskammer Karlsruhe ein fuhrender Industriemanager aus Bayern als Festredner seinen Dank kundtat, vor Badensern sprechen zu können, ging zu- nächst ein Raunen durch die Reihen. Als er gleich wieder von den geschätzten Badensern sprach, wurden Rufe laut "Badener! Bade- ner! " , und mancher schüttelte den Kopf, wer wohl dem hohen Gast diese Rede entworfen habe. Die Empfindlichkeit der Badener gegen eine Pseudolatinisierung ihres Namens ist bekannt, obwohl selbst im Großherzoglichen Haus wie weiland bei Goetbe von Badensern gesprochen wurde, so z. B. in einem Brief des Erb- großherzogs an seinen Vater Friedrich I. Daß aber vor hundert Jahren schon die korrekte Bezeichnung diskutiert wurde, zeigt eine No- tiz aus der Badischen Landeszeitung vom 24. Dezember 1898, wobei zu erinnern sei, daß noch heute in Karlsruhe die Einwohner ihrer Partnerstadt Halle als "Hallenser" bezeich- net werden. Wer hier irrt, irrt freilich mit Goe- the, und das tröstet. Leonhard Milller {Jtrfd)itbtntß • • 18Qbtnct Obtr ~4brllftr1 <tim inltuffaute UmfrOIl( ~(lt bet !Uotli~enbt btB !Bcrllnrr .. !Uminl! bn ~aoclll·e t., .\)ert ~lIIil fiaUn, ottanla~t. Ih ncQhte an ble nilm OrTmnni ,1jm t\rojcfloHn on &ro3lf btulfrIJm Ulliunjilälm ble frtajit, ob jiriJ bie ~;lIl1lohllrr b«9 'lltOPl)erbO\itum3 IBabm Iidjligel .. \8abmfet· obrr .'<iabCI1Q' nrllnClI loUen. '1>etn mllhootlemna!ctia( nnb (cIßcllbc 'l11l~riil)rttllnCl1 \ mtllommm. mUe Al1Jölj nalllf)afh 'llnU1alliilclI edlihclI 1IIil (tll!. fdJiebwf}tit, bali eB.18 Q b t n e x' \llIll nici)t .\BabenltI" l)Ciilrn miiffe. 'llie aonll .!Ballenfn" ift eint balbtalcillij;t)e i\IDitt.rliilb. ung, bie Itllglllcf[ld)r Ealcinifinunl1 bcll ®ortcil ,,~abe~ltt', l>i. in fotIertem l.lattin "Badeniensis· I)ci~CI\ roürbe. ~~m t>Cl '1:r llijrlje E~eBt bie !BcrooQnn bn bfutfcQtll ~aut ja nitij! mit tC1t,illilct;n liOtut au ncnnttt, -benforowig roie bie !BrtDogttrt bcr 'blüblr, Il' ie ~an ja. aud) ~. lD. nicQt ~teillJenln flalt .'1lmfocnH" IO IJ l. ':tuher ,ll1b ble aormcn .. lBtcnttnfrr", .~aUcnlet·, ebmfo unbrrrrljli{lt. ~\l~ [[onglid)cn !HllcrndJtcn I)at mall allrrt>illgll HOrt) ~illcr allOnm bUltidJcn !8Ct>cltemng fine latcilliflette Ulamcneiollll \:jf\lebclI. '11101l fOIJI, toell!o fiiljrt)li ''Jro ie w!Babcnfn", H~almoocralln·, weil o!l[\d). lidJ .,f;)onnotlrtn· fd]hdJt Ulnotn faU- \'!)OCI~ 901 ilbTiSf"tI, \1'00)' bem et erft .iBabnlld.le N friJrieb, bit ß'onn H~abcnfct' g~br(luctll, I\)o~l, nxll il)nt blc lattiniflmrn liormm .1lBcilllata/lir" llnb .~rnmreI~ ltoQe lallen. 253 Zeitzeugen berichten Professor Dr. Ernst Petrasch ehern. Direktor des Badischen Landesrnuseurns Blick: Als Wiener, der in seiner Heimat- stadt und Heidelberg studiert hat, sind Sie nach Tätigkeit in österreichischen Institutio- nen 1949 in die Dienste des Badischen Landesmuseums (BLM) getreten. Wie war damals die Lage? P.: Der Museumssitz, das Karlsruher Schloß, in dem das BLM seit 1919 unter- gebracht war, lag in Trümmern, die Exponate in allen möglichen Orten in Kisten verpackt. Restbestände im Schloßkeller, wie die Gips- sammlung u. a. , waren von Plünderungen betroffen. Ein Wiederaufbau war zunächst nicht erkennbar, da das Schloß fur die künf- tige badische Landesregierung vorgesehen wurde. Dafur standen Behelfsräume in der Akademie der Bildenden Künste zur Verfu- gung, wo in einem Raun) drei Wissenschaft- ler und drei Verwaltungsbeamte um einen U- f<iffiligen Tisch zusammensaßen neben einem Zimmer fur den Direktor und einem weiteren Raum flir das Denkmalamt. Blick: Exponate konnten also noch nicht ausgestellt werden? P.: Daflir war das ebenfalls zerstörte Erb- großherzogliehe Palais vorgesehen. In den dortigen Kellerräumen waren die nach lang- wierigen Verhandlungen mit der französi- schen Besatzungsmacht aus den Bergungs- orten ZUfÜckgeflihrten Bestände bereits ma- gaziniert, und in einem dieser Räume begann meine wissenschaftliche Arbeit mit der Katalogisierung der Durlacher Fayencen. Der Wiederaufbau machte gute Fortschritte, und Richtfest war im Herbst 1949. Aber im Juli 1950 war das Palais zum Domizil des Bun- desgerichtshofs bestimmt worden. Das BLM mußte geradezu fluchtartig in die Telegraphen- kaserne, Hertzstraße, verlagert werden, und dort blieben die Sammlungen, Werkstätten, Verwaltung und Personal in ehemaligen Mannschaftsstuben flir viele Jahre "im Exil" . Eine Karlsruher Zeitung schrieb: "Ein Depot ist also das Badische Landesmuseum gewor- den", Wir nannten es "K. u. K.-Museum" = Kasernen- und Kisten-Museum. Blick: Was waren nun die Aktivitäten, als 1952 Prof. Schnellbach vom Stuttgarter Landesgewerbemuseum die Direktion über- nahm? P.: Die Bestandsaufnahme und Restaurie- rung der zurückgcflihrten Bestände, eine Erarbeitung der Verlustlisten und eine bescheidene Erwerbstätigkeit, wofur uns, einschließlich der Anschaffungen flir die Bibliothek 9500 DM zur Verfugung standen. Blick: Endziel war wohl das Karlsruher Schloß? P.: Ja, und insofern war der "Rausschmiß" aus dem Erbgroßherzoglichen Palais eigent- lich ein Glücksfall. Dieses Haus war kein 255 Äquivalent, und wir wären wohl nie ins Schloß zurückgekehrt. Dort mußten erst die ausgebrannten Mauem gegen Einsturz gesi- chertwerden. Nach Klärung der Südweststaat- frage wurde 1954 der Wiederaufbau fur das BLM beschlossen und mit dem Mittelbau begonnen. 1955 konnten wir zum 300. Geburtstag des Türkenlouis in der Orangerie erstmals eine international beschickte und vielbeachtete Ausstellung eröffuen, nach fast zwei Jahrzehnten das BLM wieder in Erinne- rung bringen. Im Mai 1959 wurde der 1. Bauabschnitt abgeschlossen; nun konnte eine Auswahl aus allen Sammlungen präsentiert werden. Blick: Da hatte aber wohl bald das Bun- desverfassungsgericht ein Auge drauf gewor- fen, das bisher im Prinz-Max-Palais proviso- risch untergebracht war? P.: Und diese Pläne fUhrten zu einem Baustopp und langwierigen Verhandlungen, bis die Entscheidung fur einen Neubau am Schloßplatz fiel - wie sich zeigte: ein rich- tiger Weg, der fUr das höchste Gericht we- sentlich bessere Arbeitsbedingungen ermög- lichte. Am 13. Juni 1966 konnten wir schließ- lieh das Musewll im wiederaufgebauten Schloß eröffuen, was damals 15 Millionen einschließlich Innenausstattung wie Vitrinen u. a. gekostet hat, wenig mehr als die Tiefga- rage unter dem Schloßplatz 1967. Blick: Gab es da so etwas wie einen Sturm auf das Museum? P.: 350 000 Besucher zählten wir im ersten Jahr, verglichen mit anderen Museen \vie dem Nürnberger mit 150 000 Besuchern oder dem Bayrischen Nationalmuseum in München mit 100 000 Besuchern in diesen Jahren. Wir erstickten schier bei den Führungen unter der Zahl der Interessenten. Aber das war ja auch etwas Besonderes: hinter einer historischen Fassade eine modeme Museumstechnik, bei der die bedeutenden Werke beispielhaft de- monstriert wurden. Die Hilfsmittel waren 256 zwar noch bescheiden, aber mit der jeweils gemäßen Ausgestaltung der Abteilungen im jeweiligen Stil, der lockeren, gut übersehba- ren Anordnung der Exponate zählte das BLM zu den vorbildlichsten Museen seiner Zeit. Blick: So war nun wohl auch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit möglich? P.: Schon 1966 fanden die Führungen mit insgesamt 2 000 Besuchern regen Zuspruch. Bald wurden auch Spezialfuhrungen einge- richtet fur Pädagogen, Senioren und andere Gruppen, weiterhin Vortragszyklen, Konzer- te und Theaterabende zusammen mit dem Staatstheater. Schließlich konnten wir ver- schiedene Ausstellungen veranstalten, z. B. 1970 "Spätgotik am Oberrhein" , 1975 " Dur- lacher Fayencen", vor allem die Landesausstel- lung "Barock in Baden-Württemberg" 1981 im Bruchsaler Schloß, das dem BLM seit 1975 als Zweigmuseum diente. Neben den jeweiligen speziellen Ausstel- lungskatalogen wurden seit den 50er Jahren handliche "Bildhefte" herausgegeben, die - wie auch der seit 1968 in mehreren Auflagen erschienene " Bildkatalog" und ein "Kurzfuh- rer" - den Museumsbesuchern die verschiede- nen Sammelgebiete in Wort und Bild nahe- bringen sollten. Für einzelne Sammlungsgrup- pen oder Kunstwerke wurden " Führungsblät- ter" ausgelegt. Daneben wurden von den Konservatoren wissenschaftliche Bestandska- taloge einzelner Abteilungen erarbeitet und veröITentlicht. Zu einer effizienteren, an den Bedürfnissen und Gepflogenheiten bestimmter Bevölke- rungsschichten orientierten Bildungsarbeit haben die seit 1978 am BLM (als einem der ersten in der Bundesrepublik) in Zusammen- arbeit mit dem Soziologischen Institut der Universität Karlsruhe durchgefUhrten sozio- demographischen Untersuchungen und erar- beiteten Analysen der Besucherinteressen und -wünsche ganz wesentlich beigetragen. Blick: Für die Leitung, die Sie 1967 über- nahmen, sind schließlich die Museumser- werbungen von besonderer Bedeutung. Ist man da in unserem Land in einer besonders glücklichen Lage? P.: So ist es, denn bis in die Zeit vor dem 11. Weltkrieg gab es keinen systematischen Ausbau der überkornnlenen Sammlungen. Dies erfolgte erst nach Einführung des sog. Lotto-und-Toto-Mittel. Im März 1958 trafen Regierung und Landtag die Grundsatzent- scheidung, diese Erträgnisse zur Förderung der Kunst und des Sports zu verwenden. Mit dem "Zentralfonds für die Anschaffung von Spitzenwerken fJir die Staatlichen Kunst- sammlungen" konnte das BLM bald eine der SpitzensteUen mit seinen Ankaufsmitteln einnehmen, vergleichbar etwa mit den staatlichen Sammlungen Bayerns oder des Preußischen Kulturbesitzes Berlin, weil den fJinfMuseen in unserem Landjährlich bis zu 14 Millionen zur Verfügung standen. Damit eröffnete sich der Zugang zum internationalen Kunsthandel, wo vor allem die gesuchten erstrangigen Kunstwerke zu erlangen waren. Blick: Also nicht nur auf ein Bundesland beschränkt? P.: Die entscheidenden Grundsätze fJir den planvollen Ausbau der Sammlungen des BLMs wurden bestimmt vom vorhandenen Bestand. Aus der gen auen Kenntnis der Sanmllungen, ihrer mangelhaften Schwächen und Lücken, aber auch ihrer hervorstechen- den Glanzlichter, wurde das Sammelprogramm auf lange Sicht aufgestellt. Alles in allem wurde "nicht nach Laune und Willkür, sondern mit Plan und Absicht gesammelt" - um es mit einem Zitat nach Goethe zu sagen. So konnten in den beiden ersten Jahrzehnten seit Schaffung des "Zentralfonds" allein mit dessen finanziellen Mitteln über I 000 her- vorragende Kunstwerke und Objektgruppen für das BLM erworben werden. Ich denke da z. B. an das goldene Toiletten- service fJir die Großherzogin Stephanie oder das Jugendstil-Speisezimmer nach Kolman Moser 1904. Dadurch konnte das BLM aus dem provinziellen Rahmen heraustreten mit einer überregionalen Sammlung, in der sich ftinf Jahrtausende abendländischer Kulturge- schichte widerspiegeln. Das reichte zunächst nur bis zum Biedermeier, und mein Bestreben zielte daraufhin, die Exponate auf die letzten 150 Jahre auszudehnen, also Werke des Historismus, des Jugendstils und der Gegen- wart mit einzubeziehen. Die Karlsruher wissen wohl, daß dieses Landesmuseum zu den großen Kunstrnuseen Deutschlands gezählt werden kann, und das nicht irgend wo, sondern im Zentrum, im Ausgangspunkt dieser Stadt, im Schloß. Die Fragen stellte Leonhard MillIer 257 Otto Dullenkopf Oberbürgenneister a. D. Blick: Am 11. Februar 1995 75jährig, wa- ren Sie fast funf J ahrzebnte politisch tätig, und zwar neben den Mandaten als Landtags- abgeordneter vorwiegend in der Kommunal- politik. Wie interpretieren Sie rückblickend die baden-württembergische Gemeindeord- nung im Vergleich zu denen in anderen Bundesländern? O.D.: Die süddeutsche Rechtsverfassung ist dernorddeutschen - auch der Bürgermeister- verfassung, so Rheinland-Pflilz, oder der Magistratsverfassung, so Hessen - weit über- legen. Wie v@re sonst zu erklären, daß man in einigen alten BundesliWdern sich bemüht, die eigene Gemeindeordnung ihr anzupassen und in der Mehrzahl der neuen Bundesländer sie weitgehend kopiert hat? Blick: Der Oberbürgermeister - in Ge- 258 meinden ab 20 000 Einwobner - hat daja eine Schlüsselfunktion. O.D.: Gewiß, weil er die Gemeinderats- sitzungen als Vorsitzender mit Stimmrecht vorbereitet, leitet und Beschlüsse vollzieht, aber auch das Gemeindepersonal bestellt und die Verwaltung - wie etwa in NRW der Oberstadtdirektor fuhrt. Das verleiht dem Amt Gewicht und vermeidet Reibungs- verluste. Zu Recht wird er deshalb, unabhän- gig von Mehrheiten im Gemeinderat, in direkter Wahl vom Volk gewählt. Blick: Die Stadtoberhäupter in der Weima- rer Zeit wurden in Baden vom Gemeinderat gewählt? o.D.: Richtig, und die positive Änderung haben wir nach 1945 den Württembergern zu danken. Unsere Bürgenlleister oder Oberbür- gernleister fuhlen sich, auch wenn sie von Parteien aufgeteilt bzw. vorgeschlagen wer- den, als Vertreter aller Bürger. Sachkompe- tenz und Persönlichkeit spielen also eine große Rolle und nicht nur die politische Bindung. Blick: Ist die Länge der Legislaturperioden solcher Stadtoberhäupter richtig bemessen? O.D.: Sie betrug bis in die 60er Jahre sechs Jahre fur die erste Wahlperiode und zwölffur die folgenden. Heute beträgt sie durchgehend acht Jahre. Das hat sich bewährt. Blick: Die Beigeordneten bilden ja oft eine Art Mehrparteienregierung. Spiegelt das auch häufig die Meinung des Gemeinderats wider? O.D.: Gemeinderäte sind auf politischen Listen gewählt. Sie müssen sich vor den Wählern rechtfertigen, immerzu und öffent- lich. Das ist gut so und normal. Beigeordnete müssen das nicht. Das macht eine sachbezo- gene Verständigung leichter. Darüber hinaus sind sie nach unserer Gemeindeverordnung weisungsgebunden durch den Oberbürger- meister. Ich habe versucht, in einer wöchent- lichen Konferenz Übereinstimmungen zu schaffen, eine Tradition, die erhalten geblie- benist. Blick: Mit welchen Entscheidungen hat sich der Karlsruher Gemeinderat in den letzten Jahrzehnten besonders in Gegensatz zu OB und Verwaltung gestellt? O.D.: Mit einigen, zum Teil auch weniger wichtigen. Ein OB und die Verwaltung müssen das hinnehmen können, auch wenn es wurmt. Der gravierendste Fall - ich füge hinzu: die gravierendste Fehlentscheidung aus meiner Sicht - war die Ablehnung der Nordtangentenplanung. Sie hätte unsere Stadt vom quälenden Durchgangsverkehr entlastet. Eine kapitale Fehlleistung! Blick: Von Kommunalwahlen in anderen Ländern gewinnt man oft den Eindruck, daß man sich da stärker parteipolitisch profiliert als an Sachbezogenheit. O.D.: Die Chance der " Sache" wird gerin- ger, wenn Emotionsschichten sie überlagern. Hierzulande aber ist politischer Manieris- mus, sind Politeiferer weniger gefragt als anderswo in deutschen Landen. Hier "lebt man" und "läßt leben". "Liberal" ist bei uns weniger eine Idee denn eine Lebensart, und wer sich fanatisch gebärdet, ist oft kein Kind dieses Landes. Blick: Welche Eindrucke haben Sie von unserem Kommunalwahlrecht gewonnen? O.D.: Die Möglichkeit im baden-württem- bergischen Kommunalwahlgesetz zum Pana- schieren und Kumulieren bringt dem Wähler ein Höchstmaß von Einwirkungsmöglichkei- ten auf eine von ihm bevorzugte Liste, er vernlag dadurch selbst Delegiertenversamm- lungen zu korrigieren. Er macht davon übrigens im steigenden Maß Gebrauch, ohne daß dabei die Zahl ungültiger Stimmen auffallend steigt. Ich begrüße deshalb diese Möglichkeit - wenn auch nicht immer die Ergebnisse. Blick: Die meisten Wahlzettel werden aber wohl daheim und nicht erst in der Wahlkabine ausgefüllt? O.D.: Das läßt sich bei diesem doch etwas komplizierten System nicht vermeiden. Ich meine dennoch, daß sich die Nachteile in Grenzen halten und vernachlässigt werden dürfen, insbesondere wenn man vom mündi- gen Wahlbürger ausgeht. Blick: Mit welchem Ereignis fühlen Sie sich in Ihrer 16jährigen Amtszeit am stärksten verbunden? o.D. : Mit der Stadterweiterung. Neubau- ten, Sanierungen, bedeutende Veranstaltun- gen und vieles andere mehr, das ist zwar alles wichtig; aber daß Karlsruhe in den 70er Jahren als einzige Stadt mit über 200 000 Einwohnern in Baden-Württemberg sich in nicht geringem Maße erweitern konnte, das war schon etwas Besonderes. So konnten wir den Auszehrungsprozeß mindern, gewannen neues Bau- und Gewerbegelände und konnten die nun eingegliederten Orte mit Rechten und Pflichten an den Initiativen einer größeren Kommune teilnehmen lassen. Das ging alles nicht ohne Werben, Eingehen, Verhandeln, Gewinnen, ja auch Erstreiten. Doch solch einschneidende Durchbrüche, wie sie in Jahrzehnten nur selten geschehen, sind Anstrengungen wert. Da man sich treu an Verträge und die Zusagen hielt, die bei den Verhandlungen fixiert wurden, klangen temporäre Emotionen bald ab, und es hat eine rasche Befriedigung stattgefunden. Heute, 20 Jahre später, kann jedermann erkennen, daß die Anstrengungen in den 70er Jahren richtig gewesen sind - richtig, weil sie den Fortschritt und die Vernunft auf ihrer Seite hatten. Die Fragen stellte Leonhard Maller 259 Walther Wälde1e Erster Bürgenneister a. D. Blick: In Ihrer über vier Jahrzehnte an- haltenden Aktivität in Politik und Verwaltung hat Sie kein anderes Thema so kontinuierlich beschäftigt wie die Jugendarbeit. Welche Grundprobleme gab es zurückblickend fur die Jugendarbeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, das die Jugend für seine Ideologie mißbraucht hatte? W. w.: Wie viele junge Männer meines Jahrgangs bin ich im April 1939 zunl Ar- beitsdienst und arischließend zum Militär eingezogen worden und im April 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Karlsrube zu- rückgekommen, Die Bewältigung von Hun- ger und Wohnungsnot war in den ersten Nachkriegsjahren eine Hauptaufgabe. Dazu kamen die Sorgen um Arbeitsplätze und Ausbildungsstellen. Unter solchen Verhält- nissen konnte es kaum eine Jugendgruppen- arbeit mit Heimabenden und Lagerfeuer- und Zeltlagerromantik geben. Es ist deshalb auch zu verstehen, daß nur wenige Frauen und 260 Männer bereit sein konnten, sich als Jugend- leiter zur Verfugung zu stellen. Trotzdem wurde in unseren Städten und Gemeinden mit Jugendarbeit begonnen. Blick: War die Gründung des Stadtiugend- ausschusses im Jahre 1951 auch ein Ausfluß amerikanischer Vorstellungen von Jugendar- beit, und welchen Einfluß nahm die Be- satzungsmacht? W. w.: Schon zu Beginn meiner Tätigkeit als Jugendgruppenleiter im Jahre 1947 hatte ich mehr oder weniger regelmäßig Kontakte mit Jugendleitern anderer Organisationen. Wir trafen uns auf Einladwlg des damaligen Oberstadtschulrates Hang im Stadtschulamt - einem wenig zerstörten Gebäude -, um über ak1uelle Fragen zu sprechen. Insbesondere aber, unI hin und wieder staatliche und städtische Gelder fur die Jugendarbeit zu verteilen. Diese Zusammenkiinfte von Karls- ruber Jugendverbandsvertretern waren recht unverbindlich. Allerdings gab es schon damals als Zusanunenschluß der Karlsruber Jugendorganisationen den Jugendring, der bereits im Juni 1949 eine Jugendfestwoche veranstaltete. Außerdem existierte ein Jugend- ausschuß im Jugenderziehungswerk Karlsru- he und ab 1948 ein Kreisjugendausschuß . Diese Einrichtungen waren nach dem Kriege die von den damals tätigen Jugendvertretern geschaffenen Sprachrohre der Karlsruber Jugend gegenüber den deutschen Behörden und gegenüber der Militärregierung. In diesen Jahren des Neubeginns wurde die Jugendar- beit von dem Wunsch nach geeigneten Jugendgruppenräumen bestinunt. Keine der neugebildeten Jugendorganisa- tionen konnte einfach dort beginnen, wo am Ende des Krieges die " Staatsjugend" aufge- hört hatte zu existieren. Es war aber auch nicht möglich, die Jahre 1933-1945 aus der "Geschichte der Jugend" auszulöschen und ohne weiteres an die Tradition der Jugendbe- wegung vor der "Machtübernahme", anzu- schließen. Zwangsläufig mußten neue For- men der Jugendarbeit entwickelt und die Generation neuer Jugendleiter auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Der Karlsruher Jugend wurde dabei von der amerikanischen Besatzwigsmacht nicht nur materielle Unter- stützung zuteil, sondern auch im Rahmen von Jugendclubs ein vielseitiges Programm ange- boten. Von besonderer Bedeutung fiir die Jugendorganisationen waren die von den Amerikanern fiir uns veranstalteten Jugend- leiterschulungen. Die Zusammenarbeit zwi- schen den zuständigen amerikanischen Stei- len und den fiir die Jugendarbeit verantwortli- chen deutschen Institutionen blieb nicht frei von Reibungen und Spannungen. Aber gerade deren Bewältigung hat den "demokratischen Lernprozeß" erheblich befruchtet. Mit dem Abstand von fiinf Jahrzehnten ist zu sagen, daß die Amerikaner in den Nachkriegsjahren fiir die deutsche Jugend sehr viel getan haben und ohne ihre Hilfe auch in der Jugendarbeit in Karlsruhe sich vieles wesentlich langsamer entwickelt hätte und manches garnicht ge- gangen wäre. Trotz ausgezeichneter Kontakte und gegen- seitiger Informationen zwischen den Karlsru- her Jugendorganisationen gab es manches Nebeneinander und Verzetteln von Kräften. Auch bei Gesprächspartnern und Behörden wurde immer wieder eine gemeinsame von der Jugend autorisierte Ansprechstelle ver- mißt. Deshalb habe ich 1950 in den ver- schiedenen Karlsruher Jugendgremien dafiir plädiert; eine von allen gemeinsam getragene und anerkannte Vertretung der Karlsruher Jugend ins Leben zu rufen. Im März 1951 war es dann soweit. Der Stadtiugendausschuß Karlsruhe konnte sich konstituieren. Im Ge- gensatz zu den ersten Nachkriegsjahren brauchten wir dazu keine Genehmigung der Besatzungsmacht mehr. Die Vollversamm- lung des Stadtjugendausschusses hat mich von 1951 bis 1964 zum Vorsitzenden ge- wählt. N alurgemäß habe ich mich, nachdem ich 1964 zum Bürgermeister gewählt wurde, in den zwei Jahrzehnten als Jugenddezernent dem Stadgugendausschuß besonders verbun- den gefuhlt. Dabei war es selbstverständlich, Eigenständigkeit und Selbstverwaltung des Stadtiugendausschusses zu fOrdern, aber auch zu respektieren. Blick: In der zweiten Hälfte der 60er Jahre hat sich auch in Karlsruhe unter anderem mit einer Jugendgruppe im Basler-Tor-Turm in Durlach eine kritische junge Generation zu Wort gemeldet. Wie sind die offiziellen Stei- len in Karisruhe damit umgegangen und wei- che Auswirkungen hatte diese 68er-Bewe- gung auf die städtische Jugendarbeit? W. w.: Noch Ende der 50er Jahre konnte ich anIäßlich einer Berichterstattung im damali- gen Jugendwohlfahrtsausschuß des Gemein- derats von einer "staatsbejahenden Jugend" sprechen. Die Entbehrungen und Schwierig- keiten der unmittelbaren Nachkriegsjahre ha- ben m. E. bei der Jugend ein Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefuhl bewirkt, das heute kaum nachvollziehbar ist. In den folgenden Jahren des Wirtschaftswunders war eine neue junge Generation herange- wachsen! Deren recht selbstbewußtes An- spruchsdenken in Verbindung mit teilweise extremen Ausdrucks- und VerhaItensformen überraschten unsere Gesellschaft und stellten . uns vor neue Aufgaben. Dabei war eine durchaus positiv zu bewertende "Aufbruch- stimmung" bei den jungen Menschen spürbar zu erkennen. Mit den später "Die 68er" ge- nannten jungen Männern und Frauen konnten wir "Etablierten" jedoch nur selten wirkliche Gespräche fuhren. Vor allem gab es in den sich "autonom" nennenden Gruppierungen kaum wirkliche Verhandlungspartner.· Wenn 261 es da und dort einmal zu einem Besprechungs- ergebnis mit Sprechern solcher Gruppen gekommen war, traten schon Stunden später andere Sprecher mit anderen Vorstellungen auf. Darüber hinaus hatte ich den Eindruck, daß kein einzelner dieser ,,Autonomen" bereit war oder bereit sein durfte, Verantwortung z. B. gegenüber einem Vertragspartner zu über- nehmen. Nach meiner Erinnerung wurde der Basler-Tor-Turm schon 1968 der Deutschen Jungenschaft als Jugendheim in Selbstver- . waltung übergeben. Dieser Versuch, ein "autonomes Heim." einzurichten, ist schließ· lieh gescheitert an völlig überzogenen Vor- stellungen von gruppenorientierter Eigenge- setzlichkeit, die zur Gesetzlosigkeit ausarte- te. Nachdem wir im Basler-Tor-Turm ver- sucht hatten, einvernehmlich wieder geordne- te Verhältnisse herzustellen, sahen wir im Bürgermeisteramt keine andere Möglichkeit mehr, als den Turm Ende Juli 1969 nach einem entsprechenden Gerichtsurteil polizei- lich räumen zu lassen. Der Stad~ugendausschuß nahm in diesen Monaten eine klare Position ein: Selbstver- waltung - JA, Gesetzlosigkeit - NEIN. Na- türlich haben die Erfahrungen mit den ,,68ern" auch den Stadtjugendausschuß ver- arilaßt, Arbeitsmethoden und Arbeitsinhalte immer wieder zu überprüfen und, wo erforderlich, neu zu gestalten: Das "Prinzip Demokratische SelbstvelWaltung" hat da- mals eine nicht leichte Bewährungsprobe hervorragend gemeistert. Blick: Im Jahre 1969, als die Auseinander- setzungen mit der jungen Generation in Karlsruhe ihren Höhepunkt erlebten, konnten Sie im benachbarten Frankreich in Baerenthal die Jugendfreizeit- und Bildungsstätte, als de- ren Gründungsvater Sie gelten, ihrer Bestim- mung übergeben. Wie schätzen Sie heute aus der Rückschau von 40 Jahren die Bedeutung und Wirksamkeit von "Baerenthai" rur die Aussöhnung zwischen Deutschland und 262 Frankreich ein und welche wesentlichen Aufgaben hat "Baerenthai" in der Zukunft? W. w.: Das Jugendzentrum Baerenthal hat unter den zahlreichen Initiativen des Stadt- jugendausschusses einen besonderen Stellen- wert.1n den Jahren meiner Tätigkeit als Vor- sitzender des Stad~ugendausschusses war es immer mein Anliegen, das Zusammengehö- rigkeitsgefiihl der Jugendverbände unter dem Dach des Stad~ugendausschusses - selbst- verständlich unter Wahrung ihrer Eigenstän- digkeit-zu vertiefen. Dieerste Gemeinschafts- aufgabe hieß "Heim und Herberge fiir die J u- gend". Mit Eröffnung des Jugendheims am Engländerplatz 1954 war dieses erste Ziel erreicht. Ab 1956 haben als nächste Gemein- schaftsaufgabe einige hundert Karlsruher Jugendliche alljährlich viele tausend Arbeits- stunden geleistet, um die beiden deutschen Soldatenfriedhöfe in der Vogesengemeinde Baerenthal zu pflegen. Daraus ist dann die be- deutende Gemeinschaftsaufgabe "Jugend- zentrum Baerenthal" als "Projekt der vielen Möglichkeiten" entstanden. In dieser Zeit wurde es fiir die Karlsruher Jugendgruppen immer schwieriger, fiir die Durchführung von Zeltlagern geeignete Plätze zu fmden. Deshalb versuchte der Stad~ugendausschuß, im Schwarzwald einen Zeltlagerplatz zu kau- fen oder zu mieten. Das ist aber - vor allem aus Kostengründen - nicht gelungen. Da war es naheliegend, nun auch Baerenthal - wenn auch im Ausland gelegen - in die diesbezügli- chen Überlegungen einzubeziehen. Zumal ja dort seit 1956 alljährlich für die Kriegsgräber- pflege Zeltlager veranstaltet wurden. Der Stadtjugendausschuß beschloß 1959 einmü- tig, in Baerenthal zunächst einen großen Zelt- lagerplatz und später ein Jugend- und Be- gegnungszentrum einzurichten. Zu den La- gern rur die Kriegsgräberpflege kamen ab 1961 "Aufbaulager" für das neue Projekt. Meine persönlichen Eindrücke aus den ersten Begegnungen mit Bürgern der vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen französi- schen Gemeinde werden unvergessen blei- ben. Die Teilnehmer jener Zeltlager konnten damals auf den einfachen Holzkreuzen der Soldatengräber lesen, daß die Gefallenen der Jahre 1944 und 1945 gerade 20 Jahre alt waren, als sie aus dem Leben gerissen worden waren. Vielleicht war gerade dieses Erleben entscheidend rur den Willen, sich zur deutsch- französischen und internationalen Verständi- gung und Freundschaft zu bekennen. In den folgenden Jahren wurde Baerenthal zu einem gern angesteuerten Ziel rur Jugendgruppen. Dank der aufgeschlossenen Berichterstat- tung in den Medien begann Baerenthal bereits injener Zeit, fur die Karlsruher Bevölkerung ein Begriff zu werden. So entwickelten sich vielseitige persönliche Kontakte, und auch so manche Freundschaft wurde geschlossen. Baerenthal entwickelte sich hervorragend und konnte im Laufe der Jahre erweitert werden. Zahlreiche nationale und internationale Begegnungen in der heutigen Jugendfreizeit- und Bildungsstätte sind nach meiner Über- zeugung den jeweiligen Teilnehmern in prägender Erinnerung geblieben. Eine politi- sche Wertung der Jugendarbeit kam in einem Grußwort des Bürgernleisters von Baerenthal, Edourd Jund, 1993 zum Ausdruck: "Baeren- thai hat mit dem Karlsruher Jugendzentrum am Robert-Schumann-Platz eine ehrenhafte Stelle in der Familie der freien Völker Euro- pas cingcnonunen." Ein besseres Zeugnis kann der in Baerenthal seit Jahr und Tag ge- lebten und erlebten deutsch-französischen Freundschaft nicht ausgestellt werden. Die Zul ... mft Baerenthals ist nach meiner Meinung auf Jahre gesichert! In einem vor kurzem herausgegebenen Prospekt des Stadt jugend ausschusses " Baeren- thai 2000" umreißt der heutige Vorsitzende die Aufgaben wie folgt: . "Auf der sicheren Grundlage einer lebendigen Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland wer- den wir Menschen aus verschiedenen Regio- nen Europas eine Stätte des friedlichen und h?rmonischen Zusanunenlebens bieten. Wir werden uns der permanenten Diskussion stellen, damit die Jugendfreizeit- und Bildungs- stätte sowohl Wegbereiter neuer Ideen sein, als auch bewährte, erfolgreiche Konzepte weiterfuhren kann." Dies ist wohl der richtige Weg flir "Bae- renthal", auf dem meine besten Wünsche den Stadtjugendausschuß begleiten. Die Fragen slellle ManJred Koch 263 Biographien Karoline von Günderrode (1780-1806) Die Dichterin Karoline von Günderrode gilt vielen als die romantische Frau schlecht- hin, und das weniger wegen ihres Werkes als vielmehr wegen ihres Todes. Am 11. Februar 1780 kam sie in Karlsruhe zur Welt und erdolchte sich, nur 26 Jahre alt, am 26. Juli 1806 in Winkel am Rhein. Sie hinterließ ein schmales Werk - Gedichte, Dramalette, Briefe -, das lange Zeit in Vergessenheit geriet. 1840 veröffentlichte Bettina von Arnim, geb. Brentano, den Briefroman "Die Günderrode", der den von ihr überarbeiteten Briefwechsel zwischen den beiden Frauen enthält. 1920 erschien dann das dichterische Gesamtwerk der Günderrode, 1978 gab Christa Wolf ausgewählte Schriften der Dichterin heraus. Wolfs einleitender Essay war der erste Versuch, die Günderrode aus dem Bild der in schwärmerischer Sentimentali- tät aufgelösten Romantikerin zu befreien, in die die Nachwelt die Dichterin gesperr! hatte. Sie zeichnet dagegen eine junge Frau, deren Leben durch einen nüchtern-klaren Blick auf ihre Zeit und illre eigenen Möglichkeiten geprägt war. Schon 1801 schrieb die Günderrode an Gunda Brentano: "Ich habe keinen Sinn rur weibliche Tugenden, fur Weiberglückseligkeit" und meldete damit einen Anspruch an ein Leben an, den ihr ihre Zeit nicht erfullen wollte. Karoline kam als erstes von sechs Kindern des markgräflichen Kammerherrn Hector Freiherr von Günderrode auf die Welt. Der Vater starb, als Karoline sechs Jahre alt war. Die Mutter zog mit ihren Kindern nach Hanau. Als .17jährige wurde das verarmte Fräulein von Günderrode in einem Frankfur- ter Stift rur unverheiratete adlige Damen aufgenommen. Hier in Frankfurt und auf Reisen erwarb sie einen Freundeskreis, zu dem Bettina und Clemens Brentano, Carl von Savigny und Lisette Nees von Esenbeck zählten. Sie widmete sich dem Studium der Geschichte und Philosophie und las die Werke ihrer Zeitgenossen Goethe, Schiller, Hölderlin usw. 1m August 1804 lernte sie den Altertumswissenschaftier Friedrich Creuzer kennen. Die Liebe der bei den blieb unglück- lich, denn Creuzer war schon verheiratet. Doch gab es Momente in ihren Begegnungen, die es möglich scheinen ließen, als könnte man Liebe und Arbeit verbinden. Die Günderrode halte schon unter dem Pseudo- nym "Tian" - weibliche Autorschaft war damals kaum denkbar - " Gedichte und Phantasien" veröffentlicht. Creuzer nun machte sich daran, die Publikation eines weiteren Bandes vorzubereiten, der wlter dem Pseudonym "Jon" erscheinen sollte. Als er dann, weil er seine Ehe nicht auflösen konnte, im Juli 1806 die Beziehung zu der Günderrode beendete, bedeutete dies rur die 265 Frau nicht nur das Ende einer Liebe, sondern letztlich auch das Ende ihrer Möglichkeiten als Dichterin. Und das vor allem wollte sie sein. 1804 schrieb sie in einem Brief an Clemens Brentano: "Denn immer neu und lebendiger ist die Sehnsucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form auszuspre- chen, ... die würdig sei, zu den Vortrefflich- sten hinzutreten, sie zu grüßen und Gemein- schaft mit ihnen zu haben." Für eine Frau damals ein maßloser Wunsch. Über ihren Tod meinte die Freundin Lisette Nees: "Sie fiel, ein Opfer der Zeit, mächtiger in ihr wirkender Ideen ... eine unglückliche Liebe war nur die Form, unter der dies alles zur Erscheinung kam." Auch andere Zeitgenossen - Hölderlin und Kleist z. B. -scheiterten an ihrer Zeit. Die Günderrode gehört, wie Anna Seghers meinte, in ihre Kreise - jenseits aller "Weiberglückseligkeit" . Susanne Asche Helmuth Klotz (1894-1943) Nur selten wird einem Lebensweg nachge- gangen werden können, der so dramatisch, so exemplarisch verlaufen ist wie der des Dr. Helmuth Klotz. Dramatisch deshalb, weil die Stationen seines Lebens oft einer zwingenden Notwendigkeit zu gehorchen scheinen, exem- plarisch, weil sein Weg die Zeit des politischen Ungeistes erkennen läßt, der das Leben von Helmuth Klotz ausgelöscht hat. 1909 kommt der Vater, Dr. jur. Adolf Klotz, als großherzoglich-badischer Verwal- tungsgerichtsrat mit seiner Frau und den Kindern Erika und Helmuth nach Karlsruhe. Der 1894 geborene Helmuth konnte, da die Einberufung als Seekadett der Kaiserlichen Marine vorlag, die Abiturprufung an der Helmholtz-Oberrealschule vorzeitig ablegen. Als hochdekorierter Offizier der Kaiserl i- chen Marine beginnt Helmuth Klotz sofort nach Kriegsende ein Studium. Rostock, Freiburg und Frankfurt sind die Studienorte, bereits 1921 wird Helmuth Klotz in Frankfurt zum Doktor der Staatswissenschaften promo- viert. 1922 reist Klotz als Vorsitzender der Deutschvölkischen Freiheitspartei in Frank- furt nach München zu Hit1er. Mit Handschlag besiegelt er mit Hitler ein Bündnis, das verhängnisvoll wird. Wie viele junge Welt- 266 kriegsteilnehmer trieben auch ihn Enttäu- schung und Verbitterung über den vermeintli- chen Verrat der "Novemberverbrecher" 10 die Arme der Völkischen". Die Teilnahme am Hitlerputsch am 9. November 1923 ist eine der Notwendigkeiten in seinem Leben. Die Ernüchterung während der Haft in Landsberg, das "Kennenlernen" Hitlers und die anschließende Trennung von ilun und seiner Partei markiert die nächste Station. Klotz hat erkannt, daß Hitler den Sozialismus nur als Mittel · zum Zweck der Massengewinnung auf seine Fahnen ge- schrieben hat, aber keinesfalls gewillt war, ihn zu verwirklichen. Gar manche Feinde hat sich Klotz durch seine Abkehr von der NSDAP bereits zugezogen, Hitler, Göring, Rosenberg und Streicher. Klotz wird zu einem unerbittlichen Gegner der sich immer ungezügelter zeigenden NSDAP. Dr. Goebbels versucht durch üble Verleumdungen diesen seit 1929 zur SPD gehörenden Neuorganisator der Gegenpropa- ganda mundtot zu machen. Zum Ärger des späteren Reichspropagandaministers erwei- sen sich die Unterstellungen stets als Lügen, und Goebbels bleibt ein weiterer Hasser. Als Klotz 1932 die "Röhm-Briefe" flir die SPD unter seinem Namen veröffentlicht und sogenannte "Ehrenranglisten" der fUhrenden Männer in der NSDAP herausgibt, die die schändlichen Verfehlungen bis hin zu Mordtaten anprangern, verprügeln vier Reichstagsabgeordnete der NSDAP ihren Widersacher Klotz im Foyer des Reichstages. Im Februar 1933 flieht Klotz nach Prag. Im Mai desselben Jahres beginnt fur Helmuth Klotz und seine Frau Maria in Paris die bittere Zeit eines Lebens im Exil. Klotz schweigt nicht; das "Tagebuch eines Reichswehr- generals", ein "Weißbuch" über die Morde des 30. Juni 1934, "Der neue deutsche Krieg" waren Veröffentlichungen, die die National- sozialisten stark beunruhigten. Die Zusam- menarbeit mit Max Braun, dem saarländi- schen Gegner Hitlers, der wiederholte Versuch zur Bildung einer Volksfront und einer Deutschen Legion sind die vorletzten Stationen des Helmuth Klotz im Kampf gegen Hitler. Im Juli 1940 wird Helmuth Klotz von der Vichy-Regierung der Gestapo ausgeliefert. KZ Sachsenhausen und Plötzensee sind die letzten Stationen aufseinem Weg. HaßerfUllt verkündet Roland Freisler in seinem ersten Prozeß dem Angeklagten das Todesurteil. Am 3. Februar 1943 stirbt Helmuth Klotz in PJötzensee. "In mir ist kein Gefiihl der Anklage gegen meine irdischen Richter .. . Die Stunde ist gekommen ... Gott segne Dich meine Maria", i~t in seinem letzten Brief an seine Frau zu lesen. Herberl Linder Georg Bredig (1868-1944) Fritz Haber unterschied einmal bei den Wissenschaillern "Nomaden" und "Acker- bauern" : Erstere streiften auf ihrem Fachge- biet umher und entdeckten Neuland; letztere aber machten es urbar. In Habers schlesi- schem Landsmann Georg Bredig, 1868 in Glogau geboren, begegnet uns der hart arbeitende Ackersmann. Er gehörte noch zur ersten Generation derer, die das gerade entdeckte Neuland umbrachen - hier das Terrain der Physikalischen Chemie, das sich hinter der organischen und anorganischen Chemie auftat. In dem Leipziger Physikochemiker Ost- wald, gewissermaßen einem der "Nomaden", fand der Doktorand und Assistent einen erstklassigen Lehrmeister. Doch das genügte Bredig noch nicht, und er holte sich zusätzliche Kenntnisse bei vergleichbaren Kapazitäten in Amsterdam, Paris und Stockholm ein, bei van t'Hoff, Berthelot und Arrhenius. Er war längst gut bekannt, als er 1911 fUr die Nachfolge auf den renommierten Karlsruher Lehrstuhl fur Physikalische Che- mie und Elektrochemie im Gespräch war. Die sehr wählerische Fakultät zögerte nicht, Bredigs Berufung mit überschwenglichen Bewertungen vorzuschlagen: Breite und Tiefe seines Wissens, augenfallig in den bemerkenswert vielen wissenschaillichen Veröffentlichungen, sowie die Zahl seiner Schüler flößten ihr Respekt ein. Bredig erhielt 267 den Ruf und nalun ilm anstandslos an. Die Karlsruher Idylle währte nur kurz: Der Kriegsausbruch von 1914 erschütterte den sensiblen Forscher zutiefst. Zuviel verdank1e er den geistigen Reichtümern Europas, dem Humanismus zumal, als daß er ihre nachhaltige Beschädigung oder ihren Verlust je hätte verwinden können. Der vermeintlich stille Gelehrte fOhlte sich daher bald zu politischen Bekenntnissen gedrängt: Er ließ sich eine pazifistische und demokra- tisch-republikanische Einstellung anmerken, und wenn es sein mußte, tat er es deutlich wahrnehmbar. Etwa 1919/ 20, als er gegen we antisemitischen Aufwallungen in der Karlsruher Studentenschaft entschieden Front machte, oder 1922123, auf dem Höhepunkt der politischen Wirren in Deutschland, als er das schwierig gewordene Rektoramt versah. Die letzten Jahre seiner aktiven Profes- 268 sorenzeit wurden bereits von den Folgen mehrerer Operationen überschattet. Es sollte aber noch schlimmer werden: 1933 bekam er den explodierenden Antisemitismus mit aller Wucht zu spüren. Sogar aus seiner nächsten Umgebung stanunten einige der ebenso dununen wie gehässigen Denunziationen. Bredig wehrte sich tapfer; Kollegen und Schüler suchten ebeufalls, die Anschwärzer zum Schweigen zu bringen. Doch es genügte, daß Bredig Jude war, was er nie verhehlt hatte. Demgegenüber wog sein wissenschaft- licher Ruf nichts mehr - die zweifache Ehrendoktorwürde, die Mitgliedschaften in in- und ausländischen Akademien, von anderen Ehrungen ganz zu schweigen. Nur mit Mühe vermochte Bredig seine Entlassung abzuwenden und die ordnungsgemäße Emeri- tierung durchzusetzen. Für dieses Recht mußte er - es ist unfaßbar - sich schriftlich verpflichten, "der deutschen Regierung keinerlei Schwierigkeiten zu machen". Leider vereinsamte Brcdig schnell. Seine Frau war schon gestorben, die beiden Kinder emigrierten bald in die USA, im übrigen schloß er sich verängstigt gegen seine Umwelt ab. Im Sommer 1939 gestattete man ihm die Übersiedlung nach Holland, und im März 1940 genehmigte ihnl das Reichserziehungs- ministeriunl (einstweilen bis 1942), zu seinen Kindern zu ziehen. So entging Bredig mit knapper Not der deutschen Besetzung Hollands, 1944 beschloß er in New York, gebrochen und verarmt, sein ehedem glanz- volles Gelehrtenleben. Klaus-Pe/er Hoepke Wilhelm Nokk (1832-1902) Bei seiner Verabschiedung 1901 war er siebenmal zu Dr. h.c. und außerdem zum einzigen "Ehrendiplomingenieur" jenes Polytechnikums ernannt worden, das unter seine Ägide 1885 zur Technischen Hochschu- le erhoben wurde, und der Stadt Karlsruhe blieb er als Ehrenbürger verbunden. 1832 als Sohn eines Gymnasialprofessors in Bruchsal geboren, trat er 1860 nach einem Rechtsstudium in den badischen Staatsdienst ein. Als Sekretär des neuerrichteten Ober- schulrats geriet er mitten in den Kulturkampf, und so wirkte er arn ersten deutschen Schulaufsichtsgesetz 1864 mit, in dem der Staat die Funktion der geistlichen Aufsicht in den Volksschulen übernahm. Als Referent in Kirchensachen im Innenministerium erlebte er den Aufstieg seines Freundes Jolly zum Minister, dem er eng verbunden blieb, wenn auch als Katholik weniger stringent in seinen Maßnahmen als sein kombattanter protestan- tischer Vorgesetzter. Die Mitarbeit am "Kultur-Examensgesetz" - staatliche Pflicht- prüfungen fur junge Theologen -, das Ringen um die Ortsschulräte, die der bald sich formierende politische Katholizismus ab- lehnte, und manch andere, nicht gerade liberale Aktionen der Nationalliberalen, fur die er 1867-70 ein Abgeordnetenmandat in der 11. Kammer wahrgenommen hatte, machten ihn auch in Preußen bekannt. Doch das "Babyion" Berlin schreckte den Karlsru- her ab und zudem die I 000 Gulden minderen Jahreseinkommens, um als Vortragender Rat unter Bismarck seine Kulturkampferfahrungen einzubringen. Sein Bleiben wurde 1874 mit dem Direktionsposten des Oberschulrats belohnt, wobei er entgegen der üblichen Verwaltungspraxis auch noch die Aufsicht über die Hochschulen behielt, eines seiner Steckenpferde. Das Simultanschulgesetz er- regte weite Teiie der Bevölkerung in einem Maße, daß Großherzog Friedrich I. Jolly entließ und Abstand davon nahm, daß die Mehrheitsfraktion auch die Minister steilte. 1881 wurde nach einer Neuordnung der Staatsregierung Nokk Minister flir Justiz und Kultur flir zwei Jahrzehnte, 1893 Präsident des Staatsministeriums, also Regierungschef. Seiner vorsichtigen, taktvollen Art verdankte er es - bei aller Loyalität gegenüber der Krone - die Kulturkampfgesetzgebung lang- sam abbauen zu können. Partner war ihm dabei der neue Erzbischof Orbin, der nach 14jähriger Vakanz dem Freiburger Ordinari- at vorstand. Bedenkt man, daß 1874 ein ganzer Jahrgang junger Priester in Haft genommen worden war, über 400 Pfarreien unbesetzt blieben und katholische Bevöl- kerungsteile unversöhnt dem badischen Staat gegenüberstanden, so verdient das friedens- stiftende Werk des breit gebildeten, beschei- denen und unermüdlich fleißigen Wilhelrn 269 Nokk jene Anerkennung, die ihm die Nachwelt zollte, während er freilich in den Kampljahren Gegner in beiden Lagern fand. Auch mit seinem Großherzog mußte er ringen, der ihm 1899 schrieb: "Die Schwar- zen und die Roten sind noch schlimmere Feinde als der Gegner von 1870", so einem Nachlaß zu entnehmen, den jüngst das Generallandesarchiv angekauft hat. Die Neuzulassung der Männerklöster wurde in Baden sogar erst kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs zugelassen, weil man bestimmte Institutionen immer noch zu den "Reichs- feinden" zählte und auch Katholiken es schwer machte, in ftihrende Positionen zu gelangen. Daß ein wahrlich Liberaler wie Nokk, der dem Doktrinarismus eines natio- nalliberalen Lagers sehr skeptisch begegnete, tiefe Gräbern zuschütten half, ist von all seinen Meriten am meisten zu schätzen. Leonhard Maller Magdalena Neff geb. Meub (1881-1966) Als im September 1893 das erste Mädchen- gymnasium Deutschlands inder Sophienstraße 12 eröffuet wurde, war unter den Schülerin- nen, die gleich den Jungen eine humanistische Schulbildung erhalten sollten, auch die zwölljährige Magdalena ("Lina") Meub. Im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen, die aus allen Teilen Deutschlands kamen, wurde ihr die Chance in ihrer Heimatstadt Karlsruhe geboten. Ihre Eltern - der Vater war 270 Bäckermeister - bewiesen mit der Entschei- dung, ihrer Tochter eine Mädchen bisher verwehrte Schulbildung zu ermöglichen, viel Mut und Weitblick. Nach Jahren angestreng- ten Lernens - die Schülerinnen, die z. B. Latein in kürzester Zeit nachlernen mußten, waren anfangs mißtrauisch beobachtete Objekte nicht nur pädagogisch-behördlicher Neugier - legte Lina zusammen mit drei anderen Mädchen am 19. Juli 1899 als erste nicht externe Abiturientinnen die mündliche Abschlußprüfung ab. Sie entschied sich, Apothekerin zu werden. Wie lange üblich, gehörte dazu erst eine praktische Ausbildung in der Apotheke. Ein Zeitgenosse bewertete ihren Eintritt in die Krauss 'sche Apotheke in Elzach als "allerer- ste gleich den jungen Männern vorbereitete Elevin" zum "Beginn einer neuen Ära". Die Pionierin in einem Berufsfeld, in dem heute sehr viele Frauen arbeiten, erhielt in Elzach eine . gute Ausbildung und bestand nach zweijähriger Lehrzeit die Gehilfenprüfung mit "sehr gut". Drei Gehilfenjahre in LichtenthaI, Karlsruhe und Kehl schlossen sich an. Für Frauen war es damals extrem schwer, eine Lehr- und GehilfensteIle zu finden . Sie trafen auf die Zurückhaltung, ja Ablehnung von Lehrherren und Behörden, in vielen Teilen des Kaiserreichs wurden die Frauen nicht zur Gehilfenprüfung zugelassen. Im Großherzogtum Baden und im Königreich Württemberg waren die Bedingungen noch am günstigsten (offizielle Zulassung 1899). Viele Apothekenbesitzer zogen es vor, Männer einzustellen oder erwarteten von den Frauen Sonderdienste. Lina Meub empörte sich einmal: "Die übrigen betrachten ein Engagement offenbar als ein Gnaden- geschenk und stellen Bedingungen, daß einem vor Verwunderung die Haare zu Berge stehen .. . Unter anderem wollte er Auskunft über meine Stellung zur Hausfrau und deren Arbeitsfeld. Wir sollen also offenbar in unserer ohnehin knapp bemessenen freien Zeit uns mit Haushaltungsarbeiten, Wäsche in Stand halten u. dgl. beschäftigen?" Die damaligen Jungapothekerinnen waren sich ihrer Vorreiterrolle sehr bewußt. Sie standen untereinander in Kontakt und gründeten auf Initiative Lina Meubs und Sophie Wißmars, ,einer anderen angehenden Apothekerin, einen streng organisierten Berufskreis. In ihren Rundbriefen schufen sich die Pionierinnen, die vielfaltigen persönlichen und praktischen Problemen ausgesetzt waren, eine sehr moderne Form der Selbstvergewisserung, der gegenseitigen Beratung und Unterstützung. Die Briefe dieser Aktion werden von Rüdiger Rombach, Enkel Lina Meubs und Apotheker wie sie, aufbewahrt. Nach Abschluß ihrer Gehilfen- jahre begann Meub 1904 ein viersemestriges Pharmaziestudium an der Technischen Hoch- schule Karlsruhe. Auch die Studienjahre waren geprägt von harter Arbeit, großem Einsatz und wenig komfortablen Verhältnis- sen. Das Staatsexamen bestand die Karlsru- her Abiturientin mit "sehr gut". Sie heiratete einen Kollegen, den Apotheker Adolf Nett. Die Eheleute erwarben die Löwen-Apotheke in Ehingen an der Donau und fiihrten sie gemeinsam nahezu 50 Jahre lang. 1964 wurde Magdalena Neff als der ersten deutschen Apothekerin und Bahnbrecherin in diesem Beruf die Lesmüller-Medaille, die höchste Auszeichnung des Deutschen Apotheker- bundes, verliehen. Magdalena Neff starb 1966. Margarele Kraft Ernst Wagner (1832-1920) In einem Nachruf auf seinen Tod am 2. März 1920 hieß es, er sei unter den Karlsruher Behördenleitern "die Exzellenz unter den Exzellenzen gewesen". So als Geheimrat geehrt, verdankt er dies Großher- zog Friedrich 11., dem er als Prinzenerzieher bis zu dessen Abitur verbunden war. 1832 als Sohn eines Pfarrers zwar in Karlsruhe , geboren, aber in Württemberg aufgewach- sen., studierte er in Tübingen Theologie, Philologie und Naturwissenschaften und begann nach Promotion und theologischen Staatsprüfungen mit dem Lehramt. Zwei Jahre war er in England Erzieher im Haus Russel, dem Außenminister der Regierung Palmerston. Nach Deutschland heimgekehrt, schlug ihn der geistige Intimus des Großher- zogs Friedrich 1., Professor Gelzer, als Erzieher des Erbprinzen vor, und in der eigens gegründeten "Friedrich-Schule" , de- .ren Leitung Wagner anvertraut wurde, unterrichtete der breit Gebildete sowohl moderne Fremdsprachen wie Mathematik und Naturwissenschaften. Zugleich Mitglied des Oberschuirats, nahm der Hofrat am Umbruch des badischen Schulwesens teil. Sein vertrau- 271 ensvolles Verhältnis zum Großherzogs-Paar war nicht ohne pädagogische Spannung, zumal er "trotz höfischem Rock mit starkem altdemokratischem Öl gesalbt war" - Erinnerungen an 1848. Nach Großjährigkeit des Erbprinzen 1875 wurde er im Nebenamt "Großherzoglicher Conservator der Altertümer und der mit ihnen vereinigten Sammlungen", das erst 1891 sein Hauptamt wurde. Diese Sammlungen waren auf engem Raum zusammengepfercht; erst 1872 wurde nach dem Vorbild des Bayeri- sehen Nationalmuseumsjener Neubau fertig- gesteIlt, der heute "Museum am Friedrichs- platz" heißt. Später schrieb Wagner über diesen Bau, er sei "ein Muster, wie er nicht sein sollte; der Fassade zulieb wenig Licht, allzu gleichformige Räinne ohne Beziehung zum Inhalt". Man hatte zu wenig Erfahrung mit modemen Museen und meinte, die Wände 272 "bis an die Decke hinauf mit Sammlungs- gegenständen reich auszieren" lassen zu können. Die Berichte der folgenden Jahre sind angeflillt von Wagners Bitten um eine Verbesserung der Präsentation. Die Samm- lungen wuchsen nicht zuletzt durch Wagners eifrige Tätigkeit als - autodidaktischer - Archäologe in Baden, von Funden aus der Steinzeit bis zu den Merowingern, und die mehrbändige Reihe über die Fundorte zeugen vom immensen Fleiß des Oberschulrats, der Dienstreisen zu Abiturprüfungen mit Ausgra- bungen verband. Dem Pädagogen war wichtig, das Museum auch als Lehrinstitut zu gestalten, und noch als 80jähriger übernahm er Führungen rur Arbeiterbildungsvereine. 1881 war Wagner treibende Kraft fur den "Karlsruher Altertumsverein" , dem er als l. Vorsitzender 30 Jahre diente. 1885 erreichte diese Gesellschaft einen Höhepunkt mit der Ausrichtung der 16. Versammlung der " DeutschenAnthropologischen Gesellschaft" in Karlsruhe. Als imN ovember 1918 Friedrich II. das Schloß verlassen hatte, schlug man diesen Ort als Sitz des neuen "Badischen Landesmuseums" vor. Bittere Kritik übte das "Karlsruher Tageblatt" am bisherigen Zustand des Museums, das Wagner selbst nicht ohne Skepsis betrachtete, "barbarische Einrichtungen mit dem Moder- geruch eines Herbariums". Seinen Antrag auf Pensionierung richtete der 87jährige an die "Vorläufige badische Volksregierung", und als er vor 75 Jahren starb, trauerten Kundige einem unb.ürokratischen Initiator nach, von "unnachahmlicher Heiterkeit, Schlagfertig- keit des Geistes und unbezwingbarer Lie- benswürdigkeit des Auftretens." Leonhard MillIer Fridel Dethleffs-Edelmann (1899-1982) Früh schon stand der Berufswunsch von Fridel Edelmann fest, die 1899 in Hagsfeld bei Karlsruhe geboren wurde und hier ihre Kindheit und Jugendzeit verbrachte: Sie wollte Malerin werden. Doch ein solches Berufsziel war im frühen 20. Jahrhundert - zumal ftir eine Frau - keineswegs selbstver- ständlich und war nur unter äußerst er- schwerten Bedingungen möglich. Das Studi- um an der Karlsruher Akademie blieb Frauen - wie auch an den meisten anderen Kunst- hochschulen in Deutschland - bis 1919 ver- wehrt. Erst der in der Weimarer Verfassung verankerte Gleichheitsgrundsatz der Ge- scWechter bewirkte schließlich die generelle Öffnung staatlicher Ausbildungsinstitute. So wurde Fridel Edelmann zunächst Privatschülerin von Wilhelm Trübner. 1916/ 17 besuchte sie kurzzeitig die Badische Kwtstgewerbeschule und anschließend die Malerinnenschule in Karlsruhe, die 1885 wtter dem Protektorat der Großherzogin gegründet worden war. In einem seit 1915 handschrifUich gefuhrten " Arbeitskalender" äußerte sie sich 1917 wenig begeistert über den Unterricht, der ihr offensichtlich zu wenig professionell ausgerichtet war. Seit 1921 wird ihr Name in den Schülerlisten der nwt "Badische Landeskwtstschule" genannten Akademie in Karlsruhe geftihrt; sie besuchte den Unterricht im figürlichen Zeichnen bei Herrnann Gehri wtd trat 1923 in die Graphikklasse von Ernst Würtenberger ein wtd wurde 1925 seine Meisterschülerin. 1928/29 folgten Studienaufenthalte in Paris wtd Florenz. In den frühen 20er Jahren entstanden, oft im engen kiinstlerischen Austausch mit dem Maler Hans Schöpflin, zahlreiche Land- schaftsbilder in der Nachfolge Hans Thomas, vorwiegend mit Motiven aus dem Schwarz- wald, darüber hinaus aber auch skizzenhaft- impressionistische Aquarelle. Blumenstücke wtd Portraits im Stil der Neuen Sachlichkeit bilden die Schwerpunk1e in der Malerei der späten zwanziger und dreißiger Jahre, die wohl die produktivste Schaffenszeit der Künstlerin gewesen sind. Anerkennwtg und erste Erfolge stellten sich bald ein : 1926 wurden die auf dunklem Grund gemalten "Winterastern" ftir die Kwtstsammlwtgen der Stadt Karlsruhe erworben, 1930 erhielt ihr Blumenbild "Altmodischer Strauß" in der Ausstellwtg "Das Badische Kunstschaffen" eine silberne Medaille. Zwei Jahre später errang sie mit ihrem "Selbstportrait" , das 1933 von der Staatsgalerie München ange- kauft wurde wtd heute zu den bekanntesten Arbeiten der Künstlerin zählt, den I . Preis im Wettbewerb "Die Frau im Bilde", der vom badischen Staat und der Stadt Karlsruhe gemeinsam ausgeschrieben worden war. Selbst in der NS-Zeit hatte die Malerin Erfolge: Ihre Werke waren regelmäßig auf beachteten Ausstellwtgen vertreten, -insbe- 273 sondere auf der "Großen Deutschen Kunst- ausstellung" in München. 1931 heiratete Fridel Edelmann den Fabrikanten Arist Dethleffs aus 1sny im Allgäu und führte seither den Doppelnamen Dethleffs-Edelmann. Ihre einzige Tochter Ursu1a, die später ebenfalls Künstlerin wurde, kam 1933 auf die Welt. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unter- nahm das Ehepaar mehrere Auslandsreisen mit einem eigens zum Atelier ausgebauten Wohnwagen. Mit den Kriegsjahren fand die künstlerische Tätigkeit jedoch zwangsläufig ein Ende - Arist Dethleffs wurde zum Kriegsdienst eingezogen, seine Frau über- nahm die Leitung der Campingwagenfabrik in Isny. Nach 1945 wandte sich Fridel Dethleffs- Edelmann einer völlig gewandelten, im Zwischenbereich von Gegenständlichkeit und Abstraktion angesiedelten Bildsprache zu. Ihr Themenrepertoire änderte sich gleichwohl nicht - auch im Spätwerk dominierten Blu- menbilder und Landschaften, die die Eindrük- ke zahlreicher Reisen widerspiegeln. Ge- meinsam mit ihrem Mann grundete sie 1947 die "Sezession Oberschwaben-Bodensee", der so bekannte Künstler wie Max Acker- mann, RAP Grieshaber und Otto Dix bei- traten. Ursula Merkel Hermann Levi (1839-1900) Als Nachfolger des siebzigjährigen Hofka- peilmeisters Joseph Strauß, der seit 39 Jahren die großherzogliehe Badische Hofkapelle geleitet hatte, verpflichtete der Theaterdirek- tor Eduard Devrient ab 1864 den Dirigenten der Deutschen Oper in Rotterdam Herrnann Levi . Da der Großherzog Friedrich I. am 4. Oktober 1862 mit dem Gesetz über die bür- gerliche Gleichstellung der Juden die Eman- 274 zipation der etwa 24 000 Juden in Baden legalisiert hatte, gab es keine Bedenken, den hochbegabten Kapellmeister, der aus einer jüdischen Rabbinerfamilie stammte, in eine exponierte Position zu berufen. Levi war allerdings im ersten Jahr mit dem seit 1854 am Hoftheater wirkenden Dirigenten Wil- helm Kalliwoda, der ebenfalls in die erste Position strebte, gleichgestellt. Nach einem einjährigen edlen Wettstreit, wobei beide in Sinfoniekonzerten abwechselnd dirigierten und als Pianisten zusammen auftraten, konn- te sich Levi als der dynamischere Orchester- leiter für die leitende Chefposition durchset- zen. Mit Levi, der bei Vincenz Lachner in Mannheim und am Leipziger Konservatorium studiert hatte, kam zum ersten Mal ein Or- chesterleiter moderner Prägung nach Karlsru- he. Schon bei der Probe fur seine Antrittsvor- stellung "Lohengrin" bemerl.1e Devrient, daß der Kapellmeister nicht durchspielen ließ, sondern häufig unterbrach, um einzelne Passagen auszuarbeiten. Der Münchener Intendant Ernst von Possart hat Levi so beschrieben: "Mit dem kurzen Emporrecken seines geistreichen Kopfes, einem Blitz des ausdrucksvollen Auges, befeuerte er die Sänger auf der Bühne, und der lebhaft wechselnde Ausdruck seines Gesichtes sprach beredter zu den Musikern, als es die pomphafte Geste eines landläufigen Kapell- meisters je vermochte." - Die Karlsruher Hofkapelle umfaßte in der Ära Levi 48 Musiker. Auf dem Repertoire standen jährlich etwa 40 Opern, aber auch bei großen Schauspielen wirkte die Hofkapelle mit; man gab "Egmont" mit der Musik von Beethoven, "Sommernachtstraum" mit Mendelssohns Bühnenmusik. Eduard Devrient bevorzugte die Opern von Gluck und Mozart, die er in eigenen Bearbeitungen aufführte. Levi, der die französische und italienische Sprache beherrschte, verbesserte das verstaubte Operndeutsch mit eigenen Übersetzungen. Durch Levis Initiative erschienen nun die Werke Wagners immer häufiger im Karlsru- her Repertoire. Unter seiner Leitung wurden 1869, wenige Monate nach der Münchener Uraufführung, "Die Meistersinger von Nürn- berg" erstaufgefiihrt, eine Großtat des Badischen Hoftheaters, WOM jeder Mitwir- kende vom Großherzog eine Extra-Gratifika- tion erhiel t. In den 8 Jahren der Ära Levi gab es viele bemerkenswerte Neueinstudierun- gen, unter anderem "Alkeste" , "Annida" und "Iphigenie auf Tauris" (Gluck), "Medea" (Cherubini), "Lohengrin" und "Rienzi" (Wag- ner)' ,,Afrikanerin" und "Prophet" (Mcyerbeer) sowie alle großen Mozart-Opern. In "Barbier von Sevilla" mit der berühmten Pauline Viardot-Garcia als Rosine stellte Levi erst- malig die. Rezitative der Originalfassung wie- der her. 1867 dirigierte er die Erstaufführung der Oper "Genoveva" von Robert Schumann, eine besondere Huldigung an Cl ara Schu- mann, die damals mit ihren Kindern in Baden ansässig war. Sie kam oft nach Karlsruhe, musizierte mit Levi, trat in Konzerten auf und besuchte ihren Sohn Ludwig, der hier zur Schule ging und bei der Familie des Kon- zertmeisters Will wohnte. Wenn Levi mittwochs die Gastvorstellun- gen der Karlsruher Oper in Baden-Baden dirigierte, besuchte er die Familie Schumann und traf meist auch Johannes Brahrns, der die Sommermonate in Lichtental verbrachte. Mit Brahrns entwickelte sich eine innige Freund- schaft, so daß der Komponist häufig bei Levi in Karlsruhe logierte, zuerst in der Herren- straße 48, ab 1865 in der Grünwinkler Allee I (heute Bismarekstraße 31). Unter Levis Leitung spielte Brahrns im Museumskonzert 1865 sein Klavierkonzert op. 15 mit großem Erfolg, nachdem die Uraufführung sechs Jahre zuvor im Leipziger Gewandhaus ein vi'lliger Mißerfolg gewesen war. Brahrns ließ jetzt mit Vorliebe seine neuen Werke unter Levi in Karlsruhe aufführen. So erklangen in diesen Jahren hier als Uraufführungen: 10 Liebesliederwalzer op. 52 (1869), das "Schicksalslied" (1871) und das "Triumph- lied" (1872). Levi brachte 1869, kurz nach der Bremer Uraufführung, "Ein Deutsches Requiem" und erreichte, daß Brahrns zur Wiederholung nach Karlsruhe kam und selbst dirigierte. Als Levi die "Matthäus-Passion" leitete, spielte Brahrns den Orgel part. Die Freundschaft Levi - Brahrns war im Grunde eine Dreierbeziehung: der dritte im Bunde war der Graphiker Julius Allgeyer, der in Karlsruhe ein Foto-Atelier unterhielt und sich mit Brahrns schon zehn Jahre zuvor bei Begegnungen in Düsseldorfer Künstlerkrei- sen befreundet hatte. An freien Abenden tra- fen sich die Freunde bei der musikfreudigen Familie Veit Ettlinger in der Zähringerstraße. Sehr gerne speisten sie im Nassauer Hof, wo sie die jüdische Küche der Familie Reutlinger schätzten. Man diskutierte viel über Opern- projekte; denn Levi wollte aus Brahrns un- bedingt einen Opernkomponisten machen und 275 veranlaßte einige Autoren seiner Bekannt- schaft, Libretti ftir Brahms zu schreiben. Der evangelische Pfarrer an der Karlsruher Stadtkirehe Emil Zittel dramatisierte den alttestamentlichen Stoff"Sulamith", A1lgeyer bearbeitete Calderons " Lautes Geheimnis", Anna Ettlinger verfaßte eine "Melusine". Auf Levis Anregung entwarf selbst Paul Heyse in München einen Operntext fur Brahms, ohne daß es gelang, den Komponisten als Konkur- renten von Wagner ftir das Musikdrama zu geWinnen. Als sich 1870 der Theaterdirektor Devrient in den Ruhestand zurückzog, strebte Levi weg von Karlsruhe. Mit dem Nachfolger Wilhelm Kaiser, der wenig Sinn ftir die Oper hatte, verstand er sich nicht. Einer ehrenvollen Berufung an das Bayerische Hoftheater konnte er nicht widerstehen, obwohl ihm der Großherzog dieselbe Gage ,vie München bot, das doppelte der bisherigen Bezüge. In München lockte ein erstklassiges Orchester von hundert Musikern und die Aussicht, neben "Tristan und Isolde " demnächst als erstes deutsches Opernhaus Wagners "Ring" geschlossen aufzuftihren. Am 5. Juni 1872 fand in Karlsruhe mit der Urauffiihrung des "Triumphliedes" von Brahms ein festliches Abschiedskonzert statt, bei dem der Bariton Julius Stockhausen mitwirkte, WOM Brahms eigens einige Lieder instrumentierte hatte. Clara Schumann spielte das Klavierkonzert ihres Mannes, und Levi dirigierte dazu die Achte Sinfonie von Beethoven. Damit endete glanzvoll die achtjährige Ära Levi in Karlsruhe. Mit Freund A1lgeyer siedelte er nach München über, wo er als Bayerischer Hofkapellmeister und Dirigent des Bayreu- ther "Parsifal" internationale Reputation erwarb. FrilhjofHaas Großherzog Friedrich I. (1826-1907) Das badische Herrscherhaus hat auf unübersehbare Weise Anteil an der Ge- schichte des Deutschen Kaiserreiches. Der badische Thronfolger Prinz Max von Baden verkündete 1918 als letzter Reichskanzler die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Er beendete damit, was sein Onkel Großherzog Fried- rich I. 1871 in Versailles als Sprecher der deutschen Fürsten mit der Proklamation Kaiser Wilhelms I. eingeleitet hatte. Anton von Werner hat diese Szene im Auftrag Friedrichs I. in einem Bild festgehalten, des- sen Kopie in Baden-Baden ebenfalls verstei- gert wurde. Großherzog Friedrich I. war mit einer 55jährigen Regentschaft ein " Glücksfall" ftir Baden. Er wurde am 9. September 1826 hineingeboren in die unruhige Zeit des Biedermeier und des Vormärz. Friedrich war 276 der zweite Sohn des seit 1830 regierenden Großherzogs Leopold und seiner Frau, der schwedischen Prinzessin Sophie. Zusammen mit seinem älteren Bruder erhielt er eine mehr bürgerliche als militärische Erziehung. Bei seinen Studien 1843-45 in Heidelberg und im Winter 1847/48 in Bonn befaßte er sich, angeleitet durch die Professoren Häusser, Schlosser und Dahlmann, mit den Ideen des Liberalismus und des Nationalstaates. Sie bestimmten später die Leitvorstellungen seiner Regentschaft. Diese mußte er 1852 ftir seinen geisteskranken Bruder antreten, 1856 nahm er die Würde des Großherzogs an. Kurz danach heiratete er Luise von Preußen, die Tochter des späteren Kaisers Wilhelm 1., mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte. Das Großherzogspaar gewann schnell die Sympathien der Landesbewohner, und die Skandalgeschichten um die Thronfolge der Nachfahren Großherzog Karl Friedrichs aus zweiter Ehe verstununten. Großherzog Fried- rich I. gelang es, die NachwirJ,;ungen der Revolution von 1848/49 und deren Nieder- schlagung durch preußische Truppen mit einer gegen jede Reaktion gerichteten Politik zu überwinden. Vertrauen bei der Bevölke- rung und Autorität gewann er endgültig mit seiner Osterproklamation von 1860. Sie leitete eine "Neue ÄIa" der badischen Politik ein. Eine Verwaltungs- und Justizreform, die Aufhebung des Zunftzwangs und die Emanzi- pation der Juden brachten dem Land einen großen gesellschaftlichen und wirtschaftli- chen Modernisierungsschub. Im Kulturkampf mit der katholischen Kirche wurde die konfessionelle Simultanschule und die Zivil- ehe eingefUhrt. Friedrichs Eheschließung mit einer preußi- schen Prinzessin war auch Ausdruck seines politischen Kurses. Dieser zielte auf die Schaffung eines leistungsfahigen klein- deutschen Nationalstaates unter preußischer Führung. An dieser Haltung hielt der Groß- herzog trotz der 1866 durch Verträge er- zwungenen Stellung gegen Preußen an der Seite Osterreichs in der schleswig-holsteini- schen Frage fest. Danach förderte er noch entschiedener als zuvor die Erreichung seines Lebenszieles. Daß der badische Fürst in Versailles das erste Hoch auf den deutschen Kaiser ausbrachte, hatte Symbolkraft. Wie kein anderer opferte er zugunsten der Nation eigene Souveränitätsrechte. Die badische Armee wurde preußischerTruppenteil , Baden verzichtete auf eine eigene Telegraphen- und PosIverwaltung .. Die Versuche Friedrichs 1., auch auf die Ausgestaltung der Reichsinstitutionen Ein- fluß zu nehmen, insbesondere eine stärkere Stellung der BundesfUrsten zu erreichen, blieben erfolglos. Seinem idealistischen Wollen fehlten klare Reformideen und die Fähigkeit zu machtpolitischem Kalkül. Bei aller sprichwörtlichen Liberalität blieb Fried- rich I. ein Gegner des Parlamentarismus. Diese monarchischen Vorstellungen waren aber, so sein Biograph W. P. Fuchs, " längst zum Untergang reif, bevor der Sturm über sie kam". Man/red Koch Luise Riegger (1887-1985) Im hohen Alter bezeichnete Luise Riegger sich selbst einmal als ein "wandelndes Geschichtsbuch". Geboren am 7. Januar 1887, erlebte sie den Ersten Weltkrieg und das Ende des Kaiserreiches . Doch sie "erduldete" den Lauf der Geschichte nicht, sondern versuchte stets, ihn aktiv mitzu- gestalten. So engagierte sie sich fUr das 277 Frauenstimmrecht und, trat nach Erlangung desselben 1919 der Deutschen Demokrati- schen Partei bei, der sie bis zu ihrer Auflösung 1933 angehörte. Von 1922 bis 1930 war sie in Karlsruhe Stadtverordnete sowie Mitglied des J ugend- und Schul aus- schusses. Hier verband sie politisches Engagement und Ehrenamt mit dem Beruf. 1909 war Luise Riegger mit der Jugendbe- wegung in Berührung gekommen. Bis 1913 leitete sie den Karlsruher Mädchen-"Wan- dervogel". Auch beruflich schlug sie den Weg der Jugendbildung ein. Sie hatte zunächst die höhere Mädchenschule besucht. Den in jener Zeit flir eine Frau noch ungewöhnlichen Wunsch, Juristin zu werden, verweigerten ihr die Eltern jedoch. So absolvierte sie eine zweijährige Frauenschule, besuchte eine Haushaltungsschule in Frankreich, um schließ- lich von 1905 bis 1909 im elterlichen Haushalt mitzuarbeiten. Anläßlich einer Einladung der Großherzogin - Rieggers Vater war Regierungsrat im badischen Innenministerium - traf sie eine ehemalige Schulkameradin, die inzwischen das Lehrerinnenseminar besuchte. Ohne das Wissen ihrer Eltern meldete sie sich daraufhin arn Prinzessin-Wilhelm-Stift an. " Ein Haus- halt braucht viele Hände, aber nur einen Kopf' , bemerkte sie zu ihrem Entschluß, dem elterlichen Hauswesen den Rücken zu kehren und das Lehrerinnenstudium aufzunehmen. Ihre erste Stelle trat sie 1913 in Zell im Wiesental an. Während des Ersten Weltkrie- ges begann sie sich mit der Geschichte der Frauenbewegung zu beschäftigen. Als Luise Riegger 1917 wieder nach Karlsruhe zurück- kehrte, war aus der Jugendbewegten auch eine Frauenbewegte geworden. Bis zu ihrem Tod sollte sie die Geschichte der örtlichen Frauenbewegung wesentlich mitprägen. Sie knüpfte Kontakte zu Gertrud Bäumer und Helene Lange und wurde 1931 zur Vorsitzen- den des "Badischen Verbandes flir Frauen- 278 bestrebungen" gewählt. Das vielfaltige Engagement dieser "aufrechten Demokratin" wurde durch den Nationalsozialismus unter- brochen. Im Juni 1933 teilte sie den Karlsruher Frauenverbänden mit, daß nach der Auflösung des "Badischen Verbandes flir Frauenbestrebungen" durch die Beauftragte der badischen Regierung und spätere Reichs- frauenfuhrerin Gertrud Scholtz-Klink auch die Karlsruher Ortsgruppe des Verbandes aufgehört habe zu bestehen. Die folgenden Jahre verbrachte Luise Riegger in "passivem Widerstand" . Als Lehrerin sah sie keine Möglichkeit, sich einer Aufnahme in die NS- Frauenschaft zu widersetzen. Doch schaffte sie es, einer Übernahme in die NSDAP entgegenzutreten. N ach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes beteiligte sich Luise Riegger aktiv am demokratischen Wiederaufbau. Sie war 1945 an der Wiedergründung der Demokrati- schen Partei, der späteren FDP, beteiligt. Allerdings räumte die Partei der erfahrenen Kommunalpolitikerin bei den folgenden Wahlen nie einen aussichtsreichen Listen- platz ein. Erst 1964 gelang ihr als N achrückerin der Einzug in den Stadtrat. 1946 rief Luise Riegger die überparteiliche Karlsruher Frauengruppe - später "Deut- scher Frauenring" - ins Leben, deren Vorsitz sie bis 1972 innehatte. Es war ihr ein Anliegen, daß Frauen lernen, Verantwortung zu tragen und flir ihre Rechte einzustehen. Die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Frauen- organisationen ehrte die große alte Dame der Karlsruher Frauenbewegung zu ihrem 95 . Geburtstag, indem sie ihrem Treffpunkt am Festplatz den Namen "Luise-Riegger-Haus" verlieh. Nach fast einem Jahrhundert gelebter Geschichte verstarb Luise Riegger am 8. Februar 1985. Barbara Guttmann Peter Treutlein (1845-1912) Ein Lehrerleben, wie manches in seiner Zeit: in Wieblingen bei Heidelberg geboren, studierte Treutlein dort an der Universität Mathematik und Naturwissenschaften, unter- richtete seit 1866 am Karlsruher Gymnasium, gab Lehrbücher heraus, die noch in der Weimarer Zeit benutzt wurden, und galt neben seinem Fleiß und seiner umfassenden Bildung als interessanter Lehrer. Bekannt wurde er wegen einerIdee, die vor 100 Jahren im "Schulkrieg" realisiert werden sollte. So martialisch nannte man die Auseinanderset - zung um die Mittelschulen, die heutigen Gymnasien. 1867 hatte die Regierung den 30jährigen Direktor Gustav Wendt aus Preußen sowohl als Leiter des hiesigen Gymnasiums wie als Oberschulratsmitglied berufen, um mit ande- ren dem Neuhumanismus neue Impulse zu geben, schien doch der Geist der Antike sich im philologischen Formalismus zu verflüchti- gen, wie es in erregten Landtagsdebatten hieß. Und das Gymnasium verfugte über eine Macht: die allgemeine Hochschulreife und das " Einjährige", nachdem Schüler mit Obersekundareife nur ein Jahr beim Militär zu dienen hatten. Die Gymnasialreform - spezieller als je die Oberstufenreform von 1972 - war ein Fortschritt, aber auch eine Verteidigung gegen die Versuche anderer Schul arten, dieses Monopol zu brechen. Nach verschiedenen Anläufen hatte sich erst 1863 eine Höhere Bürgerschule in Karlsruhe etabliert, einem Zug mit und einem ohne Latein, um die sich die "Realisten" im Unterschied zu den "Humanisten" scharten. Diese Schule spaltete sich bereits flinf Jahre später in ein Realgymnasium und eine Realschule, die dann zur Oberrealschule auf gestockt wurde. Da nicht nur die Latinität zum gesellschaftlichen Bewußtsein gehörte, "der anerkannt gebildeten Klasse anzugehö- ren", sondern z. B. auch die Mehrzahl der TH-Professoren einen Horror vor lateinlosen Studenten hatten, um nicht das Sozialprestige des alten Polytechnikums gegenüber den Universitäten beeinträchtigt zu sehen, fand 279 das Realgymnasium emen deutlichen Zu- spruch von Schülern. PetetTreutlein erwies sich in diesem Disput als weiterer Schrittmacher, denn er entwarf eine Stundentafel, in der in einem "Unter- gymnasium" Französisch als erste, dann Englisch als zweite Fremdsprache gelehrt werden sollte, der Unterricht in alten Sprachen aber erst aufdem "Obergymnasium" erfolgen konnte. In diesem als "Einheits- schule" bezeichneten "Refonngymnasium" sollten sich die Schüler möglichst spät für die Antike und damit für die allgemeine Hochschulreife entscheiden. Treutleins Plan wäre Papier geblieben, wenn sich nicht Oberbürgermeister Karl Schnetzier für ihn eingesetzt hätte. Dm interessierte dessen preisgekrönte Arbeit unter dem Titel "Woher rührt die Überflillung der sogenannten gelehrten Fächer, und durch welche Mittel ist derselben am wirksamsten entgegenzutre- ten?" Treutleins Entwurf wurde scharf angegriffen, und der sonst so liberale Wendt fragte, warum man sich ausgerechnet so intensiv mit der Sprache des "Erbfeindes", des Französischen, beschäftigen solle. Auch dem Oberschulrat erschien der Plan zu radikal, und so einigte man sich auf einen Kompromiß. 1896 konnte Treutlein, seit 1894 Direktor des Realgymnasiums, nach einem Beginn mit Französisch in Klasse 5, mit Latein in Klasse 8 und der Gabelung nach Griechisch oder Englisch in Klasse 10 mit dem Reformgymnasium beginnen, deren Sexta schon am Aufang 114 Schüler anzog. Als 1905 die ersten Oberprimaner ihr Abitur ablegten, war das Gymnasialmonopol bereits durchbrochen. Treutleins Schule, für die er den Namen "Goetheschule" vorschlug, wur- de so groß, daß sie bald mit einer zweiten, der Hurnboldtschule, einen festen Bestandteil im Karlsruher Schulwesen bildete. Und seine Fächerfolge neue, alte, neue Fremdsprache existiert als neusprachlieher Zug bis heute. Le·onhard Maller Kathinka Himmelheber (1898-1977) Sie gehörte 1945 zu den "Frauen der ersten Stunde". Kathinka Himmelheber, die früh den verbrecherischen Charakter des national- sozialistischen Regiroes erkannt hatte und den Abtransport einer ihrer besten Freundinnen nach Gurs erlebte, hatte im Frühjahr 1945 den festen Willen, am Neuaufbau mitzuarbeiten. "Es sind so viele gute Kräfte da, es gibt so viele wertvolle, gescheite und tatkräftige Frauen, warum sollten sie keinen Einfluß gewinnen können?", schrieb sie an eine nach Israel emigrierte Freundin. Es war ihr ein Anliegen, an die Tradition der deutschen Frauenbewegung vor 1933 anzuknüpfen, ohne einen Schritt zurückzugehen. Vielmehr wollte sie den Frauen Mut machen zum 280 "Vonvärtsgehen in die schwere Zukunft". So war es nur folgerichtig, daß sie 1946 zusammen mit anderen politisch aktiven Frauen wie Luise Riegger und Elisabeth Großwendt die "Karlsruber Frauengruppe" gründete, deren erste Vorsitzende sie wurde. Kathinka Himmelheber war bereits in ihrer Jugend durch ein weltoffenes, demokratisch gesinntes Elternhaus geprägt worden. Sie wurde am 16. Mai 1898 als Tochter des Regierungsassessors Max Herrmann und seiner Ehefrau Marguerite Chevalley, einer französischen Schweizerin, in Karlsrube geboren. Von 1905 bis 1917 besuchte sie die Viktoriaschule, ein privates "Töchter-Insti- tut". Wie viele andere Frauen der Karlsruber Frauenbewegung absolvierte sie sodann das Lehrerinnenseminar. Ihren eigentlichen Berufstraum vef\virklichte sie jedoch nach dem Lehrerinnenexamen 1918 mit dem Eintritt als Anwärterin rur den mittleren Bibliotheksdienst an der Technischen Hoch- schule. 1921 volontierte sie jeweils zwei Monate an der Nationalbibliothek in Wien, der Universitätsbibliothek München und der Deutschen Bücherei Leipzig. Im Frühjahr 1926 heiratete Kathinka Herrmann den Architekten Bernhard Himmelheber. Er war ein Sohn eines der bekannten Möbelfabrikan- ten Gebrüder Himmelheber und übernahm später gemeinsam mit seinem Bruder diese Firma. Kathinka Himmelheber schied nach ihrer Verheiratung aus dem Bibliotheksdienst aus. 1927 und 1929 gebar sie zwei Söhne. In jenen Jahren verfolgte sie die politische Entwicklung in Deutschland mit Besorgnis. Für sie war es durchaus vorhersehbar, daß die Nazis einen Krieg vom Zaun brechen würden. Der Krieg brachte die Einberufung Bernhard Himmelhebers und die zeitweise Evakuie- rung Kathinka Himmelhebers und ihrer Söhne nach Tübingen. Bei einem Luftangriff am 3. September 1942 wurde die Möbelfa- brik fast vollständig vernichtet. Infolge des kriegsbedingten Personalmangels war Ka- thinka Himmelheber als Buchhalterin in die Firma eingetreten. Bei Kriegsende, als beide Firmeninhaber zum Volkssturm eingezogen waren, flihrte sie die Geschäfte selbständig weiter und brachte die Fabrik wieder in Gang. In den folgenden Jahren war ihr die Frage der Friedenssicherung ein wichtiges politi- sches Anliegen. Ihre Tätigkeit im Ausschuß "Völkerfrieden" sowie in dem im Oktober 1949 gegründeten "Deutschen Frauenring", dem sich auch die "Karlsruber Frauen- gruppe" anschloß, brachte sie mit engagierten Kriegs-und Atomwaffengegnerinnen wie der Physikerin Freda Wuesthoff zusammen. Die ambivalente Haltung vieler Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung in der Frage der deutschen Wiederbewaffnwlg enttäuschte Kathinka Himmelheber. Sie zog sich zuneh- mend aus der Vorstandsarbeit der Frauen- gruppe zurück. Mit Freude und Engagement richtete sie in dieser Zeit jedoch innerhalb der Künstlerinnenvereinigung GEDOK die Ab- teilung "Kunstfreundinnen" ein. In ihrer Jugend durch einen musikalischen Vater geprägt, wandte sie sich im Alter wieder vermehrt der Musik zu. Sie verfolgte die neuesten Entwicklungen der Musikkultur und pflegte Kontakte zu jungen Karlsruher Komponisten. Zeitgenossinnen ist sie als eine weltgewandte, k.,.lturell bewanderte Dame in Erinnerung, in deren Haus namhafte Persön- lichkeiten der Kunst-und Kulturszene verkehrten. Kathinka Himmelheber verstarb am 9. Dezember 1977 in Bad Bellingen. Barbara Gullmann 281 Inge Stahl berg (1921-1985) Schon als sie siebzehn war, beschloß sie, einmal " irgendwie mit Büchern zu tun zu haben". Sie war die Tochter eines von den Nationalsozialisten amtsenthobenen Bürger- meisters einer kleinen Stadt im Hunsrück. Er sorgte ftir eine katholische Erziehung seiner beiden Kinder abseits der NS-Jugend-Er- fassung. Im Abiturzeugnis - 1941 - stand als Berufsziel Bibliothekarin. Da war der Bruder bereits gefallen, und auf die Tochter konzentrierten sich. alle Hoffnungen. Sie studierte erst Volkswirtschaft, hatte Statistik und Paragraphen aber bald satt und wechselte zu den Zeitungswissenschaften, den erträum- ten Druckmedien schon ein Stück näher. Daneben studierte sie Germanistik, Kunstge- schichte, Theologie und Psychologie. Im März 1945 schloß sie in Heidelberg im Hauptfach mit der Promotion ab. Bald nachdem die letzte Kriegsphase mit ihren schrecklichen Zerstörungen überstan- 282 den war, fand sie eine Stelle als Lektorin im "Badischen Buch-Verlag" in Karlsruhe. Hier kam sie in Kontakt mit der Militärregierung, entdeckte ihr organisatorisches Genie, bat die Eltern um Unterstützung und wagte es, eine eigene Verlagslizenz zu beantragen. Am 8. März 1946 - sie war eben erst 25 geworden- erhielt sie die Lizenz zur Gründung des Karlsruher Stahlberg-Verlages. Die Herstel- lung der Bücher in den Nachkriegsjahren war abenteuerlich: Vom Papier bis zum Faden mußte alles erst mühselig aufgetrieben werden, in den Druckereien fehlte es selbst an Blei. Das Verlagsprogramrn hatte zunächst restaurativ-humanistischen Charakter. Am wichtigsten: deutsche Erzähler des 19. Jahr- hunderts und die Reihe "Ruf der Jugend", mit der sie ihren schwer geprüften, noch unbekannten Altersgenossen ein Forum bieten wollte. Dies brachte sie in Kontakt mit Hans Werner Richter und den Autoren der Zeitschrift "Der Ruf ' in München, die frei- lich links gerichtet war. Sie zeigte sich jedoch flexibel und lud beide Autorenkreise 1947 zu einer gemeinsamen großen Tagung im oberbayrischen Neubeuern ein, unterstützt von der Gräfin Degenfeld. Zur Fusion kanl es nicht, aber die Tagung löste die Entwicklung der sogenannten " Gruppe 47" aus, die jahrzehntelang fur die progressive junge Literatur in Deutschland stand. Die Wäh- rungsreform brachte den jungen Verlag ins Schleudern; dennoch erschienen bis 1950 über ftinfzig Titel. Es war das Jahr der Wende. Inge Stahlberg tat sich mit kapital- kräftigen Gesellschaftern zusammen: mit Ernst Krawehl, aus einer Essener Industriellen- familie stammend, und dem Literatur- wissenschaftler Gerhard Heller, der beste Kontakte zu französischen Autoren mitbrach- te. Dies fuhrte zur Öffnung des Verlages ftir die internationale Szene. Unter den hochkarä- tigen Autoren wurden der Deutsch-Italiener Malaparte und der sprachgeniale Außenseiter Arno Schmidt die umstrittensten, die sogar Strafverfahren auslösten. Die Förderung anspruchsvoller Inhalte blieb ihr als Verlege- rin ausdrücklich wichtiger als wirtschaftliche Rendite. Ein Vierteljahrhundert lang steuerte sie das Verlagsschiff durch schwierigste Gewässer. 1968 zog Ernst Krawehl, der Betreuer Arno Schmidts, seine Anteile aus dem Unternehmen zurück. 1971 mußte sie endgültig an Holtzbrink verkaufen. Sieben Jahre später erhielt sie flir ihre profilierte verlegerische Tätigkeit das Bundesverdienst- kreuz am Bande. Sie lebte bis 1985. Im Karlsruher Frau + Zeit Verlag ist soeben anIäßlich des 50. Jahrestages ihrer Verlags- gründung eine kleine Biographie erschienen: "Fräulein Doktor wird Verleger. Inge Stahl- berg 1946". Sie selbst hatte in den drama- tischen Nachkriegsjahren einmal ihre Me- moiren versprochen, doch ihr Versprechen leider nie eingelöst. Heima Haslers Hermann Billing (1867-1946) Als 1905 sein Brunnen auf dem Stephan- platz in Betrieb genommen wurde, war der Skandal perfekt: 3468 "Frauen und Jungfrau- en der Stadt Karlsruhe" unterschrieben eine Protestschrift "gegen den das weibliche An- standsgeftih! verletzenden Brunnen". Aber auch so mancher männliche Bürger ereiferte sich über die Jugendstil-Formen, mit denen sich der neue Schmuckbrunnen als avantgar- distisches Kunstwerk präsentierte. Wieder einmal machte Hermann Billing seinem Ruf als kompromißloser Neuerer in seiner Hei- matstadt alle Ehre. 1867 geboren, hatte er sich nach ganzen vier Semestern Studium an der Technischen Hochschule und praktischer Tätigkeit in Ber- liner Büros bereits 1892 als freier Architekt in Karlsruhe niedergelassen. Bald schon zog er mit spektakulären Einsendungen rur Wett- b~werbe überregionale Aufmerksamkeit auf sich, und erste Aufträge stellten sich ein. Mit Werken wie der Hofapotheke in der Kaiser- straße oder der Bebauung der Baischstraße (vgl. S. 316f.) fuhrte er um die Jahrhundert- wende seine Vorstellungen von einer indivi- duellen, phantasievollen und farbigen Bau- kunst vor, die mit den Prinzipien des akade- mischen Bauens des Historiums radikal brach. In der Fachwelt war seine Anerkennung groß. Seit dem Ende der I 890er Jahre gab es kaum eine deutschsprachige Bau- oder Kunst- zeitung, die nicht regelmäßig Hermann Bil- lings neueste Projekte vorstellte. Doch auch in ganz Europa und den USA wurde sein Schaffen zur Kenntnis genommen, vor allem durch seine Raumausstattungen auf interna- tionalen Kunstgewerbeausstellungen, so zum Beispiel 1902 in Turin oder 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis. Renommierte 283 Großaufträge stellten sich nach 1903 ein, er- wähnt seien nur das Kieler Rathaus, die Kunsthallen in Mannheim und Baden-Baden, das Kollegiengebäude der Universität in Frei- burg und die Rheinbrücke in Duisburg. In Karlsnme konnte er dagegen in dieser bis 1911 dauernden Hauptschaffensphase - von öffentlichen Auftraggebern nach der Affare um den Brunnen auf dem Stephanplatz eher gemieden - keinen einzigen Großbau reali- sieren. So blieb etwa der qualitätvolle Wett- bewerbsentwurf f1ir den Hauptbahnhof auf dem Papier, obwohl er dafür den ersten Preis errungen hatte. So mußte sich Billing in der Stadt seines Wirkens mit vielen kleineren Privataufträgen zufriedengeben. Darüber hin- aus fand er Anerkennung in der Lehrtätig- keil: 1903 erhielt er eine Professur an der Akademie, 1907 wurde er zudem an die T ech- nische Hochschule berufen. 1m Laufe der Jahre glättete sich Bil1ings Stil hin zu ruhigeren, monumentalisierenden Formen und mündete schließlich unter dem Einfluß seines Hochschulkollegen Friedrich Ostendorf noch vor dem Ersten Weltkrieg in einen kühlen Neoklassizismus, der mit sei- nem früheren künstlerischen Gestalten kaum mehr etwas zu tun hatte. In den zwanziger Jahren war aus dem Avantgardisten der Jahr- hundertwende ein etablierter Lehrstuhlinha- ber und zeitweiliger Direktor der Landes- kunstschule geworden, nach dem man sogar schon zu Lebzeiten eine Straße benannte. Sein Spätwerk, das sich mit den zeitgenössischen Strömungen auseinandersetzt, ist jedoch nicht mehr stilprägend wie sein Schaffen vor 1911 , und nach seinem Tod 1946 geriet Billing mehr und mehr in Vergessenheit. Gerhard Kabierske Franz JosefLanzano "Der Strudel des Jahres 1849 erfaßte wie so viele auch mich; besinnungslos riß mich derselbe mit fort aus der teuren Heimat. Auf- richtig bereue ich meine Verirrung ... " So äußerte sich Franz Josef Lanzano in einem Gnadengesuch an den badischen Großherzog Friedrich 8 Jahre nach den revolutionären Ereignissen, die zu' einer deutlichen Zäsur in seinem Leben, jedoch nicht in den wirtschaft- lichen Ruin geflihrt hatten. 1856 war Lanzano schon seit längerem angesehener Bürger von Solothurn. So war er auch lediglich an einer Streichung aus der Liste der gesuchten Hoch- verräter interessiert, galt er doch als einer der wichtigsten radikaldemokratischen Unruhe- stiller aus der badischen Residenz. Seit 1841 war er Bürger Karlsruhes gewesen. In der Kronenstraße 5, nicht weit vom Schloß, be- trieb er eine Essigsiederei . Wie viele Bürger 284 engagierte er sich in verschiedenen Vereinen. Die Mitgliedschaft im Arbeiterbildungs- und im Turnverein deuten allerdings bereits auf seinen politischen Standort hin. Lanzanos Verhalten gegenüber den Behörden gehörte zum Katz- und Mausspiel der radikalen Op- position, wie die wiederholte Neuforrnienmg der Vereine nach Verboten unter anderem Namen. Die Aussagen einiger Wirte belegen weiter, daß Kaufinann Lanzano zu dieser Zeit einer der Hauptorganisatoren des politischen Vereinslebens in Karlsruhe war. Doch auch jenseits der Stadtgrenze versuchte Lanzano, im Sinne der Demokraten politisch zu wir- ken. Allerdings nicht immer mit Erfolg: in Rintheim löste sich ein noch in den Anfängen steckender Volksverein nach seinem Besuch sogar wieder auf. Ein schwäbischer Danton, der seine Zuhörer mitriß, scheint Lanzano demnach nicht gewesen zu sein. Im benach- barten Hagsfeld, wo er vor dem Volksverein und bei einer Volksversammlung auftrat, war er jedoch erfolgreicher. Durch die Revolution 1848 ruckte Lanzano dann zu einem der höchsten Funktionsträger im Karlsruher Raum auf. Der regierende Lan- desausschuß setzte ihn arn 14. Mai als Zivil- kommissär fur den Landarntsbezirk Karlsru- he ein. Außerdem gehörte er dem Sicherheits- und Wehrausschuß der Hauptstadt an. Für die - ähnlich wie Karlsruhe selbst - der Re- volution überwiegend ablehnend gegenüber- stehenden Landgemeinden des Bezirks be- deutete seine Wahl harte Zeiten, denn er war beispielsweise nicht bereit, ihre Hinhaltetaktik bei der Mobilisierung des I. Aufgebots hin- zunehmen. Belegt sind von ihm veranlaßte " Exekutionszüge" nach Linkenheim und Teutschneureut, um die Dörfler mit militäri- schem Druck zur Räson zu bringen. Als die politischen Spannungen in der revolutionären Führung zwischen dem eher zaghaft agieren- den Lorenz Brentano und dem entschiedenen Republikaner Gustav Struve eskalierten be- kannte Lanzano eindeutig Farbe. Auf die Ende Mai umlaufenden Gerüchte von einem kon- terrevolutionären Putschversuch reagierte er mit der Aufstellung einer Sicherheitswache, und arn 6. Juni gehörte er zu jenen Mitglie- dern von Struves "Klub des entschiedenen Fortschritts" , die Brentano mit Hilfe der Karlsruher Bürgerwehr im Rathaus festset- zon ließ - und so den Machtkampf [ur sich entschied. Die Konsequenzen seiner Zugehö- rigkeit zur unterlegenen Radikalopposition sind ebensowenig bekannt, wie der Zeitpunkt von Lanzanos Flucht aus Karlsruhe. Nach einem Aufenthalt in Peterstal im Juli 1849 verliert sich seine Spur, bis er 1851 in Solo- thum auftaucht. Eine Auslieferung hatte er trotz Bemühens der badischen Behörden nicht zu fürchten, da er nicht zur obersten revolu- tionären Führungsebene gehörte. Vom "poli- tischen Treiben" hielt er sich nach Auskunft des Solothumer Ammanns seither zugunsten seines " ziemlich ausgedehnten F abrikge- schäfis" fern . A lexander Mohr Theodor11unz(1868-1947) Im Mai 1932 wurde der Leiter des renom- mierten, im Jahre 1899 gegründeten Munz- sehen Konservatori ums Theodor M unz we- gen seiner "Verdienste bei der Gestaltung des israelitischen Gottesdienstes" in 40jäh- riger Tätigkeit von dem Karlsruher Stadt- rabbiner Dr. Hugo Schiff geehrt. Ein Zei- tungsbericht hob hervor, daß Munz es ver- standen habe, "den Synagogenchor auf eine anerkannte künstlerische Stufe zu heben", und daß er auch durch eigene synagogale Kom- positionen hervorgetreten sei, die voti "fei- 285 nem Einfuhlungswesen in das Wesen dieses Zweiges geistlicher Musik" zeugten. Bis 1936, als ihn die nationalsozialistischen Machthaber zum Rücktritt zwangen, leitetete Munz den Chor. Theodor Munz war am 11. Mai 1868 in Seelbach bei Lahr als neuntes Kind des Schuh- machers und Landwirts Jakob Munz geboren worden. Sein Vater übte außerdem auch noch die Ämter des Gemeinderechners und des Waisenrichters in der kleinen Gemeinde aus. In seinem Geburtsort gründete der jugendli- che Munz den Männergesangverein Lieder- kranz, der auch seine ersten Kompositionen auffuhrte. Den begabten Musiker flihrte der Weg nach Abschluß seiner schulischen Aus- bildung am Gymnasium in Lahr in die badi- sche Residenzstadt Karlsruhe, wo er an dem von Heinrich Ordenstein geleiteten Groß- herzoglichen Konservatorium ausgebildet wurde. Sofort nach der erfolgreichen Ab- schlußprüfung im Jahr 1890 erhielt er dort auch eine Anstellung als Klavierlehrer. Noch während seiner Lehrtätigkeit am Konserva- torium übernahm er Organistendienst und Chorleitung an der Synagoge. Außerdem di- rigierte er verschiedene Chöre, darunter die beiden Mühlburger Männergesangvereine Liederkranz und Frohsinn. 1904 übernahm er flir fast 25 Jahre die Leitung des Karlsru- 286 her Instrumentalvereins, dessen "abwechs- lungsreiche Programme" von einem "anhäng· lichen Publikum" geschätzt wurden, wie ein zeitgenössischer Kenner der Karlsruher Mu- siklandschaft 1915 vermerkte. Zu diesem Zeit- punkt hatte Munz bereits zum zweiten Mal geheiratet. Aus der Ehe mit seiner ersten Ehe- frau Johanna waren drei Kinder hervorge- gangen, mit seiner zweiten Frau Ida, gebore- ne Issleiber, hatte er noch eine Tochter. Das eigene Konservatorium in der Amalien- straße 65 gründete er im September 1899 als "Pädagogium flir Musik". Da die Räume dort rasch zu klein wurden, zog das inzwischen in "Munzsches Konservatorium" umbenannte Institut in die Waidstraße 79. Dort erlebte die Musikschule, die im Jahr 1919 staatlich anerkannt wurde, in den 20er Jahren ihre Blütezeit. Zeitweise 1.500 Schüler wurden von den rund 50 Lehrkräften unterrichtet, Fi- lialen bestanden in Durlach, Ettlingen, Bretten und Bruchsal. So war es gewiß nicht über- trieben, wenn anläßlich seines 70. Geburtsta- ges festgestellt wurde, daß Theodor Munz in ftinf Jahrzehnten "Generationen von jungen Menschen und Schülern zu künstlerisch emp- findsamen Menschen, zu Musikfreunden und nicht zuletzt zu ausübenden oder schaffenden Tonkünstlern praktisch ausgebildet" hat. Sein bekanntester Schüler war der spätere Kom- ponist Hans Erich Apostel. Als weiterer Höhepunkt in der Entwick- lung des Munzschen Konservatoriums war im September 1932 der neue Konzertsaal auf dem Rückgelände des Anwesens Waidstraße 79 in Betrieb genommen worden. Dieser blieb im Gegensatz zum stark beschädigten Haupt- gebäude von Bombentreffern im Zweiten Weltkrieg verschont, so daß er nach dem Krieg zunächst vom Kammertheater genutzt werden konnte. Theodor Munz starb am 28. Juli 1947. Ein Nachruf würdigte den "Kirchenkomponisten Theodor Munz", den Gründer des "landauf, landab als vorzügliche Musikerziehungsan- stalt bekannten Munzschen Konservatoriums, der das Institut fast ein halbes Jahrhundert hindurch mit unverminderter und sprichwört- lieh gewordener Tatkraft und Umsicht be- treute". Nach seinem Tode übernahm Sohn Theodor das Institut, das nach dessen Tod im Jahr 1975 geschlossen wurde. Ernst 0/10 Bräunehe Christian Friedrich Müller (1776-1821) Mit dem I. September 1797 beginnt ein bedeutendes Kapitel der Karlsruher Buch- handelsgeschichte, denn dieses Datum trägt die UrkWlde, mit der dem 21jährigen Buch- händler Christi an Friedrich Müller das Privi- leg zur Errichtung einer Buchhandlung erteilt wurde. Wenig später erhält er auch die Ge- nehmigung zur Anschaffung einer Buch- druckpresse. Damit war die formelle Grund- lage f1ir die Entwicklung der C. F. Müller' sehen Hofbuchhandlung geschaffen. Christi an Friedrich Müller war das achte Kind des Karlsruher Hofbuchbinders Chri- stian Andreas Müller. Nachdem ihn sein Va- ter in die Anfangsgründe des Buchbinder- handwerks eingeflihrt hatte, macht sich der junge Mann von 1791-1796 auf eine ftinf- jährige berufsbildende Wanderschaft, wäh- rend der er sich in wichtigen Städten des Buchhandels wie NÜfnberg, Leipzig, Prag und Frankfurt aufhielt. Er hatte sich entschlossen, Buchhändler zu werden. Diesem Ziel stellten sich indes unerwartete Hindernisse entgegen. Seine an die markgräfliehe Verwaltung ge- richteten Anträge versuchten vor allem die eingesessenen Konkurrenten Macklot und Schmieder zu Fall zu bringen. Ein an seinem bereits angernieteten Laden- lokal in der Langen Gasse - heute etwa zwi- schen Lamm- und Ritterstraße gelegen - an- gebrachtes Firmenschild "Müller' sehe Buch- handlung" läßt die Stadtverwaltung auf Be- treiben seiner Gegner entfernen. Sein Privileg erhält der zielstrebige junge Mann schließlich durch direkte Intervention des Markgrafen Karl Friedrich, der ihn aller- dings auf das wirtschaftliche Risiko seines Unterfangens ausdrücklich hinweisen ließ. Auch die strikten Zensurvorschriften der Zeit behindern publizistische Tätigkeit. Alle Druckprodukte mit mehr als 16 Seiten waren dem Zensor vorzulegen. Chr. Fr. Müller for- dert die Zensur - durch Kenntnis ihrer Lük- ken - wiederholt heraus, etwa durch anony- me Verfasserangaben oder durch fiktive Ver- lagsorte. Als anschauliches Beispiel konnte ein Titel wie der folgende gefunden werden: "Geheime und wichtige Nachrichten von Bruchrhein ( ... ). Für Bürger und Landleute, auch fur Staatsmänner lesbar. Rheinstram 1797". Müller erhält aber bereits 1803 das Privileg f1ir den Verlag des "Provinzialblattes der Badischen Markgrafschaft". 1804 wird eine Kupferdruckerei errichtet. 1806 bezieht die Familie und das Unternehmen das von 287 Chr. Fr. Müller errichtete zweistöckige Ge- schäftshaus in der Herrengasse 26 - heute Herreilstraße (später Sitz der Drogerie Roth). In diesen Jahren ensteht ein imposantes Ver- lagsprogramm, dessen Höhepunkt das Privi- leg flir die Herausgabe des Code Napoleon als Badisches Landrecht sowie die dazuge- hörigen 6 Bände der Erläuterungen von Staats- ratJ. F. N. Brauer in den Jahren 1809-1812 markieren. Die noch heute berühmte "Flora Badensis A1satica ( ... )" von Carl Christian Gmelin erscheint in wel1Voller Ausstattung 1805-1807. Die frühe Bekanntschaft mit Jo- hann Peter Hebel fuhrt dazu, daß dessen Er- ben der Witwe von Chr. Fr. Müller später die Rechte am gesamten literarischen Nachlaß des Dichters übertragen. Im Jahre 1807 stirbt seine Frau Wilhelmi- ne. die Ehe war kinderlos geblieben. Schon ein Jahr später heiratet Chr. Fr. Müller in Rastatt die Schwester seines Studienfreundes Carl Friedrich Bougine. Emestine war die Tochter von Carl Joseph Bougine, dem Amts- vorgänger von J. P. Hebel als Rektor des Gymnasiums. Aus dieser Ehe überlebten 2 von 5 Kindern, die Söhne Wilhelm und Carl, die später von ihrer Mutter die Geschäfte übernahmen. Kaum in die Herrengasse über- siedelt, beginnt Chr. Fr. Müller nach Plänen von Friedrich Weinbrenner mit dem Bau grö- ßerer Geschäftsgebäude auf dem Gelände Ecke Rittergasse - Zirkel, das sich später bis zur Lammstraße ausdehnt (heute Peek & Cloppenburg). Es bleibt flir 150 Jahre Sitz der Firma. Mit dem Erfolg beginnt sich die Gesundheit des rastlos tätigen Mannes zu ver- schlechtern. Christian Friedrich Müller, "nicht imstande ruhiges Verhalten zu üben", stirbt am 31. August 1821. ChrislojMüller-Wirlh Luise von Baden (1838-1923) Die Beerdigung der verstorbenen Großher- zogin von Baden vor 75 Jahren, am 27. April 1923 in Karlsruhe, war eine große Veranstal- tung. "In ununterbrochenem Zug bewegten 288 sich Tausende und Abertausende von Teilnehmern aus allen Schichten der Bevöl- kerung an der Aufbewahrungsstätte vorbei", berichtete der " Badische Beobachter". Ver- treter der republikanischen Regierung fehl- ten, aber ein Ministerialrat legte im Auftrag des Staatsministeriums am Sarge einen Kranz nieder mit der Schleifenaufschrift " Der Wohltäterin der badischen Heimat". Und das war auch der Grund für die Anhänglichkeit funf Jahre nach dem I. Weltkrieg an eine Preußin, die bei ihrem ersten Empfang in Baden 1856 wahrlich nicht all jene Erinnerungen an ihren Vater, Prinz Wilhelm, auslöschen konnte, der als "Kar- tätschenprinz" 1849 die badischen Re- volutionstruppen zerrieben hatte. Mit 15 lernte sie, die geborene Berlinerin, Friedrich v. Baden kennen. Eine Liebesheirat, auch wenn Ehemann und Vater politische Aspekte mit der Anlehnung Badens an Preußen verbanden, und ihre glückliche Ehe in 51 Jahren galt als Vorbild im Lande. Mit Intensität, die ihr ganzes Leben kennzeichne- te, versenkte sie sich in die badische Geschichte, ging als junge Fürstin häufig in das Theater und protokollierte Lektüre, Gespräche, Gedanken. Eine Tochter, Victoria, später Königin von Schweden, und zwei Söhne wurden geboren. Der Jüngste, Ludwig, starb mit 23 Jahren 1888. Der Älteste wurde 1907 der letzte badische Großherzog Fried- rich 11. Anfangs nahm sie an den Konferenzen ihres Mannes mit den Ministern teil, wenngleich sie manche politischen Schachzü- ge nicht ohne Mühe akzeptieren konnte, ja Tränen standen in ihren Augen, als sie 1866 badische Truppen gegen die preußische Main-Annee ausrücken sah. Um so stolzer war der Augenblick, als im Januar 1871 ihr Mann im Versailler Schloß das Hoch auf ihren Vater, Kaiser Wi1helm 1., ausrufen konnte. Aber sie beschränkte sich nicht auf das übliche Hofleben. Frühzeitig, 1859, gründete sie den "Badischen Frauenverein" in der Nachfolge von Organisationen, die schon die Großherzoginnen Stephanie 1813 und Sophie 1831 ins Leben gerufen hatten. Luise empfand sich hier nicht als reine Repräsen- tationsfigur, sondern als mitreißende Organi- satorin, die landauf landab fuhr, um in den kleinsten Gemeinden dieser Schwester, jener Helferin - bei blendendem Narnensgedächtnis bis ins hohe Alter - mit einem Bild, einer Medaille als Anerkennung flir jene Solidarität zu danken, die bei wachsenden sozialen Problemen im rasch sich industrialisierenden Baden nötig wurde. Die 6 Abteilungen des Frauenvereins betreuten Krankenpflege wie Kliniken, Kin- derkrippen wie Altersheime. Besonderer Wert wurde auf die Frauenbildung gelegt, und das fing bei Kochschulen an und reichte bis zur Vorbereitung zur Haushaltungslehrerin. Mit dem Mädchenschulwesen nahm Baden eine flihrende Position ein, und in der "Frauenfrage" galt Luise als jene, der es gegeben war, "aus dem Alten in das Neue hineinzugehen." In der refornlierten Gemein- deordnung 1910 war es verpflichtend, daß in "Kommissionen für das Annenwesen, für Unterrichts- und Erziehungsangelegenheiten, fur das öffentliche Gesundheitswesen Frauen als Mitglieder angehören müssen", ja ein Viertel mit Sitz und Stimme einnehmen sollten. Getragen wurde Luise von tiefer Religiösität, rur manche in sehr pietistischem Sinne. Diese gab ihr wohl auch die Gelassenheit, als sie nach plötzlichem Abzug aus dem Karlsruher Schloß im November 1918 und der Abdan- kung ihres Sohnes ihre letzten Lebensjahre verbrachte oder war es Unverständnis fur den Umbruch der Zeiten? "Ich möchte 150 Jahre alt werden", sagte sie, "um die Wiederauf- richtung des deutschen Volkes zu erleben." Die Trauerfeier in der Weimarer Republik war jedenfalls mehr als eine Reverenz der alten Minister und Beamten. Die Badener hatten eine Preußin als "Wohltäterin ihrer Heimat" erlebt. Leonhard Müller 289 Leopold Rückert (1881-1942) Am 11. November 1942 starb in Karlsnme ein Versicherungsvertreter an einem Herz- schlag. Angeblich soll er kurz vor seinem Tod von der Gestapo verhört worden sein. Der Mann hieß Leopold Rückert. Mit seiner Geburtsstadt Karlsruhe, wo Rückert arn 20. April 1881 zur Welt ge- kommmen war, blieb er stets eng verbunden. 1905 übernahm er die GeschäftsfUhrung des Metallarbeiterverbandes in Karlsruhe und empfahl sich mit Tatkraft und Sachverstand als effizienter Interessenvertreter seiner Kli- entel. So erfolgte 1909 die Wahl des SPD- Politikers in den Bürgerausschuß und die Karlsruher Stadtverordnetenversarnmlung. Die Tatsache, daß in Karlsruhe im No- vember 1918 die Weichen fUr die politische Zukwtft Badens im Zuge der Revolution ge- stellt wurden, katapultierte ihn schlagartig in die erste Reihe der Politik. Am Vormittag des 10. November 1918 spielte Rückert bei der Erstellung der Ministerliste fUr die provisori- 290 sehe badische Regierung im Karlsruher Rat- haus die fUhrende Rolle, wobei er sich be- mühte, Männer fUr Regierungsämter zu ge- winnen, die auch jeweils bei den anderen Parteien geschätzt wurden. Er suchte in der Stunde des Umsturzes eine möglichst breite Grundlage fUr die provisorische Regierung mit ihren sch\vierigen Aufgaben. Dabei ging er so zurückhaltend vor, daß er auf die Frage, welches Ressort er, Rückert, zu übernehmen gedenke, antwortete, er könne sich doch nicht selbst auf die Ministerliste setzen. Schließ- lich trat er an die Spitze des neugebildeten Verkehrsministeriums. Rückert ließ sich fUr die SPD auch fur die Parlamentswahlen des Januar 1919 aufstel- len. Er wurde nicht nur als Vertreter des Wahl- kreises Karlsruhe in die Badische National- versammlung gewählt, sondern auch in die Deutsche NationalversammlUng in Weimar. Auf Reichs- und Landesebene beteiligte sich Rückert maßgeblich an den Arbeiten zur Schaffung neuer verfassungsmäßiger Grund- lagen. Er befUrwortete eine starke Position der Reichsregierung und den Abbau der Reservatrechte der Länder, war aber ein Geg- ner der Finanzreform Erzbergers, die die Reichsfmanzen und damit die Zentralgewalt sehr stärkte. Daher forderte Rückert, die Län- der müßten auf grund ihrer wichtigen kultu- rellen und sozialen Aufgaben das Zuschlags- recht zur Einkommens- und Körperschafts- steuer bekommen. Bei der Neuformation der Staatsregierung nach der neuen Verfassung im Frühjahr 1919 wechselte Rückert, dessen bisheriges Mini- sterium aufgelöst wurde, an die Spitze des Sozial- und Arbeitsministeriums. In den Jah- ren nach Ende des Krieges mit seinen zahl- reichen Problemen der Reintegration von Sol- daten ins Arbeitsleben, Arbeitslosigkeit, Nah- rungsmittelmangel, Preistreiberei u. a. war der Minister auch hier wieder besonders ge- fordert und setzte alles daran, die Lage be- sonders der änneren Bevölkerungsschichten zu bessern. Im Zuge eines in Konkurs gerate- nen Siedlungsunternehmens, fiir das er sich sehr eingesetzt hatte, geriet Rückert politisch stark unter Druck. Er trat am 19. Januar 1921 von seinem Amt zurück. Fortan konzentrierte er sich neben seiner beruflichen Tätigkeit als Geschäftsfiihrer im Zentralverband der Angestellten und Landes- vorsitzender der freien Angestelltenverbände auf seine parlamentarischen Aufgaben. Als Parlamentarier vermochte Rückert eine rege und vielgestaltige Tätigkeit zu entfalten. Die SPD-Fraktion wählte ihn 1925 zum 3. , 1928 zum 2. und 1931 schließlich zu ihrem I. Vor- sitzenden. Ende Juni 1931 wurde Rückert vom Land- tag zum Staatsrat gewählt. Ein Jahr später wurde er mit der Wahrnehmung der Geschäf- te des Innenministers betraut, d. h. er tat die Arbeit, fuhrte aber nicht den Titel eines Mi- nisters. Als letzter Vertreter der SPD in der Regierung vom Zentrum dominierten Regie- rung hatte Rückert die schwere Aufgabe zu meistern, zugleich den Einfluß der SPD im Kabinett geltend zu machen und mit seinen Kollegen von den anderen Parteien gut zu- sanunenzuarbeiten, um den rein sachlichen Erfordernissen seines Amtes genügen zu kön- nen. Im November 1932 trat er als Staatsrat und Leiter des Innenministeriums zurück. Die von den Nationalsozialisten ausge- hende Gefahr erkannte Rückert sehr deutlich. Mit scharfen Worten trat er im Landtag der verleumderischen Agitation der National- sozialisten entgegen, die den Parlamentaris- mus und den freien Willen des Volkes kne- beln wollten und selbst zu keiner konstrukti- ven Leistung fahig seien. Im Frühjahr 1933 w-.trde der 52jährige in "Schutzhaft" genom- men. Als Rückert neun Jahre später starb, war er körperlich, aber nicht geistig ein gebrochener Mann. Frank Raberg 291 Carlsruher Blickpunkte Der Gutenbergplatz. Von der Richtstätte zum Marktplatz Plätze in der Stadt erfullen vielfaltige Funktionen. Sie gliedern den Stadtraum und sind somit Orientierungspunkte. Sie sind zentrale Orteftir Märkte und Feste, dienen als Verkehrsverteiler oder grüne Oasen inl Häu- senneer. Zugleich spielen sie aber auch eine Rolle bei der Selbstdarstellung der Stadt durch die geltenden Baubestimmungen und die dort aufgestellten Denkmäler, Brunnen oder Freiplastiken. Es gibt städtische Plätze, die über Jahrhunderte im wesentlichen unverändert ihre Zweckbestimmung beibe- hielten. Andere aber wandelten unter dem Einfluß der Zeitläufe ihren eharak1er entscheidend. Hier soll als Beispiel eines solchen Platzes der Gutenbergplatz in den Blickpunkt gerückt werden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schickte sich Karlsruhe an, aus einer kleinen Resi- denzstadt zur Hauptstadt eines deutschen Mittelstaates zu werden. Damals lag weit vor den Toren der Stadt zwischen Weiden, Wiesen und Hardtwald auf dem Weg nach Mühlburg die Richtstätte des Stadtbannes Karlsruhe. Dorthin strömten am 27. März 1829 zahlreiche Schaulustige, um die Hin- richtung der Brüder Damian und Qualibert Maisch mitzuerleben. Sie hatten fast zwei Jahre zuvor einen Raubmord an dem Melker Johann Reinhard verübt. Bürgerkavallerie und Militär war aufgeboten, die Menge im Zaum zu halten und den geordneten Ablauf des Vollzugs der Todesurteile zu sichern. Der Scharfrichter trennte "durch zwei glückliche Streiche die Köpfer beider von ihrem Rumpfe, und zwar zuerst jenen des Qualibert, und dannjenen des Damian", der als Anstifter der Tat den Tod seines Bruders miterleben mußte. Das durchaus nicht unübliche Spek1a- Hinrichtung der Brüder Qualiberlllnd Damian Maisch am 27. März 1829. kel, die Köpfe auf Pfahle aufzustecken, war auf Befehl des Großherzogs unterblieben. Wie sich herausstellte, sollte dies die letzte Hinrichtung auf dieser Richtstätte sein. Die öffentliche Vollstreck"UIlg eines Todesurteils fand in Baden zum letzten Mal 1854 in Rüppurr statt. Die ehemalige Richtstätte zwischen der nach Mühlburg fuhrenden Allee und dem Landgraben verpachtete die Stadt im Jahre 1865 an die Schützengesellschaft. Deren Verbleib auf dem Gelände an der Rüppurrer-/Schützenstraße machte der Bau der Südstadt unmöglich. 1867 wurden mit einem festlichen Landesschießen das neue Vereinsheim und die Schießstände an der Mühlburger Allee eingeweiht. Wo vonnals zum Tode Verurteilte hingerichtet wurden, fanden nun Schießübungen statt. Das Wachstum der Stadt holte den Schützenverein 293 jedoch schon 24 Jahre später ein. Im Jahre 1886 war Mühlburg eingemeindet worden und entlang der in Kaiserallee umbenannten Straße nach Mühlburg wuchsen neue Stadt- viertel. 1891 bezog die Schützengesellschaft ein neues Heim im Hardtwald. Zwischen Kaiserallee und Kriegs- bzw. Weinbrennerstraße entstand ein Quartier aus Miethäusern, Handwerks- und Industriebetrie- ben. Hier lebten Arbeiter, Angestellte und kleine Gewerbetreibende. Stadtteilprägendes ZentrunI der Weststadt sollte nach dem Willen der Karlsruher Stadtplaner der Gutenbergplatz werden. Für die Anlage eines Platzes waren sicher die Gedanken von Reinhard Baumeister maßgeblich. Er gilt mit seiner Schrift " Stadterweiterung in techni- scher, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung" als Begründer des wissenschaft- lichen Städtebaus. Begrünte Freiflächen waren bei der Neuplanung von Stadtteilen nach seiner Auffassung unbedingt notwendig. Baumeister, Professor an der Tec1mischen Hochschule, war 1891-1908 zugleich Stadt- verordneter in Karlsruhe. Von 1897-1911 entstand der 'Gutenberg- platz und seine Randbebauung. 1904 war entschieden, daß entgegen Baumeisters Vorstellungen eine Parkanlage nicht möglich war. Der bisher in der Sophienstraße- sie war nach der Überdeckung des Landgrabens entstanden - abgehaltene Markt wurde auf den neuen Platz verlegt. Eine Doppelreihe Linden und ein 1908 enthüllter monunlentaler Brunnen von Friedrich Ratzel gaben ilml sein charakteristisches Aussehen. An seiner Nord- 294 seite entstanden 1898-1902 und 1905-1908 die Gebäude für eine Mädchen- und eine Knabenvolksschule. An der Sophienstraße im Süden erhielt die Gutenbergschule mit dem Neubau des Mädchengymnasiums von 1908- 1911 ein bauliches Gegenüber. "Unter der Führung ihrer Lehrer und Lehrerinnen zogen am Vormittag des 1. Okiober 1900 die Schülerinnen mit klingen- dem Spiel und fliegenden Fahnen nach dem neuen Heim auf dem ehemaligen Schützen- platze. " Sie kamen aus dem Schulhaus Wald- straße 83, das von den Schülerinnen des Mädchengynmasiums benötigt wurde. Acht Jahre später sagte der Leiter der neuen Knabenvolksschule bei der Eröffnung, mögli- cherweise inspiriert von dem entstehenden Brunnen auf dem Gutenbergplatz: " Möge das neue Gebäude ein Bromlen der Volksbildung werden, dessen Strahlen ausgehen zum Segen der Schule, der Gemeinde und des Vaterlan- des." Nach dem Heaker und den Schützen hatten nun also die Pädagogen und ihre Schützlinge dem Platz eine neue friedfertige- re Funktion gegeben. Seit 1923 erfullen einmal im Jahr die Kinder auch den neuen Platz mit Leben. Der Bürgerverein Weststadt veranstaltete damals das erste Lindenblütenfest, mit dem der Jugend einige Stunden ungetrübter Lebens- freude geschenkt werden sollte. Zentrum der Weststadt, Marktplatz, Festplatz, das ist der Gutenbergplatz seitdem geblieben. Die zusätzliche Aufgabe, Parkplatz zu sein, erhielt er erst im Laufe der zmlelmlenden Motorisierung mlserer Tage. Man/red Koch Der Wettbewerb um ein Denkmal für die Fliegeropfer des Ersten Weltkrieges Karlsruhe zählt zu den wenigen Städten in Deutschland, die nicht erst im Zweiten Weltkrieg, sondern bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts den schrecklichen Folgen der modemen Luftkriegstechnik ausgesetzt wa- ren. Die verheerendsten Folgen hatte die französische Fliegeroffensive vom 22. Juni 1916, als die etwas zu früh ausgelösten Bomben, die eigentlich das alte Bahnhofs- gebäude an der Kriegsstraße treffen sollten, in eine Menschenmenge aru Festplatz fielen. Dort gastierte gerade der Zirkus Hagenbeck; einige hundert Besucher, vor allem Kinder und Jugendliche, befanden sich im Zirkuszelt. Bilanz des Blutbades aru Fronleichnamstag 1916: 169 Verletzte und 120 Tote, darunter 71 Kinder. Fürdie Fliegeropfer des Ersten Weltkrieges wurde seit 1915 auf dem Karlsruher Haupt- friedhof ein gemeinsarues Bestattungsfeld angelegt. Zwei Grabreihen bildeten zunächst ein spitzes, offenes Dreieck, in dessen Innern im Verlauf der Kriegsjahre !Unf weitere Reihen angelegt werden mußten. Die Stadt Karlsruhe übernahm die Kosten fur die Beerdigung der getöteten Zivilpersonen; die gartenarchitektonische Gestaltung und die Pflege des Gräberfeldes wurde der Städti- schen Gartendirektion übertragen. Zunächst markierten einfache schwarze Holzkreuze die einzelnen Ruhestätten, Ende der zwanziger Jahre wurden sie durch einheitliche Gedenk- steine ersetzt. Für die äußere Reihe des dreieckigen Feldes wählte man schlichte Stelen, !Ur die Gräber der Innenfläche stili- sierte Steinkreuze. Die Idee, auf der Ruhestätte ein kollektives Erinnerungszeichen !Ur die Opfer der Flieger- angriffe in Karlsruhe zu errichten, war von Wetlbewerbsmodell von Karl Walllllnd Wladimir Zabo/in. Anfang an mit den Planungen der Anlage verbunden gewesen. Konkrete Formen nahm das Vorhaben seit Oktober 1919 an, als sich der "Künstlerverband Badischer Bildhauer" mit der Bitte an die Stadt wandte, die schlechte wirtschaftliche Lage der freiberuf- lich arbeitenden Bildhauer durch öffentliche Ankäufe und Wettbewerbe zu verbessern. Dabei brachte man auch das projektierte Denkmal fur die Fliegeropfer und das Ehrenmal auf dem Kriegerfriedhof wieder in Erinnerung. Der Vorschlag fand positive 295 Resonanz; bereits wenige Monate später konnten die vom Städtischen Hochbauamt ausgearbeiteten Wettbewerbsbedingungen bekanntgegeben werden. Bis zum Abgabeterrnin im Dezember 1920 gingen 14 Entwürfe flir das Denkmal auf der Grabstätte der Fliegeropfer und 21 Modelle für das Soldatenehrenmal ein. Die Jury, der auch die Bildhauer Alfred Lörcher aus Stuttgart und Hubert Netzer aus Düsseldorf angehörten, verlieh den ersten Preis für das Fliegeropferdenkmal einstinunig der Ge- meinschaftsarbeit von Karl Dietrich und Arthur Valdenaire. Sie zeigt eine neoklassizi- stische Wandarchitekiur mit einer sitzenden Frauengestalt, die ein kleines Kind in ihren Armen hält. Der zweite Preis wurde dem Entwurf von Emil Sutor zugesprochen, der gleichfalls eine Mutter-w1d-Kind-Gruppe eingereicht hatte, dieser jedoch durch die anklagend-verzweifel te Gebärdensprache sei- ner Figuren eine ungleich ausdrucksstärkere Wirk=g verlieh. Den dritten Preis vergab die Jury schließlich an Herrnann Binz, dessen Modell eine weibliche Gestalt veranschau- licht, die mit pathetischer Geste vor ihrem toten Kind kniet. Auffallend ist, daß sich nur wenige der eingesandten Arbeiten nicht auf das Grundmotiv der Mutter mit ihrem Kind zurückführen lassen, das offensichtlich be- sonders geeignet erschien, um an den gewaltsamen Tod der Zivilpersonen und insbesondere der zahlreichen Kinder und 296 Jugendlichen zu erinnern. Zu diesen andersar- tigen Entwürfen gehört auch der von der Jury nicht beachtete Vorschlag von Karl Wahl und Wladirnir Zabotin, die gemeinsam bereits für den Wettbewerb um das Kriegerehrenmal auf dem Hauptfriedhof eine ungewöhnliche Kon- zeption erarbeitet hatten. Ihr Modell für das Fliegeropferrnonument fuhrt eine gleichsam wörtliche Umsetzung des Geschehens vor Augen: An einem hohen, schlanken Obelis- ken stürzt das Verderben aus der Luft herab, während unten am Boden ein sterbendes Opfer liegt. 1m Anschluß an die Denkmalskankurrenz wurden im Verlauf der zwanziger Jahre immer wieder Anstrengungen untemanunen, um das projektierte Erinnerungszeichen auf dem Gräberfeld der Fliegerapfer zu errichten. Doch alle Bemühungen un1 seine Realisie- rung scheiterten letztlich an den mangelnden finanziellen Möglichkeiten. Erst in jüngster Vergangenheit, als man des 75 . Jahrestages der ersten Luftangriffe van ·1915 und vor allem 1916 gedachte, wurde erneut der Wunsch geäußert, auf der Ruhestätte der Flie- geropferdes Ersten Weltkrieges ein Mahmnal aufzustellen. Seit 1993 erhebt sich an dem ursprünglich dafür vorgesehenen Ort die von Gerhard Huber geschaffene Gedenksäule: eine schmale Stele, bekrönt von einem auf die Spitze gestellten Würfel, dessen instabile Lage sinnbildhaft an den gewaltsamen Tod aus der Luft erilmert. UrslI!a Merke! Ehemaliges Zeughaus beim Durlacher Tor Nur wenige Gebäude der Zeit vor 1800 haben sich in der Karlsruher Kemstadt er- halten. Der tiefgreifende wirtschaftliche und städtebauliche Wandel, die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, aber nicht zuletzt auch die geringe Identifikation einer breiteren Öf- fentlichkeit mit den eher schlichten Einzel- bauten fUhrten bis in unsere Gegenwart hinein immer wieder zu Abbrüchen originaler Bau- substanz aus der Frühzeit von Karlsruhe. Um so bedeutender sind die noch vorhandenen baulichen Dokwnente, die etwas vom ur- sprünglichen Charakter der kleinen Residenz- stadt des 18. Jahrhunderts vermitteln. Zu ihnen zählt eine nur selten beachtete Gebäudegruppe am Beginn der östlichen Kaiserstraße unweit des Durlacher-Tor- Platzes, die heute Teil des Areals der Univer- sität ist. Schon auf den ersten Blick erkennt man den städtebaulichen Anspruch der sym- metrisch angeordneten zwei- bis dreigeschos- sigen Bauten. Wie bei einer barocken Schloß- anlage flankieren einheitliche Häuser einen zurückliegenden höheren, von einem Dach- reiter bekrönten Hauptbau. Der so entstehen- de Vorhof wird an der Straße von Stake- tengittem zwischen hohen Sandsteinpfeilem abgeschlossen. In der Mittelachse öffnet sich ein monumentales Tor. Proportionen, Gliede- rungen und Schmuckformen der Architektur verweisen auf den sogenarmten Louis-Seize- oder Zopfstil, wie er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebräuchlich war. Tatsächlich handelt es sich um ein Werk des ftihrenden Vertreters dieses spätbarocken Stils in Karlsruhe, des markgräflichen Bau- inspektors Wilhelm Jeremias Müller (J 725- 180 I), von dem neben der Kleinen Kirche und dem früheren Archivbau am Zirkel eine große Anzahl von heute verschwundenen Schloß- nebengebäuden und Wohnhäusem stammten. Er hatte 1777 den Auftrag zur Neuerrichtung des Durlacher Tores erhalten, das zuvor ein unanselmlicher Bretterdurchlaß war. Wäh- rend der Planung schlug Müller vor, ebenfalls notwendig gewordene. Neubauten ftir das Jagdzeughaus, das Hofgärtner- und das Rü- denmeisterhaus in einer geschlossenen Anla- ge zusammenzufassen und diese in unmittel- barer Nähe zum neuen Tor anzuordnen. In Verbindung mit dem ebenfalls nach den Vor- stellungen des Architekten auf der gegenüber- 297 liegenden Südseite der Langen Straße er- richteten " Gasthaus zum Grünen Baum" soll- te so rur den damals am meisten frequentier- ten Stadtzugang ein würdiges Entree geschaf- fen werden. Die Ausruhrung dieses Projekts zog sich in mehreren Bauabschnitten bis 1786 hin. Im Hauptbau fanden dann die Utensilien rur die markgräfliche Jagd - Kutschen, Pfer- degeschirr, Gewehre, Netze, Hörner etc. - ei- ne angemessene Unterbringung. Die Lage dieses Zeughauses am Rand des Fasanen- gartens, dem Ausgangspunkt rurstlicher Jagdbelustigungen, die damals im höfischen Zeremoniell noch eine feste Rolle spielten, konnte nicht besser sein, ebenso wie die Plazierung der seitlichen Dienstwohnhäuser fur den Verantwortlichen der markgräflichen Hundemeute und rur den Hofgärtner, dessen geometrisch gegliederte Küchengärten sich unweit vor dem Durlacher Tor beiderseits der geradlinigen Pappelallee nach Durlach aus- dehnten. Eine grundsätzliche Veränderung in der Nutzung brachten die Napoleonischen Kriege mit sich. 1804 wurde das Jagdzeughaus dem neu organisierten Militär als Arsenal rur Feldgeschütze, Handfeuerwaffen, Beklei- dung und sonstige Heeresausrüstung überlas- sen. Der Bau wurde dafur bis 1806 um ein Stockwerk erhöht und erhielt dabei sein heu- tiges Aussehen. Die neuc militärische Funk- tion konnte man nun am Außenbau durch Bauschmuck des Bildhauers und Hofstuk- kateurs Tobias Günther ablesen, neben einem 298 Wappenrelief im Giebel zwei T rophäengrup- pen mit lebensgroßen Figuren von Mars und Minerva rechts und links am Hauptportal, die unverständlicherweise in den 1960er Jahren beseitigt wurden. Am 13 . Mai 1849 war das Zeughaus Schauplatz eines blutigen Straßen- kampfes, als Revolutionäre versuchten, den Bau zu stürmen, um der darin gelagerten Waffen habhaft zu werden. Zwar blieb die Verteidigung durch Soldaten und Karlsruher Bürgerwehr erfolgreich; der Aufruhr veran- laßte die großherzogliche Familie indes, schlewligst aus der Stadt zu fliehen. Noch bis Zunl Ende des Ersten Weltkrieges hatte das Heer im Zeughaus das Sagen, die beiden Nebengebäude dienten zeitweise teils Wolm-, teils Verwaltungszwecken. Im Zweiten Welt- krieg brannte der Hauptbau aus, in ilml gingen wertvolle Exponate des Badischen Verkehrs- museunIS zugrunde, das in den zwanziger Jahren hier eingerichtet worden war und an das heute nur noch eine im Freien aufgestellte Lokomotive erinnert. Nach dem Wiederauf- bau in den alten Außenrnauem, der 1953 bis 1955 erfolgte, zog das Verkehrstechnische Institut der Hochschule ein. Und schließlich beherbergt der Zeughauskomplex seit weni- gen Jahren noch eine weitere Einrichtung der Universität: das Südwestdeutsche Archiv rur Architektur und Ingenieurbau, das in seinen angeschlossenen Ausstellungsräumen der "Architekturgalerie am Zeughaus" von Zeit zu Zeit Einblicke in seine Bestände präsen- tiert. Gerhard Kabierske Bunkerreste auf dem Turmberg Nahe dem Rittnerthof zweigt von der Jean- Ritzert-Straße ein Feldweg zur Ringelberghohl nach Grötzingen ab. Spaziergänger werden das kleine Dickicht aus niedrigen Bäumen, Büschen und Brombeerhecken links des Weges kaum beachten. Es birgt jedoch einen besonderen Blickpunkt zur Karlsruher Stadt- geschichte: Im Sommer durch Blattwerk nahezu völlig verdeckt, findet man hier einige Stufen, die zu einer schweren Eisentür hinabfuhren. Dies sind die Bunkerreste einer Feuerstellung ftir Flugabwehrkanonen (Flak) aus dem Zweiten Weltkrieg. 1941 zwangen die zunehmenden britischen Luftangriffe weit hinter der Front zu einer Verstärkung der Luftabwehr. Zum Schutz der Stadt errichtete das zuständige Flakartillerie- kommando ringsum auf Acker- oder Garten- fl ächen insgesamt 15 FlaksteIlungen. Den städtischen Akten über die dabei entstande- nen Kriegsschäden ist zu entnehmen, daß als erste 1941 die Batterie Fritschlach in Dax- landen eingerichtet wurde. Im selben Jahr folgten noch drei weitere. Die 1943 ausge- baute Groß batterie Deckelhaube nördlich von Knielingen verfugte als größte Stellung über 18 der 8,8-cm-Geschütze. Sie hatte die Form eines Dreiecks mit einer Seitenlänge von je rund 250 Metern. Andere Stellungen wie die bei der Deutschen Waffen- und Mu- nitionsfabrik (später IWKA) oder die auf dem Turmberg waren etwas kleiner. Neben den Geschützen und den besonders gesicherten Funkeinrichtungen gehörten zu einer Stellung auch die Baracken fur etwa 11 0 Mann Be- satzung. Als sich die Niederlage der 6. Armee in Stalingrad abzeichnete, begann die national- sozialistische Führung mit der Ausschöpfung aller Kraftreserven, mit dem "totalen Krieg". Bereits am 5. Dezember 1942 ordnete die Reichsstelle rur Schuhvcsen in Berlin die na- mentliche Erfassung der Schüler der Jahr- gänge 1926127 und der Schülerinnen der Jahrgänge 1925 und älter an. Um etwa 170000 Flaksoldaten an die Front schicken zu können, sollten 250 000 Jungen als Luft- waffenhelfer (LwH), die Mädchen bei den Scheinwerferbatterien und in, Funkdienst eingesetzt werden. Bis zu 50 Prozent des Personals - oft auch mehr - stellten fortan die LwH, die ihre Abl.iirzung ironisch als "Letzte Hoffnung" lasen. In Karlsruhe erhielten die betroffenen Schüler am 12. Februar 1943 ihre Einberu- fung. Die Auftistung der Tagesereignisse ei- neS Luftwaffenhelfers zeigt, daß die 16jähri- gen nicht nur an den Kanonen ausgebildet, sondern auch mit mehrfachem Nachtexer- zieren "geschliffen" wurden. Zun, Schießen kanlen die Jungen 1943 nur 17 mal, einen Angriff auf die Stadt erlebten sie nicht. Ganz anders erging es den Jahrgängen 1927128, die 299 Anfang 1944 einrückten. Einer von ihnen, der nördlich Hagsfeld eingesetzt war, erinnert sich aß die Bombennacht vom 24.125. April 1944: "Mitten in der Nacht wurden wir alarmiert. Ein Inferno folgte. In immer neuen Wellen luden die englischen Nachtbomber ihre tödliche Fracht über Hagsfeld und Rintheim ab. Schon nach der ersten Welle waren wir schießunnihig gebombt. Sämtliche Unterkünfte brannten. Für mich ein Wunder: Unter den Geschützbesatzungen gab es keine Toten." Die zu Soldaten gemachten Kinder waren aber zugleich noch Schüler, die in ihren Stellungen unterrichtet wurden - eine Dop- pelbelastung, die die Grenzen der Leistungs- fahigkeit oft überschritt. Da "aus den Reihen dieser Schüler künftig der Nachwuchs ftir die geistig ftihrenden Berufe unseres Volkes gestellt werden soll" , sei diesem Unterricht besondere Aufmerksamkeit zu widmen, for- derte der badische Kultusminister im Februar 1943. Anfangs war ein sinnvoller Unterricht mit 18 Wochenstunden noch möglich, da die Klassen geschlossen in die Stellungen ein- gewiesen wurden. Von einem geregelten Notunterricht war aber nicht mehr zu spre- chen, als die Luftwaffenhelfer seit August 1943 mit ihren Batterien auch weit außerhalb der Landesgrenzen verlegt wurden. 1944 waren Schüler von 72 auswärtigen Schulen hier im Einsatz. Die Eltern und der Karlsruher Betreutingslehrer zeigten wenig Verständnis daftir, daß Salzburger Schüler in Karlsruhe, Karlsruher in Sachsen und Würt- 300 temberger in Salzburg eingesetzt wurden. In Berlin aber tobte Hermann Göring, als sich die Beschwerden häuften: "Im Großdeutschen Reich hat bis jetzt keiner zu meutern gewagt! Wollen ausgerechnet die Eltern von Pimpfen jetzt den Anfang machen?" Als man die ersten Flakhelfer im Januar 1944 entließ, urteilte einer in seinen 1944 niedergeschriebenen Erinnerungen: "So war ein Jahr herumgebracht, vielleicht das leerste meines Lebens." Die Jungen karnen zum Reichsarbeitsdienst, dem der Kriegsdienst folgte. Die gymnasialen Achtkläßler erhielten ein Reifezeugnis, bei dessen Ausstellung "männliche Reife" und " soldatische Einsatz- bereitschaft" besonders berücksichtigt wer- den sollten. Sicher fuhlten sich die Schüler- soldaten schon als Männer und verbaten sich das Mitleid jener, die die "armen Kinder" bedauerten. Ihr Erleben ging aber seit den schweren Angriffen auf die Stadt 1944 weit über kindgemäße Erfahrung hinaus. Sie ließ sich nun nicht mehr mit Leere als vielmehr mit Schrecken und Grauen umschreiben. Was die Überreste der FlaksteIlung auf dem Turmberg 50 Jahre nach den schweren Lnft- angriffen auf die Stadt Zunl BlickpUnkt macht, ist nicht allein das Versagen der Lnftabwehr, die mit unzulänglichen Mitteln eine erdrük- kende feindliche Luftüberlegenheit abwehren sollte. Diese Überbleibsel des vom national- sozialistischen Deutschland entfesselten Zwei- ten Weltkrieges erinnern auch an die um einen Teil ihrer Jugend betrogenen Lnftwaffen- helfer. Manfred Koch Das Durlacher Bismarck-Denkmal in der Kanzlerstraße Die hochrangigen Vertreter der Staats- und Gemeindebehärden, die Offiziere des hiesi- gen Trainbataillons, der Militärverein, der Artilleriebund St. Barbara, der Leibgrenadier- Verein Durlach, eine Abordnung der Freiwil- ligen Feuerwehr, die Schützengesellschaft, Turnverein und Turnerbund, die Beamten der Gritznerschen und Seboldschen Fabrik und zahlreiche Zuschauer waren am 20. Oktober 1907 bei der Kreuzung Bismarckstraße und Palmeienslraße erschienen, um der Einwei- hung des Durlacher Bismarck-Denkmales beizuwohnen. Anläßlich der Enthüllung wa- ren zahlreiche Musik- und Wortbeiträge vor- gesehen. Amtmann May würdigte in seiner Festrede das Wirken des ehemaligen Reichs- kanzlers. Der Vorstand des Bismarckvereins berichtete über den Werdegang des Projektes. Stadtpfarrer Specht brachte einen Toast auf Kaiser und Großherzog aus, und Hauptlehrer Kasper endete seine Ausführung zum Wesen des deutschen Volkes ebenfalls mit einem Toast. Das Durlacher Wochenblatt berichtete in zwei Ausgaben ausführlich über das Ereignis und das Monunlent: "Das Denkmal, der gewaltige Granitblock in seiner urwüch- sigen Kraft des ersten, des eisernen Reichs- kanzlers, der im politischen Sturm auch stets unerschütterlich dastand wie ein Fels." Ein hoch aufgerichteter, monolithischer Granitblock, der sich nach oben verjüngt, nimmt auf seiner flachen Seite das reliefierte " Bildnis des Fürsten auf. Es wurde leicht vertieft angebracht. Otto von Bismarck ist in strengem Profil olme Kopfbedecl<lmg wie- dergegeben. Er trägt die charakteristische Unifornl mit Stehkragen. ' Der Geburtstag des ReichsgTÜnders, der sich am I. April 1995 zum 180. Male jähren wird, wurde auch in Badenjedes Jahr festlich begangen. Zu seinem 80. Geburtstag erhielt Bismarck zahlreiche Geschenke und wurde mit Ehrungen regelrecht überhäuft. Eine Delegation der neun badischen Städte der 301 Städteverordnung überbrachte ihm in Frie- drichsruh am 12. Juni 1895 die gemeinsame Ehrenbürgerurkunde. Der Direktor der Karls- ruher Kunstgewerbeschule Professor Her- mann Götz hatte sie entworfen. Nach dem Tode Bismarcks 1898 setzte eine wahre Denkmalsflut ein. So rief die deutsche Stu- dentenschaft landesweit zur Errichtung von Bismarck-Türmen auf, die sich auf den Bergen des Reiches erheben sollten. Hierzu gehört die Bismarck-Säule der Karlsruher Studentenschaft, die 190 I am Südhang des Wattkopfes in Ettlingen nach dem Entwurf von Friedrich Ratzel erstellt wurde. In der Residenzstadt Karlsruhe sammelte man seit 1898 ebenfalls Spenden rur ein Bismarck- Denkmal. Das Standbild vor der Festhalle konnte jedoch erst 1904 enthüllt werden. Das Durlacher Monument ist ein Beispiel fur die zahlreichen einfacheren und vor allem kostengünstigeren Ausfuhrungen. Dieser Ty- pus wurde häufig verwendet: So ließ Karl Egon III. von Fürstenberg dem Holkapell- meister Wenzel Kalliwoda 1902 im Schloß- park von Donaueschingen einen Findling mit Bildnisreliefzur Erinnerung setzen. Auch das Monument rur Bismarck auf dem Feldberg, ein Obelisk aus wenig behauenen Stein- quadern mit Bildnisreliefkann hierzu gezählt werden. In Durlach ging die Initiative von dem 1902 gegründeten Bismarckverein aus. 1905 fragte sein Vorsitzender in einem Schreiben an die Großherzogliehe Forst- wld Domänendirek- tion, ob es möglich sei, im Durlacher Schloß- garten ein Bismarck-Denkmal zu errichten. Dieses Ansinnen wurde abgelehnt. Auf der Generalversammlung am 16. März 1906 be- schlossen die Mitglieder, daß "das Denkmal auf dem freien Platz der Bismarckstraße er- 302 richtet werden soll ." In einem Schreiben an die Stadtverwaltung baten sie um die Geneh- migung des Projektes. Darüberhinaus hofften sie auf die Unterstützung durch die Stadt. Diese sollte die Kosten fur die Fundamen- tierung, rur die gärtnerische Anlage und fur den Urnfassungszaun übernehmen. Der Gemeinderat war mit diesem Vorschlag ein- verstanden und das Projekt konnte verwirk- licht werden. In den Akten findet sich weder ein Hinweis auf den entwerfenden Künstler noch auf eine ausfahrende Firnla. Doch während der Einweihungsfeierlichkeiten wur- de Bildhauer Heinrich Bauser gedankt. Der Aufstellungsort rur das Denkmal liegt am Rande Durlachs, wo die Gärten im Süden nahe an die Stadt heranreichen. Nordöstlich erhebt sich die 1900 fertiggestellte kath. Kirche St. Peter und Paul und westlich davon steht die 1895 eröffnete Festhalle mit einem zeitgenössischen Wohnhaus. Sonst wurde die Straße zum damaligen Bahnhof, an dessen Stelle heute die Post steht, kaum von Häusern gesäumt. Als sie nun 1905 den Namen Bis- marckstraße erhielt, war der Aufstellungsort rur das Monunlent gefwlden. Zwischen 1913 und 1925 gab es immer wieder Pläne zur Umgestaltung der Straßen- ruhrung und der Denkmalaufstellung. 1933 schlug Friedrich Eberle sogar vor, das Monu- ment auf den Platz vor den Bahnhof zu ver- setzen, weil es dort besser zur Geltung käme. Heute steht der Obelisk in einer erhöhten, von einer Mauer unlgebenen Anlage. Hohe Büsche fassen ihn ein, Das Bildnisrelieffehlt. Wahrscheinlich wurde es im Zuge der "Be- schlagnalunung und Einziehwlg von Bronze- denkmälern" Im Zweiten Weltkrieg einge- schmolzen. Brigille Baumstark Überwundener Nationalsozialismus - Adler am Bunker bei der Appenmühle Herrisch schlägt er mit den Flügeln, in den riesigen Fängen hält er majestätisch Schwert und Siegeslorbeer. Kein Zweifel : Schon auf den ersten Blick gibt sich dieser Adler als charakteristisches Zeugnis des " Dritten Rei- ches" zu erkennen, ein "Hoheitszeichen", wie das deutsche Wappentier in jenen zwölf Jahren bezeichnet wurde. Kraft, Macht und Sieg des NS-Staates, die uns dieses Symbol suggerieren möchte, sind jedoch auf aussage- kräftige Weise gebrochen: Der Adler hat seinen Kopf verloren. Die Umstände lassen sich zwar nicht mehr genau klären, es dürften aber die alliierten Soldaten unmittelbar nach Kriegsende gewesen sein, die durch gezielte Schüsse oder Hammerschläge der prahlend vorgetragenen Überheblichkeit ein jähes Ende bereiteten. Im lädierten Zustand hat die in Beton gegossene Plastik die letzten Jahrzehnte überstanden - glücklicherweise muß man sagen, denn es gibt in Karlsruhe wohl kein sprechenderes Denkmal fur das Ende der Gewaltherrschaft des Nationalso- zialismus vor nunmehr fiinfzig Jahren. Nur wenige Karlsruher werden davon Notiz genommen haben; obwohl Tausende täglich an der Rheinhafenstraße in Daxlanden daran vorbeifahren. Der Adler ist dort an der Fassade eine Gebäudes angebracht, das sich in Höhe, Ausdehnung und Dachforrn den Wohnhäusern der Nachbarschaft anzupassen sucht. Beim näheren Hinschauen entpuppt es sich aber nicht nur wegen des ungewöhnli- chen plastischen Schmucks als Fremdkörper. 303 Die Außenwände bestehen aus nacktem Beton, die Fenster sind zu kleinen Schlitzen reduziert, was zusanunen mit dem überdi- mensionierten Konsolgesims einen äußerst abweisenden Eindruck macht. Es handelt sich um einen Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der nach der nahen Appenmühle seinen Namen erhielt. Paul Brömme vom Städtischen Hochbauamt, der "Generalbeauf- tragte des Oberbürgenneisters rur das Luft- schutzwesen", plante den Bau 1942 gleich- zeitig mit anderen Großbunkern im Stadtge- biet - zu einem Zeitpunkt, als deutlich wurde, daß es mit der von der Propaganda ver- kündeten Sicherheit rur die Zivilbevölkerung nicht weit her war und die Alliierten als Reaktion auf deutsche Bombardements vor allem englischer Städte ihre Luftangriffe auf Deutschland verstärkten. Von der Anbrin- gung des Adlers als siegverheißendem Bau- schmuck bis zu seiner " Enthauptung" sollten keine drei Jahre vergehen - fUr die be- trolTenen Menschen indes eine furchtbare Zeitspanne. Gerhard Kabierske Kleine Kirche bald in frischen Farben "Lieber Gott, eine alte Frau, die vor 57 Jahren hier konfinniert wurde und zum harten Kern von Pfarrer Hanns Löw gehörte, bittet Dich herzlich, den zuständigen Baudezer- nenten beim Oberkirchenrat die Erleuchtung zu geben, daß er mal Geld gibt, um endlich unser kleines schmuckes Kirchlein zu reno- vieren. Danke." Das Gebet, am 12. April dieses Jahres im Gästebuch der Kleinen Kirche aufgeschrie- ben, ist schon erhört. Gleich nach den Hand- werkerferien im Sommer wird das älteste Karlsruher Gotteshaus - fUr viele zugleich eins der schönsten in der Fächerstadt - im in- neren gründlich renoviert. Die geschätzten Mindestkosten 390000 DM tragen die Evan- gelische Kirchengemeinde Karlsruhe und zum kleineren Teil die Pfarreien der A1t- und Mittelstadtgemeinde. Die "Erleuchtung" ist 304 in der Tat Sache des badischen Oberkirchen- rats: Das landeskirchliche Bauamt hat auf Bitten der baupflichtigen Kirchengemeinde die nicht ganz einfache "architekionische Leistung" übernommen, in enger Zusammen- arbeit mit der Landesdenkrnalbehörde und in der Hoffuung auf ihren auch fmanziellen Beistand. Schon 1719, im selben Jahr, als mit dem Bau der lutherischen Konkordienkirche auf dem Marktplatz begonnen worden war, fand nahebei am schloßnahen Ende der Kreuz- straße die Grundsteinlegung rur ein refor- miertes Kirchlein statt. (Erst 1821 kam es zur Union der beiden Konfessionen.) Der Holz- bau verfiel allerdings schon bald, so daß Baumeister Heinrich Arnold bereits 1749 den " Riß" rur steinernen Ersatz vorlegte. Zu- gleich entwarf er als Pendant in der Lamm- straße einen "Bronnenthurm", nachdem die anne katholische Gemeinde die Mittel fur ein eigenes Gotteshaus an dieser Stelle nicht zusammengebracht hatte. (Das Brunnenhaus ging 1764 in Betrieb, wurde aber 1833 ent- gegen dem Wunsch des 1826 verstorbenen Friedrich Weinbrenner wieder abgerissen.) Wilhelm Jeremias Müller gab der erst im Juli 1775 eingeweihten Kleinen Kirche - ei- nem Bauwerk aus "rohem Grötzinger Sand- stein in französischem Stil" - die heutige Ge- stalt. Daß keine Baupläne erhalten geblieben sind, erwies sich vor allem nach der Zer- störung des Gotteshauses am 27.128. Septem- ber 1944 als Mangel. Dennoch präsentiert sich das Innere seit dem von Hermann Zelt geleiteten Wiederaufbau von 1949 relativ stilrein im Louis-Seize-Stil. Getreu dem reformiert-theologischen Erbe, das Wort und Sakrament als Einheit versteht, blieb die Kanzel erhöht über dem Altar und unter der Orgel Mittelpunkt und Blickfang des bewußt schlicht gehaltenen Raumes. Die orthodoxen Gemeinden der Griechen, Serben, Türken und Armenier, die die Kleine Kirche seit Jahrzehnten mitbenutzen dürfen, haben mit ihren Ikonenwänden Farbe hineinge- bracht. Der Rauch ihrer Stearinkerzen hat allerdings die Verdüsterung der Wände beschleunigt. Daß einst auch die reformierten Gesangbücher vom Wachslicht erhellt wur- den, verraten die erst später mit Glühbirnen bestückten Wandleuchter noch heute - die gesamte Elek1rik muß dringend erneuert werden. Entgegen dem von den Großherzögen einst geschätzten Einheitsgrau soll bald ein farb- lieh abgesetzter Innenanstrich Stuckzierat, Holzwerk und architektonische Gliederung wieder hervorheben und die künstlerische Qualität des Innenraumes vor Augen fuhren . Selbst an Vergoldung ist gedacht, ein schon 1976 bei der 200-Jahr-Feier geäußerter Wunsch, dessen Erfullung am Geld scheiter- te. Aber haben nicht schon Zunl Bau der ersten Kirche Christen, damals auch die Glaubens- geschwister aus dem Elsaß und der Schweiz, fehlende Mittel beigesteuert? Das Schmuckstück, das sie einst war, soll die Kleine Kirche wieder werden, ein an- heimelndes Gotteshaus nicht nur fur stilvolle Hochzeiten. Pfarrer Dr. Dieter Splinter hom ebenso wie seine Kollegin, die mit ihm die Arbeit in der Stadtmitte teilt, daß sie mehr noch als bisher zum gern ausgesuchten "Ort der Stille" im Trubel der City wird, eine Heimat fur alle, auch jene, die "ein distan- ziertes Verhältnis zur Kirche haben, sich aber trotzdem mit ihr verbunden fuhlen". Zugleich soll sie Experimentierfeld fur die Studenten- gemeinde und fur Gruppen bleiben, die neue Gottesdienstformen suchen. Als geschichts- trächtiger Ort, der an die frühe Zeit der Fächerstadt, hat die Kleine Kirche allemal Aufmerksamkeit verdient. Dara/hea Schmill-H alls/ein 305 Das Kriegerdenkmal vor der Friedrich-Realschule in Durlach Bald nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde in Durlach ein großes Bauvorha- ben verwirklicht. Der Markgräfliche Spei- cher, am westlichen Stadteingang an der Hauptstraße gelegen, der sich schon auf dem Stich Merians markant abzeichnet, mußte einem Neubau weichen. Man empfand das alte Gebäude nicht mehr als zeitgemäß, wie ein Kommentar im Durlacher Wochenblatt am 8. Februar 1870 belegt: "Wenn ein Fremder von der Eisenbahn herkommt, so fallt ihm zuerst das uralte, ganz zwecklose und äußerst finstere, die Stadt verdunkelnde Speichergebäude auf, was einen äußerst schlechten Eindruck auf Fremde rur den Eingang einer Stadt machen muß." Als nun 306 die Stadt rur ihre Schulen ein neues Gebäude benötigte, entschloß sich die Verwaltung zu einem Neubau anstelle des alten Speichers, den man bereits 1874 erworben hatte. Baurat Professor Heinrich Lang plante den gesamten Komplex aus Schulhaus und separater Turnhalle. Er rückte ihn leicht von der Straße ab, so daß ein kleiner Platz entstand. Die Anlage entwarf er im Stil der Neorenaissance. Ein triumphbogenartiger Mittelrisalit be- tont die Mitte des ruhigen, 13achsigen Haupt- gebäudes und nimmt darüberhinaus den Eingangsbereich auf. Vor der Mittelachse des Mittelrisalites erhebt sich ein Kriegerdenk- mal rur die Gefallenen der Stadt im Deutsch- Französischen Krieg 1870171, von den Karlsruher Bildhauern Hirschen und Volke ausgeftihrt. In den Proportionen und im Stil bezieht es sich auf das Schulgebäude. Auf einem Sockel aus Quadersteinen, der mit einer auskragenden Platte abschließt und die Sockelline des Bauwerkes aufnimmt, erhebt sich das eigentliche quadratische Postament. Es verjüngt sich im oberen Bereich und ist mit Girlanden geschmückt. Auf dem hohen Postament steht ein nahezu nackter, antikisch anmutender Krieger, mit den Attributen des Sieges ausgestattet. Als Stand11äche dient ihm der runde Schild eines besiegten Feindes. Die Beine in Schritt- stellung, den kräftig modellierten Körper frontal und nur leicht aus der Achse gedreht, blickt der Krieger, den Kopf nach rechts gewandt, in die Ferne. Ein reich gestalteter Helm mit Volutenbekrönung und Greif ruht auf seinem Haupt. Seine Blöße bedeckt ein faltenreiches, üppiges Tuch. Der Krieger hält mit seiner erhobenen linken Hand die Fahne, auf deren zusammengerallen Tuch sich der Reichsadler abzeichnet. Seine Rechte wnfaßt das mit Lorbeer bekränzte Schwert. Hinter dem rechten Fuß und dem Schwert des siegreichen Kämpfers liegen weitere Trophä- en: ein Helm und eine zerbrochene Fahne. Auf drei Seiten des hohen Sockels sind Inschriften angebracht. Auf der Vorderseite heißt es: "Den Kämpfern fur / Deutschlands / Einheit und Größe / in den Jahren / 1870- 1871/ die dankbare Stadt/Durlach." Das mit Lorbeer und Eiche umkränzte Eiserne Kreuz ziert die Rückseite. Auf der Westseite wird an die Kämpfe in Straßburg, Etival, Nompatelize, Dijon, Nuits, Mömpelgard und Belfort erinnert. Gegenüber, nach Osten, stehen die Namen der 12 gefallenen Durlacher. Zu der feierlichen Eröffnung der Vereinig- ten Schulen aus Pädagogium mit höherer Bürgerschule, Gewerbeschule und Volks- schule sowie zur Enthüllung des Denkmales am 22 . September 1878 fanden sich zahl- reiche Ehrengäste in der festlich geschmück- ten Stadt ein. Der Großherzog hatte sein Kommen zugesagt und auch General August von Werder nahm an den Feierlichkeiten teil. Er hatte das XIV. Armeekorps bei der Schlacht um Belfort erfolgreich befehligt, weshalb ihn die Stadt Freiburg schon zwei Jahre zuvor auf einem vielfigurigen Denkmal gewürdigt hatte. Viele Besucher aus dem Um- land waren zugegen. Carl Friedrich, seit 1872 Bürgermeister der Stadt, hielt die Eröffnungs- ansprache. Zunächst erwähnte er befriedigt, daß die veranschlagte Bauswnme nicht überschritten wurde und daß sogar noch ein Betrag fur das Kriegerdenkmal verwendet werden konnte. Seine Rede und seine Ge- danken zu dem Monument druckte das Dur- lacher Wochenblatt in gekürzter Fassung ab: "Der Jugend aber möge das Denkmal ein Sporn sein, fortzubilden den schönen großen Gedanken, den Vätern gleich zu werden, stets eingedenk der Opfer, welche in dem großen Kampfe gebracht wurden. Es sei das Denkmal ein steter Mahnruf, in Liebe und Treue fur Fürst und Vaterland aufzuwach- sen." Die Zeitung berichtete weiter: "Bei dem von der Menge begeistert dreifach erwiderten Hoch auf Wilhelm den Siegreichen und Friedrich den Gesegneten und sein Haus fiel unter Musik und unter Absingen der Wacht am Rhein die Hülle des Denkmals, auf dessen Stufen zwölf Festiungfrauen Eichenkränze niederlegten. " Gustav Fecht, vor allem als Verfasser der 1869 erschienenen "Geschichte der Stadt Durlach" bekannt, zog als Direktor von Pädagogium und höherer Bürgerschule mit se,nen Schülern ebenfalls in das Gebäude ein. Zu dessen Einweihung hielt er einen Vortrag über die Entwicklung des Schulwesens. Im 19. Jahrhundert und vor allem in den Jahren nach 1871 wurden in ganz Deutschland und auch in Baden zahlreiche Denkmäler errich- tet. In Durlach wurden zwischen 1871 und 1915 vier Denkmäler gesetzt: das besproche- ne Kriegerdenkmal, das Bismarck-Denkmal, das Hengst-Denkmal und das des Großher- zogs Friedrich I. Mit dem Baukomplex der Vereinigten Schulen setzte der Wandel Durlachs von der ländlichen Amtsstadt zur modemen Bürger- stadt ein. Bald folgten weitere Neuerungen, die diesen Wandel mittrugen. So wurde 1896 der Viehmarkt in eine öffentliche Parkanlage umgewandelt mit Denkmal und Zierbrunnen zu Ehren des Gründers der Freiwilligen Feuerwehr Christian Hengst. Wenig später wich die städtische Kelter dem Neubau der neugotischen katholischen Kirche. Brigille Baumstark 307 Von Karlsruhe nach Chicago. Ein schmiedeeisernes Tor im Stadtgarten Das Tor der Wolff-Anlage vor den Umbau- ten zur Bundesgartenschau 1967. Wendet man sich als Besucher des Stadt- gartens nach Süden zur Wolffanlage, trifft man auf ein schmiedeeisernes Tor, das einen von Hecken gesäwnten Weg abschließt. Schon der Aufstellungsort macht deutlich, daß hier fur das Tor nicht die Funktion des Verschliessens im Vordergrund steht, son- dern die Präsentation eines kunstgewerbli- chen Objektes. Es besteht aus zwei seitlichen Rahmenelementen, die ein Bogen verbindet. Dazwischen hängen die beiden niederen Tür- flügel. Die einzelnen Elemente sind in neu- barocken Formen gestaltet. Die seitlichen Lisenen sind mit filigranen Stäben und mit Blattwerk gestaltet. Plastisch geformte vege- tabile Einrollungen leiten über Zunl ebenfalls stark plastischen und reich verzierten Bogen. Über dessenMitte erhebt sich eine asymetrisch gestaltete Kartusche mit dem stilisierten badi- 308 sehen Wappen und der bekrönenden Fürsten- krone. Die niederen Tore werden im unteren Be- reich von Flächenornamenten stabilisiert. Die zarten Gitterstäbe darüber beginnen und enden in C-Schwüngen, Einrollungen und floralen Schmuckformen. Über dem oberen Querbalken entwickeln sich von der Mitte der Türflügel zu den Seitenteilen hin ansteigend Blatt- und Pflanzenelemente, die immer wie- der in Einrollungen enden. Diese Zweige und Blätter bilden zusammen mit der Rundung des Aufsatzes eine ovale Rahmung, die emen "point de vue" hervorhebt. Das Tor bildete zusammen mit zwei kleineren Seiten toren die Begrenzung und den Auftakt der badischen Abteilung auf der Weltausstellung 1893 in Chicago zum Ehren- hof hin und war Teil des badischen Ausstel- lungsgutes. Unter dem badischen Wappen des mittleren Tores hing damals eine Tafel mit dem Landesnamen "Baden". Der Direktor der Großherzoglieh Badischen Kunstgewer- beschule in Karlsruhe, Hermann Götz, hatte es entworfen, und Fritz Bühler aus Offenburg, ein ehemaliger Schüler, hatte es ausgefUhrt. Darüber hinaus war das badische Kunsthand- werk mit zahlreichen Gegenständen vertre- ten, darunter war der mehrteilige Tafelauf- satz, den das erbgroßherzogliche Paar zu seiner Hochzeit von den badischen Städten erhalten hatte. Die Karlsruher Nachrichten berichteten über die Tätigkeit von Götz und Badens An- teil an der Weltausstellung: "Baden, der Garten Deutschlands, blühend und gedeihend unter einem hochherzigen Fürsten, hat auf der Chicagoer Ausstellung, im Industriepalast besonders, Wunder geleistet, eine Entfaltung seines Kunstgewerbes zu Stande gebracht, wie sie großartiger von einem größeren Bundesstaate Deutschland nicht hätte erwar- tet werden können." Auch das Groß herzogtum Baden nahm nach dem Deutsch-Französischen Krieg starken wirtschaftlichen Aufschwung. Die gründerzeitlichen Stadtteile der Residenz- stadt und auch der kleineren badischen Gemeinden verdeutlichen den neuen Reich- tum. Für die Ausnihrung der bis ins Detail aufwendig durchgestalteten Verwaltungsbau- ten sowie der Wohn- und Geschäftshäuser bedurfte es hochqualifizierter Handwerker. Diese Fachleute standen seit 1867 und in größerer Zahl seit 1878 zur Verfugung, nach- dem zuerst die kunstgewerblichen Kurse an der Landesgewerbehalle und später die Kunstgewerbeschule die Lehrtätigkeit aufge- nommen hatten. Diese Schulen boten nicht nur Unterricht in den Fachklassen rur Architektur, Bildhauerei, Dekorationsmalerei, Ziselieren und Keramik, sondern bearbeiteten im Zeichenbüro Aufträge von Firmen sowie öffentlicher und privater Auftraggeber zu den unterschiedlichsten Anlässen. Zum Beispiel entwarf Götz im Auftrag des Großherzogs alljährlich den "Großen Preis" fur das Pferderennen in lfTezheim. Die Ausfuhrung lag häufig bei ehemaligen Schülern. Ein wesentlicher Aufgabenbereich fur Direktion, Lehrer und Schüler war die Pla- nung und Bestückung der badischen Abtei- lungen auf nationalen und internationalen Ausstellungen. Hier konnten sich die ver- schiedenen Sparten des Kunsthandwerks prä- sentieren. Auftakt und Blickfang, und somit wichtiger Teil der Ausstellungsarchitektur, war meist ein schmiedeeisernes Gitter. Für die deutsch-nationale Kunstgewerbeausstel- lung 1888 in München entwarf Götz ein dreiteiliges Gitter zur Kapelle. Ebenfalls ein anfwendiges schmiedeeisernes Tor, nun in den Formen des floralen Jugendstils, zeichne- te Götz fur die Weltausstellung 1900 in Paris. Die Arbeit wurde mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Schon vor 1893 hatte man sich in Karlsruhe besonders um diese k-unsthandwerkliche Technik bemüht, als der Kunstgewerbeverein im Auftrag der deutschen Kunstgewerbe- vp,reine einen Wettbewerb unter den deut- schen Kunstschmieden ausschrieb und die Ergebnisse in der Fachausstellung fur Schmiedeeisen in der Orangerie präsentierte. 1892 veröffentlichte Eugen Bischoff, Profes- sor rur Architektur an der Kunstgewerbe- schule, ein umfangreiches Fachbuch zum Thema SchnJiedeeisen. Nach der Rückkehr aus Chicago wurde das Tor zunächst im Karlsruher Kunstgewerbe- museunI ausgestellt. Später gelangte es in städtischen Besitz. Es fand seinen Platz im Stadtgarten und gehört heute zum S=lungs- bestand der städtischen Galerie im Prinz- Max-Palais. Brigitte Baumstark Ein Platz zur Zierde der Innenstadt Vor 140 Jahren notierte die groß- herzogliche Hofverwaltung, die im Schloß untergebrachte Hofbibliothek und weitere wissenschaflliche S=lungen bedürften dringend der Erweiterung. Der Auftrag fur die Vorentwürfe erging an Karl Joseph Berckmüller (1800-1879) vom Hofbauamt. Während die Hofverwaltung über Baupro- gramme, Kosten und alternative Bauplätze diskutierte, verstrichen sechs Jahre. Im Som- mer 1862 gab das Ständeparlament seine Zustimmung fur einen Neubau, der die Ver- 309 einigten Sammlungen aufuehmen und in "mo- derner Renaissance" gehalten sein sollte. Diese Stilempfehlung hatte geradezu avant- gardistischen Charakter im Vergleich zum Stand der überregionalen Architekturdiskus- sion. Zugleich wurde das Programm flir den nördlichen Erbprinzengarten entworfen: In der Flucht des Landgrabens (heute Bankhot) sind sechs dreieinhalbgeschossige Privathäu- ser vorgesehen, deren gewerblich genutztes Erdgeschoß und das Zwischengeschoß hinter Schutz bietenden Arkaden liegen. Vor- oder zurücktretende Fassaden, geringe Unter- schiede bei Traufuöhen, Balkonformen und Fensterrahmungen wirken rhythmisierend der Gefahr eines uniformen Aufrisses entgegen: Wohl geordnet stehen die Privathäuser in respektvollem Abstand vor dem Hofgebäude. Sechs weitere Häuser gleicher Bauart werden östlich der zu verlängernden Lammstraße errichtet. Damit diese Verlängerung den Platzcharakter nicht stört, wird zwischen den an der Nordostecke des Platzes gelegenen Häusern VI wld VII ein dreiachsiger Ab- schluß in Form eines Triunlphbogens mit Plattform eingefligt (eine ähnliche Begren- zung begegnet uns 40 Jahre später anl Haydn- platz). Das Haus I (heute Baden-Württembergi- sehe Bank und letzter Zeuge der ursprüngli- chen Bebauung) wollte der Großherzog, so- fern sich kein Bauherr fande, als Musterhaus selbst bauen lassen. 1863 wurden flir beide Bauprojekte internationale Architektenwett- bewerbe ausgeschrieben, im badischen Bau- wesen ein dem neuen Liberalismus der Staats- flihrung zuzuschreibendes Novum, das erst 1905 flir das Empfangsgebäude des Karlsru- her Hauptbahnhofs wieder aufgegriffen wer- den sollte. Das Interesse an den beiden Wett- bewerben war groß, die Teilnahme gering: Für das Sammlungsgebäude wurden 9, flir die Privathäuser 14 Vorschläge eingereicht. Ein erster Preis wurde nur flir das Privathaus- projekt an den heute unbekannten Basler Architekten Gmelin vergeben. Berckmüller bekam anschließend den zweifellos unange- nehmen Auftrag, die prämierten Entwürfe weiter zu bearbeiten. Als er im April 1879 starb, wurde an seinem 1865 begonnenen Hauptwerk immer noch gearbeitet: Zahlreich waren die ihm abgeforderten Planänderungen Der Friedrichsplatz vor dem Zweiten Weltkrieg. noch während der Bauzeit, zwei Krie- ge unterbrachen den Fortgang, rasante Material- und Lohn- erhöhungen nach 1871 zogen fmanzi- elle Engpässe nach sich. 1875 wurde der von AdolfHelb- ling (1824-1897) geplante Neubau der Eisenbahnverwal- tung fertiggestellt. Sein vergleichswei- se plumpes Erschei- nungsbild dürfte Berckmüller umso 310 weniger begeistert haben, als der krasse Geschmackswandel zu Beginn der Gründer- jahre auch die vom Großherzog beabsichtigte ästhetische Wirkung verletzte. Im Jahr 1902 bot Großherzog Friedrich anIäßlich seines 50jährigen Regierungs- jubiläums der Stadt Karlsruhe den Friedrichs- platz als Geschenk an. In die offizielle Freude mischten sich auch kritische Untertöne im Hinblick auf die Folgekosten und den gerade " teuer" bezahlten Bauplatz fur das neue Städtische Krankenhaus im fürstlichen Hardtwald. Zehn Jahre später wurden die begrenzenden Eisengitter entfernt, die 1874 von earl Steinhäuser fUr das Sanunlungs- gebäude geschaffene Gruppe Orest und Pylades in den Botanischen Garten versetzt, um Platz fUr ein Großherzog-Friedrich- Denkmal zu erhalten; nach Kriegsende fehlte in der Republik das Interesse an der Aus- fuhrung dieses Denkmals. Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg haben wenig Bausubstanz übrig gelassen. Der AuJbauwillc nach 1945 zeigte trotz der ihm im allgemeinen nachgesagten ahistori- schen Motivation überraschend viel Gespür fiir die ursprüngliche Anlage: Der mitten- betonte Neubau der Handelskammer (1957, Architekt Erich Schelling) erinnert an das ehemalige Gegenüber von monumentalem Hofgebäude - es war um etwa ein Drittel größer als das ResidenzscWoß - und ein- drucksvoller Flucht groß bürgerlicher, durch "Gewerbefleiß" erworbener Häuser; Bäume, Brunnen und Platzgestalhmg - diese sogar nach Fertigstellung der Tiefgarage (im No- vember 1976), deren praktische Zu- und Aus- fahrten nicht störend auffallen - folgen auch heute noch den ursprünglichen Vorgaben. Mit Wehmut freilich denken wir an den ehemals überk'Uppelten Mitteltrak1 des Muse- ums am Friedrichsplatz. Wi/fried RIJß/ing Kaiserliche Präsenz: Die Hauptpost in Karlsruhe Sie ist kaum zu übersehen, ein ganzes Karree in bester Innenstadtlage beansprucht sie fUr sich allein: die Karlsruher Hauptpost. Der gewaltige Gebäudeblock beherrscht sowohl den Europa- als auch den Stephans- platz. Die voluminösen Fassaden aus gelbem Sandstein, bewegt gegliedert und aufwendig dekoriert in üppig-schwellenden Formen, lassen an barocke Palastarchitektur denken und fUhren auch dem heutigen Betrachter vor Augen, daß hier der Wunsch nach Repräsen- tation eine besondere Rolle gespielt haben muß. Dabei standen bei der Entstehung zunächst rein technische Belange im Vordergrund. Die Posteinrichhmgen, die nach 1871 unter dem Vorzeichen \virtschaftlichen Aufschwungs und technischen Fortschritts eine ungeahnte Entwicklung nahmen, sollten an der Stelle der alten Grenadierkaserne einen gemeinsamen Neubau erhalten. Die Planung, auf grund der zentralistisch organisierten Postverwaltung von Berlin aus betrieben, unter Beteiligung von nicht weniger als vier beamteten Ar- chitekten, wurde 1896 von der Königlich- Preußischen Akademie des Bauwesens in Berlin begutachtet. So sehr dabei die kom- plexe RaunlVerteilung vom eigenen Elektrizi- tätswerk über die Telegraphen- und Fern- sprechsäle bis hin zu den Dienstwohnungen Zustimmung fand, so sehr rügte das Gremium die Gestalhmg der Fassaden. Die Entwürfe wurden daraufhin von dem Berliner Architek- ten Wilhelm Walter nochmals geändert. Er 311 schaffte es, trotz begrenzter Mittel, d;e Wirkung des Äußeren und der Schalterhallen wie gewünscht ins PrunI..-volle zu steigern. Als die Hauptpost schließlich im Jahr 1900 erö/fuet wurde, konnte der Bau kaum als Zeugnis moderner Architektur gelten. Gleich- zeitige Beispiele Karlsruher Architekten, wie Billings Hofapotheke oder Curjel & Mosers Bankhaus Hamburger, setzten in dieser Beziehung ganz andere Maßstäbe. Aber er war zu einem Manifest jenes auftrumpfenden und mit nationalen Anspielungen agierenden Stils des "wilhelminischen" Historismus geworden, wie ihn der Kaiser persönlich vertrat. In der Person Wilhelms 11. gipfelte folglich auch das komplizierte ikonografische Programm der Bildhauerarbeiten an der 312 Hauptfassade und der üp- pige malerische Schmuck im Innern. Am Mittelbau präsent durch Kaiserkrone und Initialen, wurde er als Schützer des Verkehrs, der Einheit des Reiches, des Nähr- wld des Wehrstan- des gefeiert, wurde in sei- nem Namen an deutsche Ansprüche in der Welt erinnert. Der badische Landesvater, Großherzog Friedrich 1., mußte sich dagegen bei seiner Nen- nung mit einer zweitrangi- gen Plazierung zufrieden- geben. Nach dem Ersten Welt- krieg empfand man offen- sichtlich selbst im wenig zum Bilderstunn neigen- den Karlsruhe diese Ge- genwart des Kaisers als zu aufdringlich. Die Krone über dem Reichswappen und das große " W" in der Kartusche über dem Mittelbalkon wurden abgeschlagen. Seine Funktion erfullt der Bau mit manchen inneren Veränderungen, denen erst in den 60er Jahren die neobarocken Schalterhallen weichen mußten, bis in unsere Tage. Der wechselvollen deutschen Geschichte entspre- chend mußten dabei die monumentalen vergoldeten Lettern am Hauptgiebel von Zeit zu Zeit abgeändert werden. Aus " Kaiserli- eher Oberpostdirektion" wurde "Reichs- post", und heute ist dort nach einigen Jahren ohne Text "Deutsche Bundespost" zu lesen. Ob hier wohl bald - charakteristisch fur unsere Zeit - in rosa Neonschrift auf einen glitzernden Konsunlstempel hinter wilhelmi- nischer Fassade hingewiesen wird? Gerhard Kabierske Das Ende der Achsen Am Anfang standen sich weltliche und kirchliche Macht, als Residenzschloß und Konkordienkirche symbolisiert, in voller Eintracht gegenüber. Beide Bauwerke mar- kierten Beginn und Ende der Stadt in nordsüdlicher Richtung. 100 Jahre später dokumentierten die am Marktplatz einander gegenüber gelegenen Neubauten der Evange- lischen Stadtkirche und des Rathauses mit dem Schloß und der axial angeordneten Pyramide über dem Grab des Stadtgründers das zum Dreieck erweiterte, nachrevolutionäre Machtgeflecht von Landesherr, Landeskirche und Bürger. Als landesherrliche Fortsetzung entstanden das Denkmal Großherzog Lud- wigs (ein lebensspendender Brunnen), der Rondellplatz mit "Verfassungssäule" und das Ettlinger Tor: Die "Fürstenachse" als "via triumphalis" vom Schloß, vorbei an den Gebäuden hoher Verwaltungsbehörden, zunl Stadtausgang - der Sonne entgegen - war geschaffen worden. Ganz anders stellt sich die Stadt in ihrer Erstreckung von Ost nach West dar: Seit Anfang der I 770er Jahre stand das Durlacher Tor am Beginn der Kaiser- straße, wo gegenüber dem mißtrauisch beäugten "Dörfle" auch Teile des Militärs untergebracht worden waren, während das westliche Ende der Kaiserstraße bis 1817 vom Mühlburger Tor an der Karistraße (!), seitdem am späteren Kaiserplatz markiert wurde. Auch auf dieser Seite der Stadt war auf dem Gelände der heutigen Hauptpost Militär angesiedelt gewesen. Dazwischen liegen die überwiegend bürgerlichen Wohn- und Ge- schäflshäuser, die sich in geradezu undiszipli- nierter Weise bis auf den heutigen Tag keiner einheitlichen Architektursprache bedienen, an der "Bürgerachse", der "via civilis". Allen staatlichen und städtischen auf Vereinheitli- chung gerichteten Absichten zum Trotz obsiegten hier Ausdehnungsbestreben und Bauherrnwille. Als nach 1871 Siegeseupho- rie und Reichsgründung die Stadttore auch symbolisch überflüssig gemacht hatten, ging der Blick nach ihrem Abbruch ins Freie, in die "weite Welt" - städtebaulich allerdings ins Leere! Waren Planung und Realisierung einer " zeitgemäßen" Neugestaltung und Fortset- zung nach Süden zunächst von der Eisen- balmverwaltung, später durch mangelnde Solidarität zwischen Stadt und Staat, schließ- lich durch die "Sachzwänge" in neuerer Zeit verhindert worden, entstanden bis zum Jahrhundertwechsel am westlichen und östli- chen Stadtrand zwei städtebauliche Akzente mit heute auf den ersten Blick nicht mehr erkennbarem politischem Charakter: Das Denkmal Kaiser Wilhelms I. und die katho- lische Bernharduskirche. Wilhelm I. ist nun aber nicht als Kaiser oder Herrscher, sondern als Feldherr, Kämpfer und Soldat im per- sönlichen Einsatz dargestellt; er reitet von Westen (!) kommend in die Stadt. Aus den schriftlich überlieferten Äußerungen des Großherzogs entnehmen wir die Hinweise auf die historische und damals aktuelle Bedeu- tung. Schon als Prinz und König schützte Wilhelm das Großherzogtum vor dem äuße- ren wld inneren Feind: 1848/1849 vor den Umtrieben demokratischer Chaoten, 1870/ 1871 vor der Besatzungsgefahr aus dem "Westen". Den königlichen Schutz hatte sich die badische Monarchie, wie es die bei den Sockelreliefs belegen, durch ihren militäri- schen Anteil am Sieggegen die Franzosen und durch den persönlichen Einsatz des Großher- zogs bei der Kaiserkür allerdings verdient. Der historische Aspekt wurde durch die Wabl des Datums rur die Enthüllungsfeier unter- mauert: Es war der Jahrestag der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig 313 \ \ \. Ost-West-Achse Kaiserstraße. und der Krönung Wilhelms zum König von Preußen. Die Niederlage badischer Truppen im Deutschen Krieg 1866 gegen preußisches Militär wird freilich verschwiegen! Der Denkmalcharakter hatte jedoch auch einen ganz aktuellen Bezug: die Angst der Mo- narchisten vor der stärker werdenden Sozial- demokratie, die lII1verblümt als "innerer Feind" bezeichnet wurde. Vergleichsweise spät hatte sich in der Haupt- und Residenz- stadt Industrie als Wirtschafismacht entwik- kelt. Das erste, den Namen verdienende Ar- beiterviertel war in den 1860er Jahren als Eisenbahnerstadtteil, abgetrennt von der Kernstadt, in der Südstadt entstanden. Be- zeichnenderweise wurden hier 1889 und 1892 auch die ersten beiden Stadtteilkirchen fertiggestellt: Christliche Betreuung als Teil sozialer Sicherheit und Zunl Schutz der be- stehenden Gesellschaftsordnung. Die nach 314 dem Kulturkampf wieder hergestellte Einig- keit zwischen Staat und katholischer Kirche wurde indessen zu derselben Zeit mit der Bernharduskirche demonstriert: Der Groß- herzog schenkte der Kirchengemeinde den Bauplatz. Alle Beteiligten waren sich der großen Geste und der exponierten Lage des Platzes bewußt: " ... einem Kirchenbau fallt dort nicht nur die dominierende Stellung über die nächste Umgebung, sondern geradezu die Beherrschung der Stadt .. . naturgemäß zu"; die Kirche wird dazu beitragen, daß die ärmeren Schichten den "VerlocJ,;ungen der Socialdemokratie" zu widerstehen lernen - so lauteten die Dankadressen der Kirchenver- waltung, die darüber hinaus den Seligen Bernhard, einen Vorfahren des Großherzogs, zum Patron bestimmte. Als ob die gleichsam rasante Ausdehnung der Stadt in der "Bürger- achse" gebremst werden sollte, markieren beide Denkmäler Achtung gebietend, fast drohend, das eine vorwärtsschreitend und schmal, das andere himmelstürmend und breit, die Grenze zwischen "Kernstadt" und "Neustadt". Staatsstruktur, gesellschaftliche Ordnung und Vorkehrungen flir die innere Sicherheit haben sich in dieser Anordnung niedergeschlagen. Weder die Verlock"Ullgen der Sozialdemokratie noch die Ausdehnung der "Bürgerachse" konnten freilich aufgehal- ten werden: Kurz nach der Enthüllungsfeier des Kaiserdenkmals, noch vor der Fertigstel- lung der Bernharduskirche wurde die SPD bei den Reichstagswahlen 1898 stärkste Partei; gleichzeitig wurden bis 1900 bzw. 1907 West- und Oststadt zu vollwertigen Stadttei- len mit eigenen (evangelischen) Kirchen ausgebaut. Die beiden Denkmäler sind zu "historischen Inseln" geworden. Wi/fried Rößling "Eva im Glashaus" von Jürgen Goertz Wer erinnert sich nicht an die kontroversen, viele Monate andauernden Diskussionen, die seine phantasievoll-skurrilen Plastiken in der Öffentlichkeit hervorgerufen haben? Der umstrittene "Musengaul" vor dem Badischen Staatstheater von 1981 oder die auf dem Kopf stehende Figur der "Europa" vor der gleich- namigen Großsporthalle auf dem Beiertheimer Feld haben nachhaltig Aufmerksamkeit erregt und den Schöpferdieser figürlichen Werke, den 1939 geborenen Bildhauer Jürgen Goertz, in Karlsruhe einem breiten Publik'Ul11 bekannt gemacht. Die kritischen bis ablehnenden Stimmen über seine Arbeiten sind zwar zu keinem Zeit- punkt völlig verstwnmt, doch zählt Goertz längst zum Kreis der arrivierten, mit vielen öffentlichen Aufträgen betrauten Künstler. Dies gilt in besonderem Maße flir die Fächer- stadt: Kaum ein anderer Bildhauer ist im Karlsruher Stadtgebiet mit seinen Plastiken so häufig vertreten wie er. Weitere, durchaus prominente Werkbeispiele des ehemaligen Loth-Schülers an der Karlsruher Kunstaka- demie sind der 1978 aufgestellte "Herren- brunnen" im Fußgängerbereich der Kaiser- straße oder die Säulenbekrönungen am postmodernen Neubau der Landeskreditbank. Aber auch an weniger exponierten Stellen lassen sich Plastiken von Jürgen Goertz entdecken, so etwa auf der nördlichen Seite des Waldhornplatzes. Dort befmdet sich seit 1982 ein Glaskastenobjekt, das arn Hauptein- gang zum kurz zuvorfertiggestellten Verwal- tungsgebäude des Badischen Gemeindeun- fallversicherungsverbandes die Blicke auf 315 sich zieht. "Eva im Glashaus", so der Titel dieser Skulptur, ist als Auftragswerk der Gemeindeunfallversicherung entstanden. Der zuständige Bauausschuß nutzte die von der Aufsichtsbehörde für "Kunst am Bau" genehmigte Summe, um in zweifacher Weise auf die seit 1971 bestehende Aufgabe des Versicherungsverbandes als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung fur Kinder in Kindergärten, Schüler und Studenten aufmerksam zu machen: Im Inneren des Gebäudes mit themenbezogenen Majolika- Keramiken von Jürgen und Christa Goertz und im Außenbereich mit jener "Eva im Glashaus", zu der die 1974 geborene Tochter des Bildhauers Modell stand. Über einem gekachelten Sockel erhebt sich der hochrechteckige gläserne Kasten, der als schätzende Hülle fur das aus farbigem Kunststoff geformte Ebenbild der Tochter dient. Mit starrem Blick sieht das in auffallend naturalistischer Weise dargestellte Mädchen den Passanten entgegen. Es lehnt sich aufrecht an einen hölzernen Zaun, von BläUern umrankt. Seine geflochtenen Zöpfe sind über den Ohren zu Schnecken zusam- mengefaßt; die nackten Füße stehen auf einem groben Sandboden. "Am besten, das letzte bißehen heile Welt um einen herum ins Glashaus sperren, damit kein Regentropfen das Liebste erschlage", liest der Betrachter in dem erläuternden Text, den der Künstler verfaßt und seinem Werk beigegeben hat. UrslIla Merkel Die Baischstraße "Ich sag Dir mein Lieber, das ist etwas Kolossales", schrieb 1904 Bruno Taut sei- nem Bruder Max nach Königsberg. Und auch Charles-Edouard Jeanneret, bekannt gewor- den als Le Corbusier, äußerte sich 1910 in einem Brief an seine Eltern in der Schweiz begeistert über das, was er gesehen haUe. Beide damals noch junge Architekten, die in der 20er Jahren als Protagonisten des Neuen Bauens internationale Bedeutung erlangen sollten, haUen in Karlsruhe Station gemacht, um sich mit eigenen Augen ein Bild zu ver- schaffen von der damals lebendigen Ar- chitekturszene in der badischen Residenz, über die die zeitgenössischen Bau- und Kunst- zeitschriften so häufig berichteten. Es war vor allem ein Werk, das - in einem BlaU als " Beispiel neuer deutscher Bauweise" geprie- sen - eine besondere Anziehungskraft auf sie ausübte, "eine einheitliche, sehr schöne Stra- ße, die viel Zauber hat" , wie Jeanneret no- tierte. Er meinte die Bebauung der Baisch- 316 straße, deren Einfluß auf Bruno Taut sich sogar noch vier Jahre nach seinem Besuch an dessen erstem eigenen Bau, einem Mietshaus in Berlin, nachweisen läßt. Zweifellos war die Baischstraße, erbaut 1900-1903, ein zentrales Werk der Karlsru- her Jahrhundertwende-Architektur und ihr Schöpfer Herrnann Billing neben Cwjel & Maser der Hauptvertreter jener Generation, die sich damals die Überwindung des Histo- rismus auf ihre Fahnen geschrieben hatte (vgl. S. 283). Dabei war Billings Aufgabe keines- wegs einfach. Der private Bauherr haUe in erster Linie finanzielle Interessen und wollte das zentral am Kaiserplatz gelegene, aber äußerst ungünstig geschnittene handtuch- artige" Grundstück von etwa 31 auf 200 Me- tern möglichst lukrativ verwerten. Die lö- sung mit einer Stichstraße, gesäumt von sechs Einfamilienhäusern und einem großen Dop- pelhaus mit Mietwohnungen, das die Straße am Zugang vom Kaiserplatz her torartig über- baut, erwies sich als städtebaulich glückliche Disposition, fur die sich allenfalls in Paris Vorbilder finden lassen. Entscheidend war freilich, daß Hermatm Billing diese "Villenkolonie", deren Häuser erst nach Fertigstellung an Interessenten ver- kauft wurden, im Sinne des Jugendstils bis in Details wie Gartenzäune oder Straßenlater- nen eigenhändig gestalten konnte. Sein Kon- zept ging dabei von einer außergewölmlichen Vielfalt der Einzelbauten aus. So zeigte sich jedes Haus in differenzierter Form, unter- schiedlichem Material und ungewohnt bunter Farbigkeit als Individuum, wobei die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks aufkonservati- ve Zeitgenossen schockierend wirkte. Bei al- ler Vielgestaltigkeit war es Billing jedoch gelungen, die Häuser zu einem stimmigen Gesatntensemble zusammenzubringen. Für das Doppelhaus am Zugang zur Straße engagierte sich Billing besonders, wie die Bauakten zeigen. Innerhalb von flinf Mona- ten legte er 1902 nicht weniger als drei An- träge vor, obwohl bereits die ersten Planun- gen die Zustimmung der Behörden gefunden hatten. Die mächtige Schaufassade und ihre beiden unterschiedlichen Giebel wurden zu einem bestaunten Kabinettstück freier Inter- pretation von Formen des 16. Jahrhunderts, wobei die expressive Plastizität des hellen Sandsteins ursprünglich durch leuchtende, geradezu freche Farbakzente in Gold und heI- lem Blau noch unterstrichen wurde. Wie nach ihrer Fertigstellung, so könnte die Baischstraße auch heute noch ein überre- gional bedeutendes Aushängeschild flir Karls- ruhe sein - wäre der Charakter des "Gesamt- kunstwerks" nicht weitgehend verloren ge- gangen. Dies ist nicht allein dem Zweiten Weltkrieg zuzuschreiben, der vor allem atn Torgebäude Schäden hinterließ. Die Zerstö- rung fand eher in den Jahrzehnten danach statt, als bei Wiederaufbau, Umbau und Re- novierung die künstlerische Qualität nicht er- katmt wurde, oder allein wirtschaftliche As- pekte zählten. So bietet das Ensemble nurmehr ein rudimentäres Bild, das ohne jede gestalte- rische Rücksicht auf die Architektur durch Garagen, Autoabstellplätze, veränderte Fen- ster und Türen, Dachgauben, Etemitverklei- dungen und Aufstoc\.'Imgen verunstaltet wird. Weitere negative Eingriffe in dieses überre- gional bedeutende Kulturdenkmal sind selbst gegenwärtig zu beflirchten. Dabei hat der Eigentümer des Hauses Baischstraße 5 Anfang der neunziger Jahre demonstriert, wie man den Bestand in denk- malpflegerisch vorbildlicher Weise sanieren katm, wobei sogar die ursprüngliche Farbig- keit wiederhergestellt wurde. Gerhard Kabierske 317 Der Heckerhut im Pfinzgaumuseum 1998 wird das 150jährige Jubiläum der Badischen Revolution 1848/49 gefeiert. In ganz Baden und speziell in Karlsruhe wird man dieser demokratischen Bewegung durch zahlreiche Veranstaltungen gedenken. Doch während die revolutionären Ereignisse 1848/ 49 die badische Residenz nur wenig in Mit- leidenschaft zogen, kam es im nahegelegenen Durlach am 25 . Juni 1849 an der Obermühle zu einem schweren Gefecht zwischen den Revolutionären und den preußischen Trup- pen, die Großherzog Leopold zu Hilfe geru- fen hatte. Zahlreiche Einwohner des "rothen Durlach" sympathisierten mit den Aufständi- schen. Einige wenige schlossen sich den ab- ziehenden revolutionären Truppen an. Im Pfmzgaumuseum in Durlach sind einige interessante Objekte zur Badischen Revolu- tion 1848/49 ausgestellt, die wohl auch auf der großen Landesausstellung im Badischen 318 Landesmuseum zu sehen sein werden. Das Glanzstück der Präsentation ist der sogenannte Heckerhu!. Er mag auf den ersten Blick als malerisches Accessoir erscheinen, ist aber in Wirklichkeit ein hochpolitischer Gegenstand. Benannt wurde er nach dem Mannheimer Ju- risten und Mitglied der 11. Badischen Kam- mer Friedrich Hecker, der seinen Zug zur Einftihrung der Demokratie in Deutschland mit I 000 Revolutionären am Hochrhein be- gann. Doch dieser wurde rasch aufgerieben. Die militärischen Niederlagen setzten mit der Unterredung zwischen Hecker und dem Kom- mandeur der Regierungstruppen General von Gagern auf der Brücke bei Kandern ein. Hecker hatte, auf seine glänzende Rhetorik vertrauend, die Regierungssoldaten zum Über- laufen bewegen wollen, aber der General ließ die Trommeln schlagen und erstickte die Rede. Dieses legendäre Ereignis wurde auf zahlrei- ehen Graphiken verbreitet. Es findet sich auch als Darstellung auf einem Pfeifenkopf im Pfinzgaumuseum. Doch kehren wir zurück zum Heckerhut. Er besteht aus weichem Filz und sein Kopfteil geht ohne Knick in die breite Krempe über. So ergibt sich eine we- nig definierte, fließende Form. Als Schmuck- elemente weist er zwei Fasanenfedern auf, die durch den Filz hindurchgesteckt sind, so- wie eine schwarz-rat-goldene Kokarde. Sein Widerpart, der Zylinder, war zunächst eben- falls ein revolutionäres Kleidungsstück, zog doch der Dritte Stand 1789 mit Zylinder und Frack in die Pariser Nationalversammlung ein und setzte damit ein Zeichen gegen die bunte höfische Kleidung des Adels. Mit der Etablierung des Bürgertums wurde dessen Kleidung und damit auch der Zylinder zur Bekleidungsnorm. Wie auch der steife Kra- gen, der "Vatermörder", stand der Hut für Charakterstärke und strenge moral ische Grundsätze. Die Revolutionäre von 1848/49 sahen ihn jedoch als Sinnbild ftir Erstarrung und Unbeweglichkeit an. Dagegen erhoben sie den weichen Filzhut mit langer Feder zum weithin sichtbaren Zeichen ihres politischen Widerstandes. Der Heckerhut gehört zusam- men mit einer weiten Bluse zur "Unifonn" der Aufständischen. Wie ihr Anftihrer trugen die meisten langes Haar und einen Bart. Als Bewaffnung dienten ihnen unter anderem ge- radegestellte Sensen, wie sie der Durlacher Karl Leußler der Bürgerwehr vorantrug. Auch davon sind zwei Exemplare im Pfinzgau- museum zu sehen. Die eigenwillige Kleidung und Bewaffuung der Revolutionäre erweckte bereits bei den Zeitgenossen die Vorstellung vom Räuberhauptmann und Volkshelden, der, ähnlich wie der legendäre Robin Hood, die Armen gegen die Reichen verteidigt. Doch die ReaJ..1ion versuchte die Aufständischen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als un- gebildet und gewalttätig zu diffamieren. Aber auch der Heckerhut verwandelte sich vom politischen Abzeichen zum modischen Kleidungsstück. In den 1880er Jahren ließ sich der " Reichsgrunder" Otto von Bismarck von dem Münchener Gesellschaftsmaler F ranz von Lenbach mit dem weichen Filzhut por- trätieren. Brigille Baumstark Ein Wandkatalog in der Oststadt Wer seinen Getränkevorrat in der Oststadt deckt, den hat sein Weg vielleicht schon mal in die Gerwigstraße 38 geftihrt. Hier, wo sich heute im Hof eine entsprechende Handlung befindet, war ursprünglich das Baumate- rialiengeschäft L. Reiss beherbergt. Eine In- schrift über dem Tor des Vorderhauses, das von dem bekannten Karlsruher Architekten HernJann Billing 1905 gebaut worden ist, weist heute noch auf den Bauherrn hin. Auffallig und zumindest in Karlsruhe ein- malig ist die Ausstattung der Torfahrt. Zum Teil wunderschöne Fliesen bekleiden hier beidseitig die unteren Wandflächen. Es han- delt sich um 1-2 qm große Musterflächen, die nebeneinandergesetzt sind wie in einem Katalog. Und genau dies war auch ihre Funk- tion. In Zeiten, in denen Hochglanzprospekte die Briefkästen überquellen lassen, mag es schwer vorstellbar sein, daß es zu Anfang dieses Jahrhunderts noch kaum möglich war, seine Ware attraktiv anzupreisen. Reklame war teuer und ging über ein Firmensignet in der Tageszeitung kaunJ hinaus. Auch war an Farbe kaum zu denken. So fmden sich immer wieder Beispiele, in denen pfiffige Handwerker Musterflächen an ihren Häusern oder Hofinauern angebracht 319 Hausflur Genvigstraße 38. haben, um der Kundschaft die Qualität und mögliche Vielfalt ihrer Arbeit anschaulich zu machen. Sicherlich hat sich so mancher Haus- besitzer viel eher zum Kauf auch einer teure- ren Fliese entschließen können, wenn sie, statt nur einzeln in einer Kiste zu liegen, in der vollen Entfaltung ihres Dekors großflächig angebracht war. Die glasierten Kacheln mit z. T. floralen Mustern und reich verzierten Abschlußleisten waren für die repräsentative Ausgestaltung von Hauseingängen gedacht. Eher fur die Wände einer Küche wurden die weißen Ka- cheln mit kleinen blauen Musterfeldern ver- wendet. Auch Fußbodenbeläge sind hier vor- gestellt, so z. B. die typischen Schachbrett- muster in rot-weiß oder schwarz-gelb, die noch heute auf zahlreichen Karlsruher Kü- 320 chenböden und in Hausfluren zu finden sind. Eine Besonderheit ist leider kaum zu sehen: Verdeckt durch das hochgefahrene Tor befin- det sich an der Wand ein Kachelbild mit einer Darstellung der Burg Lichtenstein. Die Verwendung von Fliesen erfreute sich schon aus hygienischen Gründen großer Be- liebtheit. Gerade im Eingangsbereich von Treppenhäusern und in Torfahrten, die einer starken Versclunutzung ausgesetzt sind, wa- ren Wandfliesen eine pflegeleichte und dau- erhafte - wenn auch teurere - Alternative zum einfachen Ölanstrich. Selten wurden be- sondere künstlerische Ansprüche an das Pro- dukt gestellt, daher war es sehr gut für eine industrielle Fertigung geeignet. Eines der fuh- renden Unternelunen fur Baukeramik war die bereits 1748 gegründete F. Villeroy & Boch in MettlachlSaar. Die Karlsruher Majolika, berühmt fur ihre aufwendigen baukerarnischen Raumausstat- tungen, nahm reine Fliesenbeläge erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts in ihr Reper- toire auf. Ulrike Plate Zwangsarbeit in Karlsruhe 1939-1945 Beim ZKM erscheint allein das Gebäude der ehemaligen Deut- schen Waffen- und Munitionsfa- brik (DWM) schon imponierend. Um diesem Industriebau eine be- sondere historische Dimension zu geben, hat die Stadt eine Tafel arn Portal anbringen lassen, die den Be- sucher an die hier tätigen Zwangs- arbeiter während des Zweiten Welt- kriegs erinnern soll . Ca. 17000 Frauen und Männer waren es, de- ren Schicksal Jürgen Schuhladen- Krämer in seiner Magisterarbeit geschildert hat, erschienen als Band 3 in der Schriftenreihe des Stadt- archivs. Die Situation dieser Frauen und Männer war unterschiedlich; wäh- rend in bäuerlichen Betrieben und in Haushalten erträgliche Verhält- nisse herrschen konnten, war die Lage in Fabriken wesentlich här- ter. Bei mangelhafter Arbeit gab es Strafen, Aufsässigkeit gegen die oft anzutreffende Willkiir von Lagerleitern fUhrte zur "Schutz- haft" in "ArbeitserziehWlgslagem'\ die als "Weg durch die Hölle" charakterisiert wur- den. Auch in der DWM bestand ein solches Lager, in dem mindestens täglich 12 Stunden gearbeitet werden mußte. Besonders krass war der Unterschied, den die Aufsichtsbehörden aus rassischen Grün- den zwischen Angehörigen aus West- und Ostländern machten. Wer von den Polen, ei- nem "fUhreriosen Arbeitervolk", sich " einer deutschen Frau unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft", so die hiesige Polizeibehörde, und häufig genug wurde solches vollstrecki. Während Russen als besonders "schlecht- rassig" eingestuft wurden, versuchte man die Ukrainer davon zu unterscheiden, weil man sie als "slawische Hilfsmannschaften" zu ge- winnen suchte. Sie hätten "einen stark dinari- schen, also uns verwandlen Rasseeinschlag auf- zuweisen" und gehörten nicht zu den Nord-, sondern zu den Südslawen, wie die abstrusen Konstruktionen der obersten "Rasseaufsichts- behörde" der SS lauteten. 321 Für den Fall einer längeren Krankheit oder gar bei Invalidität plante man zunächst eine Abschiebung ins Herkunftsland, um Kosten zu sparen. Mit der Rückverlegung der Fron- ten gegen Ende des Krieges entfiel diese Mög- lichkeit. In der Albuferstraße 4-10 enichte- ten darum im Oktober 1943 die Städt. Kran- kenanstalten ein Ausländerkrankenhaus. Da sowjetische Ärzte mit Dolmetschern dort ein- gesetzt wurden, galt es vor allem als Baracke für Ostarbeiter. Ein Drittel der "Fremdarbei- ter" waren Frauen, die wegen ihrer Arbeits- leistung in den Betrieben geschätzt wurden. Unerwünscht waren aber die hohen Geburten- zahlen, besonders bei Polinnen und Russin- nen. Darum wurden hier bei Abtreibungen - für deutsche Frauen verboten - Sonderrechte eingeräumt. Für die Arbeiter waren eigene Bordelle eingerichtet, wobei "Dirnen germa- nischen Volkstums (z. B. Holländerinnen, Norwegerinnen)" abgelehnt wurden, selbst- verständlich auch Deutsche. Dagegen waren " Polinnen bevorzugt einzusetzen. Auf 300- 400 Arbeiter soll eine Dime konunen", so die Regelung der behördlichen Zuhälterei. Während polnische Frauen' nicht geschla- gen werden sollten, galt rur Männer diese Regelung: "Das Züchtigungsrecht steht je- dem Betriebsftihrer rur die Landarbeiter pol- nischen Volkstums zu, sofern gutes Zureden und Belehrungen ohne Erfolg waren. Der Be- triebsführer darf in einem solchen Fall von keiner Dienststelle deswegen zur Rechen- schaft gezogen werden." So stand z. B. am Güterbahnhof ein höchstens 16jähriger HitIer- junge, berichtet ein Zeitzeuge, "und hielt eine 322 Peitsche in der Hand, mit der er unter Ge- brauch herablassender Ausdrücke einen so- '\Cietischen ,Zivilarbeiter' Zunl schnelleren Entladen eines Waggons antrieb." Zwischen wirtschaftlichen Interessen der Industrie - möglichst viele leistungsfahige Arbeitskräfte - und rasseideologischen Prin- zipien der NS-Führung kam es also häufig zu Konflikten, die mit dem Komprorniß "Brot und Peitsche" gelöst werden sollten. Der Hö- hepunkt des Einsatzes wurde im Spätsommer 1944 erreicht, als ca. 10 000 Zwangsarbeite- rinnen und -arbeiter sich in Karlsruhe befun- den haben. Der Haß gegen das deutsche "Herrenvolk" äußerte sich nach 1945 in manchen Übergrif- fen. Die Allüerten begegneten den "Displaced persons" nicht inuner entgegenkonmlend, zu- mal zahlreiche nicht in die von So\\Ciets be- setzten Länder zurückkehren wollten. Insgesamt ist dies ein trauriges Kapitel in der Historie der 40er Jahre, bei dem man neben dem harten äußeren Druck nicht die Verlassenheit des einzelnen, die seelischen Konflikte, den Verrat durch Zuträger verges- sen sollte. Bei der Enthüllung der Gedenkta- fel sah der ehemalige Zwangsarbeiter Oe Ruyter aus den Niederlanden diese als eines der Zeichen, "die alte Gräben überwinden hilft" . Bei einem Zentrum rur die H. Modeme von morgen sollte darum der Blick zurück in die jüngere Geschichte nicht fehlen. (Jürgen Schuhladen-Krämer, Zwangsarbeit in Karls- ruhe 1939- 1945, Ein unbekanntes Kapitel Stadtgeschichte, Karlsruhe 1997, 170 S., DM 25,-). LeonhardMrlller Der Narrenbrunnen Seit dem I!. I!. 1997 ist die ehemalige ba- dische Residenz wieder um einen weiteren Brunnen reicher, so daß man Karlsruhe bald mit dem Beinamen "Stadt der Brunnen" versehen könnte. Die Fastnachter um ihren Festausschußpräsidenten Jürgen Olm sowie Oberbürgermeister Prof. Dr. Seiler und der Künstler Markus Lüpertz weihten unter reger Anteilnahme der Bevölkerung den neuen Narrenbrunnen auf dem Kronenplatz ein. Stadt und Karnevalsvereine teilten sich die Kosten des Brunnens in etwa zur Hälfte. Der Künstler selbst steuerte ebenfalls einen nicht unerheblichen fmanziellen Beitrag bei. Nun thront ein farbig gefaßter bronzener Harlekin in lässiger Haltung " auf einem wackligen Sitz aus Backsteinen" etwas außerhalb der Mitte einer hellblau gemusterten Brunnenschale aus Terrazzobetonstein, nach den Worten des Künstlers in dieser Größe eine Weltneuheit, die nicht leicht herzustellen gewesen sei. An der Einfassung der Brunnenschale sind die Embleme von allen 24 dem FKF angeschlos- senen Karlsruher Karnevalsvereinen sowIe Sockel der Brunnenfigur sprudelnde Naß gleichsam zum Bestandteil des Kunstwerks. Welche Rolle die Harlekinfigur im Selbst- verständnis und im Werk des Künstlers spielt, hat Erika Rödiger-Diruf 1991 in ihrem Bei- trag zum Katalog der Lüpertz-Ausstellung im Prinz-Max-Palais gewürdigt. Dem karm man auch entnehmen, daß Lüpertz fiir die Ge- staltung des Narrenbrunnens auf eine bereits vorhandene Bronzeskulptur zurückgriff: "Die Bronzeligur des sitzenden Harlekin von 1984, die mit der Bezeichnung " Pierrot lu- naire" den Gemäldeserien aus dem gleichen Jahr zuzuordnen ist, strahlt durch die kräftige, dominant rot-grüne Bemalung (,N arren- fa~ben '), eine gewisse Heiterkeit aus .. .. Ei- nen Blickfang bilden die großen Hände, die ineinander verschränkt auf dem Schenkel ruhen, und die hochovale Kopfform ... " Rödiger-Diruf wies dabei auch auf entspre- chende Bilder von Picasso hin, die den Künstler zu seinen Harlekindarstellungen an- geregt hätten. Trotzdem kann man mit dem Brunnen doch einige historische Erinnerun- das Stadtwappen in Form von Majolikake- ramiken angebracht worden. Lüpertz, seit langem ein internatio- nal gefeierter Avant- gardekünstler, schuf da- mit ein Kunstwerk, das nicht nur in der Kar- nevalssaison seine Wür- digung linden soll, denn gerade in der wärmeren J ahreszei t wird j a durch die Inbetriebnahme des Brunnens erst sein ei- gentlicher Zweck er- reicht und das aus dem Der Ki/nsl/er Marklls Lüpertz Imd sein Harlekin bei der Einweih,mg des Narrenbnmnens 0111 dem Kronenp/atz am 1/.11./997, 11.11 Uhr. 323 gen verbinden, die, wenn auch wohl eher zufdllig, die Ursprünge der Karlsruher Fast- nacht betreffen. Der Harlekin entstammt der italienischen Commedia dell'arte des 16. bis 18. Jahrhun- derts und ist vermutlich eine verfeinerte Form der mittelalterlichen Narrenfigur. Kennzei- chen des Narren waren schon im Mittelalter gestreifte oder gefleckte Gewänder mit den Narrenfarben gelb, rot, grün oder blau, die Narrenkappe mit Schellen sowie Schnabel- schuhe. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden im Karlsruher Hoftheater sogenannte Harlekinaden aufgeführt, die als kurzweilige und humorvolle Lustspiele ein begeistertes Publikum fanden. Harlekin wurde bald in Hanswurst eingedeutscht und fand berühmte Darsteller, die sich auf dieses Genre spe- zialisiert hatten. Nicht von ungefahr wurden Harlekin und sein "alter ego" Hanswurst daher auch zu Hauptfiguren der Karlsruher Fastnacht im Vormärz. 1844 war "seiner al- lemärrischsten Majestät", dem König Hans- wurst, sogar der ganze Umzug gewidmet. "Harlekins umschwärmten in· lärmender Ge- schäftigkeit den Zug, und noch verschiedene Masken reihten sich an und bildeten einen langen Schweif', berichtet die 1845 verfaßte Karlsruher Narrenchronik. "Auf dem Markt- platz angelangt, nachdem die besuchtesten Straßen der Stadt durchpassirt waren, bestieg Hanswurst den ftir 'ihn prachtvoll bereiteten, erhabenen Thron im glänzenden Geleite seiner Kronbeamten. " Dort fanden Hans- wurst zu Ehren Eselsturniere, der Empfang von fremden Gesandtschaften und eine Or- densverleihung statt. Erst in der zweiten Hälf- te des 19. Jahrhunderts sollte sich Prinz Karneval nach rheinischem Vorbild durchset- zen und damit Harlekin und Hanswurst in Karlsruhe verdrängen. So ist der Harlekin des Narrenbrunnens neben seiner künstlerischen Bedeutung auch eine Symbolfigur fur die 324 Anfange der Karlsruher Fastnacht. Aber auch der Standort des neuen Brunnens ist mit der Karlsruher Karnevalsgeschichte verknüpft. Befand sich doch hier und in der Umgebung die alte Taglöhnersiedlung "Dörf- le", die 1715 mit der Stadtgründung entstan- den war und mit der Flächensanierung in den 60er Jahren zum größten Teil verschwunden ist. Das Dörfle wurde im 19. Jahrhundert mit dem Übernamen "Pfannenstiel" belegt, der ursprünglich nur fur den östlichen Teil der Kaiserstraße ab Höhe der Waldhornstraße gegolten hatte, da dieser aus dem Fächer- grundriß herausfiel. Ein anderer Erklärungs- versuch von Fritz Hirsch aus den 20er Jahren erscheint recht originell, ist aber historisch als eher fragwürdig einzustufen. Er meinte, das Dörfle mit der Waldhornstraße sei in der Plananlage der Stadt mit einem Pfannenstiel zu vergleichen, wenn man den Zirkel um das Schloß als geschlossene Tellerscheibe be- trachtet, die somit die "Pfanne" ausmachen würde. Jedenfalls nannte sich die erste, 1843 gegründete Karnevalsgesellschaft der Stadt "Narrenverein von Pf3IU1cnstielhausen", wo- mit allerdings die ganze Stadt gemeint war. Spekulationen, daß dieser Verein im heute noch bestehenden Gasthaus "ZunI Pfannen- stiel" gegründet worden sei, entbehren jeder Grundlage, da diese Wirtschaft erst in der Gründerzeit errichtet worden ist und ein Wirtshaus gleichen Namens nicht vorher bestand. Das Vereinslokal des alten Narren- vereins befand sich in der nicht mehr be- stehenden Brauerei Görger in der nördlichen Waidstraße, also weit entfernt vom " Pfannen- stiel" , Ein wichtiges Element der Fastnacht der 1840er Jahre war die Zopfmiliz, die der Wirt zum Goldenen Kreuz gegründet hatte und die mit ihren Uniformen an napoleonische Zeiten erinnern sollte. Das Wirtshaus "Zum Golde- nen Kreuz" befand sich früher an der Kreu- zung der Zähringer- mit der Kreuzstraße hin- ter der Kleinen Kirche, also in unmittelbarer Nachbarschaft zum "Dörfle". Vielleicht hat der Wirt seine Mannschaft aus jungen Bur- schen des Dörfle rekrutiert, und der Name des Narrenvereins "Pfannenstielhausen" steht damit in Zusammenhang. Letztlich wird sich dies aber nicht mehr eindeutig klären lassen. Trotzdem erscheint der Platz des Narren- brunnens auch unter den hier geschilderten Gesichtspunkten nicht schlecht gewählt. Außerdem sorgt er rur eine Belebung des erst mit der Dörflesanierung entstandenen Kronen- platzes, der ja nun von recht monumental wirkenden Neubauten umgeben ist. Zu einer Belebung wollen auch die Karnevalsvereine beitragen. So soll hier regelmäßig am 11. 11. der Karneval eröffnet und arn Aschermitt- woch beendet werden sowie ein jährliches Brunnenfest staUfmden. Dabei könnte urunit- telbar an das historische Vorbild angeknüpft werden. Hatten doch die Narren 1843 und 1844 auf dem Marktplatz einen Jahrmarkt abgehalten, auf dem mit zahlreichen an das Mittelalter erinnernden Kostümierungen Kö- nigin Fastnacht und König Hanswurst gehul- digt wurden. Dabei kam auch das leibliche Wohl und die geistige Nahrung nicht zu kurz, wie wir der Narrenchronik entnehmen: " .. .in der Gegend des Brunnens (des Ludwigs- brunnens auf dem Marktplatz) stand der geräumige Glückshafen, und an diesen reihten sich die Buden der Narrenliteratur, des Wunderdoctors, des pfeifenverkäufers, des Tabakhändlers, der Bier- und Wein- schenken, des Fastnachtsküchlebäckers, der Wurstler und Anderen an .... Liebhaber von Punsch fanden an der Ecke der Zähringer- straße volle Befriedigung wie auch freundli- che Bedienung. Kurz, es war rur alles gesorgt, was ein Volksfest in seinem Gefolge haben m'.ill." Wir dürfen gespannt sein, ob am Karlsruher Narrenbrunnen auf dem Kronen- platz wieder etwas Ähnliches entsteht. Pe/er Pre/sch Hinter der Autobahn Bis vor kurzem gab es noch so etwas wie ein "Niemandsland" zwischen Karlsruhe und Durlach, denn an der Betriebsbrücke über die Autobahn ging es rur die Öffentlichkeit nicht weiter. Kaumjemand kannte die Ecke" hinter der Autobahn" und auch heute wird kaum einer der Brückenbenutzer auf dem Gelände der Autobahnmeisterei etwas besonderes ver- muten. Wer jedoch hinsieht, kann dort über- raschend gute Architek1ur entdecken: ein repräsentatives Verwaltungsgebäude und den langgestreckten Baukörper der Fahrzeug- halle. Beide Gebäude zeigen Sichtmauerwerk aus regelmäßig behauenen Sandsteinen mit Eckquaderung, die den repräsentativen An- spruch unterstreicht, fein geschnittene Profil- rahmen an Fenstern und Türen zeugen von großem handwerklichem Anspruch, Rundbo- genfenster und Schieferdächer lassen an Weinbrennerbauten denken. Solche Qualität rur reine Funktionsbauten? Die Autobahnmeisterei ist Teil des größten Bauprojekts in der Geschichte Deutschlands, dem Bau der Autobahn. Die Autobahnpla- nung, die in den 20er Jahren ihren Anfang nahm, wurde von den Nationalsozialisten aufgegriffen und erhielt durch das Gesetz über die Errichtung eines "Unternehmens Reichsautobahnen" von 1933 eine reichsweit einheitliche Organisation. Die Nationalso- zialisten sahen im Autobahnbau nicht nur den technisch-ökonomischen Nutzen und eine Möglichkeit der Arbeitsbeschaffung. Sie er- kannten insbesondere das ungeheure propa- 325 gandistische Potential, das in diesem Projekt lag und das später auch zum militärischen Autimirsch fur den geplanten Krieg dienen sollte. Die Energie, die in den Autobahnbau gesteckt wurde, spiegelt sich im raschen Bau- tempo: Bereits im Oktober 1935 konnte der Generalinspekteur fur das deutsche Straßen- wesen, Dr. Todt, die Fertigstellung des Streckenabschnitts Viernheim-Mannheim- Heidelberg bekanntgeben. Im September 1936 war die Strecke bis Bruchsal fertig, im Oktober 1937 wurde der Abschnitt bis KarIs- ruhe freigegeben und im Dezember 1938 konnte das Autobahndreieck von Karlsruhe bis Ettlingen bzw. bis Pforzheim eröffnet werden. Bei aller Schnelligkeit stand die Ästhetik stets im Vordergrund. Für die technisch- konstruktiven Fragen wurden hochkarätige Ingenieure hinzugezogen, wie zum Beispiel Fritz Leonhardt fur den Brückenbau; er hat 1955 den Stuttgarter Fernsehturm gebaut. Es gab künstlerische Berater, von denen hier nur der Architekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Paul Bonatz, genannt sei. Die Autobahn bot den Nationalsozialisten die Möglichkeit der 326 Selbstdarstellung, sie stand ftir Fortschritt und Technik, gleichzeitig sollte sie die enge Verbundenheit mit der Landschaft im Sinne von Heimat, Vaterland und Geschichte zei- gen. Autobahnstrecken wurden zum Teil so geftihrt, daß sie historische Sehenswürdigkei- ten vom Auto aus erleben ließen: bekanntes Beispiel hierftir ist der Dom von Limburgf Lahn. Besonderer Wert wurde auf die Qualität der Autobahnarchitektur gelegt. Ingenieurlei- stungen wie Brücken und Tunnel symbolisier- ten Fortschritt und Modernität. Raststätten, Tankstellen und eben auch AutobaIuunei- stereien sollten dagegen nach Form und hand- werklicher Ausfuhrung dem landschafllieh überkommenen Baustil folgen und den Um- landbewohnern den zeitgemäßen Stil vor Au- gen fuhren, um sie so zur Nacheiferung anzu- spornen. Typisch.fur die Ideologie der Nazi- architektur ist hierbei, daß landschaftsgebun- denes Bauen im Vordergrund stand; selbst bei besten Entwürfen war keine reichsweite Vereinheitlichung des Stils vorgesehen. Au- tobahn- bzw. Straßenbaumeistereien bestan- den üblicherweise aus einem um ein bis zwei Werkhöfe gruppiertem Gehöft, bestehend aus einem Bürogebäude mit Ferruneldevermitt- lung, Aufenthalts-, Wasch- und Umkleide- räumen, einer Fahrzeughalle und einer Tankstelle. Da Residenzpflicht herrschte, gab es auch eine Dienstwohnung fur den Straßen- baumeister sowie weitere Betriebswohnungen. Von hier aus wurde zunächst der Streckenbau organisiert; bis heute aber gehören die Si- cherheit der Autobahnen, regelmäßige Kon- trollen und Reparaturen von Straßendämmen und Brücken sowie der Winterdienst zu den Aufgaben der Straßenmeister. Mit dem Bau der Autobahnmeisterei in Durlach wurde 1938 begonnen. Wegen des Kriegsausbruchs konnte die Anlage nicht vollendet werden, erst 1950 wurden die notwendigen Gebäude ergänzt, 1970-1972 kam es zu einer Er- weiterung. Bis 1940 waren nur das Verwal- tungsgebäude und die Fahrzeughalle fertigge- steIlt worden, erbaut im rätlichen Sandstein der Grötzinger Steinbrüche, die Form wurde mit Anklängen an die für Karlsruhe typische klassizistische Architektur gewählt. Der Ar- chitekt, Paul Schmitthenner, Professor an der TH Stuttgart, war der Hauptverfechter eines traditionellen Baustils und einer der deut- schen Architekten, die überzeugt für den Nationalsozialismus eintraten. Er hat die ästhetischen Ansprüche an landschaftliche Gebundenheit in Material und Stil sowie an handwerkliche Qualität in den Gebäuden der Autobahnmeisterei Iß Karlsruhe-Durlach umgesetzt. Ulrike Plale 327 Bücher-Blick Bilder im Zirkel, 175 Jahre Badischer Kunstverein Karlsruhe. Hrsg. v. Jutta Dresch u. Wilfried Rößling, Karlsruhe 1993,400 S., DM 50,- Ausstellungskataloge und Festschriften werden zu einem gegebenen Anlaß häufig nur ftir ein kleineres Umfeld komponiert. Dieser großformatige Band, der allein durch seine ansprechende Gestaltung herausragt, bietet weit mehr und ist ein Stück Kulturgeschichte dieser Stadt in den letzten beiden Jahrhunder- ten. Aufliterarischem Gebiet hatte Karlsruhe weniger zu bieten, eher schon im Bereich der Musik, des Theaters. Weit über Baden be- kannt ist aber der Bereich der bildenden Künste - freilich: jene breite Bürgerinitiative zum Erwerb für Museen, wie z. B. in Mann- heim, ganz zu schweigen in den Hansestäd- ten, fand man in der badischen Residenz seltener, weil man sich auf das Mäzenat kunstverständiger Großherzöge verließ. Des- halb hatte der Kunstverein, der" vornehmste Verein in ganz Baden" , eine notwendige Mittlerfunktion, die von den 15 Autoren in vielfacher Weise beschrieben wird. Um nur einige zu erwähnen, schildert die Her- ausgeberin Jutta Dresch prägnant die Or- ganisation der Kunstvereinsausstellungen bis 1860 und ihre spätere Reform sowie die "vortreillichen Photographien" von J. A. Lorent um die Mitte des letzten Jahrhunderts, wobei - wie in anderen Beiträgen - zahl- reiches, noch unveröffentlichtes Material herangezogen wurde. Wilfried Rößling be- leuchtet die vielfaltigen Kontakte zum Rheinischen Kunstverein, Dieter Hein den Kunstverein im bürgerlichen Aufbruch des frühen 19. Jahrhunderts, Peter Pretsch im Zeitalter der Industrialisierung, Eva-Maria Froittzheim, Marlene Angermcyer-Deubner, Michael Koch und Christoph Zuschlag in den folgenden Epochen unter spezifischen Frage- stellungen. Die Skizze von Hans-Werner Schrnidt "Die 'Verbindung für historische Kunst ' 1854- 1933" stößt auf ein aktuelles Interesse, denkt man an die heutige Diskussion um Denkmale und die Rückwirkung auf die nationale Identifikation. So galten Bilder zum deut- schen Mittelalter mit ihren Kaisergestalten im 19. Jahrhundert zunächst für eine groß- deutsche Lösung, die nach 1871 entfiel. Darstellungen zur Geschichte der Reformati- on und des Dreißigjährigen Krieges flankier- ten eher Bismarcks Bestrebungen, Pro- testantismus und Preußentum als Gegenpart zum Katholizismus in Einklang zu bringen. Ursula Merkeis Amnerkungen zum staatli- chen Porträtwettbewerb und zur Ausstellung ven 1930 unter dem Thema "Selbstbildnisse badischer Künstler" schildert einen Vorgang, der eine offizielle wie private Aufinerksarn- keit ,vie kaum eine andere Ausstellung erzielt hat, weil sie zu heftigen Kontroversen fUhrte. In einer von Karl Hubbuch und anderen herausgegebenen Monatsschrift erschien eine Lithographie von Ef\vin Spuler, wie er sich die Erschießung der Jwy vor dem Portal der Kunsthalle vorstellte, ein faszinierender Bericht, der die Auseinandersetzungen im "Dritten Reich" erahnen läßt. Die Liste der Jahresgaben ab 1832 konzentriert ein Stück Kunstgeschichte auf knappem Raum, wobei die 30er und 40er Jahre ausgespart wurden. Mit über 100 Schwarzweiß- und 31 farbigen Abbildungen - darunter das auseinandergeschnittene Werk "Nero überschaut das brennende Rom" von Ferdinand Keller wird auch fur jene, die die Ausstellung nicht besuchen konnten, die breite Palette der Exponate sehr anschaulich vorgefUlut. In sununa: eine fesselnde Lektüre und zugleich ein Nachschlagewerk. Leonhard Mal/er 329 100 Jahre Mädchengymnasium in Deutsch- land. Hrsg. Stadt Karlsruhe, G. Braun Verlag, 131 S., DM 10,- Diese Publikation, von P. Behringer und G. Zeipert-Haßinger redigiert, ist umfassender als eine landläufige Festschrift, und viele Interessenten aus ganz Deutschland haben nach ihr gefragt, weil sie am Beispiel zweier Schulen neben dem Lokalen das Grundsätzli- che von Mädchenbildung aufgreift. Aufgrund von sorgfaltigen Akten- und Literaturstudien sind gerade die einftihrenden Aufsätze von Eva Hirtler, vor allem auch über die NS-Ära von Ilse Weigel sehr anschaulich und differenziert. Erhard Hottenroth schildert das Gründungsumfeld, und Erinnerungen von Zeitzeuginnen geben den nüchternen Fakten Farbe und Plastizität. Die Schülerbeiträge sind hier knapp, quasi als Kostprobe gehalten, weil die Historie dominiert. Ein Drittel ist dem Thema "Koedukation" gewidmet - heute wieder modem, wie man dem sachkundigen Interview von Susanne Asche und Annette Niesyto mit den Ministe- rinnen Dr. Schultz-Hector und Unger-Soyka entnehmen kann. Insofern fUhrt die Aufsatz- sammlung mitten in die Diskussion jener Gleichberechtigung der Geschlechter, deren Bedingungen und Möglichkeiten die Diskus- sion unserer Tage prägt. Daß historische Rückblicke nichts anderes sind, als "die aus- dauernde Befragung der Vergangenheit im Namen der Probleme der Gegenwart" (F. Braudei), wird an diesem Heft besonders einleuchtend, das zu Gesprächen einlädt, was innerhalb der bildwlgspolitischen Literatur eher eine Rarität ist. Die vorzügliche Bild- ausstattung eröffnet zudem beredte Eindrük- ke von dem Wandel der Generationen. Leonhard Mal/er 330 Karlsruher Stadtteile, Bulach, Ausstel- lung der Stadtgeschichte im Prinz-Max- Palais zur SOO-Jahrfeier. Hrsg. Stadt Karlsruhe, Badenia Verlag, 52 S., DM 6,50 Dieser sechste Stadtteil ist von Peter Pretsch, dem Sammlungsleiter, innerhalb einer Reihe in bewährter Form nicht nur als ein hilfreicher Ausstellungsfiihrer beschrie- ben worden, sondern er ist auch ein Beitrag zu einer künftigen neuen Karlsruher Stadtge- schichte. Ortshistorie, Gebäude, Industrie und Gewerbe sowie gesellschaftliches Leben sind die Markiermlgspunkte, die einen Über- blick zur Entwicklung des von ' Papst Coe- lestin III. bereits benannten Dorfes ver- mitteln, der in einer Zeittafel noch einmal zusanllllengefaßt wird. In der lebendigen Bildauswahl findet man zahlreiche Exponate der sehenswerten Ausstellung wieder. Leonhard Mill/er Horst Schlesiger/Josef Werner: Die 50er Jahre. Ein Karlsruher Jahrzehnt in Bildern. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1993, 120 S. , DM 36,- Die 50er Jahre, ihre Filme, ScIllager und Moden finden seit einiger Zeit die ölIentliche Aufmerksamkeit der Medien, doch auch der wissenschaftlichen BetrachtlUlg. Darin schwingt zunächst eine nostalgische Verklärung der Wirtschaftswwlderzeit mit, die aber dalUl einen Blick freigibt auf ein außerordentlich spannungsreiches Jahrzehnt. Geprägt von Aufbruch und Neuanfang, war es zugleich voll von Kontrasten und Schattenseiten wie kein anderes Nachkriegsjahrzehnt. Es ist ein Glücksfall fUr Karlsruhe, daß fiir den vorliegenden Band die Bilder des " Chroni- sten mit der Kamera", Horst Schlesiger, von dem "Chronisten mit der Feder", JosefWerner, ausgewählt und knapp kommentiert wurden. Beide haben über mehrere Jahrzehnte flir die Badischen Neuesten Nachrichten gearbeitet. In mehr als 40jähriger Tätigkeit schufSchiesi- ger ein Bildarchiv, das Werner zu Recht als "einzigartig und stadtgeschichtlich wertvoll" bezeichnet. Aus diesem Fundus entstand ein Kaleidoskop, in denen die flinfziger Jahre eindrucksvoll Revue passieren. Die Fotos Schlesigers sind in dem von Robert Dreikluft gut gestalteten Band in sie- ben Abschnitte gegliedert, denen JosefWerner nach einem Rückblick auf die unmittelbare Nachkriegszeit jeweils eine kurze Einleitung voranstellt. Aber diese Gliederung gibt nur eine grobe Orientierung, denn viele der Bilder entziehen sich dank ihrer Aussagekraft ein- deutigen thematischen Zuordnungen. Sie zeigen zum einen in vielfliltiger Brechung die äußere Gestalt der Stadt. Neben den Bildern der Kriegszerstörung stehenjene, die die nach- trägliche Zerstörung historischer Bausubstanz im Zeichen der zeitbedingten Abrißmentalität dokumentieren. Eindringlich \vird der Verlust bei Betrachtung des 1945 erhaltenen ersten Karlsruher Hauptbahnhofs an der Kriegs- straße. Gezeigt werden aber auch der beein- druckende Wiederaufbau und Neubau der Stadt - wie die erhaltene Idylle in den Außen- stadtteilen. Viele Fotografien Schlesigers spiegeln zu- dem das Lebensgeftihl der Menschen, die in dieser sich wandelnden Stadt lebten. Nicht das "offizielle" Karlsruhe der Empfange und feierlichen Anlässe stand bei der Auswahl im Blick. Menschen bei der Arbeit, vom Profes- sor über den Bauarbeiter bis zum Bauern, bei den Arbeitspausen, beim Schwatz auf der Straße, bei Freizeit und Vergnügen sind zu sehen. Den wirtschaftlichen Aufschwung zei- gen nicht allein die Aufuahmen vom Wieder- aufbau, sondern auch die vom Einkaufsgewühl in der Kaiserstraße und von Kabinenrollern, Autos und der technischen Errungenschaft Fernsehen, die aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis formte. Daneben erzählen manche Bilder Geschichten von der Not des Alltags der 50er Jahre: Flüchtlingselend, Kinder vor Barackenwohnungen, ein Rentner in einer Behelfswohnung und Auswanderer im Hauptbahnhof. Die Texte von Josef Werner dienen dem Betrachter zur Orientierung in der Zeit oder auch zur Erinnerung an jene Jahre. Er nennt als Chronist Ereignisse und Entwicklungen, ohne sich gelegentlich eines deutlichen Kommentars zu enthalten. Der sichtbare Verkaufserfolg des Bandes sollte den Verlag ermutigen, die geplante Fortsetzung mit Bildern der sechziger Jahre in Angriff zu nehmen. Manfred Koch Alexander Mobr: Die Stadt Durlacb in der Badischen Revolution von 1848/49. Ein Beitrag zur Revolution in der Provinz. Hrsg. Freundeskreis Pfmzgaumuseum Dur- lach e.V., Karlsruhe 1993, 170 S. , DM 49,80 Durlach sei "ein Tummelplatz der Blut- roten", wußte der preußische Offizier Staroste über die damals noch selbständige Stadt im Osten Karlsruhes in der Zeit der Revolution von 1848/49 zu berichten. Bekannt ist bis heute auch, daß bei der Durlacher Obermühle ein Gefecht zwischen der badischen Revolu- tionsarmee und den preußischen Truppen, die die Revolution niederschlugen, stattfand. Zwei in dem Gebäude eingemauerte Kanonenkugeln zeugen von der Schlacht. Manche wissen noch, daß der Durlacher Konrad Lenzinger in Rastatt wegen Beteiligung an der Revo- lution hingerichtet wurde. Aber mehr war nicht bekannt über die Rolle der Durlacher in der ersten demokratischen Revolution und der ersten Republik Deutschlands. Durlach war ein zu unbedeutendes Städtchen im Schatten Karlsruhes, als daß die Geschichtsforschung 331 sich seiner bisher angenommen hätte. Nun hat Alexander Mohr seine Forschungsergeb- nisse uber Durlach in der Badischen Revolu- tion von 1848/49 veröffentlicht. In dem 170 Seiten umfassenden, gut bebilderten Band schildert Mohr mit wissenschaftlicher Ge- nauigkeit und doch anschaulich das Durlacher gesellschaftliche, wirtschaftliche und politi- sche Leben der 1840er Jahre, um vor diesem Hintergrund die Durlacher Auseinander- setzungen in den Revolutionsmonaten zu beschreiben. Deutlich wird dabei, daß die Durlacher Einwohnerschaft geprägt war durch ein Bürgerselbstbewußtsein, das sich auch gegen die aus Karlsruhe kommenden Ge- setzes- und Verwaltungsregelungen zu wehren wußte. Einigkeit allerdings herrschte unter den Durlachern nicht - es gab den radikal- demokratischen Bürgerverein und den konser- vativen Vaterländischen Verein. Mohr ver- steht es, die unterschiedlichen politischen An- schauungen, die in dieser Zeit aufeinander- prallen, auch an Personen und den einzelnen Problemen, die diese zu lösen hatten, deutlich zu machen. Da steht der Revolutionsgegner und Gründer der Feuerwehr Christian Hengst dem Radikaldemokraten und Studierten Dr. earl Steinmetz gegenüber, dazwischen der Revolutionsbürgerrneister und Kronenwirt Eduard Kraft. An Fragen, wie der, welche Farbe z. B. die Fahne der Bürgerwehr haben solle - weiß oder rot -, erhitzten sich die Ge- müter. Aber Mohr fückt nicht nur die Männer in das Blickfeld, sondern er vergißt nicht den Beitrag der Frauen - weder den zum Alltags- leben in dem kleinen Landstädtchen noch den zur Revolution. Dabei hat Mohr mehr verfaßt als nur ein Kapitel Durlacher Stadtgeschichte. Es gelingt ihm durchaus, die Durlacher Ereignisse so in den zeitgeschichtlichen Rah- men zu stellen, daß sein Buch tatsächlich ein allgemeiner Forschungsbeitrag zur Revolution in der Provinz ist und damit mehr als eine Ortschronik. Der Verein der Freunde des 332 Pfinzgaumuseums hat Alexander Mohrs Arbeit als Band I seiner neu gegründeten Reihe " Beiträge zur Geschichte Durlachs und des Pfinzgaus" herausgegeben. Daß das so lesenswerte Ergebnis von Mohrs Forschun- gen nun einer breiten Öffentlichkeit vorliegt, ist ein großes Verdienst dieses Durlacher Ver- ems. SI/sanne Asche Stadt Karlsruhe (Herausgeber) Straßen- namen in Karlsruhe, Karlsruher Beiträge, Nr.7 G. Braun Verlag, Karlsruhe 1994, 216 S , DM 24,80 Wußten Sie, daß die "Steinstraße" ihren Namen vom Steintransport auf einem Kanal hat, der früher offen an ihr entlang zur Innenstadt fUhrte? War Ihnen bekannt, daß der " Lauschige Weg" in Rüppurr ein Wort- spiel darstellt um einen Karlsruher Stadtpla- ner naruens Lausch? Dies und anderes mehr kann man aus dem neuen Buch des Stadtarchivs und des Liegen- schaftsarutes zum Verfahren von Straßen- benennungen lernen. Die ganze Fülle des Stoffes entfaltet sich dann im vollständigen alphabetischen Verzeichnis aller Straßenna- men. Stets ist das Jahr der Namengebung vermerkt, zusätzlich werden frühere Bezeich- nungen derselben Straße angegeben. Bei Straßenbezeichnungen, die auf Personenna- men beruhen, fallt die Erläuterung richtiger- weise knapp aus, wenn es sich um allgemein bekannte Größen handelt. Soweit eine Bezie- hung der bekannten Persördichkeit zu Karlsruhe besteht, verdient diese natürlich Beachtung. Weniger knapp sind sinnvoller- weise die Mitteilungen über jene Nanlenge- ber ausgefallen, welche in erster Linie lokale Bedeutung auszeichnet. Hier erfahrt der Le- ser viel Wissenswertes über Künstler, Politi- ker, Forscher, Fürsten und andere Prominente der Stadtgeschichte. Das Buch der Straßenna- men erweist sich als Fundgrube fUr Informa- tionen, deren mühsames Zusammensuchen die Autoren dem Leser abgenommen haben. Aus Platzgründen mußte wohl manches wegbleiben, auch sind bei der Vielfalt der Fakten kleine Ungenauigkeiten kaum auszu- schließen. So war Reinhold Frank nicht unmittelbar am Attentat auf Hitler beteiligt. Joseph Scheffel legte sein Abitur 1843 am Karlsruher Gymnasium ab, das natürlich noch nicht Bismarck-Gymnasium hieß (so endgültig erst 1954). Robert Gerwigs Kar- riere wurde gekrönt durch das Amt des technischen Chefs der gesamten badischen Staatsbahn; die Schwarzwaldbahn hat er vor der Gotthardbahn gebaut. Johann Peter He- bel, der mehr als nur "humorvoll" war, hat nicht den "Rheinischen Hausfreund" geschrie- ben, sondern Kalendergeschichten fUr den von ihm herausgegebenen "Rheinländischen Hausfreund". Ludwig Windhorst, den man nicht als "Grunder" der Zentrumspartei be- zeichnen kann, wäre als "hannoverscher Justizminister" längst vergessen. Seine wich- tigste Rolle war die des OppositionsfUhrcrs gegen Bismarck im Reichstag. Zur Bezeichnung "Alter Friedhof' würde ein Hinweis auf den benachbarten alten jüdi- schen Friedhof passen. Den Dammerstock sollte man schon als Pionierleistung und Mu- ster der Bauhaus-Architektur kenntlich ma- chen. Der Katalog von Straßennamen verschafft einen Eindruck davon, welche Persönlichkei- ten die Karlsruher zu verschiedenen Zeiten ehren und in Erinnerung behalten wollten, und erzählt auch davon, welche Worte denjewei- ligen Gemeinderäten angenehm in den Ohren klangen. Das neue Buch ermöglicht auch, Bilanz zu ziehen und dabei eine Entschei- dungsgrundlage zu gewinnen, wessen künftig bei der Benennung von Straßen und Plätzen gedacht werden sollte. Glanzpun\..1e des neuen Namenbuches sind die vorzüglich abgedruckten alten Fotografi- en von Karlsruher Straßen. Sie stellen den Lebensraum der Eltern und Großeltern oder auch der eigenen Kindheit lebhaft vor Augen. Ihr Vergleich mit dem heutigen Zustand zeigt den Wandel des Stadtbildes. In den Straßen- namen selbst spiegelt sich dagegen eher Kontinuität, abgesehen von den Verwertun- gen der Naziherrschaft und den Veränderun- gen beim Hinzutritt alt-neuer Stadtteile zur Kemstadt. Die drei einfuhrenden Aufsätze (E. O. Bräunehe, J. K. Mehldau, Annette Niesyto) bieten interessante Grundlagen fUr weitere Diskussionen. Insgesamt ist dieses Nachschlagewerk daher sehr zu begrüßen. Klaus Oes/erle Ulrike Grimm: Das Badische Landesmu- seum in Karlsruhe. Zur Geschichte seiner Sammlungen. Hrsg. v. Harald Siebenmorgen, G. Braun Verlag, Karlsruhe 1993,272 S., DM 28,- Diese Geschichte eines Museums geht über den Rahmen der Institution hinaus und ist aufgrund breiter Forschungen auch ein Stück badische Kulturgeschichte. Beginnend mit der Sammelleidenschaft fUr Münzen durch Markgraf Friedrich VI. im 17. Jahrhundert wird der Bogen über Hofbibliothek, Zeichen- akademie, Kunsthalle, Gipssamm\ung, Tür- kenbeute und verschiedene Ankäufe zum Neubau fUr die "Ghzgl. Sammlungen fUr Altertums- und Völkerkunde" am Friedrichs- platz 1875 geschlagen. Zu Recht wird die zentrale Bedeutung Ernst Wagners (1832- 1920) herausgestellt. 47 J ah,.e widmete sich das ehern. Mitglied des Oberschulrats und Erzieher des Erbprinzen - daher ein Mann besonderen Vertrauens fUr Friedrich I. - der Neuordnung des kostbaren Kunstbesitzes und "schuf mit seiner systematischen Inventari- 333 sierung eine verläßliche Grundlage flir wissenschaftliche Museumsarbeit - unver- zichtblir bis heute". Der Charakteristik des Kunstgewerbemu- seums 1890 bis 1918 unter besonderer Wür- digung von Hennann Götz schließt sich die Schilderung des neuen Badischen Landesmu- seums im Schloß unter Hans Rott (1876- 1942) an, der den Residenz-Bezug sprengte und " im wesentlichen die südwestdeutschen Kunst- und Kulturbeziehungen" deutlich werden ließ, dementsprechend auch die Ankäufe vergab - in den Notzeiten der Wei- marer Republik recht spärlich. Welches Glück dieses Museum mit seinen Direktoren hatte, erkennt man auch an den Nachkriegs- leistungen. Arthur v. Schneider konnte ab 1948 die kaum überschaubaren Auslagerun- gen während der Kriegswirren wieder erfassen und mit Restaurierungen beginnen, war doch der Erhaltungszustand mancher Kunstschätze "fast hoflhungslos". Für seine Bundesgerichte hat Karlsruhe nicht nur mit dem Abriß des alten Hollheaters Vorleistun- gen erbracht; auch die abrupte Verlagerung der Exponate in das Telegrafenamt 1952, um das Erbgroßhzgl. Palais rur den BGH zu räumen, verursachte bei den Sanunlungen manche Umzugs schäden. Dafur konnte später mit einer modemen Inneneinrichtung des ausgebrannten Schlosses eine zeitgemäße Präsentation geschaffen werden, die viele Gäste Karlsruhes bewundern. Die ziel be- wußte, qualitätsbestimmte Ankaufstätigkeit der Direktorate unter Rudolf Schnellbach 1952-1967, Ernst Petrasch 1967- 1981 und VolkerHimmelein 1981-1991 aufgrundauch der Lotto- und Toto-Mittel sowie eine rege Ausstellungsaktivität haben diese Institution zu einem wichtigen Kulturzentrunl werden lassen, dessen ÖLTentlichkeitsarbeit nun weitere breite Kreise erfaß!. Leonhard Müller 334 900 Jahre Gottesauc. Spurensuche, Spu- rensicherung. Hrsg. v. Förderverein des Generallandes- archivs Karlsruhe, Karlsruhe 1994, 92 S., DM 20,- Wer sich bislang mit dem Thema Gottesaue befaßte, mußte sich auf die Suche nach einer verstreuten und teilweise veralteten Literatur begeben. Das Erscheinen des hier anzuzei- genden Titels hat diesem Mißstand abgehol- fen. Entstanden als Begleitband zur gleichna- migen Ausstellung im Schloß Gottesaue aus Anlaß der 900. Wiederkehr der Gründung des Benediktinerklosters Gottesaue, widmet sich der Band auf seinen knapp 100 Seiten einem Thema, dessen Reiz, so H. Schwarzmaier im Geleitwort, " in der Kontinuität eines seit 900 Jahren besiedelten, überbauten und auf die verschiedenste Weise genutzten Platzes" liegt, "der heute wieder Anlaß zu Planungen und neuen Bauvorhaben gibt". Ziel der Spurensuche war das Zusammen- tragen von schriftlichen und dinglichen Überresten und ihre Sicherung fur die Zu- kunft. Wie die Autoren betonen, wurde dabei der krasse Widerspruch oLTenkundig, der "zwischen der Bedeutung des alten Siedlungs- kerns Gottesaue und der Kenntnis über ilm" bestanden habe. Dieser Aussage ist zuzustim- men, nicht zuletzt auch in Erinnerung der Tatsache, daß das 900jährige Gottesaue als eine der Wurzeln des viel jüngeren Karlsru- hes zu gelten haI. In der heutigen Verstreuung der Spuren spiegelt sich das 11,ema Gottesaue in seiner vielfaltigen Dimension. Der Begleitband bündelt diese Vielfalt in vier Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt widmet sich der "Klosterzeit" und behandelt die ersten zwei Jahrhunderte des Klosters, die klösterliche Grundherrschall, Bauwesen und geistliches Leben im ausgehenden Mittelalter, die Auf- lösung des Klosters, die Klosterbibliothek und den archäologischen Befund. Der zweite Schwerpunkt ist überschrieben mit " Schloß und Kammergut"; hier geht es, wiederum unter Einbeziehung der Archäologie, um die Baugeschichte und die Ausstattung des Schlosses sowie um die Restitution des Klosters und seine Umwandlung als herr- schaftliches Kammergut. Von "Militär und Polizei" und ihrem Gottesauer Kasernement handelt das dritte Hauptkapitel, das auch die Übergangsnutzung des Areals seit 1945 mit einbezieht. Die "Perspektive 2001 " lenkt schließlich den Blick auf die Überlegungen zur städtebaulichen Neugestaltung und Auf- wertung von " Karlsruhe-Südost" . Abgerundet wird der Band durch ca. 90 Abbildungen. Ein Literaturverzeichnis und ein chronologischer Überblick samt Quellen- verweisen dienen der schnellen Orientierung und laden zur weitergehenden Beschäftigung ein. Bedauerlich ist das Fehlen eines Kapitels, das den Wiederaufbau des Schlosses doku- mentiert hätte. Rainer GlIljahr Josef Werner: Bauen und Wohnen. 75 Jahre Hardtwaldsiedlung Karlsruhe. Hrsg. von der Hardtwaldsiedlung Karlsruhe e. G., Karlsruhe 1994,120 S. Jubiläen von Firmen, Institutionen und Or- ten initiieren häufig Publikationen über deren Geschichte. Auch die Baugenossenschaft Hardtwaldsiedlung hat zu ihrem 75jährigen Bestehen eine Publikation vorgelegt. Als Au· tor konnte JosefWerner, ehern. Leiter der Lo· kalredak1ion der Badischen Neuesten Nach- richten und Autor stadtgeschichtlicher Publi- kationen, gewonnen werden. In Karlsruhe herrschte nach dem I. Welt- krieg wie in allen deutschen Großstädten ein eklatanter Wohnungsmangel. Auf Initiative von Albert Braun, Inhaber der Papierwaren- fabrik und Druckerei Braun & Co. in Grün- winkel, zwischen 1919 und 1930 mehrfach Karlsruher Stadtrat der linksliberalen Deut- schen Demokratischen Partei (DDP), fand deshalb am 3. März 1919 die Gründungsver- sammlung der dritten Karlsruher Baugenos- senschaft nach dem Mieter- und Bauverein (1897) und der Gartenstadt (1907), der "Bau- genossenschaft der Bauhandwerker" im Gros- sen Rathaussaal statt. Erst 1926 erhielt sie ihren heutigen Namen nach ihrem ersten großen Projekt, der Hardtwaldsiedlung. In- zwischen war der Mitgliederkreis über die Bauhandwerker hinaus erweitert worden, so daß mit der Umbenennung auch die Gemein- nützigkeit des Vereins erreicht wurde. Schon bald dehnte man die Bautätigkeit über die Hardtwaldsiedlung aus: Die Lohfeldsiedlung, die Parkstraße und vor allem die Dammer- stocksiedlung sind Beispiele fur Walmbau- ten, die bis heute das Stadtbild mitprägen. Zu Beginn des Jubiläumsjahres verfugt die Ge- nossenschaft über I 549 Wohnungen, die Zahl der Mitglieder hat 5 000 überschritten. J. Werner zeic1met die Geschichte der Hardtwaldsiedlung detailliert und kenntnis- reich bis in die Gegenwart nach und liefert somit einen wichtigen Beitrag zur Erfor- schung der Baugeschichte der Stadt Karlsru- he. Das bebilderte Bändchen ist bei der Hardtwaldsiedlung erhältlich. Ernst 0110 Bräunehe Herbert Maiseh: Bulacher Ortschronik. Vom Kirchdorfam Wald zum Stadtteil an der Autobahn. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Karlsru- he· Bulach, Karlsruhe 1994, 240 S., DM 42,50 (erhältlich in Bulach bei den Vorsitzenden der Vereine, der Kirchengemeinde, der Volks- bank und der Sparkasse). Im vergangenen Jahr feierte Bulach den 800. Jahrestag der urkundlichen Erster- 335 wähnung. Nun liegt mit H. Maisehs Bulacher Ortschronik auch das Buch zur Geschichte des 1929 nach Karlsruhe eingemeindeten Ortes vor. In zwei Kapiteln gibt der Autor einen knappen Überblick zur Geschichte Bulachs bis zum Beginn des 18. Jhs. Es folgen zwei Kapitel über die Kirchen- und Schul- geschichte, die bis zur Gegenwart reichen. In elf weiteren Kapiteln werden verschiedene Aspekte der Ortsgeschichte festgehalten, so die Gemarkung und Verwaltung der Gemein- de, das Gewerbeleben und die Bevölkerung sowie die Eingemeindung nach Karlsruhe, die mit dem Abdruck des Vertrages dokumentiert wird. Nachlesen kann man hier auch über Sitte und Brauchtum, über kleine Kulturdenk- mäler und über die wechselvolle Geschichte der Bulacher Vereine. Ein interessantes Kapitel über die Landwirtschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg steuerte Dieter Nagel bei. Er macht die erst jüngst vergan- gene bäuerliche Lebenswelt in der Großstadt Karlsruhe noch einmal bewußt. Die Geschich- te des erst 1926 nach Bulach eingemeindeten Schlosses Schei benhardt wird in dem Artikel von Wilhelm Hausenstein, dem in Karlsruhe zur Schule gegangenen späteren Schriftstel- lers und Diplomaten, aus dem Jahre 1928 le- bendig. Herbert Maisch versteht sich selbst als Bar- fußchronist, der mit Fachhistorikem nicht konkurrieren möchte. Auch wenn aus dieser Sicht der eine odet andere Aspekt der Orts- geschichte etwas zu kurz kommt, dürfte das vorliegende Buch mit seinen zahlreichen Abbildungen doch eine Fundgrube histori- schen Wissens sein. Manfred Koch 336 Horst Schlesiger/Josef Werner: Die 60er Jahre. Ein Karlsruher Jahrzehnt in Bil- dern. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1994,120 S., DM 36,- Alexander Mobr/Martin Walter: Karlsru- be. Ein verlorenes Stadtbild. Gudensberg-Gleichen 1994, 71 S., DM 29,80 Den 60er Jahren gilt anders als den 50em noch nicht der nostalgisch verklärende Rück- blick. Zu sehr ragen die Umbrüche dieser Jah- re, ihre weitreichenden Planungen und Be- schlüsse bis in die Gegenwart. Regionale Vemetzung, Verkehrsplanungen, Stadtbau- programme und wirtschaftsstruktureller Wan- del dokumentieren das Ende der Nachkriegs- zei t. Verbunden damit war zudem eine stär- kere Auseinandersetzung mit der NS-Ver- gangenheit, ein auf mehr Partizipation ge- richtetes Demokratieverständnis und ein be- ginnender gesellschaftlicher Wertewandel. Dies spiegelt sich in dem von Robert Drei- kluft (G. Braun Verlag) gestalteten Band mit den Bildern von Horst Schlesiger und den Texten von Josef Wemer eindrucksvoll für die Karlsruher Verhältnisse wider. Wie der Band über die 50er Jahre ist auch dieser in einzelne Kapi tel gegliedert, denen Wemer eine knappe EinieitlUlg voranstellt. So berichtet eines über "Schmerzliche Verluste" historischer Bausubstanz durch stadtplaneri- sche Veränderungen. Hier sind z. B. die Rui- nen des Theaters, des Ständehauses, aber auch der intakte Malschbrunnen, das Wachhaus am Karlstor, der Kühle Krug und das Altstadt- milieu zu sehen. Das Kapitel " Regatta, Rhein- stadt und andere Utopien" zeigt einiges vom damaligen Glauben an die Machbarkeit alles Wünschenswerten: ein Klein-Manhattan in der Altstadt, eine Lagunenstadt am Rhein, das Rafl.ineriegelände und den Ölhafen, die riesige Waldflächen verschlangen. Am Ende des Jahrzehnts zwangen dann leere Kassen, aber auch erwachendes Um- weitbewußtsein zum Abschied von Utopien. Es blieb den kommenden Generationen die Rheinstadt wie auch die Zerstörung der Rheinauen fiir eine 2 km lange Regattastrecke erspart, und die Neubauten in der Altstadt wurden den Karlsruher Maßstäben angepaßt. Die interessanten und die Gegensätze des Jahrzehnts widerspiegelnden Bilder von Schlesiger sowie die infonnativen, aber notgedrungenen knappen Texte - gelegentlich meint man Werners Bedauern zu spüren, sich kurz fassen zu müssen-wecken das Interesse, mehr über dieses fiir die Stadtgeschichte so entscheidende Jahrzehnt zu erfahren. Einen Zeitraum von etwa 60 Jahren - etwa zwischen 1870 und 1930 - Karlsruher Ge- schichte erschließt der von Alexander Mohr und Martin Walter zusammengestellte Bild- band. "Ein verlorenes Stadtbild" titelte der Verlag, die Bearbeiter aber betonen in ihrem Vorwort, daß Karlsruhe von dem "so viele ebenmäßige Idealansichten existieren ... stets eine pulsierende Baustelle" war. Dennoch habe die Stadt "bis heute mehr Profil bewahrt als viele vergleichbare Städte". Anhand von 67 historischen Aufnahnlen, die allesamt aus den Beständen des Stadtarehivs Karlsruhe stanlffien, läßt sich das auch leicht nachvoll- ziehen. Die Bildauswahl zeigt, wo inwler möglich, Ansichten der Stadt mit ihren Be- wohnern. Das vermittelt gute Eindrücke vom Alltagsleben der Zeit und lädt zum Venveilen ein. Zu sehen sind auch historische Ereignisse wie ein Zeppelinflug über die Stadt oder eine Szene nach dem ersten Bombenangriff vom Jahre 1915. Die Texte sind, entsprechend dem Verlagskonzept, auf das Allernotwendigste beschränkt, so daß weitergehendes IIlteresse nicht befriedigt werden kann. Dies tut der mit diesem Bildband vermittelten Schaulust aber nur unwesentlich Abbruch. Manfred Koch Roland Eichier: Die West stadt im Spiegel der Geschichte. Festschrift zum toO-jäh- rigen Bestehen des Bürgervereins der Weststadt Karlsruhe e.V. Hrsg. in Zusanlffienarbeit mit der Landesbild- stelle Baden, Karlsruhe 1994,60 S. Die Karlsruher Bürgervereine kommen in die Jahre. Über 100 Jahre gibt es den in der Südstadt bereits und jetzt folgt mit dem runden Jubiläum der in der Weststadt. Andere werden sich anschließen. Roland Eichier hat flir den Bürgerverein Weststadt zum Jubiläum in einer kleinen Festschrift die Geschichte des Stadtteils in seinen Grundzügen nachgezeichnet. Dabei wird in zahlreichen Abbildungen mit infor- mativen Bildunterschriften der Stadtteil lebendig. Der Autor blickt weit zurück in die Zeit vor der Bebauung des Gebietes zwischen Mühlburger Tor und Mühlburg, zwischen der Alb im Süden und dem Hardtwald im Norden. Er berichtet über die Hinrichtungsstätte und danach das Schützenhaus auf dem heutigen Gutenbergplatz, über die Eiskeller der Brau- ereien als Vorläufer der Besiedelung, die Militärschwimmschule an der Alb, den Bahn- hof anl Müh.lburger Tor wld die Industriean- siedlungen. In liebevoll ausgewählten Auf- nahmen von Straßenzügen und Detailbildern werden die wechselnden Baustile vorgeflihrt, aber auch die Zerstörungen durch den von den Nationalsozialisten verursachten Zweiten Weltkrieg. Portraits der Gutenbergschule, des Lessing- und Helmholtzgyrnnasiums sowie des Städtischen Klinikums runden das empfehlenswerte Bändchen ab. Der Bürgerverein Weststadt verdankt seine Entstehung im übrigen einer Bürgerinitiative zur Überbauung des damals noch offenen und übelriechenden Landgrabens entlang der Sophienstraße. Auch der Bürgerverein Süd- stadt entsprang einer Bürgerinitiative, die eine bessere Verkehrsanbindung des' durch 337 die Bahnlinie von der Kemstadt getrennten Stadtteils erreichte. Andere Bürgervereine entstanden ebenfalls zur Durchsetzung von Bürgerinteressen gegen die Stadtverwaltung. Die unterschiedlichen Formen und der Wandel der Interessenwahrnehmung fiir die jeweiligen Stadtteile durch die Bürgervereine harren noch einer eingehenderen Untersu- chung. Manfred Koch Renate Ehrismann: Der regierende Libe- ralismus in der Defensive, Verfassungs- politik im Großherzogtum Baden 1876- 1905. Verlag Peter Lang FrankfurtlM., Berlin. Diss. Freiburg 1993,579 S., DM 137,- Mit Lothar Galls Habilitationsschrift " Der Liberalismus als regierende Partei" liegt seit 1958 eine mustergültige Analyse badischer Geschichte vor. Die Autorin hat nun in die folgende Zeit eine Schneise geschlagen, die sich zwar auf die Verfassungsreform be- schränken muß, dabei aber die ganze innen- politische Entwicklung dieses Mittelstaates einbezieht, auch wenn z. B. die wirtschafth- ehe Entwicklung nur in Fußnoten gestreift wird. Erlebte man bis zum Sturz von Staats- minister Julius Jolly 1876 den Liberalismus- fiihrend in Deutschland - im festen Zugriff auf die Modeme, so trim das Titelwort " De- fensive" fur die folgenden Jahrzehnte zu. Mit der Scheu vor dem allgemeinen, direkten Wahlrecht, das seit 1871 fiir den deutschen Reichstag galt, war fiir die Nationalliberale Partei der "Zwang zur Arbeit" verbunden, wie ein Vertreter schon 1868 erklärte. "Denn bei einer Verkürzung des Wahlmandates um die Hälfte (vier Jahre) und bei direkter Stimmabgabe würde ein gewisses Maß an Bequemlichkeit verloren gehen ... und es gäbe auch nicht mehr den kleinen Kreis der Wahlmänner, mit dem der Landtagsabgeord- 338 nete allein in Kontakt treten müßte. Nein, dann müßte der Kandidat die Stimme eines jeden Urwählers zu gewinnen suchen." Nach kraftvollen Politikern wie Roggenbach oder Mathy leiteten nun zwar vorzügliche Fach- leute - Turban, Nokk, v. Brauer - das Staats- ministerium, der Schwung jener 60er Jahre ging ihnen aber ab, weil man errungene Positionen nur verteidigen wollte. Dazu trug die Schwäche der Parteiorganisation bei, das geringe Engagement bei Wahlkämpfen, das blinde Vertrauen in die bisher breiten Wäh- lerschichten und eine geringe Bereitschaft, Probleme erkennen und bereinigen zu wollen. So vollzog sich seit 1866 nicht nur der Wan- dei vom linken zum rechten Nationalismus, sondern auch vom fortschrittlichen zum eingeschränkten Wahlrecht. Im Kulturkampf gewann die Badische Volkspartei fur den politischen Katholizismus einen Landtagssitz nach dem anderen. Mit "Demokraten", " Frei- sinnigen" und Sozialdemokraten (seit 1891) forderte diese Opposition das fur sie gün- stigere allgemeine Wahlrecht. Erst 1893 setzte bei den Liberalen ein Umdenken ein, und 190 I brachten sie den entscheidenden Vorschlag zur Einfuhrung des direkten Wahl- rechts ein. Bei der Wahl zur 11. Kammer 1905 wurde erstmals danach gewählt. Es war ein widerwillig beschrittener Weg, voller Hin- dernisse, mit dem aber Baden sich erneut die freiheitlichste und modernste Verfassung in Deutschland gegeben hatte. Daß wiederum der Liberalismus in Baden - einzig in Deutsch- land - bis zum Ersten Weltkrieg sich behaup- tete, verdankt er der Stütze in der I. Kammer, einer gemäßigt liberalen Regierung, der libe- ralen Großherzöge Friedrich I. und 11. und schließlich dem Bündnis mit den Sozialdemo- kraten seit 1905. Insofern war aus dem reagierenden Libera- lismus wieder ein agierender geworden, gezwungen durch die Verluste in der Kam- mermehrheit, die er aber trotzdem nicht wie- der wett machen konnte. ln den Landtagswah- len 1909 errangen die Liberalen nur siebzehn, 1913 zwanzig Mandate und damit herbe Verluste. Gewinner blieben die Sozialdemo- kraten und das Zentrum, und die Zentrums- partei bildete in der Zweiten Kanuner die stärkste Fraktion. Wenn man also das liberale Baden feiert, sollte man überdenken, ob man nur eine Geisteshaltung meint, oder ob eine politische Bewegung wie, wann und wo gewürdigt werden soll. Renate Ehrismann, 1960 in Lahr geboren, schildert diese Entwicklung in unpretenziösem Stil, anschaulich und außerordentlich grund- lieh. Von 1818 beginnend, wird der badische Liberalismus mit all seinen Vertretern vor- gestellt. Über 250 Kurzbiographien bilden in dieser inunensen Fleißarbeit allein schon ein komprimiertes Personallexikon. Farbig wirkt auch das Porträt des Großherzog Friedrich 1., der, wie die regierende Partei, "seinen Libe- ralismus inuner konservativer" einflirbte. Mit 27 Seiten Angaben zu Quellen und Sekundär- literatur ftir dieses Forschungsfeld bietet die Arbeit zugleich einen letzten Stand zur badischen Bibliographie. Leonhard Müller Emma Wilderer: Numme net hudle. Ge- schichten aus meinem Leben . (Eigenverlag), Karlsruhe 1992, 127 S. Lebenserinnerungen von Karlsruhern sind rar und deswegen flir die Stadtgeschichte begrußenswert. Das gilt umso mehr, wenn es sich um die Lebensgeschichte einer Frau handelt, die in vielen Episoden mit wachem Blick den politischen und gesellschaftlichen Wandel des Jahrhunderts in der Schilderung des eigenen Lebens einfängt. Die in gutbürgerlichen Verhältnissen auf- gewachsene und lebende Autorin gibt Ein- blicke in das Leben ihrer Familie, lüftet die Geheimnisse ihrer Küche und erinnert sich an die späte Kaiserzeit, das "Dritte Reich", Krieg und Nachkriegszeit. Selbst in den Kü- chenrezepten findet man alltagsgeschichtliche Hinweise wie diesen: "Zu meiner Zeit waren die Samstage recht anstrengend flir die Haus- frau . Freitags hat sie die Wohnung geputzt und samstags war dann noch die Treppe naß aufzuwischen .. .. Außerdem mußte man beim Metzger und auf dem Wochenmarkt einkau- fen , dem Vater Sonntagszigarren besorgen und so manches mehr. Auch war der Sonn- tagskuchen noch zu backen." Aber auch von zeitbedingten Änderungen des Rollenverhal- tens der Frauen in der Nachkriegszeit, als Hamsterfahrten und Schwarzmarktgeschäfte zum Alltag gehörten, berichtet Enuna Wil- derer: " Ein großer Teil der Heimkehrenden fsad ihr Zuhause sehr verändert. Sie waren nicht mehr Herr im Hause. Die Kinder kann- ten ihren Vater oft nur von Urlaubstagen und vom Erzählen. Die Frauen waren selbständig geworden. " Es sollten mehr Karlsruher und Karlsruhe- rinnen bereit sein, wie Enuna Wilderer zur schriftlichen Überlieferung des Lebens in Karlsruhe beizutragen. Manfred Koch Erich Bauer/JoserWerner: Die 40er Jah- re. Ein Karlsruher Jahrzehnt in Bildern. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1995, 132 S., DM 38,- Mit diesem Band liegen nun drei Jahrzehnte der Karlsruher Stadtgeschichte in Bildern vom Ende der 30er bis zum Ende der 60er Jahre vor. Sie ergeben ein beeindruckendes Panorama von dem historischen Karlsruhe und seiner Zerstörung bis zum allmählichen Wiederaufbau und Neubau der Stadt. Sie zeigen aber auch in vielen Bildern Ausschnit- te aus dem alltäglichen Leben der Menschen und spiegeln damit die Mitte dieses Jahr- 339 hunderts vom Beginn des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges bis zum Ende der Nachkriegszeit. Sichtbar werden die Umbrüche und Spannungen von der Blitz- kriegseuphorie zur militärischen Niederlage, vom Nachkriegselend zum Wirtschaftswun- der, von weitgreifenden Planungsutopien zu einem beginnenden gesellschaftlichen Werte- wandel. Wie in den vorangegangenen Bänden über die 50er und 60er Jahre hat die historische Kommentierung der Bilder wieder JosefWer- ner übernommen. Anders als bei den voran- gegangenen Bänden stanunen die Aufnahmen nicht von Horst Schlesiger, sondern von dem bekannten, 1984 verstorbenen Karlsruher Berufsfotografen Erich Bauer. Unverändert geblieben ist die sorgfaltige Auswahl und die gute Reproduktion der Bilder sowie die ge- lungene Gestaltung des Bandes durch Robert DreikJuft vom Braun Verlag. Auch flir die 40er Jahre gibt Werner in einem einleitenden "Schuld und Sühne, Tod, Not und neuer Anfang" überschriebenen Ka- pitel eine Charakteristik des Jahrzehnts. Da- bei rallt seine notgedrungen knappe Einschät- zung des Nationalsozialismus etwas zwie- spältig aus. Einerseits benennt er die Verbre- chen des NS-Systems, die auch in Karlsruhe flir alle sichtbar waren, deren Schreckens- bilanz nach 1945 "von denkenden Menschen bald als eine nicht tilgbare deutsche Schuld erkannt" wurde. Andererseits verweist er auf die schon damals einsetzende Verdrängung, und er betont - selbst Zeitzeuge des " Dritten Reiches" - weniger differenzierend das Ver- trauen der Deutschen zur Führung, ihre Blen- dung durch die "Erfolge" des Systems und den Betrug und Mißbrauch der Bevölkerung durch die Machthaber. Solche Erklärungs- versuche könnten aber nolens volens eine Entlastung der Deutschen von der Verantwor- tung bewirken. Die folgenden sechs knappen Kapitelein- 340 leitungen emllen im übrigen ihren Zweck, durch chronikalische Mitteilungen Orientie- rung in der Zeit zu geben, wobei historisch wichtige Daten und Karlsruher Alltagsgesche- hen in gelungener Weise gemischt werden. Vier davon sind der Kriegszeit und zwei der Nachkriegszeit gewidmet. Dies erscheint insofern kein Ungleichgewicht, als in dem Band über die 50er Jahre schon auf die zweite Hälfte der 40er Jahre zurückgegriffen wurde. Allerdings haben sich dadurch wenige Kop- pelungen nicht vermeiden lassen. Die Fotos aus den 40er Jahren zeigen in beeindruckenden Bildern, wie auf die Begei- sterung der Karlsruher und Karlsruherinnen vom Anfang der 40er Jahre über die Kriegs- erfolge Not und Elend im Bombenkrieg und in der Niederlage folgten, wie die noch stark von Weinbrenners Bauten und Dörfleromantik geprägte vormalige Residenzstadt in eine Trümmerwüste zerfiel. Sie zeigen die Men- schen, die dies erlebt haben, die gejubelt, Me- tall gespendet, um Lebensmittelkarten ange- standen haben. Man sieht Schüler als Flak- helfer, alte Männer als letztes Aufgebot im Volksstunn, Soldaten in Gefangenschaft, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sowie französische Soldaten beim Einmarsch. Es folgen schließlich Bilder von Karlsruhern und Karlsruherinnen beim Trümmerräunlen, ein Unfall des "Schuttbälmle" und Handel auf dem Schwarzmarkt. Vieles mehr bleibt zu entdecken, das die Schaulust und die Nach- denklichkeit des Betrachters anzuregen ver- mag. Manfred Koch Eiga Roellecke: Die Munitionsfabrik - Das "Zündhütle" 1897-1972. Chronik ' Wolfartsweier. Hrsg. v. Verein rur die Geschichte von Wol- fartsweier, Karlsruhe 1994, 85 S., DM 19,50 Eine zuverlässige Ortsgeschichte des 1261 erstmals urkundlich erwähnten Wolfartsweier existiert bislang nicht. Dies zu ändern hat sich der "Verein rur die Geschichte von Wolfarts- weier" vorgenommen und einen durchaus praktikablen Weg eingeschlagen. Verschie- dene, in loser Folge erscheinende Hefte sollen zusammen schließlich eine Chronik des 1973 nach Karlsruhe eingemeindeten Ortes erge- ben. Mit der von Elga Roellecke verfaßten Geschichte der früheren Munitionsfabrik im heutigen Wohngebiet "Zündhütle" liegt hier- zu nun ein erstes Arbeitsergebnis vor. Auf rund 80 Seiten zeichnet die Verfasserin an- hand schriftlicher Quellen und Zeitzeugen- aussagen die 75jährige Geschichte der Fabrik nach, die im 20. Jahrhundert die Entwicklung Wolfartsweiers entscheidend mitprägte. 1897 von Ernst Schreiner als Fabrikationsstätte rur Zündhütchen gegründet, wurde die Firma 1903 von Gustav Genschow übernommen und konnte dank eines geschickten Manage- ments in den folgenden Jahren erheblich expandieren. Hatte man bislang vor allem "Friedensproduktion", d. h. Jagdmunition hergestellt, wurde es nun durch den Erwerb neuer Präzisionsmaschinen möglich, Militär- patronen zu produzieren. Von nun an sollte das Geschick der Firma im Wesentlichen von der Rüstungsproduktion und damit der je- weiligen politischen Situation abhängen. Lag die Zahl der Beschäftigten 1907 bei ca. 150, erreichte sie im Ersten Weltkrieg eine erste Re-kordmarke von 700. Nach Anpassungs- schwierigkeiten konnte sich die Firma in den zwanziger Jahren insbesondere durch Liefe- rungen ins Ausland rasch erholen. Starke Ab- satzeinbußen infolge der Weltwirtschaftskrise konnten ab Mitte der dreißiger Jahre wie-der wettgemacht werden, freilich im Zuge der Kriegsvorbereitungen des nationalsozialisti- schen Regimes. 1944 zählte die Fabrik schließlich 1200 Beschäftigte, wovon die Hälfte ausländische Zwangs arbeiter/innen waren. Zumindest an dieser Stelle wäre eine kriti- sche Reflexion hinsichtlich der historischen Bedeutung rüstungsproduzierender Firmen zu erwarten gewesen. Der Verlauf der deut- schen Geschichte wird hier zu sehr vor der Folie der Firmengeschichte gesehen, was sich insbesondere im Hinblick auf den von den Nationalsozialisten entfachten Weltkrieg als problematisch erweist. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Munitionsfabrik als Arbeitgeber einen wichtigen Faktor im Wol- f.,tsweierer Gemeindeleben spielte, eine hi- storische Darstellung sollte aus der Distanz jedoch auch eine kritische Einschätzung dieses Produktionszweiges erlauben. 1972 wurde die inzwischen im Besitz der Dynamit Nobel AG befindliche Fabrik stillgelegt. Auf weiten Teilen des 1982 von der Stadt Karls- ruhe erworbenen ehemaligen Firmengeländes ist inzwischen ein Neubaugebiet entstanden, allein der Schrotturm blieb als sichtbares industriehistorisches Zeugnis bestehen. Ein Verdienst der vorliegenden Arbeit ist es, die Firmengeschichte nicht nur aus der Perspektive der Unternehmer zu beleuchten, sondern auch einen Blick auf die Arbeitsbe- dingungen und Löhne der dort arbeitenden Frauen und Männer zu werfen. Zur Anschau- lichkeit der Darstellung trägt die reiche Auswahl von Bildern, Plänen und Tabellen bei. Abgerundet wird das interessante Bänd- chen zu einem Aspekt der Wolfartsweierer Geschichte im 20. Jahrhundert schließlich durch einen Anhang mit Lageplänen, die die Baugeschichte der Fabrik nachvollziehbar machen. Barbara Guttmann 341 Karlsruhe in alten Ansichten. Von Ernst Otto Bräunehe und Manfred Koch, "Europäische Bibliothek", Zaltbommel, Nie- derlande 1995, 142 S., DM 32,80 Alte Ansichtskarten, zumal mit Grüßen und Marginalien versehen, haben einen besonde- ren Reiz. Sie zeigen zwar fast ausschließlich die Schokoladenseiten einer Stadt, heben jedoch hervor, was der entsprechenden Epo- che wichtig war. So findet "Die Damals-Rei- he" des Zaltbommel-Verlags sicher ein Echo, und es ist erfreulich, daß nun auch von Karlsruhc ein bestimmtes Bild geboten wird, das sich von anderen Publikationen zur alten Stadt streckenweise deutlich unterscheidet. Von 1870 bis 1930 reicht die Auswahl aus einer nahezu unüberschaubaren Zahl von Postkarten. Neben den Kernstücken - Schloß, Markt- platz, Kirchen, Plätze - findet man originelle Beispiele, z. B. den Blick in das "Automati- sche Restaurant" (ehemals Kaiserstraße 201 und Waidstraße), die Kaiser-Wilhelm-Passa- ge (KaiserIEcke Waidstraße), Interieurs von Moningers Kapitelsaal, aus·dem "Krokodil", aus dem "Colosseum", jenem Varietetheater in der Waidstraße. Die Vision vom Lauter- berg im Jahr 2000 hat insofern einen gewissen Realitätsbezug, als man einen neuen Bahnhof erhome. Sonst hat sich aber der erwartete Rummel um diesen "Berg" mit Seilbahn, Hotels, Ballonverkehr (Karlsruhe - New York) und Autorennbahn erfreulicherweise nicht ein- gestellt. Auf manchen Karten scheint die Zeit still zu stehen, denn noch heute trifft man diese Bauten fast unverändert an. Andere wie z. B. die Synagoge, das Hoftheater, das Stän- dehaus sind unwiederbringlich verschwun- den. Auch den Charme mancher Straßen, oft üppig begrünt wie die Kriegsstraße, die Rüp- purrer Straße, kann man in unserer auto- gereehten Zeit nachempftnden, wo man sich damals noch weitgehend mit einem Spazier- 342 gang erreichen konnte. Die Karten, pro Seite eine, sind von den Autoren sachkundig erläutert, wobei dadurch eine kleine Geschichte Karlsruhes entstanden ist, die durch die Einleitung noch ergänzt wird. Die sichere Auswahl und der anspre- chende Text verlockt, öfters in diesen grif- figen DIN-A5-Band hineinzuschauen. Überraschend ist freilich der Verkaufs- preis. Da die Postkartenfotos nunmehr frei verfugbar sind, kosten sie nichts. Die Autoren haben mehr fur die Ehre als fur den Gewinn gearbeitet. Bleibt wohl der kleine Käuferkreis fur eine solch lokal-spezifische Publikation. Delilloch ist da wohl etwas hochgegriffen worden, und dies wird manchen abschrecken, diese Erin- nerungsrevue zu erwerben. Inhalt und Form verdienen es aber, sich un, dieses Bändchen zu kümmern. Leonhard Müller Gerhard Söllner: Für ·Badens Ehre. Die Geschichte der Badischen Armee, Forma- tion Feldzüge Uniformen Waffen Ausrü- stung 1604-1832. Info Verlag, Karlsruhe 1995, DM 98,- Der Verfasser widmet das Buch seiner Frau, die "mehr als 30 Jahre meinen Spleen verständnisvoll ertragen und meine Arbeit ... angespornt hat". Was der Ingenieurwissen- schaftler und Forscher in einem großen Kon- zern als sorgfaltige Sanunlung vorlegt, ist al- les andere als ein Spleen, vielmehr ein Sektor lebendiger Geschichte, die lange Zeit ver- nachlässigt wurde. Drum hat Söllner jenes Buch selbst verfaßt, das er vermißte. Man erinnere sich an die Diskussionen um die neu- en Uniformen der Bundeswehr vor 40 Jahren und ihre Rangabzeichen, die denen der Na- toarmeen angeglichen waren, an die Über- nahme preußischer Militärriten durch die NY A und die Angleichung an Usancen des Warschauer Paktes, um auch den äußeren po- litischen Stellenwert des jeweiligen Militärs zu erkennen. Gegliedert wird der Stoff nach Truppentei- len: Garde du Corps, Jäger und leichte Infan- terie, Leib-Grenadier-Garde und Husaren. Die Kapitel werden mit einem kurzen Über- blick zur militärischen Entwicklung und Or- ganisationsstruktur eingeleitet, und zwischen den nüchternen Zeilen spürt man die wech- selnde Geschichte Badens, z. B. in dem Jahr- zehnt napoleonischer Kriege. Der Außenpoli- tik entsprechend stand Frankreich auch bei badischen Uniformen und Rangabzeichen Pate. Nach dem Übertritt zu den Alliierten 1813 trat dann die Leib-Grenadier-Garde, immer in Karlsruhe stationiert, sogleich mit preußischen Uniformen und Tschakos auf, und dieser Stil blieb fernerhin prägend. Die Husaren hatten um 1800 zunächst als Gen- darmerietruppe den Auftrag, Patrouillen- dienst zur "Aufrechterhaltung der Polizei und Sicherheit des Landes im Betreff der Va- gabunden und Diebereien" zu verrichten. Erst 1806 wurden sie Kampftruppe, meistens beritten, weil im Falle des Ausfalls von Pferden "Dragonern eher zuzumuten war, Dienst zu Fuß zu machen als den Husaren". Die wenigen Reste des Regiments nach dem Rußlandfeldzug 1812 fuhrte ein Leutnant nach Baden. Das Jägerbataillon wurde 1803 vom Fürst- bistum Speyer übernommen und aufgelöst. Eine dann neu gebildete Einheit, der kein Rekrutierungsbezirk zugeteilt war, die daher ihren Ersatz aus dem ganzen Land bezog, wurde 1805 z. B. am Bodensec eingesetzt, um als Kordon das Übergreifen des gelben Fie- bers von der Schweiz nach Baden zu ver- hindern. Auf "französischen Fuß" gebracht, zählte im Jahr 1809 das Bataillon 6 Kompa- nienzuje 141 Mann. 1811 sind von den mehr als 800 Mann nur 4 Offiziere und 49 Soldaten aus Rußland nach Baden zurückgekehrt. So verbirgt sich auch hier unter nüchternen Auflistungen das Schic!::31 vieler Deutscher und ihrer Familien, deren Empfmdungen sich nicht von den Kriegsverlusten in allen Zeiten unterschied. Diese Darstellung ist freilich auch ein Nachschlagewerk fur Spezialisten. Bis ins Detail der einzelnen Epauletten trug der Verfasser aus vielerlei Quellen die Angaben zusammen. Mit 113 Bildtafeln, die er selbst gezeichnet und koloriert hat, wird die Szene- rie der badischen Truppen anschaulich, und schon diesen Teil durchzublättern, ist einen Griff nach diesem Buch wert. Die 410 Lite- raturangaben beweisen die Sorgfalt des Au- tors bei seinen Untersuchungen, wobei er Lücken vorbehaltlos angibt, die ihn an man- chen Stellen zu eigenen Ergänzungen zwan- gen. Als Elektrotechniker, der an der Univer- sität Karlsruhe promoviert wurde, ist er eine präzise Arbeit gewohnt, und man spürt diesen Geist in der ziselierten Methodik, die nicht Meinungen zelebriert, sondern Fakten fur sich sprechen läßt. Wer möchte da von einem "Hobby-Historiker" sprechen. In summa ein repräsentatives Werk von einem Autor, der sich bescheiden hinter eine Sache stellt, bei der er aber eine Autorität ist. Leonhard Müller Bräunehe, Ernst Otto: Die Karlsruher Ratsprotokolle des 18. Jahrhunderts. Teil I: 1725-1763. Forschungen und Quellen zur Stadtgeschich- te, Band 2 Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe, Karlsruhe 1995,339 S., DM 38,- Im September 1992 wurde hier die Arbeit von Christina Müller über "Karisruhe im 18. Jahrhundert. Zur Genese und sozialen Schich- tung einer residenzstädtischen Bevölkerung" angezeigt und besprochen. Nun kann als Band 2 der "Schriftenreihe des Stadtarehivs Karls- 343 ruhe" die Edition der Ratsprotokolle von 1725-1763 vorgestellt werden. Der glückli- che Fund des Stadtarchivars Dr. E. O. Bräun- ehe brachte 1985 die bis dahin verlorenge- glaubten Quellen wieder ans Tageslicht und ermöglichte die fundierte Arbeit von eh. Müller. Es gehört ja zu den Aufgaben eines Archivars, schwer lesbare, aber wichtige Quellen zugänglich zu machen. Erfreulicher- weise hat sich der Stadtarchivar diese Mühe gemacht und in einem ersten Anlauf die Ratsprotokolle von 1725-1763 ediert. Leider sind einige Jahrgänge offensichtlich verschol- len. Dennoch sollen die geretteten Bände publiziert werden, und nach der Lektüre des vorliegenden Bandes kann man eine Fortset- zung nur wünschen. Delill wer sich einmal in die Diktion der ftir uns schwerfallig wir- kenden Sprache des 18. Jahrhunderts eingele- sen hat, der gewinnt einen umfassenden Ein- und Überblick in die Politik und Gesellschaft der jungen Residenzstadt Karlsruhe. Fand die erste Sitzung des jungen Stadtrates erst am 24. November 1718 statt, weil die "Dringlichkeit der Geschäfte nicht sehr groß gewesen zu sein" schien, so linderte sich dies mit dem Anwachsen der Stadt sehr bald, und die Aufgabengebiete, mit denen sich der Rat zu befassen hatte, machten regelmäßige Sitzungen erforderlich. Daneben hatten die Ratsherren "auch allerhand vorfallende bür- gerliche Strittigkeiten" zu "erörtern und überhaupt gut Zucht und Ehrbarkeit mit Bestrafung aller vorgehenden Frevel und Muthwilligkeit" zu halten. Zu Anfang der Ratstätigkeit nahmen diese Aufgaben ein Bürgermeister, sechs Gerichts- und Ratsher- ren wahr. Aus ihren Reihen hatten sie fol- gende Ämter zu besetzen: Almosenpfleger, Baumeister, Brotwieger, Fcuerbeschauer, Fleischschätzer, Gewicht- und Maßeicher, Kaulhausinspektor, Kirchenrüger, Markt- meister, Quartiermeister, Stadtleutnant, Um- gelder, Waisenrichter und WeinsiegIer. Zie- 344 hen wir einige zeitbedingte Ämter ab, so blei- ben immer noch die konmlunalen Kernauf- gaben, wie sie auch heute noch in modernerer Bezeichnung existieren. In den Ratsproto- kollen spiegeln sich naturgemäß die Arbeiten dieser Märmer wider (Frauen gab es in der Bürgervertretung zu dieser Zeit bekanntlich nicht). Einen großen Raum nehmen Eintra- gungen ein, die den Grundstücksverkehr zwi- schen den Bürgern amtlich festhalten. Mit den knappen Beschreibungen der Objekte sowie den Angaben über ihre Lage und die Nach- barn ließe sich die Topographie der Stadt detailliert beschreiben, und was die Bewoh- ner selbst betriffi, so liefern die zahlreichen Bürgeraufnahmeprotokolle genügend EinzeI- informationen, um das Anwachsen der städti- schen Bevölkerung individuell nachzuvoll- ziehen. Das tägliche Leben der Bürger findet im amtlichen Schriftverkehr - auch heute - zumeist dann seinen Niederschlag, wenn es zu Schwierigkeiten mit der Polizei oder der städtischen Verwaltung · kommt. Insofern geben die Ratsprotokolle ausftihrlich Aus- I"mft über Streitigkeiten zwischen den Bür- gern, über Vergehen und Ordnungswid- rigkeiten. Soziale Probleme lassen sich aus den zahlreichen Bittgesuchen verschuldeter oder verarmter Einwohner ablesen. Aber auch die städtische Finanzlage, damals nicht viel besser als heute, wird aus der mangelnden Bereitschaft, durch die Stadtkasse Unterstüt- zungen zu gewähren, sehr deutlich. Wenn auch die Kompetenzen des Karlsru- her Stadtrates 1725 bis 1763 nicht allzu weit- reichend waren und immer mit den furstlichen Behörden geteilt werden mußten, so bietet die Edition der Protokolle ein unschätzbares Hilfsmittel fur jeden, der sich mit der Karls- ruher Stadtgeschichte des 18. Jahrhunderts befaßt. Michael Martin Peter Rückcrt (Hrsg.): Gottesaue - Klo- ster und Schloß. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1995, 120 S., DM 32,- Wer mit dem Zug oder auf der Autobahn von Norden nach Karlsruhe kommt, sieht heute wieder in seiner ganzen Pracht das Schloß Gottesaue, "ein unverwechselbares Meisterwerk in der Schlösserlandschaft am Oberrhein" (JI. Wiese). Die Karlsruher Mu· sikhochschule ist dort seit dem gelungenen Wiederaufbau 1989 des im Zweiten Welt- krieg schwer zerstörten Gebäudes unterge- bracht. Die beiden letzten Beiträge des hier vorzustellenden, 120 Seiten umfassenden, mit 86 zum Teil farbigen Abbildungen reich und sorgfaltig bebilderten Buches gelten deshalb dem Wiederaufbau (K. Schwirkmann) und der Musikhochschule (F. Solter). Zuvor wird in dreizehn weiteren Aufsätzen die bis ins 11. Jh. zuruckreichende Geschich- te behandelt. "Die Anfange des Klosters Gottesaue" (H. Schwarzmaier) sind durch die "Gottesauer Annalen" belegt, die von der Klostergründung im Jahr 1094 berichten. Da diese Quelle aber erst im 17. Jahrhundert ge- schrieben wurde, liefert das erste verbürgte Datum das Privileg König Heinrichs V. aus dem Jahr 1110. Die Bedeutung des Reforrn- klosters Hirsauer Prägung und des Adels- klosters einer mächtigen Familie, an dessen Gründung "alle Protagonisten in den politi- schen und geistigen Auseinandersetzungen jener Zeit" beteiligt waren, war nie mehr so groß wie in seinen Anfangsjahren. In die Frühzeit des Klosters fuhren auch die Beiträge von U. Michels über ,,Abt Wilhelm von Hirsau, das benediktinische Musikleben im hohen und ausgehenden Mittelalter und seine Spuren im Kloster Gottesaue" und P. Rückert, der das " Geistliche Leben im Klo- ster Gottesaue" und "Die Klosterbibliothek" erforscht. Archäologische Untersuchungen (0. Teschauer) und mittelalterliche Funde (U. Gross) runden den ersten Teil über das Klo- ster Gottesaue ab. Mit dem Schloß Gottesaue befassen sich die Beiträge des n. Teils. Die Baugeschichte des Schlosses, das Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach in den Jahren 1588 bis 1591 an der Stelle des 1556 säkulariserten Klosters bauen ließ, untersucht W. Wiese. Die Stuck ausstattung des Schlosses ist The- ma des Beitrags von B. Herbach-Schmidt. Beobachtungen und Entdeckungen beim Wiederaufbau schildert G. Sicheneder. Mit der Restitution des Klosters im dreißigjähri- gen Krieg befaßt sich F. Maier. Auch der Ver- such, im 17. Jahrhundert ein markgräfliches Kammergut einzurichten, scheiterte letztlich, wie M. Salaba nachweist. Nach diesem mißglückten Experiment diente das Schloß seit 1824 dem badischen Militär als Artilleriekaseme. Mit dem Land Baden hatte auch dessen Militär an Umfang zugenommen. Über "Soldaten nach Gottes- aue" schreibt K. Hochstuhl, baugeschichtliche Daten zu dieser Nutzung des Schlosses und der anderen militärisch genutzten Gebäude liefert W. Rößling. Daß historische Jubiläen die Geschichts- schreibung befördern, bewahrheitete sich auch im Fall Gottesaue: 900 Jahre nach der Klostergründung hat das Generallandesar- chiv in der Musikhochschule eine sehenswer- te Ausstellung über Gottesaue präsentiert, ein Jahr später liegt nun die fach\..W1dige Publi- kation zum Thema vor. Wenn die Geschichte der Stadt Karlsruhe auch erst im Jahr 1715 beginnt, so ist das Buch dennoch ein wert- voller Beitrag zur Stadtgeschichte, da es nicht zuletzt nachweist, daß das spätere Stadtgebiet vor der Stadtgründung kein geschichtsloser Raum war. Ernst 0110 Briillnche 345 Frithjof Haas: "Zwischen Brabms und Wagner- Der Dirigent Hermann Lcvi". Attanlin Musikbude-Verlag 1995, 396 S., DM 58,- Karlsruhe als Klein-Bayreuth ist im Be- wußtsein vieler Karlsruher fast ausschließ- lich mit dem Namen des legendären Diri- genten Felix Mottl verknüpft. Es ist eines der Verdienste des vorliegenden Buches von FrithjofHaas, langjähriger Kapellmeister und Studienleiter am Badischen Staatstheater, bewußt zu machen, daß im Vorfeld dieses großen Dirigenten eine bemerkenswerte per- sonelle und kulturgeographische Konstellati- on glückliche Voraussetzungen flir Mottl's Tätigkeit bot: etwa an Vinzenz Lachner und Hermarm Levi, die besondere kulturelle Rolle des mittelbadischen Raumes Baden-Baden, Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg und Künstler wie Brahms und Clara Schumann, die sich hier gerne bewegten. Insofern ist dieses Buch auch ein wertvoller Beitrag zum unterentwickelten Selbstbewußtsein des west- lichen Baden-W ürttembergs! Levi, 1839 in Gießen geboren, kam nach Studien in Mannheim und Leipzig über die Kapellmeister-Stationen Saarbrücken und Rotterdam nach Karlsruhe, wo ein gutes Hoftheater und ein verständnisvoller Landes- furst einem genialen jungen Mann aussichts- reiche Möglichkeiten boten. Vinzenz Lachner - in Mannheim Levis Lehrer - hatte mit seiner Empfehlung zu Levis Wahl als Karlsruher Hofkapellmeister beigetragen. Das liberale Klima in Baden mag fur den Juden Levi ein übriges bedeutet haben. Levis Tätigkeit am Hoftheater war hinsicht- lich der Fülle des Repertoires und der zusätz- lichen, zum Teil freiwillig übernommenen Aufgaben wie Neueinrichtungen von Opern, Neuübersetzungen von Texten, Erstellung von Konzertprogrammen, Übernahme von Liedbegleitungen, erschlagend intensiv. Aber 346 seiner Lebenskraft genügte dies nicht: Er wurzelte sich tief in das städtische gesell- schaftliche Leben ein: Dies nicht nur bei musikalischen Unternehmungen wie bei der Leitung des bürgernahen "Philharmonischen Chores", sondern auch im eigentlichen ge- sellschaftlichen Leben. Der gutaussehende, hochgebildete, herzensgute Marm eroberte mit seinem Temperament die Herzen seiner Karlsruher und war an vielen Abenden eine der Leuchten des bürgerlichen Parketts. Es versteht sich von selbst, daß ein Hofkapell- meister von der "eigentlichen" guten Gesell- schaft, nämlich der des großherzoglichen Hofes, ausgeschlossen blieb. Der verzehren- de Einsatz in Musikleben und Gesellschaft hatte dramatische Folgen flir die Gesundheit von Levi . Immer wieder erlebte er Krisen. Aber während Levis außerordentliche musi- kalische Talente ihn auf die Erfolgsbahn zu- rückfuhrten, bedrohten von anderer Seite schwere innere Gefahrdungen seine Existenz. Der von Levi nie wirklich verarbeitete Bruch mit seinem Jugendidol Johannes Brahms und der Unterwerfungsprozeß unter den Wagner- sehen Genius passen nicht zum Bild des Erfolg gewölmten Dirigenten. Hier zeigt sich ein Daseinszwang, den Haas in seinem Buch sehr klug auf seine entscheidenden Wurzeln zurückfuhrt: Auf den verzweifelten Kampf des Juden Levi, als Deutscher und nicht als Jude zu gelten. Haas beschreibt die Stationen dieses Lebens mit großer Ausflihrlichkeit, stilistisch kühl, aber mit warmherziger Anteilnahme. Das Buch bietet über das Biographische hinaus auch einen faszinierenden Überblick über wesentliche kulturelle und gesellschaft- liche Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Warum der Musiker Levi, der in seiner Karlsruher Zeit eine tiefe, freundschaftliche Beziehung zu Johannes Brahms hatte, der Musik von Richard Wagner geradezu gren- zenlos verfiel, gehört zu den unerklärlichen SchicksalsfUgungen. Daß er aber sich von Wagner als prominenten Dirigenten seiner Opern, als Wegbereiter seines Stiles, als Diri- gentenstar des "Parsifal" systematisch einset- zen ließ und dabei gleichzeitig wirklich in Kauf nahm, als Jude von dem fanatischen Antisemiten Wagner durchaus als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden, dies ist schon erschreckend. Haas breitet diese Si- tuation mit vielen Belegen aus. Levi ging sogar so weit, die Wagnersehen antisemiti- schen Schmähungen zu akzeptieren und teil- weise selbst zu vertreten. Schließlich brach Levi unter diesem Druck zusammen und beendete seine Kapellmeistertätigkeit. Paul Wehrte Peter Pretsch, "Geöffnetes Narren-Tur- ney" Geschichte der Karlsruher Fast- nacht. Veröffentlichung des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 16, Karlsruhe 1995,208 S. , DM 34,- "Narretei ist eine ganz ernste Angelegen- heit" - heißt es nicht nur im Kölschen Klün- gel. Und Fastnacht in Karlsruhe? Wer den neuen Band "Geöffnetes Narren-Turney" zur Hand nimmt, kann auch in der badischen Residenz Eitelkeiten, Interessenverflechtungen und Politik entdecken. Der Band ist aus der Dissertation von Peter Pretsch, dem Leiter der Stadtgeschichtlichen Sammlungen in Karls- ruhe, entstanden, Pretsch ist es gelungen, eine kölfzweilige Darstellung vorzulegen mit einer lesenswerten Einleitung über die spannende Entwicklung der Fastnachtsforschung. Ge- lungen ist die Arbeit vor allem, weil nicht das mühsam aus Archiven, Zeitungen wld Vereinsbeständen zusammengetragene Ma- terial nacherzählt wird. Die Karlsruher Ereig- nisse werden vielmehr vor ihrem gesell- schaftspolitischen Hintergrund ausgebreitet und dadurch verständlicher. So folgt die Glie- derung des Buches nach politischen Grenz- jahren, und jedem Kapitel wird ein kurzer - nicht immer geglückter - Abriß der poli- tischen Situation vorausgeschickt. Den Be- ginn macht der Vormärz, wo Pretsch zeigen kann, daß die Gesellschaft Eintracht, 1835 gegründet, Motor der Bewegung wird, die 1841 im ersten spontanen F aschingsurnzug einen frühen Höhepunkt erreicht. Diese Ge- sellschaft, dominiert von Gewerbetreibenden und Beamten, fUhrte neben Gott Bacchus auch Napoleon und in Erinnerung an den Freiheitskämpfer Andreas Hafer Tiroler Schützen mit. Die politischen Ansprüche des Karlsruher BürgertlUus nach Freiheit treten da in der Fastnachtsmaske auf - ähnlich in Mannheim, wo 1841 Friedrich Hecker als Pfälzer General lmd der Liberale Friedrich BasserrnaIm als Pierrot mitrnarschierten. N arrenzei t wlgen - eben das N arren-T urney - übten Kritik, anfangs ohne mit der Zensur zu kollidieren ; die Spießbürger waren Ziel des Spotts. Die Niederlage der Revolution 1849 hat dem Straßen treiben ein Ende gemacht. Erst 10 Jahre später trauten sich die Karlsruher wieder heraus, während die Kölner schon 1852 mit dem bezeiclmenden Motto "ich hab ' s gewagt" durch die Straßen zogen. Wer so durch die Zeiten schlendert, merkt, daß Karlsruhe inuner etwas bieder war. Politik stand bei den Themenwagen nicht wie an- derswo im Zentrum, und es wirkt typisch, daß zweimal (1933 wld 1951) der Verkehrsverein als Pate an der Wiege der Grokage stand. Wirtschaftliche Gesichtspunkte spielten eben- so mit wie der Spaß an der Freud. Deutlich politischer wurden die Umzüge in der NS-Zeit geprägt. Die schließlich straffe Durchsetzung der NS-Ideologie, die die Fast- nacht als urgennanisches Brauchtum ansah, förderte bei den Umzügen Themenwagen, die unliebsame Personen wie den SPD-Reichs- tags abgeordneten Ludwig Marum oder Per- 347 sonengruppen - insbesondere Juden - denun- zierten und verächtlich machten. Hier schreibt Pretsch vorsichtig abwägend, und der Leser erschrickt über die Verkehrung, die das Kri- tikinstrument Fasching in dieser Zeit erlebt. Pretsch beendet die Karlsruher Fastnachts- geschichte 1969 und zurück bleibt der Wunsch, öfter in dem reich bebilderten Band zu blättern. Clemens Rehm Hermann Ebeling, Karlsruhe - Ein Fä- cher der Möglichkeiten. G. Braun Verlag, Karlsruhe, 2. Aufl. 1995, 108 S., DM 39,80 Der "Ebeling" des Braun-Verlags ist schon ein Standardwerk geworden, das nun in einer weiter entwickelten Auflage als Geschenk- und Erinnerungsband seine Interessenten fm- den dürfte. Blickt man auf die 1988 erschie- nene Ausgabe " Karlsruhe - Stadt zwischen Reißbrett und Phantasie" zurück, so handelte es sich damals um einen großformatigen, 180 Seiten umfassenden Band, in dem zum deut- schen Text im gleichen Umfang die englische und französische Übersetzung angeboten wurde. Für die erste Auflage 1990 " Ein Fächer der Möglichkeiten" wurde, wohl aus Absatz- gründen, ein kleineres Fonnat mit rund 100 Seiten gewählt, wo einem neuen deutschen Text nur zwei Kurzfassungen in Englisch und Französisch auf jeweils zwei Seiten beigefugt wurden. 1992 erschien zwischendurch eine noch kürzere Ausgabe "Stadt der Perspekti- ven", die nur 60 Seiten wllfaßte, freilich jetzt schon vollständig mit Farbfotos ausgestaltet. In der nun publizierten 2. Auflage des "Fä- chers der Möglichkeiten" sind die 29 schwarz- weißen Fotos von 1990 ausgeschieden, ob- wohl darunter sehr gelungene waren. Der heutige Käufer erwartet wohl alles Optische in Farbe, wobei auch diese Fotos vor allem 348 dann einen ästhetischen Reiz ausstrahlen, wenn mit Unschärfe oder besonderen Licht- verhältnissen eine Stimmung beschworen werden soll in der an sich nüchternen Stadt- k-ulisse. Über die Auswahl der Fotos kann man im Einzelfall streiten; doch der gesamte Bestand von 94 Bildern hinterläßt schon einen umfassenden Eindruck, einmal von den historischen Bauten und der modernen Archi- tektur, zum anderen von Menschen, wie sie - auch - in dieser Stadt typisch sind. Die relativ kurze Stadtgeschichte wird feuilletonistisch dargeboten ohne großes Zah- lenwerk, und auch hier soll das Atmosphäri- sche, das geistige Klima Karlsruhes eingefan- gen werden, so daß Text und Bild sich er- gänzen. Vergleicht man die verschiedenen Auflagen, erkennt man, wie die Zahl der Se- henswürdigkeiten zuninunt, z. B. mit der neu- en Stadtbibliothek im interessanten Neubau auf dem Standort des Ständehauses . So wird man wie bei einer weiteren Auflage sehen, daß ein Besuch Karlsruhes jedenfalls für jene sich lohnt, die nicht nur der Dienst in diese Stadt fuhrt. Leonhard Müller "Für Baden gerettet", Enl'erbungen des Badischen Landesmuseums 1995 aus der Sammlung der Markgrafen und Großher- zöge von Baden. Hrsg. v. Harald Siebenmorgen, G. Braun Verlag, Karlsruhe 1996,342 S. , DM 38,- Nachdem über die besonderen Umstände der Rettung badischen Kulturguts anläßlich der Versteigerung bei Sotheby's im Herbst 1995 genug berichtet wurde, interessiert nun die Bestandsaufnahnle, zu der der Direktor des Badischen Landesmuseums einen stattli- chen Katalog herausgegeben hat. Unter der Redaktion von Rosemarie Stratmann-Dähler sind Texte zusammengestellt worden, die mehr als nur Objektbeschreibungen bieten. Brigitte Herbach-Schmitt erläutert so das Wesen einer Kunstkammer wie der badi- schen, die an furstlichen Höfen des Barock erstrebenswert waren, und 17 Angehörige des Museums beschreiben die einzelnen Expona- te wie auch jene zur Kunst- , Kultur- und Landesgeschichte, die nach Epochen geglie- dert sind. Neben der Redakteurin leitet Brigitte Heck speziell zu den Jubiläumsge- schenken ein, denen eine besondere Bedeu- tung zukommt. Unter ihnen findet man man- ches, was wahrlich nicht unserem heutigen Kunstempfinden entspricht, aber als Zeit- dokument um so wichtiger ist. Vom Holleben Friedrichs I. ist so viel schriftlich nicht auf- zufinden, weil es nach geordneten, fast bür- gerlichen Regeln verlief, ohne Skandale und Affaren. Ergebenheitsadressen entsprachen der zeit- genössischen Form und waren nicht immer wörtlich zu nehmen. Die Anhänglichkeit der Bevölkerung an den liberalen, verbindlichen Fürsten und "seine Luise" zeigte sich aber in den z. T. aufwendigen Präsenten anIäßlich zahlreicher Jubiläen während der langen Regierungszeit. Gerade eine Bronze wie die von Herman Volz "Zeitgeist und Staats- schiff' 1896, von acht großen badischen Städten für viel Geld gestiftet und für viel Geld heute erworben, spiegelt wie kaum ein anderes Objekt das Staatsbewußtsein vor 100 Jahren wider. Landesmuseen sind zwar auch Kunstkabi- nette - man denke an die zusätzlichen Tafeln zum Marienaltar von Salem, einem Höhe- punkt der Malerei zu Beginn des 16. Jhs -, sie sollen aber zudem Einblicke in Zeitver- hältnisse bieten, in deren Spiegel uns das Bild der Gegenwart deutlicher werden kann. Insofern bedeuten neben vielen Erwerbungen eines hochentwickelten Kunsthandwerks ge- rade die zahlreichen Dokumente des "Zeitgei- stes" eine zusätzliche Bereicherung der bis- herigen Sammlung. Angesichts der besonderen Finanzresourcen fur den Erwerb ist dieser Katalog auch eine Reverenz gegenüber den zahlreichen Spen- dern, die mit großen und kleinen Gaben beitrugen, daß Kulturgut aus dem markgräfli- chen Haus "fur Baden gerettet" wurde. In nobler Form wird all denen gedankt, die das Jahrhundertereignis nicht unberührt an sich vorbeiziehen ließen. Insofern wird der sorgfaltig erarbeitete und repräsentativ ge- staltete Katalog später als Quelle dienen, wie sich eine Gesellschaft gegenüber ihrer Ver- gangenheit in finan zschwachen Zeiten zu verhalten bemühte. Leonhard Miiller Dieter Vestner: Durlach im Wandel der Zdten. Eine Dokumentation in Wort und Bild. Eigenverlag, Karlsruhe 1995, 104 S. mit zahlreichen Abbildungen, DM 54,80 Einen "geschichtlichen und aktuellen Streifzug durch unser geliebtes Durlach" nennt Dieter Vestner arn Schluß sein Buch. Damit beschreibt er präziser als der Klap- pentext sein Vorhaben, denn dort ist - eher irreführend - von der Aufzeichnung der "Geschichte Durlachs", von "umfassender" Information "über die Geschehnisse und die Entwicklung der alten Markgrafenstadt" die Rede. Der Streifzug durch Durlach ist mit zahlreichen aktuellen Bildern versehen, die der Autor zumeist selbst aufgenonunen hat. Ergänzt werden sie von einigen historischen Bildern und Fotografien. Vestner gliedert seinen Streifzug in sieben Kapitel. Er beginnt zunächst mit sehr knappen Hinweisen zur Geschichte Durlachs, wobei die verbrecherische Naziherrschaft keine Erwähnung findet. Darin spiegelt sich weit- gehend die Forschungslage zur Geschichte Durlachs wider. Wer neue Forschungsergeb- 349 nisse zur Geschichte Durlachs erwartet, muß sich daher bis zum Erscheinen der Stadtge- schichte im September 1998 gedulden. In den folgenden Kapiteln fuhrt Vestner seine Leser und Leserinnen zu Gebäuden der Altstadt, erläutert Industrie und Verkehr, zeigt Denkmäler, Brunnen und Plätze sowie Kirchen, Friedhöfe und Grünanlagen, streift dann durch das neue Durlach und stellt abschließend Gesellschaft, Kultur und Verei- ne vor. Diese Streifzüge versieht Vestner - manchmal mehr, manchmal weniger - mit Hinweisen zur Geschichte von Gebäuden und auf vergangene Ereignisse, so daß sie fast schon Beschreibungen historischer Stadt- spaziergänge sind. Eine in Einzelfallen subjektiv erscheinende Bildauswahl und die irrtümliche Vorverle- gung des ersten Altstadtfestes von 1977 auf 1975 tun der Liebeserklärung eines Dur- lachers an seine Heimatstadt keinen Abbruch. Wer den Band zur Hand nimmt, wird Vestners Zuneigung zu Durlach verstehen, wenn nicht teilen. Man/red Koch Reiner Haehling von Lanzenauer: Düstere Nacht, helliehler Tag. Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert. Badenia Verlag, Karlsruhe 1996, 165 S., DM 29,80 " Das Verfassen von persönlichen Memoi- ren ist eine Angelegenheit berühmter oder bekannter Leute." Einspruch Herr Staatsan- walt, möchte man aus der Sicht der Lokal- und Regionalgeschichtsschreibung Haehling von Lanzenauer zurufen. Denn wie die "große" Geschichtsschreibung bedarf auch sie zu einer lebendigen und plastischen Darstellung der Lebenserinnerungen von Menschen, die Geschichte, wenn auch nicht gestaltend, so doch bewußt erlebt haben. Von Lanzenauer gehört der on zitierten Flakhelfergeneration 350 an, die gegen Ende des Krieges aus der Schule herausgerissen und in die FlugabwehrsteI- lungen kommandiert wurde. Nach dem Krieg gehörte sie zu denen, die nach den Erfah- rungen der Diktatur und des Krieges bewußt fur eine friedliche, freiheitliche und demokra- tische Staatsordnung eintraten. Der Zeitraum, den der Autor behandelt, er- streckt sich, da er auch die bildungsbür- gerlichen Wurzeln der Familie vorstellt, vom 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Zeit der Nazidiktatur und der Nachkriegszeit. Kurz aber prägnant schildert von Lanzenauer die behütete Kindheit in Karisruhe, das durch Denunziantentum gefahrdete Alltagsleben im Dritten Reich, die Indoktrination durch Schule und HJ, der die Eltern gegensteuer- ten, die Erfahrung des Judenpogroms 1938, die zwangsweise Rekrutierung als 15jähriger zum Flakeinsatz 1943 und die Lazarett- gespräche über die Geschehnisse des 20. Juli 1944. Mit 17 Jahren wurde dem Autor das ganze Ausmaß der Verbrechen des NS-Deutschland und die den kommenden Generationen damit aufgeladene moralische Schuld bewußt. Mit dem Kriegsende, das der Autor in Baden- Baden erlebte, entstand die aus der Besat- zungspolitik resultierende Not, aber auch die beginnende Versölmung mit den Franzosen, die er aktiv gefordert hat. Die Problematik der Entnazifizierung, die Karrieren hochgestell- ter Nazis in der jungen Demokratie nicht verhinderte, beschäftigt ihn im weiteren Verlauf seiner Erinnerungen ebenso wie die Ermittlungen und Prozesse gegen nationalso- zialistische Gewaltverbrecher, in denen er als Staatsanwalt tätig wurde. Aus dem Berufsle- ben wird zudem mancher spek-takuläre Fall wie der des "Monsieur X" oder des promi- nenten Baden-Badener Juwelenräubers - hier kritisiert Haehling von Lanzenauer die Höhe des Urteils - erinnert. Viele Begegnwlgen mit bekannten Persönlichkeiten aus Kunst und Politik werden skizzenhaft geschildert. In großer Dichte, aber dennoch immer flüssig geschrieben, werden auch die 68er-Bewe- gung, die Asylpolitik oder die Wiedervereini- gung gestreift. Von deutlicher Sprache sind die Feststellungen des ehemaligen Staatsan- walts zur Bildung des Südweststaates: Er spricht vom "Verfassungsunrecht von 195 II 52", von einer " in der deutschen Geschichte einmaligen Abstimmungsverschleppung" bis 1970 und von der Bitterkeit, die "Zentralisie- rung, Fusionszwänge und einseitige Personal- politik in den Herzen der Badener" zurück- lassen. Breitgefacherte Erinnerungen, sachliche Darstellungen und deutliche Wertungen er- lebter Zeitgeschichte machen diesen kleinen Band zu einem lesenswerten Kaleidoskop des Geschehens am Oberrhein in diesem Jahrhun- dert. Manfred Koch Die elektrisierte Gesellschaft. Bearbeitet von Gisela Grasmück, Badisches Landesmuseum - Badenwerk, Karlsruhe 1996, 230 S., DM 28,- Das Thema ist doppeldeutig. Die Elektrizi- tät "elektrisierte" in der Tat die Gesellschaft, machte die Nacht zum Tag, schuf neue in- dustrien und Berufe und öffuete damit neue Horizonte. Der Band ist zugleich Festschrift fur das 75jährige Badenwerk, das den damit verbundenen Ausstellungskatalog großzügig gestaltete. Die Bearbeiterin hat kundige Mit- wirkende gefunden, die Technikgeschichte verständlich darstellen können, und das nicht nur im chronologischen Abriß, sondern auch in Spezialthemen wie "Der elek1:rische Landwirt", "Frauenarbeit unter Strom - Bü- roarbeit im Wandel vom Kontorbuch Zunl Computer" oder "Von der Elektrisiermaschi- ne zur Elektrotherapie - Eine kurze Ge- schichte der Elektromedizin". Der Aspekt "Elektrizität und Kunst" zeigt z. B. , daß es sich hier um ein besonderes kulturgeschichtli- ches Phänomen handelt, das in seinem Variantenreichtum Ausstellung wie Katalog widerspiegeln. Dabei bleibt auch die Politik nicht ausgespart, und zwar nicht nur im Kapitel "Badenwerk in dunkler Zeit", also unter dem NS-Regime; auch zu propagandi- stischen Effek1en diente die Elek1rizität, ob zur nationalen Darstellung auf Weltausstel- lungen oder als Lichtdom bei Nürnberger Reichsparteitagen. Bei der reichen farbigen Bildausstattung sei besonders auf das Plakat hingewiesen, das flir die "Elektrische Ausstellung Karlsruhe" vor ca. I 00 Jahren warb (siehe S. 238). Es zeigt, daß auch kleinere Städte sich bemühten, die Fockel des großen Fortschritts in ihr lokales Gewerbe zu tragen. So kann wohl die jeweils als junge Frau symbolisierte Elektrizität auf dem rollenden Rad der Technik gedeutet wer- den, wobei freilich als Stromquelle kein Kraftwerk, sondern die Sonne dient. Natürlich wird dem Alltag ein besonderer Platz eingeräumt. Bis vor 150 Jahren kochte man über offenem Feuer oder in schwelender Glut, eine schmutzige, langwierige und zugleich gesundheitsschädliche Arbeit, heute allenfalls in der Freizeitatmosphäre noch ro- mantisch verklärt. Und unser Blick auf ma- lerische Burg- und Schloßküchen erfaßt nicht die harte Arbeit vorwiegend der Frauen, die hier die Nahrung zubereiteten. Nicht zuletzt hat die Elek1rifizierung des Haushalts dazu beigetragen, daß Frauen andere Berufe als den der Hausfrau ergreifen konnten, da die Hausarbeit von verschiedenen Mitgliedern mitgetragen werden kann. So verfugen heute in den Haushalten z. B. 98 % über einen Kühlschrank, 97 % über ein Bügeleisen, 92 % über eine Waschmaschine. Die Zusam- menarbeit von Industrie und Landesmuseum wirkt sich an diesem Thema sehr fruchtbar 351 aus und dient nicht nur dem üblichen Spon- soring. Der schier nicht absehbare Verwen- dungsnutzen der Elektrizität macht Lesern wie Ausstellungsbesuchern bewußt, daß das uns heute Selbstverständliche neu registriert werden muß, im Wirtschaftlichen, Sozialen wie im Kulturellen, und daß die politische Diskussion um Energiegewirmung und - nutzung kein Randproblem ist, sondern in die Mitte von Beruf und Alltag fuhrt. Der preiswerte Band unterscheidet sich insofern von den üblichen Selbstdarstellungen und bietet weit mehr als eine reine Firmenge- schichte. Leonhard Maller Erich Lacker: Zielort Karlsruhe. Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg. Mit einer Photo dokumentation zur Zerstö- rung der Stadt im Zweiten Weltkrieg von Manfred Koch. Veröffentlichwlgen des Karlsruher Stadt- archivs Bd. 18, Badenia Verlag, Karlsruhe 1996, 232 S., DM 49,80 Mit seinem Buch zieht Erich Lacker die Swnme einer langjährigen intensiven Bemi:- hung um das Thema; eigenes Erirmern, das Befragen von Zeitzeugen, die Auswertung von Material aus einer Vielzahl von Archiven und das Heranziehen einer beeindruckenden Literaturfulle dienten als Grundlage fur die minutiöse Darstellung einer Zeitsparme, in der sich das Gesicht Karlsruhes tiefgreifend veränderte. fleiß und Gewissenhaftigkeit des Autors spiegeln sich auch im Vnuang des An- merkungsapparats. Charakteristische Merk- male der Darstellung sind die persönliche Betroffenheit des Autors - Karlsruher des Jahrgangs 1930 - , seine naturwissenschaftli- che Kompetenz, dank derer meteorologische, geologische, physikalische und technische Aspekte des Phänomens Luftkrieg ihren gebührenden Rawn erhalten, sowie nicht 352 zuletzt die christlich geprägte Weitsicht, mit der Lacker dem heillosen Geschehen gegen- übertritt, das als Folge der nationalsozialisti- schen Politik auch und besonders über Karlsruhe hereinbrach. Ausgehend von der Beobachtung, daß Karlsruhe in der Geschichte des Luftkrieges eine besondere Rolle spielte, zeichnet der Au- tor diese Geschichte bis in den 2. Weltkrieg hinein nach, um darm die Luftangriffe, denen Karlsruhe ausgesetzt war, detailliert darzu- stellen. Damit wird ein Zeitraum abgedeckt, der mit dem Abschuß einer französischen Aufklärungsmaschine über KarIsruhe am 8. September 1939 begimll wld mit dem letzten (mißlungenen) Groß angriff auf die Stadt am 2. Februar 1945 bzw. mit den fortgesetzten Jabo-Angriffen bis zur Besetzung Karlsruhes am 2. April 1945 endet. Lacker gliedert seine Darstellung nach Jahren und ordnet das Karlsruher Luftkriegsgeschehen ein in die Entwicklung der militärischen Gesamtlage - hier hätte sich stellenweise eine Straffung angeboten - sowie der Waffen-, N avigations- und Flugzeugtec\mik. Fragen der Luftkriegs- strategie und -taktik wird gebührender Rawn gewidmet. Die Stichworte Luftabwehr, Brand- bekämpfung, Schadensbehebung wld Hilfs- maßnahnlen bringen die Perspektive der von den Angriffen betroffenen Menschen ins Spiel , wobei auch die Rolle der NS-Institu- tionen zur Sprache kommt; da hätte man sich in diesem Bereich mehr Ausführlichkeit vor- stellen können. Jenseits der nüchternen Be- schreibung wld schieren Statistik erschließen besonders h~rausgehobene Zeitzeugen berichte sO\vohl das Leid als auch die wlgeheuren Leistungen, die von einzelnen angesichts der unvorstellbaren Not erbracht wurden. In seiner Schlußbetrachtung widmet sich der Autor der heiklen Frage nach der moralischen Wertung der "Terrorangriffe" gegen Städte und ZivilbevölkefWlg. Er konnut dabei zu der wichtigen Feststellwlg, daß hier eine Enl\,"ck- lung auf die Menschen in Deutschland zu- rückschlug, die von Deutschland ihren Aus- gang genommen hatte und von der deutschen Propaganda entsprechend begleitet worden war. Die Darstellung der Schäden, die der Luft- krieg im Stadtgebiet Karlsruhes verursachte, wird durch eine Reihe sorgfaltig und über- sichtlich erstellter Kartenbeilagen ergänzt und veranschaulicht. Ein Ortsregister er- schließt den Darstellungstei\. Angeschlossen ist ferner eine sehr nützliche "Dokumentati- on", die in tabellarischer Form alle 135 ge- zählten Luftangriffe verzeichnet mit Angaben u. a. über jeweilige Dauer von Alarm und Angriff, die Zahl der Flugzeuge, Abschüsse, abgeworfenen Bomben und der Bevölkerungs- verluste, die besonders betroffenen Stadtteile. Manfred Koch hat dem Buch eine "Photo- dokunlentation" von nahezu 95 kommentier- ten Photos, hauptsächlich aus den Beständen des Stadtarchivs und der Landesbildstelle Baden, beigegeben. Ein Teil dieser Photos, die teilweise unter Umgehung des Verbots, Luftkriegsschäden abzulichten, entstanden sind, werden hier erstmals veröLTentlicht. Die Aufnalmlen belegen das Ausmaß der Verän- derungen im Stadtbild, die der Luftkrieg ver- ursachte wld sind ferner beeindruckende Zeugen daflir, wie der Luftkrieg "weitab von der Front, Frauen, Kinder und Greise zu Kriegsteilnelunern machte". Zusammenfassend: ,,zielort Karlsruhe" ist ein Werk, das ein weites Publikunl anspricht. Es erlaubt die seimelle Infornlation, es bietet solide Darstellung, es öffnet Wege zu vertiefender Forschung und leistet eindrucks- volle Veranschaulichung. Mit seiner War- nung vor den Folgen politischer Gedankenlo- sigkeit weist das Buch über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus. Es sollte deshalb viele Leser und Besitzer finden . Rainer Glitjahr Susanne Asche, Olivia Hochstrasser: Durlach, Staufergründung, Fürstenresi- denz, Bürgerstadt. Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtar- ehivs Bd. 14, Badenia Verlag, Karlsruhe 1996,558 S., DM 62,- Aus Anlaß des Stadt jubiläums Durlach erschien diese repräsentative Stadtgeschich- te. Die beiden Verfasserinnen sind ausgewie- sene Fachkräfte. Susanne Asche hat bereits eine Geschichte der benachbarten Gemeinde Grötzingen vorgelegt. Es war richtig, die Ar- beit zwei nicht in Durlach ansässigen Histo- rikerinnen anzuvertrauen. Sie gingen vorur- teilslos an ihre Arbeit heran und hatten keine Scheu, mit Legenden aufzuräumen. Der Orts- name Durlach ist nicht keltischen Ursprungs, u,.d eine früher in das Jahr 1161 datierte Urkunde, in der der Name Durlach erstmals auftaucht, ist nach Ausweis der Namen und der Zeugenreihe,. eindeutig erst 100 Jahre später anzusetzen. Offen bleibt allerdings ob nicht schon vor der Ersterwähnung von 1196 eine Siedlwlg bestand, von der es archäo- logische Spuren gibt. Dies würde auch erklären, daß für die Neugründung genügend Bewohner da waren und man nicht mit einem kleineren Grundriß der ersten Anlage reclUlen muß. Die Staufergründung Durlach hatte nie die Chance, Reichstadt zu werden, da sie schon 1219 in die Hände der Markgrafen von Baden kam. Lange Zeit blieb Durlach eine Klein- stadt, an der die Hauptstraße aber vorbeizog und nur durch einen kleinen Umweg durch das Basler Tor hinein und nach einem Knick durch das Blumentor wieder hinaus an den Hauptverkehrsweg angebunden war. Die Verlegung der Residenz von Pforzheim nach Dllriach (1563) ist weniger der damaligen Größe Durlachs zu verdanken als der Tat- sache, daß es viel zentraler im Herrschafts- gebiet der Markgrafen von Baden lag. Die 353 Entwicklung als aufblühende Residenz wurde 1689 jäh unterbrochen, als französische Truppen die Stadt in Schutt und Asche legten und Markgraf Karl Wilhelm, kaum war der Neubau eines Stadtschlosses begonnen, dem Zug der Zeit folgend, sich eine neue Residenz im nahen Hardtwald baute: Karlsruhe. Ein Schwerpunkt der Darstellung liegt im 19. und 20. Jahrhundert. Dies ist verständlich, denn die bisher vorliegende, veraltete Ge- schichte Durlachs von Gustav Fecht aus dem Jahr 1869 spart diese Jahrhunderte ganz aus. Aber gerade jetzt kann die Darstellung in die Breite gehen und das Leben der Bewohner, ihre zahlreichen Vereine und kleinen Vergnü- gungen einbeziehen. Wer wußte schon, daß Durlach bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Schwimmbad mit vorgewärmten Wasser besaß und in der Weimarer Republik eine politische Gruppierung, der vor allem Frauen angehörten (Kommunale Volkswirtschafts- partei). Das Buch ist reichlich bebildert und durch drei Register erschlossen, die von drei verschiedenen Verfassern stammen, was wahrscheinlich auf Zeitdruck bei der Abfas- sung zUfÜckzufuhren ist. DelUl die Register sind nicht gut aufeinander abgestimmt. Daß die Gastwirtschaften im Sachindex und noch ausfUhrlicher im Orts index vorkommen, ist bei einer lebenslustigen Weinbaugemeinde noch verständlich; wieso das Gefangnis und die Hardtwald-Orte, die Fabriken und die Leih- und LesebiblIothek aber Sachen sind, bleibt unverständlich. Die Register berück- sichtigen offensichtlich auch nicht die Bildunterschriften. Wer sich, angeregt von dem Bild auf Seite 361 , fUr das Schwimmbad interessiert, sucht vergeblich das Stichwort Schwimmbad in den Registern. Erst wer herunlblättert, stößt 42 Seiten vorher auf einen kurzen Text, der auch den ursprüngli- chen Namen " Luft- wld Schwimmbad" verrät und daher unter 'L ' im Orts index steht. Nur, wer sucht schon unter ' L' ? Die Anhänge 354 geben Auskunft über die Durlacher Vereine, die Gasthäuser und Bierbrauereien, Straßen- umbenennungen, die Schultheißen, Bürger- meister, Stadtamtsleiter und Ortsvorsteher sowie die Bevölkerungsentwicklung. Ein kur- zes Glossar erläutert die Fachausdrücke. Trotz dieser Flüchtigkeiten im Detail ist das Buch ein gelungener Wurf. Die Autorinnen haben es verstanden, ein wissenschaftlich fundiertes Werk so zu schreiben, daß es jeder versteht und mit Gewinn und Genuß lesen kann. Wer in letzter Minute noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk ist, sollte an dem Buch nicht vorbeigehen. Gerhard Kaller Elga Roellecke: Wasser und Straßen, Quellen und Wege. Chronik Wolfarts- wcicr. Hrsg. v. Verein für die Geschichte von Wolfartsweier, Heft 2, Karlsruhe 1996, 219 S., DM 27,- Mit diesem Heft geht das Projekt Wolfarts- weier Ortschronik - nach dem erfolgreichen Verkauf des ersten Buches, dessen Herstel- lung durch die fmanzielle Unterstützung der Stadt Karlsruhe gesichert worden war - in die zweite Runde. Dieser und die folgenden Bände sollen durch den Erlös der jeweils letzterschienenen Teilc1lronik finanziert wer- den; ein Konzept, das bislang durch das gro- ße Interesse der Wolfartsweierer an illrer Ge- schichte tragfahig scheint. Die einzelnen Tei- le der Ortsgeschichte,jeweils von einem Ver- fasserleiner Verfasserin verantwortlich bear- beitet, stellen die "politische Entwicklung" , "das soziale Leben" und - wie der vorliegen- de zweite Teil - "das Dorf und seine Umge- bung" vor. Nachdem Elga Roellecke bereits den ersten Band zur Munitionsfabrik "Zünd- hütle" vorgelegt hat, ist sie nun auch flir die- ses zweite Heft verantwortlich. Der erste Teil (Kapitel 5 von Band Il der Ortschronik), überschrieben mit "Der Wetter- bach, das Bnmnenwesen, die Wasserversor- gung und das Schwimmbad", listet auf mehr als 80 Seiten chronologisch geordnet vieles auf, was zu diesem Thema an Quellen in den verschiedenen Archiven zu finden war. Die interessierten Leserinnen und Leser erfahren von den Problemen, die die Naturgewalten des Wassers im Laufe der Jahrhunderte im- mer wieder flir die Dortbewohner darstellten. So brachte etwa ein großes Unwetter im Jahr 1837 Wolfartsweier an den Rand des Ruins, und nur mit großem Einsatz der meist armen bäuerlichen Bevölkerung und mit Hilfe von Spenden aus ganz Baden konnten die ent- standenen Schäden nach und nach behoben und die zerstörten Häuser wieder aufgebaut werden. Das von der Autorin aufbereitete Material läßt auch die Schwierigkeiten einer gerechten Verteilung der Hilfsgüter und die Konflikte zwischen arm und reich im Dorf erahnen. Wasser und Wasserwege konnten jedoch auch militärischen Zwecken dienen. Als wäh- rend des polnischen Erbfolgekrieges Reichs- truppen am 10. Juni 1734 durch eine künstli- che Überschwemmung eine riesige Fläche zwischen dem Rüppurrer Wald, Ettlingen und den Wiesen in Richtung Gottesaue unter Was- ser setzten, um die in der Festung Philipps- burg lagernden Franzosen am Vorrücken ge- gen die Ettlinger Linien zu hindern, sorgte dies auch in Wolfartsweier fur Unruhe in der Bevölkerung, die um ihre Ernte fUrchten muß- te. Ein weiterer Aspekt, der sich dem aufmerk- samen Leser aus der Fülle des aufgeflihrten Materials erschließt, ist das, was wir heute Umweltprobleme nennen würden. Sauberes Trinkwasser und eine geregelte Abwasser- entsorgung beispielsweise wurden auch in Wolfartsweier mit wachsender Einwohner- zahl gegen Ende des letzten Jahrhunderts als wichtige Voraussetzungen fur die Gesund- heit der Dorfbewohner erkannt. Doch die Fra- ge, wer wieviel daftir zu bezahlen hatte, und in wessen Verantwortung die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur lag, war im- mer wieder umstritten. Daß der technische Fortschritt Folgepro- bleme mit sich bringt, mußten und müssen die Wolfartsweierer Bürgerinnen und Bürger nicht nur bei den "Wassernöten" zur Kennt- nis nelunen. Auch die Straßen, denen sich, unter anderem, das Kapitel 6, "Wege, Stra- ßen und Brücken, Post und Verkehr", auf mehr als 100 Seiten widnlet, sind ein Thema, das in Wolfartsweier bis heute nichts an Bri- sanz verloren hat. Waren es in früheren Jahr- hWldertcn de Auseinandersetzwlgen zwischen herrschaftlichen, militärischen und den Inter- e~senten der Dorfbewohner, wenn es um die Fragen von Instandhaltung oder von Weg- gebühren ging, so müssen die Wolfartswei- erer heute feststellen, daß die ungebremste Mobilisierung ihren Preis hat, wie die immer noch andauernden Auseinandersetzungen um eine Orts umgehung fur die B3 zeigen. Dieser zweite Band der Ortsgeschichte Wolfartsweier bietet, was hier nur angedeu- tet werden konnte, eine Fülle von Details zu den oben genannten Themen, wobei an man- chen Stellen eine größere Straffung und der Versuch einer Einordnung in größere regio- nal- und allgemeingeschichtliche Zusammen- hänge wünschenswert gewesen wäre. Ufe Grall Ernst 0110 Bräunchcffhomas Schnabel (Hrsg.): Die Badische Verfassung von 1818 Verlag Regionalkultur, 76698 Ubstadt-Wei- her, 1996, 80 S., DM 24,- Das Gebäude an der Ritterstraße neben St. Stephan nannte man " Ständehaus"; das darin tagende badische Parlament hieß "Stände- 355 versammlung". Aber in der zweiten Kammer dieses Parlaments saßen keine Vertreter ver- schiedener Stände, sondern Abgeordnete des ganzen Volkes, die nach gleichem Wahlrecht der volljährigen Bürger bestinmlt wurden. Dies war einzigartig in allen deutschen Staa- ten, und insofern stand in der Fächerstadt die Wiege der parlamentarischen Demokratie Deutschlands. Das 1822 im klassizistischen Stil errichtete Ständehaus - ältestes deutsches Parlamentsgebäudc - wurde wie fast die ge- samte Innenstadt im Bombenkri eg 1944 sclnver getroffen und fi el ei ner späten Trüm- merbeseitigung 196 1 zum Opfer. 1993 weih- te die Stadt auf einem Teil des Geländes das "Neue Ständehaus" ein, welches die Stadtbi- bliothek und eine Erinnerungsstätte beher- bergt. Mit dem Einzug in dieses neue Haus verband sich die 175-Jahr-Feier dcr badi- schen Verfassung von 1818. Aus diesem An- laß fand ein wisscnschafili ches Symposium statt , das in vorliegendem Band dokumentiert ist. Den wichtigsten Inhalt des reich illustrier- ten Buches bilden drci Vorträge, die ein über- aus anschauliches lmd vielseitiges Bild der badischen Politik und Volksvertretung im 19. Jahrhundert ergeben, eingebettet in die allge- meine hi storische Entwick lung. Elisabeth Fehrenbach erklärt die Verfassung von 181 8 aus der Lage des neu entstandenen Großher- zoglums, das seine Bürger gewinnen mußte. Sie analysiert die ersten Wahlen von 181 9 wld belegt die maßgeb liche Mitwirkung wei- tester Volkskreise. Paul Nolte schildert die badische Verfassungskultur im Vormärz. Er betont die ungeheure Popularität dcr Verfas- sung, deren 25jähriges Bestehen 1843 in ge- radezu kultischen Fonnen begangen wurde. Daran anknüpfend wagt er den Ausblick auf die Gegenwart mit dem Bundesverfassungs- gericht in Karlsruhe. Auch Hartwig Brandt, der sich mit Baden vor der Gründung des Deutschen Reiches von 187 1 befaßt, baut die 356 Brücke zur aktuellen Politik, indem er die Wende von 1866 mit der von 1989 vergleicht. Beide Ereignisse brachten, so sieht er es, den Abschied aus einer abgeschirnlten Idylle und den Übergang auf das wei te Feld realer Machtpolitik . Aus dem GeOecht politischer und sozialer Kräfte sowie dem Wirken ein- zelner Persönlichkeiten in Baden vor 1866 macht cr verständlich, warum sich hier er- staunlich früh eine rechtsstaatliche Kontrolle der Verwaltung und vor allcm ein Ministeri- um aus der Mitte des Parlamcntes entwickeln konntcn. Soll man diese Idylle vor der Wende als Glück in der Beschränkung interpretieren oder als Beschränktheit von Krähwinkel? Das Bändchen zur badischen Vcrfasslmg bictet cine lohnende Lektlire, die zum Nach- denkcn anregt. Es ergänzt die 1993 erschie- nene unentbehrliche Gesamtdarstellung ,, 175 Jahre badische Verfassung" von Hans Fcnskc. Zusätzlich enthält das Buch eine Eillfühnmg in die Gedenkstätte dureh den Leiter des Karlsruher Stadtarchivs Ernst OUo Bräunche und eine Betrachtung zur Lage des deutschen Föderalismus heute aus der Feder des Staats- sekretärs im Staatsministcriul11s von Baden- Würtlemberg Lothar Menz. Klaus Oeslerle Rolf-Hcincr Bchrcnds (Hrsg.): Faustkeil - Urne - Schwert. A rchiiologie in der Re- gion Karlsruhe. Badenia Verlag, Karl smhe 1996 , 208 S., DM 49,- Die hier anzuzeigende Veröffentlichung schließt eine bisher immer wieder bedauerte Lücke im lokal- bzw. regionalgeschichtlichen Schrifttum. Sie versteht sich als " Handbuch" der Archäologie rur die Stadt und den Land- kreis Karlsruhe und einige angrenzcnde Rand- gebiete; wissenschaftl ich exakt erarbeitet, richtet sie sich an eine breitere interessierte Öffentlichkeit und wird mit Sicherheit zum unverzichtbaren Handwerkszeug all derer gehören, die sich mit der Geschichte dieses Raumes befassen. Es ist das Verdienst des Herausgebers, ein kompetentes Autorenteam ftir die Bearbeitung der einzelnen Themenbe- reiche gewonnen zu haben; neben längst aus- gewiesenen Wissenschaftlern kommt eine Reihe junger Ur- und Frühgeschichtlicher bzw. Archäologen zu Wort. Der Titel des Buches umreißt die abgedeckte ZeitspaIUle, die von der Altsteinzeit bis zu den Merowin- gern reicht. Als bislang ältestes Zeugnis ftir das Auftreten des Menschen in der Region \\~rd ein mittelsteinzeitlicher Faustkeil aus den Grabungen in der Bruchsaler Flur "Aue" präsentiert - die alemannische bzw. merowin- gerzeitliche Siedlungstätigkeit hat die Wur- zeln eines Großteils der bis heute bestehen- den Orte gelegt. Der Band gliedert sich in zwei Abteilun- gen. Abteilung I, Die "Vor- und Frühgeschich- te in der Region Karlsruhe", lenkt den Blick zunächst auf die erdgeschichtliche Entwick- lung des Rheingrabens sowie auf die Traditi- on der archäologischen Forschung in der Re- gion, um sich dann der Darstellung der ar- chäologischen Entwicklung in der genannten zeitlichen Umgrenzung zu widmen. Hierbei werden die archäologischen Befunde aus der Region in einen größeren Rahmen gestellt, Zusammenhänge aufgezeigt und damit an- hand der Funde die Vor- und Frühgeschichte des Karlsruher Raumes dargeboten. Das je- weilige archäologische Fundstück findet da- bei stets seine ihm zustehende Würdigung. Zahlreiche Karten, graphische Darstellungen, Tabellen, Zeitleisten, Photographien der Fun- de und Ausgrabungsplätze sowie Zeugnisse der Luftbildarchäologie unterstützen die Aus- ftihrungen und liefern wertvolles Anschau- ungsmaterial. Auf ein besonderes Interesse in dieser Abteilung dürfte nicht zuletzt die Prä- sentation der erst in den letzten Jahren er- folgten Ausgrabung der jungsteinzeitlichen Siedlung im Bruchsaler Gewann "Aue" sto- ßen, die wichtige neue Erkenntnisse zur "Mi- chelsberger Kultur" beisteuerte, deren end- gültige Auswertung freilich noch zu leisten sein wird. In einer Zeit, in der die Umwelt- problematik stets ein Thema ist, müßten auch die Aussagen der Archäologen beachtet wer- den, denenzufolge die heutige Oberflächen- gestalt des Kraichgaus auf die Zerstörung des Waldes in bandkeramischer Zeit zurück- geht, die eine Bodenerosion stärksten Aus- maßes nach sich zog. Teil II behandelt "Ausgewählte archäolo- gische Funde und FundsteIlen" in chronolo- gischer Abfolge. Die Funde werden beschrie- ben, in ihrer Bedeutung erläutert und einge- ordnet; diesen Zwecken dient auch die Be- schreibung der FundsteIlen. Die Erläuterung der Fundumstände liefert z. T. aufschlußrei- che Einblicke in die Alltagsarbeit der Ar- chäologen. Auch · hier sind Text und Abbil- dungen aufeinander bezogen. Ein Ortsregister erleichtert schließlich den Zugriff auf die ar- chäologisch gesicherte Vergangenheit des je- weiligen Ortes. Rainer Gutjahr Rosemarie Stratmann-Döhler, Harald Sic- benmorgen: Das Karlsruhcr Schloß. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1996,72 S., 70 Farb- und s/w-Abbildungen, DM 28,- An Literatur über Stadt und Schloß fehlt es nicht. Dennoch ist diese Publikation notwen- dig geworden, weil manche früheren Beiträ- ge veraltet erscheinen und wir heute in der Bildausstattung bessere Qualitäten erwarten. Die beiden Autoren ergänzen sich gut in ihren Aufsätzen: "Schloßgründung und Bau- geschichte" und "Leben am Hof' von Rose- marie Stratrnann-Döhler sowie "Schloß und Stadtanlage" und "Das Schloß als Badisches Landesmuseum" von Harald Siebenmorgen. 357 Endlich geistern nicht mehr die zahlreichen Anekdoten um die Gründung herum, und aus den "Tulpenmädchen" ist kein " Harem" ge- worden, was sonst andere Autoren trellich von einander abschrieben. Man erkennt so- gleich bei der Verfasserin das genaue Studi- um der Quellen, die dem Leser aber sehr ein- gängig nahegebracht werden. Es bleibt nicht bei Daten, Namen und Fakten; R. Stratmann- Döhler erläutert das Prinzipielle einer Resi- denz im 18. Jh., die Prägung fur die Stadt, weist auf sozialgeschichtliche Aspekte hin und erfullt die Darstellung mit Leben, was man an anderen kunsthistorischen Monogra- phien oft vermißt, wo alles nur zu Stein er- starrt zu sein scheint. Gerade die farbige Be- schreibung eines Tagesablaufs im höfischen Alltag hilft uns, die Gedankenwelt vergange- ner Jahrhunderte zu verstehen, in der politi- sche Entscheidungen heranreiften. Unter dem alternden Großherzog Friedrich I. wurde es stiller im Schloß, und Bälle fanden kaum statt, zumal die Großherzogin Luise einen glaubens- strengen Stil pflegte. Das Verhältnis zum Erbgroßherzog Friedrich war sehr herzlich, wie dessen Briefe an seine Eltern erkennen lassen, so daß das Verbleiben in seinem Pa- lais an der Kriegsstraße nach dem Tod seines Vaters 1907 wohl kaunl auf ein Zerwürfnis mit der Mutter schließen läßt. Die Druckfeh- ler bei den Todesjahren von Karoline Luise und Friedrich I. sollten in einer Neuauflage verbessert werden: Harald Siebenmorgen stellt Schloß- und Stadtanlage in den europäi- schen Kontext und hält sie fur den "bedeu- tendsten Beitrag des 18. Jhs. zur europäi- schen Stadtbaukunst". Das heutige Badische Landesmuseum wird nur kurz, aber einpräg- sani skizziert. Ganz vorzüglich ist die Bebilderung gelun- gen, die vom Fördervercin des Generallandes- archivs Karlsruhe unterstützt wurde, der den Band als Jahresgabe seinen Mitgliedern ver- teilte. Manfred SchaelTer hat den Bauten und 358 Plastiken einen Zauber verliehen, daß man sich in mediterrane Gefilde versetzt mhlt, von wo aus ja viele Ideen in den Schloßbau einströmten. Aber auch Robert Dreikluft sollte erwähnt werden, der diese lesenswerte Publi- kation gestaltete und dem der Braun-Verlag schon viele gute Bücher zu verdanken hat, die allein beim Durchblättern einen ästheti- schen Reiz ausmachen und selbst im !nternet- Zeitalter bestehen bleiben. Doch dies ist nicht nur ein Geschenkbuch; man gewinnt mit ihm einen neuen Kontakt zu Stadt und Schloß, und das ist viel. Leonhard Milller 100 Jahre Bürgerverein Oststadt. Jubi- läumsbuch 1996. Hrsg. v. Bürgerverein der Oststadt e.v., Karlsruhe 1996, 176 S., DM 10,- Von der Hirschbrücke zum ZKM. Hun- dert Jabre Bürgerverein der Südweststadt Karlsrube. Hrsg. v. Bürgerverein der Südweststadt e.V., Karlsruhe 1996, 299 S. , DM 35,- Im vergangenen Jahr konnten zwei weitere Sürgervereine der Stadt Karlsruhe nach der Süd- und Weststadtl OOjähriges Jubiläum fei- ern. Diesen Jubiläen verdanken wir Ulnfang- reiche und lesenswerte Darstellungen der Ge- schichte der Oststadt Ulld der Südweststadl. Seide sind von Historikerinnen verfaßt wor- den und durch zahlreiche historische Fotos sehr anschaulich illustriert. Ute Grau Ulld Annette Michel erläutern in vielen Facetten die Entwicklung der Oststadt. Sie wurde auf den ehemaligen großherzog- lichen Küchengärten und dem Militärareal der Kaserne Gottesaue als Wohn- und Indu- strieviertel fur eine sozial gemischte Einwoh- nerschaft geplant. In den 1880er Jahren be- gonnen, urufaßt der Stadtteil heute etwa das Gebiet zwischen Kapellenstraße, Durlacher Tor, Friedhof, Neues Badenwerk-Gebäude, Bahnlinie und Kriegsstraße Ost. Die Autorinnen schildern die bauliche Ent- wicklung im Überblick und geben dann in Einzeldarstellungen weitergehende Informa- tionen z. B. über das sehenswerte Ensemble der Jugendstilhäuser in der Melanchthonstras- se, über die drei Volksschulbauten und die Umwandlung des Viktoriapensionats in die Karlsrnher Kinderklinik. Über den Stadtteil hinaus weist die Bedeutung der Bernhardus- kirche, die 190 I zum Symbol der Aussöh- nung zwischen badischem Staat und katholi- scher Kirche nach dem erbittert geftihrten Kulturkampf wurde. Spannend und aufschlußreich ftir die Ent- wicklung des Stadtteils aber auch der Gesamt- stadt sind die Abschnitte über die Industrie und die Infrastruktureinrichtungen, die den Strukturwandel der vergangenen 100 Jahre widerspiegeln. Traditionsreiche Firmen wie Haid & Neu oder Wolff & Sohn, die mit ihren Fabrikbauten zu den Gründern des Stadtteils gehörten, stellten in der Nachkriegs- zeit ihre Produktion ein, Gaswerk, Milch- zentrale (und bald auch der Schlachthof) wur- den aufgegeben. Die Technologiefabrik, der Badische Ge- meindeversicherungsverband und das Baden- werk kamen bzw. kommen neu in den Stadt- teil. Ein Kapitel über das älteste Bauwerk des Stadtteils, Schloß Gottesaue, informiert über dessen wechselvolle Geschichte bis zur Einrichtung der Musikhochschule, mit der die Oststadt ein kulturelles Zentrum erhielt. Der Bürgerverein, dem ebenfalls ein Kapitel ge- widmet ist, hat sich lange und hartnäckig ftir den Wiederaulbau eingesetzt. Die Geschichte der Südweststadt erzählt Ute Grau in chronologischer Folge und nicht wie im Oststadt-Buch themenorientiert in ein- zelnen Kapiteln. Dies macht zum einen die Vermittlung historischer Zusammenhänge leichter, offenbart zum anderen aber auch, wo Lücken in der Überlieferung sind bzw. die ereignislosen Phasen der Entwicklung. Die Bebauung der Südweststadt, die sich heute zwischen Kriegsstraße, Ettlinger Stra- ße, Hauptbahnhof und Beiertheimer Feld er- streckt, beginnt 1865. Die Verfasserin schil- dert anschaulich die Entwicklungsprobleme der Südweststadt: Die Notwendigkeit ständi- gen Geländeenverbs von Beiertheim, auf des- sen Gemarkung der Stadtteil wuchs, das all- mählich störende erste Karlsruher Industrie- gebiet zwischen Beiertheimer Allee und der späteren Karistraße und die Bahnlinien durch die spätere Mathy- und Jollystraße. Dem Bahnproblem verdankt der Stadtteil mit der 1891 errichteten Hirschbrücke sein Wahr- zeichen. Zu dieser Zeit war das Stadtviertel ein bür- gerlich geprägtes Wohnquartier, das im Ver- gleich mit anderen Stadtteilen eine geringere Vereins- und Gasthausdichte aufzuweisen hatte. Zentrale Einrichtungen ftir die Stadt wie Stadtgarten und Festplatz werden ebenso behandelt wie etwa das Vincentius-Kranken- haus und der Konsumverein. Wie in der Ost- stadt stellt Ute Grau auch in der Südwest- stadt am westlichen Rand nach dem Krieg einen Struktunvandel fest. Im Beiertheimer Feld und auf dem Gelände der IWKA, vor 1945 eine der größten Rüstungsschmieden im deutschen Südwesten, entstanden Venval- tungs-, Schul-, und Krankenhausbauten, die Europahalle und die Günther-Klotz-Anlage. Über das ZKM, das im Herbst in den Hallen- bau A einziehen wird, hat dessen Leiter einen an die Südweststädter adressierten Beitrag geschrieben. Angehörige der Hochschule ftir Gestaltung, die dort ebenfalls residiert, ha- ben dem Buch ein besonderes graphisches Layout gegeben. Marthamaria Drützler-Heil- geist hat ftir das Buch sehr lesenswerte und informative, in der Regel biographische Er- läuterungen zu allen Straßennamen des Stadt- 359 teils verfaßt. Die "bekeIUlende" Südwest- städterin Doris Lott steuerte drei Kurzge- schichten bei. Bürgervereine sind eine "Er~ findung" des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die im Dritten Reich verboten und nach 1945 wieder gegründet wurden. In bei den Bänden wird die Geschichte der jeweiligen Vereine und ihr Einsatz fur die Belange des Stadtteils gegenüber der Stadtverwaltung in Umrissen dargestellt. Bei ihren Bemühungen, Quartierbewußtsein zu schaffen, bewegen sich die Bürgervereine auf einem schmalen Grat. Das machen so- wohl die Darstellungen der Historikerinnen wie die Geleitworte des Oberbürgermeisters deutlich: Es gelte, Stadtteilegoismen vorzu- beugen und den Blick fiir das Wohl der gan- zen Stadt zu wahren. Man/red Koch Gerhard Kabicrske: Der Architekt Her- mann Billing (1867-1946) . Leben und Werk. G. Braun Verlag. Karlsruhe 1996, 335 S. , DM 79,- Der Architekt Hermann Billing ist den mei- sten Karlsruhern zumindest durch die nach ihm benannte Straße am Festplatz bekannt. Manch einer kennt noch eines seiner Karlsru- her Hauptwerke, die Hofapotheke oder die Baischstraße. Kaum einem ist jedoch bewußt, wie stark Billings Handschrift besonders im Bereich der West- tmd Südweststadt noch heute das Karlsruher Stadtbild prägt. Aber kann eine kunstgeschichtliche Dis- sertation dem Lebenswerk eines der bedeu- tendsten Karlsruher Architekten gerecht wer- . den? Im Falle Hermann Billings ist dies si- cher die beste werkgemäße Perspektive, die denkbar ist. DelUl Billing, im JahrzelUlt vor dem 1. Weltkrieg einer der meistbeachteten deutschen Vertreter des Jugendstils, war vor allem Künstler, ein "Fassaden-Künstler" im 360 besten Sinne. Nicht zufrillig ging er immer wieder geschäftliche Verbindungen mit an- deren Architekten ein, denn die technische Seite des Bauens war weit weniger seine Stär- ke, als es die Souveränität vermuten ließe, mit der er die Natursteinfassaden seiner Hauptwerke durchformte: Nicht nur in den von ihm allein geplanten Kopfbauten der Baischstraße am Kaiserplatz kritisierten die Bewohner den unvorteilhaften Schnitt der Wohnungen. Hermann Billings Interesse galt vor allem der Fornl, dem "Design" . Gerade deshalb sind auch die Verluste so schwerwie- gend, die den meisten seiner Bauten durch die Zerstörungen des 2. Weltkriegs und die meist wenig einftihlende Wiederherstellung der Nachkriegszeit zugeftigt wurden. Nur bei den wenigsten wird das schon auf den ersten Blick so deutlich, wie im Falle der "zersäg- ten Jungfrau", des bereits erwähnten Doppel- haustorsos am Kaiserplatz. Wie sehr die auf die Gesamtwirkung zielenden Elemente häu- fig fehlen , machen die sorgfriltig ausgewähl- ten Fotos aus der Entstehungszeit und die knappen Erläuterungen in der Werkübersicht deutlich. Wer sich ftir Karlsruhers Architek- tur interessiert, wird hier vorbildlich bedient und wünschte sich höchstens ein fahrrad- tauglicheres Fornlat ftir die anstehenden Ex- kursionen in die städtische Architekturge- schichte. Alexander Mohr Gottfried Leiber: Friedrich Weinbren- ners städtebauliches Schaffen für Karls- ruhe, Teil!: D~e barocke Planung und die ersten klassizistischen Entwürfe Wein- brenners . G. Braun Verlag, Karlsruhe 1996, 400 S., 220 slw Abbildungen, DM 148,- Ein Gesamtbild der Tätigkeit Friedrich Wein- brelUlers als Stadtplaner ftlr Karlsruhe - sein Wirken als Baumeister des Klassizismus ist vielfaltig erforscht - ist das Ziel einer auf zwei Teile angelegten Abhandlung. Deren erster, jetzt vorgelegter Teil behandelt die barocke Stadtplanung und -entwicklung von der Stadt- gründung bis zu den ersten richtungweisen- den Vorstellungen Weinbrenners am Ende des 18. Jahrhunderts. Ganz unabhängig da- von, daß damit nur die Voraussetzungen für Weinbrenners Schaffen erläutert werden sol- len, bereichert der Autor damit die Stadt- geschichtsschreibung um ein grundlegendes Werk zur Stadtbaugeschichte im 18. Jd. Auf der Grundlage ausgedehnter und sorg- faltiger Studien der Akten und Pläne macht Leiber den Lesern und Leserinnen sowohl die Rahmenbedingungen wie die EinzeIinteres- sen der am Planungsprozeß Beteiligten nach- vollziehbar. Zunächst schildert er die Stadt- planung aus der "Totalen" und unterscheidet vier Phasen: Planung und Bau von Schloß und Stadt bis zum Tod des Stadtgründers 1738, die stadtplanerische Stagnation bis 1764, dann die Entwürfe des langsam und schrittweise umgesetzten "Hauptplanes" der Stadtentwick- lung von 1764/1768 und abschließend die Überlegungen in den I 790er Jahren zur Stadt- erweiterung. Überzeugend legt Leiber die Entstehung des typischen Karlsruher Grundrisses aus ei- ner zunächst nur als Jagdstern gedachten An- lage dar, die sich "als grundlegende Entwurfs- figur in allen Entwicklungsstufen behaupten konnte". So auch in dem "Hauptplan" von 1764/68. Hier sind die Erweiterung nach Sü- den, die Anlage eines Markt- und des Rondell- platzes sowie der heutigen Markgrafen- und Erbprinzenstraße festgelegt. Zu den Vorga- ben und Problemen dieser Entwicklung fur Weinbrenners Schaffen zählt Leiber u. a. den neuen Friedhof, der die Entwicklung im Osten hemmte, die Probleme des Geländeerwerbs von Beiertheim zum Bau der Kriegsstraße, die Größe der Baublöcke, die durch die Ver- längerung der Radialstraßen entstand, und den Viehtriebweg von Beiertheim, der westlich der Waidstraße abweichend vom Strahlen- system der Straßen angelegt worden war. Aus ihm machte Weinbrenner die Akademiestraße, ein Faktum, das nur wenigen Spezialisten be- kannt sein dürfte. Vor allem aber war in der Stadt die" via triumphalis" nur in Ansätzen verwirklicht. Spannend ist, wie Leiber in manchen Fuß- noten stadtgeschichtliche Details zurechtrückt. Wenn er aus vergleichendem Quellenstudium erschließt, daß der festliche Akt der Grund- steinlegung am 17. Juni 1715 so wie bisher überliefert nicht stattgefunden haben kann. Oder wenn er eher en passant den in jüngster Zeit vorgelegten "geomantischen" Interpreta- tionen der Stadtgründung und -gestalt rational überprüfbare Fakten entgegenhält. N ach dem Blick aufs Ganze geht der Autor dann ins Detail, d. h. er verfolgt Planung und Ausbau von Teilräumen der Stadt. Hier er- fahrt man viele unbekannte Einzelheiten über die Straßen und Gassen. So auch, daß die Erbprinzcnstraße dem Verlauf eines lange exi- stierenden Weges folgte und der Symmetrie halber dazu die heutige Markgrafenstraße ge- plant wurde. Weiter werden Platzanlagen, da- runter ausfuhr lieh der Marktplatz und die Ide- en behandelt, auf denen Weinbrenner auf- bauen konnte. Stadttoren, Gartenanlagen, Be- gräbnisplätzen, Wasserwegen und Zimmer- plätzen sind weitere Kapitel gewidmet. Vier Exkurse u. a. zu den Leitideen und Vorbil- dern der Karlsruher Stadtgründung und zu "Klein-Karlsruhe" sowie häufig zitierte Do- kumente etwa zur Stadterweiterung von 1764/ 68 ergänzen die Darstellung, deren sach-, personen- und ortsorientierte Erschließung Register erleichtern. Es ist begrüßenswert, daß alle Erörterungen Leibers sich anband der 201 z. T. bisher unveröffentlichten Pläne oder Planausschnitte gut nachvollziehen las- sen. Daß man bei manchen Plänen zur Lektü- re die Lupe zu Hilfe nehmen muß, ist unum- 361 gänglich, daß die Herstellungskosten trotz des hohen Verkaufspreises keine Farbabbildungen zuließen, ist bedauerlich. Gottfiied Leiber kermt als langjähriger stellvertretender Chef des Karlsruher Stadtplanungsamtes "das Span- nungsfeld zwischen Wünschbarem und Mach- barem" , in dem sich Stadtplaner zu allen Zei- ten bewegen. Aus historischer Erkenntnis und eigener Erfahrung - und die gilt wohl auch fiir die aktuellen Pläne zum Ausbau der "via triumphalis" - schlußfolgert er: "Die Karlsruher Stadtanlage entspricht weder von vornherein einer rein kiinstlerischen Idee, noch wird sie allein sonstigen Regeln untergeordnet. Sie ist eine Synthese der Vernwill nach Abwägung aller zum jeweiligen Zeitpunk1 wichtigen Ent- scheidungsbedingungen." Manfred Koch Neues Bauen der 20er Jahre - Gropius, Haesler, Schwitters und die Darnmerstock- Siedlung in Karlsruhc 1929. Hrsg. v. Harald Siebenmorgen, Info Verlag, Karlsruhe 1997, 256 S., DM 48,- Parallel zur Ausstellung über die Dammer- stocksiedlung, die noch bis 7. September im MuseunI am Markt zu sehen ist, hat das Ba- dische Landesmuseum einen Text- und Katalogband herausgebracht. In 14 Beiträ- gen wird der Leser ausHihrlieh über die Sied- lung und eine Vielzahl zeitgeschichtlicher Zu- sanunenhänge unterrichtet. Einleitend schreibt Brigitte Franzen, der auch die gelungene Aus- stellungskonzeption zu danken ist, über den Wettbewerb Dammerstock, den Inhalt des Ausschreibungstextes, die genauen Festlegun- gen für das "Neue Bauen", nennt die Betei- ligten und resümiert die Ergebnisse. Die Reihe der Einzelthemen eröffnen Ernst Otto Bräunehe mit einer durch Zahlen beleg- ten Untersuchung über Wohnungsnot und Wohnungsmarkt in Karlsruhe in der Zeit von 1918 bis 1928 und Michael Ruck, der die öf- 362 fentliche Wohnungsbauförderung eben jenes Zeitraums untersucht. Harald Ringler legt die bisher nicht bekannten Viten der an der Pla- nung und Realisierung der Dammerstock- siedlung mitwirkenden Karlsruher Politiker, Stadtplaner und Architekten offen, voran die des engagierten Baubürgermeisters Hermann Schneider. Den Wechselwirk'ungen zwischen Dammerstock und der Karlsruher Architek- tur geht Andreas Schwarting nach, und An- nemarie J aeggi versucht den Platz der Damm- erstocksiedlung im Werk von Walter Gropius zu bestimmen. Die Siedlungsbauten Otto Haeslers sind Gegenstand der Abhandlung von Simone Oelker, die auch eingehend des- sen Planungsziele, so entscheidend ,,kein raunl ohne sonne" erörtert. In ihrem zweiten Bei- trag diskutiert Brigiue Franzen über das Schaffen des Künstlers und Architektur- theoretikers Kurt Schwillers und seine typo- graphischen Arbeiten Hir Dammerstock. Der " Typenwohnung" sollen "TYP.ennlöbel" ent- sprechen: dieser Leitidee fiir Dammerstock widnlet Peter Schmitt u. a. seine AusHihrun- gen zur " Gebrauchtwolmung". Besonderes Interesse verdienen der Auf- satz von Michael Peterek, ein Vergleich zwi- schen den Siedlungen Danmlerstock und Gar- tenstadt Rüppurr mit ihren unterschiedlichen städtebaulichen Ansätzen, nicht weniger die Darlegungen zum " Zeilenbau in den 20er Jah- ren und heute" von Günther Uhlig, Annette Rudolph-Cleff und Rob van Goal. Über die DammerstocksiedhUlg als Kulturdenkmal und die an den Bauwerken aullretenden Problemc Hir Denkmalschutz und Denkmalpflege be- richtet Konrad ~reyer, ergänzt durch die Schil- derung langjähriger Erfahrungen dortiger Be- wohner, die Bernhard Schnütt aufgezeiclmet hat. Und mit der Beschreibung eines CD- Rom-Projekts der Hochschule rur Gestaltung (Andrea Gleiniger) schließt die Reihe dcr überaus infornJativen Aufsätze. Der Anhang: der Katalog der ausgestellten Pläne, Fotos, Modelle und anderen Stücke sowie ein ausfiihrliches Literaturverzeichnis. Hervorzuheben bleibt das vorgelegte umfang- reiche Bildmaterial. Insgesamt: eine wichtige Veröffentlichung zur jüngeren Stadt- und Stadtbaugeschichte Karlsruhe, die als Anreiz dienen könnte, noch weitere Siedlungen der Stadt in ähnlicher Weise zu würdigen. GOltfried Leiber Fritz Ehret: Sozial bauen - Gesund woh- nen. 192 S., zahlreiche Schwarz-Weiß- und Farb- bilder. Für Nichtmitglieder erhältlich beim Mieter- und Bauverein, DM 30,- Diesen ebenso anspruchsvollen wie ange- messenen Titel trägt eine Publikation, die zum 100jährigen Bestehen des Mieter- und Bau- vereins, Karlsruhe ältester Baugenossen- schaft, erschienen ist. Um dies gleich vorweg zu sagen: Dem Mieter- und Bauverein gelang mit seinem Jubiläumsbuch über die eigene Chronik hinaus eine hochinteressante Dar- stellung des historischen, stadtplanerischen und gesellschaftspolitischen "Umfelds", der letzten I 00 Jahre. Die Einbindung der Genos- senschaftsgeschichte in Karlsruhe, ja deut- sches Gesamtgeschehen ist demnach ein wich- tiges Merkmal dieses Buchs geworden. So- mit ist "Sozial bauen - Gesund wohnen" auch ein wertvoller Beitrag zur Stadtgeschichte. Der Verfasser hat andererseits geradezu minutiös, dabei ungemein sparmend, die Ent- wicklung vom ursprünglich als " Mieter- Schutz-Verein" geplanten Verbund zu einem Großunternehmen geschildert, das heute ei- nen Bestand von über 6 500 Wohnungen vor- weisen kann. Dabei sind aus der Sicht der Karlsruher Bürgerschaft zwei Faktoren hoch anzurechnen. Zum einen der städtebauliche Beitrag des Mieter- und Bauvereins zum heu- tigen Gesicht der Stadt. Wobei, stellvertre- tend, nur der sogenannte " Meidinger Block" auf dem Gelände des alten Bahnhofs, der sogenannte "Gottesauer Block" mit 429 Woh- nungen, das Hochhaus eingeschlossen, die Bebauung des Schnliederplatzes sowie die Rheinstrandsiedlung genarmt seien. Der zwei- te auJIallige Aspekt ist die - bis hin zur Miet- preisgestaltung erkennbare - soziale Kompo- nente der Genossenschaft. Es gibt heute keinen Karlsruher Stadtteil, in dem der Mieter- und Bauverein nicht Zei- chen gesetzt hätte, die allerersten in der Süd- stadt-Ost (Ranke-, Scherr- und Sybelstraße), später in der Südweststadl. 1m "Dritten Reich" war der Siedlungsgedanke groß geschrieben. Die Abkehr von Blockbauten fuhrte zu der die frühe Rheinstrandsiedlung prägenden Ein-, Zwei-Familien- sowie Reihenl1äusern, eine später nicht wieder praktizierte Großzü- gIgkeit im Umgang mit teurem Bauland. Üb- rigens sollte diese Siedlung, wie Ehret re- cherchierte, nach .dem Wunsch NS-beflisse- ner Vorstandsmitglieder "Adolf-Hitler-Sied- lung" heißen. Gaulei ter Robert Wagner je- doch, aus welchen Gründen auch immer, un- tersagte diese Namensgebung. Der lesenswerten Chronik entnimmt man, daß Firmen wie Junker & Ruh, Hammer & Helbling und die Brauerei Hoepfner zu den ersten Mitgliedern des Mieter- und Bauvereins gehörten oder daß Großherzog Friedrich l. und seine Gemahlin Luise der Genossenschaft schon bald nach der Gründung ein zinsgün- stiges Darlehen von 100 000 Goldmark ga- ben. Berichtet wird aber auch, daß die Do- mäne die Genossenschaft verpflichtete, den über 24 qm großen ehemaligen Gottesauer Exerzierplatz - fur 13,52 - in toto und mit der Auflage zu übernehmen, den heutigen Gottesauer Platz der Stadt kostenlos zu über- lassen. Dies, weil das Domänenamt sich mit der Stadt wegen des Preises ,,nicht rumbalgen" wollte... losefWerner 363 Manfred Koch (Hrsg.), Auf dem Weg zur Großstadt, Karlsruhe in Plänen, Karten und Bildern, 1834-1915. Badenia Verlag, Karlsruhe 1997, 80 S., DM 25 ,- Carolsruhe - der Name war Programm; der Stadtgründer, Markgraf Karl WilheIm, woll- te zunächst einmal seine Ruhe: Er ging Kon- flikten mit den Bewohnern des alten Residenz- städtchens Durlach aus dem Wege und such- te Raum fUr ein großzügiges Schloß. Er dürf- te kaum daran gedacht haben, daß die weite Ebene langfristig auch beste Chancen fUr die Entwicklung einer Großstadt bot. Der Hof reichte aber als Motor ftir einen raschen Auf- schwung nicht aus. Zudem liefen die Ver- kehrslinien im Osten und Westen vorbei, ohne die kleine Residenz zu berühren. Die Vergrößerung des Landes zwischen 1771 und 1806 brachte zwar ein Anwachsen der Hauptstadt von etwa 4 000 auf 10 000 Einwohner, aber die Zahl 100000 und damit den Status einer "Großstadt" erreichte Karls- ruhe erst hundert Jahre später. Diese Ent- wicklung war weniger dem steigenden Personalbedarf von Ämtern und Militär zu- zuschreiben als der IndustTialisierung. 1838 erölfuete Baden die erste staatliche Eisen- bahn Deutschlands. Mit dem Anschluß an die Rheintalschiene im April 1843 konnte ftir Karlsruhe die Fahrt ins IndustTiezeitalter be- glllnen. Das dadurch angestoßene Wachstum der Stadt dokumentiert der von Manfred Koch vorgelegte Katalog einer Ausstellung, die aus Anlaß des 81. Geodätentags 1997 im Neuen Ständehaus zu sehen war. Den Schwerpunkt bilden verkleinerte Wiedergaben von 31 Stadtplänen, Planausschnitten und Umge- bungskarten, denen Bilder markanter Bau- projekte und Stadtansichten beigeben sind. Zu jedem Kartenblatt wird von verschiede- nen Autoren eine archivalische Beschreibung 364 geboten, der nützliche Erläuterungen des Kar- teninhalts folgen . Der Benutzer wird in den Stand gesetzt, sich die Stadtentwicklung Schritt fUr Schritt vor Augen zu fUhren . Be- sonders eindrucksvoll gestaltet sich die Infor- mation über die großen Projekte der Jahrhun- dertwende, den Rheinhafen und die Verle- gung des Hauptbahnhofes. Aufschlußreich ist die Momentaufnahme der Landtagswahl- ergebnisse von 1897. Weitere Karten geben Ausl"lIlft über die Verteilung der zahlreichen Gastwirtschaften von 1898, die Kanalisie- rung 1882 wld die Lokalbahnen 1911 . Einen historischen Gesamtüberblick bietet die knappe und klare Einftihrung des Heraus- gebers. Ein Aufsatz von Joachim Neunlann verhilft zum Verständnis der Kartentechnik und Landvermessung. Arthur Bauer infonlliert über die Entwicklung der Gemarkungsgrenzcn und Probleme der Bodenordnung. Die frühe Einftihrung des metrischen Sy- stems 1829 wld ein Gesetz gegen die Zer- splitterung von Liegenschaften 1854 ftigen sich in die Reihe gesetzlicher Regelungen, durch die Baden ftir Deutschland vorbildlich wurde. Die Entwicklung des Großherzog- tums und seiner Hauptstadt erhielt unlgekehrt durch den Aufschwung nach der Reichsgrün- dung mächtige Impulse. Karlsruhe erreichte 1903 den Rhein, aber noch nicht den Schwarz- wald. Die vorliegende Sanmllwlg von Karten macht es möglich, den Prozeß der Urbanisie- rung des 19. Jahrhunderts an einem über- sichtlichen Beispiel zu studieren. Für den Be- wohner der Stadt wld ihres Umlandes k01lUnt das lokalhistorische Interesse dazu. Die Lan- desbildstelle B~den hat einen inhaltsgleichen Folienband erstellt, der zu Kauf und Auslei- he verftigbar ist. Durch die Projektion errei- . ehen die Karten eine Größe, die das Studium von Einzelheiten erleichtert. Als Hilfsmittel ftir den Schulunterricht ist diese Publikation vorzüglich geeignet. Die Lernenden werden den früheren Zustand des Stadtbildes, viel- leicht auch ihrer eigenen Wohngegend, er- mitteln und Probleme der Stadtentwicklung erkennen. Auch außerhalb der Schulen dürfte die Folienreihe Interesse finden. Ein Blick auf diese Dokumentation kann daher kom- munalen Gremien empfohlen werden, denen es obliegt, die aus früheren Tagen überkom- mene Struktur der Stadt sinnvoll in die Zu- k'llllft zu entwickeln. Klaus Oesterle Karlsruhes neues Kulturzentrum Hrsg. Stadt Karlsrube, G. Braun Verlag, Karlsrube 1997, DM 68,- Bd 1 Kunstfabrik im Hallenbau A, Redak- tion Hermann Winkler, 124 S. Der erste der beiden Bände bietet einen Überblick zur Geschichte des ZKM, von dem OB Prof. Seiler betont, daß diese "Kunst- fabrik eine der größten Herausforderungen in meiner Amtszeit" gewesen sei, sowohl in sei- nen finanziellen Folgen als auch in seinem Inhalt, zu dem der Initiator, Kulturreferent Michael Heck, einen schlüssigen Bericht von der "Vision bis zur Realität eines Medien- zentrums" liefert. Prof. Klotz, als Realisator seit 1989, schildert die weitere Entwicklung, Aufträge und Ziele in seiner Art: unprätenti- ös und durchsichtig. Über den gewaltigen Bau, in fünf Jahren mit neuem Leben erfüllt, ver- mittelt Prof. P. Schweger mit seinen Mitar- beitern einen instruktiven Überblick. Neben dem ZKM darf die Städt. Galerie nicht übersehen werden. "Bilderschätze für Bürger" heißt der Beitrag von M. Heck und Erika Rödiger-Diruf, die als Leiterin seit 1993 die intensive Sanlß1eltätigkeit ihrer Vorgän- gerin weiterführt. Mit 15000 Kunstgegenstän- den reicht der Fundus über die Region hinaus und könnte mit einem nun größeren Raum für Wechsel ausstellungen einen weiteren Anzie- hungspunkt für größere Besucherzahlen bie- ten. Bd 2 lenseits der Brauerstraße, Redakti- on losefWemer, 164 S. "Der Hallenbau A krönt eine neue Stadt- landschaft" heißt der Untertitel, und J. Wer- ner schildert den Weg des Dorfs Beiertheim, das "dem Sog der Stadt erlag" und als Südweststadt mit der Brauerstraße sich vom grauen Industriearreal abgrenzte. Als Jour- nalist und Lokalhistoriker skizziert er farbig, wie jenes Quartier mit dem Wegzug der IWKA einen neuen Entwicklungsschub er- hielt. Der Geschichte des Hallenbaus widmet sich Manfred Koch, von der Metallpatronen- fabrik des Ingenieurs Wilhelm Lorenz 1872 zum Rüstungskonzern der DWM 1896, mit einem besonderen Augenmerk für die Arbei- ter, zunehmend Arbeiterinnen, zwar besser gestellt als andere Werktätige, aber nicht min- der deprimiert durch den Niedergang nach 1918. Waffen wurden wieder im Krieg 1939- 1945 verlangt, diesmal zusammen mit einer Zwangsarbeiterschaft. Von der wechselvollen Entwicklung nach 1945 erzählt Horst Zajonk, Amtsleiter für Wirtschaftsförderung, als die IWK den Wie- deraufbau und die Demontage erkämpfen mußte. Egon Martin, langjähriger Stadtpla- nungsleiter, umreißt die Ziele seines Amts seit Kriegsende, und Konrad Freyer würdigt als Denkmalpfleger die Umbaumaßnahmen. Harald Ringler und Michael Hübl beschrei- ben die "Umnutzung für die Kunst". Her- mann Winkler illustriert das neue Profil einer alten Straße, zu der die Anrainer, Walter Röhrig für das Arbeitsamt, Kay Nehm für die Bundesanwaltschaft anschauliche Beiträ- ge liefern. Die Bildausstattung erhöht den Reiz dieser Bände, mit denen eine Stadtteil- geschichte dargestellt wird, mehr als nur das Kulturzentrum. Leonhard Maller 365 Amalie Heck: 200 Jahre Karlsruher Flug- und Luftfahrtgcschichtc. Vom Gleit-Flug zum Verkehrs-Flug - vom Exerzierplatz zum Baden-Airport Badenia Verlag, Karlsruhe 1998, 128 S., 94 Abb., DM 26,80 Die badische Landeshauptstadt konnte auf- grund ihrer Lage in der Rheinebene frühzeitig und leicht an die modernen Verkehrsnetze des Industriezeitalters Anschluß finden. Dies ist bekannt fur die Entwicklung der Eisenbah- nen, Fernstraßen und Wasserwege, es gilt aber nicht weniger mr den Flugverkehr. Wenn andere Regionen, insbesondere der mittlere Neckarraunl, ihre ursprünglichen Standortnachteile mit erheblichen techni- schen Aufwand mehr als ausgleichen kOlm- ten, so hat dies ausschließlich politische Ursachen. Seit den Anfangen des Linienflugverkehrs Mitte der 20er Jahre bestanden, was weit- gehend vergessen ist, vom Karlsruher Flug- platz auf dem ehemaligen Exerziergelände nordwestlich der Kernstadt weitreichende Flugverbindungen ins In- und Ausland. Doch die Flügel wurden schnell gestutzt, weil sich die nat.-soz. Reichsregierung im Zuge ihres harten Kurses gegenüber Frankreich derarti- gen Investitionen im GrenzraunI abgeneigt zeigte. Deshalb dominierten bei der Nutzung des Fluggeländes von 1933 an militärische Gesichtspunkte; dabei blieb es auch nach dem II. Weltkrieg unter den Besatzungsmächten. Inl Gefolge der Länderneugliederung fehlte es am politischen Druck zur Wiederbelebung des Flughafens. Für die Karlsruher Bürger blieb immerhin das Flughafen-Restaurant und das Tanzlokal eine Zeitlang Anziehungs- punkt mit einem Hauch der großen weiten Welt. Anlalie Heck bietet erheblich mehr als eine Belebung solcher Erinnerungen. Sie spannt den Bogen von den ersten Flugversuchen ein- 366 zelner " Residenzler" gegen Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gründung des Verkehrs- flughafens "Baden-Airport" bei Söllingen unweit Rastatt im Mai 1997. Dazwischen ent- faltet sie einen bunten Fächer von wissens- werten Infornlationen, entreißt denk "würdige Ereignisse der Vergessenheit und mllt so eine spürbare Lücke in der lokalen Geschichts- schreibung. Sie schildert die Karriere des Karlsruher ScImeiders Werzinger als Ballon- fahrer im 19. Jahrhwldert, dokumentiert Flug- pläne der Zivilluftfahrt im 20. Jahrhundert und berichtet über Aktivitäten der Flugsport- vereine, darunter der berülmIten "Akaflieg" von Angehörigen der tecImischen Universität. Mit Recht breiten Raum erhält die Sensation des Zeppelin-Luftschiffs und seiner viel um- jubelten Landung auf dem Flugplatz 1930. Geschildert werden auch Bemühungen, in der Rheinebene einen Zeppelin-Flughafen einzu- richten. Nicht ausgespart werden die verder- benbringenden Flugbewegungen der Welt- kriege, ein Thema, zu dem neuerdings die ausflihrliche Darstellung von Erich Lacker vorliegt. Auf der Grundlage eigenen intensi- vcn Aktenstudiums schildert Amalie Heck das Tauziehen zwischen der Stadt, staatlichen Stellen und den Anlerikanern über die Wei- tere NutZWlg des Flughafengeländes, zu- nächst noch flir zivilen Flugverkehr, dann fur Wohnbebauwlg. Den Abschluß bildet die Vor- stellung des zukunftweisenden Projektes eines Verkehrsflughafens für den mitteibadi- schen Raunl auf dem ehemaligen Flugplatz der kanadischen Luftstreitkräfte. Dieses neue, privatwirtschaftlich konzipierte Angebot wird sich zwischen mehreren Großflughäfen um die nötige Nachfrage bemühen müssen. Das Buch von Anlalie Heck dürfte auf leb- haftes Interesse stoßen, zumal die anschau- liche Darstellung durch eine Vielzahl von Bil- dern und Grafiken in vorzüglicher Weise er- gänzt wird. Klaus Des/erle Revolution im Südwesten. Stätten der Demokratiebcwegung 1848/49 in Baden- Württemberg. Info Verlag, Karlsruhe 1997, DM 39,80 Alfred Georg Frei; Kurt Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie. Die badi- sche Revolution 1848/49. Der Traum von der Freiheit. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1997, DM 20,- 782 Seiten, reich bebildert-welm auch nur schwarz-weiß - , klar gegliedert, so präsen- tiert sich ein neuartiger und, um dies gleich vorwegzunelmlen, gelungener Versuch, ein wichtiges Kapitel baden-württembergischer und auch deutscher Geschichte darzustellen und vor allem fern jeder akademischen und elitären Form auch zu vermitteln. Dem Stadt- archivar von Karlsruhe und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft hauptamtlicher Archi- vare im Städtetag Baden-Württemberg, Ernst Otto Bräunehe, ist zuzustimmen, wenn er die- ses Buch als notwendige Ergänzung zu all dem " Revolutionstrubel", der das Bundes- land in der nächsten Zeit erfullen wird, an- sieht. Inmitten der sich immer mehr in Deutschland zu jeder passenden und unpas- senden Gelegenheit ausbreitenden ,,J ubiläums- pest" tut es gut, ein seriöses Handbuch als Lektüre oder präzises Nachschlagewerk zur Verfugung zu haben, auch und gerade, wenn es sich um einen auch heute noch durchaus kontrovers diskutierten Zeitabschnitt unserer Geschichte handelt. Denn die Frage nach dem Scheitern oder Erfolg der Revolution 1848 muß unbeantwortet bleiben. Die knappe, aber dennoch ausführliche Einftihrung von Ernst Otto Bräunehe und Ute Grau beschreibt Ausgangspunkt und Ziel der hauptsächlich von kommunalen Archivaren des Landes geleisteten Arbeit. Sie gibt über- dies eine klare Übersicht über Vorgeschichte, Entwicklung und letztendlich Scheitern der Revolution. Nach der Zeittafel beginnt mit dem Kapitel Aalen die lange Kette von Orten, die direkt oder indirekt mit der Revolution zu tun hatten. Schon in dieser Aufeinanderfolge, illustriert durch zwei Karten in den Deckblät- tern, wird die flächendeckende Unruhe dieser Jahre verdeutlicht. Die Einzelkapitel sind alle nach dem glei- chen Muster gestaltet. Die lokalen Ereignisse dieser Jahre werden geschildert, es folgt ein Absclmitt "Spuren" mit der Darstellung noch vorhandener Örtlichkeiten. Zusammen mit Kurzbiographien und Literaturhinweisen er- geben die Einzelkapitel ungeachtet verschie- dener Bearbeiter ein geschlossenes Bild der Revolution. Es wäre ungerecht, nur auf die großen Städte und Stätten der Demokratie- bcwegwlg hinzuweisen. Gerade die Vielfalt und die Hereinnahme von kleinen Orten in das Handbuch lassen es zu einem rur die Zukunft unverzichtbaren Arbeitsmittel fur Heimatfor- scher und Landeshistoriker werden. Als Pendant zu diesem Kompendiunl sei auf eine andere Publikation zu dem Thema hin- gewiesen, die in recht wlorthodoxer Weise sich mit dem Thema "Badische Revolution" nähert. Das Buch "erzählt allgemein verständ- lich, knapp und historisch fundiert die Ge- schichte der badischen Revolution mit ihren Hauptereignissen und Hauptpersonen", wie der Werbetext verspricht. Allerdings tut es dies in einer wenig übersichtlichen Art, und den Verfassern kann nur zugestinunt werden, wenn sie im Nachwort schreiben, "daß dieses Buch Appetit darauf machen soll, sich vertieft mit der Badischen Revolution zu beschäfti- gen", Als Appetithappen erscheint es dem Rezen- senten wiederum zu wenig verdaulich, und er greift dann lieber schon zu dem eingangs vorgestellten Handbuch. Michael Martin 367 Martin Einseie; Andrea Kilian (Hrsg.): Stadtbausteine Karlsruhe . . Elemente der Stadtlandschaft. Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen, Uni- versität Karlsruhe, Karlsruhe 1997, 162 S., DM 28,- Sich einer Stadt und ihrer Baugeschichte über Literatur anzunähern, kann auf unter- schiedliche Weise und mit unterschiedlichem Tiefgang geschehen. Von Stadtfuhrern, Bild- bänden, Chroniken, Monographien, Ausstel- lungskatalogen, Architekturfuhrern bis zur (meist selten vorhandenen) Stadtbaugeschich- te. Die vorliegende Veröffentlichung läßt sich keiner dieser Gattungen zuordnen. Die bau- liche Entwicklung auf dem heutigen Stadtge- biet wird mit Hilfe von "Stadtbausteinen" skizziert. Dazu zählen ausgewählte Bauge- biete bzw. Siedlungen, chronologisch geord- net und nach Baufornlen diITerenziert. Ausgehend von historischen Stadt- und Dorfkernen wie Durlach, Mühlburg, Bulach und Hohenwettersbach über die eigentliche Gründungsstadt mit ihren späteren Stadter- weiterungen des 19. Jahrhunderts bis zu den wichtigsten Siedlungsprojekten wie Garter.- stadt, Dammerstock, Waldstadt etc. Weitere Stadtbausteine betreITen "Freiflächen im Siedlungskontext" wie das Albgrün, die Hil- dapromenade, Schloßplatz und -garten, Fest- platz und Stadtgarten. Als Elemente der Stadtlandschaft werden auch einige ältere und neuere Gewerbegebiete, der Hauptbahnhof mit Vorplatz und Sonderbauflächen wie das ehemalige lWKA-Gelände mit seinen neuen Nutzungen vorgestellt, Jedem "Baustein" ist eine Doppelseite mit Planausschnitten, Fotos und einer Kurzbeschreibung gewidmet. Die- sem Hauptteil vorangestellt sind die zwei wichtigen einleitenden Kapitel über die naturräumlich-ökologischen Gegebenheiten und über Siedlungsflächenentwicklwlg bis heute. 368 Die Publikation eignet sich hervorragend als Pflichtlektüre und "Orientierungshilfe" fur alle mit Architektur und Stadtplanung befaßten Studierenden der Karlsruher Hoch- schulen. Die an ihrer Stadt interessierten Be- wohner finden hier einen guten Überblick und Anregungen für Stadterkundungen. Harald Ringler Dieter Langewiesche (Hrsg.): Demokra- tiebewegung und Revolution 1847-1849- Internationale Aspekte und europäische Verbindungen. G. Braun Verlag, Karlsruhe 1998, 232 S., gebunden, DM 36,- Wenn das Kulturamt Offenburg hier Beiträge eines wissenschaftlichen Kolloqui- ums vom September 1997 veröffentlicht und sein Leiter in einem pointierten Aufsatz den "Versuch einer lokalen Aufarbeitung des Erinnerns an die Demokratiebewegung 1847 bis 1849" mit seinen Höhen und Tiefen beschreibt, dann handelt es sich nicht allein um Lokalgeschichte. Der Herausgeber, Die- ter Langewiesche, hält zwar die von der deutschen Geschichtswissenschaft vernach- lässigte Regionalgescllichte für eine neue vergleichende Sicht der Revolution im europäischen Kontext für sehr wesentlich, weil sie differenzieren hilft. Die von pro- filierten Historikern verfaßten Studien gehen aber weit über die badische Revolution hinaus, und im Vergleich mit verschiedenen Schaubülmen \yerden Aspekte deutlich, die in der herkönilnlichen Literatur weniger prä- gnant beschrieben werden. Helge Berger und Mark Spoerer bezweifeln den allgemeinen Ansatz der politikhistorisch orientierten deutschen Historiographie, wo- nach die ökonomische Krise seit 1845 "ein Faktor von vielen" gewesen sei; vielmehr möchten sie mit der Analyse der "Wirtschaft- lichen Entwicklung im Vonnärz und Revolu- tion 1848 in Deutschland und Europa" unter der Fragestellung "nicht Ideen, sondern Hunger?" den Funken beschreiben, "der die Mine zündete" , wobei sie mit ausflihrlichen Statistiken und Diagrammen ihre These zu belegen suchen. Wie in diesem Tableau be- tont auch Rudolf Jaworski im Beitrag "Völ- kerfrühling 1848" die unterschiedlichen Ver- hältnisse der revolutionären Gruppen. Wäh- rend die Liberalen eher national agierten, ftihlten sich die Radikalen eher europäisch gesOlmen. Nicht internationalistisch, aber in feudaler Unterstützung sicht Johannes Paulmann die "Europäischen Monarchien", Der persönli- che Briefwechsel wlter den Fürsten nahm zwar außerordentlich zu, um sich zu infor- mieren und assistieren, doch eine "erste wahr- hafte Internationale" der " Reaktion" - ein Begriff, den der Adel streng vennied - gab es trotz der "Heiligen Allianz" nicht, weil ein zentrales Organ fehlte. Bei Manfred Botzenharts Beitrag "die Außen- und Innenpolitik der provisorischen Zentralgewalt zwischen Anspruch und Wirk- lichkeit" wird lediglich skizziert, daß die Ein- richtung eines deutschen Nationalstaats in der Mitte Europas ftir die Großmächte "ein schweres Problem bedeutete" und man des- halb "eine abwartende Haltung einnahm". Hier hätte man die häufig vertretene These, ob es 1848 zu einem Krieg gekommen wäre, gern diskutiert gesehen, die lange Zeit in der deut- schen Geschichtsschreibung dominierte, und welche zwiespältige Rolle insbesonders Großbritannien eingenommen hat, das ja im preußisch-dänischen Waffengang am "Bos- porus des Norden" eher den Dänen zuneigte. Aufschlußreich Wolfram Siemanns Begriffs- klärung von "Asyl, Exil und Emigration" in bei ihm gewohnter Treffsicherheit und solider Interpretation der breiten Literatur. Der He- rausgeber selbst überzeugt mit der Unter-su- chung "Kommunikationsraum Europa" , wie um die Mitte des 19. Jahrhunderts Infor- mation und Reaktionen möglich waren und wie unterschiedlich man darauf reagierte. V er allem sei hervorgehoben, daß sich Lange- wiesehe gegen die "grobmaschige Fonn des Deutungsmusters 'deutscher Sonderweg'" wendet, "weil mit ihnl im Grunde zwei Fik- tionen verglichen wurden: die Fiktion, die Grundzüge der modemen deutschen Geschich- te ließen sich auf die Besonderheit eines ' Sonderweges in Europa reduzieren, und die Fiktion eines klaren, einheitlichen westlichen Gegenmodells." (S. 187) Im Unterschied zu vielen Publikationen wirkt das Regionale und Lokale in der ver- gleichenden europäischen Sicht nuancenrei- cher und erhält spezifische Akzente, womit d"s Ergebnis dieser Offenburger Tagung aus der manclunal etwas oberflächlichen Bücher- flut zu 1848/49 sichtbar herausragt. Die sehr umfangreichen Amnerkungen weisen zudem auf neueste Forschungen hin, so daß man nach angeregter Lektüre auch auf Fundgruben flir weitere Jnfornlationen stößt. Leonhard Müller 1848/49 Revolution der deutschen Demo- kraten in Baden. Hrsg. v. Badischen Landesmuseum, Baden- Baden 1998,538 S., DM 39,- Der Katalog, der später im Buchhandel ftir 68,- DM zu erhalten sein wird, ist weit über diese Landesausstellung interessant, denn es wird ein breiter Bogen von der Französischen Revolution bis in unsere Tage geschlagen und damit ein Durchgang durch deutsche Ge- schichte vollzogen. Zwischen den präzisen Beschreibungen von 728 Exponaten sind kurze Artikel über fast alle notwendigen Teilbereiche eingefligt, z. B. Staatsgründung und Konsolidierung Badens, die dörfliche 369 Lebenswelt im Vonnärz, der badische Adel, Handwerk, Bürgertum, Militär, Kirchen, die Arbeiter, die Frauen, der geistige Umbruch an den Universitäten und vieles mehr. Der Ablauf dieses "Tollen Jahres" wird auch für denjenigen anschaulich, der nicht die Ausstel- lung besucht hat, zumal die Abbildungen eine einmalige Zusammenschau vennitteln. Eine große Zahl von Mitarbeitern hat unter der Gesamtleitung von Harald Siebenmorgen in mehrjähriger Arbeit Fakten erkundet und zusarmnengetragen, wobei hier nur die Katalogredakteure genannt werden können: Julla Dresch, Jan Ballweg, Alfred Georg Frei und Volker Steck, olme das andere wichtige Gebiete wie Ausstellungskonzeption, Foto- grafie, Fotoredaktion u. a. unberücksichtigt bleiben sollten. Die Texte sind, bei aller Sympathie fur die revolutionäre Sache, sachlich und fur jeden anschaulich fonnuliert. Erstaunliches findet man dagegen im Ausklang "Was bleibt". Da wird die DDR als "brav und bieder" (S. 483) bezeichnet, deren NVA 1968 die freiheitliche Bewegung in der CSSR niederwerfen half wie 1849 die Preußen die revolutionären Badener, von den Toten an der Mauer ganz zu schweigen. Und Hennann Glaser beschwört im Nachwort wieder eimnal die These vom "deutschen Sonderweg" , daß also "die erforderliche Demokratie" nicht vorangetrie- ben worden sei , traditionelle Eliten sich behaupteten und man angesichts imlerer Spannungen nur im Krieg einen Ausweg sah, so der Diskussionsstand 1990. Von dieser "grobmaschigen Fonn" der Deutungsmuster verabschiedet sich Dieter Langewiesche, Mitautor an diesem Katalog, weil hier nur zwei Fiktionen verglichen werden: "die Fiktion, die Gnmdsätze der modernen deutsche Geschichte ließen sich auf die Besonderheiten eines Sonderweges in Europa reduzieren, und die Fiktion eines klaren, einheitlich westlichen Gegenmodells" , wobei 370 er fragt, warum unsere Geschichte "fast durchweg nur mit dem Westen" verglichen wird? (Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849, Braun Verlag Karlsruhe 1998). Insofern ist Glasers Beitrag ein Nachklapp auf eine Diskussion, die zwar anregend war, jedoch überholt ist. Solche Einseitigkeiten mindern aber nicht den Wert des - hochsubventionierten - Bandes, dessen Erwerb man deshalb nicht versäumen sollte, denn er wird später eine Rarität darstellen. Leonhard Müller Barbara Guttmann: "Zwischen Trüm- mern und Träumen". KarIsruherinnen in Politik und Gesellschaft der Nachkriegs- zeit. Portraits. Karlsruhe 1997, 124 S., Schutzgebühr DM 5,- (erhältlich im Stadtarchiv und im Büro der Frauenbeauftragten). "Sind Frauen fahig, den gleichen Anteil am öffentlichen Leben zu nelunen wie die Männer, oder nicht?" Diese Frage eines öffentlichen Fonuns des Stuttgarter Radio- Senders im November 1947 im Karlsruher Konzerthaus wurde unterschiedlich beant- wortet. Die Männer wollten Frauen auf eine Betätigung in den sozialen Belangen be- schränken. Die Frauen forderten hingegen ihre gleichberechtigte Mitarbeit in der Politik. Angesichts der in den Trünmlern des Zweiten Weltkrieges bewiesenen Arbeitskraft und Fähigkeit zur Neuorganisation des Lebens ein berechtigtes Verlangen. Was daraus in Karls- ruhe geworden ist, wird derzeit von B. Gut!- mann erforscht und soll 1999 veröffentlicht werden. Die hier vorab publizierten 13 Portraits von Frauen, die sich nach 1945 im weiteren Sinn politisch engagiert haben, stehen stellvertre- tend ftir die über ISO erfaßten Frauen, denen eine weit größere Zahl an der Basis aktiver Frauen enlspricht. Vorgeslelll werden Sladl- rätinnen des erslen Nachkriegsjahrzehnls (Kunigunde Fischer, Hanne Landgraf, Anna Waleh, Luise Naumann und Toni Menzinger), in Parteien aktive Politikerinnen (Ruth Grimm, Elisabeth Großwendt, Luise Riegger), in kirchlichen bzw. überparteilichen Organi- sationen engagierte Frauen (Gertrud Ham- mann, Hertha Nachmann, Gisela Walter, Kalhinka Himmelheber und Erna Seherner). Dabei sind die Grenzen oftmals fließend , da die Tätigkeit in mehreren politischen oder karitativen Organisationen häufig vorkam. Viele der Frauen fanden sich zudem in der 1947 gegründeten überparteilichen Karlsru- her Frauengruppe in dem Bestreben zusam- men, die Spaltwlg der Frauenbewegung in unterschiedliche politische Flügel zu über- winden. Die jeweils k"Urz gefaßten Biographien infonuieren dennoch präzise über den Lebenslauf, die Motive zum politischen Handeln und die einzelnen Arbeitsschwer- pw"'te der Frauen. So gewinnen Leserinnen und Leser auch Einblicke in persönliche Schicksale im " Dritten Reich" wie berufliche Zurückstufung, Emigration, Internierung in Gurs, Widerstand und Verfolgung, Kriegs- verletzungen. Sichtbar werden zudem Proble- me der bundesrepublikanischen Nachkriegs- gesellschaft, nationalsozialistisches Unrecht wenigstens materiell wiedergutzumachen, und die Ausgrenzung jener Frauen, die sich auf seiten der politischen Linken gegen WiederbewafInung und atomare Rüstung einsetzten. Die Autorin benennt auch die Motive und Ziele des politischen Engage- ments und verdeutlicht deren Spannweite. Einerseits das Festhalten an dem Geschlechter- modell der Kaiserzeit und der Beschränk"Ußg auf den Bereich des Sozialen, wie es Kuni- gunde Fischer praktizierte. Andererseits die Forderung nach einer Neudefinition der GeschlechteITollen und dem Streben nach der Verwirklichung der im Grundgesetz garan- tierten völligen Gleichberechtigung durch die erste Bundesverfassungsrichterin Erna Scheff- ler. Das schmale Bändchen gibt einen facet- tenreichen Einblick in die politische Partizi- pation von Frauen in der Karlsruher Nach- kriegszeit und weckt Erwartungen wie Neu- gier auf die fur 1999 versprochene ausftihrli- ehe Darstellung. Manfred Koch Institut für Baugestaltung, Baukonstrukti- on und Entwerfen I der Universität Karls- ruhe, Arno Lederer (Hrsg.): Architektur in Karlsruhe 1971 bis 1996. Eigenverlag, Karlsruhe 1997, 184 S., Abb., Lit. , DM 38,- Die erste sich als Architekturftihrer ftir Karlsruhe bezeichnende Publikation erschien 1971. Joachim Göricke stellte über 200 Bauwerke anband von Zeichnungen und Fotografien ohne weitere Erläuterungen vor. Das Architekteuregister mit kurzen biogra- fischen Hinweisen und ein Stadtplan mit den Standorten der Objekte ergänzen dieses erste Verzeichnis über "Bauten in KarlsruheH , Es begilmt mit dem Durlacher Schloß und schließt mit bis 1970 fertiggestellten oder projektierten Wolmungsbauten, Kirchen, Institutsgebäuden wld Verkehrsbauwerken. Die neue Broschüre, ein Ergebnis eines Studienprojektes, setzt diesen Weg fort . StudienanHinger an der Architekturfakultät befaßten sich mit beinahe 160 ilmen vorge- gebenen Hochbauten bzw. Innenraum- gestaltungen in Karlsruhe. Sie erstellten vereinfachte Grundrisse, fotografische An- sichten und kurze Texte, was gegenüber dem Vorgängerwerk ein Fortschritt ist. Das qualitativ bemerkenswertere Architektur- geschehen in Karlsruhe seit den 70er Jahren liegt nun stadtbereichsweise, aber ohne chro- nologische Abfolge vor. Die grafische Ge- 371 staltung einschließlich der Fotografien ist von bemerkenswert guter Qualität. "Die Auswahl der Projekte erfolgte nach dem subjektiven Qualitätsempfinden des Lehrstuhis". Objek- te, die ab Mitte der 80er Jahre fertiggestellt worden sind, bilden das Übergewicht. Die 70er Jahre sind mit über 30 Beispielen zurückhaltend vertreten. Hier mag die heute vorhandene Distanz zur damaligen Archi- tekturauffassung eine Rolle gespielt haben. So sind derartige Verzeichnisse immer auch Dokumente des Zeitgeistes und nicht Spiegel der baulichen Entwicklung einer Stadt im Sinne einer Stadtbaugeschichte. Architektur bezieht sich immer auf einen Ort. Ob und wie auf die unmittelbare Stadt reagierend gebaut wird, bestimmt neben anderen Kriterien die Qualität von Architektur. Was auch diese verdienstvolle Sammlung nicht zum Archi- tekturfuhrer einer Stadt werden läßt - wohl nicht beabsichtigt -, ist das Aufzeigen der Lage der Objekte im städtischen bzw. land- schaftlichen Zusammenhang. Harald Ringler Badische Synagogen aus der Zeit von Großherzog Friedrich in zeitgemäßen Photo graphien. Hrsg. v. F. J. Ziwes, G. Braun Verlag, Karlsruhe 1997, 96 S., DM 49,- Unter den Archivalien, die das General- landesarchiv Karlsruhe 1995 aus dem mark- gräflichen Besitz erwerben konnte, sind diese 13 Photographien badischer Synagogen in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung. Zum einen sind es, fur die Zeit um die Jahr- hundertwende, technisch hervorragend gelun- gene Aufnahmen, die die architektonische Wirkung dieser Bauten, in Karlsruhe z. B. das von Josef Durm erbaute Gotteshaus in der Kronenstraße, sehr anschaulich festhalten. Zum anderen zeigen sie, welche Bedeutung 372 den Juden im GroßherzogtunI eingeräumt wurde, so daß - besonders im präzisen Bei- trag von Lore Schwarzmaier - die Distanz Friedrichs I. zum aufkommenden Antisemi- tismus deutlich wird. Mitarbeiterdes General- landesarehivs haben in weiteren Beiträgen diese wertvolle Jubiläumsausgabe zum 70. Geburtstag des Großherzogs kommentiert: H. J. Ziwes als sorgfaltiger Herausgeber der auch drucktechnisch sehr gefalligen Publika- tion, H. Schwarzmaier in der Charakterisie- rung des jüdischen Oberrats als Initiator und Überbringer der Festgabe, W. Rößling in seinem Beitrag zur Architektur und Zunl Baustil sowie M. Preuß Zunl Synagogenritus und seine Veränderungen im 19. Jahrhundert. Neben ihnen haben zahlreiche andere Archivare die einzelnen Standorte beschrie- ben, und dies ist besonders wichtig, da viele Bauten der Zerstörungswut des NS-Regimes zum Opfer gefallen sind. Das inhaltsreiche und repräsentative Verlagswerk des Braun- Verlags wird nicht nur Leser, sondern auch Sponsoren zufrieden stellen. Leonhard Müller Personenregister Abt, Komponist 60 Adorno, Theodor W. 183 Agricola, Carl 119 Albers, Hans 187 Albikcr, Karl 37,39 Albrecht, Herta 206 Alker, Hermann Reinhard 28,45,46 Allgeyer, Julius 275,276 Anderseh, Alfred 183, 185 Andreae, Jakob 212 Angermeyer-Deubner, Marlene 329 Anneke, Mathilde Franziska 97 Antes, Horst 158,181,182 Apostel, Hans Erich 286 Arnim, Bettina von, geb. Brentano 265 Amold, Heinrich 304 Arrhenius 267 Asche, Susanne 330,353 Aster, Niclaus 202, 205 Auer, Leopold 172 Augstein, Rudolf 240 Babberger, August 178 Babo, Lambert von 101 Bach, Johann Sebastian 166, 172 Back, Will i 62 Backhaus, Hermann 32 Baden, von - Bernhard, Markgraf 314 - Friedrich 1., Großherzog 47, 52, 84, 86, 104, 109-112, 116, 120, 123, 157, 158, 169, 174, 175,226,241-244,247, 249, 253,269, 271, 274, 276, 277, 284, 288, 307, 311 , 312, 333, 338, 350, 358,363, 372 - Friedrich 11., Großherzog 110, 116, 117, 222,271,272,289,338,359 - Hilda, Großherzogin 110 - Jakob IIl., Markgraf 209,211,212 - Karl, Großherzog 116 Bearbeitet von Katia Linder - Karl Friedrich, Markgraf 35, 116, 134, 138, 140,146,223,277,287,307 - Karoline Luise, Markgräfin 116, 122,288, 358 - Leopold, Großherzog 36, 56, 83 , 85, 118, 123,157,276,318 - Ludwig, Großherzog 22,110,157,313 - Ludwig 11., Erbprinz 119 - Ludwig Wilhelm 174 - Luise , Großherzogin 49, 104,110, 120, 123, 276,289,358,363 - Max, Prinz von 61,64,122,165,276 - Maximilian, Margraf 118 - Rudolfl. , Markgraf 11 3 - RudolfIl ., Markgraf 113 - Stephanie, Großherzogin 11 9,257, 289 - Sophic, Großherzogin 11 8, 289 - Wilhelm, Marllgraf 249, 251 - Wilhelm, Prinz 84, 85, 97, 288 Baden-Baden, von - August Georg, Markgraf 135 Baden-Durlach, von - Augusta Maria, Markgräfin 249, 250 - Christoph 1., Markgraf 249 - Ernst Friedrich, Markgraf 132, 209, 210, 345 - Friedrich VI., Markgraf333 - Friedrich Magnus, Markgraf 249,250 - Georg Friedrich, Markgraf 209, 211 - Kar! Wilhelm 22, 34, 51 , 122, 134, 142, 143, 145, 177,209,354,364 - Kar! II. 124,132,209, 210,249 Ballweg, Jan 370 Barlow, James 228 Barthlott, Friedrich 82 Bassermann, Friedrich 347 Bauer, Arthur 364 Bauer, Erich 339 Bauer, Oberforstrat 46 Baumann, Georg Ernst 205 373 Baumeister, Reinhard I, 294 Bäumer, Gertrud 278 Baumgarten, Herrnann 84 Baumgärtner, Geheimer Rat 129 Bauser, Heinrich 302 Bayer, August von 120 Bayern, von - Jakobe, Herzogin 108 - Ludwig I., König 162 - Maximilian 11. Joseph, König 162 BebeI, August 85 Becker, Oberst 93, 94 Becker, Ralph W. 33 Beethoven, Ludwig van 172, 275, 276 Behrends, Rolf-Heiner 356 Behringer, Peter 330 Bekk, Johann Baptist 91 Bensemann, Walter 61-63 Benstz, Gerhard 63 , 64 Bentmann, Friedrich 183 Bercken, EIsa von 167 Berckmüller, Karl Joseph 309, 310 Berger, Helge 368 Bergmann, Julius 175 Berlioz, Hector von 170, 172 Bernard, Emile 158 Bernstein, Eduard 87 Berthelot 267 Billing, Herrnann 2, 3, 24, 283, 284, 312, 316, 317, 319, 360 BingIer, Architek-t II Binz, Herrnann 24, 296 BischolT, Eugen 309 Bismarck, Otto von 240-244, 246, 301 , 302, 319,333 Bizet 170 Black, Mr. 144 Blanchard 155 Blenker, Elise 97 Blind, Karl 67 Blos, Eduard 87 Blum, W. 65 Böcklin, Amold 166 Boeckh, von, Advokat 100 374 Boeckmann, Johann Lorenz 136-142 Böhning, Georg 97 Bonatz, Paul 326 Bora, Catharina von 212 Bornhäuser, Prälat 209 Borns, Stephan 76 Botzenhart, Manfred 369 Bougine, Carl Friedrich 288 Bougine, Carl Joseph 288 Bougine, Ernestine 288 Brahms, Johannes 165-168,172,275, 276, 346 Brandt, Hartwig 356 Braque, Georges 158 BraudeI, Fernand 330 Brauer, Arthur v. 338 Brauer, J.F.N. 288 Braun, Albert 335 Braun, Max 267 Bräunehe, Ernst Olto 333 , 342, 343, 355, 356, 362,367 Braunfels, Walter 168 Brecht, Bertoll 188 Bredig, Georg 267, 268 Brentano, Clemens 265,266 Brentano, Gunda 265 Brentano, Lorenz 91 , 93 , 94,97, 285 Broadwell, Louis Welles 39 Brömme, Paul 304 Brosinsk)', Harro 32 Broszniewski, Kavallerie-Offizier 93 Bruckner, Anton 168, 172 Brunn, Friedrich Leopold 51 , 54 Büchner, Georg 88 Bühler, Fritz 308 Bürklin, Albert 56 Bürklin, Kirc~enrat 134 Busoni, Ferruccio 172 Buß, Franz Joser 76 Bussmann, Georg 158 Buzengeiger, 196 Calderon 276 Calvin 212 Campe, Joachim Heinrich 155 Carossa, Hans 184 Chabrier, Emanuel 170 Chappe, Claude 136, 137 Chappe, Abb6 136 Cherubini 275 Chevalley, Marguerite 281 Coelestin III., Papst 330 Creuzer, Friedrich 265 Cuno, Wilhelm 87 Cwjel, Robert 37 Daffmger, Moritz Michael 119 Dahlberg, Erik Jönsson 104 Dahlmann 276 Daler, Ludwig 70, 79 Danou 136 Dänzer, Kar! 70, 74 Dauber, Roland 61,145 Daum, Gebtiider 116 De Ruyter, Marinus 322 Degenfeld, Gräfin 282 Deimling, Hofdiakon 129 Delors, Jacques 159 Dessoff, Otto 168 . DethleITs, Arist 274 DethleITs-Edelmano, Ursula 274 Dethleffs-Edelmann, Fridel 273,274 Devrient, Eduard 168, 169,274-276 Dietrich, Kar! 296 Döblin, Alfred 185 Douglas, Christoph Graf 105, 114 Dreikluft, Robert 331,336,358 Dresch, Jutta 329,370 Dtiitzler-Heilgeist, Marthamaria 359 Dullenkopf, Otto 159,233, 258 Dürer, Albrecht 118 Durm, Josef 192, 372 Dürr, Wilhelm 123 Dürr, Karl 75 Dürr, Johano Konrad 75 Duse, Eleonora 169 Dziekonski, Bogdan 94 d' Albert, Eugen 172 d' Andrade, F rancesco 169 Ebeling, Herrnann 348 Eber!e, Friedrich 302 Eberstein, Kunigunde von 113 Ebert, Friedrich 87 Eckart, Architekt 29 Edelini ,Abt 249 Egler, Ludwig 183 Ehret, Fritz 363 Ehrismano, Renate 338,339 Ehrle, Peter 105, 107 Eichier, Roland 337 Eierrnann, Egon 3 Einseie, Martin 368 Eisendeeher, v. 245 , 247 Eiseniohr, August 245 Ellstätter, Moritz 244 Engler, Minister 159 Erbacher, Herrnano 216 Ervig, Lola 183 Erzberger, Matthias 87, 290 Esenbeck, Lisette Nees von 265, 266 Ettlinger, Anna 276 Ettlinger, Veit 275 Falmenberg, Freiherr von 129 Faßbender,Zdenka 173 Fecht, Kar! Gustav 146,307,354 Fehrenbach, Elisabeth 356 Feigle, Hanns Georg 201 , 202 Fenske, Hans 356 Femel, Jean 209 Feuerstein, Ernst 183 Fickler, Joseph 91 Fikentscher, Otto 251,252 Fink, Ernst Friedrich 213-216 Fischer, Theodor 1,2, 164 Fischer, Kunigunde 371 Flenmling, Graf von 245 Fontane, Theodor 241 Förderer, Walter 5 Frank, Reinhold 198,333 Frank, Heinrich 108 375 Franzen, Brigitte 362 Frei, Alfred Georg 367, 370 Freisler, Roland 267 Freydorf, Rudolf v. 245 Freyer, Konrad 362,365 Freyheit, Otto 123 Fribolin, Herrnann 45 Friedrich August 1., Kurftirst von Sachsen 142, 144 Friedrich (der Gesegnete) 307 Fritz, Walter Helmut 186,188, 189 Froittzheim, Eva-Maria 329 Fromholzer, Joseph 148-151 Fronunel, Carl Ludwig 120, 123 Fuchs, Wa!ther Peter 277 Fugmann, Johannes 204, 205 Fürstenberg , Kar! Egon 111 . von 302 Füeßlin, Christian Kar! 59 Fux, Baumeister 80 Gaertner 30 Gagem, General von 318 Gajewski, Artillerie-Offizier 93 Gall, Lothar 241 , 338 Galle, Emile 116 Gallwitz, Klaus 158, 181, 182 Gärtner, Alfred 33 Gauguin, Paul 158 Gehres, Fabrikant 250 Gehri, Herrnann 273 Gelzer, Heinrich 242, 271 Genschow, Gustav 341 Geppert, Kar! 61, 62, 65 Geraldy, Flora 118 Gerbert, Martin 103 Gervinus , Georg Gottfried 84 Gerwig, Robert 225, 226, 333 Giavina, Erhard 150 Gillen, Otto 183 Gitzinger, Oskar 184 Glaenz, August 123 Glaser, Herrnann 370 Gleiniger, Andrea 362 Gluck, Christoph Willibald 275 376 Gmelin, Carl Christian 288, 310 Goebbels, Joseph 45 , 47, 266 Goegg, Amand 97 Gogh, Vincent van 158 Goertz, Christa 316 Goertz, Jürgen 315, 316 Goethe, Johann Wolf gang v. 124, 169,253, 265 Gool, Rob van 362 Göricke, J oachim 371 Göring, Herrnann 266, 300 Götz, Hermann 302,308,309, 334 Grasmück, Gisela 351 Grau, Ute 358,359,367 Grethe, Carlos 175 Griesbach, Handelsmann 129 Grieshaber, Albert 48 Grimm, Ruth 371 Grimm, Ulrike 333 Grod, C.M. 4 Groos, Emil 100 Gropius, Walter 4,27,364 Groß, Landrat 252 Gross, Uwe 345 Große, Martin 145 Groß mann, Hans 2, 25 Großwendt, Elisabeth 281 , 371 Grothues, Bernhard 123 Guise, C. 108 Günderrode, Karoline von 265 Günderrode, Hector von 265 Günther, Tobias 298 Gustav Adolf von Schweden 109 Guttmann, Barbara 370 Haas, Frithjof 346,347 Haber, Fritz" 267 Haehling von Lanzenauer, Reiner 206, 350 Haesler, Otto 4, 362 Haley, Bill 188 Hanmlann, Gertrud 371 Hämmer!e, Gcr!indc 116 Händel, Georg Friedrich 166 Hang, Oberstadtschulrat 260 Harris, Luftmarschall 191 Haus, A1exia 240 Hausenstein, Wi1helm 336 Hauser 107 Häusser, Ludwig 94,276 Haydn, Franz Joseph 172 Hebel, Johann Peter 105, 123, 288 , 333 Hebenstreit, Johann Ernst 142-146 Heck, Amalie 366 Heck, Brigitte 349 Heck, Michael 365 Heckei, Erich 158 Hecker, Friedrich 66, 68 , 69,98,318,319, 347 Hein, Dieter 329 Heinemann, Gustav 89 Heinemann, Johann Nepomuk 105, 108 Heinkel, Gustav 177, 178, 179 Heinrich V., König 345 Helbling, Adolf 310 Heller, Gerhard 282 Helmle, K. 151 Heltrnann, poln. Demokrat 94 Hengst, Christi an 81 , 307, 332 Herbach-Schmitt, Brigitte 345, 349 Herrmann, Max 281 Heuß, Theodor 88 Heyse, Paul 276 Himmelein, Volker 334 Himmelheber, Bernhard 281 Himmelheber, Kathinka 280, 281 , 371 Hirsau, Wilhelm von 345 Hirsch, Fritz 324 Hirschen, Bildhauer 306 Hirt, Aloys 161 Hirtler, Eva 330 Hitler, Adolf 189,198,266, 267, 333 Hocheder, C. 1 Hochstrasser, Olivia 353 Hochstuhl, Kurt 345, 367 Hofer, Andreas 348 HofImeister, Louis 97 Hohenlohe-Langenburg, Fürst 247 Hölderlin 265, 266 Holtzmann, Georg 1 00 Homburger 312 Honsell, Max 52 Hottenroth, Erhard 330 Howard, John 128 Hubbuch, Karl 158, 329 Huber, Gerhard 296 Hübl, Michael 365 Hübsch, Heinrich 160, 161-164,169, 192 Hübscher, Johann Georg 203, 205 HüfIel, Prälat 129 Jaeggi, Annemarie 362 Jakubeit, J. 6 Jawlens[,,'Y, Alexej von 158 Jaworski, Rudolf 369 Jeanneret, Charles-Edouard 316 JefIries 155 Jr.lly, Julius 242, 245 , 269, 338 Jordan, Reichart 251 Jund, Edourd 263 Jung, Hans W. 33 Kabierske, Gerhard 360 Kachel, Ludwig 100 Kaercher, Amalie 120 Kaiser, Wilhelm 276 Kaiser, Friedrich 97 Kalckreuth, Leopold Graf von 174-177 Kalckreuth, Stanislaus von 120 Kalliwoda, Wenzel 302 Kalliwoda, Wilhelm 172, 274 Kallmorgen, Friedrich 174, 175 Kanunerer, Ottilie 220 Kandins[,,'Y, Wassily 158 Kanoldt, Alexander 158 Kaufinann, Johann Ernst 205 Keller, Ferdinand 174, 175,329 Keßlau, Friedrich von 35 Keßler, Emil 101,102 Kilian, Andrea 368 Kirchner, Ernst Ludwig 158 Kirner, Johann Baptist 97, 123 Kleber, General 137 377 Kleist, Heinrich von 266 Klotz, Maria 267 Klotz, Helmuth 266, 267 Klotz, Adolf 266 Klotz, Heinrich 367 Klotz, Günther 5, 12,13, 41 , 30,33,34,62, 359 Klotz, Franz 62 Knobloch, Ursula 206 Kobe, Eduard 148 Koch, Konrad 60 Koch,Mrurured 342,353,354,366 Koch, Michael 329 Koch, Robert 125 Kodaly, Zoltan 58 Koflka, Wilhelm 60 Kohler, Karl 25 Kohts, Adolf 62 Kohts, Leoni 62 König, Franz 82 König, Ludwig 178 Kraft, Eduard 83,332 Kramer, Gernot 5 Krawehl, Ernst 282, 283 Kreglinger, Johann Sebald 20 I Kreutzer, Komponist 60 . Krumm, Margot 187 Kücken, Komponist 60 Kuhhirt 202 Kühl, Uwe 240 Kusel, Rudolf 77, 100 Laclll1er, Vincenz 274,346 Lacker, Erich 352,366 Lacroix, Emil 145 Landgraf, Hanne 371 Lang, Heinrich 306 Lange, Helene 278 Langewiesche, Dieter 90, 368-370 Langhein, Cart I 75, 176 Lanzano, Franz Joseph 70, 93, 284, 285 Lauer, Hans 32 Läuger, Max 25 Lausch, Willi 332 378 Lederer, Arno 371 Leiber, Gottfried 360, 361 Lenbach, Franz von 319 Lenzinger, Konrad 331 Leoohardt, Fritz 326 Leußler, Kart 319 Levi, Hermann 168, 170,274-276, 346, 347 Lichtwark, Alfred 174, 176 Lilienthai, Olto 152, 156 Lindner, A. 166 Liszt, Franz 168, 170 Lörcher, Alfred 296 Lorenz, Wilhelm 365 Lott, Doris 360 Louis Philipp, König 243 Löw, Hanns 304 Ludwig, Christian Gottlieb 142, 145 Lüpertz, Markus 323 Luther, Martin 211-213 Mahler 167 Maier, Franz 345 Maiseh, Damian 293 Maiseh, Herbert 335 Maiseh, Qualibert 293 Malaparte, Curzio 283 Malseh, Jakob 77, 100 Manby 228 Männing, Kart 100 Mare, Franz 158 Margendorff, W. 184 Marschner, Heinrich August 60 Martin, Egon 365 Martin, Kurt 182 Martinssohn, GWlI1ar 5 Marurn, Ludwig 347 Mathy, Karl 99; 102, 338 Maul , Johann Wilhelm 217,218, 220, 222 Maul , Frieda 221 Maul, Alfred 217,219,222 May, Amtmann 301 May, Ernst 3 Mcerwein, Cart Fricdrich 151-156 McITcr, M. 33 Mehldau, Jochen Karl 333 Mehring, Franz 87 Mehrtens, H. 4 Melanchthon, Philipp 103, 209,211,212 Mendelssohn, Arnold Ludwig 275 Menz, Lothar 356 Menzinger, Toni 371 Merian, Matthäus 103,306 Merkei, Ursula 329 Mertens, Dieter 105 Metternich, Fürst von 58 Mettemich, Gennain 97 Meyerbeer, Giacomo 275 Michel, Annette 358 Michels, Ulrich 345 Mieroslawski, Adam 94 Mieroslawski, Ludwig 92,93,94 Miller, Kriegskommissar 93 Mittemlaier, Kar! Joseph Anton 128, 129 Moest, Friedrich 246 Moh, Heinz 164 Mohr, Alexander 331 , 332, 336 Möhrle, Karl 231 Moldenhauer, R. 102 Mone, Franz 76 Montgolfier 153 Moser, Kolman 257 Moser, Karl 37 Mottl, Felix 168-170, 172, 173,346 Mozart, Wolf gang Amadeus 170, 172,275 Müller, Carl 288 Müller, Christian Andreas 287 Müller, Christian Friedrich 287, 288 Müller, Christina 343 Müller, Martin 202, 205 Müller, Wilhelm 100,288 Müller, Wilhelmine 288 Müller, Willi 62 Müller, Wilhelm Jeremias 192,297, 305 Munz, Theodorsen. 285, 286 Munz, Theodorjun. 287 Munz, Jakob 286 Munz, [da, geb. [ssleiber 286 Nachmann, Hertha 371 Nagel, Dieter 336 Nägeli, Hans Georg 58 Napoleon Bonaparte 135, 313,347 Naumann, Luise 371 Neff geb. Meub, Magdalena 270,271 Nehm, Kay 365 Nett, Adolf 271 Netzer, Hubert 296 Neumann, Angelo 170 Neumann, Joachim 364 Neumeister, Albert 2 Niddanus, Catharina 211 Niddanus Pistorius dJ. , Johannes 209-213 Niddanus Pistorius d. Ä. 211 Niesyto, Annette 330, 333 Nohe, Friedrich Wilhelm 63 Nokk, Wilhelm 269, 270, 338 Nalte, Paul 356 Norden, Albert 89 Norden, v., Architekt 33 Oelker, Simone 362 Olm, J ürgen 323 Oncken, Hennann 87 Orbin, Erzbischof 269 Ordenstein, Heinrich 286 Ostendorf, Friedrich 25, 284 Ostwald, Wilhelm 267 Otto, Julius 60 Panzer, Friedrich 184 Paulmann, Johannes 369 Paumgartner, Hans 168 Paur, Max 172 Pecht, August 122, 124 Pestalozzi, Johann Heinrich 58, 128 Peter, Johann Hebel 104 Peterek, Michael 362 Petrasch, Ernst 255,334 Pettenkofer, Max von 125 Pfeifer, Architekt 25 Pflästerer, Karl 3 Philipp, Franz 166 379 Philipp (der Großmütige), Landgraf 213 Picasso, Pablo 158, 323 Pieck, Wilhelm 88 Pierot, Joseph 20 I, 205 Platz, Fritz 29 Poetzelberger, Robert 175 Possart, Ernst von 275 Presley, Elvis 188 Pretsch, Peter 329,330, 347,348 Preuß, Hugo 87 Preuß, Monika 372 Preußen, Friedrich Wilhelm IV., König 98, 314 Printz, Eduard 150, 151 Pullitz, Edler zu 169 Raab, Friedrich 10 Raeder, G. 148 Rathenau, Walther 87 Ratzei, Friedrich 294,302 Reger, Max 165-167 Reich, Lucian 105, 108 Reichwein, Wilibald 206:209 Reichwein, Herta 206 Reinhard, Johann 293 ReinIe, Heinrich 196, 198 Reiss, L. 319 Reuchlin, J ohanoes 103 Reutlinger, Elkan 250 Reullinger, Moritz 147 Richter, Hans Werner 183,282 Riegger, Luise 277, 278,279,281 ,371 Ringler, Harald 364, 367 Riphan, W. 4 Ritter, Caspar 175 Rödiger-Diruf, Erika 323,367 Roellecke, Eiga 341 , 356 Roggenbach, Franz von 339 Rohe, Mies van der 3 Röhl, Johan C. G. 248 Röhrig, Walter 367 Roller, Christian F. W. 214 Roller, Otto Konrad 146 Rombach, Rüdiger 271 380 Rosenberg, Alfred 266 Rosenberg, Hans 243 Rösiger, Hans Detlev 28 Rösiger, Dellef 4 Roßkotten, Architekt 4 Rößler, Fritz 2 Rößling, Wilfried 329, 345, 372 Rossmann, Erich 8,33 Rotermund, H. 8 Rothärmel, Josepha 148 Rott, Hans 334 Roux, Karl 124 Ruck, Michael 364 Rückert, Leopold 290 Rückert, Peter 346 Rüdiger, Kurt 185, 186, 187 Rudolph 11., Kaiser 213 Rudolph-Cleff, Annette 364 Rupprecht, Rainer 39 Russel , engl. Außenminister 271 Rutsclunano, Finanzrat 129 Sachs, Johann Christian 210 Sachsen-Teschen, Albert, Herzog von 141 Salaba, Marie 346 Sauekel, Fritz 193 Savigny, Carl von 265 Schaefer,Oda 183, 188 Schaeffer,Manfred 360 Schaffuer, Martin 113, 114, 118 Scharbach, Johano Friderich 201,205 Scheffel, Joseph Victor von 73 , 184, 333 Schell er, Erna 371 Schelling, Erich 12, 311 Schiff, Hugo 285 Schiller, Frieru:ich von 122, 124, 169,265 Schirmer, Johano Wilhelm 120 Schlechter 107 ScWesiger, Horst 330,336,340 Schlettwein 155 Schloms, Oskar 32 Schlosser 276 Schmidt, Arno 283 Schmidt, Hans 2 Schmidt, Hans-Werner 329 Schmidt-Rottluff, Karl 158 Schmitt, Bernhard 362 Schmi tt, Peter 362 Schmitthenner, Paul3, 327 Schnabel, Franz 88 Schnabel, Thomas 355 Schnarrenberger, Wilhelm 158 Schneeberger, Gottfried Abraham 143, 146 Schneider, Arthur v. 334 Schneider, Herrnann 2, 27, 70, 362 Schneider, W. 216 Schnellbach, Rudolf 255, 334 SchnetzIer, Karl 37, 232, 280 Scholl, Karl Benjamin Friedrich 55, 58,59 Scholtz, Julius 157 Scholtz-Klink, Gertrud 278 Scholz, Georg 158 Schönberg, Arnold 166, 167 Schönleber, Gustav 37, 174, 175 Schöpflin, Johann Daniel 103, 210 Schöpflin, Hans 273 Schrag, Otto 183 Schreiner, Ernst 341 Schricker, Ivo 62 . Schubert, Franz Peter 60, 167, 172 Schuberth, Christian Friedrich 142, 145 Schuhladen-Krämer, Jürgen 102, 321,322 Schultz-Hector, Marianne 330 Schultze-Naumburg, Paul 4 Schumacher, Johannes 204 Schumacher, Augusta, geb. Vortisch 204, 205 Schumann, Clara 275 , 276, 346 Schumann, Ludwig 275 Schumann, Robert 275 Schurth, Carl 175 Schwarting, Andreas 362 Schwarz, Benedikt 56 Schwarz, Michael 158 Schwarzmaier, Hansmartin 105, 335, 346, 372 Schwarzmaier, Lore 372 Schwedhelm, Karl 184 Schweger, Peter P. 365 Schweizer, Herbert 252 Schweizer, Otto Ernst 10, 11,33 Schweykert, Friedrich 35 Schwind, Moritz von 164 Schwirkmann, Klaus 345 Schwitters, Kurt 362 Sedlmayr, Walter 187 Seemann, Oskar 2 Seghers, Anna 266 Seidl, Anton 170 SeidIitz, Woldemar von 176 Seiler, Gerhard 323, 365 Seippel, Friedrich II Selg, Karl 5,34 Seurat, Georges 158 Shaw, Bernard 170 Shaw, Thomas 142 S'cheneder, Godehard 345 Siebenmorgen,Harald 333, 348, 357, 362, 370 Siegrist, Geschäftsflihrer 184 Siegrist, Karl 222 Siemann, Wolfram 369 Sieverts, Thomas 6, 7 Sigel, Franz 90,91 , 93 , 94 Signac, Paul 158 Smetana, Bedrich 172 Söllner, Gerhard 342 Solter, Fany 345 Sophie von Schweden 276 Späth, Lolhar 159 Specht, Stadtpfarrer 301 Spieß, Adolf 218 Splinter, Dieter 305 Spoerer, Mark 368 Spuler, Erwin 178, 329 Stahlberg, Inge 282, 283 Stamm 90,91 Standhartner, Henriette 172 Stargard, Johann Michael 205 Staroste, Offizier 331 Steck, Volker 370 Steinhäuser, Carl 311 381 Steinhäuser, Christoph Ernst 80 Steinmetz, Karl 67, 332 Stellwag, Ernil 207 Stetten, Leo von 100 Steyrer, Philipp Jakob 108 Stier, Bembard 240 Stimmer, Tobias 118 Stockhausen, Julius 276 Stockhorn, F. von 123 Stösser, Ludwig v. 244 Stratmann-Döhler, Rosemarie 348,357 Straub, H. 208 Straube, Karl 167 Strauss, Richard 172 Strauß, Emil 184 Strauß, Joseph 167, 168, 274 Streicher, Julius 266 Streidel, C. W. 64 Streidel, A. 64 Strigel, Bernhard 113, 115,117, 118 Struve, Gustav 66-68 , 70, 285 Stüber, Jakob 100 Stürmer, Michael 240 Sutor, Emil 178, 296 Sutter, Friedrich 82 Sybel, Heinrich von 85 Sznayde, General 94 Taut, Bruno 3 16 Taut, Max 316 Teschauer, Otto 345 Tetsch, Johann 48 Theilmann, Rudolf 119 Thiebauth, Phi li pp Adam 70 Thoma, Hans 104,157,158,273 Thorne, Oberst 94 Thran, August Theodor 146 Thran, Christian 142-146 Thran, Johann Christi an 146 Thran, Rosina, geb. Kummer 146 Tiedemann, Gustav Nikolaus 92 Tobian, Oberleutnant 94 Todt, Fritz 4,326 Treitschke, Heinrich von 85 382 Treutlein, Peter 279, 280 Troeltsch, Ernst 87 Trübner, Wilhelm 273 Tunis, Bey von 144 Turban, Ludwig 244, 338 Tyrahn, Gcorg 175 t'HolT, van 267 Uhland, Ludwig 123 Uhlig, Günther 362 Unger-Soyka, Brigitte 330 Valdenaire, Arthur 296 Valentin, Veit 87, 89 Varnbühler, AmtmaJUl 212 Veit, Hennann 88 Verdi, Giuseppe 170 Vesalius, Andreas 209 Vestner, Dieter 349 Viardot-Garcia, Pauline 275 Victoria, Königin von Schweden 109,289 Vittali, Wilhelm 2 Vogel, Johann Georg 100 Volke, Friedrich Wilhelm 306 Volkmann, Hans von 175 Volz, Hennann 112, 116, 349 Wach, Architekt 4 Wagner, Ernst 271,333 Wagner, Cosima 170 Wagner, Richard 168, 169, 170, 172, 272, 275,276, 346, 347 Wagner, Robert 45 , 363 Wagner, Siegfried 170, 172 Wahl, Karl 295,296 Wahrer, Karl 81, 82 Wa\ch, Anna . 371 Wäldele, Walther 260 Walder, Hernlann 48 Wallenstein 157 Walter, Giscla 371 Walter, Hennann 11 , 29 Walter, Martin 336 Walter, Wilhelm 311 Weber, Carl Maria von 60 Weech, Friedrich von 210 Wehler, Hans-Ulrich 242 Weigel,Ilse 330 Weinbrenner, Friedrich 14-16, 22,23,37, 123,146, 161 , 162, 192,224,288,305,340, 360,361 Weinbrenner, Johann Ludwig 203 Wendt, Gustav 61 , 279, 280 Wenger, Arzt 93 Werder, August von 307 Werner, Josef 330,331,335,336,339,365 Werner, Maximilian 90 Werzinger 366 Westenfeld, Karl 39 Westermann, General 137 Wetzlar 129 Wiehern, Johann Heinrich 213,214 Wied und Neuwied, Maximilian Prinz zu 104, 107 Wiese, Wolf gang 345 Wilderer, Emma 339 Wilhelm (der Siegreiche) 307 Wilhelm 1., deutscher Kaiser 86, 110, 276, 289, 313,314 Wilhelm 11., deutscher Kaiser 86, 247, 248, 276, 312 Will, Konzertmeisters 275 Willett, Alexander 11 , 29 Willms, Johannes 241 Windhorst, Ludwig 333 Winkler, Hermann 365 Wirth, Helmuth 165 Wißmar, Sophie 271 Wolf, Christa 265 Wolfensberger, W. 216 WolJI, Friedrich 47,48 Wollf, Gottlob Friedrich 47 Wollf, Vera 47 Wucherer, Hofrat 141 WuesthoJI, Freda 281 Würtenberger, Ernst 273 Würthle, Friedrich \04, \05 Y saye, Eugene 172 Zabotin, Wladimir 295, 296 Zajonk, Horst 365 Zehender, Gerhard 116 Zeipert-Haßinger, G. 330 Zelt, Hermann 305 Z ~lter, Carl Friedrich 58 Zeppelin, Ferdinand Graf von 15 Ziegler, Julius 129 Ziegler, Karl 70 Zimmer, Hermann 100 Zippelius, Hans 28 Zittel, Ernil 276 Ziwes, Franz-Josef 372 Zumkeller, Verena 365 Zumpe, Hermann 172 Zurkowski, Alexander 93 Zuschlag, Christoph 329 Zweibrücken-Veldenz, Anna von 249 Zwickel, Caspar 203, 205 Zwingli, Ulrich 212 383 Bildnachweis S.3 Bildstelle der Stadt Karlsnme S. 7 Bildstelle der Stadt Karlsnme S. IO Bildstelle der Stadt Karlsruhe S.1I Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 12 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S.15 StadtAK 7/N1 Pflästerer S. 16 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 17 Harald Ringler S. 19 Harald Ringler S.22 Hirsch, F.: 100 Jahre Bauen und Schauen S. 23 StadtAK SIPBS oXlIlb 259 S. 26 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 27 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 2S Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 31 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 32 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 33 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 35 StadtAK 8IPBS oXIVa 1965 S.3S Curjel&Moser, Städtebauliche Akzente Wl1 1900 in K ' he, S. lOS S. 40 StadtAK SIPBS oXlV g 23 S. 43 StadtAK S/Diaslg. XIVg 77 S. 46 StadtAK IrrBA 40S S. 49 StadtAK S/Diaslg. XlVf95 S. 52 StadtAK S/Diaslg. XlVa S66 S. 57 StadtAK SIPBS X 3435 S. 59 Schwarz: Chronik der Gesellschaft Eintracht S. 62 Festschrift: 90 Jahre Karlsruher Fuß- ball verein, S. 4S S. 69 StadtAK SIPBS XIVe 154 S. 73 StadtAK SIPBS 111 12S4 S. 75 StadtAK SIPBS III 2S4 S. 77 StadtAK SIPBS III S43 S. 79 StadtAK S/Diaslg. V 16 S. SI StadtAK 8IPBS oXIVa 1409 S. 92 StadtAK SIPBS V 343 S. 96 Badisches Landesmuseum Karlsruhe S. 10 I StadtAK SIPBS 111 7S5 S. 104 Badische Landesbibliothek Karlsruhe 3S4 S. 105 Badische Landesbibliothek Karlsruhe S. 106 Badische Landesbibliothek Karlsruhe S. 107 Badische Landesbibliothek Karlsruhe S. 109 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 110 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 112 Badisches Landesmuseum Karlsruhe S. 113 Badisches Landesmuseum Karlsruhe S. IIS Staatliche Kunsthalle Karlsruhe S. 119 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe S. 120 Staatliche Kunst11alle Karlsruhe S. 122 Sotheby's, Band V Gemälde & Druck- graphik Nr. 3393 S. 127 Kulm, K. : Die Gewerbeschule Karls- ruhe, 1927, S. 107 S. 129 StadtAK S/Diaslg. CD 0742 Nr. 33 S. 133 Landesbildstelle Baden S. 137 Heinz Straub S. 139 Heinz Straub S. 143 StadtAK S/StS 18 B 36 S. 147 StadtAK SIPBS XlVa 600 S. 14S privat S. 152 Heinz Straub S. 153 Heinz Straub S. 157 Badischer Kunstverein S. 159 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 161 StadtAK SIPBS 0111 322 S. 163 StadtAK SIPBS oXIVa 6S6 S. 164 StadtAK SIPBS XlVc 8S S. 166 Max-Reger-Institut Karlsruhe S. 169 StadtAK SIPBS 0111541 S. 171 privat S. 174 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe S. 175 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe S. 179 Landesdenkmalamt Karlsruhe S. ISI StadtAK SIPBS oXlIlc 397 S. IS2 StadtAK 8IPBS oXIIIc 396 S. 190 Landesbildstelle Baden S. 195 Jürgen Schuhladen-Krämer S. 199 "DerFührer", 4. März 1934 S. 207 StadtAK 7/N1 Reichwein 74 S. 20S StadtAK SIPBS oXIVc 196 S. 210 StadtAK 8IPBS oXIIIa 307 S. 211 Hans-Jürgen Günther S. 214 Landeskirchliches Archiv Karlsruhe S. 217 StadtAK 8IPBS III 1014 S. 221 StadtAK 8IPBS XI 1343 S. 224 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 225 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 226 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 229 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 230 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 231 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 233 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 234 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 235 Stadtwerke Karlsruhe GmbH S. 238 Hamburg, electrum • Das Museum der Elektrizität S. 246 StadtAK 8IPBS oXIVb 24 S. 249 StadtAK 8IPBS I 558 S. 251 Herbert Schweizer S. 253 "Badische Landeszeitung", 24. De- zember 1898 S. 255 privat S. 258 privat S. 260 StadtAK 8IPBS oIII 1279a S. 265 StadtAK 8IPBS III 519 S. 267 privat S. 268 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 269 StadtAK 8IPBS III 11 02 S. 270 Deutsche Apotheker-Zeitung 121. Jhrg. 1981, Nr. 7, 12.2.1981, S. 345 S. 272 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 273 Sammlung Dethleffs, Isny S. 274 StadtAK 8IPBS oIII 464 S. 277 StadtAK 8IPBS 01 3 I S. 278 BNN-Archiv S. 279 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 280 StadtAK 8IPBS oIII 1728 S. 282 Heima Hasters S. 283 Südwestdeutsches Archiv fur Archi- tektur S.285 StadtAK 8IPBS oV II S. 286 StadtAK 8IPBS oIII 1761 S. 287 privat S. 288 StadtAK 8IPBS I 422 S. 290 Generallandesarchiv Karlsruhe S.293 Weech, F.v.: Geschichte der Stadt Karlsruhe Bd. I, S. 448 S. 295 StadtAK 8IPBS XIVb 218 S. 297 StadtAK 8IPBS oXIV a 1646 S. 299 Manfred Koch S. 301 StadtAK IIHBA 38 S 303 Gerhard Kabierske S. 304 Gerhard Kabierske S. 305 StadtAK 8IPBS oXIVc 59 S. 306 StadtAK IIHBA 40 S. 308 StadtAK 8IPBS oXIVb 594 S. 310 StadtAK 8IPBS oXIlIb 58 S. 312 StadtAK 8IPBS oXIVa 353 S. 314 Generallandesarchiv Karlsruhe S. 315 Walter Dukek S. 317 Südwestdeutsches Archiv fur Archi- tektur S. 318 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 320 Landesdenkmalamt Karlsruhe S.321 StadtAK 8IPBS oXIVb 908 S. 323 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 326 Landesdenkmalamt Karlsruhe 385 l I Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Dr. Susanne Asche, Stadtarchiv Karlsruhe Dr. Brigitte Baumstark, Städt. KunstsammJungen Karlsruhe Prof. Dr. Erich Beyer, Universität Karlsruhe Dr. Ernst Otto Bräunehe, Leiter des Stadtarehivs Karlsruhe Dr. Jutta Dresch, Kunsthistorikerin Dr. Peter Michael Ehrle, Leiter der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe Ute Grau M.A., Historikerin Hans-Jürgen Günther, Oberstudienrat Rainer Gutiahr, Oberstudienrat Dr. Barbara Guttrnann, Historikerin Prof. Frithjof Haas Reiner Haehling von Lanzenauer, Jurist und Historiker Heima Hastcrs, Verlegerin Amalie Heck, Rektorin a.D. Dr. Michael Heck, Kulturreferent der Stadt Karlsruhe Dr. Kurt Hochstuhl, Staatsarchiv Stuttgart Priv. Doz. Dr. Klaus-Peter Hoepke, Universität Karlsruhe Dr. Siegmar Holsten, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Dr. Gerhard Kabierske, Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karls- ruhe 386 Dr. Gerhard Kaller, Archivdirektor a.D. U1rich Kinzier, Staatl. Forstamt Karlsruhe Prof. Dr. J an Knopf, Universität Karlsruhe Dr. Manfred Koch, Stadtarehiv Karlsruhe Dr. Margarete Kraft, Oberstudiendirektorin Hans-Jürgen Kremer M.A. Historiker Erich Lacker, Oberstudienrat a.D. Dr. Gottfried Leiber, Ltd. Baudirektor a.D. Dr. Herbert Linder, Historiker Dipl.-Ing. Dieter Ludwig, Leiter der Verkehrsbetriebe Dr. Michael M artin, Leiter des Stadtarehivs Landau Dr. Ursula Merkei, Städt. Kunstsammlungen Karlsruhe Alexander Mohr M.A. , Historiker Dr. Leonhard Müller, Forum für Stadtgeschichte und Kultur Dr. Christof Müller-Wirth Albrecht Münch, Präsident des Bad. Sängerbundes Dr. Klaus Oesterle, Direktor des Markgrafengyrnnasiums Wolfgang Paech,- Direktor der Heinrich-Meidinger-Schule Dr. Ulrike Plate, Landesdenkmalamt Karlsruhe Dr. Peter Pretsch, Leiter der Stadtgeschichtlichen Sammlun- gen Karlsruhe Dr. Frank Raberg Kommission rur geschichtliche Landes- kunde Baden-Württemberg Dr. Clemens Rehm, Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe Dr. Harald Ringler, stellv. Leiter des Stadtplanungsamtes Karlsruhe Dr. Wilfried Rößling, Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe Dr. Herrnann Rückleben, Leiter des Landeskirchlichen Archives Karlsruhe Angelika Sauer, Stadtarchiv Karlsruhe Prof. Dr. Harald Siebemnorgen, Leiter des Badischen Landesmusewlls Karlsruhe Dr. Christof Schiller, Rechtsanwalt Armin Schlechter, Badische Landesbibliothek Karlsruhe Dr. Heinz Schmitt, Amtsleiter Stadtbibliothek, Archiv, Sarnm- lungen der Stadt Karlsruhe Dorothea Schmitt-Hollstein, Journalistin Markus Schneider, Stadtwerke Prof. Andreas Schröder, Musikhochschule Karlsruhe Jürgen Schuhladen-Krämer, Historiker Prof. Dr. Hansmartin Schwarzmaier, Leiter des Badischen Generallandes- archivs Karlsruhe a.D. Diana Stöcker, Badenwerk Karlsruhe Dipl.-Ing. Heinz Straub Prof. Dipl.-Ing. Jürgen Ulmer, Leiter der Stadtwerke Paul Wehrle, Gymn. Prof. a.D. JosefWerner, Journalist Gerda Willig, Stadtwerke 387 l ISBN 3-7617-0091-1
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/literatur/stadtarchiv/HF_sections/content/ZZmmClFyyGegjB/Blick%20in%20die%20Geschichte%201993-1998.pdf
Kulturamt Stadt Karlsruhe_Jahresbericht 2015_Juli 2016.indd Stadt Karlsruhe Kulturamt Jahresbericht 2015 KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE KULTURAMT | 3 www.karlsruhe.de INHALTSVERZEICHNIS Kulturelle Vielfalt, gesellschaftliches Miteinander und Partizipation – die Arbeit des Kulturamtes 2015 im Überblick ....................................................................... 4 Allgemeine Verwaltung/Zentrale Dienste ................................................................................ 6 Kulturbüro ............................................................................................................................ 8 Städtische Galerie ............................................................................................................... 16 Stadtarchiv & Historische Museen ........................................................................................ 20 Stadtbibliothek .................................................................................................................... 26 4 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 5 www.karlsruhe.de DIE ARBEIT DES KULTURAMTES 2015 IM ÜBERBLICK KULTURELLE VIELFALT, GESELLSCHAFTLICHES MITEINANDER UND PARTIZIPATION 2015 standen der Stadtgeburtstag, vor allem aber die Schärfung des im Kulturkonzept verankerten Kulturbegriffs im Zentrum. Die Arbeit des Kulturamts wurde wieder von der Überzeugung geleitet, dass das Recht auf Kultur als ein Grund- und Menschenrecht gelten soll. Die Ermöglichung der kulturellen Vielfalt und der allgemeinen Teilhabegerechtigkeit waren prioritäre Ziele des Kulturamts, das sich dem Individuum als dem Subjekt kulturellen und künstlerischen Handelns verpfl ichtet sieht. Vor allem der Stärkung der kulturellen Vielfalt, der Integration und der Partizipation wurden viele Anstrengungen gewidmet und hierfür neue Wege gegangen. Die Stadtbibliothek legte einen Informationsfl yer auf, der die frei zugänglichen Angebote für Gefl üchtete und für die Arbeit der Ehrenamtlichen aufl istet. Stadtarchiv & Historische Museen erarbeiteten erneut partizipativ angelegte Ausstellungen und setzten – wie auch die Städtische Galerie – die Kooperation mit der vhs Karlsruhe fort, Teilnehmende der Integrationskurse in die Dauerausstellungen einzuladen. Dieses Vorhaben mit dem Titel „Kunst und Integration. Migrant/innen lotsen Migrant/innen“ dient zum einen dem Spracherwerb und führt gleichzeitig zu einem interkulturellen Kunstverständnis und dem Kennenlernen der Geschichte Karlsruhes. Inzwischen wird dieses 2012 vom Kulturamt initiierte Projekt auf der Ebene des vhs- Bundesverbandes als „Modell Karlsruhe“ gehandelt, das in anderen Städten Nachahmer fi nden kann. Ebenfalls eine Vorläuferrolle übernahm Karlsruhe, als auf Anregung des Kulturamtes hin die Generalkonferenz der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus (ECCAR), die im Oktober in Karlsruhe stattfand, sich dem Thema „Welcoming cities“ widmete. Erstmals wurde explizit die Bedeutung der Rolle der Kommunen im Umgang mit Flucht und Asyl, Integration und Willkommenskultur unterstrichen. Die Abschlusserklärung dieser Konferenz war der Auftakt für die UNESCO, in 2016 Leitlinien und Handreichungen mit den Städten zu erarbeiten für die Unterstützung der Städte beim Entwickeln einer Willkommenskultur. In der zweiten Jahreshälfte war auch das Kulturamt aufgefordert, ein umfassendes Konzept für den Haushaltsstabilisierungsprozess (HASPKa) zu erarbeiten. Dabei wurden sowohl die eigenen Einrichtungen genau betrachtet als auch die gesamte städtisch geförderte Kulturszene. Leitlinien für die Kürzungsvorschläge waren dabei die Setzungen, die der Kulturerklärung für Karlsruhe und den obersten Zielen des Kulturkonzeptes zugrunde liegen. Trotz aller Kürzungen soll das Recht auf Kultur gelten und das gesellschafts- und kulturpolitische Bekenntnis zu den Menschenrechten Ausdruck fi nden. Es geht um die weitgehende Beibehaltung des Niveaus und der Vielfalt der Angebote trotz aller Einschränkungen. Eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe erarbeitete in mehreren Sitzungen ein tragfähiges Konzept, vor allem die Abteilung Allgemeine Verwaltung/Zentrale Dienste war bei der HSPKa gefordert, die notwendige Zahlenbasis zu liefern, Formulare auszufüllen und Berechnungen anzustellen. Auch der Stadtgeburtstag „300 Jahre Karlsruhe“ spielte für die Arbeit des Kulturamtes eine große Rolle. Mit herausragenden Ausstellungen, der Ausrichtung von nationalen und internationalen Konferenzen und umfänglich-vielseitigen Unterstützungen der Jubiläumsveranstaltungen trugen wir viel für das Gelingen und auch die überregionale Strahlkraft der Kulturstadt bei. Die Städtische Galerie, die in den ersten Monaten noch mit der Rücklagerung der Kunstwerke der wegen Sanierung der Sprinkleranlage ausgelagerten Kunstwerke befasst war, zeigte drei umfangreiche Ausstellungen. Vor allem die dem badischen und Karlsruher Baumeister Friedrich Weinbrenner gewidmete Jubiläumsausstellung, die gemeinsam mit dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT erarbeitet wurde, fand sehr große überregionale Beachtung. Stadtarchiv & Historische Museen konnten große Fortschritte bei der Bestandserhaltung, unter anderem durch den erfolgreichen Neustart des Projekts „Rettung historischer Bauakten“, und beim Sammlungsaufbau erzielen und waren in allen Aufgabenbereichen der historischen Bildungsarbeit präsent. Die Digitalisierung der Bestände wurde ausgebaut, das digitale Stadtlexikon der Öffentlichkeit präsentiert. Unter der vielseitigen Ausstellungstätigkeit sticht die Doppelpräsentation von Pfi nzgaumuseum und Stadtmuseum „Genug gejubelt!? Pleiten, Pech und Glücksfälle der Stadtgeschichte“ heraus. Neue Wege der Gesprächskultur wurden mit der Einführung des „Historischen Mittwochabends“ gesucht. Ebenso konnte der Deutsche Archivtag nach Karlsruhe geholt werden, der auf großes Interesse stieß. Die Stadtbibliothek mit Hauptstelle, Zweigstellen und Medienbus konnte die Zahl der Medienentleihungen im Vergleich zum Vorjahr nochmals steigern auf nun über 1,7 Millionen. Der digitale Wandel zu E-Medien, E-Book-Reader und digitalem Bücherregal hat die Stadtbibliothek endgültig erreicht, zumal nun auch alle Zweigstellen mit E-Book-Readern ausgestattet wurden. Das Medienangebot erreicht fast alle Kreise der Stadtgesellschaft, auch weil die internationale Weltpresse digital vorliegt und umfänglich genutzt wird. Die Kinder- und Jugendbibliothek ist weiterhin ein Attraktionspunkt und hat erneut ein Rekordergebnis erzielt. Das Kulturbüro, das 2015 eine neue Leitung bekam, war über die gewöhnliche alltägliche Tätigkeit hinaus in sehr viele künstlerisch-kulturelle Projekte zum Stadtgeburtstag fördernd und beratend eingebunden und mit der Organisation der schon genannten Tagung der ECCAR befasst. Erstmals wurde unter anderem der im Kulturkonzept verankerte Fördertopf für interdisziplinäre Projekte an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie ausgeschrieben. Zudem wirkte das Kulturbüro beispielsweise bei der Konzeption und Umsetzung der Kulturmarketing-Kampagne mit, die gemeinsam mit der Stadtmarketing Karlsruhe GmbH und der Karlsruhe Tourismus GmbH erarbeitet wurde. Und wie schon im letzten Jahresbericht sei hier nochmals neben dem Recht auf Kultur mit Friedrich Schiller betont: „Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“ Dr. Susanne Asche Leiterin Kulturamt 6 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 7 www.karlsruhe.de ALLGEMEINE VERWALTUNG/ ZENTRALE DIENSTE Die Abteilung erbringt als Querschnittseinheit zentrale Verwaltungsdienstleistungen für das gesamte Kulturamt. Dies geschieht in den Bereichen Personal, Finanzen, Organisation, Controlling, IuK sowie durch organisationsübergreifende Servicedienste, wie Buchbinderei und Aufsichtspool. Nachfolgend Daten zur personellen Entwicklung des Kulturamts und zu den Finanzen: PERSONALBESTAND ANZAHL DER MITARBEITER/INNEN VOLLZEITSTELLEN IST-STELLEN zum 31.12.2013 zum 31.12.2014 zum 31.12.2015 zum 31.12.2013 zum 31.12.2014 zum 31.12.2015 Direktion 2 2 2 2 2 2 Verwaltung insgesamt darunter: Verwaltung Aufsichtspool  Stammpersonal  Saisonpersonal Buchbinderei 53 8 32 7 6 52 8 33 5 6 53 8 33 5 7 37,59 6,5 21,03 4,44 5,62 36,42 6,82 20,77 3,21 5,62 36,42 6,82 20,77 3,21 5,62 Kulturbüro 20 21 21 17,07 18,06 18,06 Kunstsammlungen 14 13 12 11 10 10 Stadtarchiv & Historische Museen 20 20 23 17,86 17,86 20,06 Stadtbibliothek* 66 64 64 52,24 51,70 52,41 175 172 175 137,76 136,04 138,89 * Haupt-, Jugend-, Amerikanische Bibliothek und Stadtteilbibliotheken WEITERE KENNZAHLEN ZUR PERSONALWIRTSCHAFT zum 31.12.2013 zum 31.12.2014 zum 31.12.2015 Frauenanteil insgesamt 72,32 % 71,53 % 69,71 % Frauenanteil Leitungsebene 66,00 % 66,00 % 50,00 % Volontariate, Auszubildende, studentische Praktika ** 2 / 7 / 13 + 3 GBJ 2 / 8 / 17 + 4 GBJ 2 / 7 / 13 + 4 GBJ Fehlzeitenquote 5,6 % 6,0 % 6,9 % Schwerbehindertenquote 13,71 % 14,53 % 13,14 % ** Darüber hinaus wurden zahlreiche kurzzeitige Betriebspraktika durchgeführt. FINANZEN 2013 2014 2015 Buchungsfälle im SG Finanzen 8.545 9.325 10.439 KULTURETAT 2013 2014 2015*** IST Anteil IST Anteil IST Anteil Ordentlicher Aufwand  davon Personal- und Versorgungsaufwand  davon Sachaufwendungen  davon Abschreibungen  davon Transferaufwendungen an Badisches Staatstheater (inklusive Zinsaufwand für Kulissenlager)  davon Transferaufwendungen an ZKM  davon Transferaufwendungen an weitere kulturelle Institutionen und kulturelle Projekte 47.420.101 € 7.752.856 € 2.811.884 € 916.339 € 21.898.603 € 8.126.900 € 5.913.519 € 16,4% 5,9% 1,9% 46,2% 17,1% 12,5% 48.195.700 € 8.189.753 € 2.635.881 € 933.388 € 21.810.201 € 8.526.200 € 6.100.277 € 17,0% 5,5% 1,9% 45,3% 17,7% 12,6% 52.853.902 € 8.432.706 € 3.614.951 € 957.410 € 23.149.451 € 8.933.000 € 7.766.384 € 16,0% 6,8% 1,8% 43,8% 16,9% 14,7% Ordentliche Erträge 1.968.289 € 2.010.052 € 2.089.368 € *** vorläufi ge Prognose, da Rechnungsabschluss 2015 noch nicht erfolgt ist. Die Erhöhung des Aufwands im Jahr 2015 resultiert insbesondere auch aus Maßnahmen im Rahmen des 300. Stadtgeburtstages. BUCHBINDEREI AUFTRÄGE FÜR 2013 2014 2015 Stadtbibliothek 58 % 56 % 60 % Stadtarchiv & Historische Museen 31 % 33 % 25 % Externe 11 % 11 % 15 % AUFSICHTSPOOL 2013 2014 2015 Anzahl der Ausstellungen 19 20 18 Bedarf an Aufsichtsstunden **** 40.025 41.666 42.756 **** inkl. Ausstellungseröffnungen, Konzerte, KAMUNA, Museumsfeste und sonstige Sonderveranstaltungen 8 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 9 www.karlsruhe.de KULTURBÜRO AUFGABEN ALLGEMEIN UND SCHWERPUNKTE 2015 1. KULTURFÖRDERUNG UND BERATUNG Das Kulturbüro ist die zentrale Förder- und Beratungsstelle für institutionelle und freie Kulturakteure in der Stadt. Es geht von einem weiten Kulturbegriff aus, wie er im Kulturkonzept 2025 seinen Niederschlag gefunden hat. Die Förderung wie auch eigene Projekte orientieren sich – neben den Vorgaben des Haushalts – vielfach an den Handlungsfeldern des Kulturkonzepts 2025 sowie an gesellschaftlichen Themen und Entwicklungen. Die Kulturförderung umfasst die Prüfung und Bearbeitung von institutionellen und projektbezogenen Förderanträgen und die Ermöglichung, Begleitung und Betreuung von Projekten der geförderten Kulturträger. Sie umfasst daneben die Beratung in Bezug auf Räume, Projektpartner, Fördermöglichkeiten, Drittmittelerschließung, Infrastruktur, Vernetzung, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Presse. Wichtiger Bestandteil der Förderung sind ebenso die Kontrolle der Mittelverwendung, die Abrechnung und Belegprüfung wie auch die Evaluierung und Auswertung der Ergebnisse. Hinzu kommen die Betreuung baulicher Sanierungs- und Infrastrukturerhaltungsmaßnahmen. SCHWERPUNKTE 2015 Neben der Abwicklung der umfangreichen Förderaufgaben stand 2015 die Arbeit des Kulturbüros im Zeichen des Stadtjubiläums. In zahlreiche Projekte war es fördernd, begleitend, Rat gebend oder auch verwaltungsmäßig absichernd eingebunden. Raum nahmen die baulichen Projekte auf dem Gelände des Alten Schlachthofs ein, ebenso die vom Gemeinderat beschlossene Räumung der Ateliers hinterm Hauptbahnhof mit dem Verlust von künstlerischen Arbeitsstätten und die Erschließung und Vermittlung neuer kultureller Räume. Erstmals wurde der Wettbewerb für interdisziplinäre Projekte im Schnittstellenbereich von Kunst, Wissenschaft und Technologie ausgeschrieben. 2. VERANSTALTUNGEN Eigene Veranstaltungen des Kulturbüros werden in der Regel in Kooperation mit anderen Kulturakteuren durchgeführt und tragen zum Kulturprofi l der Stadt Karlsruhe nach innen und außen bei. Außerdem begleitet und unterstützt das Kulturbüro Veranstaltungen der Kulturinstitutionen und Kulturakteure und tritt als Partner von Veranstaltungen auf. Mit diesen Projekten und Festivals werden gezielt inhaltliche Akzente und Schwerpunkte in der Karlsruher Kulturlandschaft gesetzt. Das Kulturbüro versteht sich als Teil der inhaltlichen und konzeptionellen Entwicklung, als Koordinator und Organisator und sieht sich verbunden im Netzwerk der Karlsruher Kulturakteure. SCHWERPUNKTE 2015 Vorbereitung oder Durchführung folgender Festivals beziehungsweise Veranstaltungsformate: 3. Karlsruher Wochen gegen Rassismus einschließlich der zentralen Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Wochen gegen Rassismus, 8. Karlsruher Krimitage, 22. Karlsruher Künstlermesse, 13. Frauenperspektiven „Über Arbeit – Über Leben“, KiX+JuX – Das Kulturfestival der Kinder und Jugendlichen, 3. Karlsruher Theaternacht, KAMUNA, 16. Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung, ORGANUM – Konzert für acht Orgeln und Elektronik, 7. Generalkonferenz der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus (ECCAR) “Welcoming cities – keys for an anti-racist culture”, Karlsruher Literaturtage, Rathaus-Konzerte, ZeitGenuss – Festival für Musik unserer Zeit, ebenso zahlreiche Kooperationsveranstaltungen (zum Beispiel „Schwein gehabt 2015“ – 2 Tage Kunst und Kultur auf dem Alten Schlachthof, BEYOND) sowie Städtepartnerschaftsprojekte wie „Come Together“ der Jugendorchester der Partnerstädte. 3. KONZEPTE – SCHWERPUNKTE 2015 Erarbeitung von Einsparmaßnahmen im Rahmen der Haushaltsstabilisierung 2017 bis 2022, Kulturmarketing-Konzept zusammen mit Karlsruhe Tourismus GmbH und Stadtmarketing Karlsruhe GmbH, Weiterentwicklung des Kreativparks Alter Schlachthof und der Arbeit des K³-Kultur- und Kreativwirtschaftsbüros, Weiterentwicklung der Verortung des Jazzclub Karlsruhe e. V. 4. INTERNE DIENSTLEISTUNGEN Das Kulturbüro ist neben seinen externen Dienstleistungsaufgaben im Bereich der Kulturförderung auch interner „Dienstleister“. Hier werden hauptsächlich für den Oberbürgermeister, die Dezernenten und die Amtsleitung Reden, Stellungnahmen und Antwortschreiben verfasst. Außerdem ist das Kulturbüro als Mitglied oder Koordinator, vorbereitend oder fachlich begleitend mit folgenden Gremien verbunden: Stiftungsrat ZKM, Verwaltungsrat Badisches Staatstheater Karlsruhe, Stiftungsrat Centre Culturel Franco-Allemand, Kulturausschuss, Kunstkommission, Kuratorium der Europäischen Kulturtage, Arbeitskreis Kultur der TechnologieRegion Karlsruhe, Aufsichtsrat Karlsruher Fächer GmbH, Forum für Kultur, Recht und Technik, Stiftung Karpatendeutsches Kulturwerk, Mechthilde-Meyer-Stiftung, Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung, Schule und Kultur, ECCAR Steering Committee, IBZ Mitgliederversammlung, Arbeitskreis Frauenperspektiven, Round Table Kulturelle Bildung, Arbeitskreis Karlsruher Bücherschau, Arbeitskreis ARD Hörspieltage, Netzwerk gegen Rechts, AKÖ Arbeitskreis Kulturelle Öffentlichkeitsarbeit des Kulturkreises, Verein „ausgeschlachtet“ Alter Schlachthof. Schließlich erarbeitet das Kulturbüro mit dem Presse- und Informationsamt regelmäßig die Schwerpunkte der kulturellen Berichterstattung. 10 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 11 www.karlsruhe.de 5. PERSONALIA Zum 1. Juli 2015 erfolgte ein Wechsel in der Leitung des Kulturbüros. Die frühere Leiterin, die diese Funktion seit 2008 innehatte, schied auf eigenen Wunsch aus dem Dienst der Stadt Karlsruhe aus. Im Rahmen einer internen Ausschreibung wurde der bisherige stellvertretende Leiter des Kulturbüros, Claus Temps, zum neuen Leiter gewählt. Die Stellvertretende Leitung des Kulturbüros wurde Claudia Lahn, der Leiterin des Fachbereichs 1 im Kulturbüro, übertragen. Die frei gewordene Stelle der Leitung des Fachbereichs Musik, Bildende Kunst, Wissenschaft, Projekte wurde im Frühjahr 2015 extern ausgeschrieben. Aus 186 Bewerbungen wurde Felicia Maier ausgewählt. Sie trat ihren Dienst im Oktober 2015 an. TÄTIGKEITEN 2015 (AUSWAHL) 1. KULTURFÖRDERUNG, BERATUNG, BEWILLIGUNGEN, VERWENDUNGSNACHWEISE Bewilligungsbescheide für institutionelle und projektbezogene Förderungen Prüfung von Verwendungsnachweisen Beratungsgespräche 880 450 circa 1.500 Haushalt 2015 Institutionelle Förderung Projektförderung Sachmittel (Eigene Projekte) Gesamt 36.871.207,75 € 2.074.808,82 € 1.239.285,81 € 2. VERANSTALTUNGEN UND PROJEKTE (AUSWAHL) THEMEN 2015 RELEVANT FÜR KULTURKONZEPT Planung und Durchführung der 22. Künstlermesse, 24. bis 26. April Rad: fördern, veranstalten Planung und Durchführung des Festivals ZeitGenuss, 23. bis 30. Oktober Rad: fördern, veranstalten Planung und Durchführung der Konzertreihe Musik im Rathaus, 4. November bis 16. Dezember Rad: fördern, veranstalten, Recht auf Kultur Schenkung einer Großskulptur aus Taiwan, 19. bis 21. August HF 4 Planung und Durchführung des Adventskonzerts mit dem Heeresmusikkorps Koblenz, 14. Dezember Rad: veranstalten, Recht auf Kultur Planung und Durchführung von ORGANUM, Konzert für acht Orgeln und Elektronik, Zeitgenössische Musik in KA, im Rahmen von KA 300, 19. September HF 5 Förderung von WESPE, Bundeswettbewerb der Besten unter den Besten, Deutscher Musikrat, 18. bis 19. September; Förderung des Landesjazzfestes, 4. September und 17. Oktober, Jazzclub Karlsruhe e. V. HF 2, Rad: fördern, veranstalten Planung und Durchführung des Karlsruher Kulturfrühstücks, sechs Termine HF 2 Ausschreibung und Durchführung des Wettbewerbes zur Vergabe des Hanna-Nagel-Preises Rad: fördern Begleitung der Planung der Karlsruher Museumsnacht am 1. August HF 1, Recht auf Kultur Planung und Durchführung der Tagung des Karlsruher Forums am 23. Oktober im ZKM HF 2, HF3, HF 5 Betreuung der städtischen Ateliers; Ausschreibung und Vergabe von Ateliers, Vergabe von Mietkostenzuschüssen für städtische Ateliers; Betreuung, Verwaltung und Abrechnung der Ateliers im Atelierhaus Alter Schlachthof HF 4, Rad: fördern Kunst im öffentlichen Raum: Bestandsaufnahme und Sanierung der Kunstwerke; Neukonzeption des Platzes der Grundrechte mit Sanierung, Ergänzung der Schilder, Erstellung eines neuen Flyers HF 4 UND8 – Plattform für Freie Kunst, Kunstinitiativen und internationale Gäste, 15. bis 18. Oktober, Förderung, Beratung, Begleitung Rad: fördern Vergabe des Karlsruher Kulturstipendiums und der Karlsruher Hochschulpreise HF 3, Rad: fördern Förderung und Begleitung der Belange der VHS, der JUKS und der PAMINA-VHS HF 2, Recht auf Kultur Förderung und Begleitung der ARD Hörspieltage mit dem 10. Kinder- hörspielpreis der Stadt Karlsruhe HF 2, Recht auf Kultur 33. Karlsruher Bücherschau, Förderung und Begleitung; 3. Karlsruher Literaturtage, Förderung und Begleitung, 8. Karlsruher Krimitage,13. bis 21. März, Planung und Durchführung Rad: fördern Badisches Staatstheater: Kulturlotsen, Förderung und Begleitung HF 2; Recht auf Kultur Literaturprojekte: AUTORIKA, Literatenrunde (unter anderem Projekte mit jungen Flüchtlingen), Lesereihe von Monika Lustig, Regine Kress- Fricke, Karlsruher Lesenacht, Imagebroschüre Literatur in Karlsruhe, Druckkostenzuschüsse. Recht auf Kultur, Rad: fördern interdisziplinäre Kinder- und Jugendprojekte: Jugendzirkus Maccaroni, Tiyatro Diyalog, Kindertheater der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Ana + Anda, African Summer Festival, Märchen-Projektwoche HF 2 HF = Handlungsfeld HF 1: Kulturelles Erbe HF 2: Kulturelle und gesellschaftliche Bildung HF 3: Stärkung der Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Technologie HF 4: Stadt: Raum für Kultur HF 5: Kultur und Wirtschaft 12 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 13 www.karlsruhe.de Kinder- und Jugendtheaterprojekte: 29. Schultheaterwoche, 10. marottinale, EFI-Projekt, American Drama Group HF 2 Betreuung Fastnachtsumzüge Karlsruhe, Durlach, Daxlanden, Neureut; Förderung HF 1 Karpatendeutsches Kulturwerk, Bundestreffen 25. April, Tag der Heimat 2015, Bund der Vertriebenen HF 1 „Kultur und Schule“, Ausschreibung, Koordination, regelmäßige Qualitätskontrolle; Pilotprojekt „Kulturinseln“ an Ganztagesgrundschulen; Round Table Kulturelle Bildung HF 2 16. Reinhold- Frank-Gedächtnisvorlesung 2015, Planung und Durchführung HF 1 Diverse Theaterprojekte, Senioren- und Migrantenprojekte, Oliver Sehon Improvisationstheaterfestival, Tanztheater Patricia Wolf, Piotr Tomczyk, 10 Jahre Tanztheater Etage Gabriela Lang; 3. Karlsruher Theaternacht, 12. September, Förderung und Begleitung Recht auf Kultur, HF 2 Diverse Publikationen zum Stadtgeburtstag 2015, darunter der aktuelle Karlsruhe-Roman sowie Flyer „Goethe in Karlsruhe“, Karlsruher Kirchenführer HF 1, 2 Vereinsmusikpfl ege: Allgemeinzuschüsse, Mietzuschüsse, Erbbauzinsen, Sonderzuschüsse, Jubiläumszuschüsse HF 1, Rad: födern Orgelfabrik, Ausstellungen (Ausschreibung, Jurierung, Betreuung), Koordinierung und Förderung der Aktivitäten der Nutzer des Kulturzentrums HF 4, Rad: fördern Betreuung und Förderung der Kulturzentren Tollhaus, Tempel, Mikado, Wirkstatt, KOHI und Substage HF 4, Rad: fördern 3. Karlsruher Wochen gegen Rassismus, 13. bis 29. März, Planung, Koordination und Durchführung HF 2, Recht auf Kultur, Vielfalt, Bekennen 7. Generalkonferenz der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus (ECCAR) „Welcoming cities – keys for an anti-racist culture“ 8./9. Oktober, Kongresszentrum Karlsruhe; Planung, Durchführung, Begleitung HF 2, Recht auf Kultur, Vielfalt, Bekennen Internationale Projekte, Interkulturelle Projekte deutsch-ausländischer Gesellschaften und ausländischer Kulturvereine, Projekte des interreligiösen Dialogs, Betreuung und Beratung der Stiftung Centre Culturel Franco-Allemand Karlsruhe HF 2 „Garten der Religionen“ (Eröffnung 24. September), Bauliche Entwicklung, Finanzierung, Eröffnung HF 2, Recht auf Kultur, Vielfalt, Bekennen Städtepartnerschaftsprojekte mit Nancy (60 Jahre Städtepartnerschaftsjubiläum), Nottingham, Halle, Temeswar und Krasnodar; Projekt zum Stadtjubiläum: „Come Together“ mit Konzerten im Schlossgartenpavillon mit Jugendorchestern aus vier Partnerstädten und dem Jugendorchester Karlsruhe und ORGANUM; Projekte mit der Projektpartnerstadt Rijeka; neue Projektpartnerschaften mit Sakarya und Van (ab September 2015) HF 2 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Europathemen: Forum Kultur der Oberrheinkonferenz, Projekte mit dem Elsaß, Europa-AG, Europabericht, EUROCITIES Culture Forum und Creative Industries HF 2 Betreuung und Förderung des kommunalen Kinos Kinemathek; Filmfestivals und Filmreihen wie zum Beispiel Dokumentarfestival DokKa, Stummfi lmfestival, Independent Days, Ferienkino HF 4, Rad: fördern Betreuung und Förderung des ZKM, Vorbereitung der Sitzungen des ZKM-Stiftungsrats in Kooperation mit dem ZKM und Landesministerien, Begleitung von Projekten wie zum Beispiel GLOBALE, Wissenschaftsjahr, Beyond 3D-Festival HF 3, 4, Rad: fördern Einweihung „Platz der Menschenrechte“ auf dem ZKM-Vorplatz am 10. Dezember Rad: Kultur als Grund- und Menschenrecht Projekte auf dem Kreativpark Alter Schlachthof: unter anderem „Schwein gehabt 2015“ – Zwei Tage Kunst und Kultur auf dem Alten Schlachthof am 16./17. Mai, weitere geförderte Projekte wie zum Beispiel in der Fleischmarkthalle, im Atelieraus, Perfekt Futur, Tollhaus, Substage, der Alten Hackerei, Spuktheater HF 4, HF 5, Rad: fördern Projekte und Veranstaltungen des K³ Kultur- und Kreativwirtschaftsbüros in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung: zum Beispiel Kreativstart-Kongress, Veranstaltungsreihe „7x7“ und Creative Fem.Net (im Tollhaus), Kultur- und Kreativwirtschaftswoche (im Schlossgartenpavillon), neue Reihe: kreatives Speeddating (Wirtschaft trifft Kreative), Seminare, Vorträge, Beratungen, Vernetzung und Kooperationen mit der Kreativszene, K³-Internetportal HF 3, HF 5, Rad: fördern, veranstalten Förderung, Betreuung und Auswahl der Gründerfi rmen im Kreativgründungszentrum Perfekt Futur, Planung von Anschlussnutzungen (Wachstums- und Festigungszentrum) gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung und der Karlsruher Fächer GmbH & Co. Stadtentwicklungs-KG HF 3, HF 4, HF 5 Interdisziplinäre Projekte (Querfunk, Gedok, CSD, Ladyfest, Farbschall e. V.) HF 2, Rad: fördern Erstmalige Ausschreibung und Vergabe von Fördermitteln für interdisziplinäre Projekte im Schnittstellenbereich von Kunst, Wissenschaft und Technologie HF 3, HF 5, Rad: fördern KiX+JuX – Das Kulturfestival der Kinder und Jugendlichen, 26. bis 29. Mai (KiX) und 11. Mai bis 27. Juni (JuX), Planung und Durchführung HF 2, Rad: fördern und veranstalten Festival Frauenperspektiven „Über Arbeit – über Leben“, 17. bis 26. April HF 2, Rad: fördern und veranstalten Organisatorische Unterstützung der Mahnwache für Frieden und Toleranz anlässlich des Anschlages auf die Redaktion von Charlie Hebdo HF 2, Vielfalt 14 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 15 www.karlsruhe.de 3. KONZEPTE, MITARBEIT UND UMSETZUNG (AUSWAHL) THEMA 2015 RELEVANT FÜR KULTURKONZEPT Stadtgeburtstag 2015: Bespielung des Pavillons durch Karlsruher Theater, Schule und Kultur Gesamtstadt Umsiedlung Badisches Schulmuseum HF 1, Rad: fördern, vermitteln Umstrukturierung Hofgut Maxau HF 1 Vorbereitung der 7. KinderLiteraturtage in Karlsruhe KLiK 29. Februar bis 11. März 2016 HF 2 Sanierung Gebäudetechnik ZKM-Hallenbau in Kooperation mit ZKM, Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft, Land (Baukorridor-Zuschuss) HF 3, HF 4 Sanierung und Gebäudeunterhaltung Orgelfabrik in Kooperation mit Stadtamt Durlach, Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft und Nutzern HF 4 Weiterentwicklung Kreativpark Alter Schlachthof in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung und der KFE: Regelmäßiger Jour fi xe mit Verein ausgeschlachtet und Karlsruher Fächer GmbH & Co. Stadtentwicklungs-KG (KFE); Symposium 10 Jahre Alter Schlachthof; Ansiedlung neuer Nutzerinnen und Nutzer; Konzeptionen, zum Beispiel Kesselhaus, Wachstums- und Festigungszentrum, Großmarkthalle (kurz: FGS-Halle), Kühlhaus, Pferdeschlachthaus HF 3, HF 4, HF 5 Bauprojekt Musikclub Substage: Obergeschossausbau (Baukostenzuschuss und Darlehen) HF 4 Sanierung und Ausstattung Kulturzentrum Tempel: Erneuerung Bestuhlung und Einbau Lüftungsanlage Scenario-Halle (Baukostenzuschuss) HF 4 Konzept und Umsetzung der Online-Plattform zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung HF 2 Pilotprojekt „KiTa + Kultur“ September 2014 bis Juli 2015 HF 2 Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule: Service Learning Dienste HF 2 Badisches Staatstheater, Neubau und Sanierung, Bauwettbewerb, Kommunikationskonzept HF 4, Rad: fördern Beratung/Vernetzung/Abstimmung mit KA-300-Team bezüglich diverser kultureller Beiträge zum Stadtjubiläum, insbesondere der Stadtteilprojekte Gesamtstadt Interne AG zur Überarbeitung der Förderformulare für institutionelle und Projektförderung, der allgemeinen Nebenbestimmungen und Prüfl isten Rad: fördern Koordination des städtischen Internet-Veranstaltungskalenders Rad: fördern, vernetzen Redaktion des Kulturportals www.karlsruhe.de/kultur Rad: fördern Koordination von Werbemöglichkeiten, insbesondere der städtischen Citylight-Plakatierungsfl ächen („Stadtseite“) und der Litfass-Säulen der Firma WallDecaux sowie technische Betreuung (baustellenbedingte Verlegung, Neuanschaffungen) der „Kulturring-Säulen“ Rad: fördern Konzeption und Umsetzung der Kulturmarketing-Kampagne „Kultur in Karlsruhe“, Start mit eigenem CD und ersten Maßnahmen zu Offerta und Christkindlesmarkt HF 5 Neukonzeption und Umsetzung des internen Planungskalenders zur Terminkoordination im Internet für Events, Pressetermine, Empfänge, Gemeinderatssitzungen, Kongresse Rad: fördern, vernetzen Vorbereitung der 23. Europäischen Kulturtage Karlsruhe 2016 „Wanderungen – Glück | Leid | Fremdheit“ Recht auf Kultur, Vielfalt, Rad: fördern, veranstalten Ateliers hinterm Hauptbahnhof, Kommunikation im Zusammenhang mit Kündigung und Räumung; Raumsuche HF 4, Rad: fördern, vermitteln Flyer „Kultur in Karlsruhe zur art Karlsruhe“ in Zusammenarbeit mit Stadt- marketing Karlsruhe GmbH und Karlsruhe Messe und Kongress GmbH HF 5 Neukonzeption Förderung Kirchenmusik Rad: fördern Jugendorchester Karlsruhe: Proberäume HF 4, Rad: fördern Weinbrenner-Broschüre, gemeinsam mit dem Arbeitskreis Kultur der TechnologieRegion Karlsruhe HF 1, HF 2 Jazzclub Karlsruhe, Raumsuche, Konzept zur Professionalisierung HF 4, Rad: fördern 4. INTERNE DIENSTLEISTUNGEN Reden, Grußworte, Stellungnahmen und Schreiben für den Oberbürgermeister, die Dezernenten und die Amtsleitung 2015 Mitwirkung in Gremien stadtintern und extern 2015 (Vorbereitung, Nachbereitung, sonstige Vorgänge) Reden, Grußworte, Stellungnahmen: 140 Schreiben: 160 circa 50 Ausbildung Anzahl 2015 Praktika 7 Gemeinnütziges Bildungsjahr 1 Berufs- und Studienorientierung am Gymnasium (BOGY) 1 Praktikant in der Ausbildung 1 16 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 17 www.karlsruhe.de STÄDTISCHE GALERIE KARLSRUHE Die Rücklagerung der Kunstwerke, die wegen der Sanierung der Sprinkleranlage unter anderem im ZKM | Museum für neue Kunst ausgelagert waren, und die drei umfangreichen Ausstellungen als Beiträge zum 300. Stadtgeburtstag Karlsruhes bestimmten die Tätigkeit in der Städtischen Galerie Karlsruhe während des Jahres 2015. Im Zentrum stand die Präsentation zu dem badischen Baumeister Friedrich Weinbrenner, die zusammen mit dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT erarbeitetet wurde. Sie fand bei den Besucherinnen und Besuchern und bei der Presse großen Anklang. Die Neue Züricher Zeitung (5. August 2015) schrieb von einer „betörenden Schau“. SONDERAUSSTELLUNGEN Bis zum 6. April 2015 war, parallel zur Auslagerung, die Präsentation „Von Ackermann bis Zabotin. Die Städtische Galerie Karlsruhe zu Gast im ZKM | Museum für neue Kunst“ zu sehen. Am 12. April 2015 wurde „A L L E ! Der Künstlerbund Baden-Württemberg in der Städtischen Galerie Karlsruhe“ (12. April bis 24. Mai 2015) zum 60-jährigen Bestehen dieser Künstlervereinigung eröffnet. Damit konnten die sanierten Ausstellungsfl ächen wieder in Betrieb genommen werden. Nur wenig zeitlich versetzt zu dieser Sonderausstellung im Erdgeschoss war im Forum die Hanna-Nagel-Preisträgerin 2015, Simone Demandt, mit ihrer Präsentation „tief blicken“ (23. April bis 7. Juni 2015) vertreten. Im Bereich der Dauerausstellung im ersten Obergeschoss musste der größte Teil der Fläche bis September als Zwischendepot für die zurück zu lagernde Kunst beziehungsweise für die hochwertige Verpackung verwendet werden. Gleichwohl bestand dort die Möglichkeit, sich vom 23. April bis zum 5. Juli 2015 mit der Installation des Werner-Stober-Preisträgers 2014 „David Semper – GIORNATA“ (23. April bis 5. Juli 2015) auseinanderzusetzen. Auf der gesamten Fläche wurde dort vom 10. Oktober an die „ars viva 2016“ (10. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016) mit Werken der international vernetzten und in Berlin lebenden Kunstschaffenden Flaka Haliti, Hanne Lippard, Calla Henkel & Max Pitegoff präsentiert. Der ars viva-Preis wird jährlich vom Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft vergeben. Den Sommer über stand die Präsentation „Friedrich Weinbrenner 1766 – 1826. Architektur und Städtebau des Klassizismus“ (27. Juni bis 4. Oktober 2015) im Zentrum der Aufmerksamkeit, und zum Jahresende folgte, als weiteres besonderes Highlight, die „Kunstakademie Karlsruhe – Franz Ackermann, Silvia Bächli, Stephan Balkenhol, John Bock, Ernst Caramelle, Tatjana Doll, Helmut Dorner, Erwin Gross, Axel Heil, Leni Hoffmann, Harald Klingelhöller, Kalin Lindena, Meuser, Julia Müller, Daniel Roth, Marcel van Eeden, Marijke van Warmerdam, Corinne Wasmuht“ (14. November 2015 bis 21. Februar 2016) mit dem aktuellen Schaffen der zur Zeit lehrenden Professorinnen und Professoren. DAUERAUSSTELLUNG, NEUERWERBUNGEN UND AUSLAGERUNG DER KUNSTSAMMLUNG Die Schließung der Dauerausstellungsfl äche wegen der Auslagerung der Kunst im Rahmen der Sprinkleranlagen-Sanierung erstreckte sich bis in den September, dann wurde die Fläche für eine Sonderausstellung genutzt. Erst im Februar 2016 konnte das zweite Obergeschoss wieder als Präsentationsfl äche genutzt werden. VERANSTALTUNGEN Lebhaften Zuspruch fanden nicht nur Großveranstaltungen wie der alljährliche Tag der offenen Tür (6. Januar 2015, zusammen mit dem ZKM) und die Karlsruher Museumsnacht (1. August 2015), sondern auch der „Internationale Museumstag“ (22. Mai 2015) sowie zahlreiche Termine in der Reihe „Mittwochs um 6“, darunter Führungen, Zeitzeugengespräche und Konzerte. MUSEUMSPÄDAGOGIK, VERMITTLUNG Auch 2015 konnten die Vermittlungsarbeit und das museumspädagogische Angebot erfolgreich weitergeführt und ausgebaut werden. Zu allen Ausstellungen wurde ein detailliertes Programm der Workshops für Kinder, Jugendliche und Schulklassen vorbereitet und gedruckt. Die jede Woche geöffnete Kinderwerkstatt am Sonntag (parallel zur Erwachsenenführung) hat sich längst fest etabliert und wird das ganze Jahr über – außer in den Sommerferien – angeboten. Wie in den Jahren zuvor wurde bei jeder neuen Ausstellung zu Einführungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Erzieherinnen und Erzieher eingeladen. Der JugendKunstKlub LUX 10 bietet jungen Menschen ab circa 16 Jahren im monatlichen Turnus spannende Einblicke in die Museumsarbeit. Das 2012 in Zusammenarbeit mit der vhs Karlsruhe begonnene Projekt „Kunst und Integration. Migrant/innen lotsen Migrant/innen“ zur Bildung eines Multiplikatoren-Netzwerks und zur Vermittlung eines interkulturellen Kunstverständnisses konnte erfolgreich weitergeführt werden. 2013 startete die Städtische Galerie Karlsruhe in Kooperation mit der Tulla-Schule und dem jubez eines von vier Pilotprojekten im Rahmen der „Kulturinseln! Kulturelle Bildung an Karlsruher Ganztagsschulen“, gefördert aus Haushaltsmitteln des Kulturbüros. Das Projekt schaffte es 2014 sogar in die Finalrunde des Mixed-Up-Wettbewerbes von „Kultur macht Schule“. Auf eine langfristige Zusammenarbeit hin konzipiert, konnte die Kooperation auch für das Schuljahr 2015/2016 erfolgreich mit insgesamt 5 Ganztagsgrundschulklassen fortgesetzt werden. Darüber hinaus werden regelmäßige Kooperationen mit folgenden Kindergärten durchgeführt: Evangelischer Luther-Kindergarten, Städtische Kindertagesstätte Wolfartsweier, Städtischer Kindergarten Lußstraße und Schülerhort Draisschule. Anlässlich der aktuellen Brisanz der Flüchtlingsthematik konnten Gelder der Mechthild-Meyer-Stiftung dafür verwendet werden, ein Angebot für museumspädagogisch betreute Besuche von Gruppen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Karlsruhe ins Leben zu rufen. In Kooperation mit dem Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe entstanden mit dem Literaturkurs einer 11. Klasse im Rahmen einer „Schreibwerkstatt“ Texte zu ausgewählten Kunstwerken der städtischen Kunstsammlung. Die Ergebnisse dieser Workshops wurden im Rahmen einer Schulveranstaltung in der Städtischen Galerie vorgestellt. Die museumspädagogischen Angebote und die Vermittlungsarbeit der Städtischen Galerie orientieren sich am Handlungsfeld 2 („Kulturelle und gesellschaftliche Bildung“) des Kulturkonzepts 2025 als Ausdruck des Selbstverständnisses der Kulturstadt Karlsruhe, Kultur als Grund- und Menschenrecht zu begreifen und daraus ein allgemeines Recht auf Kultur mit einem kulturellen Teilhaberecht abzuleiten. BERATUNG, AUSKÜNFTE Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Galerie sind regelmäßig beteiligt an der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Orgelfabrik und für die Künstlermesse. Hinzu kommen im Laufe des Jahres zahlreich Anfragen von Kollegen und Kolleginnen aus anderen Museen, von Institutionen und von Privatleuten, die Auskünfte zu Kunstwerken, Künstlerinnen und Künstlern erbitten. LEIHVERKEHR Kunstwerke aus dem eigenen Bestand und aus der Sammlung Garnatz werden regelmäßig für nationale und internationale Ausstellungen als Leihgaben erbeten. Die Auslagerung der Kunst an unterschiedliche Orte und ihre kompakte Unterbringung ließ 2015 die Ausleihe nur eingeschränkt zu. Marlene Dumas Gemälde „Magdalena (Patron Saint of Hairedressers)“ war in der umfassenden Retrospektive der Künstlerin in der Fondation Beyeler in Basel zu sehen. Zudem gingen zwei Gemälde von Wilhelm Volz in die Wessenberg Galerie nach Konstanz. 18 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 19 www.karlsruhe.de BESUCHERZAHLEN SONDERAUSSTELLUNGEN 2015 Von Ackermann bis Zabotin 6.933 Die Städtische Galerie Karlsruhe zu Gast (2014 = 10.605) im ZKM | Museum für Neue Kunst 3. Oktober 2014 bis 6. April 2015 A L L E ! 2.206 Der Künstlerbund Baden-Württemberg in der Städtischen Galerie Karlsruhe 12. April 2015 bis 24. Mai 2015 Simone Demandt – „tief blicken“ 1.633 (Forum) Demandt + Semper insgesamt) 23. April 2015 bis 7. Juni 2015 David Semper – GIORNATA Kunstpreis der Werner-Stober-Stiftung 2014 23. April 2015 bis 5. Juli 2015 Friedrich Weinbrenner 1766 – 1826 12.966 Architektur und Städtebau des Klassizismus 27. Juni 2015 bis 4. Oktober 2015 KAMUNA 2.200 1. August 2015 ars viva 2016 1.870 Flaka Haliti, Hanne Lippard, Calla Henkel & Max Pitegoff 10. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016 Kunstakademie Karlsruhe 3.050 Franz Ackermann, Silvia Bächli, Stephan Balkenhol, John Bock, Ernst Caramelle, Tatjana Doll, Helmut Dorner, Marcel van Eeden, Erwin Gross, Axel Heil, Leni Hoffmann, Harald Klingelhöller, Kalin Lindena, Meuser, Claudia & Julia Müller, Daniel Roth, Marijke van Warmerdam, Corinne Wasmuht 14. November 2015 bis 21. Februar 2016 Gesamtbesucherzahl: 30.858 (bis Dezember 2015) BESUCHERZAHLEN: 2012 2013 2014 2015 Dauerausstellung 1.731 1.103 4.084 keine Dauerausstellung und 42.680 45.776 52.824 30.858 Sonderausstellungen Führungen in der Städtischen Galerie Karlsruhe 2015 Öffentliche Führungen: 174 205 216 204 Gebuchte Führungen: 23 42 38 75 Öffentliche Kinderkurse: 49 51 50 47 Gebuchte Kinderkurse: 84 93 103 57 20 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 21 www.karlsruhe.de STADTARCHIV & HISTORISCHE MUSEEN Auch 2015 führten Stadtarchiv, Pfi nzgaumuseum, Stadtmuseum und Erinnerungsstätte Ständehaus an die Stadtgeschichte heran. Sie leisteten damit einen Beitrag zur Identitätsbildung und zur Schaffung eines historischen Bewusstseins der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Schwerpunkte der Arbeit lagen wieder in der Bewahrung des Kulturellen Erbes der Stadt (Handlungsfeld 1 des Kulturkonzepts 2025 der Stadt Karlsruhe) und der Kulturellen und gesellschaftlichen Bildung (Handlungsfeld 3). Während 2014 noch von der Geschichte des Ersten Weltkriegs geprägt war, stand 2015 das Stadtjubiläum im Vordergrund. Das Stadtarchiv arbeitete 2015 schwerpunktmäßig in den Bereichen Bestandserhaltung und Stadtgeschichte digital, hier besonders für das Digitale Stadtlexikon. Die Besuchszahlen blieben in dem in den letzten Jahren üblichen Bereich, wobei der schon im Vorjahr eingetretene Rückgang der Besuche im Stadtarchiv anhielt, der vor allem auf die stark angestiegene Zahl der digitalen Angebote zurückzuführen ist. Die Resonanz auf diese digitalen Angebote wurde erstmals erhoben und lag Ende des Jahres bei 1.720.567 Zugriffen. Auch die sonstigen regulären Arbeiten liefen weitgehend im gewohnten Maße ab. 2015 konnte die Zahl der verzeichneten erschlossenen Archivalien noch einmal leicht gesteigert werden trotz einer überproportional starken Einbindung des Archivpersonals in das Projekt „Digitales Stadtlexikon“. Auch die mit einem hohen Personaleinsatz verbundene Aktion „Rettung historischer Bauakten“ band weiterhin viele Personalressourcen des Stadtarchivs. Durch die zunächst in einer Projektstruktur zugewiesenen neuen Stellen von Dr. Patrick Sturm, Wissenschaftlicher Archivar, ab 1. Mai 2015 und Eric Wychlacz, Diplomarchivar, ab 1. September 2015, konnten die bis dahin in dem Projekt beschäftigten Archivarinnen wieder verstärkt ihren regulären Aufgaben nachgehen, wodurch unter anderem die Steigerung der Anzahl erschlossener Archivalien möglich wurde. Die neu geschaffene Personalsituation erlaubte aber auch eine stärkere Konzentration auf die Rettungsaktion der historischen Bauakten. So erfolgten im Sommer 2015 die Aussonderung und Überführung von 8.764 historischen Bauakten aus der Registratur des Bauordnungsamtes in das Stadtarchiv. Seit Juli 2015 sind 2.668 dieser Bauakten im Archivsystem Augias erschlossen worden. Von 1.500 aus den Akten herausgenommenen Bauplänen konnten 673 restauriert werden. Mit einem Massenentsäuerungsverfahren wurden 1.332 Bauakten und 214 Zeitungsbände behandelt. Die Digitalisierung wurde mit weiteren 243 Bauakten und 733 Bauplänen fortgeführt. Die Rettung dieses Teils des Kulturellen Erbes der Stadt wird neben den Entsäuerungsmaßnahmen und der Digitalisierung häufi g genutzter Bestände auch mittelfristig Schwerpunkt im Aufgabenbereich „Bestandserhaltung“ sein. STADTGESCHICHTE DIGITAL Noch einmal gesteigert wurden die Digitalisierungszahlen im Berichtsjahr, so dass das Stadtarchiv Ende 2015 über eine Million Digitalisate verfügte (siehe Grafi k). Digitalisierungsstatistik 2004 bis 2015 – Anzahl der Digitalisate Anzahl im Jahr Anzahl gesamt bis 2004 7.895 7.895 2005 12.704 20.599 2006 18.091 38.690 2007 73.389 112.079 2008 59.440 171.519 2009 34.468 205.987 2010 62.524 268.511 2011 49.923 318.434 2012 142.986 461.420 2013 156.200 617.620 2014 152.726 770.346 2015 244.063 1.014.409 Abgeschlossen wurde im Berichtsjahr die Digitalisierung des Bildarchivs Horst Schlesiger und der Bürgerausschussprotokolle. Begonnen wurde mit der Digitalisierung der Fotos der Städtischen Bildstelle und der Personenstandsbücher. Inzwischen sind verstärkt Anfragen aufgrund der Präsenz im Netz zu verzeichnen. Mit diesem Schritt in die digitale Welt wurde und wird ein wichtiger Beitrag zum Handlungsfeld 3 „Stärkung der Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Technologie“ geleistet. 22 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 23 www.karlsruhe.de Erschienen sind im Berichtszeitraum insgesamt sieben Publikationen des Stadtarchivs: Reihe 2 Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte Band 16: Marion Deichmann: Ihr Name soll unvergessen bleiben. Eine Kindheit geprägt vom Völkermord, Karlsruhe 2015. Reihe 3 Häuser- und Baugeschichte Band 13: Matthias Maier und Nina Rind: Trinkwasser. Lebensgrundlage einer jungen Stadt, Karlsruhe 2015. Band 14: Christine Beil: Der Zoo in Karlsruhe. Ein historischer Streifzug. Mit einem Beitrag von Clemens Becker, Karlsruhe 2015. Band 15: Manfred Fellhauer: Die Kirche St. Valentin zu Daxlanden, Karlsruhe 2015. Außerhalb der Reihen: Der Zweite Weltkrieg – Last oder Chance der Erinnerung? Widerspruch gegen das Ehrenmal der 35. Infanterie-Division in Karlsruhe, Karlsruhe 2015. Michail Krausnick: Abfahrt Karlsruhe 16. Mai 1940. Die Deportation der Karlsruher Sinti und Roma, Ubstadt-Weiher 2015. Ferdinand Leikam: Karlsruhe so wie es war, Düsseldorf 2015 Das Stadtarchiv zeigte anlässlich des Stadtjubiläums die Ausstellung „Vor 50 Jahren ... Das Jubiläumsjahr 1965“ vom 3. Mai bis 21. Juni 2015 in der Krypta der Evangelischen Stadtkirche. Im Stadtarchiv wurde erstmals eine zweisprachige Ausstellung (deutsch-französisch) „Karlsruhe- Nancy: eine vielfältige und dauerhafte Partnerschaft“ vom 1. Juni bis 29. Oktober 2015 gezeigt. Konzipiert wurde sie von der französischen Archivarin in Ausbildung Aude Royer im Rahmen eines dreimonatigen Praktikums im Stadtarchiv Karlsruhe. Frau Royer studierte Archivwissenschaft in Frankreich an der Universität von Angers. Im Rahmen der städtischen Erinnerungsarbeit konnten 2015 16 neue Biographien (Beiträge für 36 Opfer) in das Gedenkbuch für die ermordeten Karlsruher Juden eingelegt werden. Generell wurde die Erinnerungsarbeit im Berichtszeitraum verstärkt. Das Stadtarchiv konzipierte 2015 die Erinnerungsstele zur Deportation der Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940 beim Hauptbahnhof. Eingebunden war das Stadtarchiv auch in die Vorbereitung und Durchführung des 85. Deutschen Archivtages, der vom 30. September bis zum 3. Oktober in der Stadthalle stattfand und sich dem Thema „Transformation ins Digitale“ widmete und mit rund 800 Teilnehmenden eine gute Resonanz fand. Turnusgemäß hat das Stadtarchiv die Federführung des Karlsruher Notfallverbundes bis 2017 übernommen. Die Dauerausstellung des Stadtmuseums wurde wieder mit Themenführungen der freiberufl ich tätigen Museumspädagoginnen belebt. Zudem fanden auch wieder mehrere Führungen für Gruppen, Integrationskurse der VHS und öffentliche Vorträge statt und zahlreiche Schulklassen fanden den Weg in die stadtgeschichtliche Präsentation. Obwohl diese nun fast 18 Jahre alt ist, sind die jährlichen Besucherzahlen seit 2011 mit 9.000 bis 10.000 Personen konstant geblieben, ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein solcher kompakter Gang durch die Stadtgeschichte immer wieder neue Besucher anzieht und ein wesentlicher Bestandteil des Angebots des Stadtmuseums ist. Wie in den vergangenen Jahren wurde das Stadtmuseum auch 2015 während der Karlsruher Museumsnacht am stärksten von Besuchen frequentiert (4.000 Besucher und Besucherinnen). Das jährliche Hausfest, das in Kooperation mit der Jugendbibliothek und dem Literaturmuseum mit museumspädagogischen Aktionen, Führungen und einer langen Lesenacht veranstaltet wird, besuchten circa 260 Personen. Die Sonderausstellung „Mittendrin. Menschen in Karlsruhe“ stellte persönliche Fotos von Karlsruherinnen und Karlsruhern in den Mittelpunkt: Als „wachsende“ Präsentation angelegt, konnten Interessierte ihre persönlichen Lieblingsfotos und Schnappschüsse aus Karlsruhe und seinen Stadtteilen über eine Uploadseite zur Verfügung stellen oder als Papierabzug im Prinz-Max-Palais vorbeibringen. Sie wurden so selbst zum Teil der Ausstellung. Die „Mittendrin“-Ausstellung war – auch in ihrer Kommunikations- und Werbestrategie und mit den Veranstaltungen im Rahmenprogramm – darauf angelegt, insbesondere jüngere Leute zur Beteiligung an dem Fotoprojekt und zum Museumsbesuch zu motivieren. Eine weitere Zielgruppe, die das Stadtmuseum bewusst in seine Arbeit einbinden konnte, sind Menschen mit Migrationshintergrund. Zu diesem Zweck ging das Stadtmuseum eine Kooperation mit der VHS Karlsruhe ein, um regelmäßig Führungen mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Integrationskurse durchzuführen, die gleichzeitig dem Spracherwerb und dem Kennenlernen der lokalen Geschichte dienten. Einen besonderen Ansatz hatte auch die Sonderausstellung „Genug gejubelt?! Pleiten, Pech & Glücksfälle der Stadtgeschichte“, die das Stadtmuseum zusammen mit dem Pfi nzgaumuseum als Beitrag zum Stadtgeburtstag 2015 zeigte. Durch ungewohnte Perspektiven auf die Karlsruher Stadtgeschichte und durch ironische Brechungen wurde die Stadtgeschichte auf aufgelockerte und amüsante Weise präsentiert. In Kooperation mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und mit dem Verein „Tribut an Carl Benz“ wurde 2015 die App „Carl Benz und Carlsruhe“ entwickelt, die verschiedene Lebensstationen des Erfi nders in Karlsruhe beim Gang durch die Stadt abrufbar macht. Alle Sonderausstellungen mit ihren zahlreichen Begleitveranstaltungen fanden eine gute Resonanz beim Publikum, so dass das Stadtmuseum mit 17.333 Besuchern ein gutes Ergebnis erzielen konnte. Das Pfi nzgaumuseum präsentierte auch 2015 mehrere Sonderausstellungen. Auf die bis 8. März 2015 verlängerte Ausstellung „Hufeisen, Birnkrüge, Engelsköpfe und…? Sammeln im Pfi nzgaumuseum gestern und morgen“ folgte vom 23. Mai bis 23. August die Fotoausstellung „Mittendrin. Menschen in Karlsruhe“, eine Doppelausstellung mit dem Stadtmuseum. Bei der partizipativ angelegten Ausstellung waren die Besucherinnen und Besucher aufgerufen, die präsentierten historischen Aufnahmen durch eigene, aktuelle Fotos zu ergänzen. Wie bereits oben erwähnt, zielten das Konzept sowie die Kommunikations- und Werbestrategie von „Mittendrin“ darauf, insbesondere auch jüngere Leute zur Beteiligung an der Ausstellung und zum Museumsbesuch zu motivieren. Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Sammelfi eber! Sammlerinnen und Sammler im Pfi nzgaumuseum“ präsentierte das Pfi nzgaumuseum zudem vom 22. Februar bis 12. April „Freundschaftliche Eulen und therapeutische Fahrzeuge“. Anlässlich des 300. Geburtstags der Stadt Karlsruhe sowie des 450. Jahrestags der Residenzverlegung nach Durlach folgte ab dem 26. September mit „Genug gejubelt!? Pleiten, Pech & Glücksfälle der Stadtgeschichte“ eine weitere Doppelausstellung mit dem Stadtmuseum, bei der verschiedene neue – auch interaktive – Präsentationsformen erprobt wurden. In Vorbereitung auf „Genug gejubelt!?“ wurden im Sonderausstellungsraum des Pfi nzgaumuseums eine neue Ausstellungsarchitektur sowie ein neues Beleuchtungssystem installiert, wodurch sich die Nutzungsmöglichkeiten des Raumes nachhaltig verbesserten. Wie in den vorausgegangenen Jahren bot das Pfi nzgaumuseum auch 2015 regelmäßig Führungen durch die Dauer- und die Sonderausstellungen an. Neben diversen offenen Angeboten fanden in Kooperation mit der VHS Karlsruhe spezielle Führungen mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Integrationskursen statt, die gleichzeitig dem Spracherwerb und dem Kennenlernen der lokalen Geschichte dienten. Als besondere Besuchermagneten erwiesen sich 2015 das Museumsfest im Februar, der Kindertag im September, die Modelleisenbahn-Vorführung in der Adventszeit sowie die im Frühjahr erstmals angebotene Mundart-Reihe „Dorlacher Deitsch“. 24 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 25 www.karlsruhe.de 2015 ging die Besucherzahl leicht zurück, blieb aber immer noch über den langjährigen Durchschnittszahlen. Insgesamt zählte das Pfi nzgaumuseum 12.100 Besucherinnen und Besucher. Die 2014 neu bzw. wieder eingeführte Öffnung des Museums am Mittwoch stieß weiterhin, insbesondere bei Schulklassen, auf große Nachfrage und wurde daher 2015 und darüber hinaus beibehalten. Im September 2015 übernahm Dr. Ferdinand Leikam vertretungsweise die Leitung des Pfi nzgaumuseums, da die Leiterin in Familienzeit ging. Die Erinnerungsstätte Ständehaus hat 2015 wieder eine zentrale Rolle in der städtischen Erinnerungskultur gespielt. Neben der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten zwei Vorträge an die Situation in Karlsruhe und Nancy am Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit dem Jubiläum „70 Jahre CDU in Karlsruhe“ beschäftigte sich eine Sonderausstellung, außerdem fanden 2015 ein Historischer Mittwochabend sowie verschiedene Veranstaltungen, darunter drei Führungen, im Rahmen der KAMUNA statt. Die Gesamtbesucherzahl der Erinnerungsstätte (Ausstellungen, Führungen und sonstige Veranstaltungen) lag 2015 mit 6.328 Besucherinnen und Besuchern deutlich höher als im Vorjahr, was vor allem auf den guten Besuch bei der KAMUNA zurückzuführen ist. Im Berichtsjahr konnte mit einem neuen Magazin in der Fiduciastraße endlich ein geeignetes Magazin für das historische Mobiliar gefunden werden, das bis dahin in dem dafür völlig ungeeigneten Waldstadtkeller untergebracht war. Das Mobiliar wurde mittlerweile einer Holzwurmbehandlung unterzogen, gesäubert und restauriert und in das neue Magazin verbracht. Eine mehrstöckige Regalanlage und eine Anlage zur Aufbewahrung der Bildbestände der Historischen Museen haben dort nun weitere Kapazitäten zur Aufnahme der Sammlungen der Historischen Museen geschaffen. Der Bestand ist weiter gewachsen, vor allem durch Schenkungen von Objekten zur Stadtgeschichte, die weiterhin kontinuierlich inventarisiert werden. Ein großer Sammlungsbestand kam an das Stadtmuseum mit der Übergabe von Merchandising-Produkten der Stadtmarketing Karlsruhe GmbH zum Stadtjubiläum sowie eines wertvollen Modells des Pavillons zum Stadtgeburtstag, das als Objekt des Monats vorgestellt wurde. Die Sammlung des Pfi nzgaumuseums wurde 2015 vor allem durch Schenkungen erweitert. Größere Neuzugänge waren hierbei Unterlagen und Dokumente der Naturfreunde Grötzingen sowie zwei umfangreiche Sammlungen von historischen Ansichtskarten mit Durlach- bzw. Grötzingen-Motiven. STATISTISCHE ANGABEN STADTARCHIV & HISTORISCHE MUSEEN Stadtarchiv Stadtmuseum Pfi nzgau- museum Erinnerungsstätte Ständehaus Gesamt Gesamt Jahr 2014 Jahr 2015 Jahr 2014 Jahr 2015 Jahr 2014 Jahr 2015 Jahr 2014 Jahr 2015 Jahr 2014 Jahr 2015 Ausstellungen 2 3 4 6 6 8 2 1 14 18 Besucher Benutzer, Besucher Dauer- und Wechselausstellung 3.043 2.166 17.485 17.333 14.952 13.093 5.238 6.328 40.718 38.920 Ausgehobene Archivalien 1.434 2.293 1.434 2.293 Schriftverkehr 2.093 2.671 2.093 2.671 davon BTBs 63 51 63 51 Zugriffe auf digitale Angebote1) 0 1.720.567 1. Beständerecherche www. fi ndbuch.net (Projektstart 10/2014) 23.439 2. Seitenanfragen auf www. Stadtgeschichte 1.518.373 3. Seitenanfragen auf www. Stadtlexikon (Projektstart 12/2015) 178.755 Scanaufträge 188 641 188 641 Anzahl der Daten 1.905 1.719 1.905 1.719 Restaurierte Archivalien/Objekte 889 679 889 679 Digitalisierte Archivalien 152.726 244.063 152.726 244.063 Erschlossene Archivalien/Objekte 15.321 16.003 379 204 15.700 16.207 Publikationen 8 7 1 9 7 1) erstmals 2015 erhoben 26 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 27 www.karlsruhe.de STADTBIBLIOTHEK KARLSRUHE 2015 Trotz vielfältiger Events und Ereignisse rund um den Stadtgeburtstag 2015 war das letzte Jahr für die Stadtbibliothek durch Konzentration auf die Kernaufgaben sehr erfolgreich. In allen acht Bibliotheken „brummte“ der Betrieb, da täglich viele hundert Menschen die Einrichtungen besuchten und Services aller Art in Anspruch nahmen. Selbst der Medienbus verzeichnete trotz zahlreicher Reparatur bedingter Ausfälle eine äußerst lebhafte Nutzung. Die Stadtbibliothek und ihre Zweigstellen transformieren sich immer mehr zu freien Lernorten und öffentlichen Räumen der Kommune, die vielfache Aufenthaltsmöglichkeiten bieten und von Bürgerinnen und Bürgern selbst bestimmt, aus unterschiedlichsten Informationsinteressen und dem Bedürfnis nach Inspiration genutzt werden. So haben im Vergleich zum Vorjahr die Besuchszahlen der Stadtbibliothek zugenommen, während weiterhin beobachtet wird, dass Menschen immer mehr Zeit in den Bibliotheksräumen verbringen und die individuellen Aufenthaltszeiten länger sind als früher. Kinder und junge Erwachsene bleiben teilweise mehrere Stunden in einer der Bibliotheken, sie verbringen hier ihre Lern- und Freizeit. Für andere Erwachsene, für manche Ältere ist die Bibliothek wichtig als Ort gegen die Vereinsamung, an dem sie, ihren eigenen Interessen nachgehend, den Tag mit multimedialem Lesen und Lernen verbringen und sich dabei informell mit anderen austauschen oder sich wenigstens in Gesellschaft anderer wissen. Mit 9.730 Öffnungsstunden im Jahr 2015 (9.606 Stunden in 2014) standen die Einrichtungen der Stadtbibliothek im Sinne von Bildungsteilhabe allen Menschen in Karlsruhe zur Verfügung, dazu kommen Online-Services täglich rund um die Uhr. Im Laufe des Jahres wurden die Zentral- und die Jugendbibliothek zunehmend erkennbar auch von Gefl üchteten und Menschen aus anderen Kulturkreisen besucht bzw. aktiv genutzt, einige von ihnen wurden zur Stammkundschaft. Das gute Jahresergebnis der Stadtbibliothek insgesamt fand auch in 2015 seinen Niederschlag in den Jahreszahlen der EDV-Statistik. Entgegen dem deutschlandweiten Trend nahm die Zahl der Medienentleihungen im Vergleich zum Vorjahr nochmals zu und stieg auf 1,73 Millionen Entleihungen; die Zahl der Bibliotheksbesuche sowie der Besucherinnen und Besucher von Veranstaltungen, Lesungen stieg ebenfalls. Die Dienstleistungen und Ergebnisse der Stadtbibliothek entsprechen den Handlungsfeldern des Kulturkonzepts 2025 der Stadt Karlsruhe und fi nden sich in den Schwerpunkten Bildung (Hand- lungsfeld 2), Raum für Kultur (Handlungsfeld 4) und Smarter Technologie (Handlungsfeld 3). TÄTIGKEITSBERICHT IN ZAHLEN 1. AUSLEIHZAHLEN ALLER MEDIEN Printmedien, Romane, Sachliteratur, Zeitschriften, DVDs und BluRays, Konsolenspiele, Brettspiele, Kinder- und Jugendbücher, Hörbücher, Musik-CDs, E-Medien: 2013 2014 2015 Medienausleihe 1.680.484 1.710.235 1.735.092 In der Gesamtausleihe nimmt die Kinder- und Jugendliteratur unverändert einen hohen Stellenwert ein. Sowohl in den Stadtteilbibliotheken als auch in der Kinder- und Jugendbibliothek und dem Medienbus stand die Förderung der Lesekompetenz für Kinder nach wie vor an erster Stelle und die Lust am Buch und Hörbuch wurde systematisch durch attraktive Aktionen unterstützt. 2013 2014 2015 Entleihungen Kinder-Jugend- Bücher 396.866 406.347 414.669 2. MEDIENBESTAND Insgesamt konnten im Berichtsjahr 39.256 Medien (Verschleiß und Abschreibung = 35.878 ME) neu gekauft und zur Ausleihe zur Verfügung gestellt werden, was einer hohen Aktualitätsrate von über 10 Prozent entspricht. Gerade neue, sehr aktuelle Bücher und Medien sind verständlicherweise stark gefragt und tragen wesentlich zu hohen Umsätzen der Medien und damit hohen Ausleihzahlen bei. Der zur Verfügung stehende, physische Ausleihbestand umfasste Ende 2015 335.190 Medieneinheiten, der Bestand an E-Medien zusätzlich 19.123 Lizenzen. 2014 2015 Medienzugang 37.447 39.256 Medienabgang 32.690 35.878 Bestand insgesamt 316.699 ** 335.190 * * Freihand- und Magazinbestand ohne E-Medien ** nur Freihandbestand ohne E-Medien Wie im letzten Jahr betrug der Anteil an Literatur und Medien in anderen Sprachen, das heißt das Angebot an internationalen Medien, etwa 15 Prozent des Gesamtbestandes (circa 45.000 Bücher, Hörbücher, Zeitschriften unter anderem in Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Türkisch, Arabisch). 28 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 29 www.karlsruhe.de 3. BIBLIOTHEKSBESUCHE Die Zahl der realen Bibliotheksbesuche hat im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen, ebenso wie die Zahl der virtuellen Besuche, die für alle deutschen Bibliotheken nach einem standardisierten Verfahren zentral ermittelt werden (= es werden „Sessions“ auf der Homepage der Stadtbibliothek gezählt, das heißt es wird der erstmalige Zugriff pro Tag gezählt und nicht jeder Click auf einzelne Seiten). 2013 2014 2015 Reale Besuche 556.778 523.127 563.131 Virtuelle Besuche 284.003 278.904 292.461 Besuche gesamt 840.781 802.031 855.592 Trotz des Zuwachses an Besuchen ist die Zahl der Personen, die einen gültigen Bibliotheksausweis besitzen und gebrauchen, leicht zurückgegangen. Die Zahl der Neuanmeldungen ging erstmals deutlich zurück. 2013 2014 2015 Aktive Ausweise 27.360 28.042 27.995 Neuanmeldungen 6.219 6.101 5.795 4. DIGITALER WANDEL: E-MEDIEN/E-BOOK-READER/ DIGITALES BÜCHERREGAL Während sich in den Vorjahren die Nachfrage nach E-Books und anderen E-Medien jährlich nahezu verdoppelte, zeigte sich im Jahr 2015 eine weniger dramatische Zunahme des digitalen Lesens: von 98.841 E-Entleihungen (2014) stieg die Zahl der Ausleihen im Berichtsjahr auf 126.467 E-Ausleihen, das bedeutet eine Steigerung um 28 Prozent. Auf die gesamte Medienausleihe des Jahres bezogen beträgt der Anteil der E-Ausleihe damit 7,4 Prozent bei einem Angebot von 19.123 E-Medien (5,4 Prozent des Gesamtbestandes). Zum wiederholten Male konnte festgestellt werden, dass der Gebrauch von E-Medien Generationen übergreifend durch alle Altersgruppen geschieht, die stärkste Nachfrage jedoch aus Gruppe 50+ kam. Personen mittleren Alters zeigten auch das größte Interesse an der Ausleihe von E-Book-Readern, um die Eignung für den persönlichen Gebrauch in Ruhe testen zu können. Aufgrund der großen Nachfrage wurden nach der Zentralbibliothek im letzten Jahr alle Stadtteilbibliotheken mit E-Book-Readern zum Ausleihen ausgestattet. Parallel dazu wurden verstärkt öffentliche Schulungen für alle Bürgerinnen und Bürgern angeboten, die die Vermittlung von Grundkenntnissen zu E-Book-Readern und Online-Medien zum Inhalt hatten. Ende des Jahres erfolgte in der Zentralbibliothek eine äußerst nutzerfreundliche Innovation durch die Implementierung zweier „Digitaler Bücherregale“. Es handelt sich dabei um Terminals, die die virtuellen Medien der Onleihe am Bildschirm sichtbar machen, das heißt aktuell vorhandene E-Books, E-Papers und E-Audios anzeigen. Kundinnen bzw. Kunden mit Bibliotheksausweis können die angezeigten E-Medien über den Touchscreen am Bücherregal unmittelbar zum Beispiel auf den eigenen Laptop oder das persönliche Tablet ausleihen. Die Vorteile der digitalen Transformation zeigen sich nicht zuletzt beim internationalen, fremdsprachigen Medienangebot der Stadtbibliothek. Der Bezug von E-Medien in anderen Sprachen ist einfacher geworden und diese können sofort zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere die Zeitungsdatenbank „Press Reader“, die tagesaktuelle Magazine und Zeitungen in Originalausgabe aus über hundert Ländern enthält, erwies sich als Favorit. Die Weltpresse in arabisch, ungarisch, türkisch, serbisch, chinesisch, italienisch, englisch, russisch – um nur einige Beispiele zu nennen – stieß bei zahlreichen Nutzerinnen und Nutzern, die ursprünglich aus anderen Kulturkreisen kommen, auf höchstes Interesse. Gleichwohl steht diese Zeitungsdatenbank allen Sprachenlernenden sowie an Originalinformationen aus der Weltpresse Interessierten zur Verfügung. 5. TEACHING LIBRARY Wie in den vorangegangenen Jahren fand das Angebot an Bibliotheksführungen und Recherchekursen für Schulklassen und andere Lerngruppen regen Zuspruch, ebenso spielerische Entdeckerkurse für Kindergartengruppen in der Bibliothek. 2014 2015 228 229 Aufgrund der starken Nachfrage wurden zahlreiche Workshops zum Gebrauch von E-Book- Readern sowie zum Einstieg in die „Onleihe“ durchgeführt. Mit der Möglichkeit zum selbstorganisierten Lernen waren die Multimedia-PCs im E-Lernstudio der Zentralbibliothek täglich nahezu ausgebucht und wurden kontinuierlich gut genutzt. 6. VERANSTALTUNGEN Vorlesestunden, Lesungen und andere Leseaktionen für Kinder: 2014 2015 169 254 Wie immer fanden das ganze Jahr über regelmäßig in allen Stadtteilbibliotheken sowie in der Kinder- und Jugendbibliothek Vorlese- und Mitmachaktionen statt. Vorlesestunden zählen nach wie vor zum Kernprogramm der Leseförderung ebenso wie der stets beliebte Sommerleseclub für ältere Kinder, der jährlich in den großen Ferien in der Jugendbibliothek stattfi ndet. Ein typisch amerikanisches Format wurde aufgrund des großen Erfolgs der Vorjahre mit dem Wettbewerb „Spelling Bee“ in der Amerikanischen Bibliothek durchgeführt, an dem Dutzende von Schülerinnen und Schülern aus Karlsruher Schulen und der Umgebung teilnahmen. Die Durchführung war wie immer mit einem hohen Aufwand verbunden und gelang durch viel Engagement von Ehrenamtlichen. Das freundliche Sommerwetter lockte 2015 zahlreiche Kinder und Familien in die Freibäder, so dass die Leseförderungsaktionen rund um die Büchereicontainer in Rüppurr und Rappenwört großen Zuspruch fanden. In Rappenwört gab es außerdem ein Jubiläum zu feiern, da die Aktion „Leseratte trifft Wasserratte“ seit 2005 besteht und jetzt zum zehnten Mal in den großen Ferien stattfand. Die Feier neben den Schwimmbecken fand Ende August bei strahlendem Sonnenschein statt und zog fast 300 junge Badegäste und begeisterte Eltern an. Veranstaltungen für Erwachsene: 2014 2015 79 77 30 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 31 www.karlsruhe.de Für die Erwachsenen war der Durlacher Lesesommer erneut ein Besuchermagnet, ebenso wie die KAMUNA mit Poetry-Slam und musikalischem Kabarett im Neuen Ständehaus. Wie jedes Jahr beteiligte sich die Stadtbibliothek mit zahlreichen Lesungen und Vorträgen an Festivals und Aktionswochen, zum Beispiel:  Karlsruher Wochen gegen Rassismus  Faire Woche  Französische Woche  Karlsruher Literaturtage  Bibliothekskampagne Netzwerk Bibliothek  Karlsruher Krimitage  Nachhaltigkeitstage Viele Veranstaltungen wurden mit bewährten Kooperationspartnerinnen und -partnern durchgeführt. Eine der erfolgreichsten, kontinuierlichen Kooperationen war die gemeinsame Veranstaltungsreihe „Blickkontakt – Frau und Beruf“ mit der Kontaktstelle Frau und Beruf, die einmal im Monat am Samstag stattfi ndet. Regelmäßig nahmen zwischen 50 und 70 Frauen teil, um sich über Themen im Kontext von Familie und Beruf zu orientieren, kombiniert mit Informationen über ein selbst organisiertes Weiterlernen anhand der Bücher und Medien aus der Stadtbibliothek. 7. SPEZIELLE SCHWERPUNKTE 7.1 BIBLIOTHEKSANGEBOTE FÜR GEFLÜCHTETE UND EHRENAMTLICHE Mit Blick auf die Situation in Karlsruhe wurde ein Informationsfl yer erstellt und verbreitet, der aus dem vorhandenen Gesamtangebot die Medien und Teilhabemöglichkeiten hervorhebt, die für Gefl üchtete sowie für die Arbeit der Ehrenamtlichen besonders geeignet sind. Im Sinne einer „Integration am Bücherregal“ wurden Einladungen in die Bibliothek von Einzelnen und kleineren betreuten Gruppen angenommen. Die Stadtbibliothek eignet sich insofern gut für Menschen aus anderen Kulturen, als ihre Angebote überwiegend niederschwellig sind. Beispielhaft seien folgende Punkte genannt:  Sie ist für alle Menschen während der Öffnungszeiten frei zugänglich.  Es sind viele Bücher, Hörbücher und Zeitungen in Fremdsprachen vorhanden.  In den Bibliotheksräumen können alle Medien auch ohne Ausweis genutzt werden.  Arbeitstische und PCs stehen zum freien Lernen oder Lesen zur Verfügung.  Gefl üchtete können Zeitungen aus ihrer Heimat lesen über „Press Reader“.  Sie können Online-Services nutzen und ggf. E-Books auf ihrem Smartphone lesen.  Zahlreiche Sprachkurse zum Deutschlernen stehen zur Verfügung. 7.2 AUFENTHALTSQUALITÄT Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Zentralbibliothek ist angesichts von Hunderten von Besucherinnen und Besuchern täglich eine kontinuierliche Herausforderung. 2015 wurde der Zeitschriftenbereich im EG durch den notwendigen Austausch des zerschlissenen Mobiliars neu konzipiert. Unter starker Beteiligung der Bibliothekskunden und Bibliothekskundinnen wurde die Auswahl an Zeitschriften neu festgelegt und erweitert, so dass jetzt 192 Abonnements zur Verfügung stehen (circa 10.000 Hefte). Der bis dahin etwas schäbig anmutende Bereich wurde zusätzlich durch mehrere kleine Maßnahmen verschönert und verbessert, ebenso wie alle durchgesessenen Lesesessel neu gepolstert wurden. Unsere Besucherinnen und Besucher nahmen die Verbesserungen mit viel positiver Rückmeldung wahr. 7.3 MEDIENKOMPETENZ Gemäß unserem Leben in der digitalen Gesellschaft baut die Stadtbibliothek den Sektor der konkreten Mediennutzung und Vermittlung von Medienkompetenz weiter aus. Folgende Formate wurden 2015 beispielhaft durchgeführt: CryptoParty – eine gemeinsame Veranstaltung mit Entropia e. V. zum Thema „Digitale Privatsphäre besser schützen“ Multimediale Klassenführungen – in der Stadtteilbibliothek Durlach wurden Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 6 mit iPads auf eine Bibliotheksrallye geschickt, im Anschluss erhielten die Kinder die Aufgaben, in Gruppen Bibliotheksrelevante Videos an den iPads zu erstellen. Gaming – im Prinz-Max-Palais wurden regelmäßig Wii-Turniere auf der Kinoleinwand im U-Max durchgeführt. Dabei wird Mario Kart Wii (FSK 0) gespielt. Teilnahmealter: 8 bis 12 Jahre, maximal 15 Kinder. Die Sieger erhielten Preise. 8. BIBLIOTHEKEN IN DEN STADTTEILEN UND KINDER- UND JUGENDBIBLIOTHEK Für die Kinder- und Jugendbibliothek war das Jahr 2015 außerordentlich erfolgreich. Die Zahl der Entleihungen hat gegenüber dem Rekordergebnis im Vorjahr nochmals zugenommen und betrug 339.487 ME (+ 1,6 Prozent). Bei der Evaluierung des Ergebnisses wurde deutlich, dass insbesondere die Kinderhörbücher wiederentdeckt und deutlich stärker als in den Vorjahren ausgeliehen wurden. Somit begeisterte ein traditionelles Medium auch die heutige Generation von Kindern. Die erhöhte Nachfrage nach Hörspielen bestätigte sich auch in der Arbeit der Stadtteilbibliotheken. Zusammenfassend sind in den Stadtteilbibliotheken und in der Amerikanischen Bibliothek Nutzung und Medienausleihe im Vergleich zum Vorjahr in etwa gleich geblieben. Ähnlich wie in der Zentrale hat die Zahl der Menschen, die die Bibliotheken besuchten, zugenommen bei einer zeitlichen Ausweitung des individuellen Aufenthalts. Anzahl Besuche Jugendbibliothek 86.769 Durlach 49.820 Medienbus 16.471 Mühlburg 17.194 Grötzingen 13.924 Neureut 25.929 Waldstadt 55.366 Amerikanische Bibliothek 15.448 Medienbus: Sowohl das Team als auch die Bevölkerung in den Stadtteilen hatten eine Häufung von technischen Ausfällen des Bücherbusses zu verkraften. An dreißig von insgesamt 226 Tagen konnten die regulären Haltestationen nicht angefahren werden (circa 13 Prozent Ausfallzeit). Obwohl die Enttäuschung auf Seiten der Kinder immer wieder groß war, blieb der Zuspruch an den normalen Tagen hoch, so dass der Bus von Nutzerinnen und Nutzern fast überrannt wurde und der Rückgang der Medienausleihe gegenüber dem Vorjahr marginal ist (-2,2 Prozent). Die Jahresergebnisse der einzelnen Bibliotheken in den Stadtteilen sind den beigefügten Grafi ken Teil 1 und Teil 2 zu entnehmen. 32 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 33 www.karlsruhe.de ANLAGE: TABELLEN ENTWICKLUNG DER MEDIENAUSLEIHE IM GESAMTSYSTEM 1993 BIS 2015 AUSLEIHENTWICKLUNG DER ZENTRAL- UND JUGENDBIBLIOTHEK 2000 BIS 2015 AUSLEIHENTWICKLUNG DER STADTTEILBIBLIOTHEKEN 2000 BIS 2015, TEIL 1 AUSLEIHENTWICKLUNG DER STADTTEILBIBLIOTHEKEN 2000 BIS 2015, TEIL 2 34 | KULTURAMT DER STADT KARLSRUHE – JAHRESBERICHT 2015 KULTURAMT | 35 www.karlsruhe.de AUSLEIHENTWICKLUNG DER ONLINE ANGEBOTE 2008 BIS 2015 IMPRESSUM Herausgegeben von: Stadt Karlsruhe | Kulturamt Redaktion: Dr. Susanne Asche, Claus Temps, Claudia Lahn Bilder: Kulturamt; Monika Müller-Gmelin; Roland Fränkle; Peter Bastian; MicialMedia; ZKM, Globale 2015, Ikeda Wagenhan Layout: Presse- und Informationsamt, Zimmermann Druck: Rathausdruckerei | 100 Prozent Recyclingpapier. Stand: Juli 2016
https://www.karlsruhe.de/b1/kultur/kulturfoerderung/kulturamt/HF_sections/rightColumn/1385637368833/ZZmHLFvoBorYQ0/Karlsruhe-Jahresbericht-Kulturamt2015.pdf
Blick in die Geschichte 1998-2003 )g e w , e ~ ~ t e ~ K n ä b e I,t(n tft e' f ~€ hl Jj le " ln d h u re ze n tr u m s K ar ls ru h e in d er S y b el sl ra ß c O cr f cs la k l zu r E in w ei hu ng d es W ai se n h au - se s fa n d i n d e m i m z w e it e n S to ck w e rk g el e g e - n en A rb ei ts sa a l d es G cb ö u d es s ta ll . H ie r h at · le n di e K in d e r kü nf ti g d ie i n P ar ag ra f 5 d er .I -ra us - u n d 'T ag es o rd n u n g " lo rm u llc rt e n • s on st ig e n B es 'c h ä fH g u n g e n " .z u ve rr ic h te n . D ie · .s o ns fi g en B es ch ii ft ig un g en " b es ta n d en n e b e n F e ld · u n d G a rt e n a rb e it i n v e rs ch ie d e - n e n H .m d h rb _c it c n . r. ü r d ie K n a b e n h e d e .u le !c d !" "" S tr u rn p fs tr lc k c n . K o rb ll e c h to n u n d S tr o h - rI .... c h l . ... n . to r d lh N 't \d e h < :> n M b n f- o d e r F lI .c h !o - . p ln n .. n . S lr i" e k .. .. u n d N l\ h " n N n c h p .. r " ( I ~ .. 1 ::> 0 .. .. ,~ ~ ~ ~.: ~ : : ! ! . ~ : : ~ ~ : .. ~ :. :: .! ~~ '! ~ ~ A d ri an B in (1 83 0 - 19 02 ) 22 J a h re l e it e te e r a u f d e r vo m L a n d B a d e n zu b es et ze nd en S te ll e al s S en at sp rä si d en t d en 11 . Z Iv ils e n a t im R e ic h s g e ri c h t L e ip z ig u n d n a h m e n ts ch e id e n d e n A n te il a n d e r A u s le g u n g u n d F o rt en tw iC k lu n g d e s R h ei n is ch -F ra n z öS i- s c h e m R e c h ts . d o s I n 7 .l rk a 1 /6 d e s d a m < tU g c n e;; I:i '.! ~H~ ~!~ ~!! ' ~ ~!! ~'I r:~ ~:: ~\ :j ~~ :; ' : ~~ !f .~ ~P I~ ~ ... ... ... .. _ ... ... .... ... ... .. ... ~ .. .. ... ... .. 1 ... ... , . .. '1 '" ,.7 ... _ .. _ ... ... ... .. _ .. - .. ... -. .. - .... .. _ --_ ... ,. -.. ,,, .. , ,._ .. - .- ~ ~ == I ~ ~ ~ ~ ~ == .. -1Il .. ;. ~ .. 1Il @II!. l ~ ... ~ = .. ... 1Il ~ I:' ~ == ~ ... @II!. .. ==: !R. ~ = - f ptreg . 'ltPIlPS'~ '!P U! 'P!lg . ll',JOA 0lU! Blick in die Geschichte KARLSRUHER STADTHISTORISCHE BEITRÄGE Band 3 1998-2003 Stadt Karlsruhe Forum für Stadtgeschichte und Kultur Karlsruhe 2004 Info Verlag Im Inhaltsverzeichnis sind Nummer und Datum des .,Blick in der Geschichte" angeben, in dem der Beitrag erstmals veröfftlicht wurde H~rausg~b!r Stadt Karlsruhe Forum für Sradrgeschichte und Kultur R~dnktion Dr. Lconhard Müller (veranewordich) Or. Manfred Koch Tncurfimung Kat ja Schmalholz Digita'~ Bi/dbtarbtitung Uta Bolch Umsc"lagg~staltung Dietmar Kup Vrrlag Info Verlag GmbH Käppeiestraße 10·0-76131 Karlsruhe Telefon 0721/617888· Fax 072 1/62 1238 www.infoverlag.de Satz Oiana Sayegh (l nfo Verlag) Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über hnp:/Idnb.ddb.de abrufbar. © 2004 . Stadt Karlsruhe Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck. auch auszugsweise. ohne Genehmigung des Verlags nicht gestattet. Kommissionsverlag: Info Verlag GmbH ISB N 3-88190-353-4 Inhalt Geleitwort .................................................................................................................................. 17 Einleitung .......... .......................................................................................................... ...... ....... . 18 Aufsätze 41 18. Dezember 1998 Vor 80 Jahren - November 1918 ............................ ........ ........ .. ...... .. ............... 20 Zur Abdankung des lerzten badischen Großherzogs Lronhard Mülltr 41 18. Dezember 1998 Siedlungen der 60er Jahre in Karlsrnbe (Teil J) ...... ........................................ 23 Harald Ringkr 42 19. März 1999 Siedlungen der 60te Jahre in Karlsruhe (Teil 11) ............................................ 28 Harald Ringltr 42 19. März 1999 Die Städtische Galerie Karlsruhe .............................................. ..... ... .............. 32 Neuer Ort, neue Möglichkeiten Erika R;idigrr-Diru! 42 19. März 1999 Einblicke in die Karlsruher Baugeschichte ....... .............................................. 34 Ergebnisse der bauhiscocischen Analyse des .,Seilerhäuschens" Holga Rtimtrs 43 18. Juni 1999 Politische Polizei in Karlsruhe zwischen Demokratie und Diktatur ............. 38 Michatl Sto//t 43 18. Juni 1999 "Die Versammlung verlief entsprechend den stürmischen Zeitverhältnissen" ...................... ............... .......... .. ...................... 41 Angtlika Sautr 43 18. Juni 1999 Ein Blick in das verborgene Herz der Stadt ..... : .............................................. 44 Htinz Schmitt 44 17. September 1999 Jahrtausendwende und die Tücken des Kalenders .............. ........................... 47 Htinz Kunlt 44 17. September 1999 Zur Geschichte der Jahrhundenwenden ... ........... ... ...... .......... .. ...................... 50 Ausblick auf die Landesausstellung im Karlsruher Schloss Jutta Drtsch 44 17. September 1999 10 Jahre .,Arbeitsstelle Bertold Brecht" in Karlsruhe ..................................... 53 fan Knopf 45 17. Dezember 1999 Zahlenwende! Zeitenwende? ............................................... ........ .. , ....... ... ...... . 57 Ltonhard Mü//t r 5 45 17. Dezember 1999 Karlsruhe um 1900 - die kaisenrc:uc: Residenz .............................................. 57 P~ur Prttsch 45 17. Dezember 1999 Aufbrüche. Niederlagen und Erfolge .................... ....... ....... .... .... ..................... 62 Die Frauenbewegung in Karlsruhe Susanm Aseht 45 17. De-tember 1999 Häuser der Stadtgeschichte 1900-2000 ..... ....... " ..... ............ ... ..... .................. 65 Ernst Dtto Bräuncht 45 17. De-tember 1999 Landwirtschaft in und um Karlsruhe ................ " ........ ..... ...................... . " ..... , 70 ArnulfBug 45 17. Dezember 1999 Vom Sport an der Fridericiana ...... . _ .......... ... ......... .. ...................... .. " ........ .... . ,.73 Oliver Pottiez / Ltonhard Mü/kr 45 17. Dezember 1999 KarJsrube - Residenz des Rechts (Teil J) ...... ..... ...... ........ .............................. 77 Rrinu Hathling von Lanunauer 46 17. März 2000 KarJsrube - Residenz des Rechts (TeilII) ....................................................... 81 &ina Haehling von Lanunautr 46 17. März 2000 Von den schwierigen Anfangen der Schülermirverantwortung in Karlsruhe ...... ..................... .. .. .. ............... .. ...... .. 86 Das Beispiel Humboldtschule RaineT Gutjahr 47 16. Juni2000 Polytuhnicum. uchniJche Hochschuk. Universität IVzrlsrulu 175 Jahu Dw-Iach als Universitätsstadt .... ..... ........ ... ............................. ..... ..................... 90 Aufstiegspläne eines wirtschaftlich darniederliegenden Landstädtchens SwamI( Asche 47 16. Juni 2000 GeschichtsWissenschaft an einer Technischen Hochschule .......... ... ... ...... ..... . 93 KlnUJ-Peur Hotplu 47 16. Juni 2000 Geschichte des Instituts für Literaturwissenschaft an der Universität Karlsruhe ............ ...... ..................... 97 UWt Japp, Claudia Stoc!tingrr 47 16. Juni 2000 "Geschichtliches Wissen und ästhetische Bildung" ................ .. ............. ....... 100 Das Fach Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe Anntmarit Jatggi 47 16. Juni 2000 Studienkolleg der Universität Karlsruhe ... ....................... ...... ..................... .. 104 Zentrum der Vorbereitung junger Ausländer auf ihr Smdium Klaus Ditttr Justtn 47 16. Juni 2000 Karlsruher Straßenbahn - Bindeglied zwischen Stadt und Region .... ....... .......... ... ............ .......... ........... 106 Die Universität und die Entwicklung des Karlsruher Nahverkehrs Manfrtd Koch 6 48 15. September 2000 48 15. September 2000 49 15. Dezember 2000 49 15. Dezember 2000 50 16. März 2001 50 16. März 2001 50 16. März 2001 50 16. März 2001 51 15. Juni 2001 51 15. Juni 2001 52 21. September 200 I 52 21. September 2001 53 14. Dezember 2001 53 14. Dezember 2001 175 Jahrt Polyuchnikum - Ttchnhcht Hochschuü - Univtrsität Karlsruht Gymnasien und Hochschulen in Baden und anderswo .............. .. ............... 110 Zwischen Vorbehalten und Zusammenarbeit Ltonhard Müllu .. Nous sommes les beaux enfants de Camp de Gun ... " ....................... .. ..... 116 Angdika Saua KarlsruhtT Partnastiidtr Krasnodar - Geschenk einer Zarin ........... ..... ..... ..... .... .... ... ........................... 119 Frithjof Kmrl 100 Jahre Christuskirche Karlsruhe ................................. .... .... .... ...... ........... 125 Richard Koh/mann Die Universitätsbibliothek Karlsruhe ............................................................ 128 Ein wichtiger Knoten im dcmschen Bibliotheksnen Christoph-Hubrrt Schüttt 100 Jahre Stadtverwaltung im Wandel Rückblick auf das 20. Jahrhundert ....................................................... ..... ..... 134 Ermt Otto Bräunch~ Rappenwört - ein Projekt der Karlsruher Planungs- und Baupolitik der 1920er Jahre ................................................. 139 Harald Ringkr Landesbildstelle Baden ... .... ......... ................................ ................................... 146 Neues Gebäude - neue Aufgaben Günur Sugmaiu Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951 .... ........................................... 149 Angria Borpudt "Mit dem Gesicht nach Deutschland" ......................................... ................. 154 Das Schicksal der Karlsruher Familie Marum im Exil Manfr,d Koch Am Oberrhein: Alltag, Handwerk und Handel 1350-1525 .............. ......... 157 Brigittr Habach-Schmidt Die Karlsruher Majolika-Manufaktur .............................. ... ..... ... ...... ... ....... .. 162 Ein Rückblick auf die lenten 25 Jahre des IOD-jährigen Unternehmens Prur Schmitt Aw der Schankammer der Badischen Landesbibliothek ............... .. ............ 166 u" Obhol Auch die Vaterlandsliebe geht durch den Magen! ................ .... ...... .... ...... .... 170 Versorgung im Krieg: Fleisch, Milch, Eier und Butter für Baden und seine Residenz 1915-1918 Viktoria Adam, Svmia Diifrnbachrr, fan Ernnnann. Simina G~rman, Sabinr Groh, Hanna Kaisrr, David Kuhs, Asysa Schw~hn 7 54 15. März 2002 54 15. März 2002 54 15. März 2002 54 15. März 2002 55 21.Juni2002 55 21.Juni2002 56 20. September 2002 56 20. September 2002 57 13. Dezember2002 57 13. Dezember 2002 58 21. März2003 58 21. März 2003 58 21. März 2003 Wirtschaftliche Betätigung der Stadt Karlsruhe - ein Rückblick ................ 176 Gtrhard S(iler Lesegesellschaften in Karlsruhe 1784-1850 ................................................. 181 Der Beginn bürgerlicher Selbstorganisation Tonten Litugang Der Landeswohlfahrtsverband Baden ........................................................... 187 Hans-Otto Walttr Morin EUstätter (1827-1905) ....................................................... ....... ........ 191 Finanzminister im Großhenogtum Baden uonhard Mü/ur Spitzel am Oberrhein ..... ........ .... ....... ..... ........................................ .... _ .......... 196 Vom Denunziationswesen in Baden im 18. Jahrhundert Lronhard Müller Karlsruhe und Carl Benz ...................... ... ........... ..... ............... ................ ....... 200 Ermt Dtto Briiuncht Der Botanische Garten in Karlsruhe ..... ... ............................................. .... .... 204 Man/ud K/inkott Ein Historiker in der Landespolitik der Nachkriegszeit ............................... 208 Pranz Schnabel als Leiter der Kultus· und Unterrichtsabteilung Nordbadens Angt/a Borgsttdt Schule und NS-Diktatur ................................................................................ 212 Das Beispiel der Karlsruher Humboldt·Schule Sandra Jung und Manutl Witttk " ... damit unnätigen Sorgen und Mißerfolgen vorgebeugt werden kann im Interesse der Stadt und der menschlichen Gesellschaft ... " ......................................................... 217 Zum 75-jährigen Bestehen der Psychologischen Beratungsstelle Karlsruhe für Eltern. Kinder und Jugendliche Angt/ika Satur Stadtplanung in Karlsruhe im 19. Jahrhundert: Der Bauplan von 1857 ................................. ..... .......... ........... ........................ 222 Harald Ringur Eberhard Gothein 1853-1923 ...................................................................... 228 Ltonhard Mii/ur Der Schlacht· und Viehhof an der Durlacher Allee ...................................... 232 DirkSttgm 8 58 21. März 2003 59 20. juni 2003 59 20. juni 2003 60 19. September 2003 60 19. September 2003 47 16. juni 2000 50 16. März 2001 55 21.juni2002 58 21. März 2003 41 18. Dezember 1998 42 19. März 1999 43 18. juni 1999 44 17. Seprember 1999 Eisbärenhaltung im Karlsruher Zoo zwischen Tradition und Faszination .............................................................................. 236 Giula von H~gtl Das allmähliche Verschwinden eines "Dinosauriers" ................................... 239 Aus der kurzen Geschichte des Karlsruher Panoramas am alten Hauptbahnhof Konrad Dusu/ 10 Jahre Stadtbibliothek im Neuen Ständehaus ........................................... 244 Von Menschen und Medien Andrta Kri~g "Oberle ist ein aufgeweckter Knabe und war fleißig in der Schule" .......... ............................................................. 248 Zum 90·jährigen Bestehen des Kinder- und Jugendhilfezentrums Karlsruhe in der Sybelsrraße Angdika Saua 100 Jahre St.-Bernhardus-IGrche am Durlacher Tor .................................... 252 Htinrich Alois Schillingtr Zeitzeugen berichten Professor Dr. ing. Dr. h. c. Heinz Draheim ... : ............................................. . 258 Ltonhard Müller Hans Joachim Hoffner, Deutsch-amerikanischer Verbindungsoffizier 1953-1990 ....... ... ................ 261 Ltonhard Müller JosefWerner, Journalist und Publizist ........................................................... 263 Ltonhard Mülltr Kurt Gauly, Erster Bürgermeister a. D .......................................................... 266 Ltonhard Mülltr Biographien Fridolin Heurich 1878-1960 ............... .. ....... .... ......... ........ .. ...... .. ........ ... ....... 270 ManfrdKoch Heinrich WenIar 1868-1943 ................................................. ...... .. ......... ...... 271 Rtintr Hathling !Ion Lanunaua Luitgard Himmelheber 1874-1959 .............................................................. 273 Barbara Guttmann Gustav Trunk 1871-1936 ..... ......... ... ........ ... ....... .. ........................... ............. 274 Frank Rabtrg 9 45 17. Dezember 1999 Rahel Strau, 1880-1963 .. ......... .. .................................................................. 275 Barbara Guttmann 46 17. März 2000 Franz von Roggenbach 1825-1907 ............................................................... 277 L~onhard Müller 47 16. Juni 2000 Wilhe1m Ei,enlohr 1799-1872 ..................................................................... 278 L~onhard Müller 48 15. September 2000 Margarethe Hormuth-Kallmorgen 1857-1916 ............ ..... ........ ... ....... ......... 280 Brigitte Baumstark 49 15. Dezember 2000 Melirra Schöpf 1901-1989 ........ .... ....... ... .......... ...... .......... ..... .. ..................... 281 Barbara Guttmann 50 16. März 200 I Gustav Zimmermann 1888-1949 ........................ ................ ..... ................... 283 Frankllobtrg 51 15. Juni 2001 Johann Georg Schlosser 1739-1799 .................................... ......... .. ..... ......... 284 Ltonhard Müller 52 21. September 2001 Rahel Varnhagen 1771-1833 ........................................................................ 286 Susanne Asehr 53 14. Dezember 2001 Hilda von Baden 1864-1952 .. ...... ... ....... ... .......... ...... ............. ....... .. ............. 287 Ltonhard Müller 54 15. März 2002 Richard Horter 1868-1942 ........................................................................... 289 ManJred Koch 55 21. Juni 2002 CI ... Faisst 1872-1948 ................................................................................. 290 Martina Rtbmann 56 20. September 2002 A1oi, Kimmelmann 1886-1946 ...... .... ...... .... .......... .................. ... ..... ............ 291 }ürgm Spangu 57 13. Dezember 2002 Eduard Devrient 1801-1877 ................................... ................... ..... ........ ...... 293 Ltonhard Mülkr 58 21. März 2003 Ernst Fuch, 1859-1929 ......... ........................................................................ 294 DdUV Fischtr 59 20. Juni 2003 Joseph Melling 1724-1796 ...... .. ...... ..... ........ ... ........... .. ................................ 296 AlmutMaaß 60 19. September 2003 Adrian Bingner 1830-1902 ...... ... ...... ... ......... ..... .......... .... ............................. 297 Dttkv FiJcht r 10 41 18. Dezember 1998 42 19. März 1999 43 18. juni 1999 44 17. Seprember 1999 45 17. Dezember 1999 46 17. März 2000 47 16. juni 2000 48 15. Seprember 2000 49 15. Dezember 2000 50 16. März 2001 51 15. juni 2001 52 21. September 200 I 53 14. Dezember 2001 54 15. März 2002 55 21 . juni2002 Carlsmher Blickpunkte Rätsel um eine Figur im Durlacher Schlossgarten ....................................... 300 Gahard Kabiask~ Der Mensch im Rhythmus der Natur .. ... ...... .. .............................................. 301 Andr~aJ Gab~fmann Badespaß im Glaspalast ................................................................................. 303 U/rike Pla,. Bürgerliche Ganenkultur in Durlach ............................................................ 305 Der barocke Pavillon vor dem Basler Tor Gtrhard Kabiask( "Dem neuen Jahrhundert zum Gruß" ....................................... ... ..... ... ...... .. 307 Manfred Koch Funktionale Ästhetik am Rhein ......... ................ ................... ....... .................. 308 U/rik~ Plau Tor zum Campus: das Hauptgebäude der Universität ................................. 310 Gahard Kabi(r;k~ Pyramide oder Reiterstandbild? ....................... ," ........................................... . 312 lutta Dr(sch Südstern - Lebendige Geschichte zwischen Sturmlampe und Kastenschloss ..................................................................... 314 U/rieh Schmid(r Die Karlsruher Uhrmacherfamilie Schmidt-Staub ....................................... 316 Zur Eröffnung einer neuen Abteilung im Badischen Landesmuseum KriJtian~ Burckhardt Die Statuen von Erwin von Steinbach und Johannes Kepler ....................... 318 Ursula Mak(/ Wasser für die Residenz ................................................................................. 320 Friedrich Wein brenners Brunnenhaus in Durlach G~rhard Kabiask( Das Karlsruher Gefangnis .............................................................................. 321 Ein Neueenaissancebau von Josef Duem R~imr Ha~hling von Lanunaua Die Künscleräfen der Majolika Manufaktur Karlsruhe ... ....... ... ....... .... ........ 323 Eva Spind"r "Terra et mundus" von Hans Kindermann ................................................... 325 Ursula M(rkd 11 56 20. September 2002 57 13. Dezember 2002 58 21. Mäu 2003 59 20. Juni 2003 60 19. September 2003 41 18. Dezember 1998 41 18. Dezember 1998 41 18. Dezember 1998 41 18. Daember 1998 42 19. März 1999 43 18. Juni 1999 43 18.Juni 1999 43 18. Juni 1999 Das Durlachcr .. Markgrafendenkmal" ......... ............................. ............. ....... 327 Susamu Asche Kunst oder Schrott? ................... ........ .... ..................... ........ ........ .............. ...... 328 Das Hirschtor im Karlsruher Schlossgarten Gerhard Knbierske Der "Märchenwald" von HAP Grieshabec ................................ .... _ .............. 330 Brigitte Baumstark Sphinx ante portas ........... ........ .. ..................................................................... 332 Monika Bachmayer Neue Adresse der Denkmalpflege in Nordbaden .... ... ... ............. ................... 334 Die Grenadierkaserne in Karlsruhe Clemms Küs~r Bücher-Blick Barbar. Guttmann: Hopfen & Malz ...................................... ... ................... 338 Die Geschichte des Brauwesens in Karlsruhe Michaa Stolle Ernst Otto Bräunebe (Hrsg.): Mühlburg ............................................. ......... 339 StreifZüge durch die Ortsgeschichte Mathias Tröndle Dieter Vestner: Badische Revolution vor 150 Jahren ................................... 339 Geschehnisse in Baden und Durlach 1848/49 Manjhd Koch Dieter Vestner: Die Karlsburg und der Fürstenhof 'Zu Durlach ................... 339 Manfred Koch Susanne Asche / Ernst OttO Bräunche / Manfred Koch / Hein'Z Schmitt / Christina Wagner: Karlsruhe. Die Stadtgesebiebte .... ....... ...... .......................... ............... ............ 340 HamFmsk~ Klaus Bindewald: Die Albtalbahn. Geschichte mit Zukunft ........... ....... ..... 342 Von der Schmalspurbahn 'Zur modernen Stadtbahn Manfrcd Koch Auf den Spuren der antiken Welt, eine Reise durch die AntikensammJung des Badischen Landesmuseums .... .......... ........................ 343 H~lmut Grimm Ute Grau I Ulrike PI.te: 1898-1998. Vom Versicherungspalast 'Zum Rathaus West .. ....... ............ ........ ........... ........ 344 Thomas Mryrr 12 44 17. September 1999 44 17. September 1999 45 17. Dezember 1999 45 17. Dezember 1999 46 17. Mätz 2000 46 17. März 2000 46 17. März 2000 47 16. Juni 2000 48 15. September 2000 48 15. September 2000 49 15. Dezembet 2000 49 15. Dezember 2000 Elisabeth Spitzbart: Karl Joseph Berckmüller 1800-1879 ............ ............. 345 Architekt und Zeichner Manfrrd Koch Eduard Koelle: Drei Tage der Karlsruher Bürgerwehr 1849 ...................... 346 Leonhard Mül/a Elga Roellecke: Vereine und Vereinigungen. Gasthäuser .............................. 346 Chronik Wolfartsweier Peter Prttsch Manfred Koeb - Jürgen Morlock (Hrsg.): Von Graspisten zum Baden~A.irport, Luftfahrt in Mitte1haden ................... 347 Leonhard Mü//a Wolfgang H. Collum: Hugenotten in Baden-Durlach .. ............................... 348 Die französischen Protestanten in der Markgrafenstadt Baden-DurIach, insbesondere in Friedrichstal und Welschneureur Ernst Dtto Brdunch( Horst Schlesiger, JosefWerner: Die 70er Jahre ........ .... .... ....................... ..... 349 Ein Karlsruher Jahrzehnt in Bildern L(onhard Mül/a Birgit Bublies-Godau (Hrsg.): Henriette Obermüller-Venedey, Tagebücher und Lebenserinnerungen 1817-1871 ................................... ... 350 L(onhard Mül/a Harm-Hinrich Brandt: Deutsche Geschichte 1850-1860, Entscheidung über die Nation .. ..................................................................... 350 L(onhard Mül/(r Manfred Koch (Hrsg.): Unter Strom - Geschichte des öffentlichen Nahverkehrs in Karlsruhe ............ .. ..... ............. 352 Mnthias Trönd/( Jürgen Schuhladen-Krämer: Akkreditiert in Paris, Wien, Berlin, Darmstadt ........................ .... .... ............ 354 Badische Gesandte zwischen 1771 und 1945 L(onhard Mül/a Heinz Kunle, Stefan Fuchs (Hrsg.): Die Technische Universität an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, ... .. ............................ ...... 354 Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der Universität Karlsruhe (TH) L(onhnrd Mü/la Barbara Guttmann: Den weiblichen Einfluss geltend machen Karlsruher Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1955 ................................ 355 Christina Klausmann 13 50 16. März 2001 50 16. März 2001 51 15. Juni 200 I 51 15. Juni 2001 52 21. Seprember 2001 52 21. September 2001 53 14. Dezember 2001 54 15. März 2002 54 15. März 2002 54 15. März 2002 54 15. März 2002 54 15. März 2002 Horst Fischer: Landwirtschaft und Viehzucht in früherer und heutiger Zeit ........................ ..... ............. ... ... ....................... 356 Chronik Wolfartsweiec ArnulfBug Bernhard Wien: Politische Feste und Feiern in Baden 1815-1850, ........... 357 Tradition und Transformation: Interdependenzen liberaler und revolutionärer Festkultur L~onhard Mü/fa Ernst Dtto Bräunehe (Hrsg.): Rheinhafen Karlsruhe 1901-2001 .............. 358 Doroth~a Schmitt-Holfsttin Ute GraulBarbara Guttmann: Gegen Feuer und Flamme ........................... 359 Das Löschwesen in Karlsruhe und die Berufsfeuerwehr And,(o Aftmburg Michael Ruhland: Schulhausbauten im Großherzogtum Baden 1806-1918 .............................................................. 360 }ürgm Spanga Annette Borchacdt·Wenzd: Frauen am badischen Hof, Gefahrtinnen der Großherzöge zwischen Liebe, Pflicht und Intrige .......... 361 Lronhard Mülkr Ute Grau: Schloss Augustenburg Holger Reimers, Gerhard Kabierske, Georg Manka: Ein Karlsruher Modellhaus von 1723. Das Seilerhäuschen ......................... 362 U/rikr Pfau Sergej G. Fedorov: Wilhe1m von Traitteur .................................................... 364 Ein badischer Baumeister als Neuerer in der russischen Architektur 1814-1831 Jürgm Krügrr Hansmactin Schwarzmaier: Das Dorf in der Geschichte von Land und Landschaft . ........... .................... 365 Von den Anfangen bis zum Jahr 1800. Chronik Wolfahrtsweier Lronhard Müllrr Karl Zahn: Gräber, Grüfte, Trauerstätten .......................... ........ ................... 365 Der Karlsruher Hauptfriedhof Yps KfUluba Manfred KDch (Hrsg.): Im Mittelpunkt der Menseh. Parlamentsreden Karlsruher SPD-Abgeordneter ....................................... ... 367 CkmmsRrhm Michael Stolle: Die Geheime Staatspolizei in Baden .................. ...... ...... .... 368 Personal, Organisation. Wirkung und Nachwirken einer regionalen Verfolgungsbehörde im Dritten Reich Ernst Otto Bräunehr 14 55 21. Juni 2002 55 21. Juni 2002 56 20. Sep«mber 2002 56 20. Sep«mber 2002 57 13. Dezember 2002 57 13. Dezember 2002 58 21. März 2003 58 21. März 2003 59 20. Juni 2003 59 20. Juni 2003 60 19. September 2003 60 19. Sep«mber 2003 Angela Borgstedt: Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951. ..... .......... 369 Polirische Säuberungen im Spannungsfeld von Besarzungspolitik und lokalpolirischem Neuanfang Manfrtd Koth Alfred Hanser 1858- 1901. Ein badischer ArchiICkt ... ..... ............ ................ 370 Manfrtd Koch Paul Ludwig Weihnacht (Hrsg.): Die badischen Regionen am Rhein ........ 371 Ltonhard Mülür Gudeun Kling: Frauen im öffentlichen Dienst des Großherrogtums Baden. Von den Anfangen bis zum Ersten Weltkrieg ..... " ...................... ...... 372 5usanm kehr Keestin Luner: Der Badische Frauenverein 1859-1918. Rotes Kreuz, Fürsorge und Frauenfrage ........ ................. ............... ................ 373 SUJannt Asehr Jürgen Spanger: Aus der Schulstube ins Leben. Die K.rlsruher Volksschulen 1716-1952 ......... .. ..... .... ................................. 374 L~onhard Müller Die Orgelstadt Karlsruhe innerhalb der Orgellandschaft am Oberrhein . ....... .... .... ... .... ......... .. ...... .. ..... .... ............ 375 MaffhiaJ Mil/~r Manfred Koch (Hesg.): Stadtplätze in Karlsruhc .................................. ..... .. 376 joufWtrnt r Gottfried Leiber: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen für KarIsruhe ............... .. 378 Teil II: Der Stadtausbau und die Stadterweirerungsplanungen 1801-1826 Manfrtd Koch 900 Jahre Rüppucr. Geschichte eines Stadtteils .. ........ .... ................... ......... .. 379 Ltonhard Mülltr Elga RoeUecke: Bildung auf dem Land, Lehren und Lernen in deI" Volksschule ............................................... ........ ... 379 Ltonhard Mülkr Monika Bachmayer - Roben Dreilduft: Jugendstil in Karlsrube. Formen - Vielfalt - Fantasien ...... ........................ . 380 Ltonhard Mülur 15 Geleitwort ~ r ein Auto sicher führen will, sollte öfters in den Rückspiegel blicken. Diese Feststellung gilt auch für die Entwicklung einer Stadt. Und so knüpfe ich gerne an die Tradition meines Amtsvorgängers an, stadtgeschichdiche Darstellungen mit ei- nem lebendigen Forum zu unterstützen. Der dritte Band "Blick in die Geschichte" gleicht in seiner Struktur vorangegangenen Ausgaben, erweitert aber das Themenfeld, zeigt neue Facetten dieser lebendigen Kom- munität und lädt ein zum Nachdenken über das Gestern und Heute. Die reiche Kultur- 17 pflege in Karlsruhe würde eine Dimension verlieren, wenn dem Erinnern kein Platz ein- geräumt wird. Ich begrüße die nun vorliegende Zusam- menfassung der letzten fünf Jahrgänge des "Blick in die Geschichte", der stadthistori- schen Beilage unserer "StadtZeitung" . Möge sie auch künftig interessierte Leser finden. Heinz Fenrich Oberbürgermeister Einleitung S eit 15 Jahren erscheinen die Karlsruher stadthistorischen Beiträge in der "Stadt- Zeitung" unter dem Titel "Blick in die Geschichte". So ist mittlerweile eine Tradition entstanden, und die Redaktion dankt der Stadtverwaltung, dass nun ein dritter Band fur die Ausgaben 1998 bis 2003 erscheinen kann. Damit werden wiederum die Aufsätze, Biographien, Interviews mit Zeitzeugen, Hin- weise auf spezifische "Blickpunkte" in der Stadtlandschaft sowie Buchbesprechungen zur stadrhistorischen Literatur in einem Buch zusammengefasst und damit bibliographisch erfass bar. Sie bieten sich also als Nachschla- gewerk an und dienen damit auch der For- schung, sieht man doch Beiträge aus dem "Blick" in manchen wissenschaftlichen Arbei- ten zitiert. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei Dank gezollt, die gegen einen geringen Spesenausgleich sich mit Beiträgen beteiligt und mit gediegenem Fachwissen dem "Blick" ein spezifisches Profil gegeben haben: wissen- schaftliche solide, aber nicht nur Fachleuten zugänglich. Hier werden Originalquellen ver- öffentlicht, Zeitgenossen sprechen über bisher nicht fIXierte Vorgänge, Behördenleiter berich- ten über ihre Institutionen, Fakten, die man sonst nicht kennenlernen würde. So ist in die- sen letzten 15 Jahren ein Netz von ca. 140 Spe- zialisten entstanden, die allgemeinverständlich über ihr Fachgebiet informieren. Besonders das Interesse einer breiten Leser- schaft soU gewonnen werden, in der Zahl nicht genau messbar. weil die "StadtZeitung" mit dem Anzeigenblatt "Kurier" kostenlos an die Haushalte verteilt wird. Aber Rückmeldungen und auch die Bereitschaft zur Mitarbeit zei- gen, dass diese Beilage zum Amtsblatt bekannt ist, von vielen regelmäßig gelesen wird. Die He- rausgabe dieses Buches und das weitere viertel- jährliche Erscheinen des "Blick" mögen als Zeichen gelten, dass die Stadtverwaltung die Vermittlung lokal- und regionalgeschicht- licher Einblicke als einen wichtigen Teil im kulturellen Mosaik unserer Gemeinde be- trachtet. Auch für diesen dritten Band hat Kat ja Schmalholz die Druckvorlage und das Regis- ter erstelIr. Ihr Geschick und ihr großer Ein- satz ermöglichten es, bei der Nutzung det EDV-Einrichtungen des Stadtarchivs die Kos- ten dieser Produktion niedrig zu halten. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden. Dank gebührt schließlich Rita Dahm für die gewis- senhafte Korrektur der Texte, Uta Bolch für die digitale Aufbereitung der Bildet, Ultike Deistung für Bildrecherchen und dem Team des Info Verlags fur die bewährt gute Koope- ration. Redaktion "Blick in die Geschichte" Dr. Leonhard MillIer (verantwortlich), Forum for Stadt geschichte und Kultur, Dr. Manfred Koch, ,tellv. Leiter Institut for Stadtgeschichte 18 Aufsätze .·· · 19 Vor 80 Jahren - November 1918 Zur Abdankung des letzten badischen Großherzogs Luisc:': Y. Baden und das Großherzogspaar währc= nd des Ersren Weltkriegs. Anton Geiß, sozialdemokratischer Vorsitzender der vorläufigen Regierung, berichtete von sei- nem Besuch am 13. November 1918 in Schloss Zwingenberg, den er zusammen mit dem bis- herigen Staatsminister Frhe. v. Bodman unter- nommen hatte, um den dorthin geflüchteten Großherwg Friedrich Il. zu einer Regierungs- verzichtserklärung zu bewegen: "Der Groß- herzog sagte: 1\1so adjeu, Herr Geiß, ich wün- sche Ihnen zu Ihrem Unternehmen und Ihrem 20 neuen Amt recht viel Glück im Interesse un- seres schönen Badener Landes'. Er hat mir nochmals die Hand gereicht und geschüttelt, war aber so ergriffen, dass er sich nicht mehr halten konnte. Er hat sich umgewendet und ging. Dann kam die Großherzogin Hilda auf mich zu, reichte mir die Hand und sprach mir gleichfalls ihre Glückwünsche aus, dass es ge- lingen möge, unsere Verhandlungen zum Ziele zu führen. Die Frau hat jämmerlich geweint. Sie war ganz aufgelöst. Sie hat vorher kein Wort gesprochen. stand nur daneben mit Tränen in den Augen. Sonst war niemand da als Exzel- lenz Bodman, der ebenfalls tief ergriffen war. Auch mich hat es erfasst. Ich habe den Ein- druck gehabt, wie wenn plötzlich ein großes Unglück in einer Familie eintritt, ohne jede Vorbereitung, ein Todesfall oder dergleichen. Ich ging fort. Im Hof musste ich warten bis Exzellenz Bodman kam. Nach 15 bis 20 Mi- nuten fuhren wir weg. Als wir beieinander im Wagen saßen, sagte ich zu Exzellenz: 'Das sind schwere Stunden, nicht wahr? ' Darauf sagte er: 'Herr Geiß, das war eine dreistündige Hin- richtung, anders kann ich es nicht nennen. Es war etwas Furchtbares, was ich ausgestanden habe, bis ich den Großherzog zu dem gebracht habe, was ich schriftlich in der Tasche habe". Friedrich konnte es nicht fassen, hatte er doch ein von seinem Volk geachtetes Leben geführt. Friedrich als Erb- und Großherzog 1857 als Sohn der preußischen Königstochter Luise geboren, absolvierte er nach einer eigens für Prinzen und ausgewählte Bürgersöhne ge- schaffenen gymnasialen "Friedrichschule" ein dreijähriges Studium Generale in Heidelberg, Bonn, Leipzig und Freiburg. In seiner militä- rischen Karriere stieg er als Thronfolger rasch auf. wobei er sich bei Stationierungen in Pots- dam deutlich vom nassforschen Gardeoffi- zierston fernhielt, den sein Vetter Wilhe1m, der spätere Kaiser, so tremich artikulierte. Neben solcher Skepsis stand Kritik an mancher Entwicklung, so z. B. am zunehmen- den Antisemitismus, den er für "ein bedau- ernswertes Resultat der Verherzung" hielt. Als der Posten des Kommandierenden Generals 1901 in Karlsruhe frei wurde und der bald 80- jährige Friedrich r. seinen Sohn in der Nähe wissen wollte, lehnte Wilhe1m II. die Ernen- nung ab, weil man nicht nur bei einem kriegs- bedingten Einfall der Franzosen in Baden von einem Thronfolger schwer zu vereinbarende Maßnahmen erwarten musste, sondern weil man in Berlin die süddeutschen Fürstenhöfe separatistischer Neigungen verdächtigte. Diese Haltung führte für einige Zeit zu einer deur- lichen Verstimmung des Großherzogs gegen- über dem kaiserlichen Neffen. Als Friedrich Ir. 1907 fünfzigjährig die Nachfolge antrat, führte er die Politik seines Vater in einem Staat fort, der sich nun vom Agrar- zu einem dynamischen Industrieland wandelte. Obwohl die Nationalliberalen ihre Vorherrschaft in der Ir. Kammer verloren hat- ten, stand die Politik unter liberalem Vorzei- chen. Während des Ersten Weltkriegs konnte der seit seiner Jugend durch Gelenkrheumatis- mus gezeichnete Fürst einen militärischen Auftrag nicht wahrnehmen und lediglich mit Besuchen bei badischen Truppen die Stim- mung seiner Landeskinder verbessern helfen. Nach der Begeisterung am Anfang über die ersten Siege verbreitete sich bald Resignation angesichts der hohen Verluste. Auch in der Heimat begann durch die Erstarrung der Fronten und die Verknappung vieler Materi- alien die Siegesgewissheit zu schwinden. 21 Revolution in Baden 1917 und anfangs 1918 begannen erste Streiks in Mannheim. Die Erhebung kam aber erst durch die Matrosen-Empörung im Norden. In Baden war man bemüht, einen möglichst reibungslosen Übergang zu finden. Staatsrni- nistet von Bodman meinte, es genüge die Be- kanntgabe eines neuen Regierungsprogramms, und der Großherzog berief am gleichen 9. No- vember, als sein Vetter, Reichskanzler Prinz von Baden, den Thronverzicht Wilhe1ms Ir. bekanntgab, den badischen Landtag auf den 15. November ein, um auf die politische Aus- nahmesituarion einzuwirken. Aber die Ereignisse überstürzten sich. In Karls- ruhe wollte man eine "Revolution von oben" versuchen, Stadt- und Landtagsabgeordnete sowie Gewerkschaftsfunkrionäre schlossen sich zusammen, um die Staatsaufgaben als Wohl- fahrtsausschuss zu übernehmen. Daneben bil- dete sich ein Soldatemac. Ohne Zustimmung des Großherzogs wurde eiligst eine Regierung gebildet, die allein schon durch diesen Vor- gang nicht der gültigen Verfassung entsprach. Mit der Unterstützung bürgerlicher Parteien und von Teilen der Sozialdemokraten gelang es von Bodman, Friedrich Ir. zu überzeugen, gegen die "durch die Zeitumstände geschaffe- ne Lage einen Widerspruch" nicht zu erheben und "Kenntnis von der Errichtung einer provi- sorischen Volksregierung" zu nehmen. Gleich- zeitig wurden die bisherigen Minister "in Gna- den« aus ihren Ämtern entlassen. Am 11. November führte von Bodman den neuen Innenminister Or. Haas im bishe- rigen Stil ein und informierte ihn über einen vorbereiteten Putsch gegen den Großherzog, der gebeten wurde, sich mit seiner Familie ins Schloss zurückzuziehen. Mit Mühe gelang es, 87 Soldaten zusammenzubringen, um die am Abend tagenden Ausschüsse im Rathaus und im Innenministerium zu schützen. Als man nach 22 Uhr Schüsse aus der Richtung des Schlosses hörte, fürchteten einige eine Gegen- revolution. Sirenen heulten und Flugabwehr- geschütze gaben Schüsse ab, bis man die wah- ren Vorgänge erkannt hatte. Es handelte sich um einen Putschversuch des Obermatrosen Klumpp, der im Zivilleben berufliche Schwierigkeiten hatte und sich nun zum Politiker berufen fühlte. Mit einem Trupp zog er zum Schloss und forderte den Oberhof- meister von Göler auf, der Großherzog solle herunterkommen. Das Personal war völlig verwirrt und hörte Rufe wie "Raus mit dem größten Lump in Baden, raus mit der Alten, der Luise." Eine Vielzahl von Schüssen schlu- gen in das Schloss ein, und Göler bedrängte nun Friedrich, seine Muner Luise, seine Gat- tin und seine zu Besuch weilende Schwester Viccoria, Königin von Schweden, das Schloss zu verlassen. "Sie machten sich reisefertig, gingen ei- lends durch die rückwärtigen Gemächer nach dem östlichen Flügel ... stiegen hier durch ein Fenster in den Fasanengarten, wo in einiger Entfernung die Kraftwagen' bereitstanden. Als sie Platz nahmen, tönte das erste Heulen der Sirenen durch die Nacht und füllte sie mit der Ungewissheit neuen Schreckens. Mit welchen Empfindungen die Herrschaften davonfuh- ren, mag jeder ermessen. Vor allem war es für die greise Großherzogin Luise, die des Reiches Aufgang und Hetrlichkeit und nun seinen jä- hen Zusammenbruch erlebt hatte, unendlich bitter, bei Nacht und Nebel aus der Residenz flüchten zu müssen '\ so ein Zeitzeuge. Die fürstliche Familie suchte zunächst im Schloss Zwingen berg bei Eberbach Zuflucht, wo sich die eingangs beschriebene Szene zwi- schen Geiß und von Bodman abspielte. Tags darauf erklärte die Volks regierung, dass Baden eine "freie Volksrepublik" sei. Friedrich fürch- tete, der bisherige Zufluchtsort liege zu nahe bei Mannheim mit seiner radikalen Arbeiter- 22 schaft und zog nach Schloss Langenstein im Hegau, Besitz des Verwandten Graf Douglas. Im Sonderzug begleiteten ihn vier der neuen Minister. Im Kreis der Volksregierung hielt man mittlerweile Friedrichs Regierungsverzichts- erklärung für nicht mehr ausreichend, da die Soldatenräte nur dann eine Unterstützung der Reichsregierung Ebert - Scheidemann leisten würden, wenn eine endgültige Einführung der Republik in Baden erfolgte. So wandte man sich wiederum an von Bodman, dessen Missi- on Friedrich als "neue Zumutung" anfangs tief bewegte und die er entrüstet zurückwies, hoff- te er doch, dass die künftige Landesversamm- lung sich letztlich für ihn entscheiden würde. Schließlich musste er dem Drängen nachge- ben. um Schlimmeres zu verhüten. Am 22. November, drei Monate nachdem Friedrich am 22. August noch eine Feier zum hundertjährigen Gedenken an die badische Verfassung von 1818 veranstaltet hane, verlas von Bodrnan vor der Regierung das Schreiben, in dem es heißt: "Nachdem mir nun bekannr geworden ist, dass viele Badener sich durch den Treueid, den sie als Beamte, Soldaten oder Staatsbürger geleistet haben, in ihrem Gewis- sen gehemmt fühlen, bei der Vorbereitung der Wahlen zur verfassungsgebenden Versamm- lung sich so zu betätigen. wie sie es nach den tatsächlichen Verhältnissen und insbesondere nach der Lage im Reich für geboten erachten, entbinde ich die Beamten, Soldaten und Staats- bürger ihres Treueids und verzichte auf den Thron. Mein und meiner Vorfahren Leitstern wat die Wohlfahrt des badischen Landes. Sie ist es auch bei diesem meinem letzten schwe- ren Schritt. Mein und der Meinigen Liebe zu meinem Volke höret nimmer auf! Gott schüt- ze mein liebes Badner Land!" Verschiedene Minister dankten dem Groß- herzog, dass durch seinen Schritt die Wahl für die Nationalversammlung nun erleichtert wur- de, weil es nicht mehr um das Pro und Conrra einer Monarchie ginge. In der Kundmachung der Volks regierung vom 22. November hieß es: "Das badische Volk anerkennt die Liebe zur badischen Heimat, die der Großherzog auch wieder in den Entschlüssen der letzten Tage bestätigt hat." "Nichts sei gegen die Person des Großherzogs gesagt", hatte es schon zuvor in der sozialdemokratischen "Mannheimer Volks- stimme" vom 15. November geheißen. "Er tat nichts, was ihn hätte verhaßt machen können; wo das politische Leben strömte, da strömte es an ihm vorbei; er war nie Mittelpunkt, nie auch war er der Träger der Geschichte: nicht im Bö- sen - das fällt zu seinen Gunsten; nicht im Gu- ten - das fällt zu Lasten der Institution ... Und darum fällt mit dem Monarchen kein Amt, sondern eine Würde; keine Leistung, sondern bloß eine Repräsentation; kein befruchtendes Leben, sondern nur ein Schatten, der herein- ragte aus den Zeiten ältester Vergangenheit; ein Fremdes in unsern Tagen, ein kaum mehr Verstehbares. " LEONHARD MüLLER Siedlungen der 60er Jahre in Karlsruhe (Teil I) Trotz über 27.500 neu errichteter Wohnungen in den 50er Jahren suchten 1960 immer noch 12.000 Familien eine geeignete Unterkunft. So blieb die Förderung des Wohnungsbaues auch im folgenden Jahrzehnt eine vordringli- che Aufgabe der Kommunalpolitik. Der vor- läufige Flächennutzungsplan von 1961 ent- hielt Darstellungen zahlreicher neuer Wohn- bauflächen. Flächen in städtischem Eigentum gewannen, unabhängig von den natürlichen Gegebenheiten, große Bedeutung. In den 50er Jahren begonnene Wohnquartiere in der heu- tigen Nordweststadt, in Rintheim und in der Waldstadt wuchsen weiter, neue Quartiere entstanden. Neben den hier ausgewählten fünf Siedlungen sind dabei zu nennen: die weitere Bebauung des nördlichen Seldeneck'schen Feldes und des Beiertheimer Feldes, Heiden- stücker-Nord, die Europa-Schule-Siedlung, das nördliche Knielingen (Sudetenstraße) und die Fortsetzung der Durlacher Hangbebau- ung. Erwähnenswert ist noch die "Richt- Wohnanlage" nördlich des Durlacher Güter- bahnhofs mit 400 Wohnungen, vorwiegend in vier Hochhäusern. Ein zweiter Bauabschnitt 23 mit Terrassenhäusern folgte 1968. Die Rhein- stadt als Wohnstandort in der Burgau blieb auf dem Reißbrett. Zwischen 1960 und 1969 wurden in Karlsruhe um die 25.400 Wohnun- gen gebaut, 3.400 Unterkünfte gingen durch Abbruchrnaßnahmen und Umnutzungen ver- loren. Für Ende 1969 weist die Statistik für die Gesamtstadt einen Bestand von ca. 95.700 Wohnungen auf; die Zahl der Einwohner nahm in dieser Zeit von ca. 239.000 auf ca. 258.000 zu. In den 50er Jahren schien dutch den Sied- lungsbau mit seinen oft fünfgeschossigen pa- rallelen Zeilen und den weiten dazwischen lie- genden Freiflächen die ,,Auflösung" der tradi- tionellen Stadt ang,sagt. Das folgende Zitat aus dem "Karlsruher Wirtschaftspiegel 1961" verdeutlicht die damaligen Ziele: "In den neu- en Wohngebieten wurden so die modernen Städtebauforderungen, wie Trennung von Fuß- und Fahrverkehr, Verkehrssicherheit, Einpla- nung von Grün- und Erholungsräumen mög- lichst in Verbindung zu stadrnahen Wald- und Erholungsflächen, richtige Einplanung von Kinderspielplätzen, Kindergärten und Schu- Siedlun gen und Wohnprojekre in den 60er Jahren . len mit der Anordnung gefahrloser und kurzer Fußwege. zweckmäßige ~ordnung kleinerer und größerer Einkaufszentren und stark auf- gelockerte Bauweise um Licht. Lufi: und Son- ne in die Wohnungen und dazwischen liegen- de Grünflächen hereinzulassen. in weitgehen- dem Maße verwirklicht." Im Laufe der 60er Jahre wurden in neuen Baugebieten ofi: unter- schiedliche Gebäudeformen wie Hochhaus. Scheibe und Reihenhaus kombiniert. Der Städtebau vieler Siedlungen der damaligen Zeit lässt uns aber heute deutliche Ordnungs- muster. Kompaktheit und Raumbildung ver- missen. Zwei der später beschriebenen Bauge- biete. die Baumgarten-Siedlung in Rüppurr und das Wohnquartier im Eichbäumle in der Waldstadt. erhalten auch heute noch die über- regionale Aufmerksamkeit als Muster für qua- litätvollen und flächensparenden Siedlungs- bau in der Stadt. 24 Bergwald-Siedlung Bereits 1954 sprach der damalige Oberbürger- meister Klotz mit Landrat Groß über eine Be- bauung des gesamten Hanggebietes oberhalb der Bundesstraße 3 von Durlach bis nach Ett- lingen. Das Gelände sollte für Einzelhäuser in Flachbauweise erschlossen werden. ohne aber Waldflächen in Anspruch zu nehmen. 1957 sprach sich der Stadtplanungsausschuss für eine Bebauung des Hanggebietes auf Karlsru- her Gemarkung aus. Später folgten auch die dafür notwendigen planungsrechtlichen Rege- lungen. Die Bebauung von Hängen ist aus landschaftsplanerischen und klimatischen Er- wägungen immer problematisch und verlangt deshalb anspruchsvolle Planungsarbeit. Die damaligen Planer und Politiker waren noch nicht sensibilisiert für diese Anforderungen. Die Abwägung beschränkte sich lediglich auf die Frage, ob Waldverlust vermeidbar sei. Der freien Landschaft mit Wiesen, Gehölz und Streuobstlagen schien man noch keinen Wert beigemessen zu haben. Ende 1959 gelangte erstmals der Bergwald in das Visier der städtischen Planer. Das Nicht- berücksichtigen des Gebietes in der 1960 er- stellten Landschaftsschutzkarte und die Aus- weisung im vorläufigen Flächennutzungsplan 1961 galt als kommunalpolitische Zustim- mung. 1962 konnte die Öffentlichkeit im Rahmen der Ausstellung "Karlsruhe plant und baut für seine Bürger" bereits zwei Bebauungs- varianten für das 29 ha große, sich im städti- schen Eigentum befindliche Hanggebiet be- sichtigen, eine für 1.500 Einwohner, die ande- re für 2.500. Die Stadtverwaltung holte ein Gutachten beim Lehrstuhlinhaber für Städte- bau an der Universität Karlsruhe, Professor Bayer, ein, um in der .kommunalpolitischen Auseinandersetzung eine Entscheidungshilfe zu erhalten. Denn es ging um die Frage "Hoch- häuser auf dem Bergwald?" . Insbesondere die "mittelbadischen Waldfreunde" und deren Vorsitzender Dr. Otto Figlestahler lehnten die Modellfow der ersten Planung für die Bcrgwald-Sicdlung. 25 Bebauungsvariante mit Flach- und Mittel- hochbau und drei 10-geschossigen Hochhäu- sern auf der Bergkuppe gegenüber der Varian- te mit ausschließlich Flachbau ab. Der Eingriff in den Wald schien keine besondere Rolle mehr zu spielen. Die eingeholte Expertise enthielt das Votum für die Hochbebauung, auch unter dem Gesichtspunkt der Infrastrukturkosten. Selbst die Siedlungsgröße von 2.500 Einwoh- nern liegt jedoch weit unter dem Orientie- rungswert einer Mantelbevölkerung für eine tragfähige Ausstattung mit öffentlichen und privaten Versorgungseinrichtungen. So begann 1963 die Erschließung, der Bau der ersten Häuser begann 1965, der Bebauungsplan mit seinen umfangreichen Bauvorschriften folgre 1966. Mit der baukünstlerischen Oberleitung wurden die Architekten Möckel und Schmidt beauftragt. Ein Vergleich mit der Hangbebau- ung der späteren Jahre oberhalb der Bundes- straße 3 - ein Beispiel für Behäbigkeit und "Neureichtum" - zeigt gestalterische Konse- quenz, die eine "Basisqualität" erreicht. Die Bebauung gliedert sich in die erwähnte Kup- penbebauung mit drei 10-geschossigen Schei- ben. in die Zone mit Mittelhochbau und Ver- sorgungseinrichtungen und in Bereiche mit Reihen- und Einzelhäusern. Ein Grünstreifen mit Treppenanlagen bildet die Siedlungsmitte. Die Verkehrs erschließung erfolgt über eine Ringstraße mit zwei Verbindungsspangen. Heute leben nur noch an die 1.300 Men- schen in der Siedlung. über die bereits 1973 in der Presse kritisch bilanziert wurde: Isolation. schlechte Versorgung. nicht gelungene Einbin- dung des oberen Teils der Siedlung in die Landschaft. Baumgarten-Siedlung Gemeinsamkeiten und dennoch große Unrer- schiede bestehen zwischen der Bergwald-Sied- lung und dem sich nun zu widmenden Bauge- biet. Gemeinsam ist ihnen der Baubeginn Mitte der 60er Jahre. der 10- und 4-geschos- sige Wohnungsbau. Reihenhäuser. Einzel- und Doppelhäuser. die Siedlungsgröße um 28 ha und die angestrebte Einwohnerzahl von 2.500. Wohnfolgeeinrichtungen. Ringerschlie- ßung. Als Unterschiede si~d zu nennen: das im Süden Rüppurrs situierte Areal ist keine ,.Insel" in der Hanglandschaft. sondern er- gänzt einen Stadtteil; er liegt im nahen Ein- zugsbereich der Stadtbahn und verfügt in sei- nem Kernbereich. der eigentlichen Baumgar- tensiedlung - auch "neue Gagfah" genannt- über ein Beispiel hochwertigen Siedlungsbau- es. Die "alte Gagfah". ab 1956 erbaut. liegt westlich der Herrenalber Straße. Das Mitglied der "Werkgemeinschaft freier Architekten Karlsruhe". Paul Schütz. enrwarf diese Anlage für die GAGFAH (Gemeinnürzi- ge Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heim- stätten). die 327 Eigentumswohnungen und 218 ein- und zweigeschossige Eigenheime bis 1971 errichtete. Das 1918 von der Vorgänge- rin der Bundesversicherungsanstalt für Ange- stellte. gegründete Unternehmen betrieb schon 26 in der Weimarer Republik innovative Wohn- bauprojekte mit Architekten wie Walter Gro- pius und Johannes GÖderitz. Später erfolgte eine Ergänzung auf Flächen. die nicht mehr für öffentliche Einrichtungen benötigt worden sind. Der Siedlungs teil mit dem verdichteten Flachbau zieht seit langem die Aufmerksam- keit der Fachwelt auf sich. So wurde die Ver- leihung des Hugo-Häring-Preises von 1970 wie folgt begründet: "Die Wohnsiedlung .. . zeigt eine starke Verdichtung. bei welcher neben städtebaulichen Vorzügen ein Maximum an privater Wohnatmosphäre erzielt wird. lo- benswert ist die werkgerechte Durchbildung aller Einzelheiten." 1976 folgte die Auszeich- nung mit der "Weinbrenner-Plakette" der Stadt Karlsruhe und 1980 die Prämierung beim Landeswettbewerb "Wohnen am Stadtrand". Der größte Teil der Flachbebauung steht in- zwischen unter Denkmalschurz. Nach den eigenen Aussagen von Paul Schütz. dem veranrwortlichen Architekten und späteren. leider schon 1985 verstorbenen Architekturlehrer an der Universität Karlsru- he. entstand das Konzept aus der Auseinander- setzung mit den damals herrschenden Bedin- gungen wie Wunsch nach Einfamilienhaus. Eigentum. Bevölkerungswachstum und der damit verbundenen "Landzerstörung". So bil- ModdlfolO dc=r ersten Planung für die Baumgartcn-Sicdl ung. Teil der Bebauung Mim Eichbäumle" vom zentralen Platz aus gesehen. den die Zeilen mit in der Regel 12 schmalen oder sechs breiteren Reihenhäusern Gruppen. die durch ein vetästeltes. mit kleinen Plätzen unterbrochenes Wegenetz erschlossen sind. Ein Spaziergang auf diesen Fußwegen vermit- telt dem Besucher die hohe Qualität des Wohn- quartiers. Die gärtnerischen Anlagen entwar- fen Hans Luz und Wolfgang Miller. Acht ver- schiedene Haustypen auf 150 bis 250 qm gro- ßen Grundstücken lassen eine Uniformität trotz des einheitlich weiß getünchten Mauer- werks vermeiden. Sichtgeschützte private Gar- tenhöfe erweitern die Wohnungen nach Sü- den ins Freie und bereichern mit ihrer Vegeta- tion das Erscheinungsbild. Die Parkierung erfolgt in sieben Garagenhöfen. die an den Heinrich-Heine-Ring und an einen daran angeschlossenen Bügel. die Reinhold-Schnei- der-Straße. angebunden sind. Der größte Teil der Gesarntanlage einschließlich des Laden- zenuurns. Kindergartens und der großen Spiel- platzanlage kann ohne Überquerung einer Suaße zu Fuß erschlossen werden. Der Süden Karlsruhes birgt mit der Baum- garten-Siedlung neben dem Dammerstock und der Gartenstadt ein drittes Ziel für die an der Wohnkultur und Siedlungsgeschichte In- teressierten. 27 Im Eichbäumle In der Waldstadt-Feldlage ist ein Ergebnis mit ähnlicher Zielsetzung wie die Baumgarten- Siedlung zu besichtigen. Eine Fläche von ca. 8.000 qm südlich des Otto-Hahn-Gymnasi- ums bietet Platz für 19 Einfamilienhäuser auf Grundstücksflächen zwischen 245 und 386 qm. Trotz der vier Haustypen. ein- oder zwei- geschossig. mit Wohnflächen zwischen 96 und 135 qm. bleibt die gestalterische Einheitlich- keit gewahrt. Die Grundlage dafür bilden die gleiche Formensprache durch die kubischen Elemente. die differenziert gestaffelten Bau- körper und gleiche Materialien wie Kalksand- stein-Sichtmauerwerk, Rahmen aus dunklem Holz und Mauerabdeckungen aus Sichtbeton. Dieser bemerkenswerte Mosaikstein im Siedlungsgefüge der Waldstadt war als Sonder- schau "H aus und Garten U im Rahmen der Bundesgartenschau 1967 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Die Planung lag in den Händen von Dorothea Haupt. Petet Haupt. Ernst Jung und Wolfgang Siegmann (Gartenge- staltung) . Die Architekten suchten im Auftrag der Hausbau Wüstenrot GmbH als Bauherrin neue Möglichkeiten des verdichteten Flach- baues. die auf kleinen Grundstücken Wohn- qualitäten des freistehenden Einfamilienhauses aufWeisen. Intensiv nutzbare Wohngärten ohne die Einsehbarkeit durch die Nachbarn und Passanten sind dazu ein Beitrag. Die Dichte der Bebauung und Ausnutzung der Grundstü- cke ist aber geringer als im Flachbauquartier der Baumgarten-Siedlung. Ähnlich wie dort bleiben die Autos in Garagenhöfen an der Straße. Wohnwege führen auf einen kleinen Platz als Mitte der Bebauung. Da es sich bei diesem kleinen Wohnquartier um einen bei- spielhaften Beitrag zur Architektur der 60er Jahre handelt. steht es als Kulturdenkmal un- ter Schutz. HARALD RI NGLER Siedlungen der 6Üer Jahre in Karlsruhe (Teil II) Die folgenden Beispiele für den Wohnungs- bau der 60er Jahre sind sehr unterschiedlicher Natur. Die Anfänge der Rheinstrandsiedlung Daxlanden liegen in den 30er Jahren. Ende der 50er Jahre setzte sich die Bebauung fort. Baurnaßnahmen in der Kriegs- und Nach- kriegszeit unterbrachen diese bis zum Ende der 50er Jahre. Mit Oberreut, ebenfalls im Karlsruher Südwesten, war der Bau einer "Tra- bantenstadt" beabsichtigt. Ende der 60er Jahre entstand an der Kaiserallee Wohnungsbau auf einer ehemaligen Industriefläche. Damit serzte sich der innerstädtische Wohnungsbau in Form von Großwohnanlagen wieder fort, wie er vor dem Zweiten Weltkrieg häufig zu fin- den war (Gottesauer Block, Rüppurrer-/Stutt- garter Straße, Alkerblock in der Ebertstraße, Hermann-Billing-Straße, Meidinger Block in der Kriegsstraße). Mitte der 50er Jahre ent- standen an der Karlstraße das Wohnhochhaus Schmiederplarz und die vorgelagerte Ladenzo- ne mit dem Ringcafe. Wohnungsnot und stei- gendes Bevölkerungswachstum verlangten aber weitere Siedlungen. Rheinstrandsiedlung Der Mieter- und Bauverein, eine 1897 ge- gründete Karlsruher Genossenschaft mit heute über 6.500 Wohnungen, ist der Bauträger die- ser im Südwesten der Stadt liegenden Sied- lung. 1935 kaufte der Verein 24,7 ha Gelände und erhielt von der Stadt eine ehemalige Müll- grube geschenkt. Damit war die Auflage ver- bunden, dort eine Grünanlage anzulegen. Beabsichtigt war der Bau einer "Gemein- schaftssiedlung" der Reichsregierung für 500 Einfamilien- und Reihenhäuser mit dem Na- men ,.Adolf-Hitler-Siedlung". Da keine Ei- 28 genheime errichtet wurden, gab es keine Un- terstützung des Reiches und keine Genehmi- gung für die Namensgebung. Es war das erste Siedlungsprojekt des Vereins, der sich bisher nur im Geschosswohnungsbau engagiert hat- te. 1937 zogen die ersten Mieter ein, nachdem 1936 ein Wettbewerb zur Erlangung eines Siedlungs planes durchgeführt worden war. Die Siedlung sollte "im gesamten Aufbau ein richtungsgebendes Vorbild nationalsozialisti- schen Gedankengutes sein", damit auch ein der Dammerstock-Siedlung der "Systemzeit" ideologisch entgegengesetztes Beispiel. Der zweite Preisträger Prof. Heinrich Mertens aus Aachen wurde mit der weiteren Bearbeitung beauftragt, da er im Gegensatz zum strengen, an Dammersrock erinnernden Entwurf der ersten Preisträger Prof: Karl Wach und Hein- rich Roßkotten aus Düsseldorf durch ge- schwungene Straßen, Dorfplatzidylle (,.Am Anger") und Häuser mit steilem Satteldach dörfliche Atmosphäre suggerieren wollte. Großstadtfeindlichkeit und Verhertlichung der bäuerlichen Lebensweise waren die leitli- nien für den Wohnungs- und Siedlungsbau. Nachdem 288 Wohnungen erstellt worden waren, erzwang det Bausroffmangel 1940 die Einstellung der Bautätigkeit. Nach der Beendigung des Wiederaufbaues der teilweise zerstörten Siedlung im Jahre 1957 lebten dort über 1.200 Menschen. Ein Jahr später folgte der Weiterbau durch den Mieter- und Bauverein nach einem neuen Be- bauungsplan, der die Grundlage für einen Endausbau für 8.000 Einwohner auf einer ge- samten Siedlungsfläche von inzwischen 56 ha bildete. 1971 wohnten über 5.000 Einwohner in 1.250 Wohnungen. Reihenhäuser, Mittel- hochbau und achtgeschossige Punkthäuser Rhc= inst r:mdsic=dlung: Ladc=nzemrum . prägen diesen Stadtbereich mit seiner 60-jäh- rigen "historischen Mitte'\ die heute unter Denkmalschutz steht. Ladengeschäfte, eine Apotheke und ein Cafe sicherten damals die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für den täglichen Bedarf. Ein evangelisches Gemeindezentrum mit Kindergarten, ein Ju- gendzentrum und die teilausgebaure Adam- Remmele-Schule ergänzen die Infrastruktur. Bis 1990 hatte der Miter- und Bauverein über 1.750 Wohnungen erstellt. Nördlich davon war bis dahin auch das Baugebiet "Daxlanden- Ost" entstanden. Oberreut-Waldlage Die Erweiterung der Stadt nach Süden war schon im Entwurf des Generalbebauungspla- nes 1926 angedacht. Die Planer sahen aber die Gleise der Pfalzbahn als Hindernis, auf deren Beseitigung die gesamte Plankonzeption be- ruhte. Ab 1959 verstärkte sich die Suche in- nerhalb der Stadtverwaltung nach möglichen Bauflächen. Erste Gedanken über eine weitere Waldstadt in Blankenloch regten sich in Karls- ruhe - so hatte doch schon die Inanspruch- nahme der staatlichen Waldflächen für die Waldsradt verhältnismäßig wenig Schwierig- keiten bereitet. Das Umland sah die drohende Eingemeindungsgefahr, was die Überlegung . im Sand verlaufen ließ. Waldflächen in städti- schem Eigentum waren aber noch interessan- ter für den Siedlungsbau. Der Wegfall einer komplizierten Bodenordnung und die fehlen- de Abhängigkeit vom Bauwillen privater Ei- gentümer ermöglichte eine schnelle Realisie- rung. So trieb die Stadtverwaltung die Planun- gen für den Bergwald und Oberreut, wo die- se Gegebenheiten vorlagen, voran. Die Bauar- beiten für Oberreut begannen 1963. 29 Luftfoto (1969) von Nordosten aus aufObcrrcm-Fcldlagc. Ende der 50er Jahre begann in der Bundes- republik Deutschland an den Rändern von Großstädten der Bau von Großsiedlungen. die oft als .. Satellitenstädte" oder .. Trabantenstäd- te" bezeichnet wurden. Köln-Chorweiler. Mün- chen-Fürstenried und Saarbrücken-Eschberg sind Beispiele dafür. Die Karlsruher Waldstadt zählt noch zum Städtebau der Phase zuvor. Oberreut war als Satellitenstadt. auf Karlsru- her Größenverhältnisse ausgerichtet. gedacht. . Auf einer ca. 100 ha großen Fläche zwi- schen Bulach und der Heidenstückersiedlung sollte nach ersten Vorstellungen eine Wohn- siedlung für 12.000 Menschen enrstehen. La- denzentren. Schulen. ein Kino und ein Hotel sah man als Infrastruktur vor. Ein wichtiges Ziel lag dem ersten Gesamtenrwurf von 1962 zu Grunde. nämlich preiswerte Wohnungen vor allem für kinderreiche Familien. Die kli- matisch günstige Lage im Südwesten der Stadt wurde als besonderer Vorteil betont. Städti- 30 sches Eigentum war nur als Waldfläche vor- handen. was den ersten Bauabschnitt als .. Ob- erreut-Waldlage" auf25 ha Fläche bestimmte. Meist Nord-Süd gerichtete Blöcke mit vier und acht Geschossen prägen die Bebauungs- struktur. Neben Reihenhäusern bringen drei winkelförmige Wohnzeilen erwas Abwechs- lung in den Städtebau. Der resdiche Waldbe- stand konnte zum Teil in die Gestaltung ein- bewgen werden. Gebaut wurde ohne Bebau- ungsplan. der erst 1967 Rechtskraft erlangte . Bis 1970. dem Jahr der Vollendung dieser Etappe. wuchs die Einwohnerzahl auf über 5.700 der Bestand an Wohnungen auf 1.160. Ober 600 Wohnungen davon realisierte die städtische "Volkswohnung" . Die weitläufige Meinung. die wegen der Altstadtsanierung um- gesetzten Menschen hätten in Oberreut eine neue Bleibe gefunden. stimmt nur teilweise. In dem 1961 festgelegten Ersatzwohnungspro- gramm. in den nächsten 1 0 Jahren eintausend Sozialwohnungen zu schaffen, waren auch an- dere Stadtteile einbezogen. Heute leben in der Waldlage etwa 3.500 Menschen. Es folgte Ende der 60er Jahre der Bauab- schnitt "Mittelreut", dessen Planung in den Händen von Erich Schelling lag. Gegenüber der Waldlage erhöhte sich die Bebauungsdich- te durch höhere Gebäude. Seit 1971 arbeitete das Stadtplanungsamt an einer neuen Planung für die Feldlage, ebenfalls mit dem Ziel einer höheren Verdichtung. Weitere Überarbeitun- gen folgten, deren Ergebnisse heute besichtigt werden können. Nach über 35 Jahren seit dem ersten Spatenstich geht Oberreut nun auf die bauliche Vollendung zu. Eigentumswohnungscenter Kaiserallee Neben dem Siedlungsbau auf der "grünen Wiese" trägt der innerstädtische Wohnungs- bau auf vormals gewerblich genutzten Flächen ebenfalls zur Deckung der Wohnungsnachfra- ge bei. Die Umnutzung von Gewerbebrachen wird heute als ein wichtiger Beitrag zur Res- sourcenschonung propagiert. Derartige "Kon- versionen" gibt es in Karlsruhe schon länger. Der 1968 begonnene Bau von über 500 Woh- nungen und Geschäften an der Kaiserallee, auf einer Fläche von 20.000 qm, ist nach der 1964 Eigemumswohnungsccßtcr Kaiserallee mit dem ehemaligen Promenadenhaus im Vordergrund. 31 begonnenen Richt-Wohnanlage mit 400 Woh- nungen ein weiteres Beispiel dafür. Ein ca. 3,6 ha großes Areal zwischen dem damaligen Gaswerkgelände und der Scheffel- straße war ab 1865 von der Brauerei Printz genutzt worden. Nach dem Bau von Eis- und Lagerkellern der in der Innenstadt gelegenen Brauerei vollzog sich ab 1875 die gesamte Bierproduktion auf diesem Standort. Durch die Fusion mit der Brauerei Schrempp ver- blieb in den 1920er Jahren nur noch die Mäl- zerei an der Kaiserallee. Die übrigen Gebäude wurden dann von anderen Firmen genutzt. Ende der 1960er Jahre ging mit den Abbruch- arbeiten diese Phase der Industrialisierung in der Weststadt dem Ende zu. Die Umnutzung des benachbarten Stadtwerke-Geländes folgte ungefähr ein Jahrzehnt später. Das von Architekt Gerhard Pfisterer be- treute Großprojekt wurde über Befreiungen von der damaligen . städtischen Bauordnung, d. h. ohne Bebauungsplan als planungsrecht- liche Grundlage realisiert, eine heute rechtlich und kommunalpolitisch nicht mehr mögliche Vorgehensweise. Die Wohnanlage besteht aus zwei 18-geschossigen langgestreckren Hoch- häusern, einem siebengeschossigen Büroge- bäude mit anschließendem fünfgeschossigen Laubenganghaus mit den der Kaiserallee abge- wandten Wohnungen. An der Nordwestecke des Geländes erinnern heute noch zwei Bau- ten an das ausgehende 19. Jahrhundert, das für die Witwe Printz 1893 errichtete Wohn- haus und das anschließende Eckgebäude Kai- serallee/Scheffelstraße von 1884. Die Scheffel- straße wird von einem Mittelhochbau mit ei- ner Ladenzone im Erdgeschoss begrenzt. Eine Kuriosität stellt das ehemalige 1814/ 15 errichtete Promenadenhaus von Friedrich Weinbrenner neben den über 150 Jahre später errichteteten Hochbauten dar. HARALD RINGLER Die Städtische Galerie Karlsruhe Neuer Ort, neue Möglichkeiten Im Mai 1997 bezog die Städtische Galetie ihr neues Domizil im Lichthof 10 des Hallenbaus A, und im Oktober des Jahres fand die glanz- volle Eröffnung des Hauses mit Zehntausen- den- von Besuchern und einem erheblichen Medienspektakel statt. Deurschlandweit WUt- de dieses Ereignis in Radio und Fernsehen aus- gestrahlt und auch die Städtische Galerie als bedeutender Nachbar des ZKM gefeiert. Vier Jahre der Vorarbeit - der ständige Dialog mit dem Team des Architekten, dem ZKM, det Kommunalbau GmbH sowie Fachberatern hinsichtlich Technik, Equipment etc. sowie intensive Überlegungen vor allem zur Konzep- tion der ständigen Schausammlung - diese konnte seit Ende det 80et Jahre im Prinz-Max- Palais aus Platzgtünden nicht mehr gezeigt werden - waren dem vor~ngegangen. Heute, knapp anderthalb Jahre nach dieser denkwür- digen Eröffnung, ist es an der Zeit, eine vor- läufige Bilanz zu ziehen. Dies umso mehr, als die Städtische Galerie im September 1998 mit der Präsentation ihrer ersten Sonderausstel- lung "Deutsche Künstlerkolonien 1890-1910" im neuen Hause an ihr Ausstellungsprogramm wieder anknüpfte, und das mit großem Erfolg. Mit der Verlegung det Städtischen Galerie aus dem Prinz-Max-Palais in den Hallenbau hatte sich ein Programmwechsel sowohl in der Geschichte der Galerie als auch in der Kultur- politik der Stadt vollzogen. Als direkter Nach- bar und unter einem Dach mit dem ZKM und dessen zwei Museen, sowie der Hoch- schule für Gestaltung und künftig auch dem Sammlermuseum ist die neue Städtische Ga- lerie im Hallenbau nunmehr Teil eines En- sembles von Institutionen geworden, die den 32 Bürgern und Bürgerinnen ein ungewöhnlich breites wie faszinierendes Spektrum an Kunst, Kultur und Medien bieten. Diese facettenrei- che Bündelung von hochkarätiger Kunst und Medien an einem Ort ist europaweit einmalig! So ist die neue Städtische Galerie nicht mehr das solitäre "Juwel im Herzen der Stadt", son- dern eine gewichtige Stimme im Chor der In- stitutionen im Hallenbau A, wobei sie mit ihren Sammlungen von badischer Kunst seit 1850, deutscher Kunst nach 1945 und der hochrangigen, im internationalen Leihverkehr äußerst begehrten Sammlung Garnatz den mehr traditionell orientierten Grundakkord bildet. Das eigene Profil der Städtischen Gale- rie wird umso deutlicher, je mehr in den be- nachbarten Lichthöfen des ZKM vorwiegend Medienkunst geboten wird. Insgesamt geht es darum, ein möglichst pluralistisches wie span- nungsreiches Angebot zu machen, sodass die Besucher, von Lichthof zu Lichthof wech- selnd, in die unterschiedlichsten Erfahrungs- welten moderner Ästhetik eintauchen können. Neues Umfeld Dieses fruchtbare Nebeneinander der Kunst- und Kultureinrichtungen im Hallenbau A mit seinen unterschiedlichen inhaltlichen Schwer- punkten nimmt der Besucher wahr, wobei für ihn die verschiedenen Trägerschaften irrele- vant sind. Mit dem Begriff ZKM ist zumeist der Hallenbau A als ganzer gemeint und nicht speziell das Zentrum für Kunst und Medien- technologie, das sich mit seinen Museen und Forschungs-Eintichtungen in den Lichthöfen 6 bis 9 zwischen Städtischer Galerie (Lichthof 10) und Hochschule für Gestaltung (Lichthö- fe 3 bis 5) befindet. Eine durchgängige Erleb- nisachse durch die Lichthöfe im I. OG wird künftig die Einheit noch unterstreichen. Die unmittelbare Nachbarschaft von Städ- tischer Galerie und ZKM-Museen hat sich bisher als außerordentlich positiv erwiesen. Auch nach dem naturgemäßen Abflauen der Besucherströme nach der Eröffnung 1997 wurden im Jahr 1998 rund 20.000 Eintritts- karten verkauft, die sowohl den Besuch der ZKM-Museen als auch den der Städtischen Galerie umfassten. In dieser Zahl sind jene 17.000 Besucher nicht enthalten, die bis zum Jahresende 1998 speziell wegen der Son- derausstellung "Deutsche Künstlerkolonien 1890 -1910" gekommen waren und sich bei dieser Gelegenheit oft auch die Schausamm- lung in den oberen Geschossen ansahen. Auf- grund des Ansturms im Januar 1999 konnten für diese Sonderausstellung schließlich über 25.000 Besucher verzeichnet werden. Mit dem restlosen Ausverkauf des Katalogs zur Ausstellung "Deutsche Künstlerkolonien" bei einer Auflage von 4.000 Exemplaren brach die Städtische Galerie sämtliche diesbezügliche Rekorde ihrer Geschichte. Insgesamt hat sich die Situation der Städ- tischen Galerie im Hallenbau A, Lichthof 10 grundlegend verbessert. So hat sich die Aus- steUungsfläche etwa verdreifacht, ist die Schau- sammlung dauerhaft präsent, sind auch Tech- nik-, Verwaltungs- und Depotbereiche groß- zügig bemessen und ausgestattet, steht eine eigene Fläche für Sonderausstellungen zur Verfügung. Als sinnvoll und äußerst nützlich erweist sich der Vorrragsraum (das so genannte Forum) im Erdgeschoss. In dem etwa 200 qm großen Raum können - wie schon des öfteren erfolgreich erprobt - Sonderveranstaltungen unterschiedlichster Art dutchgeführt werden. So fanden hier parallel und in Ergänzung zur Ausstellung "Deutsche Künstlerkolonien" 33 Vorträge, ein Literatur- und Konzertabend sowie ein abschließendes Symposion statt. Darüber hinaus diente er als angemessener Rahmen für außergewöhnliche Ereignisse wie die Übergabe des "Hanna-Nagel-Preises", der von den fünf Karlsruher Präsidentinnen gestif- tet wurde, oder die Feier aus Anlass des ersten Spatenstichs der Landeszentralbank Baden- Württemberg, deren Neubau in direkter Nach- barschaft zur Städtischen Galerie entsteht. Der sehr vielseitig zu nutzende Raum wird künftig auch Dritten auf Mietbasis mit Dienstleis- tungsangebot zur Verfügung gestellt werden können. Neue Planungen Um das Haus lebendig und arrraktiv zu hal- ten, sind erfahrungsgemäß immer wieder zu- sätzliche interessante Angebote und Ereignisse notwendig. Hierzu bietet die besondere Struk- tur der Lichrhof-I O-Architektur ausgezeichne- te Möglichkeiten, wobei die ausstellungsspezi- fische Gestaltung der offenen Fläche bei jeder neucn Präsentation eine immer wieder neu zu lösende Aufgabe darstellt. Für die kommen- den Jahre hat die Städtische Galerie ein spek- treneeiches Sonderausstellungsprogramm avi- siert, das von monographischen Präsentationen wie die Retrospektive zu Willi Müller-Huf- schmid über internationale zeitgenössische Kunst zum Thema "Herausforderung Tier - von Beuys bis Kabakov" (aus Anlass der Euro- päischen Kulturtage 2000) bis hin zu "Ernil Nolde" reicht. Darüber hinaus werden die zusätzlichen Kulturangebote, die bereits im Prinz-Max-Palais eine programmatische Rolle spielten, wie Konzerte, literarische Lesungen, Vorträge sowie Performances fortgesetzt und erweitert und neue, gut angenommene Aus- stellungs- bzw. Veranstaltungsreihen wie der "Bildwechsel" oder "Kunst - gesehen von Künstlern" weitergeführt. Dem Aufbau einer museumspädagogischen Abteilung gilt die verstärkte Aufmerksamkeit. Bei all diesen Pro- jekten kommt der bereits vielfach erprobten Kooperation immer wieder zentrale Bedeu- tung zu, so mit Museen in- und außerhalb Karlsruhes, der Musikhochschule, dem Badi- schen Konservatorium, der Universität, der Kunstakademie, der Jugendkunstschule, den Schulen, dem Badenwerk und nicht zuletzt natürlich auch mit dem ZKM. Mit letzterem ist geplant, mittels gemeinsamer Ausstellun- gen spezifische Themen in den unterschiedli- ehen Medien zu reflektieren. Als klein, aber erlesen und fein hat sich der vom Förderkreis der Städtischen Galerie eingerichtete Muse- umsshop erwiesen. Nach anderthalb Jahren Städtische Galerie im Lichthof 10 lässt sich bi- lanzieren, dass der neue Standort im Hallen- bau A mit seinen Möglichkeiten und Synergi- en ein Chancen potential beinhaltet, das es nach dem vielversprechenden Anfang weiter auszubauen gilt. ERIKA RODlGER· DlRUF Einblicke in die Karlsruher Baugeschichte Ergebnisse der bauhistorischen Analyse des "Seilerhäuschens " Im vergangenen Herbst konnte im Rahmen des Aufbaustudiengangs Altbauinstandsetzung an der Universität Karlsruhe mit der Untersu- chung des Seilerhäuschens in der Kaiserstraße 47 ein besonderer Einblick in die Karlsruher Stadtgeschichte gewonnen werden. Die Ana- lyse der Bausubstanz und ihrer geschichtlichen Entwicklung war außerordentlich aufschluss- reich, besonders zur bautechnischen Realisie- rung der Modellhausgrundrisse in der Grün- dungszeit der Stadt, aber auch zu den Ent- wicklungsstufen, die ein Handwerkerhaus im Laufe von 276 Jahren durchgemacht hat. Eine Bestimmung des Fälldatums der in dem Haus verwendeten Holzbalken (dendrochronologi- sehe Datierung) ermöglichte schon vor eini- gen Jahren die Festlegung der Bauzeit auf das Jahr 1723. Die stärksten Eingriffe in die his- torische Bausubstanz haben erst Mitte der 1990er Jahre stattgefunden, so dass jetzt einer- seits größere Teile der Ausstattungs- und Nut- zungsspuren der jüngeren Epochen zerstört sind, andererseits aber auch die (weitgehend 34 erhaltene) ursprüngliche Bausubstanz "wie ein offenes Buch" daliegt. Die Volkswohnung, die das Baudenkmal durch Kauf vor dem Ab- bruch rettete, ermöglichte den Studentinnen und Studenten mit der Erforschung eines der Häuser aus der Gründungszeit Karlsruhes eine besondere Erfahrung. Von den für die Erhaltung notwendigen Voruntersuchungen sind die ersten Schritte getan. Es gibt ein formgetreues Aufrnaß, das das Architekturbüro Crowell & Crowell aus Karlsruhe 1994/1995 angefertigt hat, und ei- ne Altersbestimmung des Bauholzes. Es gibt eine Schadenskartierung von 1996, bei der das Holzgerüst mit dem Bohrwiderstandsmessver- fahren vom Büro Rinn & Fischer aus Heidel- berg untersucht wurde. Von der Volkswoh- nung wurde in den ersten Monaten nach der Erwerbung das Bauaufrnaß der Flügelbauten erstellt und eine umfassende Fotodokumenta- tion mit dem notwendigen Orientierungs- system angefertigt. Darüber hinaus wurden gründliche Vorüberlegungen für die Einpas- sung einer denkmalverträglichen Nutzung im Sinne einer Fortschreibung der Geschichte des Baudenkmals entwickelt, deren Ansatz und Zielrichtung befürwortet werden können. Spuren lesen Ziel der Untersuchung der Bausubstanz war, durch das Spurenlesen vor Ort die Bauent- wicklung nachzuvollziehen. In Baualtersplä- nen wurde jedes Bauteil in der Folge seines Einbaus farbig gekennzeichnet. Durch die Auswertung stadthistorischer Literatur und alter Akten, Pläne und Ansichten wurde die Bedeutung des Objekts und sein Bezug zur Stadtentwicklung ermittelt und dargestellt. Die Funktionen der Räume in verschiedenen Nutzungsphasen anhand der sichtbaren Spu- ren wurden dargestellt, Konstruktion, Bauma- terial und Bautechnik beschrieben und den einzelnen Bauphasen zugeordnet. Anhand der Spuren wurde die Grundrissentwicklung, die Raumstruktur im Wandel der Zeit dargestellt. Auch die Beschreibung des Erhaltungszustan- des unter historischem Gesichtspunkt ist eine wichtige Voraussetzung für ein Instandset- zungskonzept. Beispielhaft wurde eine Erfas- sung der wichtigen historischen Fenster in Form eines "Fensterbuchs" erarbeitet. Bemer- kenswert war dabei die Anzahl verschiedener Fensterkonstruktionen, die im Laufe der Zei- ten bei diesem Gebäude immer dort eingebaut wurden, wo ein ganzer Bautei! auszutauschen oder wo ein Fenster schadhaft war. Neben ein- zelnen Fenstern aus dem 18. Jahrhundert, möglicherweise aus der Bauzeit von 1723, aber auch aus der zweiten Phase von 1750-1770, aus der Zeit um 1790 und einer ganzen Reihe von Fenstern, die auf grund ihrer Konstrukti- on arn ehesten auf um 1810-1820 datiert wer- den müssen, lassen ebenso wie die jüngeren Fenster und die Reparaturen an den histori- schen Fensteranlagen eine .Karlsruher Hand- 35 werksgeschichte des Fensterbaus" an einem Bauwerk nachvollziehbar werden. Zur Ban- und Umbaugeschichte Nach der Errichtung im Jahre 1723 gab es erst 1880 größere Veränderungen auf dem Grund- stück, die beim Ursprungsbau aber mit gerin- gen Eingriffen realisiert wurden. Bis heute ist dieser Ende des 19. Jahrhunderts geschaffene Zustand im Wesentlichen prägend geblieben. Die wichtigsten Stufen der Baugeschichte des Hauses sollen jetzt an Hand der vorhandenen Bausubstanz kurz dargestellt werden: Ein Bürgerhaus von 1723 Den schon vor einigen Jahren durchgeführten dendrochronologischen Untersuchungen des Bauholzes zufolge wurden die Stämme im Winter 1722 geschlagen, das Gebäude folglich im Sommer 1723 errichtet. Die wenigen im Sommer 1723 gefällten Hölzer stellen eine Ergänzung während des Bauprozesses dar. Das Bürgerhaus wurde eingeschossig mit einem Mansarddach errichtet, so dass das Oberge- schoss gegenüber dem Erdgeschoss nur unwe- sentlich eingeschränkte Räume bot. Die Nut- zungsspuren lassen eindeutig zwischen ver- schiedenen Raumgruppen unterscheiden. Ne- ben den Erschließungsbereichen und den Feu- erstellen, die gleichzeitig als Küche und Heiz- stelle für die Hinterladeröfen auf der Rückseite der Herdwände dienten, gibt es die geheizten Wohntäume (Stuben) und die ungeheizten Räume (Kammern), die generell eher als Schlaf- oder Lagerräume dienten. Die Fachwerkwände und das Dachwerk wurden aus Nadelholz gezimmert, die Ausfa- chungen mit einem Flechtwerk aus Staken und Ruten verschlossen und mit einem gro- ben Stroh·Lehrn-Gemisch ausgefüllt. Die De- cken erhielten eine Füllung aus Wellern, die in Stube im Obergeschoss mit Fachwerk und Lchmausfachun- gen von 1723. Vor der sch rägen Wa nd des ursprünglichen Mansarddaches wurde nach der neuen Bauvorschrift von 1752 eine Fachwerkwand auf dem unteren Riegel der äbe- ren Konstruktion aufgesetzt (Aufnahme November 1998). eine mittig eingeschlagene Nut eingeschoben wurden, nachdem sie mit Stroh und Lehm umwickelt worden waren. Nach dem Aus- trocknen des Lehms, wohl erst im Frühjahr 1724, wurden die Gefache bündig mit einem feinen Kalkputz überzogen, wobei in diesem Arbeitsgang auch die Schwundrisse zwischen Holz und Lehm ausgefüllt wurden. Fenster und Türen waren als Teil der hölzernen Aus- stattung schon im ersten Arbeitsgang eingebaut worden, was unter anderm daran zu beobachten ist, dass hinter den (bis auf wenige Ausnahmen jüngst verlo- renen) Türrahmungen keine Kalkspuren zu 36 beobachten sind. Nach dem Verputzen der Ausfachungen wurden die Wände flächig mir Kalkfarbe überstrichen, so dass einheitliche Flächen entstanden. Eine nene Fassade nach 1752 Die auffalligste Umgestaltung ist die Anpas- sung der ehemals eingeschossigen Fassade im Sinne der Bauvorschrift von 1752, nach der Bürgerhäuser zweigeschossig zu errichten sei- en. Bis erwa 1770 wurden auch Anpassungen älterer Fassaden an die neuen Modellvorschrif- ten bezuschusst, so dass der Zeitraum für diese Modernisierung mir 1752-1770 gut um- schrieben ist. Bautechnisch wurde die Maßnahme hier - wie auch bei WaIdstraße 5 - mit geringem AufWand realisiert: Statt der vier Gauben in der unteren. steileren Dach- fläche des Mansarddaches wurde auf der Brüs- tungshöhe der Fenster ein durchgehendes senk- rechtes Fachwerk aufgesetzt. Die Fenster konn- ten bleiben, die Gefache dazwischen wurden mit Flechrwerk und Lehm verschlossen. Neuausstattung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die große Stube im Ergeschoss wurde voll- ständig neu ausgestattet. Sie erhielt einen or- namentierten Fußboden aus Eichenrahmen und Nadelholzfelderungen, eine umlaufende hohe Fußleiste mit einer erhabenen Haupt- fläche und einer profilierten oberen Abschluss- leiste, neue Füllungstüren mit profilierten Bekleidungen. Die bis dahin lediglich überstri- chenen Fachwerkwände wurden über Rohr- gewebe mit Kalkputz überputzt, die Decke wurde von einem profilierten Stuckgesims ge- rahmt. Fast unverändert ist dieser Raum bis heute erhalten. Nur als die Küche um 1880 verlegt wurde. versetzte man die Tür an die Stelle der alten OfensteIle. Veränderungen um 1880 Statt des in einem Bauantrag von 1880 vorge- sehenen dreigeschossigen Anbaus im Hof wurde ein zweigeschossiger errichtet. Im Hin- blick auf die Schiefstellung des Vorderhauses ist die Beobachtung besonders bemerkens- wen, dass die Serzung des Hauptgebäudes zu diesem Zeitpunkt offenbar schon abgeschlos- sen war: der Flügel von 1880 nimmt in der Konstruktion auf die Serzung des Vorderhau- ses von 1723 Bezug, der Zwickel zwischen Haupchaus und Flügel zeigt bis heute die glei- chen Backsteine und den gleichen Mönel wie die übtigen Wände des Flügelbaus. Im Vorder- haus wurde ein Laden mit einem großen Schaufenster eingebaut, die Küche in den al- ten Flur verlegt, die Treppe aus diesem Flur nach außen in den Hof umgesetzt, so dass man jerzt das Obergeschoss unabhängig vom Erdgeschoss benutzen konnte. Das Fenster von erwa 1800, das an der Stelle des Schau- fensters gesessen hatte, wurde nicht fongewor- fen, sondern in einem Anbau an den Flügel- bau wieder eingebaut. Hier konnten die Stu- denten das gut erhaltene Fenster in seinen Maßen und Proponionen mit den anderen Fenstern der Straßenfassade vergleichen. Durch die Bauanträge belegt ist für diesen Zeitraum auch die Errichtung der Seilerei in der südöstlichen Hofecke. Reste dieses bis in die 90er Jahre dieses Jahrhunderts weitgehend mit ursprünglicher Ausstattung erhaltenen Gebäudes wurden bei einer Neuverzimme- rung um 1995 wiederverwendet. Ein Dokument der Stadtgeschichte Für die Stadtgeschichte Karlsruhes stellt das Seilerhäuschen in der Kaiserstraße 47 ein ein- zigartiges Zeugnis der Bau- und Lebensfor- men der ersten Bürgergeneration dar. An der Einfahrtsstraße von Durlach zum Durlacher 37 Tor gelegen, kam dieser Häuserzeile eine gro- ße Bedeutung zu, wenn man Gästen des Herr- schaftshauses oder neuen Siedlern das Wach- sen der 1715 gegründeten Stadt anschaulich machen wollte. Neben dem unschätzbaren Wert als Originalquelle, die den Grundriss, die Nurzung, die Bautechnik und die Ausstattung aus der Gründungszeit der Stadt dokumen- tien und überliefen, stellt die Folge der Um- und Anbauten gleichermaßen eine Baubiogra- phie eines Handwerkerhauses über fast 300 Jahre dar. Der Chana von Venedig von 1964 folgend gehören auch die aus der Wandlung der Nurzung erwachsenen baulichen Eingrif- fe im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zu den schü[zenswerten Geschichrsspuren. Die Feststellung, dass das Haus 47 in der Kaiserstraße ein einziganiges Dokument der Bau- und Lebensweisen der Bürger der Stadt zur Zeit der Gründung Karlsruhes darstellt, bedeutet darüberhi.naus selbsrverständlich nicht, dass es keine Anpassungen an moderne Bedürfnisse geben dürfte, sondern formulien vielmehr den Anspruch, dass das hochkaräti- ge Bauwerk entsprechend hochkarätig zu be- handeln sei. Sowohl was die Intensität der Voruntersuchungen angeht, als auch was die behutsame und respekrvolle Art aller Repara- turen, als auch die Qualität der Einfügung neuer Bauteile betrifft, hat die Volkswohnung mit ihren ersten Schritten gezeigt, dass sie bei der Instandserzung und Modernisierung höchs- te Ansprüche verfolgt. HOLGER REIMERS Politische Polizei in Karlsruhe zwischen Demokratie und Diktatur Wie die NS-Herrschaft in Baden begann? Am Tag, nachdem Roben Wagner von Reichs- innenminister Wilhelm Frick zum Reichs- kommissar ernannt und nach Baden entsandt worden war, belagerten SA- und SS-Einheiten in machtvoller Demonstration das Karlsruher Innenministerium am Schlossplatz. Annä- hernd 3.000 Männer waren zusammengezo- gen worden. Man schrieb den 9. März 1933: Die "Machtergreifung" in der Provinz war in vollem Gange. Neue "Führer", neue Aufgaben Da der Polizei im nationalsozialistischen Staat eine besondere Bedeutung zukommen sollte, wurden führende Positionen innerhalb der Polizei schon bald neu besetzt. Karl Pflaumer wurde in einer Art Sonderstellung als Perso- nalreferent der gesamten badischen Polizei vo- rangestellt. Gau SA-Führer Hanns Ludin wur- de zum kommissarischen Polizeipräsidenten Karlsruhes ernannt und löste dami t den bishe- rigen Amtsinhaber Paul Haußer ab. An die Stelle der Majors der Ordnungspolizei Erich Blankenhorn trat der Wagnerhörige Major Franz Vaterrodt, der seine Untergebenen wis- sen ließ, dass nur noch diejenigen einen Platz in der Polizei finden könnten, "die gewillt sind, am Wiederaufbau unseres Vaterlandes freudig mitzuarbeiten. " Ferner sollten der staatlichen Polizeiverwaltung SA- oder SS- Führer als Verbindungsleute zugeteilt werden, um gemeinsam mit der neu geschaffenen "Hilfspolizei" dafür zu sorgen, dass die NS- Herrschaft über kurz oder lang konsolidiert werden konnte. Und was geschah mit der Po- litischen Polizei? 38 Bislang wurde ihrem Schicksal zwischen März und Oktober 1933 nur wenig Aufmerk- samkeit zuteil. Das nimmt Wunder. War es doch gerade die Politische Polizei, die per Dienstbefehl in professioneller Opposition zur NS-Bewegung stehen musste. Als Staatsschutz- organ war sie einst eingesetzt worden, um die junge Republik gegen links- und rechtsextre- me Feinde zu verteidigen. Bis März 1933 hat- ten die Beamten des Karlsruher Landespolizei- amts, in das die Politische Polizei als Abteilung "N" integriert war, den Auftrag, die NS-Bewe- gung zu überwachen. Und nun? Nun harrten sie der Dinge, die da kom- men sollten. Am 9. März 1933 versammelte man sich in den Büroräumen der Karlsruher Dienststelle im Gebäude des Polizeipräsidiums am Marktplatz. Nur zwei Beamte waren nicht anwesend. Der offizielle Behördenleiter und Karlsruher Polizeipräsident Pau! Haußer war, wie erwähnt, nicht mehr im Amt; ein Kollege hatte sich krank gemeldet. Hermann Ramspe- ger, Abteilungsleiter des Erkennungsdienstes und zur Kooperation mit den neuen Macht- habern bereit, hielt als kommissarischer Be- hördenchef den Kontakt nach draußen. Eine von Reichskommissar Wagner instruierte De- legation war währenddessen auf dem Weg, um bei der Politischen Polizei nach dem "Rech- ten" zu sehen. Karl Sauer, langjähriges Partei- mitglied und ausgewiesener Nazispitzel, wur- de beauftragt, gemeinsam mit einem SA-Kol- legen dafür zu sorgen, dass keine Aktenstücke oder Karteimaterial vernichtet oder entfernt wurden. Er erinnerte sich später: "Bei unserem Eintreffen [ .. . ] versicherten die Beamten, die alle in einem Zimmer zusammen waren, daß keinerlei Akten vernichtet worden sind und daß auch keinerlei Absicht bestehe bzw. kei- nerlei Befehle vorliegen, Akten zu entfernen. Die Schränke wurden verschlossen und die Beamten aufgefordert, nach wie vor ihren Dienst weiter zu versehen. [ ... ] Diese Nacht verbrachte ich gemeinsam mit [einem SA- Kollegen] und zwei Beamten der Politischen Polizei, die sich ablösten, in den Büroräumen der Abt[eilungl N. Zu diesem Zwecke hatten wir vom Ministerium Pistolen erhalten," Nachdem die Politische Polizei in KarlStu- he auf solche ehet unspektakuläre Art über- nommen war, begann in den darauf folgenden Wochen eine Hetze gegen alle ehemals repub- likfreundlichen Beamten, so jedenfalls wollten es die Zeitgenossen erlebt haben. Die Natio- nalsozialisten drohten damit, ein umfängliches Personalrevirement in die Wege zu leiten. In den NS-Organen wie dem "Führer" wurden die "polemische Agitation" forciert und "Ein- schüchterungskampagnen" gezielt lanciert. Zieht man die in dieset Hinsicht allerdings unvollständigen Badischen Beamtenkalender vor und nach 1933 zum Vergleich heran, so fallt auf, dass nach der "Machtergreifung" eine wesentlich veränderte Namensliste für das Karlsruher Landespolizeiamt ausgewiesen wird. Wurde das Personal der Politischen Po- lizei Karlsruhes also tatsächlich in großem Stil ausgetauscht? Stimmt es, dass "nur drei Beam- te des mittleren Dienstes [ ... ] ihre Tätigkeit nach 1933 fortSetzen" konnten? Alte Stamm-Mannschaft Unter Berücksichtigung von Personalakten der einstigen Mitarbeiter det Politischen Poli- zei (und späteren Angehörigen der Gestapo) ergibt sich indessen ein etwas anderes Bild. Demnach hat die Mehrheit der Politischen Polizeibeamten Badens die nationalsozialisti- sche "Machtergreifung" und die ihr folgende, vermeintliche "Säuberung" in dienstlicher 39 Hinsicht nahezu unbeschadet überstanden. In Karlsruhe wurde kein einziger Mitarbeiter dauerhaft aus seinem Beschäftigungsverhältnis entlassen. Die meisten Beamten blieben an ihren Schreibtischen und wurden mit Grün- dung der badischen Geheimen Staatspolizei im Oktober 1933 in die vordergründig nur umbenannte Behörde übernommen. Die aus- schnitthaften Auflistungen der Badischen Be- amtenkalender suggerieren einen Bruch in der personellen Besetzung der Karlsruher Behör- de, den es in diesem Ausmaß gar nicht gege- ben hat. In der Karlstuher Zentrale der Politischen Polizei arbeiteten während der Weimarer Re- publik zehn Beamte: neben dem Leiter und dessen Stellvertreter noch zwei Verwalrungsbe- amte, ein Stenograph sowie fünf Ermittlungs- beamte, wovon wahrscheinlich zwei votnehm- lieh mit abwehrpolizeilichen Aufgaben betraut waren. Von diesen zehn Beamten wurde im Laufe des Jahres 1933 nur ein einziger versetzt, und zwar der Leiter August Schneider, dem bereits am 9. März verkündet wurde, dass er fortan von seinem Dienst suspendiert sei. Mochten die anderen das Schicksal ihres Chefs als bedrohliches Exempel empfinden oder von der Legitimität der "nationalen Erhe- bung" sogar überzeugt sein: Zwischen notge- drungenem Mitmachen und begeistertem Einschwenken wird man die Motive jener Beamten suchen müssen, die auch unter dem Nationalsozialismus zur treuen Dienstleistung bereit waren. Die alte Politische Polizei bildete den Per- sonalstamm der späteren Gestapo. Auf ihre Kenntnisse wollte man nicht verzichten. Ge- rade bei der Verfolgung der Kommunisten und Sozialisten, die unmittelbar nach der "Machtergreifung" begann, nahmen ihre be- tufserfahrene Beamten deshalb wichtige Posi- tionen ein. Nicht nur der Karlsruher Jacob Münch konnte auf eine mehrjährige Erfah- rung bei der Überwachung linksextremer Par- teien während der Weimarer Republik zurück- blicken. Der 1877 im rheinpfälzischen A1trip geborene Beamte gehörte seit Gründung dem Badischen Landespolizeiamt an und galt als einer der bewährtesten Mitarbeiter. Nach 1933 wurde ihm die Leitung der Abteilung "Poli- tische Überwachung" übertragen. ein Amt. das er mit reichlich Zynismus und Brutalität zu führen verstand. Auch sein Kollege Hein- rich Hörner. seit September 1919 bei der ba- dischen Fahndungspolizei. prahlte später mit seinen Vorkenntnissen und behauptete. der .. wichtigste Mann" der Karlsruher Gestapo zu sein. An die Seite von Münch. Hörner und den anderen altbewährten Beamten wurden aller- dings weitere Kräfte gestellt. so dass von Be- ginn an kein Zweifel an den Absichten der Na- rionalsozialisten aufkommen konnte. Für exe- kutive Aufgaben setzte man nun die vornehm- lich aus SA- und SS-Männem rekrutierte HilfS- polizei ein. die in Kooperation mit kriminal- oder ordnungspolizeilichen Kräften zwischen März und September 1933 tätig wurde. Ins- besondere die Hilfspolizei antizipierte dabei mit ihren brutalen Verfolgungsmethoden die Praxis der späteren Gestapo. umso mehr. als etliche Hilfspolizisten. wie zum Beispiel der spätere Mörder an Ludwig Marum. Karl Sau- er. später selbst in die Gestapo aufgenommen werden sollten. Der Keller des Polizeipräsidi- ums am Marktplatz diente 1933. nur drei Stockwerke unter der alten Politischen Polizei. als Folterkammer der Hilfspolizisten. Auf dem Weg zur Gestapo Unterdessen war die regionale NS-Führung. allen voran Reichskommissar Robert Wagner. darum bemüht. die badische Polizei neu zu ordnen. Auf der Grundlage der alten institu- tionellen Voraussetzungen sollte eine Polizei 40 geschaffen werden. die aus der bisherigen Ver- antwortung gegenüber staatlichen und staats- anwaltschaftlichen Institutionen herauszulö- sen war. Mit der Ausarbeitung der entspre- chenden Konzepte. die zum Teil kontrovers zwischen Innen- und Justizministerium debat- tiert wurden. beauftragte man einen ausgewie- senen Fachmann: August Schneider. Nach sei- ner. wie sich jetzt herausstellte. vorübergehen- den Dienstsuspendierung war man auf den Sachverstand des ehemaligen Leiters der Poli- tischen Polizei angewiesen. Seine frühere Be- tätigung spielte offenbar keine Rolle mehr. im Gegenteil. Schneider wurde gerade .. auf grund [sleiner mehrjährigen Beschäftigung mit kri- minalpolizeilichen Angelegenheiten" für die- se Aufgabe auserwählt. Das von Schneider am Ende erarbeitete Gesetz über die Landeskrimi- nalpolizei ( .. Landeskriminalpolizeigesetz") sah in seiner Zusatzverordnung auch die Schaf- fung des Geheimen Staatspolizeiamts vor. Damit schließt sich der Kreis: Aus der Po- litischen Polizei der Demokratie war die Ge- heime Staatspolizei der NS-Diktatur gewor- den. Die insgesamt große personelle wie insti- tutionelle Kontinuität innerhalb der Politi- schen Polizei erleichterte den Übergang. Bei der gesetzlichen Neugliederung der fortan Geheime Staatspolizei genannten Behörde konnte man auf die bestehenden institutionel- len Strukturen des Landespolizeiamts und das Fachwissen des einstigen Leiters der Politi- schen Polizei zurückgreifen. Und bei der Rek- rutierung des Gestapopersonals sollten die alten diensterfahrenen Beamten den ersten Grundstock bilden. MICHAEL STOLLE "Die Versammlung verlief entsprechend den stürmischen Zeitverhältnissen" Ein bisher unbekanntes Kapitel Karlsruher Stadtgeschichte wurde im Sommer 1998 durch eine Schenkung von Frau Ursula Büch- ner aus Karlsruhe an die Stadt aufgeschlagen. Es geht hierbei um den Bürgerstammtisch "Zeppelingemeinde", von dem das Stadtarchiv und das Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais nun Gegenständliches und schriftliche Unter- lagen erhielten. Beide Bereiche ergänzen ein- ander und geben einen anschaulichen Ein- blick in die internen Angelegenheiten und eine Vorstellung von den Zusammenkünften dieses Stammtischs, der in den zwanziger und dreißiger Jahren in der traditionsreichen Gast- stätte "Graf Zeppelin" tagte. Nahezu jeden Monat wurde hier eine "Bürgerversammlung" der Zeppelin gemeinde abgehalten, über deren Verlauf die handschriftlich gefuhrten Berich- te und Protokolle vom Dezember 1923 bis August 1936 Aufschluss geben. Ganz sicher kam bei diesen Versammlungen die unter ei- nem 20 cm hohen Baldachin hängende Ttsch- glocke zum Einsatz, die über eine Metallkette, befestigt an einer schlüsselförmigen Halte- rung, betätigt wurde. So möglicherweise bei der Sitzung am 31. Mai 1924, deren Verlauf laut Protokoll "ganz den stürmischen Zeirver- hältnissen" entsprach. Ein Blick in die "Badi- sche Presse" gibt Aufschluss über die damali- gen stürmischen Zeirverhältnisse. Nach den Reichstagswahlen vom 4. Mai 1924, die in Karlsruhe das Zentrum gewonnen hatte und aus denen die KPD und Nationalsozialisten gestärkt hervorgegangen waren, fanden in Ber- lin die Verhandlungen über die Regietungsbil- dung statt. Im Saarland verschärfte sich zu- nehmend die Wirtschaftskrise, und schwere Kämpfe waren nach Einschätzung der "Badi- 41 sehen Presse" unabänderlich. In Karlsruhe fand derweil eine Proresrversammlung der hie- sigen Beamrenschafr gegen die neuen Besol- dungspläne der badischen Regierung statt. Die Bürgerversammlung vom April 1924 war laut Protokoll "angeregt" verlaufen und von Bürgermeister Ludwig Klipfel zu vorge- rückter Stunde mit der Bitte beendet worden, sich künftig möglichst kurz zu fassen, damit auch für den gemütlichen Teil des Abends Zeit verbleibe. Der gemütliche Teil der Sitzung vom 29. März 1924 hatte fur 'die anwesenden Bürger eine überraschung gebracht, denn die Zeppelin-Wirtin Frau Lorenz hatte mit einem Nachtessen aufgewartet, für das ihr im Proto- koll nochmals ausdrücklich gedankt wurde. Bürgermeister und Gemeinderat, Bürger- versammlung, Gemeinderechner und Ge- meindediener - der Bürgerstammtisch "Zep- pelingemeinde" war gemeindemäßig organi- siert und verwaltet, und der Bürgermeister besaß eine Amtskette. Viele Jahre war der schon erwähnte Ludwig Klipfel, Blechner- " L~'r' und Installateurmeister aus der Körnetstraße 12. Bürgermeister der "Zeppelingemeinde". Sein Name mit Berufsangabe. Adresse und Te- lefonnummer bildet eines der Emailschilder. die auf dem sechseckigen Aschenbecher der "Zeppe!ingemeinde" angebracht sind. Auch der Mineralwasserfabrikant Anton Hanauer 42 aus der Goethestraße 26. der Damen- und Herrenfriseur Alex Frank aus der Sofienstraße 154. Kunst- und Bauschlosser Matthäus Teu- fe! aus der Goethestraße 17. Schreiner und Glasermeister Heinrich Engel aus der Yorck- straße 17 und Metzger Leopold Frank aus der Hirschstraße nahmen eine besondere Stellung in der "Zeppelingemeinde" ein. Ihre Namen. ebenfalls mit Beruf, Adresse und Telefonnum- mer. bilden die restlichen Emailtäfelchen des Aschenbechers. dessen Haltegriff ein Zeppe- lin-Luftschiff darstellt. Weltzien-. Yorck-. Sofien- und Körnerstra- ße. Gutenberg-. Goethe-. Draissttaße und Kaiserallee lauten die in der Weststadt gelege- nen Wohnadressen der Stammtischmitglieder. Zwei Personen wohnten in Mühlburg. in der Bach- bzw. Brahmsstraße und zwei Personen kamen aus der Südstadt. Dies geht aus dem Mitgliederverzeichnis der "Zeppelingemein- de" aus dem Jahr 1929 hervor. Es gibt außer- dem Aufschluss über die Altersstruktur der Stammtischmitglieder. Das Gros der damals 37 Mitglieder zählenden Gemeinde war 48 bis 58 Jahre alt. Jüngster war der 31-jährige Metz- germeister Leopold Frank. ältestes Mitglied war 1929 der 75-jährige Schreinermeister Gustav Maurer aus der Körnerstraße. Und was befand sich im "Geheimarchiv" der Zeppelingemeinde? Dies wird wohl ge- heim bleiben. Sichtbar ist auf jeden Fall das 80 cm hohe. 50 cm breite und 24 cm tiefe ab- schließbare Holzschränkchen mit zwei Innen- fächern. in dem das "Geheimarchiv" unterge- bracht war. Welche Funktion hatte das schwe- re. 10 cm hohe Holzkästchen mit Intarsien. eingelassener Vertiefung und dazugehörendem holzgriffartigem Verschluss? War es ein Brief- beschwerer oder eine Schnupftabakdose? Dass der Stammtisch schon vor dem Ers- ten Weltkrieg bestanden hat. geht aus der Sammlung von Feldpostkarten aus den Jahren 1914 bis 1918 hervor. die ebenfalls erhalten geblieben ist. Die Postkarten sind an den "Stammtisch zum Grafen Zeppelin" Ecke Yorck- und Sofienstraße adressiert und an die "liebe Gemeinde". die "werten Freunde" oder sogar an den "verehrlichen Stammtisch" ge- richtet. Auch in späteren Zeiren hielten die Gemeindemitglieder bei Abwesenheit den Kontakt zum Stammtisch aufrechr. Postkarten aus dem Urlaub. aus einer Kur oder von einem Familienausflug belegen dies. Die Adresse ist unverändert geblieben. die Postkarten sind nun aber häufig an die "lieben Bürger" gerich- tet und die Schreiber grüßen oftmals mit "Euer Bürger". Am 4. August 1937 sandte der damalige "Bürgermeister" August Fromm. aus "der schönsten Stadt Deutschlands" eine Post- karte vom Opernhaus in Dresden an die Zep- pelingemeinde. Er hatte seinen Besuch in Dres- den offensichtlich mit der Teilnahme am 12. deutschen Sängerbundesfest verbunden. Be- reits am 31. Juli 1937 hatte Bürgermeister Fromm vom Sängerbundesfest eine Postkarte von der Dominsel in Breslau an die ..lieben Bürger" gerichtet. Ratschreiber Stanislaus Heck entschuldigte sich sogar auf seiner Urlaubskar- te aus Rangendingen in Hohenzollern vom 25. August 1933. dass er wegen Urlaubsvorbe- reitungen das letze Versammlungsprotokoll nicht fertigstelIen konnte und "Bürger" Mayer wünschte den "lieben Mitbürgern" am 28. Mai 1937. wohl aus der Kur in Bad Dürkheim. eine "einträgliche" Sitzung zum 29. des Monats. Was hat es mit der "Einträglichkeit" der Treffen auf sich? Sie beruht darauf. dass bei den Bürgerversammlungen eine Verlosung vorgenommen wurde, zu der die Teilnehmen- den reihum etwas stifteten. Bei der Sitzung vom April 1936 waren sechs Flaschen Weiß- wein - drei davon vom damaligen Bürger- meister -. eine Flasche Rotwein. ein Paket Kaffee. ein Kuchen und eine Hartwurst ge- stiftet worden. und die Verlosung hatte 26 Reichsmark eingebracht. Sicher wurden aus 43 den Einnahmen der Verlosung die jährlich im Frühjahr stattfindenden Ausflüge der Stamm- tischgesellschaft mitfinanziert. Der Gemein- deausflug vom 24. Mai 1924 war ins Rench- tal unternommen worden und laut Protokoll "wirklich gelungen". "Die Beteiligung am Ausflug läßt deurlich erkennen. daß die Bür- ger treu zu ihrer Gemeinde halten und so soll es sein und dauernd bleiben". lautet das Fazit des Protokollanten und er fasst die Erlebnisse des Tages noch in einem Vierzeiler zusammen: "Einm Ausflug. der sehr wohl gelungen. bei dem marschiert wird. getanzt und gesungm. wo gut gegessm wird und auch noch geweint. den bringt nur in Stand die Zeppelingemeind': Nicht immer ging es freundschaftlich zu bei der Zeppelingemeinde. Bei Rückständig- keit der Monatsbeiträge erfolgte • .Ausschluß nach bewährtem Muster nach Paragraph 10". wie ihn Malermeister Theodor Uehlin aus der Brahmsstraße 1 gemäß seinem Schreiben vom 19. März 1933 an den eingangs erwähnten Kunst- und Bauschlosser Matthäus Teufel er- fahren hat. Da mit zunehmendem Alter das Interesse für Zwangszusammenkünfte mehr und mehr verloren gehe. sehe er dem Aus- schluss aus der Gemeinde mit Gelassenheit entgegen. schreibt Uehlin. Ganz leicht ist ihm der Abschied von der Stammtischgesellschaft wohl nicht gefallen. denn er bringt die Hoff- nung zum Ausdruck. dass ihm nach dem Aus- schluß aus der Gemeinde immer noch die Möglichkeit geboten sei. einmal einen schö- nen Ausflug mitzumachen. Der Wunsch des oben zitierten Protokol- lanten, dass es immer so bleiben möge wie beim Gemeindeausflug im Mai 1924. ist nicht in Erfüllung gegangen. Mit Bürgermeister August Fromms Postkarte vom August 1937 aus Dresden endet die Überlieferung der Stammtischgesellschaft "Zeppelingemeinde". ANGELIKA SAUER Ein Blick in das verborgene Herz der Stadt Viele Karlsruher und Besucher der Stadt sehen täglich die Pyramide auf dem Marktplatz. Sie stehen vor dem Grabmal des Stadtgründers. des Markgrafen Karl Wilhe1m von Baden- DurIach. das als Wahrzeichen Karlsruhes gilt. Als Karl Wilhe1m 1738 verstorben war. wurde er in einem einfachen Hoh'.,arg in einer Gruft unter der Konkordienkirche. der ersten luthe- rischen Stadtkirehe. beigesetzt. Die Kirche wurde im Zuge der Stadterweiterung und der Neugestaltung des Marktplatzes durch Fried- rich Wein brenner im Jahre 1808 abgebrochen. Die Totenruhe des verblichenen Markgrafen wurde aber dadurch nicht gestört. weil man die Gruft ungeöffnet ließ und über ihr eine hölzerne Pyramide als Notdach errichtete. Da man lange unentschlossen war, was man an dieser Stelle. nunmehr mitten auf dem wesent- lich vergrößerten Marktplatz. anfangen sollte. wurde die Holzpyramide 1818 noch einmal erneuert. Erst sieben Jahre später kam man zu der jetzt noch vorhandenen Lösung. Wein- brenner hatte Pläne für das Grabmal gezeich- net. die nach der Vorstellung des seinerzeit regierenden Großherzogs Ludwig. die Pyrami- denform in Stein umsetzen sollten. Dies war durchaus im Sinne Weinbrenners. der "diese Pyramide als eine der Vergänglichkeit am mehrsten entgegenstrebende Form« ansah. Die im Generallandesarchiv erhaltene Plan- zeichnung Weinbrenners vom 21. Februar 1825 zeigt die vertraute Ansicht und den Grundriss der Pyramide auf dem Marktplatz. Die Schnittzeichnung durch das Bauwerk lässt erkennen. dass die Seitenwände der Pyramide unter der Oberfläche weiter verlaufen und eine komplette Form bilden sollten. Drei un- terschiedlich große Kammern gliederten das Innere. Die oberste. kleine in der Spitze des 44 Bauwerkes dient der Lüftung und zeigt auf jeder Seite eine kreuzförmige Öffnung. Die mittlere. größte gewölbte Kammer ist durch einen Einstieg auf der Nordseite zugänglich. der durch eine bronzene Schrifttafel verschlos- sen ist. Einige Stufen führen in den Raum hi- nah, in dessen Mine, fast wie ein Altar, ein Sockel steht. auf dem eine geschwungen um- randete Marmorplatte liegt. Sie zeigt in sehr schöner Ausführung den Plan der Stadt. wie sie bis dahin gewachsen war. Der untere Raum. die Grablege des Mark- grafen. sollte nach Weinbrenner ein dem Mit- telraum entsprechendes Gewölbe sein. nur mit etwas geringerer Höhe. Dorthin sollte es kei- nen Zugang geben. Dass der Planung Wein- brenners nicht in allen Stücken gefolgt wurde. zeigte sich erst jetzt. Im Zusammenhang mit der Neugestaltung der ständigen Ausstellung des Stadtmuseums im Prinz-Max-Palais sollte ein Modell der Py- ramide hergestellt werden. das auch Einblick in das Innere des Bauwerkes gewähren sollte. Der Modellbauer und Stadtrat Heinz Vogel. dem bereits eine ganze Reihe historischer Mo- delle in den städtischen Museen zu verdanken sind. hatte diese Aufgabe übernommen. Aller- dings hegte er immer Zweifel daran. dass die Zeichnung Weinbrenners mit der Wirklich- keit übereinstimmte und wollte sich gerne an Ort und Stelle kundig machen. Der stille Traum vieler Kar/sruher. einmal in das Innere der Pyramide sehen zu können. war aber nicht so leicht zu erfüllen. Niemand hatte einen Schlüssel. Das markgräfliehe Haus sollte auch einverstanden sein. obwohl die Pyramide im Eigentum der Stadt steht. Am späten Abend des 17. September 1998. am Tag vor der Eröffnung des neuge- staltctcn Stadtmuseums, war es dann mir Hilfe von Oberbür- germeister Gerhard Seiler doch so weit. Außer ihm sollten nur Prinz Bernhard von Baden, Heinz Vogel und ich in die Py- ramide einsteigen. Hinzu kam noch der bereits gewählte neue Oberbürgermeister Heinz Fen- rich. Aber ohne die handwerk- lich tätigen Helfer wäre das na- türlich nicht gegangen. So war eine Schlosserfirma nötig und eine Firma, die ihre Erfahrun- gen in der Kontrolle unterirdi- scher Leitungen und ihr ent- Muschdkalkplatte aus der Pyramide mir Srad tplan 1825. sprechendes Gerät einsetzen konnte. Leute vom städtischen Hochbauamt mussten das Ganze koordinieren. Zwei Fotografen der Landesbildstelle waren gleichfalls hinzugebe- ten worden. Infolgedessen herrschte in dieser Nacht doch einiger Betrieb auf dem Markt- plarz, obwohl man jegliche Publizität vermie- den hatte. Allerdings war die Umgebung der Pyramide so geschickt abgeschirmt, dass Pas- santen nicht erkennen konnten, was dorr vor- ging. Im Inneren waren Arbeiter mit einer Kern- bohrung beschäftigt, die zum nicht zugängli- chen Gruftraum geführt wurde. Durch sie sollte Aufschluss über das Aussehen des unters- ten Raumes gewonnen werden. Etwa drei Stunden dauerte die Bohrung durch das rund 90 cm dicke Stein paket. Wie oft die Pyramide seit ihrer Erbauung geöffnet und betreten worden war, lässt sich nicht feststellen. 1889 war das wohl der Fall. Nach der Jahrhundertwende soll noch einmal ein Besuch des Großherzogs stattgefunden haben. Dem Hörensagen nach hätte auch Oberbürgermeister Günther Klorz einmal die Pyramide besucht. Seitdem waren also min- destens drei Jahrzehnte vergangen. 45 Als Prinz Bernhard eingetroffen war, stie- gen wir /Unf ,.Auserwählten" in die Pyramide ein. Dem Stadtgründer Karl Wilhe1m widme- ten wir zunächst ein stilles Gedenken, denn schließlich hatten wir.ja seine Grabstätte betre- rcn. Daraufhin sahen wir uns um. Eine Karlsruher Legende konnte nicht be- stätigt werden. Der angeblich von dem Hofrat Jakob Friedrich Hemberger 1889 in der Pyra- mide vergessene Schirm war nicht da. Im obe- ren Raum lag ein Tennisball, und in einer der Luftöffnungen steckte ein Besenstiel. Beides war durch eben diese Öffnungen hereinge- kommen. Der Raum, in dem wir uns befanden, ent- spricht in etwa der Weinbrennersehen Plan- zeichnung. Das gilt auch /Ur den darüberlie- genden Luftraum, der durch eine Öffnung einzusehen war. Es wurde fotografiert. Heinz Vogel nahm Messungen vor. Die Innenräume sind teils aus Bruchstein, reils aus Backstein gemauert und verpurzt. Nur ist der Verputz an vielen Stellen abgefal- len. Die Muschelkalkplatte mit dem schön ge- arbeiteten Stadtplan lag lose auf dem Sockel. Sie wies einen glatten Bruch auf, der sie ohne Verlust in zwei ungleiche Stücke teilte. Die Pyram iden besuch durch OberbürgermeiS[er Prof. Dr. G. Seiler, Bürgermeister H. Fenrich, Pr~nz Bernhard v. Baden , Dr. H. Sch min (Amtsleiter SAS) am 17. Dezember 1998. Einfärbung einzelner Stadtteile, die deren Ent- stehungszeit verdeutlichen sollte, war fast ganz verloren gegangen. Die Platte wurde vorsich- tig herausgenommen, um nach einer fach- männischen Restaurierung wieder an ihren Ort verbracht zu werden. Das Stadtmuseum soll eine Replik erhalten. Als zweifellos interessantester, weil noch nie geöffneter Teil der Pyramide erschien die Gruft des Markgrafen. Diese konnte nach Vollendung der Bohrung mittels einer hinab- gelassenen Videokamera erkundet werden. Die Erkundung ergab folgendes: Die Gruft stellt ein aus Bruchstein gemauertes Tonnen- gewölbe von schätzungsweise drei Metern Scheitelhöhe dar, das mit Ausnahme der West- seite grob verputzt ist. Das Gewölbe ist nicht in Nord-Süd-Richtung angelegt, wie es Wein- 46 brenners Zeichnung immer harre vermuten lassen, sondern in Ost-West-Richtung. Außer- dem ist das Gewölbe, ebenfalls entgegen bis- heriger Annahmen relativ schmal, so dass auf beiden Seiten des Sarges nur noch erwa 20 bis 30 cm Platz bleiben. Die wesdiche Stirnwand der Gruft ist sehr grob gemauert. Im mitderen Teil der Wand wurde allem Anschein nach ein Loch nach dem Einbringen des Sarges von außen verschlossen. Es ist eindeutig zu erkennen, dass die Gruft unter der ehemaligen Konkordienkirche beim Bau der Pyramide unverändert gelassen wur- de. Von Weinbrenners Planung wurden nur die oberirdisch sichtbaren Teile ausgeführt. Der Sarg des Stadtgründers ist sehr ein- fach, fast kistenartig. Gegen die Enden läuft er leicht konisch zu. Das dunkle Holz ist mit zwei, den Rändern parallel laufenden MetalI- bändern beschlagen. Grundwasser scheint nie eingedrungen zu sein, was wohl den guten Er- haltungszustand erklärt. Der Sargdeckel ist an einem Ende eingebrochen. Die Ursache dafür, ein heruntergefallener Stein brocken, könnte sich auch erst bei der Bohrung gelöst haben. Dadurch wurde der Sargdeckel etwas verscho- ben. Immerhin ist so ein, wenn auch sehr be- grenzter, Einblick in das Innere des Sarges möglich geworden. Außer einigen Knochen wurde guterhaltenes Brokatgewebe sichtbar. Die bei der Öffnung der Pyramide gewon- nenen Erkenntnisse ließ Heinz Vogel in das nunmehr veränderte Modell im Stadtmuseum einfließen. Ganz sicher lassen sich durch die genauere Auswertung des Videofilmes noch weitere interessante FescsteI!ungen machen. Der nächrliche Besuch der Pyramide er- schien den Beteiligten schon ein wenig aben- teuerlich. In gewissem Sinne war er einmalig, denn er erlaubte zum ersten Mal seit ihrer Er- bauung einen Einblick in die Gtabkammer des Gründers der Stadt Karlsruhe, des Matk- grafen Karl Wilhe1m von Baden-Durlach. HEINZ SCHMITT Jahrtausendwende und die Tücken des Kalenders DdS "Mannhdmer journal" (2.1.1900) machte sich iib" Wilh,lm 11. IlIStig, der durch- gesetzt hatu, dass das ntu' jahrhundert am 1.1.1900 stattzujinden habe. Die Karlsruher Pmst fand sanji", Töne, obwohl man auch hier for 1901 votieru. Der "Badische Btobachter" (30.12.1899) klärt( jedmfalls auf, ddSs Papst Leo XIII. das jahr 1900 deshalb zum Heiligen jahr "kläru, weil es das End, des 19. jahrhun- derts, nicht den Anfang des 20. jahrhunderts be- dtute. Also sollu man "nicht mehr von der jahr- hundtrtwendt reden, sondtrn nur von einer amtlich ang,ordneten jahrhundertfoier. " In den Ftuilletom gab es zahlreich, komplizieret Erläu- tmmgen, WdS ts mit dem Kalmderwtchsel auf sich habe. DdS Folgende jiir 2000 ist sicher kla- rer und einlmchtender. Leonhard Müller Wann beginnt das 3. Jahrtausend? Diese Frage wird zur Zeit häufig gestellt und manch- 47 mal richtig, on auch falsch beantwortet. Sie ist aber eindeutig zu beantworten: Unser Kalen- der, der auf dem Julianischen und Gregoriani- schen Kalender beruht, geht von einem be- stimmten Zeitpunkt für die Geburt Christi aus und zählt dann die Jahre "nach Christi Geburt", beginnend mit dem Jahr I n. Chr. Ein Jahr Null gab es also nicht. Somit endet das erste Jahr am 31. Dezember des Jahres I n. Chr. und entsprechend das 10. Jahr (also das I. Jahrzehnt) am 31.12.10 n. Chr., das 100. Jahr (das I. Jahrhundert) am 31.12.100 n. Chr., das 1000. Jahr (das I. Jahrtausend) am 31.12.1000 n. Chr., das 2000 Jahr (das 2. Jahrtausend) am 31.12. 2000 n. Chr. Das 3. Jahrtausend beginnt also korrekt am I. Janu- ar 2001. Dass trotzdem alle Welt die bevorstehende Jahrtausendwende zu Silvester 1999 erwartet und feiert, liegt wohl an der alles überstrahlen- den Faszination der .,2" vorne in der neuen Jahreszahl und sei niemandem verwehrt. Kein Anlass also zu Streit und Rechthaberei oder gar zu "Tätlichkeiten", wie sie das "Mannheimer Journal" schon vor 1 00 Jahren befürchtete! Aber vielleicht doch ein Anlass für einen nach- denklichen Blick auf allerlei Interessantes und Merkwürdiges, was unser gar nicht so einfa- cher und selbstverständlicher Kalender bei genauerem Hinsehen bietet. Dafür nur zwei Beispiele: Kalendervariationen Die Jahreszahl 2000 und damit die vielzitier- te Jahrtausendwende ist keineswegs ein natur- gegebenes, absolut gesetztes Datum, sondern hängt natürlich an unserer christlichen Kalen- derrechnung. Würde heute noch nach einem früheren, aus den alten Kulturkreisen stam- menden Kalender gerechnet, so fiele in unser Jahr 2000 der Beginn des Jahres 5761 nach dem jüdischen Kalender, 2752 nach dem a1t- römischen Kalender, 1421 nach dem moham- medanischen Kalender. Das liegt natürlich an den unterschiedli- chen Anfängen der jeweiligen Jahreszählung: jüdisch nach der Erschaffung der Welt (376 1 v. Chr.), a1trömisch nach Gründung der Stadt Rom (753 v. Chr.), mohammedanisch nach der Hedschra (Flucht Mohammeds 622 n. Chr.). Übrigens hätte auch nach unserem christ- lichen Kalender das kommende Jahr nicht die Nummer 2000, wenn sich der römische Abt und Kalendermacher Dionysius Exiguus (um 500) bei der Datierung von Christi Geburt nicht geirrt hätte. Man weiß heute zuverlässig aus historischen und astronomischen Quellen, dass dieses Datum mehrere Jahre früher anzu- setzen ist und - nach dem Wiener Astrono- men Ferrari d'Occhieppo - sehr wahrschein- lich in das Jahr 7 v. Chr. fallt. Hier noch eine andere simpel klingende Frage: Waren die lerzten Jahrtausende gleich 48 lang? Die Antwort: Nein! Das erste vorchrist- liche und das erste nachchrisdiche Jahrtausend hatten zwar jeweils 365.250 Tage, unser 2. J tsd. n. Chr. hat aber 13 Tage weniger, und die folgenden Jahrtausende werden abwechselnd 365.242 bzw. 365.243 Tage haben. Der Grund dafür ist in der Gregorianischen Kalen- derreform von 1582 zu suchen, die 10 Tage gestrichen und die Schaltregel geändert hat. Um solche und andere Fragen zu beant- worten, müssten wir uns eingehender mit der Kalenderrechnung beschäftigen. Wir wollen aber noch einen kurzen Blick auf den Juliani- schen und Gregorianischen Kalender und auf die grundlegenden Zeiteinheiten des Kalen- ders - Tag, Woche, Monat und Jahr - werfen. Zeiteinheiten des christlichen Kalenders Die "Ur-Einheit" ist der Tag, gemessen etwa von Mittag bis Mittag und bestimmt durch die Rotation der Erde um ihre Achse. Weil aber die Tageslänge übers Jahr um ± 15 Minu- ten schwankt, muss ein rechnerischer Mittel- wert, der "mittlere Sonnentag", benutzt wer- den. Auch ist inzwischen die Sekunde nicht mehr als der 86.400. Teil eines Tages, sondern genauer als nAtom-Sekunde "durch eine be- stimmte Anzahl von Caesium-Licht-Schwin- gungen festgelegt. Die W0ch, kam schon früh im Altertum aus dem Vorderen Orient zu uns; sie lehnt sich zwar in etwa an die Dauer eines Mondviertels an, behält aber unabhängig vom Monats- und Jahresverlauf ihren 7-Tage- Rhythmus bei. Der Monat war ursprünglich vom Mond- umlauf um die Erde in 29,5 Tagen abgeleitet. 12 Monate mit abwechselnd 29 und 30 Tagen ergaben dann das Mondjahr mit 354 Tagen, wie es sich am konsequentesten im moham- medanischen Kalender findet. Es hat allerdings den Nachteil, dass es jährlich um 11 Tage vom Sonnenlauf abweicht, so dass Neujahr und Monate alle 33 Jahre rückwärts durch die von der Sonne bestimmten Jahreszeiten wandern. Das Sonnenjahr, gemessen zwischen zwei Frühlingsanfangen, entspricht dem Erdumlauf um die Sonne und hat 365,2422 Tage. Eine gute Näherung sind also 365 \4 Tage, die schon den alten Ägyptern bekannt war und die sie auf 3 Normaljahre zu 365 Tagen und ein Schaltjahr zu 366 Tagen verteilten. Damit sind wir beim eigentlichen Kalenderproblem, nämlich der Entscheidung zwischen Mond- jahr, Sonnenjahr oder einer Kombination bei- der (Lunisolarjahr). Die alten Kulturen haben dafür ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Der Julianische Kalender Im Julianischen Kalender regiert das Sonnen- jahr. Julius Caesar hat ihn im Jahr 46 v. Chr. eingeführt, als er vom Ägypten-Feldzug zu- rückkehrte und einen unbeschreiblichen Wirr- warr des altrömischen Kalenders vorfand. Sei- ne Reform bestand aus drei Schritten: • Es wurde das Sonnenjahr mit drei Normal- jahren und einem Schaltjahr eingeführt. • Um die entstandene Abweichung von 90 Tagen (!) vom Sonnenjahr zu beseitigen, er- hielt das laufende Jahr 46 drei zusätzliche Monate, insg. 15 Monate und 445 Tage. • Den 12 Monaten wurden, wie noch heute, 31, 30, 28 bzw. 29 Tage zugewiesen. Der Jahresbeginn wurde auf den l. Januar ge- legt. Ein großer Wurf! Der Julianische Ka- lender bestimmt im Grunde bis jetzt unse- ren Kalender • bis auf eine Ausnahme: Das Julianische Jahr war um 365,25 - 365,2422 = 0,0078 Tage = 11 Minuten zu lang. Diese geringe jähr- liche Differenz machte sich zwar erst im späten Mittelalter störend bemerkbar, dann aber immerhin mit rd. 10 überzähligen Ta- gen, so dass eine Korrektur nötig wurde. 49 Die Gregorianische Kalenderrefonn Die Reform von 1582 durch Papst Gregor XIII., an deren Vorarbeiten auch deutscheAs- tronomen maßgeblich beteiligt waren, besei- tigte die aufgetretenen Unstimmigkeiten: • Die 10 überzähligen Tage wurden gestri- chen; auf den 4. Oktober folgte unmittel- bar der 15. Oktober 1582. • Durch eine verbesserte Schaltregel wurde das Julianische Jahr im Durchschnitt ver- kürzt: Die Jahrhundert jahre sollten nur noch Schaltjahre sein, wenn sie durch 400 teilbar sind - eine sehr genaue Regelung, bei der erst nach 3.333 Jahren wieder ein überzähliger Tag auftritt! Der neue Kalender wurde rasch von den katholischen Ländern in Europa, auch von den katholischen Reichsständen in Deutsch- land eingeführt. Da Papst Gregor es leider ver- säumt hatte, die Reform verständlich zu ma- chen, kam es in den protestantischen Ländern zu Widerständen, in Deutschland gar zu offe- nem Streit und einem Nebeneinander des al- ten und des neuen Kalenders. Letzterer setzte sich erst um 1700 allgemein durch. 1752 folg- ten England und Schweden, 1918 Russland, 1923 Griechenland und 1949 schließlich auch China. Heute ist unser Kalender global ein- heitlich in Gebrauch: etwas anderes wäre in unserer ständig kleiner werdenden Welt auch nicht mehr vorstellbar. HEINZ KUNLE Zur Geschichte der Jahrhundertwenden Ausblick auf die Landesausstellung im Karlsruher Schloss Wenn in wenigen Wochen die Jahrhundert- wende, die gleichzeitig eine Jahrtausendwen- de ist, stattfindet, wird dies als globaler "Mega- Event" gefeiert werden, der nur durch den von einigen prophezeiten weltweiten Zusammen- bruch der Computersysteme gefährdet ist. Die Jahrtausendwende wird global gefeiert, ob- wohl der Wechsel zum Jahr 2000 nur nach der christlichen Zeitrechnung stattfindet. Weil aber die christlich geprägten westlichen Staa- ten Politik, Wirtschaft und Kultur der ganzen Welt dominieren, überlagert ihre Zeitrech- nung die anderen Kalender. Das "Wendebewusstsein" Die anstehende Jahrtausendwende ist der Hö- hepunkt einer Entwicklung, in der die Men- schen nur allmählich Kenntnis von diesen "runden Daten" erhalten haben. Die mittelal- terliche Gesellschaft zählte die Jahre nach den Regierungszeiten des Landesherrn oder des Papstes. Nur in den Klöstern gab es das Be- wusstsein für die Jahreszählung "nach Christi Geburt". Trotz des allgegenwärtigen Bewusst- seins vom bald bevorstehenden Jüngsten Ge- richtscheint 'deshalb der in der biblischen Apokalypse nach einem " 1 OOO-jährigen christ- lichen Reich" prophezeite Weltuntergang nur von wenigen Zeitgenossen konkret mit dem Jahr 1000 in Verbindung gebracht worden zu sein. Es ist ein Mythos des 19. Jahrhunderts, dass die auf das Jahr 1000 projizierte Welt- untergangsangst ein Massenphänomen gewe- sen set. Als Papst Bonifaz VIII. das Jahr 1300 zum Heiligen Jahr erklärte, in dem Rompilger den 50 großen Ablass ihrer Sündenstrafen erlangen konnten, gab er erstmals einer Jahrhundert- wende Bedeutung. Er bestimmte, dass ein sol- ches Jubeljahr alle hundert Jahre stattfinden sollte. Damit definierte die Kirche das Jahr- hundert als eine besondere Zeitspanne. Da man jedoch bereits 1350 wieder als Heiliges Jahr ausrief und dieses bald sogar im 25-jähri- gen Rhythmus stattfand, entwickelte sich die Jahrhundertwende nicht zu einem besonderen kirchlichen Datum. Die Pilgerströme der Ju- beljahre waren viel zu ertragreich für die Kas- sen Roms, als dass man sie nur alle hundert Jahre hätte begrüßen wollen. 1500 waren es noch immer nur wenige Intellektuelle, die sich der Jahrhundertwende bewusst waren. Zu ih- nen gehörten der Humanist Kontad Celtis und der Maler Albrecht Dürer. Doch im 16. Jahrhundert wurde schließlich der entschei- dende Schritt zur Bewusstwerdung der Jahr- hundertwende vollzogen: Zwischen 1559 und 1574 erschienen die "Magdeburger Zentu- rien" J eine protestantische Kirchengeschichte, die die Zeit seit Christi Geburt thematisierte und dabei erstmals die "Hundertschaft" der Jahre .als Ordnungsprinzip der Geschichts- schreibung einführte. Nun war das Jahrhun- dert und damit auch die Jahrhundertwende definiert. Die folgende Jahrhundertwende 1600 war ganz vom Glaubensstreit zwischen Katho- liken und Protestanten geprägt. Die Beach- tung der Jahrhundertwende entlud sich des- halb in polemischen Predigten protestanti- scher Geistlicher gegen die durch protestan- tische Länder ziehenden Katholiken, die im Heiligen Jahr 1600 des Ablasses wegen nach Rom pilgerten. .. Karlsruhc: in der Zukunft 2000" mit Bahnhof am Lautc:rbc:rg, Autorc:nnbahn und BalJonverkc:hr Karisruhc:~Nc:w York. Die Wende um 1700 1700 gab es dann erste wirkliche Würdigun- gen und auch Feierlichkeiten zur Jahrhundert- wende. In zahlreichen Ländern wurden zu die- sem Anlass Gedenkmedaillen geprägt. Die protestantischen Länder schlossen sich 1700 dem bereits 1582 eingeführten Gregoriani- schen Kalender an. Das vergangene Jahrhundert wurde nun erstmals rückblickend betrachtet. Für die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert lässt sich der Streit um den richtigen Termin der Jahrhundertwende dokumentieren, ein Beleg, dass die Jahrhundertwende jetzt von größeren Kreisen beachtet wurde. Die Argumente gli- chen schon damals weitgehend denjenigen, die auch jetzt im Hinblick auf das Jahr 2000 diskutiert werden. Als mathematisch korrekt galt, dass das Jahrhundert erst mit dem Über- gang zum Jahr 01 wendet. Doch hatre der 51 Wechsel von drei Ziffern in der Jahreszählung von 1699 auf 1700 schon in jenen Tagen eine so große emotionale Bedeutung, dass viele die Jahrhundertwende auf 1700 datierten. Die Wende zum 19. Jahrhundert wurde allerdings in den meisten Ländern, auch in Baden, auf das Jahr 1801 festgelegt. Die Aufklärung entwickelte eine ausge- prägte Sehnsucht nach einer friedvollen Welt und auch politische Perspektiven zu ihrer Gestaltung. Dazu gehörten: republikanische Verfassung, freier Föderalismus der Staaten u. a. Zeitlich parallel dazu versuchte das revo- lutionäre Frankreich jedoch, seine politischen Ideen auf dem europäischen Kontinent durch- zusetzen, was seit 1792 zu den beiden Koali- tionskriegen führte . Doch exakt zur Jahrhun- dertwende zeichnete sich Frieden ab, weshalb vielfach die Verbindung zwischen Jahrhun- dertwende und Friedenshoffnung formuliert wurde. Kaclsruhe um 1800 Die "Kar/sruher Zeitung" berichtete in ihrer Ausgabe vom 2. Januar 1801 auf der Titelseite von der Unterzeichnung des Waffenstillstands- abkommens zwischen dem siegreichen Frank- reich und Österreich, das dann am 9. Februar 1801 zum Frieden von Luneville führte. Die Zeitung zog das Fazit: "Dieses ist das wohl beste Geschenk, welches wir unseren geehrtes- ten Lesern am Anfang dieses neuen Jahrhun- derts geben können." Aus Anlass des Friedens von Luneville kon- zipierte der Karlsruher Mechanikus Friedrich Drechsler eine "Ballonerie", die er nach eigenen Angaben in Straßburg und Nancy veranstalte- te. Als England und Frankreich am 1.10.1801 Präliminarien unterzeichneten und damit der Weg frei war für den Kongress von Amiens, der am 27. März 1802 zu einem weiteren Frie- densschluss führte, wollte Drechsler die "Bal- lonerie" in Karlsruhe wiederholen. Noch im Oktober 1801 annoncierte er deshalb in der "Karlsruher Zeitung", dass er einen ca. 6 Me- ter hohen Heißlufi:ballon über dem Karlsruher Schloss steigen lassen wolle. Am Ballon sollten zwei Transparente befestigt sein, eine Allegorie des Friedens und "Deutschlands Genius mit der Harfe". Das Ptojekt musste jedoch vorfi- nanziert werden, weshalb Drechsler einen mehrfarbigen Kupferstich drucken ließ, auf dem das Karlsruher Schloss samt der "Ballone- rie" abgebildet ist. Die Bildunterschrifi: drückt in deutscher und in französischer Sprache noch einmal die Friedenshoffnung der Zeit um 1800 aus. Sie lauret: ,,Abbildung des von dem Me- chanicus Drechsler auf dem Schloss Platz zu Carlsruhe in die Hoehe gelassenen Denkmals des uns den Frieden bringenden Neunzehenten Seculi." Der Absatz der Kupferstiche scheint jedoch nicht ausreichend gewesen zu sein - womöglich deshalb, weil Drechsler nachgesagt wude, die "Ballonerien" in Straßburg und 52 Nancy wären misslungen. Jedenfalls ist von der Realisierung des Spektakels in Karlsruhe nichts überliefert. Der Termin für den Beginn des 20. Jahr- hunderts wurde in Deutschland an oberster Stelle festgelegt, nämlich von Kaiser Wilhe1m 11., höchstpersönlich. Am 4.12.1899 fragte Reichskanzler Hohenlohe-Schillingfürst mir einem Telegramm beim Kaiser an, wann der Beginn des neuen Jahrhunderts zu feiern sei. Eine Entscheidung war dringend erforderlich, denn der Termin musste noch mit den deut- schen Ländern koordiniert werden. Die Ant- wort, die der Kaiser unter das Telegramm schrieb, enthielt einen Schreibfehler, der zeigt, wie schwer dem Monarchen die neue Jahres- zahl von der Hand ging. Er schrieb: ,,Am I. Januar 1899. Wi[lhelm)". Fin de siecle oder Modeme um 19001 In Baden reagierte man unterschiedlich auf diese Anweisung. Der "Badische Beobachter" fürchtete den Spott der Franzosen über die deutsche Kaisertreue. Der "Volksfreund" ver- trat die Linie des Kaisers, zumal der frühe Ter- min der Jahrhundertwende dem Volksgeist entspräche. Offizielle Feierlichkeiten scheint es in Ba- den nicht gegeben zu haben. Wie die Groß- herzogliche Familie Silvester und den Neu- jahtstag verbrachte, ist in der Karlsruher Stadt- chronik für das Jahr 1900 ausführlich geschil- dert. Die Jahrhundertwende wird am Ende des Berichts nur beiläufig erwähnt. An der Jahrhundertwende 1900 kontras- tierten unterschiedlichste Stile, Stimmungen und Zukunfi:svorstellungen: Fin de siecle und Decadence gegen Jugendstil und Moderne. Das Elend des Proletariats in den großstädti- schen Hinterhofbauten war ebenso Realität wie die Vorstellungen von unbegrenztem tech- nischem Fortschritt, den Elektrizität, Automo- bil und Luftschifffahrt symbolisierten. Auch die politischen Vorstellungen divergierten ex- trem: Nationalismus und Weltmachtgedanke standen Sozialismus, Friedensbewegung und Frauenemanzipation gegenüber. Der Phantasie, wie die Zukunft aussehen könnte, war um 1900 keine Grenze gesetzt. Hier kam vor allem der Glaube an die umfas- senden Möglichkeiten der Technik zum Tra- gen und führte zu den kühnsten Vorstellun- gen. Für Karlsruhe wurde - wie auch für meh- rere andere Städte - eine Verkehrsutopie auf einer Postkarte dargestellt, die vor 1904 ent- stand. Unter dem Motto "Karlsruhe in der Zukunft" wurden über einer Ansicht des Marktplatzes mit Hilfe einer Photocollage künftige Verkehrsmittel dargestellt. Übei den Dächern erscheinen die Luftschiffe - eine Gondelbahn führt nach München, eine Bal- lonlinie verbindet die badische Residenz mit New York. Die Vorstellungen auf der Straße waren konkreter. Der dargestellte Autounfall, bei dem ein Fußgänger zu Schaden kommt, war um 1900 schon sehr realistisch, denn die schnellsten Automobile erreichten bereits über 100 km/ho Auch die dargestellte Straßenbahn wurde kurz nach der Jahrhundertwende Rea- lität. Die erste Linie in Karlsruhe verkehrte um 1910. "Rückkehr in die Zukunft" heißt darum zu Recht im Untertitel die kommende Landes- ausstellung "Jahrhunderrwenden 1000-2000", die im Karlsruher Schloss vom 11. Dezember 1999 bis 5. Mai 2000 stattfindet. JUTTA DRESCH 10 Jahre ,,Arbeitsstelle Bertolt Brecht" in Karlsruhe Die ,,Arbeitsstelle Bertolt Brecht" (ABB) wur- de im Februar 1989 eingerichtet und im Juni 1989 in Anwesenheit von Rektor und Kanzler der Universität Karlsruhe, Prof. Dr. Heinz Kunle und Dr. Gerhard Selmayr, des Kultur- referenten der Stadt Karlsruhe, Dr. Michael Heck, des Leiters des Suhrkamp Verlags, Dr. Siegfried Unseld, sowie Vertretern des Aufbau- Verlags, Berlin und Weimar, des Metzler Ver- lags, Stuttgart, und der Medien eröffnet. In die- sem Rahmen fand ein Festkolloquium statt, auf dem die Mitherausgeber der neuen Brecht- Ausgabe Prof. Dr. Werner Mittenzwei und Dr. h. C. Werner Hecht Vorträge zu Brechts Werk hielten und anschließend eine Podiumsdiskus- sion der Herausgeber stattfand. 53 Vor der "Wende" Die ABB hat sich bis 1998 vor allem der Edi- tion der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Brechts (GBA) in dreißig Bänden gewidmet und war an ihr mit der Erarbeitung von acht Bänden (fünf Bände Gedichte, drei Bände Prosa) maßgeb- lich beteiligt. Die Ausgabe wurde 1998 abge- schlossen und liegt - außer dem Registerband, der noch im Druck ist - in 33 Teilbänden mit über 20.000 Seiten vor. Die Ausgabe, die 1985 erstmals der Öf- fentlichkeit vorgestellt wurde, begann als ein Pilot-Projekt deutsch-deutscher Zusammenar- beit. Der Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., der die Rechte am Werk Brechts besitzt, und der Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar hatten beschlossen, eine textidentische Ausgabe der Werke Brechts gemeinsam zu veranstalten und dazu ein paritätisch besetztes Herausgebergre- mium zu berufen: Dr. Werner Hecht (Berlin) und Prof. Werner Mittenzwei (Berlin) aus der DDR sowie Prof. Dr. Klaus-Detlef Müller (Tübingen) und mich aus der Bundesrepublik. Diese Zusammenarbeit, die für das deutsch- deutsche Kulturabkommen (1986 eine we- sentliche und initiierende Rolle gespielt hat, wurde von den Medien in der Bundesrepublik und im Ausland als "Sensation" (FAZ) und als "Jahrhundertabkommen" (NZZ) sowie als "Editorische Wiedervereinigung eines unge- teilten Klassikers" (Bücherpick. Schweiz) be- wertet. In der DDR galt die Ausgabe als Prestige- Projekt, das von allen zuständigen staatlichen Institutionen - bis hin zum Ministerrat der DDR - unterstützt sowie mit großen finanzi- ellen Investitionen und durch die Abordnung von zahlreichen Mirarbeitern gefördert wurde. " ... es kommt wahrlich einer Sensation gleich, verdient Bewunderung und Respekt. Man übertreibt gewiss nicht, wenn man dieses Un- ternehmen das spektakulärste auf dem Feld der verlegerischen Zusammenarbeit zwischen bei den deutschen Staaten nennt", schrieb z. B. Franz Josef Görtz in der Frankfimer Allgemei- ne Zeitung am 18.9.1985. Da das Bertolt- Brecht-Archiv (BBA) in O stberlin angesiedelt war (jetzt Berlin Mitte), mussten mei~e Mit- arbeiterinnen/Mitarbeiter und ich - um jeden Text an den Orginalen zu überprüfen - uns häufig wochenlang in Berlin aufhalten. Für diese Aufenthalte erhielten wir eine Art Diplo- matenstatus, der es uns ermöglichte, zu DDR- Zeiten in ostberliner Hotels zu übernachten, so dass wir nicht täglich die Grenze wechseln mussten und in der Nähe unseres Arbeitsplat- zes waren. Für unsere Arbeiten erhielten wir 54 alle mögliche petsonelle und sonstige Unter- stützung (z. B. durften wir - was sonst in der DDR ausgeschlossen war - alle Dokumente des BBA, die wit benötigten, kopieren und nach Karlsruhe mitnehmen). Arbeitsfeld Karlsruhe Die Arbeit in Karlsruhe begann 1985 zunächst in den beschränkten und beengten Räumlich- keiten des Instituts für Literaturwissenschaft. Die Stadt Karlsruhe und ihr Kulturreferat ha- ben dann in einer großzügigen Hilfsaktion dafür gesorgt, dass das Arbeitsteam in Sachen Brecht über geeignete Arbeitsräume verfügen konnte. Für dreieinhalb Jahre bezog die ABB die neu hergerichteten, freundlichen Räume in der Kapellenstraße 22. Die Badische Beamtenbank Karlsruhe sorgte, auf Vermittlung des Rektors der Uni- versität, durch ihren Vorsitzenden, Prof. Dr. Egon Kremer, mit einer großzügig bemesse- nen Spende für die Neueinrichtung der Räu- me sowie für eine neue Computerausrüstung. die es ermöglichte, die in Karlsruhe entstehen- den Bände der neuen Ausgabe satzfertig einzu- richten sowie die umfangreichen Registerar- beiten zu erledigen. Die Universität Karlsruhe, die sich ihrer geisteswissenschaftlichen Fächer schon immer mit besonderer Verantwortung angenommen hat, finanzierte die laufenden Betriebskosten der ABB und stellte die Mittel für die wissen- schaftlichen Hilfskräfte bereit; eine halbe Stel- le für eine Hilfskraft mit Examen wurde von der DFG finanziert. Die BNN bezeichneten in ihrem Bericht zur Eröffnung der ABB die- ses "bislang einmalige Zusammenwirken von der Stadt, Universität und Wirtschaft" als "Karlsruher Musterbeispiel". Die Eröffnung der ABB fand ein breites überregionales Echo. Inzwischen residiert die ABB in der Kro- nenstraße 30 in zwei großen Räumen, da die Wohnung in der Kapellenstraße wegen Fehl- belegung geräumt werden musste. Die Uni- versität Karlsrube trägt nun alle Kosten. Für die Zeit vom 1.I .1994 bis zum 30.6.1997 haben das Land Baden-Württem- berg und die Universität der ABB zwei BAT- lIa-Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter- innen und Mitarbeiter zugewiesen, die von Bri- gitte Bergheim M. A. und Michael Duchardt M. A. wahrgenommen wurden. Um die ABB zu erhalten, haben wir uns bereits während der Abschlussarbeiten an der Brecht-Ausgabe um ein Folgeprojekt bemüht. Nachdem die DFG ein multimediales Pro- jekt zum Dreigroschenstoff, das mit dem ZKM realisiert werden sollte, abgelehnt hatte, haben wir die Fritz Thyssen Stiftung in Köln gewonnen, die "Neukonzeption und Neube- arbeitung des Brecht-Handbuchs" zu finanzie- ren. Dieses Handbuch, das sich am neuen Goethe-Handbuch beim Verlag]. B. Metzler orientiert, wird wie dieses vier Bände mit jeweils 600 Seiten umfassen und von mir he- rausgegeben. Als wissenschaftlicher Beirat wir- ken 16 Wissenschaftler aus den USA, aus Ir- land und aus Deutschland mit. Die Redakti- on übernimmt Brigitte Bergheim, die bewähr- te Mitarbeiterin der ABB. Das Unternehmen wurde begonnen mit einer Aurorenkonferenz in Katlsrube, die vom 14.-16. Mai 1999 statt- fand . Wenn dieses Projekt erfolgreich abge- schlossen wird, hat Brecht nach und neben Goethe den Status des zweiten großen deut- schen Autors inne. Arbeitsmittel und Ergebnisse Die ABB verfügt über eine private Spezial bi- bliothek zu Brecht, die ca. 1.200 Bände um- fasst. Darunter befinden sich die bisherigen Ausgaben Gesammelter Werke Brechts, einige, z. T. wertvolle Erstausgaben, die wesentliche Sekundärliteratur zu Brecht sowie viele Nach- 55 • ... 4 •• I,,,,,. oe ", "" . ..... . , .... ... "" • • "" .•• ~ • • U ft ... . ... • ,_. ~ • • • , .... 0"-" .. ... tot. ' . , ..... o • • !M ~ •• ~.lf'" .. rl .. .." T~ ' .. a. _, !< ... , ",U ... ,<, .... , .. .,"', ....... "'.' ~~ß/#f{I~f • .'~r,/ ~ ... h.,...d<Jt ~ ..... : .... , ~ .. ~. ""I .. 11 .... I~~/ o. " 1 _or "" .. ........ <""IO" M"~ • • t ..... " ~ •• • " ... ", ' ... , •• ~.,. •• ~ .... " ~,." ." ".'M", ".r' ' .1ft ."~ .. .. "" .~ .. ,.".. """ " " "', .""" • • , _, • ., . 10 •••• ~ ........ .... H. "" . ... ".";~ \. ",.. ''''''''' 't1U o1o\l> . .. ",~ ..... " .... • IM . 0 r_ ... <~' , 01 ,." • ..-.. .<l'."". "' . .. ,. u ........ ....... . ~ ... _ ~.,.. ,,)<. , ... h ....... ~ ' '"'''' Ben Brecht, Typogramm mit handschriftlicher Korrekwr. schlagewerke von der Volkskunde über die Bibelkonkordanz bis zu Verbrecher-Lexika, Sport-Lexika oder Wörterbüchern zur Wirt- schaft, Philosophie etc. In ca. 250 Aktenordnern sind die Doku- mente gesammelt, die für die Edition der Ly- rik [fünf Bände] und der Kurzprosa [drei Bän- de] notwendig waren. Das weitaus meiste Ma- terial stammt aus dem Bertolt-Brecht-Archiv (BBA) in Berlin: Kopien der Textüberlieferun- gen (zum internen Gebrauch), die der ABB als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt worden sind. Hinzu kommen die Erstdrucke, meist in Kopien, die aus aller Welt zusammengesam- melt wurden, Zeitdokumente aus der ganzen Weltgeschichte, die für den Kommentar (Ent- stehungsgeschichte) notwendig waren, Quel- len und Vorlagen, die die bei Brecht verarbei- tete Weltliteratur betreffen, vom alten China und von der klassischen Antike über SheIley, Shakespeare bis zu Sindair oder Mao Tse-tung oder Johannes R. Becher, die ebenfalls für die Kommenrierung benötigt wurden. Diese Dokumenten-Sammlung zu Brechts Werk, die um weiteres Material aus Berlin zur Biographie, zu den Schriften sowie zu den diversen Journalen, die Brecht geführt hat, erweitert ist, beruht auf dem neuesten For- schungsstand und ist - sowohl, was ihren Um- fang angeht, als auch hinsichtlich ihrer Voll- ständigkeit - einzigartig. Erstellt wurden die Bände der Großen Aus- gabe - was heute nichts Besonderes mehr ist, 1985, aber, als wir mit der Arbeit begannen, Pilot-Funktion hatte - ausschließlich per Computer, das heißt, dass nicht nicht nur die Kommenrare, jeweils ca. 150-200 Seiten ei- nes Bandes, sondern auch die Texte Brechts geschrieben und für den Sarz eingerichtet wur- den. Das hatte den Vorteil, dass keine fremde Hand mehr in die Texte eingreifen konnre und folglich auch keine späteren Satzkorrekturen mehr anfielen: Die in der ABB geschriebenen und korrigierten Dateien stellten so bereits die letzte Stufe zum endgültigen Satz dar. Ein weiterer Vorteil ist, dass diese Texterfas- sung für die in Karlsruhe bearbeiteten Brecht- sehen Werke die Grundlage bilden kann für eine Auswertung bzw. Analyse der betreffen- den Texte durch modernste Datenverarbei- tungssysteme. So werden die fünf Karlsruher Lyrik-Bände zur Zeit an der Brighan Young University, Provo, Utah/USA, für eine Chro- nologie der Gedichte Brechts ausgewertet. Weiterhin wurden in einer gesonderten Datenbank alle "äußeren" Daten für jedes Gedicht einzeln abgespeichert: Textüberliefe- rungen, Erstdrucke, Drucknachweise in den bisherigen Ausgaben, Alternativtitel u. a.: ca. 4.600 Datensätze. Eine solche Datenbank wurde auch für die Prosa erstellt und umfasst 2.600 Datensätze. Sieht man von der notwendigen Einarbei- tungszeit ab, hat die Karlsruher ABB mit ihren 56 acht Bänden der Großen kommenrierten Ber- liner und Frankfurter Ausgabe durchschnitt- lich anderthalb Jahre pro Band Arbeitszeit benötigt. Dabei ist zu bedenken, dass der Karlsruher Herausgeber bis Ende 1992 mit nur zwei halben wissenschaftlichen und einer studentischen HilfskraftsteIle auskommen musste. Die Kommentare allein. die enger gedruckt sind und zwischen 150 und 200 Sei- ten umfassen, entsprechen je einer Buchpubli- kation. Da zudem die vier Herausgeber der Ausgabe für alle 33 verantwortlich zeichneten, mussten sie über schriftliche Gurachten und Herausgeberkonferenzen, die abwechselnd in Frankfurt und Berlin stattfanden, zu jedem Band einzeln Stellung beziehen, die Konzep- tion und den Inhalt verantworten sowie den jeweiligen Bearbeitern und Bearbeiterinnen beratend zur Seite stehen. Schließlich fielen noch umfangreichere Arbeiten für den Registerband an, der im Herbst 1999 erscheinen wird. Internationale Verbindungen Die ABB ist inzwischen international bekannt und wird von vielen Gästen aus den USA, China, Japan, Korea, Indien u. a. aufgesucht und auch, z. T. über längere Zeit, als Arbeits- stätte genutzt. Ich erhielt u. a. Einladungen nach Korea, China, Chile, Japan, in die Ukrai- ne, nach Italien, Griechenland und Däne- mark. Besonders eng sind die Beziehungen zur Brecht-Gesellschaft in Korea. Mit dieser Ge- sellschaft zusammen sind bereits mehrere Buch-Publikationen realisiert worden. Drei Symposien, von denen ich zwei geleitet habe, fanden zwischen 1991 und 1998 in Seou! statt. Überdies gibt es einen Partnerschaftsvertrag zwischen der Chosun University in Kwang-ju und der ABB. JAN KN O PF Zahlenwende! Zeitenwende? Unser Verstand sagt uns, dass 2001 das neue Jahrtausend anbrechen wird. Unsere Gefühle werden aber von der Magie der Zahl 2000 ge- bannt. Wir brauchen solche Einschnitte, auch in unserem privaten Leben, um bilanzieren zu können. Mit einem hegelianischen Fortschritts- optimismus tun wir uns heute trotz des Wohl- standes schwerer als viele Karlsruher vor 100 Jahren, da man das neue Maschinenzeitalter feierte. Computer und Internet werden zur Zeit die Prognosen für kommende Jahtzehn- te füllen, immer etwas unscharf, wie der Blick in die Zukunft es nun einmal bedingt. Aber ein Blick in die Geschichte der letzten 100 Jahre gewährt genauereAuskünfte. In die- ser Ausgabe dominiert der Blick zurück ohne Zorn. Über das Grausige, Menschenverach- tende in der ersten Jahrhunderthälfte haben wir schon vieles berichtet und werden es weiterhin tun, denn solche Erinnerungen können viel- leicht auch Grundlage für eine Zeitenwende sein und unsere Haltung bestärken: so nie wieder! Doch es gab auch anderes, und positi- ve Entwicklungen sollten wir darüber nicht vetgessen. Nicht zuletzt wird das Universitäts- jubiläum im kommenden Jahr eine weitere Brücke über die Epochen schlagen, wohl nicht im Zorn gebaut. LEONHARD MÜLLER Karlsruhe um 1900 - die kaisertreue Residenz An einen Jahrhundertwechsel werden immer viele Erwartungen und zugleich Ängste wie Hoffnungen geknüpft. Wie sah die Stim- mungslage in der Karlsruher Bevölkerung dazu hundert Jahre früher aus? Damals gab es zwar noch keine Meinungsumfragen, doch lassen einige Berichte von Zeitgenossen darauf schließen. Monarchismus "In treuer Gesinnung, in liebevoller herzlicher Verehrung blickt der Karlsruher zu dem ehr- würdigen Großherzog Friedrich, zu der edlen Großherzogin Luise empor .... Mit der innigs- ten Anhänglichkeit an die badische Heimat ver- bindet der Karlsruher die wärmste Hingebung 57 an das große deursche Vaterland", schreibt Stadthistoriker Friedrich von Weech 1904 und führt diese Charakterisierung noch zu einem Höhepunkt: ,,In nationaler Gesinnung wissen sich alle Einwohner dieser Stadt einig, mögen sie auch sonst durch Verschiedenheit der poli- tischen und kirchlichen Anschauungen und Grundsätze getrennt sein. Sie stehen fest und treu allzeit zu Kaiser und Reich". Der Boom an Paraden, Festumzügen und Denkmalserrichtungen zu Ehren der Reprä- sentanten der Monarchie in dieser Zeit, scheint diese Worte zu belegen. Dass sich die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in der Verehrung des Kaisers wohl einig waren, wird an folgendem Beispiel deutlich. 1893 besuchte Kaiser Wilhelm 11. Karlsruhe. Um Srandbild der Clio im Sradrmuseum. ihn würdig zu empfangen, nahmen zahlreiche Vereine der großherzoglichen Residenz sowie die Schülerinnen und Schüler der in Karlsruhe vertretenen Bildungseimichrungen vom Bahn- hof bis zum Schloss Aufstellung. Ein damals im Druck herausgegebener Stellplan infor- miert uns nicht nur darüber, wo die einzelnen Vereine und Schulen Spalier zu stehen hatten, sondern gibt Aufschluss über die gesellschaft- liche Zusammensetzung der Jubelparade. So finden wir hier neben den vorwiegend aus bür- gerlichen Honoratioren bestehenden Gesang- vereinen auch Vertreter der Arbeitervereine, neben Krieger- und Militärvereinen, Schützen 58 und Turner, den Ruderclub neben dem Rad- fahrerbund und dem Athletenclub, höhere Töchter neben Gymnasiasten, Studenten neben Volksschülern usw. Sicher waren nicht alle der damals schon fast 200 in Karlsruhe vorhandenen Vereine vertreten, doch zumin- dest ein großer Querschnitt. Dass sogar eigentlich konträr laufende po- litische Überzeugungen in einfachen Kreisen durchaus mit dem Patriotismus für Kaiser und Reich einhergehen konnten, erfahren wir aus dem Bericht des evangelischen Arbeitervereins über die bescheidenen Wohnverhältnisse sol- cher Familien: "Der Wert des Mobiliars, wel- ches ein Arbeiter sein eigen nennt, schwankt zwischen 500 und 800 Mark. Vorhänge an den Fenstern und kleine Teppiche auf den Fußböden oder Decken auf den TIschen sind die Regel. Vielfach werden Blumen gepflegt, auch Vogelzucht betrieben. An Bildern sieht man die bekannten Öldruckbilder, irgendeine Landschaft darstelle~d. Außerdem findet man gewöhnlich das Bild des Mannes aus seiner Soldatenzeit, daneben oft Lassalle oder Marx, aber auch der erste deutsche Kaiser .... " Erinnerung an 1870/71 Gerne erinnerte man sich an die "heroischen Zeiten" des siegreichen Krieges gegen Frank- reich 1870/71. So war am Festplatz ein zelt- artiger Rundbau errichtet worden, das so- genanme Panoramagebäude, in dem Rundbil- der von damals namhaften Historienmalern gezeigt wurden, die zumeist Gefechte des deutsch-französischen Krieges, aber auch an- dere Schlachten darstellten. Der Eintritt in dieses Szenario kostete 50 Pfg., "für Militär und Kinder die Hälfte". Als nach der Jahrhun- dertwende mehrere Kinos in Karlsruhe eröff- net wurden, konnte diese Einrichtung dem Konkurrenzdruck des neuen Mediums aller- dings nicht lange standhalten. Natürlich war der allgemein verbreitete Patriotismus von der Obrigkeit gewollt und wurde nach Kräften unterstützt. So wurde z. B. die Errichtung des gewaltigen Kaiser-Wilhelm- Denkmals am Mühlburger Tor zur Gänze aus der Stadtkasse finanziert. 200 000 Mark waren hierfür von den Stadtverordneten bewilligt worden. Der vom Großherzog favorisierte Entwurf eines Reiterstandbildes von Bildhauer Adolf Heer wurde daraufhin in Bronze ausge- führt und das Denkmal am 18. Oktober 1897, dem Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, eingeweiht. Oberbürgermeister Schnetzler hielt eine überschwengliche Rede auf die Ruhmes- taren Wilhelms 1., der nun "immerdar auf eine patriotische Bürgerschaft herniederschauen " könne, die bereit sei, lImit Gut und Blut für die Erhaltung des Vaterlandes einzustehen, das ihr der große Kaiser geschaffen hat". Der Ein- weihungsfeierlichkeit wohnten neben den Ver- tretern des Militärs, den Mitgliedern der groß- herzoglichen Familie und mehreren deutschen Fürsten auch wieder fast alle Vereine und Schulen bei. Die ikonographischen Details des Denkmals sind von Manfred Großkinsky und Meinhold Lutz ausführlich gewürdigt worden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Lutz meint, Kaiser Wilhe1m sei nicht nur als siegreicher Feldherr und Reichseiniger darge- stellt, sondern der Typus des Reiterstandbildes gehe auf 1849 zurück, als der damalige Prinz von Preußen an der Spitze einer Armee in die badische Residenz einritt, um die Revolution niederzuschlagen. Insofern war die Idee von 1998, zum 150-jährigenJubiläum der Revolu- tion in Baden das Denkmal mit fiktiven To- tenschädeln der hingerichteten oder ums Le- ben gekommenen Demokraten zu garnieren, gar nicht einmal so abwegig. Zur Zeit der Ein- weihung des Denkmals, dachte man aber nicht mehr an dieses Kapitel der badischen Geschichte. Dazu boten die damals am Fuße des Sockels angebrachten Allegorien auch kei- 59 nen Anlass. Dem Kaiser voran schritt Viktoria, die Göttin des Sieges, mit einem LorbeetzWeig in der Hand, hinter ihm saß Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, die die Namen der Hauptstädte der eroberten "Reichslande El- sass-Lothringen" Straßburg und Metz in ihr Geschichtsbuch notierte. Die Wappen der ehemals französischen Territorien hatte Klio ebenfalls für sich vereinnahmt. Die Allegorien wurden im Zweiten Weltkrieg zusammen mit den seitlich des Sockels angebrachten Bronzen eines schwerthaltenden Löwen und eines badi- schen Greifen für Rüstungszwecke einge- schmolzen. Lediglich die beiden Seitenreliefs, die die Kaiserproklamation in Versailles und den Einmarsch badischer Truppen darstellen, sind heute noch am Sockel vorhanden. Ein Abguss des noch in Privatbesitz befindlichen Gipsmodells der Klio kann aber im Stadt- museum im Prinz-Max-Palais besichtigt wer- den. Dort befinden sich im Übrigen noch ande- re Exponate, die zur Darstellung des hier be- handelten Themas herangezogen werden kön- nen, etwa die Fahne des Karlsruher Militärver- eins, der wohl kutz nach den Kriegsereignissen von 1870/71 gegründet worden ist. In ihm hatten sich zumeist ehemalige Soldaten zu- sammengeschlossen, die am deutsch-französi- schen Krieg teilgenommen hatten und nun zu geeigneten Anlässen mit Festveranstaltungen und Paraden an glorreiche Zeiten erinnern wollten. So nahm der Militärverein 1877 auch an den Einweihungsfeierlichkeiten des von der Stadt Karlsruhe ebenfalls finanzierten Krieger- denkmals auf dem Alten Friedhof teil, mit dem der gefallenen deutschen Soldaten des 70/71er Krieges gedacht werden sollte. In der Folge sollten noch zahlreiche Kriegerdenkmä- ler an anderen Stellen im Stadtgebiet für badi- sche Truppenteile oder für die gefallenen Ein- wohner in den Stadtteilen errichtet werden, etwa 1887 in Mühlbutg ebenfalls unter Betei- ligung des dortigen Militärvereins. Sie sollten die Erinnerung an den siegreichen Feldzug und den "Kampf um Deutschlands Einheit" in der Bevölkerung stets wach halten. So steht auch das 1904 vor der damaligen Festhalle errichtete Bismarckdenkmal in dieser Traditi- on. das den "eisernen Kanzler" als Reichsgrün- der darstellt. der nach der Kaiserproklamation in Versailles bereits die Landkarte mit den neuen Grenzen des Deutschen Reiches in der Hand hält. Auch hier schmückte den Sockel ein geflügelter Genius mit den Palmen des Sieges. der 1940 der Metallspende zum Opfer fiel. nach dem Krieg versetzte man das Denk- mal an seine heutige Stelle vor das Bismarck- Gymnasium, so dass seine ehemals monumen- tale Wirkung völlig verloren ging. "Kolonialismus" In der Kaiserzeit konnte jedoch auch auf ei- nem anderen Feld der Reichspolitik der Patri- otismus angeheizt werden. nämlich mit der Erwerbung der deutschen Kolonien in Afrika. im Pazifik und in Asien. ·So feierte der Redak- teur der in Karlsruhe erscheinenden Badischen Landeszeitung am Vorabend des Jahres 1900 die inzwischen seiner Meinung nach eingetre- tene Großmachtstellung des Deutschen Rei- ches: .. Deutschland will nun nicht länger im Lande der Träume verweilen. da die Welt ge- teilt wird. Wir mUSSten unser Sinnen und Trachten auf die nationale Gestalrung be- schränken und uns das Weltbürgertum abge- wöhnen. aber nachdem wir durch die Kraft unseres Volkes und die Staatskunst Bismarcks den nationalen Boden gewonnen haben. führt uns der Kreislauf der Dinge wieder zu einer internationalen Betrachtung zurück. ... Nur im höchsten Wetteifer der Nationen. die ihre Besonderheit aufrecht erhalren wollen. wird der Menschheit höchstes Gut errungen. Wenn vor hundert Jahren der Rhein Deutschlands 60 Grenze. nicht Deutschlands Strom geworden war. wenn vor 50 Jahren die bescheidenen Anfänge deutscher Flotte von dem Engländer mit der Behandlung der Seeräuberschiffe be- droht wurden und schließlich unter den Ham- mer kamen. so dürfen doch heute auch die enthusiastischsten Anhänger der Flottenver- stärkung und Weltmachtpolitik Deutschlands sich ungeahnten Fortschritts erfreuen. da die Ausbeute der Handelsflotte die Eifersucht des reichsten Volkes wachruft und die deutsche Flagge über Kamerun und Samoa. den Karo- linen und Kiautschou weht." Noch deutlicher formulieren diese Ziele die goldenen "Kaiser- worte" Wilhe1ms 11.. die in das seit der Jahr- hunderrwende in mehreren Auflagen erschie- nene .. Badische Realienbuch " Eingang gefun- den haben. das füt den Unterricht natürlich auch an Karlsruher Schulen bestimmt war: .. Das mächtige deutsche Heer gewährt einen Rückhalt dem Frieden Europas. Weithin zieht unsere Sprache ihre Kreise auch über die Mee- re. weithin geht der Fluss unserer Wissenschafi und Forschung. Und das ist das Weltreich. das der germanische Geist anstrebt .... Wenn das deutsche Volk in sich gefestet und Gott ver- trauend in die Welt hinaustritt. dann wird es auch fähig sein. die großen Kulturaufgaben zu lösen. die ihm die Vorsehung in der Welt be- stimmt hat, nach innen geschlossen, nach außen entschlossen ... " Dass diese Propaganda zu Überheblichkeit und Selbstüberschätzung führen würde. Fak- toren. die beim Kriegsausbruch 1914 durch- aus eine Rolle gespielt haben. war den Zeitge- nossen sicherlich noch nicht bewusst. Auf der anderen Seite wurde mit geeigneten Maßnah- men das Heimatgefühl gestärkt. um den inne- ren Zusammenhalt der Bevölkerung zu för- dern. Dazu zählten die Heimat- und Trachten- feste. die in Karlsruhe gleich mehrfach vor- zugsweise zu Jubiläen der großherzoglichen Familie veranstaltet wurden. Trachten aller Art "Die Trachtenpflege der monarchistischen Epoche hatte ihre wichtigste Motivation aus der Verehrung für das Fürstenhaus bezogen", stellt Heinz Schmitt in seiner Untersuchung über "Die Volkstracht in Baden" fest. Die in dieser Hinsicht beeindruckendste Veranstal- tung fand bereits 1881 zur Silberhochzeit des Großherzogspaars und der Vermählung der badischen Prinzessin Viktoria mit dem Kron- prinzen Oskar Gustav Adolf von Schweden und Norwegen statt. Ein riesiger Festzug war zusammengestellt worden, der aus "Schülern sämtlicher Karlsruher Schulen", Vertretern der Gemeindebehörden, Staatsbeamten, dem Mi- litärverein, der Freiwilligen Feuerwehr, den Schützengesellschaften, Gesang- und Turnver- einen, dem Ruderklub u. a. bestand. Jede Ab- teilung führte eine Reitertruppe und eine Musikkapelle an. Höhepunkt des Fesrzugs war aber der Auftritt der Landestrachten, die sich aus ganz Baden eingefunden hatten. So wurde die Stadtbevölkerung mit der ländlichen Kultur vertraut gemacht. Diesem Trachtenauftritt folgten noch weitere, so erwa 1896 ein Umzug zum siebzigsten Geburtstag des Großherzogs. Die Förderung der Heimat- kultur führte dazu, dass man alsbald auch in Karlsruher Vereinen Trachten- und Bauernfes- te feierte, indem sich die Mitglieder dement- sprechend kostümierten. So organisierte bei- spielsweise der Gesangverein Liederkranz im Jahre 1900 ein "internationales Trachtenfest". 61 Der Verein bildender Künstler sollte seit 1901 seine sich in den folgenden Jahren öfter wie- derholende "Bauernkerwe" an Fasrnacht fei- ern. Wie sich noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs Heimarverbundenheit und Welt- machtstreben zu einem eigentümlichen Patri- otismus verbinden konnten, dafür sei ein letz- tes Karlsruher Beispiel angefuhrt. Am 16. Februar 1914 veranstaltete die Frauenorrsgruppe Karlsruhe des Vereins für das Deutschtum im Ausland in den Räumen des Museumsgebäudes "auf der Plantage Ba- denia in Kamerun" einen "Deutschen Abend". Umrahmt vom "Marsch der Schutztruppen- kapelle "und vom Sklaventanz, der "von Frau Allegri in liebenswürdiger Weise einstudiert" worden war, begrüßte der Plantagenbesitzer und seine Gattin die als Afrikareisende kostü- mierten Gäste. Neben dem von Frau Mutter vorgeführten "Tanz einer Negersklavin "wur- de u. a. von Mitgliedern des Hoftheaters das Schäferspiel "Der Kuss" zur Auffuhrung ge- bracht, der Pfadfinderbund fur junge Mädchen veranstaltete einen "Flaggenreigen". Auch die Kostümierung von Gästen in "deutschen Trachten" war den Organisatorinnen will- kommen, die damit offensichtlich den Zielen des Vereins für das Deutschtum im Ausland Rechnung tragen wollten. Nur wenige Jahre später waren die Weltmachtträume zunächst einmal ausgeträumt und auch "die gute alte Zeit" endgültig vorbei. PETER PRETSCH Aufbrüche, Niederlagen und Erfolge Die Frauenbewegung in Karlsruhe Der 1. Januar des Jahres 1900 fiel auf einen Montag. Durch einen Beschluss des Bundes- rates galt dieser Tag als Beginn eines neuen Jahrhunderts. Ganz der Symbolik eines solchen Momentes entsprechend trat an diesem Tag das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft. Damit erhielt das deutsche Kaiserreich 29 Jah- re nach seiner Gründung ein reichseinheidi- ches Privatrecht. das seit 1809 geltende Badi- sche Landrecht verlor damit seine Gültigkeit. Bücgerliches Gesetzbucb 1900 Die Rückblicke auf das 19. Jahrhundert. wel- che in den Karlsruher Zeitungen am 30. oder 31. Dezember erschienen. klangen fast durch- weg hoffnungsfroh. Stolz blickte man auf das Erreichte zurück und nannte das verflossene Jahrhundert eines des wirtschaftlichen und sozialen FortschrittS. Das BGB. das schon 1896 beschlossen worden war. sollte das kom- mende Jahrhundert auch in diesem Sinne ein- läuten. Für die Frauen konnte das nur Anlass sein. sorgenvoll in die Zukunft zu blicken. denn dieses BGB war für die Frauenbewegung der damaligen Zeit eine Niederlage. Das nun geltende Ehe- und Familienrecht sprach der unverheirateten Frau ab 25 Jahren zwar die volle Rechtsfähigkeit zu. schrieb aber die Un- mündigkeit der Ehefrau. ihre rechtliche Unter- ordnung unter ihren Ehemann. fest. Nun wur- de endgültig deutlich. was es bedeutete. kein Wahlrecht zu haben und bei Gesetzgebungs- prozessen ausgeschlossen zu sein. Wie überall im Kaiserreich taten sich nun auch in Karlsru- he gebi ldete Frauen des Bürgertums zusam- men. um 1903 eine unentgeltliche Rechts- 62 auskunftsstelle für Frauen und Mädchen zu gründen. 1908 hatte die Karlsruher Einrich- tung 73 weibliche und 7 männliche Mitglie- der. Die Vorsitzende war Marie Rebmann. die Ehefrau des Oberschulrates und Vorsitzenden det Karlsruher Nationalliberalen Edmund Reb- mann. Die Karlsruher Rechtsauskunftsstelle kam in der Lindenschule. einer Mädchen- schule in der Kriegsstraße 44. unter. Sprech- stunde war jeden Dienstagabend von 19.00 bis 20.30 Uhr. Hier wurden Frauen über Ehe- verträge. Mündigkeits- und Vormundschafts- angelegenheiten sowie Fragen des Arbeits- rechts beraten. um nicht ganz ungeschützt der neuen Lage ausgesetzt zu sein. Kleidung, Sport, Frauenbildung Solche Eintichtungen entstanden überall in Deutschland. sie entwickelten sich zu Zentren der so genannten radikalen Frauenbewegung. welche die volle politische und gesellschaftli- che Gleichberechtigung forderte. Die Karlsru- herinnen arbeiteten eng mit dem schon seit 1897 bestehenden Verein Frauenbildung-Frau- enstudium und später mit dem 1906 gegrün- deten Verein für Frauenstimmrecht zusam- men. Gemeinsam organisierte man Vortrags- zyklen. An solchen Abenden gab es nach den Redebeiträgen häufig auch Vorführungen tur- nerischer Übungen und neuer Kleidermodel- le. Das diente nicht dem Amüsement. sondern war Ausdruck eines neuen Gesundheitsbe- wusstseins sowie des Bemühens, die Frauen aus dem gesundheitsschädlichen Korsett zu befreien und an das Turnen zur Muskelstär- kung zu gewöhnen. Dieses Anliegen fand in Emmy Schoch 1912. Karlsruhe auch von ärztlicher Seite Unterstüt- zung. 1901 war auf Betreiben des Frauenarz- tes Hermann Paull in Karlsruhe der Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung gegründet worden. Man trat ein für eine neue, gesünde- te Form, Hir das so genannte Reformkleid, das u. a. im Modeatelier von Emmy Schoch ent- worfen und gefertigt wurde. Diese Kleider waren erst in zweiter Linie Ausdruck eines besonderen Modebewusstseins, vor allem soll- ten Frauen dadurch eine körperliche Bewe- gungsfreiheit erreichen. Nach dem Ersten Weltkrieg befreiten sich die Frauen endgültig von der einschnürenden Kleidung; unbequeme, die Bewegungsfreiheit einschränkende Kleidungsstücke wurden seit- dem zunehmend nur noch zu einem Problem des jeweils persönlichen Geschmacks. Die Teilnahme der Frauen am sportlichen Leben ist seit langem eine Selbstverständlich- keit. Schon 1927 lief die Karlsruherin Lina Betschauer bei den deutschen Meisterschaften in Breslau den Weltrekord über 800 m, im gleichen Jahr fand in Berlin das 1. Internatio- nale Frauensportfest auf deutschem Boden 63 statt. Auch die politischen Ziele der Radika- len, die zu Beginn des Jahrhunderts formuliert und, in weiren Teilen von den Sozialdemo- krarinnen ebenfalls verfolgt wurden, sind in- zwischen erreicht, obwohl es bis 1977 dauern sollte, bis im BGB die Gleichberechtigung der Ehefrau festgeschrieben wurde. Auf anderen Gebieten konnten die Frauen früher Erfolge verzeichnen. So wurde ihnen ab 1900 in Baden das Immatrikulationsrecht für Universitäten zugestanden, reichsweit erst ab 1908. Auf die Einhaltung von Arbeitsschutz- bestimmungen für Frauen und auf eine Ver- besserung der Arbeitsbedingungen der Arbei- terinnen achtete seit 1900 eine Fabrikinspek- torin. 1902 übernahm mit Marie Baum eine Frau das Amt, die noch in die Schweiz nach Zürich hatte gehen müssen, um studieren zu können. Stimmrecht fiir Frauen Seit 1910 waren die badischen Kommunen gesetzlich verpflichtet, Frauen in bestimmte Gemeinderatsausschüsse mit Stimmrecht auf- zunehmen. Die Karlsruher Stadtverwaltung begann schon in den 1870er Jahren mit Ver- treterinnen des Frauenvereins im Bereich der Armenpflege zusammenzuarbeiten. Das waren erste Schritte zur politischen Gleichberechti- gung, die allerdings erst nach der November- revolution 1918 erreicht wurde. Noch im Sommer 1918 hatte sich in der Zweiten Kam- mer des Karlsruher Ständehauses keine Mehr- heit für das Frauenwahlrecht gefunden. Dass dies reichsweit wenige Monate später durchge- setzt wurde, war vor allem ein Verdienst der SPD, die als einzige Partei vor dem Ersten Weltkrieg die politische Gleichberechtigung der Frauen in ihr Programm aufgenommen hatte. Am 5. Januar 1919 durften Frauen erstmals in Baden an die Wahlurnen treten, um die badische Nationalversammlung zu Um 1900 wurde das Radfahren zum Ausdruck der Bewegungsfreiheit. Hier ein Karlsruher Radfahrvercin mir Radfahrerinnen um 1900. wählen. Zwei Karlsruherinnen - Clara Siebert und Kunigunde Fischer - zogen in die badi- sche Nationalversammlung im Karlsruher Ständehaus. Beide waren schon lange vor dem Ersten Weltkrieg in der Frauenbewegung ak- tiv. Fischer bei den Sozialdemokratinnen. Sie- bert im katholischen Frauenbund. Clara Sie- bert wurde gegen Ende der Weimarer Repub- lik für kurze Zeit Reichstagsabgeordnete. Ku- nigunde Fischer war auch unter den ersten drei Karlsruher Stadträtinnen. Diese Entwick- lung wurde 1933 von den Nationalsozialisten abrupt beendet. Der Neubeginn auf der poli- tischen Bühne nach 1945 gestaltete sich auch in Karlsruhe schwierig und ist in der Publika- tion des Karlsruher Stadtarchivs. "Karlsruher Frauen 1715-1945" sehr genau nachzulesen. 64 Heute. im Jahre 1999 sind unter den 48 Ge- meinderäten 17 Frauen. Neue Wege seit 1949 Eines jedoch zeigte das 20. Jahrhundert mit seinen Einbrüchen 1933 bis 1945 sehr deut- lich: Es bedurfte einer rechtlichen Festschrei- bung der vollen Gleichberechtigung der Frau- en. um sie auch auf Dauer zu gewährleisten. Das wurde 1949 mit dem Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes erreicht. Dass dies auch umge- setzt wurde, ist nicht zuletzt ein Verdienst des Bundesverfassungsgerichts. das seit 1951 in Karlsruhe residiert und seit einigen Jahren mit seiner Präsidentin Jutta Limbach eine Frau an der Spitze hat. Erst der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes ließ es zu. das BGB von 1900 so umzuschrei- ben. dass den Frauen die vollen Menschen- rechte auch in der Ehe zugestanden wurden. Dass sich die Politik veranlasst sah. die Gesetze dem Grundgesetzauftrag anzupassen, ist ganz wesentlich ein Erfolg der so genannten Zwei- ten Frauenbewegung. die seit den 1970er Jah- ren Themen wie das der Gewalt gegen Frauen aufgriff. die zur Jahrhundertwende noch eher als privat galten. Auch in Karlsruhe gibt es seit 1982 ein Frauenhaus. das vom Verein zum Schutz misshandelter Frauen und deren Kin- der getragen wird. Einer ähnlichen Aufgabe nimmt sich in Karlsruhe das Frauen- und Kin- derschutzhaus Sc. Antonius an. dessen Ge- schiehte 1908 zunächst als Zufluchtsheim für gefallene Mädchen. die damals gesellschaftlich geächtet waren. begann. Das alles sind nur einige Aspekte des langen Weges der Frauen in die zumindest gesetzliche Gleichberechtigung. dessen Ende am 1. Januar 1900 nicht abzuse- hen war. SUSANNE ASCHE Häuser der Stadtgeschichte 1900 - 2000 Als vor 100 Jahren in den Karlsruher Tageszei- tungen darüber debattiert wurde, ob nun am 1. Januar 1900 das neue Jahrhundert beginne oder erst ein Jahr später. gab es in Karlsruhe seit 15 Jahren ein Stadtarchiv. das diese Zei- tungen archivierte und sie bis heute der stadt- geschichtlieh interessierten Öffentlichkeit - inzwischen allerdings über Mikrofilm - zur Verfügung stellt. Das Stadtarchiv hatte seit seiner Gründung im Jahr 1885 eine positive n; -~: Im ehemal igen Wasserwerksgebäude, Ganenstraße 53 , war das Sradrarchiv von 18 96 bis 1923 untergebracht. 65 Entwicklung hinter sich. Am 10. Juli 1885 war das Orcsstatut über die Verwaltung des Städtischen Archivs erlassen und die Bildung einer sieben köpfigen Archivkommission be- schlossen worden. Ausgangspunkt dieser Gründung war die Erkenntnis, dass viele an- dere badische Städte .. Geschichtsschreiber ge- funden haben und die größeren und älteren unter ihnen wohlgeordnere Archive besitzen", Karlsruhe jedoch sich .. bis jetzt weder des ei- nen noch des anderen rühmen" könne, wie es im Orcsstatut heißt. Diese Gründung eines eigenen Stadtarchivs entsprach durchaus dem zeitgenössischen Selbstverständnis des Bürger- tums. das sich auch in seinem Städtebau durch den Historismus eine Geschichte zu geben trachtete. Die noch junge Geschichtswissen- schaft harre auch die Städte erreicht. Erstes eigenes Haus Seit Ende des Jahres 1896 verfügte das Stadt- arehiv. das bis dahin im Rathaus sehr beengt untergebracht war. sogar in dem ehemaligen für Archivzwecke umgebauten Wasserwerkge- bäude in der Ganenstraße über ein eigenes Archivgebäude, in dem es auch Räumlichkei- ten für kleine Ausstellungen gab. Don hatte das Stadtarchiv vom 21. November 1898 bis zum 23. Juli 1899 eine Ausstellung gezeigt, die man nicht so ohne weiteres in der nationalli- beral geprägten badischen Haupt- und Resi- denzstadt erwattet hätte. Obwohl die Natio- nalliberale Pattei in der Presse und auch im badischen Landtag im Ständehaus heftig ge- gen das Gedenken an die fünfzig Jahre ZUVOt gescheitene Revolution von 1848/49 agitier- te, präsemiene das Stadtarchiv Karlsruhe eine Ausstellung mit Bildern, Flugblättern, Akten- stücken und anderen Gedenkgegenständen aus den Revolutionsjahren 1848 und 1849. Erstaunlicherweise gab es darüber weder stadt- imern noch in der Presse eine Auseinanderset- zung. Es war also offensichtlich selbstverständ- lich, dass das Stadtarchiv eine solche Ausstel- lung aus seinen Beständen zeigte. Die Ausstel- lung wurde während 69 Öffnungstagen von 820 Personen besucht. Rechnet man diese Zahl auf die heutige Einwohnerschalt hoch, so wären dies rund 2.500 Besucher. Angesichts der nicht gerade zemralen Lage des Archivs, der sehr eingeschränkten Öffnungszeiten von zehn Wochenstunden und der geringen Wer- bemöglichkeiten war dies eine durchaus pas- sable Resonanz. Der "Badische Landesbote" hatte diese Ausstellung in einer Notiz ange- kündigt und hervotgehoben, dass viele von mehreren hundert "Ponräts, Schlachtenbil- dern, Plänen, Karikaturen, Flugblättern" und zwar gerade, die wertvollsten "ursprünglich in Privatbesitz waten und erst in den letzten Jah- ren durch die Liberalität der Eigemhümer in den Besitz der städtischen Sammlungen ge- kommen sind, wodurch sie erst der Allge- meinheit zugänglich gemacht und in vielen Fällen sicherlich auch vor dem gewissen Un- tergang bewahn geblieben sind." Der Journa- list nenm damit die auch heute noch in vollem 66 Umfang gültigen Argumente für eine Abliefe- rung historischer Unterlagen an öffentliche Archive. Die don verwahnen Archivalien sind allgemein zugänglich und werden dauernd und sicher aufbewahn. Wären nicht im Zwei- ten Weltkrieg etliche Verluste zu beklagen ge- wesen, so würde dies auch für zwei besonders interessante Stücke, zutreffen, die heute als verloren gelten müssen: zwei preußische Ka- nonenkugeln aus dem Jahr 1849. Eine dieser preußischen Kanonenkugeln hatte das Archiv im Jahr 1891 von dem Priva- tier Spitzmüller erhalten. "Auf der Kugel selber befindet sich von der Hand des Schenkgebers auf einem Zettel folgende Notiz: Diese Kugel ist am 25.6.1849 von Preußischer Artillerie vom Alleehaus, Durlacher Allee, nach Karlsru- he geschossen, beschädigte links Pappelbäu- me, bekam Richtung nach rechts durch[s] Durlachenhor, prallte an dem 4. Pfeiler des Zeughausgebäudes ab und rollte in langsamer Bewegung der Dragonerkaserne zu, und [ich] nahm sie in laufender Bewegung in Empfang. Spitzmüller 25.17.1849 Zeughaus-Rüstmeis- ter." Beide Kugeln befinden sich heute nicht mehr in städtischem Besitz, ohne dass über deren Verbleib Genaueres ermittelt werden könnte. Es bleibt nur die Vermutung, dass sie im Zuge der Auslagerung der stadtgeschicht- lichen Sammlungen nach Rastatt verloren ge- gangen sind, als auch etliche andere Objekte und Archivalien abhanden kamen. "Stadtgeschichte" um 1900 Dafür, dass die Stadtgeschichte um die Jahr- hundertwende Konjunktur hatte und nicht nur über Ausstellungen präsentiert wurde, spricht auch, dass zu dieser Zeit die dreibändi- ge Karlsruher Stadtgeschichte von Friedrich von Weech erschien und im Jahr 1900 der 16. Jahresband der Chronik der Haupt- und Re- sidenzstadt Karlsruhe vorlag. &ir 1924 residiert das Pfinz.gaumu~um in der Karlsburg. In der Begründung des Ortstatuts von 1885 war bereits angekündigt worden, dass man we- gen der Herausgabe einer neuen Gesamtstadt- geschichte "mit einer Persönlichkeit, von der eine gediegene Arbeit erwartet werden muß, bereits Vereinbarung getroffen" hatte. Man war sich auch sicher, dass die Publikation, die in mehreren Teilen veröffentlicht werden sollte, auf eine positive Resonanz stoßen werde, denn: "Das Interesse, welches einzelne von hiesigen Zeitungen und auch vom Adresskalender ver- öffentlichte Mittheilungen aus der Vergangen- heit Karlsruhes erweckt haben, berechtigt zur Hoffuung, dass auch eine zusammenhängende Geschichte der Stadt günstig aufgenommen wer- den wird." Der Direkror des badischen Gene- rallandesarchivs Friedrich von Weech erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen: Das Werk, das von 1895 bis 1904 in drei Bänden erschien, war "gediegen" und stieß auf das erhoffte Interesse. Stadtmuseum - Pfinzgaumuseum Zu dieser Zeit waren die "Stadtgeschichtlichen Sammlungen", die nach der Gründung des Stadtarchivs zunächst unter der Rubrik "Ge- denkgegenstände" geführt wurden, eine eige- 67 ne Abteilung des Stadtarchivs. Im Archivgebäude wurde 1911 auch das so genannte Bilder- zimmer eingerichtet, ein be~ scheidener erster Anfang einer stadtgeschichtlichen Daueraus- stellung. Die Verbindung von Stadtarchiv und Stadtgeschicht- lichen Sammlungen - heute das Stadtmuseum - hat in Karlsru- he also eine mehr als einhun- dertjährige Tradition . 1938 kam das von Friedrich Eberle gegründete pfinzgaumuseum mit der Eingemeindung von Durlach hinzu, das 1924 nach einer längeren Vorbereitungszeit im Prinzes- sinnenbau der Karlsburg eröffnet worden war. Die Bestände des Stadtarchivs und der Stadt- geschichtlichen Sammlungen beschränkten sich in erster Linie auf das Sammlungsgut, vor allem auf die umfangreichen Plan- und Bilder- bestände. Die stadtgeschichtlich bedeutsamen Unterlagen aus der Stadtverwaltung wie Ak- ten, Amtsbücher und Urkunden kamen erst später nach und nach ins Archiv und wurden lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Archiv als gesetzlicher Auftrag Dies hat sich inzwischen grundlegend geän- dert. Generell ist die Arbeit der öffentlichen Archive inzwischen als gesetzlicher Auftrag in den Landesarchivgesetzen vorgeschrieben und geregelt. Die als Satzung erlassene Archivord- nung der Stadr Karlsruhe verankert das Stadt- archiv darüber hinaus als die für die stadtge- schichtliche Arbeit zuständige Dienststelle. Außerdem regelt sie die Benutzung des Ar- chivs durch die Offentlichkeit. Über eine Dienstanweisung sind alle städtischen Dienst- stellen angewiesen, die nicht mehr benötigten Unterlagen dem Archiv zur Archivierung anzu- Seit 1990 ist die ehemalige Pfandleihe, Markgrafenstraße 29, das Domizil des Stadtarchivs. bieten. Diese gesetzlichen Rahmenbedingun- gen sichern die Arbeit des Archivs natürlich in einem weit höheren Maße als dies vor 100 Jah- ren das "Ortsstatut über die Verwaltung des Städtischen Archivs" allein konnte. Dennoch ist die Stellung eines Archivs immer auch von der Qualität der angebotenen Dienstleistun- gen für Verwaltung und Öffentlichkeit abhän- gig. Der heute erreichte Stand kurz vor der Jahrtausendwende ist eine gute Ausgangsbasis dafür, dass die Stadtgeschichte auch im neuen Jahrtausend weiterhin ihren Stellenwert behält. Stadtarchiv in der Pfandleihe Das Stadtarchiv verfügt über ein nach moder- nen Erkenntnissen umgebautes Gebäude, die ehemalige städtische Pfandleihe in der Mark- grafenstraße. Hier wird seit 1990 die Stadtge- schichte gesichert, erforscht und die Ergebnis- 68 se der Forschungsarbeit auf vielfalrige Weise vermittelt. Die inzwischen auf fast vier Regal- kilometer angewachsenen Bestände des Stadt- archivs umfassen nun auch schwerpunktmä- ßig das Schriftgut der Stadtverwaltung, das über ausführliche Findmittel zugänglich ist und im modernen Lesesaal des Stadtarchivs eingesehen werden kann. Beratung und Infor- mationsservice gehören zum selbstverständli- chen und vielgenutzten Angebot für stadtin- terne und externe Nutzer und Nutzerinnen. Den Wandel der archivischen Tätigkeit doku- mentieren auch moderne Hilfsmittel, an die vor 100 Jahren noch keiner dachte. Teilklima- tisierte Magazine mit Fahrregalanlagen, Ko- piergerät, Mikrofilmlesegerät und vor allem die pes erleichtern die Arbeit im Archiv. Dabei steht diese Technisierung der Archivar- beit erst am Beginn, da künftig in weit höhe- rem Maße als bisher maschinenlesbare Daten mit allen damit verbundenen Problemen der dauerhaften Archivierung von den Ämtern an das Archiv geliefert werden. Neben den nach wie vor vorhandenen Problemen bei der Kon- servierung und Restaurierung gefährdeter Ar- chivalien wird dies die Herausforderung der nächsten Jahre sein, der sich das Stadtarchiv wie alle anderen Archive stellen muss. Neue Medien So wie Archive mit neuen Medien bei der Übernahme der in den Verwaltungen produ- zierten Informationsträger konfrontiert wer- den und die anstehenden neuen Aufgaben bewältigen müssen, so müssen sie sich auch mit neuen Medien bei der Vermittlung von Stadtgeschichte befassen. Internet und Multi- media sind hier nur zwei Stichworte. Eine Multimediaanwendung hat das Stadtarchiv Karlsruhe bereits vor sechs Jahren in der "Er- innerungsstätte Ständehaus "erarbeitet, mit der die Geschichte des badischen Landtages Das Scadrmuseum öffnet im Sommer auch den Balkon des Prinz-Max-Palais. präsentiert wird. Im Internet ist das Stadtar- chiv derzeit mit Informationen über seine Dienstleistungen und Veröffentlichungen ver- treten. Angebote dieser Art, die zudem die gezielte Präsentation vor Archivalien und die Einbindung der Bestandsübersicht des Stadt- arehivs umfassen sollen, werden auch künftig gefragt sein und werden deshalb zu einem fes- ten Aufgabenfeld. Diese Stichworte stehen dafür, dass sich die stadtgeschichtliche Arbeit des Stadtarchivs insgesamt gewandelt hat und auch in weit höherem Maße als 100 Jahre zuvor fester Bestandteil des kulturellen Ange- bots ist, wie zahlreiche Ausstellungen, Publika- tionen, Vorträge und Führungen belegen. Neue "Stadtgeschichte" öffentlicht. Die Zahl der Publikationen in den beiden Reihen des Stadtarchivs "Veröffentli- chungen des KarIsruher Stadtarchivs" und "Forschungen und Quellen zur Stadtgeschich- te" ist inzwischen auf über 25 gewachsen. Selbstverständlich wurden auch Themen auf- gegriffen, über die sich Friedrich von Weech vor 100 Jahren möglicherweise gewundert hätte, die heute auf Grund anderer, moderner Fragestellungen an die Geschichte aber zum festen Repertoire stadtgeschichtlicher For- schung gehören. Damals hätte man wohl kaum ein Buch über die Industriearchitektur in KarIsruhe oder über die Fastnacht geschrie- ben oder herausgegeben. Auch die Geschich- te der Frauen hätte möglicherweise bei der damaligen ausschließlich männlichen Histori- kerzunft einige Verwunderung erregt, obwohl es bereits im 19. Jahrhundert erste Ansätze einer Frauengeschichtsschreibung gab. Viele dieser Buchprojekte waren mit Ausstellungen des Stadtmuseums im Prinz-Max-Palais ver- bunden. Seit dem 1. Dezember 1998 ist die vor 100 Jahren bestehende enge organisatori- sche Verbindung zwischen Stadtarchiv und den 'historischen Museen wieder hergestellt. Stadtarchiv - Pfinzgaumuseum - Stadtmuse- um nehmen den Aufgabenbereich Stadtge- schichte gemeinsam wahr, das Stadtarchiv seit 1990 in der Markgrafenstraße, das Pfinzgau- museum in der KarIsburg in DurIach mit ei- ner 1994 neu konzipierten ständigen Ausstel- lung über die Geschichte DurIachs und das Stadtmuseum seit 1981 im Prinz-Max-Palais in der KarIstraße 10, mit der 1998 auf einer stark vergrößerten Ausstellungsfläche präsen- tierten Dauerausstellung "Eine Vision und ihre Geschichte. In allen drei Häusern wird weiterhin die historische Überlieferung ge- sichert und die Geschichte der Stadt KarIsru- he und ihrer Stadtteile vermittelt und präsen- 1998 hat das Stadtarchiv eine moderne, knapp tiert. 800 Seiten starke, Gesamtstadtgeschichte ver- ERNST QTTQ BRÄUNCH E 69 Landwirtschaft in und um Karlsruhe Mit Generaldekret erklärte Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach 1783 die Bau- ern für leibesfrei. Bis zur endgülrigen Ablö- sung der Abgaben, die aus der Leibeigenschaft resulrierten, dauerte es jedoch: 1820 der so ge- nannten Herrenfrohn, 1833 der Zehnte, nach 1848 die letzten grundherrlichen Rechte. Die Weichen für die Entwicklung eines bodenver- bundenen und leistungsfähigen Bauerntums waren gestellt. Nur die Rahmenbedingungen in Baden und gleichermaßen im Karlsruher Raum waren denkbar ungünstig. Der bäuerliche Bildungs.tand Rund 70% der Bevölkerung gingen um 1850 einer landwirtschaftlichen Tätigkeit nach. Der Bildungsstand war jedoch höchst unbefriedi- gend. Nur langsam wurden die Lehren der sich entwickelnden Agrikultur umgesetzt (u. a. Albrecht Thaer 1752-1828, Humustheorie, Fruchtwechsel statt 3-Felderwirtschaft; Justus von Liebig, Theorie der Mineraldüngung) . Der gemeine Landwirt, der Bauer, blieb seiner altväterlichen Tradition verhaftet. Die schlech- te Versorgung der Bevölkerung mit Grund- nahrungsmitteln gipfelte in Missernten und in Hungersnöten um 181611817und 1846/1847 (Kraut- und Knollenseuche, sog. Kartoffel- seuche). Die Errichtung einer landwirtschaftlichen Gartenbauschule mit Angliederung einer pri- vaten landwirtschaftlichen Winterschule durch Freiherrn August von Babo brachte 1851 den entscheidenden Schritt zur besseren Berufs- ausbildung des Bauern im Karlsruher Raum. Die Schule wurde inmitten eines landwirt- schaftlichen Areals an der Rüppurrer Straße, etwa auf dem Gelände des früheren Arbeits- 70 amtes, erstellt. Am gleichen Ort wurden so- dann 1860 eine Obstbauschule und 1864 die großherzogliehe Winterschule eingerichtet. Wegen Flächenkonkurrenz zur Stadt wurde die Schule 1893/1894 auf den Augustenberg verlegt. Das Musrergur, den heurigen Obst- bau-, Lehr- und Versuchs betrieb, hatte unter- dessen der badische Staat erworben. Durch die Verbindung von Theorie und Praxis wirkte der Augustenberg außerordentlich positiv auf die Weiterentwicklung der Landwirtschaft im ge- samten nordbadischen Raum. Ab Mitre des 19. Jahrhunderts besserte sich die wirtschaft- liche Lage und damit auch die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Gerade im Karlsruher Raum brachte die aufstrebende Industrie Kaufkraft, Nachfrage und damit Absatz der durch neue Erkenntnisse produ- zierten größeren Mengen. Landschaftliche Gegebenheiten Die natürlichen Verhältnisse bieten dem land- wirt nicht nur gute Voraussetzungen, z. B. die nur kleinen Inseln der Dorfmarkungen der heutigen Bergdörfer (Waldhufen), die sump- figen, teilweise moorigen Gebiete des ehema- ligen Kinzig-Murgbettes entlang des Gebirgs- randes. Hier konnte erst nach großzügigen Entwässerungsprojekten, z. B. dem Malseher Landgraben, der pfinz-Saalbachkorrektion - Zeitgeist der 50er Jahre - eine geordnete land- wirtschaft betrieben werden. Die kargen Sand- böden auf der Hardr, z. B. in Rheinstetten, Neureut, Eggenstein, Leopoldshafen oder die vor der Rheinkorrektur durch Hochwasser srark gefährdere Rheinniederung, bilden eben- falls keine günstigen Voraussetzungen. Erst in jüngster Zeit wurden die uralten Formen der Almende, d. h. des Gemeinschafrslandes abge- löst, die das Risiko z. B. von Überschwem- mungen auf viele Schultern verteilen sollte. Die fruchtbaren Lössflächen etwa nördlich der Linie Langensteinbach-EttIingen im Kraich- gaugebiet seien andererseits ebenso wenig ver- kannt wie die hervorragenden, klimatischen Verhältnisse, die den Anbau einer Vielzahl von Acker- und Sonderkulturen zulassen. Zu Recht spricht man vom Obst- und Gemüsegarten Baden oder vom Frischgemüseanbaugebiet Durlach-Aue für Karlsruhe. K1einstbesitz und K1einstbetriebe Baden ist das Land des Kleinstbesitzes und der Zwerg- und Parzellenwirrschaften. Für den Raum Karlsruhe trifft dies, mit Ausnahme weniger Gutshöfe, ausgeprägt zu. Zersplitter- ter Besitz war über Jahrhunderte hinweg eine große Bürde für die Produktion. Ursache ist die Realteilung: Der landwirtschaftliche Besitz wurde über Generationen hinweg in der Erb- folge aufgeteilt, die Grundstücke wurden klei- ner und kleiner, die Flurstruktur unübersicht- lich, die Bewirtschaftung äußerst erschwert: 10 ar Durchschnittsgröße der Parzellen, in Neureut auf der Niederterrasse z. B. weniger als 8 ar als typisch lange .Handtücher". Dung. Saatgut und Ernte mussten getragen werden, sofern Wege oder Überfahrtsrechte nicht vor- handen. Wenige Feldbereinigungen im letzten Jahrhundert schafften vereinzelt Abhilfe. Nicht nur Felder, auch die Hofreiten wur- den geteilt. Die Lebens- und Arbeitsbedingun- gen in den nGemeinschaftshöfen .waren z. T. katastrophal: mehrere Ställe, Stroh und Heu an verschiedenen Plätzen, mit dem Wagen kaum Wende möglichkeiten, oftmals Srock- werkseigentum wie bei einer modernen Eigen- tumswohnung, die Dungstätte an der Straße. Mehr als 80 % der Betriebe bewirtschafte- ten weniger als 2 ha Fläche. Eine Untersu- 71 chung von 1904 ergibt, dass in 17 Landge- meinden bei Karlsruhe die durchschnittliche Betriebsgröße 67 ar beträgt. Zwischen 1882 und 1907 hat sich die Zahl der landwirtschaft- lichen Klein- und K1einstbetriebe bis 1 ha in Baden sogar um 30.000 erhöht. Ursache war das Wachstum der Kommunen, deren Flä- chenbedarf und der zunehmende Nebener- werb der Landwirte als Industriearbeiter. Die Nebenerwerbslandwirtschaft hatte Blütezeit: Die Männer gingen in die Industrie oder ver- richteten Lohnarbeiten wie z. B. Transporte. Frauen, Kinder und Alte bewirtschafteten mü- hevoll den Landbesitz, um den kargen Lohn aufzustocken. Die Kleinstbetriebe dominier- ten auch noch 1950 im alten Stadt- und land- kreis Karlsruhe: In rund 10.000 Betrieben mit Milchviehhaltung werden 15.000 Kühe ver- sorgt, d. h., im Durchschnitt 1,5 Milchkühe je Betrieb. 16.400 Schweinehalter hielten zur gleichen Zeit im Durchschnitt gar nur 1.43 Tiere. Landwirtschaftliche Produktion zur Selbstversorgung! Dieses Arbeiterbauerntum gab aber der Sozialstruktur ein stabiles Funda- ment, der weitgestreute Grundbesitz befindet sich ganz überwiegend in Bauernhand. Deshalb sind in unserem Raum auch nur wenige Hofgüter vorhanden, z. B. Hohenwet- tersbach, das 1706 auf der Markung des da- mals nicht mehr lebensfähigen Dorfes ent- stand. Ebenfalls im 18. Jahrhundert wurden der Batzenhof und der Lamprechtshof auf Ödgelände gegründet. Werabronn zwischen Durlach und Weingarten war eine alte Müh- le und Kurpfälzer Grenzstation. Der Thomas- hof ist aus einer privaten Rodung hervorge- gangen, Hofgut Scheibenhardt ist eine Klos- tergründung. Der Ritrnerthof. Stutensee und Maxau sind fürstliche Gründungen. Das Stadtgut Durlach im Bogen der Umgehungs- straße BIO entstand erst 1917 mit der Maßga- be, während des Krieges Milch für Kinder zu produzieren. Nachkriegszeit: Wandel der Betriebsstruktur Der Wandel der Betriebssrruktur nahm im Raum Karlsruhe eine nicht vorstellbare Ent- wicklung, einmalig im Deutschland der Nach- kriegszeit. Von den 1950 im alten Stadt- und Landkreis vorhandenen rd. 15.000 Betrieben über 0,5 ha existieren heute kaum noch 5 %. In der Stadt Karlsruhe mit seinen Ortsteilen ging diese Zahl von ca. 2.700 auf erwa 130 zurück. Dafür steigt die bewirtschaftete Fläche je Betrieb enorm; die Konkurrenz um das immer knapper werdende Land im Verdich- tungsraum Karlsruhe ist erheblich, der Bedarf der Stadt nach wie vor groß. In den engen, verbauten Hofreiten war der Betrieb einer modernen Landwirtschaft mit Großtierhal- tung praktisch unmöglich. Die Aussiedlung zahlreicher Betriebe, also die Verlegung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude in die Flur, war deshalb ein öffentliches Anliegen. Für Be- triebsleiter mit Mut und unternehmerischer Leistung bedeutete dies meist die einzige Chance, den Beruf als Landwirt oder Gärtner weiterzuführen. Allein 45 Betriebe beschritten diesen Weg seit 1952 auf Karlsruher Gemar- kung. Sie stellen heute den Kern der Bewirt- schafter dar. Durch die Aussiedlungstätigkeit profitier- ten auch die engen Ortslagen: landwirtschaft- licher Verkehr wurde in die Flur verlegt, Emis- sionen vermieden, und für den Gemeinbedarf konnte Platz geschaffen werden. Aber auch manche Aussiedlung blieb von dem wirt- schaftlichen Zwang, aufhören zu müssen, nicht verschont. In der Kernstadt und in je- dem zweiten Ortsteil sind heute keine haupt- beruflichen Landwirte mehr tätig. ' Nur wenige Betriebe halten noch Milch- vieh, in vielen Ortsteilen und Landgemeinden ist die Milchkuh nicht mehr vorhanden; ähn- lich war die Enrwicklung bei Schweinen und 72 Hühnern. Anders die Pferdehaltung: Hier wurde der Bestand der Nachkriegszeit - das Pferd war vor allem Arbeitstier - nach einem Tiefstand in den 60er Jahren wieder erreicht. Heute dient der Reitsport zur Freizeitgestal- tung! Mit dem Strukturwandel ging eine nie er- wartete Leistungssteigerung auf der Fläche und bei den Nutztieren einher. Gab eine Milchkuh um 1840 gerade 1.000 I Milch, um 1940 2.500 I, so liegt der Leistungsdurch- schnitt in guten Ställen heute bei 7.000 bis 8.000 I Milch je Milchkuh. Die Getreideerträ- ge lagen Mitte des letzten Jahrhunderts um 7 bis \0 dzlha, das 2- bis 3-fache der Aussaat. Um 1950 wurden 28 dz, heute rd. 70 dz, mit Spitzenwerten über 100 dz geerntet, und der biologischftechnische Fortschritt geht weiter. Ursache für den gewaltigen Strukturwan- del nach 1950 war vor allem die Preiskosten- situation und die gleichzeitige Chance, Ar- beitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zu erhalten. Die K1einststruktur als Folge der Realteilung gab der Enrwicklung darüber hi- naus Vorschub. Nach recht guten Preisen in der Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit kam es immer mehr zum Überangebot landwirt- schaftlicher Produkte. Die Marktordnungen der EU garantierten 1958 bis 1990 wohl Festpreise, aber zu nied- rig, um mit kleinen Einheiten existieren zu können. Mit der Reform der Agrarpolitik um 1990 wurden die Preise heruntergefahren, der Betrieb erhält zwar Ausgleichsleistungen, das Gesamteinkommen bleibt jedoch niedrig. Der Verbraucher hat dagegen von den niedrigen landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen in ho- hem Maße profitiert. Ein Ei kostet heute z. B. gerade so viel wie 1950, der Anteil der land- wirtschaft an einem Brötchen beträgt 2 bis 3 Pfennige. Ausblick Auch in unserem Raum wird sich der Srrukturwandel fort- setzen. Viele Betriebe haben keinen Hofnachfolger. die wirt- schaftliche Situation ist oft kri- tisch. die hohe Arbeitsbelastung bei einem Zuerwerb außerhalb der Landwirtschaft ist sozial kaum noch haltbar. Auch die viel gepriesene Direkrvermark- tung - Einkauf auf dem Bau- ernhof - bietet nur wenigen Betrieben eine Chance. Dem Verbraucher sei freilich emp- fohlen . kontrolliert erzeugte Panellierung der Flur als Folge der Reaheilung. Lebensmittel ftisch vom Bauernhof zu kaufen. Die Betriebe werden in der Fläche weiter wachsen und/oder den Gemüse- und Sonder- kulturanbau ausbauen. Die Tierhaltung geht weiter zurück. Das ausgeprägte Bewusstsein unserer Landwirte, umweltgerecht zu produ- zieren. wird dabei von der Bevölkerung zuneh- mend erkannt. Vor allem an der Erhaltung un- serer schönen Landschaft mit dem Wechsel zwischen Flur und Wald. der Vielfalt der Ackerkulturen und den prägenden Wiesen- landschaften bei einem hohen Freizeit und Er- holungswert. wird unsere Landwirtschaft wei- terhin maßgeblich beteiligt sein. ARNULF BEEG Vom Sport an der Fridericiana ,,2000 feiert die Fridericiana - so seit 1902 benannt- ihr 1 75-jähriges Bestehen. 1825 als Polytechnikum gegründet. wurde sie 1885 zur Technischen Hochschule erweitert. 1967 zur Universität deklariert. Naturwissenschaft und Technik standen von jeher im Mittelpunkt ihrer Entwicklung. In den folgenden Ausga- ben des "Blick in die Geschichte" sollen aber auch andere Fächer beleuchtet werden. nicht zuletzt der Sport. dem hier die Zusammenfas- sung einer aufschlussreichen Examensarbeit gewidmet ist." 73 "Für jeden Leiter eines großen industriel- len Unternehmens sind bei einem Manne er- höhte Garantien für weitgehende und beson- ders geartete Verwendbarkeit gegeben. Da ein solcher Mann. der neben dem Nachweis guter wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse auch körperliche Frische und Gewandtheit aufweist, gelernt hat, seinen Körper sachge- mäß gesund zu erhalten. wird er nicht so leicht wie ein anderer unter der Last großer Anforde- rungen zusammenbrechen; er wird z. B. auch in Großbetrieben unvorhergesehenen Ereig- nissen gegenüber (Naturereignisse. Unfälle. Streiks usw.) leichter und besser seinen Mann stellen als die fleißige Nur-Arbeitsbiene und der unbeholfene Bücherwurm." Mit etwas an- deren Worten und unter Einbeziehung von Frauen könnte heute auch ein Trainee-Ausbil- der so formulieren. was der ehemalige Rektor Dr. Wilhelm Paulcke 1930 im Hochschulfüh- rer der TH Karlsruhe schrieb. Der Sport und die Sportwissenschaft an der Fridericiana muss- ten aber einen langen Weg zurücklegen. bis sie im heutigen Institut ihren Platz gefunden ha- ben. Die Anfänge Vor 1914 überließen es die Hochschulleitun- gen den Studenten. wie sie Sport treiben soll- ten. Immerhin veranstaltete man schon 1906 an der Universität Leipzig ein "deutsch-akade- mischesTurn- und Rasensportfest". Der 1911 gegründete • .Akademische Bund für Leibesü- bungen" sollte sich für den Bau von Übungs- stätten an deutschen Hochschulen einsetzen. Nach 1918 erhielt diese Entwicklung neue Impulse. denn neben die hygienische Zielset- zung trat eine nationale Komponente. Die körperliche Erziehung sollte eine Ersatzfunk- tion für die nach dem verlorenen Weltkrieg verbotene allgemeine Wehrpflicht überneh- men. Beim Ersten und Zweiten Studententag 1919/20 wurde die Einführung von pflichtge- mäßen Leibesübungen für alle Studenten be- schlossen. was freilich auf Widerstand stieß. An der TH Karlsruhe bestand schon 1890 ein T urnplarz im Fasanengarren, und das zustän- dige Ministerium erklärte sich 1900 einver- standen, .. dass der Turnunrerricht wie bisher so auch künftig .. . honorarfrei erteilt wird." 1913 wurde Professor Paulcke. einem Pionier des Skilaufs. erlaubt. an den "akademischen Ausschüssen für Leibesübungen" in Leipzig teilzunehmen. Seit 1919 Rektor. serzte er sich 74 intensiv für drei geplante Sportplätze und die Anstellung zweier Sportlehrer für einen regel- mäßigen Sportbetrieb ein. Die Ägide Twele Als Sportlehrer war ab 1921 August Twele tä- tig. geboren 1896. einer der ersten Absolven- ten der 1920 gegründeten Deutschen Hoch- schule für Leibesübungen in Berlin. mit dem Rektor Paulcke einen tatkräftigen Initiator fand. Wenn auch ein pflichtgemäßer Sport für alle Studenten nicht durchführbar war. ver- suchte man doch insofern einen moralischen Druck auszuüben. als man 1922 einen Erlass des Kultusministeriums erreichte, wonach in jedes Zeugnis ein Eintrag über Beteiligung oder Nichtbeteiligung an den Leibesübungen erfolgen müsse. Dieses "Karlsruher Modell" galt damals für viele Hochschulen als beispiel- haft. . Paulcke konnte bei der Finanznot am An- fang der Weimarer Republik erst 1927 ein Hochschulstadion realisieren nicht zuletzt mit Jubiläumsspenden zum hundertjährigen Be- stehen der TH 1925. Obwohl am Stadion noch vieles fehlte. wurde jetzt ein großes Leichtathletik-Sportfest samt Tennisturnier organisiert. 1930 wurden die baulichen Maß- nahmen. vor allem das freitragende Tribünen- dach. fertiggestellt. In diesen Jahren arbeitete Twele mit Unterstützung seines Rektors an der Errichtung eines "Instituts für Leibesübun- gen" (lfL). das schließlich im Mai 1931 eröff- net wurde und zu dessen Direktor man ihn ernannte. Während das IfL fachlich dem "Deutschen Akademischen Ausschuss für lei- besübungen" zugeordnet war, unterstand es dienstlich dem Rektor. Im Hochschulführer 1930/31 schrieb Twele über die Anlagen: "Den Kern bildet der Kampfplatz in den Aus- maßen von 100 x 65 m. umgeben von der 400 m langen und 7.50 m breiten Laufbahn. Der umgebende Wall bietet 8.000 Zuschauern Sichtmöglichkeiten ... Der Hauptbau im Sü- den (80 x 13 m) enthält eine Turn- und Gym- nastikhalle, Umkleideräume, Duschen und Plansch bad, Massage- und Boxraum, ferner Räume für die Verwaltung und die ärztliche Untersuchung. Dieser Bau ist gleichzeitig aus- gerüstet mit einer Zuschauertribüne mit 1.200 Sitzplätzen, überdeckt von einem 12m weit freitragenden stürzlosen Dach." Die NS-Zeit Nach der nationalsozialistischen Machtergrei- fung 1933 übernahmen die SA-Hochschul- ämter alle sportlichen Funktionen, wobei an vielen Hochschulen die reine wehrsportliehe Ausbildung dominierte. Nicht so in Karlsru- he, wo 1934 dem Institut seine urspüngliche Aufgabe wieder zurückgegeben wurde. Den- noch war die Einflußnahme des NS-Regimes erheblich, vor allem wurde das Stadiongelän- de für politische Großveranstaltungen genurzt. Ein riesiger Thingplarz war, vom Hochschul- stadion ausgehend, geplant, "der sich nach Norden öffnete, um in die gewaltige sich aus- dehnende Aufmarschbahn einbezogen zu wer- den", ein Unternehmen, das erfreulicherweise nicht zustande kam. Dazu erinnerte sich Au- gustTwele später: im Frühjahr 1935 habe ihm der badische Gauleiter Wagner eröffnet, dass das Institutsgelände vorläufig für den Bau ei- nes Zeltes mit 60.000 Sitzplätzen beschlag- nahmt sei. Hitler würde in Karlsruhe sprechen und ein anderes geeignetes Gebäude sei nicht vorhanden. Jeder Protest war selbstverständ- lich sinnlos. " ... Hitler saß also in meinem Arbeitszimmer und im Lorbeer geschmückten Schreibtischsessel. Ich hatte es abgelehnt, mich in eine SA- oder SS-Uniform stecken zu lassen und blieb in meinem Trainingsanzug als der mir gemäßen Uniform. Aber ich hatte Gele- genheit, dem "Führer" klarzumachen, dass die Gebäude schnellstens wieder für ihre eigentli- che Funktion hergerichtet werden müssen, da sofort die Vorbereitungsarbeiten für die Olym- pischen Spiele in Berlin in Trainingskursen aller Art beginnen müssen, für deren Durch- führung Karlsruhe bestimmt sei. Hitler rea- gierte auf das Zauberwort "Olympiade 1936", so dass bis 1937 das Stadion mit Großveran- staltungen verschont blieb und die Ausbildung als eine der wenigen Hochschulen den sportli- chen Schwerpunkt bis 1942 bewahren konnte. Neubeginn nach dem Kriegsende Bei Kriegsende war die Hochschule in vielen . Teilen ein Trümmerhaufen. Erst 1947 wurden die sportlichen Anlagen wieder genutzt, und 1948 übernahm der ehemalige Direktor Twele wieder die Leitung des Instituts, nachdem ihm bescheinigt worden war, "dass er ein entschie- dener Gegner des Wehrsportunterrichts" ge- wesen sei. Ab 1949 konnten Sportlehrer für Gymnasien ausgebildet werden, und der ame- rikanischen Besatzung wurde die Benutzung des Hochschulstadions unter der Versicherung abgerungen, dass Sportanlagen bei den Kaser- nen neu errichtet würden, ein Prozess, der sich bis 1953 hinzog. Nach Beseitigung der letzten Kriegsschä- den und Errichtung neuer Hallen erhöhte sich die Beteiligung der Studierenden an den Lei- besübungen sprunghaft. 1957/58 nahmen ca. 1.000 Studenten an Wettkämpfen teil, ein Erfolg für Twele, der 1962 nach 40-jähriger Tätigkeit vom neuen Institutsdirektor Dr. Bayer abgelöst wurde. Bayers Tätigkeit war zunächst durch ein fast fünfzehnjähriges Ringen um neue geeig- nete Sportanlagen gekennzeichnet. So erfreu- lich die Errichtung der Chemie-Türme für die Universität war, so forderte dies jedoch eine drastische Einschränkung für den Sport. Die alte Turnhalle im Tribünengebäude entsprach 75 Protc:stturncn dc:r Karlsruhc:r Sportstudentc:n am 11. Dc:zember 1971 in Srungarr. nicht mehr den Anforderungen. Schwimmen musste im Tulla-Bad stattfinden. die Sportge- räte litten unter unsachgemäßer Lagerung. die Bibliothek hatte keinen Leseraum. der Semi- narraum war ungeeignet. Rektor Rumpf dräng- te immer wieder das - finanziell - zögerliche Kultusministerium zum Handeln, zumal die Zahl der Sportstudierenden um 300 % gestie- gen und eine wissenschaftliche Forschung kaum möglich war. In einem Schreiben Juli 1968 hieß es: "Vier Jahre vor den Olympi- schen Spielen 1972 in München sieht sich das Instirut für Leibesübungen der Universität Karlsruhe einer Siruation gegenüber. die. be- dingt durch die völlige Zersplitterung der Sporteinrichtungen und Gebäude. einem funktionsgerechten Betrieb des Instituts ... auf die Dauer unmöglich macht. Eine so präkäre Situation ... kann für eine gewisse Übergangs- zeit ertragen und verkraftet werden. Auflänge- re Sicht gesehen. insbesondere im Hinblick 76 auf die in den letzten Semestern sprunghaft angestiegene Zahl der Sportstudenten und Stu- dentinnen ist dieser Zustand untragbar." 1971 demonstrierte die Studentenschaft in Karlsru- he und in Stuttgart. doch ohne beim Ministe- rium und Landtag eine Resonanz zu finden. Der Durchbruch erfolgte erst 1975 mit dem Richtfest eines neuen Instituts. das 1977 fertig sein sollte. Der Umzug aus dem denk- malgeschützten alten Tribünenbau. der erst in den 90er Jahren renoviert wurde, war nun möglich. Der neue Institutsleiter. Professor Dr. Kenntner, konnte allein schon auf eine Schwimmhalle hinweisen mit einem 12.5 x 25 m Becken. einem hydraulisch verstellbaren Hubboden. einer elektronischen Zeitnahme- vorrichtung für jede Bahn sowie zweier Sprung- bretter. Durch zwei Beobachtungsfenster un- ter der Wasserlinie können zu Lehr- und For- schungszwecken Video aufnahmen gemacht werden. Das Institut rur Sport und Sportwissenschaft Seit 1974 in die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften aufgenommen, erfolgte 1975 die Umbenennung des IfL zum "Institut für Sport und Sportwissenschaft (lfSS)" das sich in die Sparten Hochschulsport, lehramts- ausbildung und Forschung gliedert. Mit der wachsenden Studentenzahl wuchs auch die Zahl der Teilnehmer am wöchentlichen Hoch- schulsport. In den 60er Jahren waren es noch ca. 2.000, jetzt 4.000 in ca. 40 Sportarten. Neben zahlreichen Erfolgen in Wettkämpfen wird auch der gesundheitsfördernde Aspekt unter dem Motto "Impulse bewegt studieren" gewichtet. Die Zahl der Studierenden rur das Lehramt an Gymnasien stieg in den letzten 50 Jahren von 7 auf 327 an, wozu auch noch die Magisterabschlüsse mit Sport und zwei Ne- benfächern zu zählen sind. Forschungsprojek- te am IfSS können sich u. a. auf diese Gebiete beziehen: Konstitutionstypologie (z. B. Talent- suche), Sportbiologie (z. B. Wachstumsproble- me beim Menschen, physische Leistungsfähig- keit Jugendlicher unter bestimmten Trainings- bedingungen), Sportökologie (z. B. Sport und Umwelt), Sportpsychologie und -pädagogik (z. B. Entwicklung eines psychologischen Trai- ningsprogramms im Spitzensport), Sport und Gesundheit (z. B. Schwerpunkte: Rückenpro- bleme, Herz- und Kreislaufprävention, Sport für ältere Menschen) sowie Sporrsoziologie (z. B. Sport in der Dritten Welt). Mit einem der Forschungsschwerpunkte der Professoren Dr. Bös und Dr. Steiner zur betrieblichen Ge- sundheitsfärderung, vom ergonomischen Ar- beitsplatz bis zu Bewegungsaufgaben, wird deutlich, welche praxisbezogene Wissenschaft heute in diesem Institut an Bedeutung gewinnt. OLIVER POTTLEZ I LEONHARD MÜLLER Karlsruhe - Residenz des Rechts (Teil I) "Den respektablen Beinamen empfing unsere Stadt erst nach dem Kriege, als zum Ausgleich für Zentralitätsverlust neue Bundesgerichte ihren Sitz nahmen. Heute aber darf man, auf die Residenz des Rechts blickend, die gesam- te hier wirkende Justiz ins Auge fassen mit al- len Gerichten, mit Bundes- und Staatsanwalt- schaft, mit den Notariaten, die Rechtsanwäl- te als Organ der Rechtspflege einbeziehend. Ein umfassendes Bild dieser Justizzweige kann aus Raumgründen nicht gezeichnet werden, statt dessen werden die ansässigen höchsten Gerichte des Bundes und des Landes vorge- stellt. " 77 Das Oberlandesgericht 1803-1871 Recht sprachen in der Markgrafschaft Baden noch zu Ende des 18. Jahrhunderts die Be- zirksämter und Oberämter. Über ihnen stand das Hofgericht, angelehnt an den Hofrat als den verlängerten Arm des Landesherrn. In bestimmten Fällen war es möglich, obendrein das Reichskammergericht in Wetzlar anzuru- fen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderrs vergrö- ßerte sich Baden um beträchtliche Gebietstei- le, der Markgraf stieg zum Kurfürsten auf. Alsbald erließ er, um einheitliche Strukturen zu schaffen, dreizehn Organisationsedikte. Das 1. Edikt vom 4. Februar 1803 betraf die Justiz, es ordnete die Einrichtung eines Ober- hofgerichts an. In erster Instanz entschieden fortan die Bezirksämter - ab 1857 aus diesen ausgegliederte unabhängige Amtsgerichte -, in zweiter Instanz die drei, später vier Hofgerich- te. An deren Stelle traten ab 1862 funf Kreis- und Hofgerichte sowie sechs einfache Kreisge- richte. Und in letzter Instanz urteilte das Ob- erhofgericht, Vorläufet des späteren Oberlan- desgerichts. Eine Anrufung des Reichskam- mergerichts war von nun an als Folge des Reichsdeputationshauptschlusses weggefallen, das Appellationsprivileg stand jetzt allein dem Landesfürsten zu. Besetzt war das badische Obergericht mit Oberhofrichtern, Kanzler und Vizekanzler sowie fünf Räten; ihre Zahl wurde später auf zehn erhöht. Erster Oberhof- richter war Felix Rüdt von Collenberg, sein Nachfolger wurde Carl Drais von Sauerbronn, der Vater des berühmten Erfinders des Lauf- rads. Der Dienstsitz des Oberhofgerichts be- fand sich bis 1810 im Bruchsaler Schloss, so- dann bis 1879 in einem Teil des Schlosses von Mannheim. Man kann sich heute kaum vorstellen, mit welch bunt gewürfelten Rechtsquellen die Richter jener Zeit sich auseinandersetzen mussten: Da galten die Landrechte Baden- Badens von 1588 und Durlachs von 1654, da galt in neu hinzugekommenen Landesteilen kurpfälzisches, österreichisches, Solmser, speyerisches und württembergisches Recht, in einzelnen Städten und Herrschaften waren Statuten und Partikularrechte maßgeblich. Die dringend erforderliche Vereinheitlichung des Zivilrechts brachte die Einführung des Code Napoleon, der mit "hierländischer Lan- desart und Sitte" entsprechenden Zusätzen ab 1. Januar 1810 im Großherzogturn als badi- sches Landrecht in Kraft gesetzt wurde. Das Oberhofgericht hat in jahrzehntelanger Recht- sprechung das rezipierte französische Recht 78 fortgebildet. Der Code civil wirkte in Baden als volkstümliche Rechtsordnung bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900. Auf dem Strafrechtssektor war die Rechtssituation ebenfalls unübersicht- lich. Man urteilte in den beiden vereinigten Markgrafschaften noch nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532, aller- dings in Verbindung mit den jeweils geltenden Malefiz- und Landesordnungen. In den später hinzugekommenen Gebieten Badens wurden teilweise andere Polizei- oder Stadtordnungen "über Frevel und Bußen" zu Grunde gelegt, bis 1845 ein selbstständiges Strafgesetzbuch füt das Großherzogturn erlassen und 1851 wirksam wurde, das späterhin durch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 abgelöstwor- den ist. 1871-1933 Die Reichsgründung hatte eine einheitliche Gerichtsverfassung im Gefolge. Im Badischen trat im Jahre 1879 an die Stelle des Oberhof- gerichts ein Oberlandesgericht, zu dessen Be- zirk die Landgerichte Freiburg, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Mosbach, Offenburg und Waldshut, ab 1899 zusätzlich Heidelberg, sowie 57 Amtsgerichte zählten. Aus justizgeo- graphischen Erwägungen hatte man als Sitz des neuen Obergerichts die zentral gelegene Landeshauptstadt gewählt. Die räumliche Unterbringung erfolgte im Justizgebäude in der Linkenheimer Straße 7 gemeinsam mit Land- und Amtsgericht. Dieser Bau war von 1874-78 nach Plänen des Oberbaurats Hein- rich Leonhard unrer Verwendung, von Ele- menten des Neorenaissancesrils fertiggestellt worden. Organisatorisch entstanden am Ober- landesgericht zwei Zivilsenate' und ein Strafse- nat, denen jeweils fünf Richter anzugehören hatten. Besetzt wurde das Gericht mit einem Präsidenten. zwei Senarspräsidenren und 18 Oberlandesgericht um 1900. Räten. Diese Richter rekrutierten sich mit ei- ner Ausnahme aus dem Oberhofgericht und aus verschiedenen Kreisgerichten. Am 1. Ok- tober 1879, Tag der feierlichen Eröffnung, übersandte der Karlsruher Stadtrat eine freu- dig gestimmte Adresse und begrüßte, " ... dass dieses Ereignis die weittragendste und glück- lichste Bedeutung für die Entwicklung unse- rer Stadt in sich schließt, insofern dieselbe nunmehr zu dem Mittelpunkte auch der Rechtsprechung des Landes geworden ist." Ein eigenes Gerichtsgebäude, errichtet nach Entwürfen des Oberbaudirektors JosefDurm, konnten die Richter im Jahre 1902 in der Hoffstraße 10 beziehen. In der Weimarer Zeit hat sich die Recht- sprechung auf dem Kriminalitätssektor den aufkommenden sozialen 5rraftheorien und dem mehr und mehr in die Praxis umgesetzten Resozialisierungsgedanken nicht verschlossen. 79 Die Zivilrechtsprechung jener Epoche trug li- berale Züge. Indessen war es nach Inflation und Weltwirtschaftkrise gegen Ende der zwan- ziger Jahre zu einer sprunghaften Zunahme des Geschäftsanfalls gekommen. Die bean- tragee Vermehrung der inzwischen 20 Richter- stellen wurde wegen der ungünstigen Haus- haltslage abgelehnt. Die Folge war eine verzö- gerliehe Erledigung namentlich von Zivil ver- fahren, was wiederum Protestaktionen der An- wälte auslöste. Überschattet wurde all dies bald durch die Machtergreifung des NS-Re- glmes. Schon im März 1933 begannen diskrimi- nierende Maßnahmen mit dem Ziel der Ent- fernung jüdischer Richter aus ihren Ämtern. Vier Richter des Oberlandesgerichts wutden vorläufig beurlaubt, drei von ihnen während der folgenden Monate in den Ruhestand ver- serzt oder entlassen. Das Prinzip richterlicher Unabhängigkeit war damit abgeschafft. Zeit- gleich begann eine massive Einflussnahme der Parteizentrale auf die Rechtsprechung. Sie reichte von Weisungen an die Richter bis zur Vereitelung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen Günstlinge der NS-Partei, in Strafver- fahren bis hin zu willkürlicher "Schutzhaft" seitens der Gestapo und der Verschleppung Freigesprochener oder Strafentlassener in die Konzentrationslager. Von 1933 bis 1937 war das Oberlandesgericht Karlsruhe auch erscins- tanzliches Gericht für Hoch- und Landesver- ratsachen. Die gesamte Epoche ist sorgfältig und ausführlich dokumentiert in einer 1997 erschienenen Schrift von Chrisrof Schiller: "Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich". Zu erwähnen bleibt, dass mit der so genannten " Verreichlichung" der Justiz im Jahre 1935 die Justizverwaltungsgeschäfte teils auf die Verwaltungsabteilung des Oberlandes- gerichtspräsidenten - sie befand sich in der Herrenstraße 1 - und teils auf die Dienststel- le des Generalstaatsanwalts übertragen worden waren. Angesichts der fortdauernden Luftan- griffe auf die Stadt und der herantückenden Kampfhandlungen im Elsass wurde das Ge- richt mitsamt einem Teil seiner Akten und seines Inventars im Dezember 1944 per Eisen- bahntransport nach Sinsheim verlegt, wo man im Amtsgerichtsgebäude ein Unterkommen fand. Im April 1945 wurde Sinsheim von alli- ierten Truppen besetzt, das Zwischenspiel war zu Ende. 1945 bis heute Mit dem Kriegsende war es zu einem Still- stand der Rechtspflege gekommen. Als im Laufe des Hetbstes 1945 die einzelnen Gerich- te wieder eröffnet wurden, hatte sich die Ge- bietsstruktur verändert: Der südliche Teil Ba- dens unterstand nunmehr der französischen Besatzungsverwaltung. 80 Diese bewirkte einen getrennten Aufbau der Justiz in ihrer Zone. Als Folge wurde in Freiburg ein eigenes Oberlandesgericht errich- tet, das zuständig war für die Landgerichts- bezirke Freiburg, Konstanz, Offenburg und Waldshuc sowie für den Baden-Badener Be- reich, der dann 1950 ein eigenes Landgericht erhielt. Nordbaden gehörte zur amerikani- schen Besatzungszone, wo bald das Land Wümemberg-Baden entstand. Im Zuge dieser Entwicklung wurde das bisherige Karlsruher Oberlandesgericht lediglich Nebensitz des Oberlandesgerichts in Stuttgart. Nach Bildung des Landes Baden-Württemberg hat man im Jahre 1953 das Oberlandesgericht Freiburg aufgelöst, Karlsruhe erneut zum selbstständi- gen Oberlandesgericht erhoben und die frühe- ren Bezirksgrenzen wieder hergestellt. In der Folgezeit ist es wegen der wirtschaft- lichen und demographischen Evolution auch beim Oberlandesgericht in Kaclsruhe zu einer starken Zunahme der Verfahren gekommen. Zeitgleich haben verfassungsrechtliche Postu- late, technischer Fortschritt und gesellschaftli- che Veränderungen eine ständige Weiterbil- dung der Rechtsprechung bewirkt. Diese Ent- wicklung wird sichtbar in der zunehmenden Spezialisierung der Spruchkörper. Heute ent- scheiden drei Strafsenate in allen anfallenden Strafverfahren, ein Teil der 13 Zivilsenate in Karlsruhe ist für Spezialgebiete wie Farnilien- , Kartell- oder Landwirtschaftssachen zustän- dig, daneben gibt es besondere Senate für Bau- land- oder Steuerberatersachen, ferner das (Rhein-)Schifffahrtsobergericht. Sieben der Spruchkörper für Zivilsachen sind als Außen- senate in Freiburg ansässig, ihnen sind Verfah- ren aus den südbadischen Gerichtsbezirken zugewiesen. Insgesamt sind am Oberlandesge- richt unter Einbeziehung der Freibucger Sena- te 88 Richtet - davon acht teilzeitbeschäftigt - und 120 weitere Mitarbeiter - davon 45 teil- zeitbeschäftigt - tätig (Stand 31.12.1998). Mn Silberstein Seit 1803 bis heute standen dem Gericht (ohne OLG Freiburg) insgesamt 25 Präsiden- ten vor. Eine herausragende Gestalt der Nach- kriegszeit war Dr. Max Silberstein. Er kam aus einer Kaufmannsfamilie in Mannheim; don war er am 3. März 1897 geboren worden. Nach dem Zweiten Staatsexamen trat er 1922 in den badischen Justizdienst. Im Jahre 1927 wurde er zum Staatsanwalt, anschließend zum Landgerichtsrat in Offenburg und danach in Mannheim ernannt. Nach der NS-Machter- greifung sah Dr. Silberstein sich wegen seiner jüdischen Abstammung zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Er musste sich als Vermö- gensverwalter durchschlagen. späterhin wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald ver- schleppt. Im Jahre 1939 vermochte er nach Frankreich auszuwandern. Während des Zwei- ten Weltkrieges in Nizza von der Gestapo ver- hafret. gelang ihm die Flucht. Nach Kriegsen- de zurückgekehrt. wurde er Präsident des Landgerichts Mannheim. von 1955-63 am- tierte er als Oberlandesgerichtspräsident in Karlsruhe. Er war eine eindrucksvolle Persön- lichkeit. von hoher Geistesbildung und über- ragendem Rechtswissen, wegen seiner ver- ständnisvollen. aufgeschlossenen Wesensart von allen geschätzt und geachtet. Am 4. Sep- tember 1966 ist Dr. Silberstein in seiner Hei- matstadt Mannheim verstorben. REI NER HAEHLING VO N LANZENAUER Karlsruhe - Residenz des Rechts (Teil II) Der Bundesgerichtshof Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkrie- ges suchte die ehemalige Landeshauptstadt den erlittenen Zenrralirärsverlusr auszuglei- chen. Bei Gründung der Bundesrepublik be- warb sie sich daher als Sitz für Eintichtungen des Bundes. namentlich eines Gerichtshofes. Das soeben beschlossene Grundgesetz harre nämlich in Art. 95 Abs. 1 unter anderem be- stimmt. dass für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein Bundesgerichtshof als oberstes Gericht zu errichten sei. Ein Dutzend Bewerber für den Dienstort harre sich einge- funden, aus ihrem Kreise favorisierte Bundes- kanzler Adenauer die Stadt Köln. Doch der Bundestagsausschuss für Rechtswesen und Verfassungsfragen entschied nach längeren Auseinandersetzungen zugunsren von Karlsru- 81 he. wo man das ehemalige Erbgroßherzogliehe Palais in der Herrenstraße als Dienstgebäude angeboten. zugleich Wohnungen für Richter und Justizbedienstete zugesagt harre. Am 8. Oktober 1950 fand die feierliche Eröffnung des Bundesgerichtshofs starr. Hier forderte Bundespräsident Theodor Heuß die Befreiung des Rechtsdenkens von propagandistischer Überspitztheit und politischer Machtzweck- mäßigkeit. BundesjustizministerThomas Deh- ler begrüßte in seiner Ansprache die Wahl des Standorts Karlsruhe. denn dadurch werde das Gefühl der inneren Verbundenheit zwischen dem Süden und dem Bund gestärkt. Historisch betrachtet steht der Bundesge- richrshofin der Nachfolge des 1495 gegründe- ten. zuletzt in Wetzlar wirkenden Reichskam- mergerichts. des 1869 in Leipzig errichteten Bundesoberhandelsgerichts - ab 1871 Reichs- oberhandelsgericht - und des 1879 eröffneten Reichsgerichts in Leipzig. Hauptaufgabe des Reichsgerichts war die Entscheidung über Revisionen in Zivil- und Strafsachen. später wurden der Staatsgerichtshof und das Reichs- arbeitsgericht eingegliedert. Die Rechtspre- chung des Reichsgerichts erlangte in Wissen- schaft und Praxis internationales Ansehen. bis nach 1933 parteiliche Ideologie eine Anzahl von Urteilen bestimmte. Der Bundesgerichtshof ist heute im we- sentlichen das oberste Instanzgericht in Zivil- und Strafsachen. ferner befindet er in einer Reihe von Beschwerdefällen. Sinn der Revisi- on ist in erster Linie die rechtliche, nicht auch die tatsächliche Überprüfung des konkreten Falles. weshalb in der Regel keine Beweise zu erheben sind. In der Nachkriegszeit gewann die Wahrung der Rechtseinheit angesichts der Zerteilung in Besatzungszonen steigende Be- deutung und mit der Wiedervereinigung ist sie erneut zur juristischen Herausforderung geworden. Schließlich obliegt dem Revisions- gericht wegen des steten Wandels der Lebens- verhältnisse eine begleitende Fortbildung des Rechts. Von all dem zeugt die amtliche Samm- lung der Entscheidungen des Bundesgerichts- hofs. die inzwischen für Zivilsachen auf 140 und für Strafsachen auf 44 Bände angewach- sen ist. Die Aufgaben der Rechtsprechung erfüllen im wesentlichen zwölf Zivilsenate mit jeweils zugeteilten Sachgebieren. weiterhin fünf Straf- senate und acht Senate. die spezialisiert sind auf Anwaltssachen. Patentanwaltssachen. No- tarsachen. Kartellsachen. Landwirtschaftssa- chen. Steuerberater- und Steuerbevollmäch- tigtensachen. Wirtschaftsprüfersachen und Dienstgericht des Bundes. Alle Senate sind grundsätzlich mit fünf Richtern besetzt. teilweise wirken in den Spezialsenaten ehren- amtliche Richter mit. Der 5. Strafsenat hat seit Juli 1997 seinen Sitz in Leipzig. Sollten ver- 82 schiedene Senate in einer Rechtsfrage einmal unterschiedliche Meinungen vertreten. dann entscheidet ein Großer Senat für Zivilsachen oder ein Großer Senat für Strafsachen. bei Kompetenz übergreifenden Streitfragen treten die Vereinigten Großen Senate zusammen. Am Bundesgerichtshof arbeiten gegenwär- tig 123 Richterinnen und Richter. insgesamt sind dort etwa 450 Bedienstete tätig. Die Bun- desrichter werden von einem Richterwahlaus- schuss. dem die Justizminister der Länder so- wie 16 weitere vom Bundestag zu wählende Mitglieder angehören. gewählt und berufen. sodann vom Bundespräsidenten ernannt. Ge- wählt werden können Deutsche. die 35 Jahre alt sind und die Befähigung zum Richteramt besitzen. Die anfallenden staatsanwaltschaft- lichen Angelegenheiten nimmt die Bundesan- waltschaft wahr. die kürzlich in der Brauer- straße ein modernes Dienstgebäude beziehen konnte. Sie führt auch das Bundeszentralregis- ter. das seinen Sitz fortan in Bonn hat. In Zi- vilsachen können vor dem Bundesgerichtshof nur eigens zugelassene Rechtsanwälte auftreten. Dr. Herm:mn Weinkauf. erster Präsident des ßGH (1950-1960). Das vorläufige Planungskonzcpl f'lir den BGH 1975. RechlS olxn das ehern . Großherzogliehe Palais. Auf dem bisherigen RoI-Kreuz-Gdände rcchls unlen an der Herrensnaßc das "Haus auf Sidzen" für den f't,in fgeschossigen Richler-Bau. links unlen der Bau flir die Bundesanwalrschafl. geplanl vom Karlsruher Archileklen Erich SchelJing. Einblick in die laufende Geschäftsbelas- tung mägen die im Jahre 1998 eingegangenen Revisionen geben: In Zivilsachen wurde dieses Rechtsmittel in 4.255 Fällen eingelegt, im Ver- laufe der letzten 20 Jahre hat sich somit diese Fallzahl mehr als verdoppelt. In Strafsachen wurde 3.443 Mal Revision eingelegt, die Zahl der Neueingänge hat sich mithin auf hohem Niveau stabilisiert. Eine Vielzahl von durch Beschlüsse oder auf andere Art erledigten Ver- fahren kommt hinzu. Die zukünftige Tätigkeit des Gerichts wird in immer stärkerem Maße geprägt sein von der geplanten Angleichung der europäischen Rechtssysteme. Damit wer- den nämlich neuartige Interpretarions- und Abgrenzungsprobleme auf die Senate zukom- men. Etschwerend wirkt sich aus, dass der 83 Bundesgerichtshof als letzte Instanz über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht nicht selbst entscheiden darf. sondern die Rechtsfrage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg zur Entscheidung vorzulegen hat. Ein Beispiel, wie der europäische Eini- gungsprozess auch die Justiz erfasst. Erster Prä- sident des neu gegründeten Gerichtshofs war damals Hermann Weinkauff. Im Jahre 1894 in Trippstadt in der Pfalz geboren, besuchte er in Speyer das Gymnasium, srudierte sodann in München, Heidelberg, Würzburg und Paris. Nach den beiden juristischen Staatsexamen war er im bayerischen Jusrizdienst als Staatsan- walt und Richter tätig. Über das Justizminis- terium in München kam er 1926 zur Reichs- anwaltschaft, 1937 wurde er zum Reichsge- richtsrat ernannt. Der NS-Partei hat er nicht angehört. Nach Kriegsende wurde er zum Landgerichtspräsidenten in Bamberg. 1949 dort zum Oberlandesgerichtspräsidenten er- nannt. Im Oktober 1950 berief ihn Bundespräsi- dent Heuß auf die Karlsruher Chefs teile. Hier hat er nicht nur organisatorische Aufbauleis- tungen erbracht. sondern gleichermaßen in Wort und Schrift für allgemein verständliches Recht und Sicherung der richterlichen Unab- hängigkeit geworben. Im Jahre 1960 trat Weinkauff in den Ruhestand. 1981 ist er in Heidelberg verstorben. Das Bundesverfassungsgericht Die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts war bereits im Grundgesetz festgelegt. die Ein- zelheiten sind erst im Jahre 1951 gesetzlich geregelt worden. Nach kurzem Wettstreit zwi- schen Berlin und Karlsruhe wurde die ehema- lige badische Landeshauptstadt zum Sitz be- stimmt. Für diese Wahl hatte sich namentlich Bundesjustizminister Dehler stark gemacht. Hierbei bedachte man. dass schon zu Zeiten der Weimarer Republik der damalige Staats- gerichtshof sich an demselben Orte wie das Reichsgericht befunden hatte. nämlich in leip- zig. Für die Wahl Karlsruhes war weiter aus- schlaggebend. dass ein Teil der Richter zu- gleich an anderen obersten Bundesgerichten. mithin auch am Bundesgerichtshof, amtieren würde. Ursprünglich ging man auch davon aus. dass die Verfassungsrichter auf die bereits vorhandene Bibliothek des Bundesgerichtsho- fes zurückgreifen könnten. Feierlich eröffnet wurde das Bundesverfassungsgericht am 28. September 1951 im Karlsruher Schauspielhaus. Hier erklärte Bundeskanzler Dr. Adenauer. nunmehr habe der organische Aufbau des deutschen Staatswesens seinen Abschluss er- reicht. Die Tätigkeit des neuen Gerichts be- 84 Nach Abriss des alten Staatstheaters Gespräch des ersten Präsidenten des BVG. Or. Müller, mit dem in Karlsruhe geborenen Architekten Prof. Baumgancn, Bcrlin. gann im Prinz-Max-Palais in der Karlstraße 10. Im Jahre 1969 k~nnten die zu eng gewor- denen Räumlichkeiten aufgegeben und ein moderner Neubau bezogen werden. der an Stelle des ehemaligen Staatstheaters auf dem Schlossplatz errichtet worden war. Laut Grundgesetz stellt das Bundesverfas- sungsgericht einen allen übrigen Verfassungs- organen gegenüber selbstständigen und un- abhängigen Gerichtshof dar. es ist zugleich oberstes Verfassungsorgan. Demnach ist es keinem Ministerium zugeordnet. sondern be- sitzt Selbstverwaltung. auch in haushaltsrecht- licher Hinsicht. Die gerichtlichen Aufgaben sind in § 13 des Gesetzes über das Bundesver- fassungsgericht katalogmäßig aufgezählt. We- sentlich gehören dazu die Kontrolle. ob die er- lassenen Gesetze mit dem Grundgesetz verein- bar sind. auch ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil von Bundesrecht ist. Zuständig- keit besteht namentlich für die Überprüfung. ob Gerichte und Behörden bei ihren Entschei- dungen das Grundgesetz beachten. für die Entscheidung von Verfassungssrreitigkeiten zwischen staatlichen Organen, für die Wahl- prüfung bei Bundestagswahlen, für die erwa- ige Verwirkung von Grundrechten, für das Parteiverbot sowie für verfassungsrechtliche Anklagen gegen den Bundespräsidenten oder gegen Richter. Inhaltlich spannt sich der Bo- gen vom ersten Urteil, das die Gültigkeit der Wahl zum Südweststaat überprüfte, bis hin zum Urteil vom November 1999 über die Re- gelung des Finanzausgleichs zwischen den Bun- desländern. Eine Sonderstellung nimmt die Verfassungsbeschwerde ein. Jedermann kann sich nämlich an das Gericht wenden mit der Behauptung, in seinen Grundrechten oder bestimmten grundrechtsähnlichen Rechten verletzt worden zu sein. Der Rechtsbehelf hat große praktische Bedeutung erlangt, zugleich zu beträchtlicher Belastung des Gerichts ge- führt. Seit 1993 stieg die Zahl der Verfassungs- beschwerden auf ungefähr 5.000 jährlich, über deren Annahme besondere Kammern befin- den, die aus drei Richtern bestehen. Mag nur ein geringer Teil dieser Verfahren für den Be- schwerdeführer erfolgreich verlaufen, so kön- Das Modell für den Neubau des Bundesverfassungsgerichts. 85 nen sie gleichwohl zu grundlegenden Ent- scheidungen führen wie erwa das Apotheken- urteil von 1958, das Beschränkungen der Nie- derlassungsfreiheit allgemein für nichtig er- klärte. Die nahezu allumfassende Letztent- scheidungskompetenz des Verfassungsgerichts, die weit in den politischen Raum hinein reicht, bleibt nicht vor gelegentlicher Kritik verschont. Zwei Spruchkörper sprechen Recht. Jedem det Senate gehören seit 1963 je acht Richter an. Die beiden Senate entscheiden eigenstän- dig. Lediglich in Fällen, wo ein Senat in einer Verfassungsfrage von der Entscheidung des anderen Senats abweichen will, muss sich das aus heiden Senaten bestehende Plenum verei- nigen und gemeinsam urteilen. Dies war seit Bestehen des Gericht erst zweimal der Fall. Alle Richterinnen und Richter werden ge- wählt, und zwar hälftig durch einen Wahlaus- schuss des Bundestages und hälftig durch den Bundesrat. Voraussetzung ist Erreichung des 40. Lebensjahres und Befähigung zum Rich- teramt. Drei der Mitglieder eines jeden Senats müssen zugleich einem der fünf obersten Ge- tichtshöfe des Bundes angehören, um entspre- chende richterliche Erfahrung einbringen zu können. Die Richteramtszeit beträgt zwölf Jahre, währt längstens bis zur Altersgrenze von 68 Lebensjahren, eine Wiederwahl ist ausge- schlossen. Aus Bundes- oder Landesdienst können wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgeordnet werden, die bei der Vorbereitung von Entscheidungen mithel- fen sollen. REINER HAEHLING VON LANZENAUER Von den schwierigen Anfängen der Schülermitverantwortung in Karlsruhe Das Beispiel Humboldtschule Die Wochen und Monate nach dem Sturz der Monarchie im November 1918 wasen gekenn- zeichnet durch eine breite Diskussion über die Ausdehnung demokratischer Mitbestimmungs- rechte und -formen auf Gesellschaft und Wirt- schaft. Nicht alles, was hier an Vorstellungen geäußert wurde, konnte schließlich verwirk- licht werden. Anderes setzte sich durch und wurde nach einer Unterbrechung während der NS-Diktatur beim Neuaufbau nach 1945 wie- der aufgegriffen. Hierzu gehört auch die Schü- lermitverwaltung oder -mitverantwortung. Neugestaltung des Jugendlebens Die Schule als Teil der gesellschaftlichen Wirk- lichkeit, war selbstverständlich Gegenstand der Diskussion, die von Lehrern wie Schülern in der gegebenen Situation geführt wurde. So veröffentlichte der sozialdemokratische Karls- ruhee "Volksfeeund" vom 29. November 1918 "Die Forderungen der Lehrerschaft an den neuen Volksstaat". Die mit "R ... c" unter- zeichneten "Forderungen" verlangten, dass "der Gedanke der Selbstverwaltung in weitest- gehender Weise" verwirklicht werden müsse und daher der Schulverwalrung "beratende und beschließende Körperschaften" zur Seite zu stellen seien. Davon könnten alle "Maß- nahmen auf dem Gebiete des Schulwesens" in einem höheren Grad profitieren, "als dies je unter dem bürokratischen Absolutismus des Obrigkeitsstaates möglich gewesen wäre". Wenige Tage zuvor, am 23. November, hatte bereits Dr. Knud Ahlborn, Mitglied des 86 Karlsruher Volksrates, im Auftrag des "Rates geistiger Arbeiter" im Karlsruher Rathaussaal über die Gründung von Schulgemeinden an den Schulen referiert. Der Mediziner, der vor dem Ersten Welrkrieg zu den Führungsfiguren der deutschen Jugendbewegung gezählt hatte, entwickelte gemäß einem Bericht im "Volks- freund" vom 16. Dezember 1918 in seinem Vortrag den "Plan einer Neugestaltung des Jugendlebens an den höheren Schulen" und gab dabei "der Schülerschaft die Anregung, mit enrsprechenden Wünschen an das Unter- richtsministerium und die Leitung der Schu- len heranzutteten". Resolution der Humboldrschule Ahlborns Aufforderung blieb nicht ohne Wir- kung. Dies geht aus den Ausführungen hervor, die der damalige Direktor der Karlsruher Humboldtschule - Realgymnasium - Dr. Kasl Ott am 15. Januar 1919 vor seinem Kollegium machte. Seinen Worten zufolge war die Karls- ruher Schülerschaft im November 1918 durch einen von auswärts gekommenen Dr. Knud Ahlborn veranlasst worden, beim Ministetium Forderungen betr. Schülerselbstverwaltung einzureichen, und zwar in "drei, unter dem Einfluss Ahlborns immer schärfer werdenden Fassungen". Die Oberstufenschüler der Hum- boldtschule freilich hatten sich in dieser Situ- ation eher distanziert gezeigt. Sie vetfassten eine "Resolution", die ihrem Direktor Dr. Ott am 3. Dezember 1918 vorlag. Sie sei hier wie- dergegeben: .Resolution der Humboldtschule anläss- Iich der Gründung einer sog. 'Schülervereini- gung·. Die Flut neudeutscher Freiheitsbestre- bungen ist auch an der Humboldtschule nicht wirkungslos vorbeigegangen. Ein ganz dem neuen Zeitgeist entsprechender Wunsch nach freier. von vernünftigen Grundsätzen geleite- ter Ausgestaltung des Schülerlebens in körper- licher u. geistiger Hinsicht drängt zur Auswir- kung. Dieses an sich sehr natürliche u. begreif- liche Verlangen hat an anderen Karlsruher Lehranstalten zur Bildung einer sog. 'Schüler- vereinigung' oder .Schulgemeinde' geführt. Die Humboldtschule betont nichtsdesto- weniger. einer derartigen Einrichtung fremd gegenüber zu stehen. Wir wollen uns nicht zu lächerlichen Nachäffern eines Arbeiter- und Soldatenrats erniedrigen! Wir wollen auch nicht. wie es das Bestreben der Schülergemein- de zu sein scheint, mit mehr oder weniger Ge- walt die Durchsetzung unserer Wünsche er- zwingen. geschweige denn. durch die dumm- freche Anmaßung. bei einer erwaigen Neuge- staltung des Lehrplans mitzureden. unsere ei- Dr. Kar! On (1873-1952), Direktor dc=r Humboldtschule 19 12- 19 19, Direktor der Goetneschule 19 19- 1933 . leiter dc=s Pädagogisch!':n Seminars Karlsruhe 1928- 1933. Honorarprofessor an der TH Karlsruhe. 1947 Ministcrial- ::I ircktor im Unterrichuminisrerium des Landes Baden. 87 gene Unreife bekunden. Die Humboldtschu- le kann nicht scharf genug die Grenze ziehen. die sie von allen derartigen Bestrebungen trennt. Vielmehr sind wir fest entschlossen, unsere inneren Angelegenheiten selbst zu re- geln und dem neuen Geist Rechnung zu tra- gen auf dem Wege offener. vernünftiger Bera- tung mit unserer Lehrerschaft. der wir in allem unser vollstes Vertrauen entgegenbringen. Nur aus einem engen Zusammenschluss und ge- genseitigem Wohlwollen. nicht aus Unfrieden und Entfremdung kann für unsere Sache Nützliches ersprießen. Zu näheren Angaben erklären wir uns gerne bereit. Die 0 1 und U 1 der Humboldtschule." Sozialstruktur der Schüler Ein Blick in die Schülerlisten der Humboldt- schule mag helfen. die in der Resolution zuta- getretende Zurückhaltung gegenüber der revo- lutionären Umgesraltung Deutschlands samt ihrem Charakteristikum. den Arbeiter- und Soldatenräten. zu verstehen. Abgesehen erwa von einem Abkömmling der Karlsruher Fabri- kantendynastie Wolff - . Wolff & Sohn" -. stammten die Schüler der Unter- und Ober- prima des Schuljahres 1918/19 in ihrer über- wiegenden Mehrheit aus eher kleinbürger- lichen Verhälrnissen. sie waren Söhne von Handwerkern. Kaufleuten und Beamten wie Post- oder Eisenbahnsekretären. einige kamen aus Volksschullehrerfamilien. Akademische Be- rufe waren äußerst gering vertreten; so kom~ men unter den Vätern nur je ein Arzt. Apothe- ker und Diplom-Ingenieur vor. Zu den akade- misch gebildeten Vätern gehörten ferner ein Architekt der badischen Staatsbahn sowie der Physiker Otto Lehmann. Professor an der Tech- nischen Hochschule. schließlich der Rechts- anwalt und Zentrumspolitiker GustavTrunk. der in der seit dem 10. Oktober 1918 amtie- renden . Vorläufigen Volksregierung" das zeit- bedingt schwierige und undankbare Amt eines Ernährungsministers bekleidete und vom April 1919-29 als badischer Justizminister amtierte. Einige der Oberprimaner waren zum Schul- unterricht beurlaubte oder entlassene Kriegs- teilnehmer. Unter ihnen befand sich beispiels- weise auch ein Leutnant der Reserve, der nach einer schweren Verwundung an die Schule zurückgekehrt war, im Dezember 1918 ein vorgezogenes Abitur ablegte und mit dem Berufsziel "Offizier" von der Schule abging! Auch die von den anderen Abiturienten ge- nannten Berufs- und Studienwünsche zeigen das Bestreben, sich in die bestehende bürger- liche Ordnung einzufügen. Allzu viel Revolu- tion konnte da nur hinderlich sein. Stellungnahme der Lehrer Hatten die Primaner mit ihrer "Resolution" bereits ein Meinungsbild geliefert, so standen die Lehrer ihrer Schule im Januar 1919 vor der Notwendigkeit, sich ebenfalls zu äußern. In der oben erwähnten KOQferenz vom 15. Janu- ar stand ein Entwurf des Ministeriums unter dem Titel "Grundzüge eines Programms für Schülerselbsrverwaltung" zur Diskussion. Die dabei protokollierten Äußerungen lassen deut- liche Differenzen innerhalb des Kollegiums erkennen. Die Extreme werden einerseics mar- kiert durch die Aufforderung "die Frage der Schülerselbsrverwaltung im ganzen abzuleh- nen als dem Geist der Revolution entspre- chend und die Autorität des Lehrers untergra- bend", auch beruhe die Schule "auf dem Prin- zip der Arbeit und des Gehorsams". Die Schü- ler dürften schließlich "nicht zu Richtern über das Werk der Schule gesetzt werden". Einer der Diskuranten verwarf die Bestre- bungen zur Einführung der Schülerselbsrver- waltung als zur "Politik gehörend"; die Politik aber sei von der Schule fernzuhalten . An Argu- menten fur die Schülerselbsrverwaltung wur- 88 de angefuhrt, dass man "neuzeitlichen Verhält- nissen entsprechend" den Schülern ein "gewis- ses Mitbestimmungsrecht in den Schulverhält- nissen" nicht vorenthalten könne. Knud Ahl- born habe "die Karlsruher Schuljugend nur angespornt, das als Forderung auszusprechen, was schon längst in ihnen (!) vorhanden gewe- sen sei". Entschiedener noch klang ein weite- rer Diskussionsbeitrag: die Bewegung sei im Zusammenhang mit der Revolution entstan- den, "die überall den Geist der Autorität, der Unterordnung" beseitigt habe. Die Schule sei nicht mehr bestimmt durch die ,,Autorität des Beamten im Lehrer" - verankert in der Auto- rität der Obrigkeit -, sondern durch die ,,Au- torität der breiten Schichten des Volkes, des Parlaments". Eine völlige Parlamentarisierung der Schule sei freilich nicht erstrebenswert; die Einfuhrung der so genannten Schulgemeinde, eine periodisch tagende Schülerversammlung der oberen Klassen, entspreche nicht den deutschen Verhältnissen. Nur den gereifteren Schülern, den Prima- nern, seien einige Rechte der Selbsrverwaltung einzuräumen. Dr. Ott fasste die Diskussion dahin gehend zusammen, dass wohl überall ein neuer Geist wehe, der durch die Revoluti- on zur Äußerung gekommen sei, die Revolu- tion selbst stelle lediglich den Abschluss "einer schon lange vorher wirkenden historischen Entwicklung" dar. Deshalb könne man a11 das annehmen, was historisch und organisch ins Schulleben hineinwachse. Abzulehnen sei da- gegen alles, was von außen in die Schule hin- eingetragen werde, was z. B. den englischen Verhältnissen entlehnt sei oder "von der Poli- tik" stamme. Alle organisatorischen Änderun- gen fielen allein in die Zuständigkeit des leh- rerkollegiums oder der Stadtgemeinde. Die Schüler könnten innerhalb der Schule zur Organisation verschiedener Veranstaltungen herangezogen werden, wie etwa zu Turnspie- len, Festen und dergleichen. Klassen" galten. Der Beschluss sei an den anderen Schulen be- reits umgesetzt, weshalb er vor- schlage, auch an der Hum- boldtschule je zwei Vertreter der zwei oder drei oberen Klas- sen zu bestellen. Die:: "Bollt':nz.eitung" von 1913 zeigt karikierend das Verhältnis vom Schült':r zu seinen uhrern, das in dc=r Weimarer Republik andere Akzente erhalten 5011lc. Ein Teil des Kollegiums ver- suchte, auch diesen bescheide- nen Fortschritt mit dem forma- len Argument zu verhindern, dass eine Behandlung der An- gelegenheit auf der Tagesord- nung nicht vorgesehen gewesen sei. Überdies liege der Beschluss Die erste Schülervertretung Die Abstimmung brachte folgende Ergebnis- se: einstimmig abgelehnt wurde die Einfüh- rung der so genannten Schulgemeinde als Ein- richtung, "die bezweckt, das äußere und inne- re Schulleben unter die Kontrolle einer perio- disch tagenden Schülerversammlung der 'obe- ren Klassen zu bringen". Ebenso einstimmig der Ablehnung verfiel eine ständige, von den Oberklassen zu wählende Schülervertretung, die unter dem Vorsitz eines von den Schülern gewählten Lehrers "den Verkehr zwischen Schülern und Lehrern" vermitteln sollte. Mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt wurde eine dritte Variante, die eine Schülervertretung "ohne den gewählten Lehrer" vorsah. In ihrem ablehnenden Verhalten wurde die Lehrerschaft der Humboldtschule freilich bald von der Entwicklung überholt. Am 13. März 1919 eröffnete Direktor Dr. Ott seinem Kol- legium anlässlich einer Lehrerkonferenz einen Beschluss der Direktorenkonferenz, der vor- sah, dass in den drei oberen Klassen je zwei Vertreter zu wählen seien, die als "Sprecher der 89 vom 15. Januar vor, der die Einführung einer Schülerver- tretung an der Humboldtschule abgelehnt habe. Nach einer Diskussion, in der betont wurde, dass durch die Haltung der anderen Schulen eine neue Lage entstanden sei, fiel schließlich der Beschluss, dass in Obersekun- da [Klasse 11], Unter- und Oberprima [Klas- sen 12 und 13] je zwei Klassensprecher zu wählen seien. Damit wurde auch an der Humboldtschu- le dem Prinzip Schülerselbstverwaltung we- nigstens ein schmaler Pfad eröffnet. Im No- vember 1919 wurde der Pfad ein klein wenig verbreitert. Unter der Leitung des neuen Di- rektors Robert Burger beschloss die Lehrer- konferenz, dass künftig bereits ab Untertertia [Klasse 8] Klassensprecher zu wählen seien, während in den Klassenstufen darunter, die Sprecher vom Klassenlehrer zu ernennen wa- ren. "Die Befugnisse der Gewählten" sollten "nach einiger Zeit der Erfahrung streng um- grenzt werden." Anzumerken bliebe, dass die- ser Konferenzbeschluss lediglich einer entspre- chenden Verordnung des Kultusministeriums vorauseilte. RAINER GUTJAHR Polytechnicum, Technische Hochschule, Universität Karlsruhe 175 Jahre Durlach als Universitätsstadt Aufitiegspläne eines wirtschaftlich darniederliegenden Landstädtchens "Hat jemals eine Stadt über die Unbeständig- keit des wandelbaren Glücks seufzen müssen, liegen Exempel vor Augen, dass Inwohner, vormals glückliche lnwohner ihrem völligen Ruin entgegen andere Städte aber theils entste- hen rheils immer mehr beglücket und in blü- hendem Flor sehen müssen, hat aber auch jemals eine Stadt ein widriges Schicksal gegen ihr Verschulden betroffen, so ist es leyder! Die hiesige Stadt." Mit dieser Klage begannen der Durlacher Bürgermeister und die Herren von Gericht und Rat am 30. April 1779 eine Bittschrift an den "durchlauchtigsten Markgrafen", die we- nige Tage später mit einem befürwortenden Begleitschreiben des Durlacher Oberamtes und Spezialats an den Kirchenrat als die zu- ständige Regierungsbehörde weitergeleitet wurde. Zwei Mal hatte die Stadt in den zu- rückliegenden 90 Jahren unter der Unbestän- digkeit des Glücks seufzen müssen: Im August 1689 brannten die Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. die damalige Residenz- stadt Durlach bis auf die Grundmauern nie- der. Knapp 30 Jahre später verlegte Markgraf Karl Wilhelm seine Residenz von Durlach in die neu gegründete Stadt Karlsruhe. Ihm folg- ten alle Hofbediensteten und fast alle Beamte. Die Bevölkerungszahl sank zunächst von knapp 3.300 auf rund 2.800 Menschen, um erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lang- sa~ wieder zu steigen. Auch das 1586 eröffnete Gymnasium illus- trc, das zeitweise fast Universitätsniveau er- reicht hatte, wurde 1724 in die neue Stadt 90 verlegt. Mit der Schule verließen Schüler und Professoren die ehemalige Residenz. In Dur- lach blieb nur ein eher bescheidenes Pädago- glUm. Der wirtschaftliche Niedergang Die Durlacher erlebten einen wirtschaftlichen Niedergang, den sie in ihrer Bittschrift aus- führlich schilderten. Geschickt verwiesen sie auf die Folgen der Gründung Karlsruhes für ihre eigene wirtschaftliche und soziale Lage: "Der Hauptgrund dieses nicht genug zu be- schreibenden Zerfalls ruht also in dem nicht zu schätzenden und vielleicht ewig nimmer er- setzt werdenden Verlust der fürstlichen Resi- denz." Es folgen Beschreibungen des niederlie- genden Gewerbes, das durch die Konkurrenz der Karlsruher und auch Pforzheimer Han- delsleute leide, so dass die Durlacher gezwun- gen seien, vom Ertrag ihrer Äcker oder Gärten zu leben und auf die Weinlese zu hoffen. Dabei hatten nicht wenige nur "etliche Vier- tel Ackerland und einen Weinberg". Allein die große Allmende verhindere, dass viele an den Bettelstab gerieten. Zahlreiche Grundstücke in der Stadt waren unbebaut, übetall fanden sich noch Ruinen oder Ruinenreste von dem großen Btand von 1689 und einem Stadt- brand im Jahr 1743. Im Schlossbereich wur- den die Mauerreste erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgetragen. Der Magis- trat schrieb im April 1779 von "schlechten Lotterfallen" und Baulücken, "welche bisher traurige Zeugen der Unvermögenheit der In- wohner sind." Das wiederaufgebaute Durlach nach Verlegung der Residenz. Universitäts pläne Doch sollte es bei den allgemeinen Klagen nicht bleiben. Die Durlacher hatten eine Idee, wie ihrem darniederliegenden Wirtschafts- leben wieder aufgeholfen werden könnte. "Es möchte Ew. Durchlaucht gnädigst gefällig sein, in unserer Stadt eine Universität zu etablieren. « Der Zeitpunkt für eine solche Bitte schien günstig. Die nächstgelegene protestantische Universität lag in Tübingen, nachdem Straß- burg 1681 von den katholischen Franzosen übernommen worden war. Dass in der badi- schen Markgrafschaft ein Bedarf an einer evangelischen Landesuniversität bestand, zeig- te sich auch daran, dass gerade das Karlsruher Gymnasium so ausgebaut werden sollte, dass Theologiesrudenten dort fertig ausgebildet werden konnten. Zudem regierte mit Mark- 91 grafKarl Friedrich ein Vertreter des aufgeklär- ten Absolutismus das Land, der den allgemei- nen Wohlstand auch durch eine Verbesserung der Bildung heben wollte. Die Durlacher hatten zudem für eine Uni- versität einiges zu bieten. So wiesen sie auf die seit dem Tod von Markgräfin Magdalena Wil- helmina 1743 leerstehende Karlsburg hin, die sich als Universitätsgebäude gut eigne. Zudem könne der markgräfliehe Bauhofgarten in ei- nen medizinisch-botanischen Garten umge- wandelt werden. Vor allem aber war die Stadt bereit, sich mit 15.000 Gulden an den Kosten zu beteiligen. Hinzukommen sollten Beiträge von einzelnen Durlacher Bürgern und aus den umliegenden Oberamtsortschaften, so dass insgesamt ein Betrag von 25.000 Gulden zur Verfugung stünde. Auch wollte sich die Stadt an der Bezahlung der Lehrkräfte durch die Beisteuerung von Holz und die Überlassung von Wiesen-, Acker- und Gartenland beteili- gen. Die Vorteile für die Stadt und damit auch für das ganze Land sah man darin, dass aus den umliegenden Ländern Studenten und Lehrkräfte kämen. Da in Tübingen die einzi- ge protestantische Universität der weiteren Umgebung war, rechnete man mit jungen Männern aus den evangelischen Ländern dies- und jenseits des Rheins, aus Speyer, Worms und Frankfurt. Auch die evangelischen Elsäs- ser, Sttaßburget und Pfälzer sowie die Bewoh- ner der evangelischen Reichsstädte in Schwa- ben würden kommen, zumal ihnen in Dur- lach Klima, Speisen und Getränke vertraut seien. Vor allem versprach man sich von der Ansiedlung einer Universität ein Wiederaufle- ben der Bautätigkeit in der Stadt. Ablehnung trotz Bürger.penden Die Werbetätigkeit füt den Plan wutde bald begonnen, schnell hatten 52 Bürger und Be- amte beträchtliche Summen gezeichnet. Einen großen Bettag übernahm mit 300 Gulden Hofrat und Oberamtmann Posselt. Auf seine Initiative ging das Durlacher Votgehen wahr- scheinlich zurück. Natürlich zeichneten die Ratsherren und der Bürgermeister Waag. Auch auffallend viele Gastwirte spendeten jeweils 100 bis 150 Gulden. Sie versprachen sich von Studenten und Professoren natürlich große Gewinne. Das erhofften sicherlich auch die bei den Spender Buchbinder Korn und Apo- theker Bleidorn. Die Fayence-Fabrik, zu die- sem Zeitpunkt die bedeutendste Manufaktur in dem kleinen Landstädtchen, beteiligte sich ebenfalls. Monatelang mussten die Durlacher war- ten, bis der endgültige Ablehnungsbescheid kam "mit dem Bemerken, dass man ungeach- tet des wohlgemeinten Anerbietens der Stadt Durlach zu einem Beitrag dennoch dahier kei- 92 ne Mittel zu einem hinlänglichen Fond ausfin- dig machen könne, diesem nach die Sache ruhen lassen müsse." Im 19. Jahrhundert musste Durlach dann beobachten, wie sich aus dem 1825 in Karls- ruhe gegründeten Polytechnikum eine welt- weit hochangesehene Technische Hochschule entwickelte. Inzwischen hatte aber auch in dem kleinen Landstädtchen im Schatten der Residenz neu- er Wohlstand Einzug gehalten. Mit der indus- triellen Produktion vor allem der Firmen Se- bold und Gritzner entwickelte sich Durlach zu einem Industriesrandort. Die Bevölkerungszahl wuchs auf 14.000 kurz vor dem Ersten Weltkrieg. 1878 wurde das Pädagogium samt höheter Bürgerschule zu einem Pro- und Realgymnasium erhoben. Mit dem Umzug in den prächtigen Neubau 1907 wurde die Schule endlich wieder zu einem Vollgymnasium. Die als Universitätsgebäude vorgeschlage- ne Karlsburg erlebte gleichzeitig einen sozialen Abstieg, bis sie in den 1980er Jahren als Kul- turzenttum füt Museum, Bibliothek und Ver- eins leben wieder zu neuem Leben erweckt wurde. SUSANNE ASCHE Geschichtswissenschaft an einer Technischen Hochschule Wer vermutet schon das Fach Geschichte unter den vielen ingenieur- und naturwissenschaftli- chen Disziplinen? So unglaublich es klingt - als die Urform unserer Universität, als die Poly- technische Schule 1825 gegründet wurde, stand das Fach bereits im Lehrprogramm. Und es erschien nahezu ununterbrochen bis heute in allen Vorlesungsverzeichnissen. Warum Geschichtsunterricht? Es hatte einen schlichten Grund, dem Poly- technikum das Fach gleichsam in die Wiege zu legen: Zu den Bestandteilen, aus denen die Anstalt zusammengefügt,wurde, gehörten die beiden Oberklassen der Karlsruher Realschule. Neben der polytechnischen Fachausbildung musste folglich noch normaler Schulunter- richt fortgeführt werden. Mindestens die jün- geren unter den polytechnischen Eleven ka- men nicht darum herum, sich mit Deutsch, Geographie, Religion, mit Zoologie, einer modernen Fremdsprache und eben mit Ge- schichte plagen zu müssen. Offenbar erwies sich darüber hinaus auch das Schulwissen äl- terer Polytechniker als verbesserungsbedürftig. In solchen Fällen riet man dringend zur Teil- nahme an solcherart Fundamentalunterricht. Auf diesem Wege wuchsen die Fächer (deut- sche) Literatur und Geschichte langsam in den Rang von allgemeinbildenden "Ergänzungs- fächern" , deren Belegung man jedem Studen- ten nahelegte. Leider fehlt uns die Kenntnis, wovon die Geschichtsstunden im einzelnen handelten. Fest steht allein, dass der Unterricht nichts Geringeres als die ,,Allgemeine Weltgeschichte" zum Gegenstand hatte. Einsetzend im klas- 93 sischen Altertum und in der Gegenwart en- dend, besaß das einen Zeitumfang von gut 2.500 Jahren. Zwar sollte der Geschichtskurs über zwei Studienjahre gehen und vier Wo- chenstunden ausfüllen. Doch selbst wenn wir uns den Stoff vorwiegend auf die politische Geschichte Europas begrenzt denken, sind Zweifel am Nutzeffekt des Unternehmens an- gebracht. Es wurden seinerzeit denn auch Ein- wände gegen ein so hochgestecktes Vorhaben laut. Dem ersten Geschichtslehrer des Poly- technikums, Realschuldirektor Professor Küh- lenrhal, war unwohl zumute. Allerdings miss- fiel ihm nicht etwa der breite Zeitrahmen; ihm bereitete vielmehr die zu geringe Stundenzahl Sorgen. Neubewertung des Fachs An dem Konzept hielt man gleichwohl bis in die 1870er Jahre fest. Inzwischen hatte jedoch eine Neubewertung des Fachs eingesetzt. Es lös- te sich im Zeichen vielfältiger Verwissenschaft- lichungvon seiner bisherigen Funktion, Schul- wissen zu vermitteln oder zu erweitern und rückte auf zum gtundlegenden Element jegli- cher akademischer Bildung. Von den Universi- täten ausgehend, überschnitt sich die Neube- wertung mi t ähnlichen Veränderungen, die das Wesen und das Selbstverständnis der Polytech- nischen Schulen erfuhren: Solide Geschichts- kenntnis sollte unabdingbares Statusmerkmal des Technikers und Ingenieurs werden. Allein, die Errichtung und Besetzung eines Geschichtslehrstuhls erfolgte in Karlsruhe auf bemerkenswerte Art. Antreibend ins Spiel kam nämlich die badische hohe Politik, kam die maßgebende Einwirkung Großherzog Hermann Baumgam:n 1825- 1893 Im Herzogtum Braunschweig geboren. vmiene er nach dem Studium der Geschichte als Journalist entschieden für ein von Preußen g~ruhrtes liberales Kleindeutschland. Der Heiddberger Hismfiker G. G. Gefvinus. dem er als Assis- tent dieme, empfahl ihn , der weder promoviert noch habi- lidert war, fur die KariSfuher Professur. Mit seinem Aufsatz "Der Liberalismus - eine Sdbstl:'ritik" lenkte der politische Historiker 1866 auf Bismarcks Realpolitik ein und wurde zu einem wichtigen Weichensteller für die sich neu formie- renden Nationalliberalen, die für die folgenden Jahrzehnte mei nungsbildend sein soll ten. Dem Ruf an die Universität Straßburg folgte er gern, da er sich fragte: n Was hilft mir ein volles Auditorium, in dem nicht ein ei nziger Mensch sint, der mir fo lgr." Friedrichs Jc Nicht nur, weil er sich während seines Studiums insbesondere der Geschichts- disziplin gewidmet hatte, nicht bloß, weil er seither engste Beziehungen zu herausragenden deutschen Historikern pflegte. Friedrich legte Wert darauf, dass an den drei Landeshoch- schulen Historiker lehrten, die seine eigenen politischen Leitlinien mindestens nicht stör- ten: Den liberal sowie den kleindeutsch und propreußisch ausgerichteten Kurs. 1860 wur- de nun die Aufwertung des Geschichtsunter- 94 FranzSchnabelI 887- 1966 In Mannheim geboren, studierte er Geschichte in Heidel- berg. wo er sich als Schüler von Hermann Oncken verstand und bald als Gymnasiallehrer sehr erfolgreich wirkte, bis er mit 34 Jahren Ordinarius an der TH Karlsruhe wurde, 1945- 1947 war er als Leiter der Abteilung Kultus und Unterricht in der Landesbezi rksdirektion Karlsruhe maß· geblich Olm Wi~deraufbau des Bildungswesens beteiligt. richts am Polytechnikum spruchreif. Zur sel- ben Zeit erreichte die Frage der nationalen Einigung Deutschlands ein Stadium, das in absehbarer Nähe eine Lösung verhieß. Politische Akzente Vor diesem Hintergrund erhielt die Auswahl des Karlsruher Historikers ihre außergewöhn- liche Note. Der berufene Hermann Baumgar- ten, ein studierter Historiker, hatte sich als li- beraler Publizist einen Namen gemacht. Seine politischen Ansichten und Erwartungen dürf- ten denen Friedrichs mindestens geähnelt ha- ben. Persönliche Verbindungen zum liberalen Hoflager kamen empfehlend hinzu. Im Herbst 1861 trat Baumgarten die Karlsruher Profes- sur an. Hier entstand sein umfängliches Werk zur jüngsten Geschichte Spaniens. Vor allem aber bewährte er sich als akademischer Lehrer. Und er gewann den Eindruck, als hätten sei- ne dem exakte Messbaren zugewandten. zahl- reichen Hörer bei ihm gelernt. die unwägba- ren "Moralischen Mächte" wahrzunehmen, die am Gang der Weltgeschichte mitwirkten. 1872 verließ Baumgarten die Anstalt und ging an die Universität Straßburg. Erwähnens- wertes ist erst wieder für Adam Pfaff überlie- fert. der hier von 1878 bis 1885 lehrte. Er straffte den Lehrstoff in zweierlei Hinsicht. Seine Überblicke setzten erst im Mittelalter ein. und er konzentrierte sie auf deutsche Ge- schichte. pfaffs zahlreiche Veröffentlichungen erlauben allerdings anzunehmen. dass er spie- lend fähig gewesen wäre. ein ungleich breiter gefächertes Spektrum vorzustellen. Interesse verdient das politische Motiv. das bei Pfaffs Berufung abermals zu Tage tritt. Nach der 1848er Revolution war der Hesse in die Schweiz geflüchtet. wo er die besondere Wertschätzung der Liberalen gewann. Mitt- lerweile zog es ihn nach Deutschland zurück. Zu den positiven Seiten. die die Berufungs- kommission an Pfaff rühmte. gehörte auch. dass er .. auf politischem und religiösem Gebie- te einer durchaus freien Richrung huldigt". Seine Berufung belegt. dass die politische Grundierung einer Geschichtsprofessur für den Großherzog. unabhängig von der Reichs- gründung, immer noch gewichtig war. Weniger deutlich drückte dieser Zug sich auch gegenüber dem Pfaff-Nachfolger Arthur Boehdingk aus. Doch zunächst noch dies: Bis- her hatten die Geschichtsprofessoren zumeist 95 auch das Literaturfach inne. Da die Germanis- tik ebenfalls zu einer anspruchsvollen Wissen- schaft gereift war. wurde die Fächerverbin- dung von Geschichte und Literatur je länger desto mehr problematisch. Unter den Kandi- daten. die zur Wahl standen. gab es nurmehr einen. dem man die sachkundige Behandlung beider Gebiete zutraute - den Jenenser Extra- ordinarius Boehdingk. Trotz mancher Vorbe- halte. die der eine oder andere Gutachter ansonsten äußerte. gab ihm die Berufungs- kommission den 1. Listenplatz - aus Rücksicht auf die leidige Fächerkombination. Innerhalb der Historikerzunft brachte Bo- ehdingk es nie zu Ansehen; seine Beliebtheit bei den Studenten soll groß gewesen sein. Stär- ker als die Wissenschaft scheint ihm das Poli- tisieren gelegen zu haben - sei es. dass er dank seiner rhetorischen Begabung oft die patrioti- schen Feiern von Hochschule und Stadt zier- te. sei es dass er Badens Nationalliberale auf den Kriegspfad gegen Katholiken und Sozial- demokraten mitzureißen trachtete. Der Kon- trast zwischen seiner agitatorischen und seiner wissenschaftlichen Hingabe verstimmten den Großherzog. Seinem langwährenden Wunsch. Boehdingk durch einen würdigeren Fachver- treter ersetzt zu sehen, stand indes das Beam- tenrecht entgegen. Im Sommer 1914 klagte dann das Kultus- ministerium über verschiedene Mängel an Boehtlingks Darbietungen. Namentlich ver- misste es das Bemühen. den Srudierenden .. die notwendige Verbindung der Technik mit der Gesamtkultur unserer Zeit zu vermitteln". Der akademische Senat solle daher überlegen. ob nicht eine jüngere. anregendere Parallel- kraft gewonnen werden könne. Gern ging der Senat darauf ein. aber auf grund der eingetre- tenen Kriegsumstände kamen nur kurzlebige Historiker-Zwischenspiele zustande. Die Hoch- schule musste mit Boehtlingk bis zu dessen Emeritierung im Frühjahr 1919 auskommen. Die Ära Franz Schnabel Nun gelang es endlich, die überlebte Fächer- verbindung zu trennen, und auf das erste reine Geschichtsordinariat gelangte der Hei- delberger Extraordinarius Herrmann Wätjen. Er entnahm seine Vorlesungsthemen Gebie- ten, die angesichts der deutschen Kriegsnie- derlage eines hohen Interesses sicher sein mochten. Allemal dürfte dies für die Vorle- sung "Deutschlands Außenpolitik in den letz- ten Vorkriegsjahren und während des Welt- krieges" zutreffen. - Da Wätjens kurze Ver- weildauer absehbar war, hatte die Hochschu- le vorsorglich den Gymnasiallehrer Dr. Franz Schnabel habilitiert. Det ttat 1922 denn auch die unmittelbare Nachfolge an. Sein Vorle- sungsprogramm bewegte sich kaum einmal hinter das 19. Jahrhundert zurück. Dafür ten- dierte es in die 1914 angemahnte zeitgemäße Richtung: Schnabel kündigte erstmals auch sozial- und wirrschaftsgeschichtliche Themen an. Ob und in welchem Umfang Technikge- schichtliches einfloss, ist unbekannt. In Schnabel erkennen wir den Vertreter einer Forschungsrichtung, die den Haupt- und Staatsakrionen der Großen Politik weni- ger aufgeschlossen begegnete, als es in der aka- demischen Zunft üblich war. Das mochte wiederum einiges mit Schnabels politischem Standort zu tun haben: Der gebürtige Mann- heimer verhehlte nicht seine Loyalität gegen- über der Weimarer Verfassung und rechnete sich dem "liberalen" linken Flügel des politi- schen Katholizismus zu. In dieser geistigen Umgebung gehörten kritische Auseinanderset- zungen mit der Wirrschafts- und Sozialord- nung seit langem zu den auffälligsten Diskus- sionsstoffen. Dieselbe Problematik bewegte nachhaltig auch die Studentenjahrgänge im Weimarer Deutschland. Ihren Niederschlag fanden Schnabels poli- tische Maßstäbe nicht zum wenigsten in dem 96 großen Werk, das er in Angriff nahm - in der auf mehrere Bände angelegten "Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert". Eines seiner Anliegen war es, endlich den rühmlichen An- teil zu beleuchten, den der Liberalismus neben dem vielbeschworenen Bismarckschen an der Reichseinigung hatte. Ferner legte er gewis- sermaßen die erste Schneise, auf der die Ge- schichtsmächtigkeit der technischen Entwick- lung sichtbar wurde. Von der nationalsozialistischen Machtü- bernahme hatten Leute in seiner Stellung und von seinem geistig-politischen Zuschnitt kaum Gutes zu gewärtigen. Schnabel lavierte, ent- ging der "Säuberungs"-Welle, die 1933/34 über die Hochschulen hinwegtobte, lavierte weiterhin. Bald bereute es die Führung, dass Gelehrte seines Schlages fürs erste ihrem Zu- griff entkommen waren. 1935 verschaffte sie sich die gesetzliche Handhabe, um missliebige personelle Altbestände los zu werden. Zu dieser Gruppe zählte an d~r Karlsruher Hochschule u. a. auch Schnabel. Ihn zu entfernen, mach- ten sich Rektor und Prorektor dem Ministeri- um auf unwürdige Art dienstbar, und Schna- bel wurde zum September 1936 zwangsweise emeritiert. In Karlsruhe war es ein offenes Ge- heimnis, dass er nicht einer angeblich erforder- lichen Fächerverlagerung, sondern einer politi- schen Flurbereinigung zum Opfer gef.illen war. Die Hochschulführung merkre schon bald, dass ohne entsprechende Geschichtsunterwei- sung die "weltanschauliche Festigung" der Studentenschaft schwerlich zu erzielen war. Trotz eifrigen Bemühens um eine nationalso- zialistisch bewährte Lehrkraft kamen nur ein paar flüchtige Aushilfen zustande. Das Fach hatte selbst dem Buchstaben nach im Grunde aufgehört zu existieren. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" kehrte Schabel sogleich zu seiner Lehr- tätigkeit zurück. Im SS 1946 las er einstündig über "Ursachen und Folgen des Jahres 1933". Der Hochschule stand er allerdings nur einge- schränkt zur Verfügung, weil ihn die US-Mi- litärregierung als quasi "Kultusminisrcr" für Nordbaden eingesetzt hatte. 1947 gar nahm er einen Ruf an die Münchner Universität an. Erneut riss eine Lücke auf, und erst 1951 er- hielt die Hochschule wenigstens ein Extraor- dinariat bewilligt, in das der Heidelberger Ex- traordinarius Walther Peter Fuchs einrückte. Seine Betriebsamkeit verhalf dem Fach zu ansehnlicher Statur. Am augenfalligsten wur- de sein Wirken im Aufbau des Studium gene- rale. Seine Lehrveranstaltungen - Vorlesun- gen, Seminare und Kolloquien - umspannten einen weiten Zeitraum der politischen und der Geistesgeschichte. Schwerpunkte bildeten die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, des "Drit- ten Reichs" und der Weimarer Republik, also Abschnitte, für die sich ein unabweisbarer In- formationsbedarf der studentischen Nach- kriegsjahrgänge aufgestaut hatte. Darüber hi- naus wirkte der aktuelle Ost-West-Konflikt auf die Veranstaltungen ein: Einerseits, indem Fuchs Seminare über Marx, Lenin oder den Marxismus sowie über das Berlin-Pro.blem abhielt, anderseits durch Vorlesungen des Ori- entalisten Klingmüller (über das arabische Szenarium) oder des deutsch-amerikanischen Historikers Felix Hirsch über die Abfolge der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen. Die zeitgeschichrlich-weltpolitischen Grat- wanderungen, die Fuchs aufgenommen hatte, setzte Thomas Nipperdey seit 1962 in gewis- sem Umfange fort. Fruchtbare Ansätze erga- ben sich sodann aus Seminaren, die er gemein- sam mit dem Kunsthistoriker Lankheit und dem Soziologen Linde bestritt. Mit Nipperdey endet die Reihe der Histo- riker, die an der alten Technischen Hochschule lehrten. 1967, als die Hochschule zur "Univer- sität Karlsruhe (TH)" wurde, nahm dieser vielversprechende junge Wissenschaftlicher ei- nen Ruf an das angesehene Historische Semi- nar der Freien Universität Berlin an. Unter sei- nen Nachfolgern Walter Bußmann und Ru- dolfLill gedieh der betagte Lehrstuhl zu einem Institut, das neben der Lehre auch der For- schung breiteren Raum verschaffte. KLAUS·PETER HOEPKE Geschichte des Instituts für Literaturwissenschaft an der Universität Karlsruhe Das heutige Institut für Literaturwissenschaft geht auf die Errichtung eines LehrstuhIs für Geschichte und Literatur im Jahr 1861 zu- rück, der eine - dem humanistischen Bil- dungsbegriff des 19. Jahrhunderts verpflichte- te - ergänzende geisteswissenschaftliche Aus- bildung für die Studierenden der technischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer gewährleisten sollte. Charakteristisch für diese frühe Form der Literaturwissenschaft 97 an der Fridericiana war eine enge fachwissen- schaftliehe, didaktische und personale Ver- flechtung von Hochschule und oberen Gym- nasialklassen. In seiner weiteren Entwicklung emanzipiert sich das Institut für Literaturwis- senschaft von dieser rein supplementären Funktion, indem es - analog zur Geschichte des Fachs im 19. Jahrhundert insgesamt- eine eigenständige Disziplin allererst ausbildet, die- se institutionell etabliert und entsprechend der zunehmenden Komplexität des Gegenstands ausdifferenziert. Freilich geschieht auch dies in Karlsruhe nicht ohne Rücksicht auf den spe- zifischen Kontext, den Standort an einer Tech- nischen Hochschule. Vor der Installierung des genannten Lehr- stuhls im Jahr 1861 existierten die Fächer Ge- schichte und Literatur als reine Unterrichtsfä- cher, die jeweils beide Disziplinen berücksich- tigten. Zu erwähnen ist hier die Folge ein- schlägiger Professuren, beginnend mit Karl Christoph KühlenthaI, 1825-1854, der zu- dem Französisch, JosefBeck, 1850-1852, der zudem Philosophie, Wilhe1m Gersmer, 1852- 1858, der ebenfalls noch Französisch, und Theodor Löhlein, 1859-1865, der neben Deutsch und Literatur auch Geographie un- terrichtete. Den dann so genannten "Lehr- stuhl für Geschichte und Literatur" hatten die Professoren Hermann Baumgarten von 1861- 1872, David Müller von 1872-1877 und Adam Pfaff von 1878-1885 inne. Die allge- mein auf gymnasiale Abschlussklassen und ein zwar fachfremdes, aber iJ!.teressiertes akademi- sches Publikum bezogene Ausrichtung in For- Franz-Sch nabel-Haus. 98 schung und Lehre lässt sich an den Publikati- onsschwerpunkten dieser Jahre ablesen, für die Theodor Löhleins gemeinsam mit Karl Hol- dermann verfasstes Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte, mit besonderer Berücksichti- gung der Kunst- und Kulturgeschichte für die Oberklassen höherer Lehranstalten von 1887 ein repräsentatives Beispiel darstellt oder Da- vid Müllers Geschichte des deutschen Volkes, eine, wie es im Untertitel heißt, "kurzgefaßte übersichtliche Darstellung zum Gebrauch an höheren Unterrichtsanstalten und zur Selbst- belehrung" , die 1872 bereits in der vierten (verbesserten und bis 1871 vervollständigten) Auflage erschienen war. Von 1886 bis 1919 lehrte Prof. Dr. phi!. Arthur Boehtlingk am Institut für Geschichte und Literatur, das sein Augenmerk in dieser Zeit auch auf regionalge- schichtliche Themen von lokalpolitischer Re- levanz richtete - hier ist z. B. die 'kulturhisto- rische Studie' zu Carl Friedrich Nebenius. Der deutsche Zollverein, das Karlsruher Polytech- nikum und die erste Staatsbahn in Deutsch- land von 1899 zu erwähnen; einer breiteren fachwissenschaftlieh orientierten Öffentlich- keit ist Boehtlingk u. a. mit seinen Shakespe- are-Studien bekannt geworden. Im Jahr 1919 beginnt die neuere Geschich- te der Literaturwissenschaft an der Fridericia- na: Mit der Einrichtung eines Extraordinariats für Literaturwissenschaft kam es erstmals zu einer Trennung der Fächer 'Literatur und 'Geschichte'; 1922 folgte das Ordinariat für Geschichte. 1924 das Ordinariat für Literatur- wissenschaft. Diese neuere Geschichte ist zu- nächst mit dem Namen Karl Holls verbunden. Karl Holliehne das Fach Deutsche Literatur- geschichte insgesamt von 1917 bis 1936 an der Universität Karlsruhe; zunächst von 1917 bis 1919 als Lehrbeauftragter. dann 1919/20 als Privatdozent von 1920 bis 1924 als außer- ordentlicher Professor. von 1924 bis 1936 schließlich als ordentlicher Professor. Sein Hauptwerk ist die auch heute noch einschlä- gige Geschichte des deutschen Lustspiels. die 1923 erstmals erschienen ist und 1964 noch einmal (und zwar als Nachdruck) aufgelegt wurde. Andere Arbeiten beziehen sich aufLes- sing, Goeme. Schiller. Tolsroi und Hauptmann. 1936 wurde Holl-wie auch der Ordinarius für Geschichte. Franz Schnabel - zwangsemeri- tiert. Der Lehrstuhl für Literaturwissenschaft wurde aufgelöst und erst 1957 wieder einge- richtet. In der Zwischenzeit blieb die Litera- turwissenschaft in Karlsruhe damit ein Desi- derat. Erster Lehrstuhlinhaber wurde 1958 Prof. Dr. Rudolf Fahrner. der 1925 mit einer Arbeit über Hölderlins Begegnung mit Goe- me und Schiller in Marburg promoviert wor- den war und sich 1929 dort auch habilitiert hatte (Thema: Wortsinn und Wortschöpfung bei Meister Eckehart); Beiträge zur Romantik. zu Moritz. Hofmannsthal und Goeme folgren; darüber hinaus hat sich Fahrner mit Überset- zungen aus dem (A1t-)Griechischen und Mit- telhochdeutschen hervorgetan. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1970 wurde Prof. Dr. Ja- cob Steincr. Spezialist u. a. für Hofmannsmal 99 und Rilke sowie (zusammen mit Wolfdietrich Rasch) Herausgeber der Münstersehen Beiträ- ge zur deutschen Literaturwissenschaft. auf den Lehrstuhl für Literaturwissenschaft beru- fen (1972). Er lehrte bis 1992. Seit 1993 lei- tet Prof. Dr. Uwe Japp das Institut für Litera- turwissenschaft an der Universität Karlsruhe. Uwe Japp hat u. a. Bücher zur Hermeneutik. zur Literaturgeschichtsschreibung. zur Theo- rie der Ironie und zur Modernitätsforschung veröffentlicht. Erweiterung durch Mediävistik Die zunehmende Spezialisierung des Faches Germanistik und die Erfordernisse einer adä- quaten und umfassenden Gymnasiallehreraus- bildung machte 1969 die Einrichtung eines Lehrstuhis für Deutsche Literatur des Mittelal- ters notwendig. den Prof. Dr. Peter Wapnew- ski von 1969-1979 inne hatte. Forschungs- und Lehrschwerpunkte Peter Wapnewskis sind der Minnesang. u. a. perspektiviert auf die Fra- ge der Mittelalter-Rezeption. der Parzival Wolf- rams von Eschenbach und Hartmann von Aue. Beachtung finden auch seine die Grenzen der Fachwissenschaft zur Musikkritik hin über- schreitenden Studien zu Richard Wagoer. Heu- te wird die Mediävistik von Prof. Dr. Bernd Thum und Hochschuldozent Dr. Burkhardt Krause vertreten. Heutiges Lehrangebot Derzeit umfasst das Lehrangebot des Instituts die Neuere deutsche Literaturwissenschaft (mit Linguistik. Geschichte und Theorie der Medien). einschließlich der Studienkompo- nenre Mediävistik (mit historischer Sprachwis- senschaft. Interkultureller Germanistik und Deutsch als Fremdsprache). Die Studiengän- ge gliedern sich in die B.A-. M.A.-Studien- gänge Germanistik und den Lehramtsstudien- gang Deutsch (Gymnasium). an die sich Pro- motionsstudiengänge in Germanistik und Mediävistik anschließen. Im Rahmen der seit WS 1999/2000 eingerichteten B.A-. M.A.- Studiengänge im Haupt- und Nebenfach kön- nen zudem die dem Institut in sowohl perso- naler als auch fachlicher Kooperation verbun- denen Nebenfächer Multimedia und Journa- lismus studiert werden. Das Institut für lite- raturwissenschaft unterhält mehrere internati- onale Partnerschaften und Austauschabkom- men. so mit den Universitäten Bergamo (Ita- lien). Kingston (Kanada) oder mit der Mo- nash University (Australien). Zur Zeit studie- ren am Institut für Literaturwissenschaft insgesamt 780 Studierende in den jeweiligen Studiengängen (Stand WS 1999/2000). Das Institut verfügt über eine Präsenzbibliothek mit derzeit 35.000 Bänden in den Schwer- punkten ältere und neuere deutsche Literatur und Literaturwissenschaft. allgemeine Litera- turwissenschaft und Literaturtheorie. Am In- stitut für Literaturwissenschaft wird die Ge- schichte der deutschen Literatur in ihrer gan- zen Breite gelehrt. das heißt vom frühen Mit- telalter bis zur Gegenwart. Weitere Schwer- punkte sind die Theorie der Literatur und der Literaturwissenschaft. die Geschichte der Ger- manistik. die Theorie und Geschichte des Dramas u. a. Eine spezielle und über die Gren- zen Karlsruhes bekannte Forschungseinrich- tung ist die Arbeitsstelle Bertolt Brecht. Das Institut für Literaturwissenschaft ist im Franz-Schnabel-Haus untergebracht. ei- nem 1850 als Fasanenmeisterhaus der groß- herzoglichen Domäne Staatliche Forsten er- richteten Gebäude. das die Universität 1920 erhielt. Nach einem 1925 erfolgten Umbau wurde sein Untergeschoss für die Bibliothek des Sportinstituts eingerichtet; im Oberge- schoss befand sich ein Fechtraum. 1934 wur- de das Haus zu einem Schulungsheim der NS- Studentenschaft umfunktioniert und diente- nach dem Wiederaufbau 1949 - von 1951 bis 1990 dem Engler-Bunte-Institut. Abteilung Petrochemie. Seit 1990 behetbergt es das Ins- titut für Geschichte (Untergeschoss) und das Institut für Literaturwissenschaft (Oberge- schoss). 1991 wurde. das Gebäude nach Franz Schnabel (1887-1966) benannt. der von 1919 bis zu seiner Vertreibung durch die National- sozialisten im Jahr 1937 an der Universität Karlsruhe Geschichte lehrte. UWE JAPI'. CLAUDIA STOCKINGER "Geschichtliches Wissen und ästhetische Bildung" Das Fach Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe Bereits 1967 stellte Reinhard Rürup fest: "Die Geschichte der Karlsruher Kunstgeschichte ist bisher nicht geschrieben worden." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die folgenden Ausführungen stellen einen ersten Versuch dazu dar, indem sie sich auf das wenige, zum Thema vorliegende gedruckte Material stüt- zen. Ergänzend ist eine Sammlung von Ab- schriften aus den reichhaltigen Akten des Lehrstuhls für Kunstgeschichte (Badisches Generallandesarchiv) hinzugezogen worden. die Joachim Hotz 1965 zusammenstellte (Bi- bliothek des Instituts für Kunstgeschichte). Diese Dokumente verdeutlichen. dass die Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe - weit über die lokale Bedeutung hinaus - eine 100 tragende Rolle bei der Etablierung des Fachs an den deutschen Hochschulen spielte. Ihre Geschichte einer intensiven Erforschung zu umerziehen, stellt in der Tat ein Desiderat dar. Kunstgeschichte am Polytechnikum Auch wenn die Kunstgeschichte noch nicht als eigenständiges Fach existierte, so war sie doch von Anfang an fester Bestandteil der Architek- tenausbildung am 1825 gegründeten Karlsru- her Polytechnikum. Denn zur umfassenden Bildung eines Architekten gehörte nicht nur die Kenntnis der alten, insbesondere der anti- ken Baukunst, sondern auch die Geschichte der Bildenden Künste. Ihre Aneignung erfolg- te überwiegend durch zeichnerische Erfassung nach Vorlagenwerken oder Gipsabgüssen. Als allgemein bildendes Fach dienten einige Vor- lesungen auch den Eleven der angegliederten Realschule, darüber hinaus standen sie den angehenden Ingenieuren zur persönlichen Weiterbildung offen. Die Kunstgeschichte hatte also von Anfang an eine doppelte Aufga- be zu erfüllen. Etablierung an der Hochschule Mit der Erhebung des Karlsruher Polyrechni- kums in den Rang einer Hochschule im Jahr 1865 präzisierten die Statuten das Aufgaben- feld der Anstalt als "die wissenschaftliche Aus- bildung für diejenigen technischen Berufsfä- cher, welche Mathematik, die Naturwissen- schaft und die zeichnenden Künste zur Grund- lage haben". Aber auch die Fächer der aus der Realschule hervorgegangenen Allgemeinen Abteilung erfuhren im Zuge der Reorganisati- on eine beträchtliche Aufwertung: So erhielt 1860 bereits die Geschichte, 1863 die Natio- nalökonomie und 1868 die der Architektur zugeordnete Kunstgeschichte ein eigenes Or- dinariat. Hierbei handelte es sich übrigens um eine der ersten ordentlichen Professuren in Kunstgeschichte an einer deutschen techni- schen Hochschule und sie ging außerdem zeit- lich der Etablierung des Fachs an den badi- schen und württembergischen Universitäten Heidelberg (1894/96), Tübingen (1895) oder Freiburg (1909/10) weit voraus; nur in StUtt- gart (1865) war man in der Einrichtung eines Lehrstuhis für Kunstgeschichte erwas schneller. Ihrer Pionierrolle bewusst legte die Karls- . ruher Hochschule größten Wert auf die Beset- zung der Stelle mit einer maßgeblichen Per- sönlichkeit. Bereits 1865 knüpfte man Kon- takt mit dem in Basel Geschichte lehrenden Jacob Burckhardt sowie dem Göttinger Ordi- narius für klassische Archäologie Ernst Curtius und dem in Zürich als Professor für Ästhetik und Literaturgeschichte tätigen Friedrich Theo- dor Vischer. Als diese hoch angesehenen Her- ren absagten, änderte die Findungskommis- sion ihr Vorgehen und berief den erst 30 Jah- re alten Alfred Woltmann aus Berlin. Seine Karlsruher Erfolge in Lehre und Forschung sprachen sich in Fachkreisen schnell herum, sodass die ungleich besser ausgestattete Uni- versität Prag ihn schon 1873 mit einem verlo- ckenden Angebot abzuwerben vermochte. Auch Woltmanns Nachfolge gestaltete sich schwierig, da - wie er selbst in einem Gutach- ten zur Situation formulierte - "die Zahl tüch- tiger Kräfte im Fache der Kunstgeschichte nicht groß ist, weil viele Befähigte durch Man- gel einer Vertretung dieser Wissenschaft an den Universitäten an der consequenten wis- senschaftlichen Ausbildung gehindert, andere durch die unsicheren Aussichten für die Zu- kunft abgehalten worden sind, der streng wis- senschaftlichen Beschäftigung treu zu blei- ben." Auf Anraten Woltmanns entschied man sich für den 33-jährigen Bruno Meyer aus Berlin, auf dessen Wirken ein beträchtlicher Ausbau der Sammlung und die Einführung eines Bildprojektionsapparates (Skioptikon) 101 im Unterricht zurück gehen. Auf das eigen- händige Zeichnen an der Tafel oder die im Hörsaal nur bedingt zweckdienliche Vorlage von Reproduktionsgraphik konnte fortan ver- zichtet werden. Bis heute bildet das Glasbild (Diapositiv) das maßgebliche Arbeitsmittel im Unterricht. Auf Meyer folgte 1884 mit Wil- helm Lübke der erste große Kunsthistoriker auf das Karlsruher Ordinariat. Zürich und Stuttgart stellten die vorangegangenen Statio- nen seiner überaus fruchtbaren Tätigkeit als Professor der Kunstgeschichte dar, in denen er eine bemerkenswerte Anzahl handbuchartiger Überblickswerke verfasste. Einige seiner Bü- cher erschienen in hohen, nach seinem Tod 1893 mehrfach aktualisierten Auflagen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Hierzu zählt auch die gänzlich mit Holzschnitten il- lustrierte "Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart" von 1855, die unlängst als Reprint wieder aufge- legt wurde. Heute erinnert an der Ostseite des Archi tekturgebäudes ein 1894 durch den Bild- hauer Heinrich Weltring geschaffenes Denk- mal an Wilhelm Lübke. Ursprünglich füt sein Grab auf dem Karlsruher Hauptfriedhof be- stimmt, fand es 1895 in der Hoffstraße Auf- stellung und gelangte schließlich 1965 auf den Campus. Kunstgeschichte und Baugeschichte Nicht nur Lübke, sondern auch seine Karlsru- her Kollegen, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Architekten Josef Durm und Carl Schäfer, traten als Verfasser maßgeb- licher Bücher zur Geschichte der Architektur hervor. Während Durm auch als Architekt sich der Antike und der Renaissance verschrieb, widmete sich Schäfer dagegen bevorzugt dem Mittelalter. Als historistische BaukünstIer bil- dete die Baugeschichte das Fundament ihres Selbsrverständnisses und sie war selbsrver- stäncllich integrativer Bestandteil ihres Unter- richts. Hier manifestiert sich noch zwischen Kunstgeschichte und Architekrur eine gemein- same, von einem positivistischen Geschichts- bild getragene Basis, die in der Abfolge und der Darstellung von Stilen und Epochen zwar Grundlegendes erarbeitete, sich darin aber auch erschöpfte. Um die Jahrhundertwende gehen in der Kunstgeschichte dann von den Universitäten neue Impulse aus, die zu einer Methodenbil- dung modernen Zuschnitts führen und auch die langsam vom Hiswcismus sich abwenden- den Architekten der Avantgarde in der Theo- riebildung beeinflussen werden. An den tech- nischen Hochschulen setzt sich dagegen die von Architekten getragene Baugeschichte als eine von Konstruktion, Material und techni- schen Bedingungen ausgehende Wissenschaft durch, die von der Archäologie über die Haus- forschung und die Denkmalpflege ein eigenes Profil ausbildet. Diese Divergenz manifestiert sich im Übergang von Lübke, dem vorerst letzten Kunsthistoriker auf dem Lehrstuhl, zum ausgebildeten Architekten Adolf Oechel- häuser, der das Ordinariat bis 1919 bekleide- te. Das Bestreben der Kommission lag darin, eine Persönlichkeit zu finden, die noch beide Richtungen vertrat, was sich ab der Weimarer Republik dann auch in der Bezeichnung )n- stitut für Kunst- und Baugeschichte" manifes- tierte. Zugunsten von Integration und Konti- nuität blieben die in den eingeholten Gutach- ten positiv bewerteten jungen Talente, wie z. B. Henry Thode oder Heinrich Wölffiin, daher unberücksichtigt. Nach 1945 Wie weit die Polarisierung zwischen Kunst- und Baugeschichte vorangeschritten war, be- legen die Vorgänge um die Nachfolge von Oe- chelhäuser. Auf den ersten Platz der Beru- 102 fungsliste setzte man den Architekten Karl Wulzinger. der dann auch den Lehrstuhl von 1921 bis 1949 bekleiden sollte. und vollzog damit die Wende. Auf Platz zwei stand Wil- helm Worringer, ein Kunsrhistoriker, der vor allem durch seine Promotionsschrift ,,Abstrak- tion und Einfühlung" über die Kunstgeschich- te hinaus die Architekten der Vorkriegs-Avant- garde, wie z. B. Peter Behrens, nachhaltig be- einflusste. Bereits im Vorfeld der Berufung stellte die Architektur-Abteilung 1919 fest, dass "der Nachweis kunstgeschichtlicher Kennt- nisse auf das wirklich notwendige Maß be- schränkt und dem Fach zugleich innerhalb des ganzen Unterrichtsplanes der ihm gebührende Platz zugewiesen" werden solle. Das Fach Kunstgeschichte wurde nun stellvertretend flir Denkmal für Wilhcl m Lübkc, originale Aufsfellung in der HoIYSlfaße. den Eklektizismus der historistischen Archi- tektur verantwortlich gemacht, da es durch Gelehrte und nicht durch bautechnisch ausge- bildete Fachleute unterrichtet werde. Obwohl die Architektur-Abteilung mit Wulzinger die von ihr gewünschte Orientierung zur Bauge- schichte hin bestimmte, trat sie zugleich den Lehrstuhl an die Allgemeine Abteilung ab - eine widersprüchliche Entscheidung, die nach 1945 revidiert werden sollte. In der Nachkriegszeit erfolgte nicht nur die Rückführung des Instituts für Kunst- und Baugeschichte an die Fakultät für Architektur, sondern auch die Trennung der beiden ganz eigenständige Merhoden und Ziele verfolgen- den Fächer in separate Institute. Aus der zuerst noch der Fakultät flir Naturwissenschaften zu- geordneten Allgemeinen Abteilung entwickel- te sich die Fakultät für Geistes- und Sozialwis- senschaften, der die Kunstgeschichte in der Form einer Zweitmitgliedschaft angehört. Nun eräffnete sich an der Universität Karlsruhe - erstmals seit dem mehr als hundertjährigen Bestehen des Lehrstuhls flir Kunstgeschichte - die dritte und ureigenste Aufgabe, nämlich Schüler des eigenen Faches auszubilden. Mit Klaus Lankheit, der dem Institut bis 1983 vorstehen sollte, fand man für Karlsruhe den sicher bedeutendsten Vertreter der Disziplin nach Lübke. Situation heute Unter den Bedingungen der modernen Mas- senuniversität einerseits und einem durch die Postmoderne ausgelösten starken Interesse an der Geschichte und Theorie der Architektur andererseits vollbringt das personell chronisch unterbesetzte Institut für Kunstgeschichte heute einen "Spagat": es unterrichtet sowohl die jährlich zwischen 180 und 200 zugelasse- nen Studenten der Architektur als auch die rund 250 Studierenden der Kunstgeschichte 103 im Haupt- und Nebenfach. Hinzu kommt das traditionsgemäß lebhafte Interesse der interes- sierten Öffentlichkeit. das sich in den Gasrhö- rerzahlen ausdrückt. Mit der Einführung des Bachelor-Studien- gangs ab Winrersemester 2000/2001 wird die Kunstgeschichte im Rahmen fächerübergrei- fender Module (MOD) ihre Lehrveranstal- tungen außerdem Studierenden anderer Fach- richruogen öffnen und damit einen zusätzli- chen Beitrag - sozusagen die vierte Aufgabe innerhalb der Universität - leisten. Von der ursprünglichen Mission eines Nebenfachs. das am Polytechnikum "geschichtliches Wissen und äs thetische Bildung" vermitteln sollte. zu einem zuerst tragenden, dann zunehmend ver- nachlässigten Bestandteil der Architektenaus- bildung hat sich das Karlsruher Institut heute zu einem eigenständigen, aber dennoch inte- gralen Fach zweier Fakultäten entwickelr. ANNEMARIE JAEGGI Studienkolleg der Universität Karlsruhe Zentrum der Vorbereitungjunger Amländer auf ihr Studium Die Universität Karlsruhe blickt auf eine lan- ge Tradition im Ausländerstudium zurück. Zur Zeit studieren an ihr 2.312 Ausländer. das sind 17.69 % aller Studierenden. Sie kom- men heute aus allen Teilen der Welt. besonders aus China. Afrika. aus den arabischen Län- dern. allen voran Marokko. und aus Osteuro- pa. Es waren schon bis zu 65 Nationen. da- runter sogar eine Studierende von den Oster- inseln. Studierende aus Nepal und Madagas- kar. vertreten. Auf die oft gestellte Frage. wa- rum sie ausgerechnet unsere Universität wähl- teo, verwiesen einige auf ihren guten Ruf, andere nannten Familienmitglieder als Absol- venten der Universität. Letztlich wollen alle gezielt in unserem Land studieren, in dem sie auf Grund seines hohen technischen Stan- darts eine gute und moderne Ausbildung er- wanen. Die jungen Menschen. vor allem aus den ferneren Ländern. treffen bei uns auf völlig an- dere und zum Teil gegensätzliche Lebensge- wohnheiten und sind hier ohne die gewohnte familiäre Sicherheit in einer fremden Welt auf sich selbst gestellt. Die deutsche Sprache ist für sie, zumindest am Anfang, eine zusätzliche Hürde. Durch die Einrichtung von Studienkollegs an Hochschulen ist es möglich. ausländischen Studierenden den schwierigen Übergang in das deutsche Universitäts-. aber auch Alltags- leben zu erleichtern. Das Studienkolleg ist eine zentrale Eintich- tung der Universität Karlsruhe. An ihm lernen oder verbessern die jungen Ausländer die deutsche Sprache. wobei ein Ziel die Wissen- schaftssprache ist. die ihnen das Studium er- leichtert. Besondere Schwerpunkte bilden zu- nächst landeskundliche Themen. die eine mög- lichst schnelle Eingliederung in unseren Alltag ermöglichen sollen. Aber auch Mathematik. Physik. Informatik und Chemie stehen für einen Teil von ihnen auf dem Stundenplan; Schwerpunkte dieser Fächer sind vor allem die Fachsprache und studienbezogene Lern- und Arbeitstechniken. die ihnen. geprägt durch ein 104 I ---/ ~ - -1--- Sprachlabor im Studienkolleg. G völlig anderes Schulsystem, sehr ofr fremd sind. In der Regel haben alle eine Hochschul- zugangsberechtigung, vergleichbar mit dem deutschen Abitur in ihrer Heimat erworben. Aber so unterschiedlich die Bildungssysteme sind, so verschieden sind die schulischen Vor- kenntnisse. Um den jungen Ausländern einen erfolgreichen Einstieg in das Studium zu er- möglichen, orientiert sich die StoffWahl in den genannten Sachfächern an den Erfordernissen eines ingenieurwissenschafdichen Grundstu- diums. Das Studienkolleg wurde 1963 eingerich- tet. 40 Studierende, überwiegend aus Iran, ei- nige aus verschiedenen arabischen Ländern und zwei Brasilianer. begannen in zwei Kursen ihr zweisemestriges Propädeutikum. Heute sind es über 300, die sich hier auf ihr Studium vorbereiten oder studien begleitend ihre Sprach- kenntnisse veniefen woHen. Ende der achtziger Jahre stieg die Studie- rendenzahl sprunghaft an. Zuerst studierten sehr viele junge Griechen am Studienkolleg, dann folgten nach Öffnung des "Reiches der Mitte" die Chinesen, nach der politischen Wende auch Studierende aus Osteuropa und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und inzwischen viele aus Marokko und Zentralaf- rika. Hieraus ist aber auf keine stetige Entwick- lung der Studierendenzahl nach oben zu schließen. Politische Entwicklungen und Kri- sen auf unserer Welt wirken sich immer wie- der auf die Zahl unserer Studierenden und die Zusammensetzung der Nationalitäten aus. So ist das Studienkolleg heute mehr denn je ein Zentrum, an dem sich Studierende aus aller Welt begegnen und sich auf ihr Fachstu- dium vorbereiten. KLAUS DIETER JUSTEN 105 Karlsruher Straßenbahn - Bindeglied zwischen Stadt und Region Die Universität und die Entwicklung des Karlsrtther Nahverkehrs Neben der Universität feiert dieses Jahr auch die Karlsruher »Elektrische" ein rundes Jubilä- um. Auch wenn es eher wenig bekannt ist, so hat doch dieTH/Uni für die Karlsruher Stra- ßenbahn und die Entwicklung des erfolgrei- chen Karlsruher ÖPNV eine nicht geringe Bedeutung. Wenn im Juli fast zeitgleich die Publikationen zu den Jubiläen erscheinen. werden die Verbindungen zwischen beiden Institutionen deutlicher hervortreten. Auf sie sei hier im Vorgriff in aller Kürze verwiesen. Einspruch und Zuspruch von der Hochschule Das Polytechnikum hatte schon seit 1877 di- rekten Anschluss an den öffentlichen Nahver- kehr. da die Pferdebahn unmittelbar vor ihrem H auptgebäude verkehrte. Man darf davon ausgehen. dass die kurz vor der Jahrhundert- wende etwa 1.100 Studenten diese und die Dampfbahn (seit 1881) ab dem nahen Durla- eher Tor nach Durlach sowohl zu ihrer Frei- zeitgestalcung nutzten, als auch um zu ihrem Studienplatz zu kommen. Beim Schritt des Nahverkehrsunternehmens in die Moderne. bei der Elektrifizierung im Jahre 1900. erga- ben sich jedoch aus der bisher problemlosen Nachbarschaft Konflikte. Neben ästhetischen Einwänden der Bürger und des großherzogli- chen Hauses gegen die Oberleitungen in der Stadt verhinderte die Furcht von Vertretern der Institute für Physik und Elektrotechnik vor Stärungen ihrer Versuchsanordnungen' durch die Stromstärke der Oberleitungen de- ren Bau. Aus diesem Grund musste die »Elek- trisehe" bis 1905 in der Kaiserstraße ohne Oberleitung mit zusätzlichen Akkumulatoren betrieben werden. Dies war zwar eine Form, aber nicht gerade eine fortschrittliche und ökonomische der Zweisystemtechnik. Sie hat- te denn auch nach fünf Jahren ausgedient. Aus einer anderen Disziplin der Hochschule erfuhr die Karlsruher Straßenbahn dagegen Unterstützung. Reinhard Baumeister. Profes- sor fur Wasser- und Straßenbau. plädierte 1898 in einem Gutachten für die Verlegung des Karlsruher Hauptbahnhofs von der Kriegs- straße nach Süden. Dieser verhindere mit sei- nen Gleisanlagen und den langen Schließun- gen der Bahnschranken die für ei ne zeitgemä- ße Stadtentwicklung notwendige Straßen- bahnverbindung der Südstadt mit der Stadt- mitte. Baumeister war kein geringerer als der Begründer der modernen Stadtplanung. der im ersten Lehrbuch der neuen Disziplin 1876 geschrieben hatte: »Zwei Aufgaben liegen bei einer Stadterweiterung vor: Neue Wohnungen zu schaffen und den Verkehr zu erleichtern." Städtische Nahverkehrspolitik bis 1914 Die Stadtverwaltung. der Baumeister über vie- le Jahre als Stadtverordneter mit seiner Fach- kompetenz diente. hatte die No twendigkeit der Mobilität für alle früh erkannt und den Ausbau der Landeshaupts tadt zum Eisenbahn- knoten energisch gefördert. indem sie zwei Strecken - die Maxaubahn zum Rhein und die Kraichgaubahn - selbst erbaute und dem Land zum Betrieb überließ. Damit waren Vorausset- zungen für den Industrialisierungs- und Urba- 106 Kaiserstraße Ecke Herrensrraße vor 1905 mit Akkumulatorenwagen. nisierungsprozess wie für Zentralitätsgewinne geschaffen. die seit der Reichsgründung bis 1901 die Bevölkerung der Stadt von 36.000 auf 100.000 ansteigen ließ. Die Oberbürger- meister förderten zudem den Bau von Vorort- bahnen durch private Unternehmer. so die Pferde- und Dampfstraßenbahn. die Durlach im Osten und Mühlburg im Westen mitten durch die Stadt miteinander verband. Sie trug seitdem zur Entwicklung der Kaiserstraße als Geschäftszentrum für Stadt und Region bei. Weitere von der Stadt geförderte Bahnen wa- ren die Lokalbahn. die seit 1890/91 zwischen Spöck im Norden und Durmersheim im Sü- den durch die Stadt verkehrte. und die Albtal- bahn. die seit 1897 ab dem Festplatz über Rüppurr und Etdingen in das Albtal fuhr. Zur Begründung dieser Nahverkehrspolitik führte Oberbürgermeister Karl SehnetzIer 1896 aus. sie ermögliche den in der Stadt beschäftigten Arbeitern einen gesünderen Weg zum Arbeits- platz und zugleich das preiswertere Leben auf dem Land. wahrend in der Stadt dadurch die Steigerungen der Bauland- und Mietpreise gering blieben. Außerdem kämen so landwirt- schaftliche Erzeugnisse leichter in die Stadt und die Städter am Wochenende leichter in die Naherholungsgebiete. 1903 übernahm die Stadt die Straßenbahn in eigene Regie und setzte sie nun im Sinne Baumeisters verstärkt als Mittel der Stadtent- wicklung ein. Das Netz wurde ausgebaut, mit der Verlegung des Hauptbahnhofs 1913 fielen zahlreiche Behinderungen durch die früheren Kreuzungen der Straßen- mit den Eisenbahn- gleisen. die sich wie ein Ring von der Kriegs- 107 straße über die Beienheimer Allee, Mathy-, Hans-Sachs-, Riefstahl- und heutige Erzber- gerstraße um die Stadt gelegt hatten. Die Dif- ferenzierung der Stadt in Vienel unterschied- licher sozialer Prägung sowie in Industriege- biete wie in gemischte Gewerbe- und Wohn- gebiete schritt dank der Vernetzung durch die Straßenbahn voran. Eine aus heutiger Sicht er- staunlich realistische Vision der nahverkehrs- politischen Entwicklung in die Region trug 1912/13 Oberbürgermeister Karl Siegrist vor. Er wollte die Straßen-, Lokal- und Albtalbahn in einer von der Stadt dominierten Gesellschaft vereinen und zugleich das Nahverkehrsnetz in die Region - in das Pfinztal, in die Pfalz, nach Rußheim - durch neue Strecken erweitern. Trotz des Scheiterns dieser Vision an der Mehr- heit der Stadtverordneten behielt auch in der Nachkriegszeit die Straßenbahn ihre Bedeu- tung als beherrschendes Massenverkehrsmit- tel, das 1929 durch den Ausbau der Strecken nach Daxlanden, Rappenwört und Knielin- gen seine bis dahin größte Ausdehnung erfuhr. TH I Uni-Professoren a1. Nahverkehr.planer Die Pläne Siegrists lebten fort in den noch weitergehenden Überlegungen (Vorortbahnen bis Bruchsal, Rastatt und Waghäusel) des Gene- ralbebauungsplans von 1926, der als Ziel des Ausbaus des Ortsstraßenbahnnetzes die Ver- bindung der Vororte mit dem Stadtinnern auf möglichst kurzem Wege formulierte. Neu an den Plan überlegungen ist die Prognose, dass der Straßenraum künftig für Straßenbahn und Auto nicht ausreichen werde. U-Bahnen, wie sie in den Metropolen bereits entstanden seien, kämen für Karlsruhe allerdings nicht in Frage. Damit war ein Thema angeschnitten, das die Stadt- und Nahverkehrsplanung bis heute in unterschiedlicher Intensität beschäftigt. Dabei korrunt nun auch die Hochschule, bzw. deren Vertreter einschlägiger Fächer wieder ins Blickfeld der Karlsruher Nahverkehrsentwick- lung. Unter den Beratern und Gutachtern der Stadtverwaltung in Verkehrsfragen sind min- destens drei Professoren der Hochschule zu nennen. Friedrich Raab, Wilhelm Leutzbach und Rolf Funck. Raab schlug in den frühen 1940er Jahren im Zusammenhang mit einer Neustrukturierung des Eisenbahnnetzes eine Erweiterung des Straßenbahnnerzes samt einer besseren Abstimmung beider Verkehrsträger im Regionalverkehr vor. Leutzbach gutachtete zur Frage der Wirtschaftlichkeit des Baus einer Nordbahn im Jahr 1970, wobei er eine abge- speckte Version ohne den östlichen Ast nach Friedrichstal empfahl und auch den Weiterbau ab Leopoldshafen von einer entsprechenden Bevölkerungsentwicklung in Linkenheim- Hochstetten abhängig machte. Rolf Funck, wie Baumeister zugleich langjähriges Gemein- deratsmitglied, war 1976 und 1980 an der Ausarbeitung zweier Gutachten beteiligt, die mittelfristig für den Ausbau des ebenerdigen Straßenbahn-I Bus-Systems plädierten, das in die Region auszuweiten sei. Langfristig sollte an den Bau unterirdischer Kompaktbahnen gedacht werden. Aufgrund eines ablehnenden Bürgerentscheids 1996 fährt die Straßenbahn immer noch überirdisch durch die Kaiserstra- ße, deren starke Belastung ein noch zu lösen- des Problem der Kommunalpolitik bleibt. Entscheidung rur die Straßenbahn in den 1950er Jahren Diese Gutachten stehen vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Entscheidung der Stadt Karlsruhe für die Straßenbahn. Als in anderen Städten nach jahtzehntelang ausgebliebenen Investitionen die heruntergewirrschafteten Be- triebe ganz oder große Streckenteile stilIgelegt wurden, verhielt sich die Stadt Karlsruhe an- tizyklisch und verfügte 1980 als eine von vier 108 deutschen Großstädten über ein längeres Streckennetz als 1929. In den 1950er Jahren traf sie' grundlegende Entscheidungen dafür: Die Albtalbahn wurde erworben, umgespurt und mit dem Straßenbahn netz verknüpft. 1%0 erhielt die im Hardtwald neu angelegte Waldstadt Stra- ßenbahnanschluss. In beiden Fällen fiel die Entscheidung be- wusst gegen den Einsatz von Bussen zur Bewältigung des Nahverkehrs. Dies hatte seinen Grund auch darin, dass die Zweisysu~m-Stadtbahnwagen auf der Kraichgaubahn kurz nach seiner Fahrt durch den BauerbacherTunnel im Juli 1997. Karlsruher Innenstadt mit der Hauptverkehrsader Kaiserstraße nicht für den autogerechten Ausbau geeignet war. Auch die Beschaffung neuer, moderner Großraumwa- gen seit 1954 belegt die Entscheidung für die Zukunft der Straßenbahn. Uni-Absolvent als VBK-Chef Die künftige Bedeutung der Straßenbahn er- schien seit den 1970er Jahren in neuem Licht. Die wachsende Zahl der Kfr und damit auch der Berufs- und Ausbildungspendler, die nun mit dem Auto in die Stadt kamen, führte immer häufiger zum Verkehrsinfarkt und zu erhöhten Umweltbelastungen. Um den Trend der sinkenden Fahrgastzahlen umzukehren, starteten die Verkehrsbetriebe eine langfristig angelegte und - wie die Fakten heute beweisen - äußerst erfolgreiche Offensive zur Attrakti- vitätssteigerung des ÖPNV. Das Streckennetz wurde weiter ausgebaur u. a.: Nordweststadt (1975), Neureut (1979), Oberreur (1986), in den Wagenpark investiert, ein Beschleuni- gungsprogramm durch Vorfahrtsberechtigung an den Ampeln seit 1987 realisiert und attrak- tive Tarifangebote, darunter auch eine "Studi- Karte", mit Erfolg entwickelt. Seit 1977 zeich- net dafür Dieter Ludwig verantwortlich. Wie eine ganze Reihe von Studenten der Friderici- ana hat er sich als Aushilfsschaffner und Fah- rer bei der Straßenbahn sein Bauingenieur- Studium mitfinanziert. Er initiierte auch die wegweisende Entwicklung der Zweisystem- technik, die in Zusammenarbeit mit der Uni- versität zwischen 1983 und 1989 entstand. Seine Fakultät verlieh ihm dafür 1998 ihren ersten Ehrendoktortitel. Ausgangspunkt der Überlegungen Ludwigs war die Erkenntnis, dass die auf das Auro umgestiegenen Pendler nur zurückzugewinnen seien, wenn sie aus der Region ohne umzusteigen direkt in die City gelangen könnten. Dazu mussten die Bundes- bahngleise für die Stadtbahn mitbenutzbar sein, was Fahrzeuge erforderte, die unterschiedliche Betriebsspannungen "verarbeiten" konnten. Erst damit war es möglich, in den 1990er Jah- ren äußerst rasch das Nahverkehrsnetz zu rea- lisieren, das Stadt- und Verkehrsplaner seit Jahrzehnten entworfen haben. Weit in das Um- land mit einer Streckenlänge von etwa 400 km ausgreifend, verbindet die Stadtbahn - zum Vorteil beider - Karlsruhe mit der Region. MANFRED KOCH 109 175 Jahre Polytechnikum - Technische Hochschule - Universität Karlsruhe Gymnasien und Hochschulen in Baden und anderswo Zwischen Vorbehalten und Zusammenarbeit 1862 beauftragte Großherzog Friedrich I. den Historiker an der Universität Heidelberg Ge- org Gottfried Gervinus, ein Gutachten für "die Neugestaltung des Gesamtunterrichtswe- sens im Großherzogtum Baden" zu erstellen. Unter anderem findet man dort die Klage, dass unter den Erstsemestern viele den Anfor- derungen der Hochschulen nicht genügen. Der Übergang von Gymnasien zur Universität sei in Deutschland "durchgehend ein ganz un- vermittelter; man geht von der Hauszucht zur Ungebundenheit, von der allgemein mensch- lichen Ausbildung zum besonderen Fachstudi- um in plötzlichen Sprüngen über, zur Wahl des Berufs meist durch zufällige Einflüsse ge- trieben, am wenigsten durch eigene Einsich- ten in die verschiedenen Berufs- und Wissens- zweige orientiert'f, wobei dem Gutachter Ger- vinus angelsächsische Strukturen in vielem vorbildlich erschienen. Darüber hinaus gäbe es Spannungen zwi- schen dem bürgerlichen Bildungsideal des Humanismus und den "Utilitaristen", die "dem technischen Fortschritt und finanziellen Gewinn anhingen". Darum müsse man mit einer realistischen Abteilung an Gymnasien "dem staunenswerten Aufschwung der Na- turwissenschaften" Rechnung tragen. Diese Denkschrift, fur Friedrichs Cabinetts-Chef ein "wahrer Hochgenuss", berührte demnach Pro- bleme, die über Jahrzehnte hinweg bis heute aktuell sind: mangelnde wissenschaftliche Vorbereitung der Abiturienten und unzurei- chender Umfang der Naturwissenschaften im Lehrplan. "Das ganze Land war schulkrank" Bei der badischen Schulreform der 60er Jahre im 19. Jahrhundert, für die man Pädagogen aus Preußen geworben hane, z. B. Gusrav Wendt als Schulleiter fur Karlsruhe, zog man gegen den "Philologismus" zu Felde, wie er vor allem an der Universität Heidelberg zelebriert wurde: für wissenschaftliche Forschung zwar nützlich, für das Klassenzimmer lähmend. "Pedantismus und Drängen nach prunkhaf- tem Vielwissen" (Gervinus) sei die Folge, und Wendt forderte als Mitglied des Oberschulrats "eine geistige Durchdringung" der Lektüre, eine "Einführung in das Geistesleben", wir würden sagen: fächerübergreifendes Verständ- nis fur Zusammenhänge. Und so wurden Stun- dentafeln und Lehrpläne entsprechend geän- dert. Vorher und nachher wurde das Schulwesen aber von den Klagen der Eltern begleitet, denn man überfordere die badischen Kinder, die "so viel lernen sollten, wie die preußischen Jun- gen", ja Mediziner lieferten schon früh Gut- achten zur Überforderung der Gymnasiasten, und die "Schulkrankheit" war Thema des ba- dischen Landtags. Wende um 1900 Noch hatte das humanistische Gymnasium das Monopol für den Hochschulzugang für staatstragende Berufe wie Verwaltung, Justiz, Bildungswesen. Aber Wirtschaft, Industrie, Handel fragten auch in Baden ungestümer nach einer dem Zeitgeist aufgeschlossenen 110 Bildung. Zusammen mit Professoren des Po- lytechnikums sah man diese in der Realschu- le, die, zur Oberrealschule mit Oberstufe auf- gestockt, die Naturwissenschaften neben mo- dernen Fremdsprachen besonders betonten. Da zollte freilich nicht jeder Beifall, z. B. Pro- fessor earl Engler, der das Latein bei seinen Studenten in Karlsruhe nicht missen wollte, wohl um gegenüber den alteingesessenen Uni- versitäten Heidelberg und Freiburg den Rang des Polytechnikums nicht gemindert zu sehen. So diente diesem Ziel das Reformrealgymna- sium mit Latein, z. B. die Karlsruher Goethe- Schule, und bereicherte den wachsenden Vari- antenreichtum der höheren Schulen. Den allgemeinen Zugang zur Hochschule dieser verschiedenen Bildungswege schuf die Reichsschulkonferenz 1900, auf der in ge- wohnt zackiger Manier Wilhe1m Ir. dröhnre, er wolle nicht junge Griechen und Römer er- zogen wissen, sondern junge Deutsche. Das Monopol des humanistischen Gym- nasiums war endgültig gebrochen. Wenn man Protokolle dieser Konferenz liest, in denen viele Universitätsprofessoren leidenschaftlich klagten, dass nicht nur der "aufbrechende Ma- terialismus" das humanistische Menschenbild verstümmeln werde, sondern auch die geisti- ge Zucht, den logischen Sinn, die Erkenntnis- bereitschaft und somit die formale Bildung künftiger Studenten zerbreche, findet man einen weiteren Beleg für die harsche Kritik der Universitäten an den höheren Schulen, in Baden wie anderswo. Der bedeutende Philolo- ge Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff for- mulierte: "Die Antike als Einheit und Ideal ist dahin, die Wissenschaft selbst hat diesen Glau- ben zerstört." Nun darf man daran erinnern: der Auf- bruch in Naturwissenschaft und Technik, die Glanzpunkte neuer wissenschaftlicher Er- kenntnisse in der Medizin im Deutschland des 19. Jahrhunderts - er wurde weitgehend von Forschern mit humanistischem Bildungsgang bei sparsamster Bestückung der nichtsprachli- chen Fächer im Lehrplan getragen. Aber der Zug der Zeit fuhr in eine neue Richtung. Während neun Gymnasial-Schul- jahre bis zum Abitur auch in der Weimarer Zeit unabdingbar erschienen - damals schon länger als im Ausland -, kürzte Hitler die "Oberschulen" um ein Jahr, um Platz für den Wehrdienst zu schaffen. Dem durfte nicht widersprochen werden, auch nicht von den Hochschulen, die Abiturienten mit ideologie- gesättigtem Lehrstoff aufzunehmen hatten, und sie "dem deutschen Geist" zuführen soll- ten, wie die Inschrift an der Neuen Universi- tät Heidelberg umfunktioniert wurde. Wenn je eine Studenrcngeneration von den Universitäten freudig begrüßt, ja später ideali- siert wurde, so war es die Kriegsgeneration nach 1945. Mit Abiturvermerk, langem Wehrdienst und Gefangenschaft, mit großen Bildungslü- cken und Unsicherheiten, aber mit außer- ordentlichem Wissensdurst und Ernst begeg- neten ihnen die z. T. frisch entnazifizierten Professoren, die sich nicht an Rechtschreibung und Zeichensetzung in Seminararbeiten stör- ten, sondern glücklich waren, nicht nur wie- der lehren zu dürfen, sondern gerade auf eine so aufgeschlossene Studentenschaft zu stoßen. Die immerwährende "Bildungskatastrophe" Doch in den 50er Jahren begann schon die erneute Kritik am Gymnasium, und in Baden- Württemberg wurde der Begriff "Bildungska- tastrophe" kreiert, der offenbar seitdem in der öffentlichen Diskussion zur allgemeinen Mün- ze wurde. So galt die Unzufriedenheit am bis- herigen Abitur des "multum non multi', des Vielerlei statt des Wesentlichen. Von immer mehr immer weniger wissen, bis man von al- lem nichts weiß. so ironisierte man die breiten 111 Stundentafeln. in die in der Tat. nicht zuletzt auf Drängen der Öffentlichkeit. immer neue Stoffe aufgenommen wurden. Ob Wirtschaft. Recht. Staat. ob Umwelt. Gesundheit. Sexua- lität und anders mehr. die Forderungen zielten auf neue Fächer. und in der ,,-kunden-Inflati- on" nimmt es nicht wunder. dass der Verband der Möbelindustrie eine "Wohnraumkunde" forderte. damit die Jugend in der Schule ler- nen solle, wie man sich später einzurichten habe. Mancher Einfall konnre abgewehrt oder in der Erlassflut versteckt werden. wie z. B. die Beachtung und Bewahrung von Ameisenhau- fen bei Schulausflügen. so auf Antrag aus dem Landtag. Das war das eine. der Geist durchgreifen- der Reformen das andere. die Auflehnung ge- gen den "Muff unter den Talaren". die Wahl von allem und jedem als Kriterium demokra- tischen Selbstverständnisses. So fragte man stringenr. wieso ein 18-jähriger Primaner als Soldat unrer Umständen sein Leben opfern dürfe. zwar den Bundestag. Landtag und Ge- meinderat wählen könne. ihm aber die Wahl zwischen Musik und Bildender Kunst im Stundenplan versagt bleibe. Die Oberstufenreform 1972 Die Oberstufenreform. die weitgehend Fä- cherwahlen ermöglichte. wurde nicht zuletzt auf Drängen der Universitäten ins Rollen ge- bracht. um den künftigen Studierenden an Wenigem das Grundsätzliche von Methodik. die "wissenschaftspropädeutische Kompetenz". so hieß die gängige Formel. zu vermitteln. Und da drang auch Ideologie durch. Im pro- fessoralen Schulausschuss der Westdeutschen Rektorenkonferenz. den gab es damals. erwog man sogar den Vetzicht auf eine zweite Fremd- sprache. um die "postfaschistiode Elitensttuk- tur des traditionellen Gymnasiums gegenüber Edukanden mit restringiertem Spracheode aus unterprivilegierten Sozialschichten nicht per- petuieren zu lassen". wie man so volksnah for- mulierte. Und die Gleichwertigkeit aller Fä- cher harre für die Schule genauso zu gelten wie an der Universität. Und "demokratisch" war auch. Mathematik in der 13. Jahrgangsstufe abwählen zu lassen. um die Zahl der Abituri- enrinnen zu steigern als Prinzip der Frauene- manzipation. Wer als Vertreter für Baden- Württemberg damals im Bildungsrat mit be- stimmten Hochschulvertretern zu diskutieren hatte. weiß ein Lied davon zu singen. Kaum war die Oberstufenreform realisiert. 1978 in unserem Land verspätet und mit strengen Auflagen versehen. erfolgte erneute Kritik. obwohl hier z. B. kein Baukastensys- tem wie in Norddeutschland bei Naturwissen- schaften eingerichtet wurde - ein "Semester" Physik. eines in Chemie. von jedem erwas und nichts Konsequentes. Die Fächerwahl war ein- geschränkt. so dass schon andere zu Beginn im Landtag und in der Presse an der südwestdeur- sehen Realisierung aufgrund unzureichender Fächerwahl heftige Kritik übten. Vor allem sollte auch das schriftliche Zentralabitur erhal- ten bleiben. keine einfache Sache. z. B. Musik und Bildende Kunst "abituriabel" zu machen. Neue Ziele Mit der neuen Oberstufenreform ab 2004 soll der Pflichtbereich verstärkr. die Wahlmöglich- keit eingeschränkt werden. Dies wird u. a. in vierstündigen Fächern Deutsch. Mathematik und Fremdsprache neben eingeschränkter Profilkurswahl geschehen. wobei auch die Na- turwissenschaften stärker als bisher berück- sichtigt werden, eine Reform. von den einen im Landtag als Gymnasium des 21. Jahrhun- derts gelobt. von anderen als "Rückschritt und Flickschusterei" gescholten. Wie werden sich die Hochschulen dazu verhalten? Wird man dem ehemaligen stärker spezialisierten Leis- 112 Der Präsident des Oberschulamts Karlsruhe Or. Hirsch und der Rektor der Fachhochschule Professor Fischer stellen im Frühjahr 2000 mit Mitarbeitern das gemeinsame Projekt ,,Anwcndungsorientiene Mathematik~ vor, mit dem in Schule und Hochschule komplexe Vorgänge anschaulich dargestellt werden können. tungskursschüler nachtrauern, ode.r wird man die breitere Allgemeinbildung schätzen? Eini- ge gymnasiale Fachverbände, gedeckt von den zuständigen Hochschulfakultäten, stimmen jetzt schon Jeremiaden an, wenn ihr Fach nicht mehr schriftlich abituriabel wäre, weil die Kernfachhierarchien wieder hergestellt sind und z. B. - bis aufwenige Gymnasien mit Musikzügen - der Schulmusiker sein Prestige allein als Schulabschlussmusikant festigen kann. Die Oberstufe 1972 hatte ja auch die Lehrersoziologie tangiert mit dem Grundsatz: alle Fächer haben gleichen Notenwert. Nun sind ca. 30 Jahre für die bisherige Oberstufenreform eine lange Zeit gewesen. Viele tüchtige Schülerinnen und Schüler haben auch hier ordentliche Leistungen erbracht und haben ein erfolgreiches Studium abgeschlossen. In weiteren 30 Jahren steht sicher die nächste Reform zur Diskussion, und die Hochschulen werden auch dann sicher neue Forderungen stellen. Der Wandel ist das Konstante. Soweit die Diskussion auf Spitzenebenen und im medialen Bereich. Im Einzelfall funk- tioniert die Zusammenarbeit von Hochschu- le und Gymnasium viel konstruktiver, als dies in dem üblichen Bildungskatastrophengerede spürbar ist. So sind sich die meisten Hoch- schullehrer bewusst, dass sie für Berufe und nicht nur für Habilitationen ausbilden. Au- ßerdem erkennen viele, dass eine stetig wach- sende Zahl einerseits von Abiturienten, an- dererseits von Diplominhabern seit den 60er Jahren unumkehrbar ist. Zwar will man im Gymnasium wie vorgesehen mit einem fächer- übergreifenden Lehrplan den Sinn für Zusam- menhänge über einzelnes Faktenwissen stärker fördern, die Technik des wissenschaftlichen Arbeitens in Seminarkursen besser einüben, wie einst in den Leistungskursen geplant, um einen neuen Brückenschlag zu erkunden; ge- rade im Seminarkurs sollen komplexe Themen- steIlungen selbstständiges Arbeiten samt schrift- . licher und mündlicher Präsentation praktiziert 113 werden, im Schula11tag nicht immer einfach zu vetwirklichen. Auch müsste Durchhaltevermö- gen, Kreativität, Memodenkompetenz, Aus- drucksvermögen und manche andere Studien- bedingung bei gleichzeitiger Anerkennung be- sonderer Lernleistungen neue Akzente erhal- ten. Doch es bleibt eben abzuwarten, auf wel- ches Echo nun diese Bemühungen bei den Hochschulen stoßen werden. Lehrerfortbildung - ein Dialog Es gibt aber noch andere Konstanten, auf die man bauen kann, und das ist die Lehrerfort- bildung, schon seit Gervinus' und Wendts Zeiten gefordert und damals partiell prakti- ziert. Lehrerfortbildung ist mehr als nur eine Einbahnstraße mit der Weitergabe von neues- tern Faktenwissen; sie ist ein Dialog zwischen Schule und Hochschule, bei dem auch letzte- re Empfangende sein kann. Zudem hat uni- versitäre Fortbildung der Lehrerschaft auch eine mentale Funktion. Man tritt z. B. lehre- rinnen und Lehrern der Mathematik und Na- turwissenschaften nicht zu nahe, wenn "das Gros seine fachliche Entwicklung nach Ab- schluss des Studiums beendet hat und selbst besonders Qualifizierte die Fachentwicklung eher unter didaktischen denn unter fachin- haltlichen Aspekten sehen", so sei einer ihrer Vertreter in leitender Position zitiert. Und man kann hinzufügen: Kein Wunder. wenn die Schule heute mehr denn je zur Reparatur- anstalt der Gesellschaft verurteilt wird. "Die Folge scheint mir", weiter im Zitat, "eine Er- starrung im Unterricht zu sein. Im Vorder- gtund steht das formale Lernen, das zum Ziel hat, Inhalte abzuarbeiten. Nicht im Vorder- grund steht dagegen ein lebendiges Lernen, das zum Ziel hat zu fragen, wozu eine Fach- methode eingeführt wird, Überblicke über Fachmemoden zu schaffen mit dem Ziel, die Fähigkeit bei Schülern zu entwickeln, für ein- zelne Problemstellungen geeignete Fachme- thoden zur Problemlösung auszuwählen, den Schüler zu veranlassen, über eine Fragestellung unterrichtsunabhängig nachzudenken und seine Fähigkeiten an den Problemen seiner Welt zu erproben, letztlich: eigenverantwort- lich weiterzudenken." Wer als Schulvetwaltungsbeamter mit sol- chen Forderungen werbend in lehrerkollegi- en spricht, stößt oft auf Skepsis, weil da "von oben" wieder einmal eine aparte bildungspo- litische Selbstverständlichkeit verbreitet wird. Anders bei einer Fortbildungsveranstal- tung, bei der z. B. der Dekan der Fakultät für Physik mit den Worten einleitet: "Wir möch- ten Ihnen, Ihren Schülerinnen und Schülern die Freude und Faszination vermitteln. die die Karlsruher Physiker an ihrem Fachgebiet ha- ben." Wissenschaft als Faszinosum, das schafft Gehör. Freilich sollte dies beiderseits gesche- hen. Denn wer als Kommissar in vielen Staars- examina tätig war und ist, muss fragen, ob das auch für Hochschullehrer immer gilt, nicht nur abprüfbares Wissen, formales Lernen, Pri- orität von hochspezialisierten Einzelaspekten in Prüfungen zu werten. Es sollte auch Pro- blembewusstsein und Kritikfähigkeit, Fähig- keit zum Überblick, auch fächerübergreifend, Mut zur Auseinandersetzung mit Kernfragen und anderes mehr erwartet werden, dass bei dem zunehmendem Tempo des Veraltens von Faktenwissen vor allem die intellektuelle Per- sönlichkeitsstruktur auf der Universität ge- prägt werden sollte und das spätere Alumni mit Dankbarkeit erfüllen kann. Derzeitige Diskussionen innerhalb der Hochschulen zei- gen, dass man hier wie im Schulwesen solche Fragen zu stellen vermag. Fortbildung in der Region Erörterungen allein helfen nicht weiter; wich- tig sind Aktionen, wie sie z. B. in der Region 114 des Oberschulamts Karlsruhe vollzogen wer- den, weil sie manche falsche Vorstellungen vom "computerscheuen fünfi.igjährigen Päd- agogengreis" korrigieren können. So finden seit fünf Jahren Forumsgespräche "Informa- tik" der Universität Karlsruhe mit Fachleitern und -beratern, Beamten der Schulverwaltung einschließlich des Kultusministeriums statt. Zu einer Vortragsreihe ,,Aktuelle Themen der Informatik für Informatiklehrer" wird zwei- mal im Jahr eingeladen, neben den didakti- schen Kolloquien, auf denen Professoren aus ganz Deutschland sprechen. Für 15 Lehrer wurde ein viersemesrriges Informatikstudium eingerichtet, um eine Ergänzungsprüfung ab- legen zu können. Zum "Pilotprojekt mobiles Klassenzimmer" konnte das Oberschulamt Lehrkräfte aus ganz Baden-Württemberg in die Universität Karlsruhe einladen, dem ca. 300 Teilnehmer folgten. Und auch an den Uni- versitäten Mannheim und Heidelberg finden entsprechende mamematische Kolloquien starr. Erfolgreich war der ArbeitSkreis ,,Anwen- dungsorientierte Mathematik - Simulation dynamischer Vorgänge", beginnend 1993. Mit der Publikation "Mathematische Begriffe visu- alisiert" nebst einer CD-Rom werden 39 Unter- richts- und Vorlesungsmemen dargestellt. Die elektronischen ArbeitSblätter liefern ein Medi- um, mit dessen Hilfe sowohl durch Schaubilder und dreidimensionale Darstellungen als auch durch Animationen in Form von kleinen Fil- men abstrakte mamematische Begriffe greifba- rer und damit begreifbarer gemacht werden, für Schule wie für Hochschule gleich geeignet. Unmittelbar an die Schülerschaft hat sich die Universität Karlstuhe in Wochenend- und Ferienkursen gewandt und ihnen 1998/99 er- möglicht, an den ersten beiden Semestern des Studiums "Praktische Informatik" teilzuneh- men, einschließlich eines später verwertbaren Scheins, falls die hierfür benötigten Klausuren mit Erfolg abgelegt werden. Ähnliche Aktivitäten finden auch in Mann- heim und Heidelberg statt, und eindrucksvoll ist die Zeitschrift "Future", die vom Ober- schulamt und der Universität Mannheim seit dem Frühjahr 2000 herausgegeben wird, z. Zt. von der Universität finanziert, bald wohl von Sponsoren gestützt und vielleicht von der Uni- versität Karlsruhe mitgetragen. Die ca. 5.000 Exemplare werden zu je 40 an die allgemein, und berufsbildenden Gymnasien, an motivier- te Mitglieder des Lehrerkollegiums und der Schülerschaft verteilt. "Wir wollen", so Kanz- ler Oe. Dieter Erdmann im Vorwort, "Ihnen die Faszination der Wissenschaft unmittelbar nahe bringen und Ihnen Ergebnisse direkt aus der Werkstatt präsentieren". Regierungsschul- direktor Wolfgang Buhmann fahrt fott: "Schrei- ben Sie uns ganz einfach: erste Kontakte zur Uni und den Autoren sind sehr erwünscht." Von dieser Form einer fruchtbaren Zusam- menarbeit liest und hört man in Berichten über Schule und Hochschule wenig, weil Missstände leichter zu kolportieren sind. Frei- lich darf man sich auch keine Illusionen ma- chen. Man wünschte sich, die Zahl der Träger und Teilnehmer der Veranstaltungen könnte größer und die Beteiligung engagierter sein. Dennoch verselbständigen sich schon jene Kontakrveranstaltungen, werden für viele zur regelmäßigen Fortbildungseinrichtung, ver- bessern zudem auch die Kontakte zwischen den Teilnehmern. Als hervorstechend kann der hohe Anteil von Empfehlungen für neue Lehrpläne und der Ansporn für die Fach- und Schulbuchliteratur gelten. Gleichzeitig wächst bei Universitätsdozenten das Interesse an di- daktischen Problemen und die Auseinander- setzung mit gymnasialen Lehrplänen. ,,Auch in den Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer getan sein." Recht hat Goerne in seinen "Maximen". LEONHARD MÜLLER 115 "Nous sommes les beaux enfants de Camp de Gurs " Aus dem Nachlass der Landesforsorgerin beim Evangelischen Oberkirchenrat, Gertrud Ham- mann, im Stttdtarchiv Kttrlsruhe. "Wir haben ein wenig Französisch gelernt. Jetzt pass' einmal auf, was wir können: nous sommes les beaux enfants de Camp de Gurs. Wir können auch das Lied: En passant par la Lorraine ... In unserer Baracke haben wir kleine Fens- ter bekommen. Alle Tanten haben blaue Blu- sen bekommen. Hoffentlich bist Du noch ge- sund. Schreibe uns bald wieder. Viele, viele Grüße von allen aus der Baracke Sonnen- schein." "Liebes Fräulein Hammann! Viele, viele Grüße auch von mir. Wie Sie sehen, bin ich noch hier. Die Arbeit macht mir wohl Freude, aber es ist auch sehr viel Schweres dabei. Die IGnder denken und sprechen oft und viel von Ihnen - sie werden Sie sicherlich nicht verges- sen. Sonst ist hier alles beim Alten. In der IGn- derbaracke haben wir kleine Fenster bekom- men, so dass es nicht gar zu finster mehr ist. Leben Sie nun wohl-liebes Fräulein Ham- männchen und alles, alles Gute, Ihre Rita Chantoff." Konzentrationslager Gurs Dies sind Auszüge aus Briefen jüdischer IGn- der und ihrer Betreuerin vom 31. Januar 1941 im Deportationslager Gurs an Gertrud Ham- mann, die von Mai bis Dezember 1940 selbst in Gurs interniert gewesen war und deren Nachlass seit 1998 im Stadtarchiv Karlsruhe archiviert ist. In einem Gespräch mit IGrchenrat Hans Maaß und dem Autor Jörg Thierfelder erzähl- te Gertrud Hammann Ende der 80er Jahre von ihren Erlebnissen im Konzentrationslager Gurs. Mit Bewunderung sprach sie von den jüdischen Frauen, die in dem wenigen Ge- päck, das sie bei ihrer Deportation hatten mitnehmen dürfen, eine Sabbatkerze mit sich fuhrten, um auch in Gurs den Sabbat feiern zu können. Freitag abends empfand Gertrud Hammann als Christin jüdischer Herkunft unter den anderen Frauen riefe Einsamkeit. "Damals waren wir noch weit davon entfernt, gemeinsam Psalmen in deutscher Sprache zu beten. So war ich auch hier als evangelischer Christ nicht auf- und angenommen." Bedrängnisse einer Halbjüdin Gertrud Hammann wurde am 28. Februar 1910 als Tochter ei~er evangelischen Christin und eines aus streng orthodoxer Familie stam- menden Juden geboren. Die Bedrängnis ihres Vaters Hugo Friedmann durch die National- sozialisten kommt in dessen Briefen an seine Tochter deutlich zum Ausdruck. "Ich habe nach wie vor die größten Sorgen und weiß nicht, was die Zukunft für mich ist. Mein Geschäft ist erledigt", schreibt der Inha- ber einer Heizungs- und Installationsfirma in Mannheim am 19. März 1937 an seine Toch- ter. "Mein Geschäft weiter zu betreiben wird mir zur Unmöglichkeit gemacht und ich beab- sichtige entweder zu verkaufen oder auszu- wandern" , berichtet Hugo Friedmann in ei- nem Brief vom 26. Januar 1938 über seine be- rufliche Situation. Auch Gertrud Hammann war in dieser Zeit als Halbjüdin in großer Bedrängnis, und sie befasste sich ebenfalls mit Auswanderungs- plänen. Seit 1932 war die gelernte IGndergärt- nerin als Leiterin des Evangelischen IGnder- 116 gartens in Neumühl bei Kehl tätig. Von ,,5 Jahren ungetrübter Gemeindearbeit" spricht Gertrud Hammann in einem handschriftli- chen Bericht über ihre Entlassung aus dem Dienst der Gemeinde Neumühl, einer damit einhergehenden Vorladung bei der Gestapo und einem Hetzartikel der Zeitung "Stürmer", der gegen sie und die zu ihr haltenden Frauen des Neumühler Frauenvereins gerichtet war. "Ein sonderbarer Frauenverein" ist der in Form eines Leserbriefes verfasste Artikel des "Stürmer" aus dem Jahr 1937 überschrieben. In vetächtlichem Tonfall wird darin die Treue der Neumühler Frauen zu GerttUd Hammann angeprangert. Die Vereinsfrauen, meist Mütter von Gertrud Hammanns Kin- dergartenkindern, hatten GerttUd Hammann sechs Wochen nach ihrer Entlassung in Mann- heim besucht und zur Erinnerung ein Grup- penfoto aufgenommen. Mit der Untetschtift "Artvergessene deutsche Weiber besuchen eine Jüdin und lassen sich von ihr photographie- ren" ist dieses Foto im "Stürmer" abgebildet. Gertrud Hammann schreibt hierzu in ihrem handschriftlichen Bericht: "Ein gemeinsames Bild auf dem Heidelberger Schloss geknipst ... karn in die Hände - durch wen weiss ich nicht - in die Redaktion des 'Stürmer' u. wurde mit einem Text versehen veröffentlicht". Die gro- ße Beliebtheit Gertrud Hammanns in der Ge- meinde Neumühl kommt auch im Brief des Neumühler Bürgermeistets Jakob Gilg vom 7. Juli 1937 an Gertrud Hammann zum Aus- druck. "Die gesammte Einwohnerschaft be- dauert Ihren Wegzug recht schmerzlich. Ich möchte Ihnen nochmals vielen Dank sagen für das viele Gute u. die reiche Arbeit, die Sie zum Wohle unserer Gemeinde, und haupt- sächlich zur Erziehung unserer kleinen Jugend getan haben." Bald nach ihrer Entlassung aus Neumühl erfuht Gertrud Hammann erneut die mit dem nationalsozialistischen Menschenbild einher- Brief jüdischer Kinder aus dem Dcponationslager Gurs an G ertrud Hammanu. gehende Diskriminierung. In einem ärztlichen Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamts Mannheim "zur evtl. Aufnahme in den Hessi- schen Diakonieverein e.V" Darmsradr" wird die Frage, ob die Untersuchte gesundheitlich zum Beruf der Schwester oder Fürsorgerin ge- eignet sei, so beantwortet: "gesundheitlich ja. doch sieht sie sehr jüdisch aus". Exil in Südfrankreich GerttUd Hammanns Jahre im Exil in Süd- frankreich sind in Briefen dokumentiert, die sie an ihre Pflegefamilie in Heidelberg ge- schrieben hat, in ihrem Schriftverkehr mit französischen Behörden und in Zeugnissen der Universität Monrpellier, wo sie neben ih- 117 Gertrud Hammann an ihrem Schreibtisch arbeitend. rerTätigkeit als Haushaltshilfe in einer franzö- sischen Familie Gesang, Literatur und Pädago- gik studierte. Eine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich hatte Gertrud Hammann nur durch den Nachweis erhalten, keiner bezahl- ten Arbeit, sondern Studien nachzugehen. An- lässlich des am 10. Mai 1940 beginnenden deutschen Frankreichfeldzuges wurden seitens der französischen Behörden die in Frankreich lebenden Deutschen, darunter viele emigrierte Juden, interniert. Gertrud Hammann kam zunächst in das Lager Lodeve und wurde von hier aus nach einigen Wochen in das Lager Gurs verlegt. Diese Epoche in Gertrud Ham- manns Leben ist in den eingangs zitierten Briefen jüdischer Kinder und ihrer Betreuerin Rita Chantoff an die ehemalige Mitgefangene dokumentiert. Im badischen Kirchendienst Im Jahre 1947 kehrte Gertrud Hammann nach Deutschland zurück. Vom 1. Mai 1948 bis zu ihrer Pensionierung am 30. September 1971 arbeitete sie im Dienst der Evangelischen Kirche Badens. Aus der frühesten Zeit dieser Berufsjahre ist ihr Ausweis erhalten, der sie als Flüchtlingsfürsorgerin des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Offenburg auszeich- net. Im Kirchenbezirk Lahr organisierte Ger- trud Hammann in dieser Funktion die Flücht- lingsfürsorge von Grund auf, erfasste und be- treute die eingewiesenen Flüchtlinge und leis- tere beim Empfang und der Weiterleitung der Heimatvertriebenen im Hauptdurchgangsla- ger in Offenburg wertvolle Dienste, wie in ihrem Zeugnis bestätigt wird. Im März 1949 wurde Gertrud H ammann Landesfürsorgerin beim Evangelischen Oberkirchenrat in der Blumenstraße 1 in Karlsruhe und war in die- ser Funktion beim Aufbau und in der Leitung der kirchlichen Sozialarbeit in den ländlichen Kirchenbezirken tätig. In Doris Eck's Nachruf "Was war das Besondere an Gertrud Ham- mann" wird berichtet, dass Gertrud Ha- mmann sich in dieser Zeit außerdem der Ju- gendarbeit an der Lutherkirche annahm. In diesem Zusammenhang organisierte und leite- te sie Sommer- und ·Winterfreizeiten für Kin- der und Jugendliche auf der Aschenhütte. Von 1955 bis 1971 war Gertrud H am- mann Geschäftsführerin des Frauenwerks der Evangelischen Kirche Badens. Aus dem Re- chenschaftsbericht ,,40 Jahre evangelische Frauenarbeit in Baden 1916-1956 "und aus Doris Eck's Erinnerungen werden ihre Leis- tungen in dieser Funktion deutlich. Unter ih- rer Leitung wurden das Müttergenesungsheim in Baden-Baden, das Marie-von-Marschall- Haus in Hinterzarten und das Müttergene- sungsheim "Haus Belchenblick" errichtet. Sie initiierte staatsbürgerliche Tagungen mit Für- sorgerinnen und Tagungen für weibliche Kir- chenälteste und führte Freizeiten für Berufstä- tige mit dem Schwerpunkt kunstgeschichtli- cher Freizeiten in Frankreich durch. Nach Doris Eck's Beschreibung prägte und gestaltete Gertrud Hammann in der Frauenar- beit vor allem die sozialen und gesellschaftsori- entierten Arbeitszweige. 118 Eine sehr persönliche Seite Gertrud Ham- manns kommt in der Trauerrede für sie von Oberkirchenrat Baschang zum Ausdruck: dass Gertrud Hammann groß und klein mit "Her- zele" anreden konnte, was ihr dann im Evan- gelischen Oberkirchenrat die Anrede "Tanre Herzele" eingebracht habe. Gertrud Ham- mann starb am 12. Juni 1990 in Karlsruhe. Sie wurde am 15. Juni 1990 auf dem Hauptfried- hof beigesetzt. Ihr Nachlass im Stadtarchiv Karlsruhe dokumentiert aus mehreren Blick- winkeln die Karlsruher Stadtgeschichte: das Schicksal der jüdischen Bevölkerung im Nati- onalsozialismus, Frauenerwerbstätigkeit und die Frauenarbeit der Evangelischen landeskir- che Badens. ANGELIKA SAUER Karlsruher Partnerstädte Krasnodar - Geschenk einer Zarin Gründung und Entwicklung Die Übereignung von Land zur Anlage von Befestigungen an besonders streitbare Fürsten, die Markgrafen, ist uns seit König Heinrich I. (919-936) im Osten Deutschlands überlie- fert. Auch die russische Zarin Jekaterina be- diente sich dieses Mittels zur Erweirerung und Sicherung ihres Machtbereichs. Diese aus dem deutschen Fürstenhaus Anhalt-Zerbst stam- mende, 1745 mit Zar Peter 111. vermählte Fürstin ist besser bekannt unter dem Namen Katharina die Große. Sie ließ 1762 ihren Mann, den Zaren, stürzen und ermorden und sich zur Kaiserin ausrufen. Wenige Jahre vor ihrem Tod 1796 schenkre sie im Herbst 1793 den Saporosher Kosaken am rechten Ufer des Kuban-Flusses unweit der Ausläufer des Kau- kasus zur Gründung eines Militärlagers bewal- detes Land. Zudem warb sie deutsche Bauern zur Besiedelung und Urbarmachung des lan- des an. Die Kosaken-Hetmane dankten ihrer Zarin, indem sie den neuen Ort "Jekateri- nodar", zu deutsch "Geschenk Katharinas" nannten. Dank der Tüchtigkeit der Schwarzrneerko- saken und der deutschen Bauern blühte der Ort bald auf und wurde zur "Perle Rußlands", wie es der russische Dichter Michail Lermon- tow ausdrückte. Was immer dies bedeutet ha- ben mag, die Wertschätzung der Stadt blieb bis heute erhalten. Ab 1860 galt die zur Stadt ausgebaute Festung als Verwaltungszentrum der Kosakenregion "Kuban" und erhielt 1867 den Status einer "zivilen Stadt". Nach dem Sieg der "Roten Armee" in der Oktoberrevo- lution erhielt sie 1920 den Namen "Krasno- dar", was "Rotes Geschenk" bedeutet. Bestre- bungen nach dem Ende des Sowjetsystems, der Stadt den alten Namen wiederzugeben, wurden am 24. November 1992 in einer Volksabstimmung abgelehnt. Im Zweiten Weltkrieg Trotz der engen Verbindungen Badens mit dem russischen Zarenreich, die durch die Ver- mählung der badischen Prinzessin Elisabeth mit dem Zaren Alexander I. seit 1793 bestand, dürfte der Name Krasnodar den Karlsruhern 119 Neubaukomplex an der .. ul iza krasnaya", in dem das Haus des Buches untergebrach t ist. Blick auf das R. .. thaus mit dem Vorplatz. Die .. uHu krasnaya" verl ~i u ft von links unten nach rechts oben. 120 wohl erstmals im Sommer 1942 begegnet sein, als die 17. Armee auf dem Vorstoß zu den kau- kasischen Ölfeldern am 8. August die Stadt besetzte. Auf ihrem Rückzug im darauffolgen- den Winter musste die 101. Jägerdivision mit ihren Karlsruher Soldaten ab dem 15. Januar 1943 die Kubanbrücke bei Krasnodar vertei- digen, bis diese am 11. Februar gesprengt wur- de. Den Rückzug der 101. Jägerdivision vom Kaukasus in den Kubanbrückenkopfhat einer der Teilnehmer, der zeitweise in Karlsruhe le- bende Autor Willi Heintich, in seinem Ro- man "Das geduldige Fleisch" in dichterischer Freiheit nachgezeichnet. Anfange der Beziehungen Es waren junge Karlsruher um Jan-Dirk Rausch, die den Weg zur Völkerverständigung bereiteten und die zugleich den Grundstein unserer Beziehungen zu Krasnodar legten. Der Stadtjugendausschuss Karlsruhe hatte sich für 1979 mit Erfolg für ein ,,14-Städte-Pro- gramm" beworben, das von der Bundesregie- rung für den deutsch-sowjetischen Jugendaus- tausch initiiert und gefördert wurde. So ver- brachten 30 junge Erwachsene aus der UdSSR im Februar 1979 zehn Tage in Karlsruhe. Sie kamen aus Krasnodar, was ein reiner Zufall war. Im September 1980 reiste dann im Zuge eines vom Stadtjugendausschuss entwickelten Bildungs- und Begegnungsprogramms eine Delegation von 30 Karlsruher Jugendgrup- penleitern zum Gegenbesuch nach Krasnodar. Es war nicht einfach, damals das Programm im so genannten "valutafreien Austausch" auf- recht zu erhalten, denn das bedeutete, dass die jeweils reisende Gruppe ihre Flugkosten und die Aufenthaltskosten ihrer Freunde beim Ge- genbesuch zu tragen hatte. Die Kürzung der öffentlichen Zuschüsse 1982 erschwerte die Kontakte. Zusätzliche organisatorische Proble- me bereiteten die Kommunikationsmöglich- 121 keiten ohne Faxgeräte und mit stundenlangem Warten auf telefonische Verbindungen. Den Karlsruhern, die nach Krasnodar im- mer über Moskau reisen mussten, fiel schnell der immense Unterschied zwischen den bei- den Städten auf. Während in Moskau kaum Plätze in Restaurants zu finden waren, ver- strömten die Eisdielen, die Cafes und Bars und die Parks in der Kubanmetropole südlän- disches Flair. Die Nähe zum Schwarzen Meer ließ alle Vorurteile, in Rußland sei es immer kalt und grau, schnell vergessen. In Karlsruhe versuchte man den jungen russischen Gästen im Gegenzug die badische Lebensart nahe zu bringen. Dazu lud man sie, wie es auch in Krasnodar geschehen war, für die Dauer des Aufenthalts in die eigene Familie ein. Dies war die Grundlage lang anhaltender Freundschaf- ten, in russisch "Druschba", und vielleicht das wichtigste Element des Austausches. Auf die- se Weise konnte auch. die anfängliche Scheu der Gäste vor dem Fremdartigen, dem sie zumeist ohne besondere Sprachkenntnisse be- gegneten, rasch überwunden werden. Entge- gen den anfänglichen Befürchtungen waren die Gäste aus Krasnodar keine "linientreuen Funktionäre", sondern zumeist unpolitische Menschen, mit großem Interesse an deutscher Kultur, Lebensweise und Architektur. Für manche war die Reise in den Westen auch Belohnung für gute Arbeit im Betrieb, im Ju- gendverband oder in der Gewerkschaft. Der Gedanke einer Städtepartnerschaft mit Krasnodar wurde erstmals öffentlich 1981 in den "Badischen Neuesten Nachrichten" er- örtert, worauf die Stadrverwaltung zunächst noch zurückhaltend reagierte. Mit der sich nach Westen öffnenden Politik Michail Gor- batschows gab es neue Möglichkeiten der Be- gegnung: Die badische Sport jugend organi- sierte ein Austauschprogramm, und zu Gast- spielen reisten das Sinfonieorchester an der Universität, das Kabarett "Herr Bär" und das Amateurtheater "Die Spur" nach Krasnodar. Dieser Ausdehnung der Aktivitäten folgte 1989 die Gründung des "deutsch-sowjeti- schen Freundeskreises", eines lockeren Zusam- menschlusses junger Leure, der den Gedanken der Städtepartnerschaft weiterverfolgte und den Gemeinderat zu interessieren versuchte. Für den Austausch ergab sich eine charakteris- tische Änderung durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums. Mussten bis dahin die Sowjetbürger bangen, ob sie eine Ausreisege- nehmigung erhalten würden, um "raus" zu kommen, so kontrolliert heute die Bundesrepu- blik, ob die eingeladenen Gäste "rein" dürfen. Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages Die staatlichen Veränderungen ermöglichten es zu Beginn der 90er Jahre auch, dringend benötigte Hilfe aus Karlsruhe für Krasnodar zu organisieren. Im Februar 1991 machten sich sieben junge Karlsruher auf den 3.240 km langen Landweg, um Medikamente, medizini- sche Geräte, Kleidung und Lebensmittel nach Krasnodar zu bringen. Im Gepäck hatten sie auch ein Schreiben verschiedener Mitglieder des Gemeinderats, das sie im Rathaus in Kras- nodar überreichten. Oberbürgermeister Valerij Samojlenko reagierte mit einer Einladung ei- ner Delegation des Karlsruher Gemeinderats für den Herbst 1991 nach Krasnodar. Dieser Einladung folgten im Oktober unter Leitung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Heintich Maul sechs Gemeinderatsmitglieder, ein Ver- treter des Hauptamtes der Stadt und ein Dol- metscher. In einem ausführlichen Gespräch mit OB Samojlenko wurden die Ziele des Be- suches erörtert. Es sollten Grundlagen für Be- ziehungen auf breiter Ebene geschaffen wer- den, vor allem sollten die Bürger und der Be- reich aller Bildungsinstitutionen und die Ver- eine einbezogen werden. Dieser Besuch be- wirkte auch im Karlsruher Rathaus eine Ände- rung der bisherigen Zurückhaltung gegenüber einer Städtefreundschaft. Im Dezember dank- te OB Gerhard Seiler seinem Kollegen Samo- jIenko für die gastfreundliche Aufnahme der Karlsruher Delegation und lud eine Delega- tion aus Krasnodar zum Gegenbesuch ein. Nach einigen Unstimmigkeiten wegen der Vi- saerteilung konnte die Delegation aus Krasno- dar im April 1992 Karlsruhe besuchen. Dabei stellte OB SamojIenko seine Stadt vor. Da- nach leben in Krasnodar auf einer Fläche von 840 Quadratkilometern erwa 780.000 Men- schen. Die Stadt ist umgeben von gtoßen landwirtschaftlichen Flächen, auf denen u. a. auch Reis und Tee angebaut werden, und sie beherbergt viele Versuchs- und Forschungsein- richtungen. Krasnodar ist in fünf Verwal- tungsbezirke eingeteilt und die "Duma" hat 200 Abgeordnete. Die Stadtverwaltung be- schäftigt einschließlich der Lehrer und Ärzte 20.000 Mitarbeiter. Samojlenko erinnerte auch an den Zweiten Weltkrieg, die Besetzung und teilweise Zerstörung der Stadt durch deutsche Truppen. Er führte weiter aus, dass durch den Zerfall der Sowjetunion viele wirtschaftliche Beziehungen abgebrochen und einst gesunde Betriebe zahlungsunfähig geworden seien. Deswegen erhoffe er sich von der Städte- freundschaft neben dem Informationsaus- tausch vor allem erfolgreiche wirtschaftliche Beziehungen. Es gelte nun, die von jungen Menschen beider Städte geschaffene Grund- lage für eine Städtefreundschaft zu nutzen. Mit dem Besuch paraphierten die Stadtober- häupter eine gemeinsame Erklärung zur Be- gründung der Städtefreundschaft. Aus den leidvollen Erfahrungen zweier Weltkriege und ihrer Folgen sowie in dem Streben nach dau- erhaftem Frieden in Europa wollten beide Städte den Erfahrungsaustausch und die kom- munale Zusammenarbeit besonders auf den Gebieten von Kunst und Wissenschaft, der 122 Die "ulim krasnaya" wird am Wochenende durch Sperrung für den Kfz-Verkehr zur Fußgängerzone. Stadtplanung, der Wirtschaft und Bildung sowie der Gesundheit und des Sports pflegen. Vor allem aber sollten ohne bürokratische Hemmnisse die Begegnungen von Bürgern und Bürgerinnen beider Städte insbesondere der Jugend gefördert werden. Nach einer Wirtschafts-Delegation im Mai besuchte Anfang August 1992 eine 3D-köpfi- ge städtische Delegation unter Leitung von OB Seiler die Stadt am Kuban und wurde mit überwältigender Gastfreundschaft aufgenom- men. Im Gedenken an den 8. August 1942 an dem die deutsche Wehrmacht gegen Krasno- dar vorrückte, bedauerte der Karlsruher Ober- bürgermeister, dass vor allem die Zivilbevölke- rung "als Ergebnis einer menschenverachten- den Ideologie hart getroffen wurde." Dabei ge- dachte er auch der vielen tausend deutschen Soldaten, die in Gefangenenlagern in und um Krasnodar gestorben waren. Die mit der Freundschaft und Partnerschaft zu Krasnodar angebahnten Beziehungen ermöglichten es den Veteranen des "Traditionsverbands Sozia- les Hilfswerk 1 0 1. Jägerdivision e. v. " im Som- mer 2000 im ehemaligen Kampfgebiet ein Mahnmal zur Erinnerung an diese schwere Zeit zu erstellen und ihrer 700 Toten zu ge- denken, die auf dem Friedhof der Stadt Cha- dyshensk beerdigt sind. Im Perwomaijskij- Park pflanzten die beiden Oberbürgermeister einen Freundschaftsbaum. Die .. Freundschaftsgesellschaft Karlsruhe-Krasnodar" Die Städtepartnerschafts-Iniriative Karlsruhe wurde zu dieser Zeit umgegründet in "Freund- schaftsgesellschafr Karlsruhe-Krasnodar e. v.". Sie ist bis heute die treibende und verbinden- de Kraft der zahlreichen Begegnungen zwi- 123 sehen Bürgern und Organisationen unserer beiden Städte. Dies ist auch dokumentiert in der 1997 erschienenen deutsch/russischen Pub- likation von Jan-Dirk Rausch und Swetlana Nikiforowa: ,,3.240 Kilometer sind keine Ent- fernung", im Buchhandel erhältlich. Die Ver- mittlung von Ferien- oder Praktikumsplätzen, von Folkloreauftritten, Ausstellungen, Schul- partnerschaften, die Durchführung von Bür- gerreisen oder die Organisation von Hilfs- transporten, nichts ist den Mitarbeitern der Freundschaftsgesellschaft fremd. Im Januar 1993 wirkte sie sogar mit bei der Organisati- on eines Fluges von 42 Tonnen HiIfsgütern nach Krasnodar mit einer .,Antonov" der rus- sischen Luftwaffe. Impressionen aus Krasnodar Als Dank der Stadt Krasnodar wurden einige Mitwirkende an dieser Aktion zur 200-Jahr- Feier der Stadt im Oktober 1993 eingeladen, um die Stadt noch besser kennen zu lernen. Krasnodar liegt wie Venedig auf dem 45. Brei- tengrad und ist eine auffallend grüne Stadt mit vielen Parks und Bäumen entlang der großen Straßen. Die Hauptstraße ist die "uliza krasna- ya", die "Rote Srraße'\ wobei "krasnyj" auch .. schön" bedeuret. Sie beginnt am Platz der Arbeit mit dem monumentalen Gebäude des ehemaligen Bezirkskomitees der KPdSU und ' endet nach etwa 2,5 km beim Hotel Intourist am Platz der Oktoberrevolution gegenüber dem Rathaus. Auf halber Strecke findet man das "Haus des Buchs", die Puschkin-Biblio- mek, das aufFallige Operettenmeater, die Phil- harmonie und das originelle Puppentheater sowie das Bezirksmuseum und einige Galeri- en. Abwechslung bieten auch die bunten Aus- lagen der Geschäfte und Kioske sowie der ,.Arbat" , der Kunsrmarkt, wo am Wochenen- de Gemälde und Kunstgegenstände unter frei- em Himmel angeboten werden. Zahlreiche Clubs, Cafes, Kinos und Parks sowie verschie- dene Sporthallen und eine Pferderennbahn vervollständigen das vielseitige Freizeitangebot der südlichsten Metropole Rußlands. An der .. uliza Starropolskaja" zieht das Gebäude der Kuban-Universirät mit seiner Hauptfassade aus Marmor und Mosaikbildern die Blicke an. Bei einem Spaziergang durch den Park auf der Kuban-Insellädt das Restautant .. Kuren" mit Motiven aus dem Alltagsleben der Kosaken zum Verweilen ein. Moderne Architektur mit zehnstöckigen Wohnblocks findet man an den Stadträndern, vor allem im jüngsten Stadtteil .. Jubilejnyi", aber auch im Wohngebiet .. Kom- somolsky", wo auf 240 ha etwa 70.000 Men- schen leben. Die Umgebung Krasnodars bie- tet mit den Vorbergen des Kaukasus, der Nähe zum Schwarzen und zum Asowschen Meer oder Ausflugsfahrten auf dem Kuban gute Naherholungsmöglichkeiten. Vom Freundschafts: zum Partnerschaftsvertrag Die Kontakte zwischen Krasnodar und Karls- ruhe gewannen zunehmend an Intensität und Qualität. Dabei sind die zahlreichen Transpor- te mit humanitären Gütern hervorzuheben und der große Einsatz beider Freundeskreise anzuerkennen. Diese Beurteilung führte nach einer fünfjährigen Beobachtungsphase dazu, dass OB Seiler dem Gemeinderat 1997 vor- schlug, den Freundschafts- in einen Partner- schaftsvertrag umzuwandeln. Dieser Anre- gung folgten die Gremien beider Städte. Ver- gessen war die Zeit des Zögerns. Unerwartet viele Austausche und Besuche von Schülern, Studenten, Lehrern, Dozenten, Vereinen und Bürgern hatten die anfänglichen Bedenken der Verwaltung zerstreut und die Städtepart- nerschaft "von unten" mit Leben erfüllt. FRITHJOF KESSEL 124 100 Jahre Christuskirche Karlsruhe In hervorragender städtebaulicher Situation am Mühlburger Tor in Karlsruhe erhebt sich seit genau einem Jahrhundert der eindrucks- volle Bau der evangelischen Christuskirche. Mit einem festlichen Gottesdienst, dem durch die Uraufführung des "Christushym- nus" von Oskar Gottlieb Blarr besonderer Glanz zuteil wurde, mit einem Festakt im Al- bert-Schweitzer Saal und einem abendlichen Bachkonzert gedachten die beiden Christusge- meinden am 15. Oktober 2000 des Tages der feierlichen Einweihung ihres Gotteshauses, die in Anwesenheit des Großherzogs am 14. Ok- tober 1900 stattfand. Der damalige Pfarrer der seinerzeit noch ungeteilten IIWestsradtgemeinde", Franz Rho- de - der "rote Rohde", wie er wegen seiner li- beralen Haltung und seines sozialen Engage- ments von vielen genannt wurde - hatte seine Festpredigt unter das Leitwort "Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewig- keit" (Hebräer 13,8) gestellt, und dieses Wort ist nun auch vom Landesbischof Dr. Ulrich Fischer zum Thema seiner Predigt im Jubilä- umsgottesdienst gewählt worden. Die Anfänge Die Geschichte der Gemeinde, die 1900 die Einweihung ihrer neuen Kirche feierte, be- gann jedoch nicht mit jenem Jahr. Ihre Ur- sprünge gehen vielmehr bis auf das Jahr 1857 zurück, als die evangelische Kirchengemeinde Karlsruhe in mehrere "Untergemeinden" auf- geteilt wurde, die sich allmählich verse!bsrstän- digten. Eine dieser Untergemeinden umfasste die Innenstadt westlich der WaIdstraße und nannte sich zunächst "Neustadtgemeinde" . Sie wurde zur Keimzelle der heutigen Christus ge- mein den. Ihr erster Gemeindepfarrer war der Literat und spätere Oberhofprediger Kaiser Wilhe1ms 1., Emil Fromme!. Schon vor der Jahrhundertwende war die heurige Reinhold-Frank-Straße hinaus ge- wachsen und schloss nun die Neubauviertel im Westen und Südwesten der Stadt mit ein. Bislang hatten die Gottesdienste der Gemein- de, die sich nun "Weststadrgemeinde" nannte, in den Kirchen der Innenstadt oder in Behelfs- räumen, wie z. B. im Saal des Pfründnerhauses am Mühlburger Tor, stattgefunden, aber nun war der Bau eines eigenen Gotteshauses un- umgänglich geworden. Erste Planungen für einen Neubau gab es bereirs im Jahre 1888. Die Frage eines geeigne- ten Grundstücks wurde durch eine großherzi- ge Spende des Großherzogs glücklich gelöst: Er stellte den Bauplacz aus seinem Domänen- besitz kostenlos zur Verfügung. Die Lage des Grundstücks war fast ideal zu nennen, nach- dem nun das Mühlburger Tor quasi ins Zen- trum des Gemeindegebiets gerückt war. Aller- dings wurde der Baugrund im Westen von der damaligen Bahnlinie nach Mannheim be- grenzt, die im Zuge der heutigen Riefstahlstra- ße verlief, so dass in den Anfangsjahren die Gottesdienste bisweilen durch das Rattern und Pfeifen der Züge gestört wurden. Neuer Plan - neuer Baustil Zur Gewinnung eines geeigneten Bauplans für das neue Gotteshaus wurde eigens ein Archi- tekten-Wettbewerb durchgeführt, und nach einer Überarbeitung wurde schließlich der Entwurf des damals sehr renommierten Büros 125 ChrislUskirche vor 1913. Links Riefsrahlstraßt mit Eisenbahnlinie nach Mannheim, im Hintergrund das Oberlandesgericht, rechts Westendmaße. heute Reinhold- Frank-Straße, im Vordergrund die: Kaiserallee. der Architekten Curjel und Moser. von denen pikanterweise der eine Jude und der andere Katholik war. zur Ausführung bestimmt. Der Bau wurde innerhalb von vier Jahren hochgezogen. Er entsprach in seiner Grund- idee dem so genannten "Wiesbadener Pro- gramm" für den evangelischen Kirchenbau. das danach strebte. dem "allgemeinen Priester- tum aller Gläubigen" zu dienen. Man wollte die Trennung in Hauptschiff. Seitenschiffe und Chor vermeiden und nicht nur den Altar. sondern auch die Kanzel als Ort der Predigt. die im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht. auch räumlich in eine zentrale Position brin- gen. Die Sitzreihen und Emporen wurden nach Art eines antiken Theaters auf Altar und Kanzel hin ausgerichtet. und folgerichtig wur- de auch die Orgel auf die Empore hinter dem Altar gestellt. so dass sich auch die Kirchen- musik im Angesicht der Gemeinde abspielen konnte. Der Grundriss des Baus ist der Form eines griechischen Kreuzes nachempfunden. der Hauptturm sitzt auf der zentralen Vierung. Es ist von vier Ecktürmen, die den vier Evangelisp ten zugeordnet sind. umgeben. Im Aufriss ist die Kirche. die in rotem Bundsandstein errich- tet wurde. neugotisch gestaltet. Allerdings macht sich der künstlerische Zeitgeist in vielen prachtvollen Jugenstil-Schmuckelementen in Stein. Holz und Schmiedeeisen bemerkbar. die sich harmonisch in das Gesamtbild einfü- gen und die Kirche zu einer architektonischen Besonderheit werde~ lassen. Auch die großen farbigen Fenster. die in gotischem Maßwerk Motive aus dem Alten und dem Neuen Testament darstellen. waren vom Jugendstil geprägt. Einige von ihnen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. sie wurden teils restauriert. teils durch neue Ent- würfe einfühlsam ersetzt. Besonders ein- drucksvoll ist die große Rosette über dem Haupteingang. die Christus gewidmet ist. Auch sie musste nach dem Krieg neu erstellt werden. Kriegschäden Damit ist schon angedeutet. dass die Kirche die Zeitläufe nicht unbeschadet überstanden hat. Während sie im Ersten Weltkrieg nur ihre Glocken verlor. die sie für Kanonen hingeben musste. wurde sie im Zweiten Weltkrieg durch zwei Luftangriffe schwer in Mitleidenschaft gezogen. 126 Im September 1942 vernichtete ein durch Brandbomben verursachtes Feuer die Dächer und alle Turmhelme. Die Trümmer durchbra- chen die Gewölbe, so dass auch das Innere schwer geschädigt wurde. Der große Kron- leuchter zerschellte am Boden, und die Orgel war durch Ruß und Löschwasser unbespielbar geworden. Im Inneren, einigermaßen wieder hergestellt und mit Notdächern versehen, er- litt die Kirche im Dezember 1944 bei einem weiteren Großangriff auf Karlsruhe noch einmal erhebliche Schäden, diesmal durch Sprengbomben. Die Gewölbe rissen erneut, und die Fenster der Ost- und Südseite zerbars- ten im Druck der Luftminen. Wiederaufbau Nach dem Ende des Krieges machten sich die beiden Gemeinden - 1932 war die.Weststadt- gemeinde in die zwei heutigen Christus-Ge- meinden aufgeteilt worden - mit bewunde- rungswürdiger Tatkraft an den Wiederaufbau ihres Gotteshauses. Bereits 1948 konnte es feierlich wieder eröffnet werden. Dies machte es möglich, der ebenfalls "ausgebombten" ka- tholischen St. Stephanus-Pfarrei zeirweilig Gastrecht zu gewähren. Zum 50-jährigen Jubiläum der Christus- kirche war die Rosette in alter Farbenpracht wieder entstanden, 1953 konnten zum dtitten Mal neue Glocken geweiht werden, und 1966 war auch eine neue Orgel aus dem Hause Klais spielbereit. Mit der Installation eines neuen großen Kronleuchters im Jahre 1981 war der Innenausbau endlich wieder vollendet. Die Wiederherstellung des Äußeren nahm naturgemäß längere Zeit in Anspruch. Fast vierzig Jahre nach Kriegsende waren die Turm- stümpfe der Kirche immer noch durch Notdä- cher abgedeckt, und Verwitterungsschäden gaben immer mehr Anlass zu großer Sorge. Es musste bald erwas geschehen. Nun gab es aber Stimmen, die die Wieder- hetstellung der Tütme ablehnten und den der- zeitigen Zustand als "Mahnmal gegen den Krieg" erhalten wissen wollten. Die Ältesten- kreise der Christusgemeinden teilten in ihrer Mehrheit diese Meinung jedoch nicht. Es wutde sogar eigens ein "Turmbauvetein" ge- gründet, det sich den Wiederaufbau zum Ziel setzte und Gelder dafur sammelte. Mittel die- ses Vereins, der Kirchenbehörden und des Denkmalamtes trugen endlich dazu bei, die Finanzierung sicher zu stellen und den Wie- deraufbau in Gang zu setzen. Im September 1985 wurde in einer spektakulären Aktion untet großer Anteilnahme der Bevölkerung der am Boden zusammengesetzte Helm des Hauptturmes aufgesetzt, und dtei Jahte spätet wurden auch die Spitzen der vier Ecktürme wieder errichtet. Zum Erntedankfest 1988 konnten die bei- den Chrisrusgemeinden die Wiederherstel- lung auch des äußeren Bildes ihrer Kirche mit großer Dankbarkeit feiern. Seitdem erstrahlt die Christuskirche wieder im alten Glanz von 1900, zur Freude ihter Gläubigen und zur Zierde der ganzen Stadt. RICHARD KOHLMANN 127 Die Universitätsbibliothek Karlsruhe Ein wichtiger Knoten im deutschen Bibliotheksnetz Gegründet wurde die Universitätsbibliothek Karlsruhe im Jahre 1840 durch einen Erlass des Badischen Ministeriwns des Innem, in dem an- geordnet wurde: "alle der Anstalt gehörenden Bücher und Karten zu sammeln und einen Ka- talog dasüber zu fertigen, sowie dafür zu sorgen, dass Bücher künftighin nur gegen Empfangs- bescheinigung ausgeliehen werden, dass über- haupt die Bibliothek in Ordnung verbleibe". Was waren die Hintergründe für diese Anordnung und warum erst 15 Jahre nach Er- richtung des Polytechnikums? Der Universitätsarchivar Dr. Klaus-Peter Höpke ging 1990 in seinem Fesevorcrag zum ISO-jährigen Bestehen der Universitätsbiblio- thek "Streiflichter aus der Geschichte der Uni- versitätsbibliothek" dieser Frage nach. In den ersten 15 Jahren des Polytechnikums gab es durchaus einen "Bücherfundus", der jährlich erweitert wurde. Der "Bibliothekseut" erlaub- te jedoch keine großen Sprünge. Überwiegend floss er in die Abonnements von Zeitschriften und Forcsetzungswerken, was auch vernünftig war - nur kam die Beschaffung nicht minder wichtiger Monografien notgedrungen zu kurz. Geldmangel begleitete ja sowieso den Alltag des Polytechnikums, und ob die Professoren- schaft gerade in dem mageren Bücherfonds eine folgenschwere Unterlassung sah, ist frag- lich. Zwar setzten sogar geringfügige Anschaf- fungswünsche ein schwerfälliges, mehrscufiges Genehmigungsverfahren in Bewegung, was einige Professoren nicht hinderte, auf eigene Faust Bücher anzuschaffen. War das ordnungs- gemäß Bestellte dann geliefert, verschwand es häufig in der Verborgenheit irgendwelcher Professoren- und Schulzimmer. Diesem Miss- stand trat als erster Professor Philipp Stiefel 1840 entgegen. Unter Umgehung des Dienst- wegs schrieb er dem Innenministerium: Wohl besitze die Anstalt eigene Bücher, "aber keine der Benutzung ofTenstehende Bibliothek". Der Schuldirekcor war peinlich überrascht, als ihn das Ministerium unversehens um eine Stellungnahme ersuchte. Nach zweiwöchiger Bedenkzeit berichtete er, dass "nun aber das Bibliothekszimmer, welches bisher als Karzer gedient hacce, eingerichtet" sei. Mit Eile, schon zwei Wochen später, verfügte das Ministerium den oben zitierten Erlass, der als die "Geburts- urkunde" der Universitätsbibliothek gilt. Neben dem schwierigen Aufbau einer Bi- bliothek enthielt der Wissenschaftsbecrieb noch ein weiteres Manko: Den Schülern wa- ren die Bibliotheksbestände nur ausnahms- weise, d. h. aufgrund einer Genehmigung ih- rer Lehrer zugänglich. Dieser Missstand zähl- te bereits zu den Beschwerden, derentwegen während der 1848er Revolution 197 Poly- techniker die badische 11. Kammer angerufen hatten. Bis 1867 änderte sich jedoch kaum etw'as. Es kam sogar das Entstehen von "Spezial- bibliotheken der einzelnen Fachschulen" dazu, wodurch eine zentrale Handhabung des Bibli- othekswesens unterlaufen wurde. Erst Profes- sor Wilhelm Schell organisieree 1868 die Bi- bliothek neu und führte eine Bibliotheksord- nung ein. Diese Anfange einer Bibliothek sind nicht unrypisch. Wer das Universitätsleben kennt, weiß, dass es Parallelen und Auswir- kungen bis in die heurige Zeit gibt. Deshalb auch in diesem Rahmen die etwas ausführliche Darstellung der Anfange. In der Folgezeit nahm die Bibliothek eine den Zeidäufen angemessene, teilweise aber 128 auch stürmische Entwicklung. Als Wilhelm Schell 1901 sein Amt abgab. zählte der Be- stand schätzungsweise 60.000 Bände. Nach der Leitung durch einige Ordinarien. über- nahm im Jahre 1906 Karl Grothmann. Bibli- othekar der Königlichen Bibliothek Berlin. der nachmaligen Preußischen Staatsbiblio- thek. die Leitung der Bibliothek. Bis 1915 verdoppelte er den Bestand. den sein Nachfol- ger Karl-Theodor Schmidt bis zum Kriegsen- de 1918 auf200.000 Bände steigern konnte. Zwischenzeitlich waren wegen der Weltwirt- schaftskrise zahlreiche Zeitschriftenabonne- ments gekündigt worden. von 1.000 Abonne- ments waren Ende 1932 nur noch 336 übrig geblieben. Der Preismechanismus tat ein Üb- riges: Die wissenschaftlichen Verlage reagier- ten auf den Absatzrückgang mit Preissteige- rungen. die Schmidt als "rücksichtslos" quali- fizierte. Ein Vorgang. der uns auch im Jahr 2001 nicht fremd ist. Schwere Verluste erlitt die Bibliothek bei dem Bombenangriff im September 1944: Der für Lehre und For- schung unerlässliche wichtigste Teil der Bibli- othek. der nicht ausgelagert war. ging fast voll- ständig in Rauch auf. Die bescheidenen Res- te der Bibliothek wurden ausgelagert in die Westhochschule. Die wichtigste Aufgabe des neuen Direktors der Bibliothek Ruthard Oeh- me bestand darin. der Bibliothek ein neu es Domizil zu verschaffen. Es dauerte aber noch 20 Jahre. bis im Mai 1965 die Pforten des Bi- bliotheksturms. der noch heute die Bibliothek beherbergt. sich öffneten. Seit 1966 bemühte sich Dietrich Poggendorf und ab 1988 der Verfasser als sein Nachfolger. die räumlichen Verhältnisse der stark angewachsenen Hoch- schule anzupassen. Nach Einführung der automatisierten Aus- leihverbuchung im Jahre 1984 werden seit 1994 auch die wesentlichen Literaturbestände der Universitätsbibliothek nur noch über On- line Kataloge angeboten. Über 900.000 Bän- de wissenschaftlicher Literatur umfassen die Bestände der Universitätsbibliothek. vor allem aus den technisch-naturwissenschaftlichen Fachgebieten: Mathematik. Informatik. Na- turwissenschaften. Ingenieurwissenschaften und Architektur sowie Wirtschaftswissen- schaften. Auf den anderen Gebieten findet man Literatur zur ersten Information und Nachschlagewerke aus allen Wissenschaftsge- bieten. Die Universitätsbibliothek hält etwa 3.000 Abonnements wissenschaftlicher Zeit- schriften. Hervorzuheben ist die vollständige Sammlung der gültigen DIN-Normen und anderer technischer Vorschriften im Lesesaal der Universitätsbibliothek. Knapp 20 % der Bestände der Universitätsbibliothek sind frei- hand aufgestellt. so dass der Nutzer direkt zu- greifen kann. Über 80 % stehen im geschlos- senen Magazin. Aufgaben Die Hauptaufgabe der Universitätsbibliothek ist die Literatur- und Informationsversorgung der Universität. Sie ist daher eine wissenschaft- liche Universalbibliothek mit Schwerpunkten in den an der Universität gelehrten Fachgebie- ten sowie Ausleihbibliothek für 16.000 Stu- denten. Außerdem ist sie die Zentralbiblio- thek des Bibliothekssystems der Universität und deren Archivbibliothek. Sie steht als öf- fentlich zugängliche wissenschaftliche Ausleih- bibliothek nicht nur Universitätsangehörigen. sondern allen Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung. Für die Entlei- hung und die Nutzung von Internet-Arbeits- plätzen ist eine Anmeldung erforderlich. Die Benutzung der Literatur durch Ausleihe und in den Lesesälen ist kostenlos. Nur für Mah- nungen und Sonderleistungen werden Gebüh- ren erhoben (Fernleihe im deutschen und in- ternationalen Leihverkehr, OnlineLitcraturre- cherchen und Datenbanken). 129 Das Bibliothekssystem der Universität Das Bibliothekssystern der Universität Karls- ruhe besteht aus der zentralen Universitätsbi- bliothek mir Lehrbuchsammlung, Monogra- phien- und Zeitschriftenlesesaal sowie mit ih- ren beiden Fachlesesälen für Chemie im Insti- tutsgebäude Anorganische Chemie und für Physik im Physik-Flachbau. Ebenso gehören zu dem Bibliothekssystem die mehr oder we- niger großen oder kleinen 150 Fakultäts-, In- stituts- und Lehrstuhlbibliotheken. 109 dieser Bibliotheken haben weniger als 5.000 Bände, 19 5.000 bis 10.000 Bände, 18 10.000 bis 30.000 Bände und die vier Fakultätsbibliothe- ken zwischen 10.000 und 60.000 Bände. Der Literaturbestand umfasst ca. 1,7 Mio. Bände und ca. 7.000 laufend gehaltene Zeitschriften- titel. Etwa die Hälfte dieses Bestandes und der Zeitschriftenabonnements befinden sich im Bereich der Universitätsbibliothek mit ihren Fachlesesälen, die knappe andere Hälfte ist dezentral auf die weiteren Bibliotheken ver- teilt. Für die Fakultäten Architektur, Informa- tik, Mathematik und Wirtschaftswissenschaf- ten gibt es Fakultätsbibliotheken. In den übri- gen 6 Fakultäten wird bisher mangels zentra- ler Bibliotheken die Literatur von Instituts- bzw. Lehrstuhlbibliotheken erworben und dort aufgestellt. Die Institute dieser Fakultäten sind meist über den ganzen Universitätscam- pus verteilt oder befinden sich außerhalb auf dem Gelände des Forschungszenrrums Karls- ruhe in Leopoldshafen oder in der 7 km ent- fernten Westhochschule. EDV und Dnline-Katalog Auf der Grundlage einer engeren Kooperation mit der Fakultät für Informatik mit mehreren Firmen, sowie zahlreicher Projekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Land Baden-Wümemberg und der Universi- tät Karlsruhe gefördert wurden, hat die Uni- versitätsbibliothek ein umfangreiches Angebot an lokalen, nationalen und internationalen EDV-Inrernetdienstleistungen aufgebaut (http://www.ubka.uni-karlsruhe.de). Im Online-Katalog sind die Bücher und Zeitschriften der lerzten 40 Jahre recherchier- bar. Die Universitätsbibliothek führt aber auch den Online-Institutskatalog, der die in den übrigen Universitätseinrichmngen vorhande- nen Bücher und Zeitschriften nachweist. Karlsruher Gesamtkatalog Im Karlsruher Gesamtkatalog können mit ei- ner Such anfrage mehrere oder alle Bibliothe- ken der Region Karlsruhe durchsucht werden. Dazu gehören die Universitätsbibliothek, der Institutskatalog der Universität Karlsruhe, das Volltextarchiv der Universität Karlsruhe, die Badische Landesbibliothek, die Hochschulbi- bliothek (FH/PH), die Stadtbibliothek, das Forschungszenrrum Karlsruhe, der Bundesge- richtshof, die Landesbildstelle Baden, das Bundesverfassungsgericht und das Zentrum für Kunst- und Medientechnologie. Der erste Virtuelle Katalog, den die Universitätsbiblio- thek in Betrieb nahm, ist allerdings der KVK. Karlsruher VirtueUe Katalog (KVK). Mit dem Karlsruher Virtuellen Katalog nahm die Universitätsbibliothek Karlsruhe 1996 den weltweit ersten Virtuellen Katalog in Betrieb. Der KVK basiert darauf, dass er selbst keine Daten vorhält, sondern andere Datenbanken wie folgt nutzt: Die im KVK-Suchformular eingegebene Such anfrage wird über mehrere Zielkataloge formuliert, die Anfrage wird parallel an alle ausgewählten Kataloge geschickt, die einzel- nen Trefferlisten werden gesammelt und ana- lysiert. Zuletzt wird eine Gesamrrrefferliste in 130 einem einheitlichen Format erstellt. Der Be- nutzer des KVK hat den Vorteil, sich nicht mehr um die Technik der einzelnen Zielkata- loge kümmern zu müssen. Der Karlsruher Virtuelle Katalog enthält alle wichtigen deutschen Bibliothekskataloge und stellt somit einen virtuellen deutschen Gesamtkatalog dar. Darüber hinaus sind auch die wichtigsten Bibliotheken im deutschspra- chigen Ausland und die welrweit größten Bi- bliotheken British Library und Library of Congress enthalten sowie mehrere Buchhan- delsverzeichnisse. So weist der Karlsruher Vir- tuelle Katalog über 60 Mio. Bücher und Zeit- schriften titel nach. Der KVK ist ein kostenlo- ser Dienst der Universitätsbibliothek Karlsru- he für die wissenschaftliche Gemeinschaft und kann über das Internet von jedermann abgeru- fen werden. Die Nutzung ist sehr hoch, jähr- lich werden über 10 Mio. Anfragen im In- und Ausland vom KVK bearbeitet. Die KVK-Technik stellt eine ideale Mög- lichkeit dar, räumlich verteilte Bibliotheksbe- stände den Bibliotheksbenutzern in virtuellen Katalogen zu vereinigen. Die Universitätsbib- liothek hat bereits mehrere solcher Projekte im Auftrag realisiert: Der Online-Katalog der Konföderation der Oberrhein-Universitäten umfasst die Ka- taloge der Bibliotheken in Basel, Freiburg, Karlsruhe, Mulhouse und Straßburg. Im Vir- tuellen Katalog Rheinland-Pfalz sind mehr als 4 Mio. Bände aus rheinland-pfhlzischen Bibli- otheken nachgewiesen. Der Karlsruher Virtu- elle Volltextkatalog (KVVK) enthält den Nachweis von elektronischen Volltcxten ba- den-württembergischer und weiterer Univer- sitäten. Zu den fachlich orientierten Virtuel- len Katalogen gehört der Bereich "Vorderer Orient/Nordafrika" aus der Universitätsbibli- othek Tübingen sowie aus Halle/Merseburg und der Virtuelle Katalog "Kunstgeschichte", der die Bestände der am System der überregi- onalen Literarurversorgung teilnehmenden Kunstbibliotheken in Rom, Florenz und Köln enthält und von der Deutschen Forschungsge- meinschaft gefördert wird. Zeitschrifteninhaltsdient (ZIO) Der Zeitschrifteninhaltsdienst ZID ist eine Datenbank mit den kompletten Inhaltsanga- ben von ca. 14.000 wissenschaftlichen Zeit- schriften seit 1994 und aus lizenzrechtlichen Gründen nur innerhalb der Universität Karls- ruhe zugänglich. Inhalt der Datenbank ist multidisziplinär, d. h. man findet neben Na- turwissenschaft und Technik auch Zeitschrif- ten aus der Medizin, den Geistes- und Sozial- wissenschaften. Ober ZID kann man Stich- worte aus Artikeln zu einem bestimmten The- ma, einen Auror oder Zeitschrifrenartikel re- cherchieren und Inhalte der neuen Hefte an- schauen. Zu jeder Zeitschrift werden die Standorte der Universität Karlsruhe ausgege- ben. Zusätzlich können sich Benutzer persön- liche Listen der für sie relevanten Zeitschriften anlegen. Lokales, elektronisches Anfsatzliefersystem Mit dem Lokalen Elektronischen Aufsamief- ersystem (LEA) können Wissenschaftler der Universität Karlsruhe Artikel aus dem gesam- ten Zeitschriftenbestand der Universitätsbib- liothek bestellen. Die Lieferung ist kostenlos und erfolgt über Internet oder per Fax an den Arbeitsplatz. Mittels LEA erhält jeder der 2.000 Mitarbeiter der Universität von seinem Schreibtisch aus Zugriff auf die gesamten Zeit- schriftenbestände der Universitätsbibliothek. Die Bestellung und die Lieferung geschieht voll elektronisch, die bestellten AufSätze wer- den in der Universitätsbibliothek eingescannt und innerhalb maximal 72 Stunden ausgelie- 131 fert. Damit hat jeder Wissenschaftler von sei- nem pe aus Zugriff auf alle in der Universi- tätsbibliothek vorhandenen 3.000 Zeitschrif- ten. Grundlage für die Bestellung in LEA sind die bibliografischen Daten aus ZID und On- line-Katalog der UB. LEA liefert elektronische Dokumente als TIFF- und als GIF-Dateien. Die GIF-Dateien sind in Bildschirmauflösung und mit Hilfe des WWW-Browsers am Bild- schirm zu sehen. Wenn die Dokumente auf dem FTP-Server liegen, werden die Benutzer per E-Mail informiert. Nach einer Woche werden die Dateien gelöscht. Pro Tag werden 100 bis 150 LEA-Aufcräge erledigt. VoUtextarchiv und Subito Das Volltextarchiv {EVA} ist der elektronische Speicher von Publikationen aus der Universi- tät Karlsruhe. Hierzu zählen Dissertationen, Diplomarbeiten, Aufsätze und Forschungsbe- richte. Die Dokumente werden einheiclich und einfach präsentiert, die Inhalte sind um- fassend recherchierbar und werden langfristig archiviert. Der Zugriff auf die Dokumente erfolgt entweder vom Katalog aus, mit Recher- chemöglichkeiten nach Autor, Titelstichwor- ten usw. oder über den Volltextindex aller Dokumente. Neben der Suche im Katalog ist eine Recherche im Volltexe einzelner Doku- mente oder der Zugriff über einen hierarchi- schen Dateibau möglich. Das Volltextarchiv enthält über 1.000 Dokumente, darunter zahlreiche Dissertationen. Der Dienst SUBI- TO ist ein Dokumenclieferdienst von leis- tungsHihigen Bibliotheken in Deutschland. Die Universitätsbibliothek Karlsruhe liefere als eine von bisher ca. 20 SUBITO-Lieferbiblio- theken gegen Entgelt Zeitschrirrenaufsätze an registrierte Benutzer. Die interne Bestellver- waltung und die Dokumentbearbeitung er- folgen aus Wirtschafclichkeitsgründen über LEA. Automatisierte Fernleihe Über ein WWW-Formular können Benutzer Fernleihen aufgeben, dabei besteht die Mög- lichkeit, die bibliografischen Angaben aus ZID und KVK zu übernehmen. Die Fernleih- verwaltung ermöglicht die integrierte Bearbei- tung von Fernleihbestellungen und ersetzt die Bearbeitung des Leihscheins des Deutschen Leihverkehrs {als roter Fernleihschein be- kannt} sowohl für den Benutzer als auch in der Bibliothek. Sämdiche Funktionen des Ausleihsystems der Universitätsbibliothek Karlsruhe sind über WWWzugänglich, z.B.: Kontoauszug, eigene Vormerkungen, offene Bestellungen, Gesamt- überblick über das eigene Ausleihkonto, Pau- schalverlängerungen, Passwortändern, Post- wegändern {z. B. als E-Mail}. Der Bibliotheks- benutzer kann also viele Verwaltungsvorgänge im Ausleihsystem von seinem häuslichen pe aus erledigen, ohne dass er selbst in die Bibli- othek kommen muss. Sonstige Dienstleistungen Die Universitätsbibliothek unterhält zudem eine Informations- und Vermitdungsstelle für Online-Lirerarurrecherchen in in- und auslän- dischen Datenbanken. Sie stellt Internet-PCs und freizugängliche pes mit Möglichkeiten derTexeverarbeitung und auch Ausdruckmög- lichkeiten im Lesesaal zur Verfügung, ebenso Lese- und Rückvergrößerungsgeräte für Mik- roformen. Für Hilfe bei der Literatursuche und Literatucbeschaffung steht das Personal der Bibliothek von 9.00 Uhr bis 19.00 Uhr zur Verfügung. Regelmäßige Einführungen in die Benutzung der Universitätsbibliothek wer- den zu Semesterbeginn, sowie am ersten Diens- tag im Monat um 17.00 Uhr angeboten. Son- derführungen für Gruppen sind jederzeit nach Vereinbarung möglich. Einführung in die In- 132 ternetdienste der Universitätsbibliothek wer- den jeden ersten Montag im Monat um 16.00 Uhr bei vorheriger Anmeldung angeboten. Einführungskurse in die Online-Literarurre- cherche und weitere Veranstaltungen werden regelmäßig bekannt gegeben. Ausblick Die Universität Karlsruhe verbindet als eine der führenden technischen Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland mathema- tisch-theoretische Grundlagen mit praktischen Anwendungen. Dabei werden Forschung und Lehre zunehmend internationaler und weltof- fener. Die Universitätsbibliothek wird als zen- trale Serviceeinrichtung der Universität die- sem Anspruch gerecht und unterstützt diese Entwicklung auch mit ihrem Erweiterungs- bau. der in den nächsten Jahren entstehen wird. Mit einer 24-Stunden-Bibliothek ver- folgt die Universitätsbibliothek ein neues Nut- zungskonzept als Folge einer konsequenten Weiterentwicklung ihrer bereits in vielen Punkten verwirklichten virtuellen Internetbi- bliothek. Die Dienstleistungen werden dann auch vor Ort rund um die Uhr zur Verfügung stehen. In den geräumigen Lesesälen wird die gesamte neuere Literatur der einzelnen Fach- gebiete frei zugänglich aufgestellt sein. Studie- rende und Forscher können ohne hinderliche Beschränkungen von Öffnungszeiten jederzeit Der geplante Erwcitcrungsbau. auf die von ihnen gewünschte Literatur zu- greifen. Die neuen elektronischen Medien werden die herkömmlichen Printmedien nicht voll- ständig ersetzen. vielmehr werden die Aufga- ben der Bibliotheken weiter wachsen. weil sie den Anforderungen vieler Medientypen ge- recht werden müssen. Auch das E-Book wird das gedruckte Buch mittelfristig nicht erset- zen. Die Universitätsbibliothek hat mit ihrem sich permanent erweiternden elektronischen Dienstleistungsangebot und ihren neuen Nut- zungsmöglichkeiten vor Ort die richtigen Grundsteine für ihre Zukunft im Informati- onszeitalter gelegt. CHRISTOPH-HUBERT SCHÜTTE 133 100 Jahre Stadtverwaltung im Wandel Rückblick auf das 20. Jahrhundert "Hochgeehrtester Herr Oberbürgermeister! Am heutigen Tage sind 25 Jahre verflossen. seit Sie die segensreiche Arbeit im Dienste der Stadtverwaltung der Haupt- und Residenz- stadt Karlsruhe begonnen haben. Die städti- schen Beamten gestarren sich, an diesem Eh- rentage die aufrichtigsten Glückwünsche dar- zubringen und für das dauernde Wohlwollen hetzlieh und ehrerbietig zu danken ... " Diese Urkunde überreichte Stadtbaurat Friedrich Reichard. der Direktor der Gas- und Wasserwerke und dienstältester städtischer Beamter. seinem obersten Chef, Oberbürger- meister Karl Schnetzier. am 1. Juni 1900. Unterschrieben war sie von 262 Beamten. Die Stadt. die damals auf die 100.000-Einwohner- marke und damit auf den Großstadtstatus zu- strebte. beschäftigte natürlich nicht nur diese 262 Personen. sondern darüber hinaus noch knapp 700 Arbeiter. Neue Ämter - wachsende Verwaltung Wer nun aber angesichts der heutigen Be- schäftigtenzahl von knapp 6.000 im Kärnme- reibereich darin eine überproportionale Zu- nahme sieht. wird durch einen Blick in das • .Adreßbuch für die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe" des Jahres 1900 aufgeklärt. dass es zur Jahrhundertwende natürlich wesentlich weniger Ämter und damit auch weniger Dienstleistungen für die Karlsruher und Karls- ruherinnen gab. Im Rathaus selbst waren ne- ben dem Bürgermeisteramt das Friedhofbu- reau. das Gewerbegericht. das Grundbuch- amt. das Hochbauamt. die ambulatorische Klinik. die Pfandleihkasse. die Sparkasse. das Standesamt und das liefbauamt ansässig. Die Schlacht- und Viehhofdirektion hatte ihren Sitz in der Durlacher Allee. die Gas- und Was- serwerke in der KaiseralJee 11. Es war also eine nicht eben beeindruckende Zahl von Ämtern. Der damalige Oberbürgermeister Karl Schnetzler wurde von den Bürgermeistern Jo- hann Krämer und Karl Siegrist unterstützt. Wenige Jahre später. am 6. Mätz 1909. bean- tragte der Stadtrat eine weitere Bürgermeister- steIle. Zur Begründung dieser Stellenvermeh- rung führte man die enorme Belastung des Oberbürgermeisters und der zwei Bürgermeis- ter an. Die Zahl der Beamten habe sich in- zwischen auf ca. 760 erhöht. die der Arbeiter auf 1.100. Wie in anderen deutschen Großstädten hatte in Karlsruhe der Urbanisierungsprozeß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt eingesetzt. Die wachsende Bevölke- rung führte zu einer deutlichen Zunahme der Verwaltungstätigkeiten. die im Ehrenamt nicht mehr zu bewältigen waren. Es bildete sich die so genannte Leistungsverwaltung heraus. die als Daseinsvorsorge in Bereichen wie der Wasserversorgung. der Bereitstellung von Energie. dem Verkehr oder der Entsor- gung tätig war. Mit dem Übergang zur Leis- tungsverwaltung einher ging eine Professiona- lisierung der Beamten und Bürgermeister. Auch in Karlsruhe dominierten bei der Beset- zung der Beamten- und Bürgermeisterstellen die Juristen. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden mit der Verbesserung der städti- schen Infrastruktur einige neue Ämter wie das Maschinenbauamt. das Straßenbahnamt. die 134 Blick in ein Dienstzimm('r d('s Hochbauamrs um 1925. Gartendirektion. die Baukonrrolle. das Hafen- amt. die Badverwaltung und die Kranken- hausverwaltung. 1901 war der städtische Rheinhafen in Betrieb gegangen. 1903 hatte die Stadt die Straßenbahn gekauft. die seit 1900 als "Elektrische" fuhr. von 1903 bis 1907 wurde das Städtische Krankenhaus an der Moltkestraße gebaut. Erster Weltkrieg Einen Einschnitt in die Entwicklung der Stadt und damit auch der Stadtverwaltung brachte der Erste Weltkrieg. Fast die Hälfte der Beam- ten und über ein Drittel der städtischen Arbei- ter wurden zum Kriegsdienst eingezogen und mussten zunehmend durch weibliche Arbeits- kräfte ersetzt werden. Die Stadt beschäftigte Frauen zunächst außer mit Gartenarbeiten nur im Schreibdienst. Im Jahr 1915 stellte aber auch das Tiefbauamt bei der Straßenun- terhaltung 40 und bei der Straßenreinigung 20 Frauen ein. In den Straßenbahnen über- nahmen sei t Mai 1915 in verstärktem Umfang Frauen den Schaffnerdienst. Seit Ende 1915 durften sie auch als Wagenfuhrerinnen einge- serzt werden. bei allerdings niedrigerer Entloh- nung als ihre Kollegen. Außerdem kamen neue kriegsbedingte Aufgaben vor allem im Bereich der Lebensmit- telversorgung hinzu. Zu Beginn des Jahres 1915. als die großen Versorgungsengpässe bereits nicht mehr zu übersehen waren. be- schloss man den Beginn der Zwangswirtschaft im Deutschen Reich. deren Umsetzung die so genannten Kommunalverbände übernahmen. In Karlsruhe wurden die ersten Lebensmittel- marken für Brot und Mehl am 15. März 1915 135 ausgegeben. Ende des Jabres 1916 entstanden ein Nahrungsmittelamt und ein Milchamt. das die ausreichende Versorgung mit Milch organisieren sollte. Unmittelbar nach Kriegs- ende wurde am 11. November 1918 auch ein städtisches Wohnungsamt eingerichtet. Damit trug man der extremen Wohnungsnot Rech- nung, die u. a. durch die fasr völlige Einsrel- lung aller Wohnungsbauprojekte während des Krieges verursacht war. Die Versorgung mit ausreichendem Wohntaum blieb auch in der Weimarer Republik lange ein Problem. Erst im Jahr 1929 konnte das städtische Woh- nungsamt aufgelöst und nur noch als ein mit einem Beamten besetztes und der Stadtkanz- lei untergeordnetes "Wohnungsbüro" weiter- geführt werden. Herrschaft der NSDAP Zu diesem Zeitpunkt begann auch in Karlsru- he der Aufstieg der Nationalsozialisten. der zur so genannten Machtergreifung im Jabr 1933 führte. Die Gleichschaltung der Kommunen in den Wochen nach der letzten nur noch mit Einschränkungen demokratischen Reichstags- wabl am 5. März führte zu einem kompletten Wechsel in der Rathausspitze. Die demokra- tisch gewählten Bürgermeister und der Ober- bürgermeister ersetzten die neuen Machthaber durch Nationalsozialisten. Am 18. Mai wurden der neue Oberbürger- meister Jäger und Bürgermeister Hermann Fribolin - beide Nationalsozialisten - gewählt. Um Sparsamkeit zu demonstrieren, waren zu- nächst zwei BürgermeistersteIlen gestrichen worden. später kam allerdings wieder ein hauptamtlicher Stadtrat hinzu. Aus den bis- lang vier Hauptabteilungen und einer Neben- abteilung wurden zwei Hauptabteilungen mit 7 Nebenabteilungen der Verwaltung. Schon im ersten Jabr ihrer Herrschaft ent- ließen die Nationalsozialisten aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbe- amtenturns" insgesamt 23 Beamte. - zwölf Angestellte und 88 Arbeiter aus dem städti- schen Dienst - in der Regel wegen ihrer Zuge- hörigkeit zur SPD. aber auch zur KPD oder einer anderen linksgerichteten Organisation. Einen "nichtarischen" Beannen versetzte man in den Ruhesrand. Außerdem entzog man zwei Ruhestandsbeamten wegen "nationaler Unzu- verlässigkeit" und der ehemaligen Verwaltung- sassistentin Else Salomon wegen "nichtarischer Abstammung" das Ruhegehalt. Else Salarnon wurde 1940 nach Gurs deportiert. wo sich ihre Spur verliert. Drei Ärzte im Städtischen Krankenhaus. die jüdischer Abstammung wa- ren. beurlaubte man sofort und kündigte ih- nen zum nächstmöglichen Termin. Von den bis zum Oktober 1935 statt des- sen eingestellten 493 Personen gehörten rund 91 % der NSDAP oder einer ihrer Gliederun- gen an. Rigoros wurden schon 1933 "zur Frei- machung von Arbeitsplätzen für jüngere männliche Arbeitskräfte" 15 weibliche und 16 männliche Beamte in den Vorruhestand ge- schickt. Davon war auch Elisabeth Groß- wendt. Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei. betroffen. die bis da- hin einzige. seit 1920 für das Jugendamt zu- ständige. Karlsruher Amtsleiterin. Ansonsten blieben die Führungspositionen in der Verwal- tung unterhalb der Bürgermeisterebene weit- gehend unangetasret. Noch im Jabre 1933 traten fast 200 städti- sche Mitarbeiter in die NSDAP ein. Von den leitenden Beamten entzogen sich nur wenige wie Stadtbaudirekror Friedrich Beichel dem Druck und blieben der Partei fern. Insgesamt funktionierte die Stadtverwaltung im "Dritten Reich". die im letzten Vorkriegsjahr 1938 knapp 3.900 Personen beschäftigte. davon 1.949 Beamte und Angestellte. im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber reibungs- los. 136 Nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Stadtverwaltung rasch wieder ihre Tätig- keit auf und wurde so zu einem wesentlichen Faktor bei der Bewältigung der drängenden Alltagsprobleme in der stark zerstörten Stadt. Ein Teil der aktiven Nationalsozialisten wurde gleich entlassen. Da man den Zusammen- bruch der deutschen Verwaltungen erwartete, ließen die Franzosen, die die Stadt zunächst besetzt hatten, aber etliche Fachleute trotz Mitgliedschaft in der NSDAP im Amt. Die Stadtverwaltung beschäftigte im April 1945 4.362 Mitarbeiter, davon mussten bis zum April 1946 1.390 (31,8%) entlassen werden. An der Spitze stand zunächst der noch von dem NS-Oberbürgermeister Hüssy vor seiner Flucht zum Nachfolger bestimmte JosefHein- rich. Nur wenige der führenden Verwaltungs- beamten der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Regimegegner und somit »unbelastet", zu ihnen gehörten die späteren Oberbürger- meister Ftiedrich Töpper (SPD) und Bürger- meister Fridolin Heurich (CDU). Bereits am 9. April war eine neue, an die alte angelehnte, Organisationstruktur erarbei- tet worden, mit der 28 Ämter und Abteilun- gen auf das vorhandene Führungspersonal verteilt wurden. Als wesentliche Neuerung war die Stadt in 16 Bezitke mit jeweils einem Be- zirksverwaltungsamt eingeteilt. Das Petsonal dieser dezentralen Verwaltungseinheiten rek- rutierte sich im wesentlichen aus ehemaligen Hitlergegnern. Pro Bezirk gab es zunächst bis zu sechs, später bis zu zwanzig Mitarbeiter, aber nur wenige Mitarbeiterinnen. Zu den Aufgaben gehörten die von den Besatzungsmächten angeordneten Beschlag- nahrnungen von Wohnungen, Hausrat und Bekleidung. Im eigentlichen Verwaltungsbe- teich übernahmen die Bezirksverwaltungsäm- ter, die bis 1948 bestanden, die Ausgabe von Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen, die Führung einer Bevölkerungsstatistik, die Be- treuung der Evakuierten, Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge sowie der KZ-Opfer, die Er- fassung ehemaliger Nazis und die Mitwirkung bei der Entnazifizierung. Organisatorisch ge- hörten die Bezirksverwaltungsämter zur Allge- meinen Verwaltung neben der weitere acht Referate bestanden, die Wirtschafts- und Ver- sorgungsverwaltung, die Arbeits- und Sozial- verwaltung, die Finanzverwaltung, das Hoch- bauamt, das Tiefbauamt, die Städtischen Be- triebe, die Städtischen Rheinhäfen und die Polizei. Der kommissarische Bürgermeister war für die Gesamtleitung und die Dienstaufsicht so- wie den Verkehr mit den Besarzungsbehörden zuständig. Diese Organisation blieb nicht ohne Widerspruch, so intervenierte der für die Stadtplanung zuständige Oberbaurat Pfläste- rer, dass "eine der unentbehrlichsten Abteilun- gen der Stadtverwaltungen 'Die Stadtplanung' nicht einmal angedeutet, viel weniger ihrer Bedeutung gemäß genannt wird." Diesem Einwand wurde insofern Rech- nung getragen, als die neue Organisations- struktur vom August 1945, die neben dem von der amerikanischen Besarzungsmacht ein- gesetzten Oberbürgermeister Hermann Veit zwei Bürgermeister, Fridolin Heurich und Berthold Riedinger, vorsah, die Stadtplanung als ein dem Ersten Bürgermeister Heurich nachgeordnetes Amt aufführte. Nach der ers- ten Stadtratswahl am 26. Mai 1946 ergänzte ab Oktober Dr. Hermann Ball von der DVP die Bürgermeisterbank, da nach einer Eini- gung zwischen allen Fraktionen jede der Par- teien einen Bürgermeister stellen sollte. Neue Profile in fiinf] ahrzehnten Eine Änderung trat 1951 ein, als Oberbürger- meister Friedrich Töpper "einen bereits beste- 137 henden Zustand organisatorisch und auch nach außen hin dadurch" regelte. dass "die Ar- beitsgebiete meines persönlichen Referenten, Herrn Oberrechrsrats Dr. Keidel. zusammen- gefasst und als Abteilung Ic - Schul- und Kul- turpflege. Arbeitsrecht - in den Geschäftsver- teilungsplan der Stadtverwaltung eingebaut wird." Dies war die Geburrsstunde des Kultur- referats. das zunächst noch als Abteilung Ic innerhalb der dem Oberbürgermeister unter- stehenden Hauptabteilung geführt wurde. Mit der Neubesetzung zweier Bürgermeis- terstellen Ende 1952 nach der Wahl des neu- en Oberbürgermeisters Günther Klotz. wurde dann die in den Grundzügen bis heute gülti- ge Organisationsstruktur geschaffen. Dem Dezernat I ordnete man drei Referate nach. außer dem Schul- und Kulturreferat. das Fi- nanz- und das Rechtsreferat. Die anderen drei Dezernate wurden von einem Bürgermeister und zwei Beigeordneten geleitet. Wer heute im Wegweiser durch Karlsruhe. der Beilage zum Adressbuch der Stadt. blät- tert. wird unter dem Stichwort Stadtverwal- rung neben dem aus sechs Dezernaten und drei Stabsstellen bestehenden Bürgermeister- amt 66 weitere Dienststellen finden. die für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Dienst- leistungen erbringen. Der eingangs erwähnte Oberbürgermeister Schnetzler wäre von dieser rein zahlenmäßigen Entwicklung vielleicht gar nicht einmal so überrascht. da viele der Aufga- ben einer modernen als Dienstleistungsbetrieb organisierten Stadtverwaltung. wenn auch in geringerem Umfang. bereits um die Jahrhun- dertwende vorhanden waren. Überrascht könnte er darüber sein. dass etliche der in seiner Amtszeit vorhandenen bzw. gegründeten städtischen Unternehmen als GmbH geführt werden. Schwierigkeiten dürften er und die damals bei der Stadt Be- schäftigten aber sicher mit den technischen Neuerungen haben, die inzwischen in der Stadtverwaltung vorhanden sind. Zu seiner Zeit hatte z. B. die Schreibmaschine gerade erst ihren Triumphzug in die Stadtverwaltung begonnen. heute gehören Computer. E-Mail oder Internet fast zur Standardausstattung. Auch in den technischen Ämtern gibt es nun eine Vielzahl von Hilfsmitteln und Ar- beitsgeräten. an die vor 100 Jahren noch kei- ner dachte. Konzentrierte sich damals die Ver- waltung räumlich auf das Rathaus. gibt es heu- te neben dem Technischen Rathaus und der Rathauserweiterung an der Lammstraße viele weitere. auf die Stadt verteilte Dienststellen. darunter die sechs Orrsverwaltungen der in den 70er Jahren eingemeindeten heutigen Stadtteile. Natürlich haben sich auch Zahl. Ausbildung und Struktur der Beschäftigten geändert. Eine von allen Beamten und Beamtinnen der Stadt unterschriebene Gratulationsurkun- de ist ebenso schwierig wie ein gegen Null ten- dierender Frauenanteil unter den Beschäftig- ten undenkbar ist. Dass man darüber hinaus heute "im Kopf des Kunden denkt". über Bu- chungskreise einer neu einzuführenden Soft- ware diskutiert oder von der Stadt angebotene Ptodukte definiert und diese mit Kennzahlen versieht. hätte Schnetzler und seine Mitarbei- ter möglicherweise zunächst einmal bedenk- lich den Kopf wiegen lassen. Wenn man ihn dann aber über den Sinn dieser Aktionen aufgeklärt hätte. dann würde ihm vielleicht eingeleuchtet haben. dass es sich um einen Modernisierungsschub handelt. dem die Verwaltung auch vor 100 Jahren und im 20. Jahrhundert immer wieder einmal un- terworfen war. ERNST OTTO ßRÄUNCHE 138 Rappenwört - ein Projekt der Karlsruher Planungs- und Baupolitik der 1 920er Jahre Am 20. Juli 1929 fand die Eröffnung des Rheinstrandbades Rappenwört statt. Die Wür- digung dieser Einrichtung allein wäre unzurei- chend, denn sie ist nur ein Teil eines beach- tenswerten Gesamtprojektes. Bevor die Pla- nungs- und Baugeschichte näher erläutert wird, soll ein Blick auf die Stadtgeschichte im Eröff- nungsjahr die kommunalpolitischen Rahmen- bedingungen deutlich machen. Die Einwohnerzahl Karlsruhes lag 1929 bei ca. 152.000, die Fläche der Gemarkung betrug zum Jahresbeginn 4.532 ha; am 1. April kamen durch die Eingemeindung Bu- lachs 530 ha dazu; heute beträgt die Gesamt- fläche über 17.000 ha. Nach der Kommunal- wahl 1926 kamen die 84 Stadtverordneten aus folgenden politischen Lagern: KPD: 6, SPD: 24, Zentrum: 19, DDP (die Linksliberalen): 5,DVP (die Rechtsliberalen): 12, DNVP (ein Sammelbecken rechts der DVP): 9, Wirt- schaftliche Bürgervereinigung: 3, Reichspartei für Volksrecht und AufWertung: 5 und Unpo- litische Wirtschaftsgruppe: ein. Die von den Wählern direkt gewählten Stadtverordneten bildeten mit dem Stadtrat den Bürgeraus- schuss. Der Stadtrat, von den Stadtverordne- ten gewählt, bestand aus 24 Stadträten und vier Bürgermeistern. Das Quellenstudium ver- mittelt den Eindruck grundsätzlicher Einig- keit bei der Planungs- und Baupolitik zwi- schen OB Dr. Julius Finrer, Baubürgermeister Hermann Schneider und Stadtparlament. Ein solcher Konsens zwischen diesen Akteuren der Kommune ist eine Voraussetzung für eine er- folgreiche städtebauliche Entwicklung, die auch noch späteren Generationen zu Gute kommt. Vorarbeiten rur Rappenwört Bereits 1924 hatte Hermann Schneider dem TIefbauamt den Auftrag erteilt, einen Entwurf für ein Strandbad auf dem Rappenwört zu erstellen. Das Tiefbauamt war damals neben dem Straßen- und Kanalwesen auch für die Stadtplanung zuständig. Ab 1926 stand die- sem Amt Emil Bronner vor, ein der Stadtpla- nung kundiger Mann, unrer dessen Leitung der Entwurf des Generalbebauungsplans 1926 entstand. Stadtplanungsaufgaben wutden vom Stadterweiterungsbüro unrer Karl Pflästerer- er war dem Amtsleiter direkt unrerstellt, wahr- genommen, so auch die Planung für den ge- samten Rappenwört. Ende Januar 1925 lag die Grundkonzeption bereits vor, die wie folgt kommenriert wurde: ,,Anlage eines Strandba- des mit Erholungspark auf dem Rappenwört- Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Badege- legenheit in freier Natur nimmt ständig zu, vor allem geht der Wunsch dahin, in unmittel- barer Nähe des Rheins eine großzügige Bade- anlage zu schaffen, die die Möglichkeit, im Wasser des Rheinstroms sich zu tummeln und zu schwimmen, mit Sonnen- und Luftbädern vereinigt. Diese Entwicklung der Anschauun- gen und Neigungen hat das so genannte 'wil- de Baden' im freien Rhein und in dem Alt- rhein außerordentlich begünstigt und dabei Mißstände hervorgerufen, deren Beseitigung aus den verschiedensten Gründen mit allen Mitteln angestrebt werden muß. Die Stadt be- absichtigt deshalb, an der Rheinseite der vom Altrhein umflossenen Insel Rappenwärt, die zu zwei Drittel ihr Eigentum ist, ein Strand- 139 bad zu errichten und die anschließenden Waldanlagen zu einem Erholungspark im gro- ßen Stile auszubauen. Der Hauptbestandteil der Anlage bildet ein 400 m langes, 98 m bzw. 120 m breites und in der Mitte 6,5 m tiefes Becken, das in das Gelände eingeschnitten und durch Rheinwasser gespeist wird." WIldes Baden arn Rhein Alle Begründungen /Ur das neue Freibad sind Hinweisen auf die Probleme des "wilden Ba- dens" zu entnehmen. Es gab zwar damals am Rhein und an der Alb bereits einige Freibäder wie zum Beispiel das 1915 errichtete Rheinha- fenbad, die Badeanstalt im Rhein bei Maxau, das Sonnen-, Luft- und Schwimmbad des Naturheilvereins am Dammersrock an der Alb und die ehemalige Militärschwimmschule beim "Kühlen Krug". 1928 war aber der Bade- betrieb am Rhein anscheinend so stark wie nie zuvor gewesen, dass für die letzte politische Entscheidung der Weg /Ur ein neues Bad geeb- net war. "Für Bilder jedenfalls, wie sie bisher beim wilden Baden am Rhein und an der Alb an der Tagesordnung sind, ist auf dem Rap- penwört kein Platz. Hier sollen Eltern ihre he- ranwachsenden Söhne und Töchter ruhigen Herzens hinführen dürfen, anstatt ihnen das Baden im Freien zu verbieten und doch be- fürchten zu müssen, dass heimlich erst recht geschieht, was durch das Verbot verhütet wer- den soll .. .. Ordnung an die Stelle von Unord- nung zu setzen, gegen das Unvollkommene das Vollkommene einzutauschen, das ist das große Ziel von Rappenwört," ein Zitat aus der städtischen Broschüre von 1927. Der erste Schritt zu einem Landschaftspark Der Enrwurf des Generalbebauungsplanes 1926 enthält die Konzeption für den gesam- ten Rappenwört, aber ornamental überzeich- net. Die von DaxIanden zu bauende Erschlie- ßungsstraße mit Straßenbahn wird in einem Rondell aufgefangen und in zwei Richtungs- fahrbahnen geteilt durch eine langgestreckte rechteckige Grünfläche. Dem Rondell gegen- über, im Westen liegen die Hochbauten für das Freibad. Die strenge Symmetrie des zen- tralen Baukörpers mit weiteren Flügelbauren- eine konsequente Einordnung in die ebenfalls symmetrisch ausgerichtete Gesamtanlage - ist eine formale Übertragung des Prinzips absolu- tistischer Stadtplanung und des damaligen Schloss baues französischer Herkunft. Dazu gehören vorgelagerte und rückwärtige, wiede- rum symmetrisch angelegte Parklandschaften. Hier ist es die so genannte "Eiswiese", gedacht als Eislauffiäche im Winter. Im Herbst 1927 veröffentlichte die Stadt- verwaltung die Broschüre "Die Grünpolitik im Karlsruher Generalbebauungsplan: Der Rheinpark Rappenwört", aus der das folgende Zitat stammt: "Die Rheininsel Rappenwört, im Westen vom Rhein, im Süden, Osten und Norden in Hufeisenform vom Altrhein be- spült, hat bei einem Flächenausmaß von rund 130 ha eine größte Ausdehnung von 1,6 km in der Osrwestrichtung und von Nord nach Süd eine solche von 1,0 km. Sie liegt mit ihrem Mittelpunkt rund 2 km südlich vom Rheinha- fen-Stichkanal und ebenso weit westlich von Daxlanden inmitten der herrlichsten Natur des Rheinwaldes, die Schönheiten der Rhein- landschaft in sich selbst aufs höchste steigernd '" alle nur denkbare Vorzüge einer schönen Natur finden sich hier zu einer seltenen Gele- genheit vereinigt, eine Volkserholungsstärre größten Ausmaßes und stärkster Wirkung zu schaffen, wie sie rhein auf, rheinab schöner und besser kaum mehr erdacht werden kön- " neo. Bürgermeister Hermann Schneider wollte den bis dahin teilweise unzugänglichen Teil 140 Rappcnwört im Entwurf des Generalbebauungsplanes 1926. der Rheinaue zum Zwecke der Erholung der Karlsruher erschließen ... Der Rappenwört soll nicht nur den vielen Tausenden, die heute an schönen Sommertagen von Neuburgweier bis Maxau das Rheinufer bevölkern, eine passen- dere und bessere Gelegenheit bieten, im flie- ßenden Rheinwasser zu baden und in frischer, sonniger Luft sich zu bewegen, ... ganz sicher ebenso viele werden überhaupt erst durch den Rappenwört sich in die Möglichkeiten versetzt sehen, die Wohltat eines nervenstärkenden Rhein-Bades in Verbindung mit heiterem Spiel auf grünem Rasen in froher Geselligkeit und unter der Wirkung der herrlichsten, von reinster Luft und Sonne durchtränkten land- schaft sich und ihren Kindern zukommen zu lassen. Tausende von Familien des verarmten Mittelstandes, der Arbeiter und kleinen Beam- ten, die das Geld zu einer noch so bescheide- nen Sommererholung in einem auswärtigen Kurort nicht aufzubringen vermögen, werden 141 auf dem Rappenwört ohne besondere Kosten alles haben, was von einer Gelegenheit zur Erfrischung der Gesundheit billigerweise er- wartet werden kann." Das Verlangen nach Luft und Sonne ist hier das wichtige Thema, wie es auch im Siedlungsbau durch die Umset- zung der Ziele,einer guten Belüftung und Be- lichtung im Nord-Süd ausgerichteten Zeilen- bau zum Ausdruck kam. Am 13.9.1927 bewilligte der Stadtrat das Projekt .. Rheinstrandbad", dessen Kosten mit 1 ,08 Mio Mark angegeben wurden, den Bau der Verlängerung der 1928 fertiggestellten Straßenbahnstrecke nach Daxlanden (Kosten von 293.000 M) und die Errichtung einer Vo- gelwarte in Höhe von 90.000 M. Am 28.9. debattierten die Mitglieder des Bürgeraus- schusses insbesondere das Strandbadprojekt. Die Fraktion der Kommunisten hatte die Ab- setzung des Tagesordnungspunktes und die Beauftragung des Stadtrates für die Erarbei- tung eines Projektes "Sanierung der Altstadt" beantragt. Die für das Gesamtprojekt Rappen- wört erforderlichen 1,5 Mio M sollten dafür eingesctzc werden. Zwei weitere Gruppen lehnten den Bau des Bades ebenfalls ab, da andere Projekte wie das fünfte Hafenbecken oder das Ettlinger Tor wichtiger seien; auch wurde da die Höhe der erwarteten Einnahmen bezweifelt. Die Mehrheit des Bürgerausschus- ses stimmte aber für Rappenwört. In der sel- ben Sitzung ging es noch um die Verlängerung der Straßenbahn nach Rappenwört und den Bau der Vogelwarte. Für den früher propagierten "Naturschutz- park" gab es keine eigene Vorlage. Ein Teil des finanziellen Aufwandes steuerte die Reichsre- gierung als Mittel der "wenschöpfenden Ar- beitslosenfürsorge", eine Form eines Arbeits- beschaffungsprogramms, bei. Dieser gesamte Entscheidungsvorgang mutet eigenartig an, wenn man bedenkt, dass die Vorarbeiten für das Projekt schon einige Zeit im Gange war. Ab Ende 1925 baute die Stadt mit Unterstüt- zung des Programmes für "Notstandsarbeiten " einen Fahrweg von Daiclanden bis Rappen- wört einschließlich der Brücke über den A1t- rhein. Diese wurde Anfang Februar 1927 dem Verkehr übergeben. Im November 1926 be- gannen die Arbeiten für den Aushub des künf- tigen Badebeckens. Ende März 1927 war die Hälfte der 27.000 cbm Erdrnassen ausgeho- ben. Alle diese Vorbereitungsarbeiten waren im Sinne der "Bekämpfung der Erwerbslosig- keit" von Stadtrat und Bürgerausschuss 1926 beschlossen worden. Wie wir wissen, gelang bis 1929 alles, wie von der Stadtverwaltung beabsichtigt: die Eröffnung des Rheinstrand- bades am 20.7 .• die in der örtlichen Presse gro- ße Aufmerksamkeit fand. der Straßenbahnver- bindung - es war wie heute die Linie 2 - und die Eröffnung der Vogelwarte am 12.10. Das ca. 16 ha große Badegelände sollte Platz für 15.000 Besuchern bieten. Die Kapa- zirär der so genannten ,,Auskleideräume" be- trug im Eröffnungsjahr bis 5.300 und wurde später erhöht. Schwimmen war im großen si· chelförmigen Becken wie auch im Rbein durch die Anlage von vier Schwimmstegen möglich. Die Ostseite des über 450 m langen Beckens gestaltete sich als flacher. über 500 m langer Badestrand (Böschungswinkel 1 : 18). die dem Rhein nähere Westseite bot Stufenreihen. auch als Zuschauertribüne für Wettkämpfe. Das Freigelände bot von Anfang an vielfältige Möglichkeiten für die Besucher: eine große Anzahl von Ringtennisplätzen - Schneider hatte diese Sportart nach einer Amerika-Reise in Karlsruhe eingeführt -. Turngeräte in den Turnhöfen. den Innenhöfen der Garderoben- bauten. einen Leichtathletik- und Rasenspiel- platz und eine Schießhalle. Einkaufsmöglich- keiten für Sportartikel, Fotoartikel. Wäsche- verleih. Herren- und Damenfriseur und das Strandrestaurant mit Tanzdiele boten den Be- suchern eine für die damalige Zeit geradezu luxuriöse Versorgung. Das Angebot von Trink- kuren. Diätfrühstück und vielfaltigen Milch- produkten weist auf die beabsichtigte Gesund- heitsförderung hin. Neben dem Mittelbau sollten Gymnastikhallen stehen, auf welche wahrscheinlich aus Geldmangel verzichtet worden ist. Als Erinnerung an die frühere Nutzung des Geländes als Dampfziegelei blieb ein Ziegelei- Brennofen mit dem 22 m hohen Kamin ste- hen. Der Kamin bot Fledermäusen eine Heim- stänc, die Spitze zierte ein StorchennesL Die Dampfziegelei war bereits 1917 stillgelegt und das Anwesen Anfang der 20er Jahre von der Stadt gekauft worden. Bei der Erwähnung die- ser Vorgeschichte muss auch an die 1915 be- schlossenen Absichten der Stadt erinnert wer- den, auf mehr als der Hälfte der Fläche des Rappenwört Kies zu gewinnen . Dabei wären jährlich 1.5 ha Wald abgeholzt worden. Diese Absichten sind wahrscheinlich wegen der ge- 142 Strandbad Rappenwärt 1929. ringen Bautätigkeit während des Ersten Welt- kriegs buchstäblich im Sand verlaufen. Noch heute fasziniert die Freiraumgestal- tung durch ihre Einfachheit, strenge Symme- trie, die aber nicht konstruiert wirkt. Die Pap- pelreihen umfassen das eigentliche Badegelän- de mit dem großen Becken wie schützende Arme. Zugleich öffnet sich der Freiraum zum Rhein hin. Im Gegensatz zu den sonstigen Freibadeanlagen bietet Rappenwört außerhalb der Freibadesaison einen wunderbar gestalteten I.andschafuteil innerhalb der Rheinaue. Eigent- lich ist es ohne Badebetrieb dort am schönsten. Das Restaurantgebäude Eine besondere Aufmerksamkeit verdient das Baderestaurant. Wer heute auf das etwas trau- rig wirkende Gebäude vom Parkplatz oder der Endstation der Straßenbahn zugeht, ahnt viel- leicht doch, dass hier ein besonderes Haus auf einem bewusst ausgewählten Standort steht und nach Erneuerung, besser gesagt nach Wie- derherstellung des ursprünglichen Zustandes ruft. Es ist ein zwiespältiges Produkt der Ar- chitektur, das sowohl die damalige Bautraditi- on als auch das "neue Bauen" am Ende der 30er Jahre widerspiegelt. Die symmetrische Ausrichtung der Baukörper steht noch für das ,,Alte", auch für Karlsruhes Rationalität in der Grundrissgestaltung in der Fortführung im 19. Jahrhundert. Das "Neue" wird durch die Ausformung des Gebäudes in der Sprache des "neuen Bauens" erzeugt: kubische Baureile- hier wie eine kleinere auf eine größere Schach- tel gesetzt -, Flachdach, horizontale Fenster- bänder, Auflösung der nach Westen orientier- ten Saalwände in Glas, weißer Anstrich auf Putz. Die Verzierungen an den Fenstern sind wiederum "Reste" der Tradition. Der Rohbau ist in Backsteinmauerwerk und Stahlbeton ausgeführt. Architekt war der städtische Ober- 143 baurat im Hochbauamt, Robert Amann. Es ist zu hoffen, dass bald die "Modernisierung" dieses Architekturdenkmals im Sinne des ur- sprünglichen Zustandes in Angriff genommen wird. Die ehemalige Vogelwarte Nicht weit von hier steht ein Gebäude, das in seiner architektonischen Gestaltung wesent- lich radikaler ist als die Hochbauten im Frei- bad. Die Vogelwarte ist ein Werk des Stadt- baurats im Hochbauamt Walter Merz. Er hat- te die Aufgabe, "Räume zur Unterbringung und Beobachtung von Vögeln wie auch zu Unterrichts- und Versuchzwecken zu schaffen und daneben für den Leiter der Warte und einen Gehilfen Wohnungen zu bauen." Ende 1925 gab es in der Stadtverwaltung Reaktio- nen auf einen am 10.9. im "Tagblatt" erschie- nenen Artikel zur Schnakenplage. Dabei rück- te der Schutz der Singvögel auf Rappenwört als natürliche Feinde der Stechmücken in den Blickpunkt. Die Bekämpfung der Schnaken auf Rappenwört war nicht unumstritten, wie die Meinung des damaligen Leiters der Lan- desnaturschurzstelle Prof. Auerbach zeigt. Er hatte sich dieses Gebiet als Naturschutzpark gedacht, "zu dessen besten Schutz gerade die Schnaken dienen sollten." Zu der damals bereits diskurierten Ausweisung eines Land- schaftsschutzgebietes kam es erst 1962. 1927 konkretisierte sich ein von Prof. Feh- ringer, dem Verantwortlichen für die "Staat- lich empfohlene VogelschurzsteIle für Baden" in Heidelberg, die Idee einer staatlichen Vogel- schurzsteIle in Karlsruhe-Rappenwört. Der Standort wurde wegen des Vogelschutzes und der Schnaken plage auf der Altrhein-Insel als sehr günstig angesehen. Eigentlich war es eine staatliche Aufgabe. Da die Angelegenheit zu versanden drohte, übernahm die Stadt Karls- ruhe die Realisierung. Der Auftrag sah den Vogelschutz, die Bekämpfung der Schnaken- plage auf biologischer Grundlage und die Er- gänzung des naturkundlichen Unterrichts vor. Leider war der Eintichtung kein Glück be- schieden. Das Verhältnis zwischen dem Leiter Prof. Fehringer und der Stadtverwaltung ent- wickelte sich spannungsreich. Anlässe wie die Anbringung von Blumenkästen, Erstattung von Auslagen, Klagen über Nachlässigkeiten usw. führten schließlich zur Niederlegung der Leitung Anfang 1931. Bereits anlässlieh dieses Vorfalles zeigte sich, dass die Vogelwarte im Bewusstsein der Karlsruher nicht verankert war. So ist einem Presseorgan am 19.2.1931 folgendes zu entnehmen: "Man hätte ruhig die Vogelwarte gleich aufheben können. In Karls- ruhe hätte ihr kein Mensch eine Träne nachge- weint und die Stadt könnte viel Geld sparen." Ein Kommentar, der auch heute noch traurig stimmt, denn damit wurde eine Besonderheit in dieser Stadt als Belastung und nicht als Be- reicherung gesehen.·Am 31.3.1934 endete die Existenz der Vogelschutzwarte durch deren Aufhebung aus finanziellen Erwägungen. 1996 erlebte dieses Haus eine verdiente Re- naissance als Narurschutzzentruffi. Der anfangs vorgesehene Standort lag näher zum Altrhein. Er rückte dann in die Hauptach- se des Strandbades, was durch die vorgesehene geradlinige Wegeverbindung zu einer guten Einbindung der Vogelwarte in das Planungs- konzept wegen der landschaftsplanerischen Qualität und der besseren Auffindbarkeit ge- führt hätte. Aber der junge Architekt Merz setzte sich anscheinend gegen den traditions- bewussten Stadtplaner Pflästerer durch. Sym- metrie, axial aufgebaute Strukturen in der Stadtlandschaft, Repräsentation und Blickbe- ziehungen waren nicht mehr gefragt und wur- den von der damaligen Avantgarde der Archi- rektur abgelehnt. So ist heute die gedachte Beziehung zum Freibad nicht mehr nachvoll- ziehbar, und wenn, nur mehr mit dem Lineal 144 auf dem Plan. Der Vergleich der Architektur des Baderestaurants mit der der Vogelwarte zeigt die unterschiedliche Auffassung der bei- den Architekten deutlich. Merz übernimmr konsequent die Formensprache, wie sie von der Kunstbewegung "De Stijl" in den Nieder- landen und von Walter Gropius in seinen Dessauer Bauten für das Bauhaus vorgegeben war: Asymmetrie bei der Anordnung der ku- bischen Baukörper und im Fassadenaufbau, Flachdach, in die Außenhülle eingeschnirtene Fenster unterschiedlicher Formate, weißer Anstrich, kein Fassadenschmuck. Die vier Funktionseinheiten der Einrichtung, nämlich die Wohnung des Leiters, die Unterrichts- und Versuchsräurne, das Vogelhaus und die Gehil- fenwohnung, sind in ihren Formen vonein- ander unterschieden. Die Geschossigkeit ist nach diesen Funktionsteilen unterschiedlich: eingeschossig die Gehilfenwohnung und der Vogeltrakt als Verbindung zum Haupthaus mit dem wiederum eingeschossigen Unter- richtstrakt und dem zweigeschossigen Wohnt- eil, der von einem Turm mit drittem Geschoss und Beobachtungsplartform gekrönt ist. Da- mit wird auch der gemeinsame Eingang mar- kiert. Die Gesamtanlage ist streng Ost-West orientiert, was bei einer axialen Beziehung zum Strandbad nicht möglich gewesen wäre. Merz erklärte das vorhin angesprochene Ab- weichen vom übergeordneten Konzept selbst: "Die Vereinigung zu einem einzigen symmet- rischen Baukörper, der etwa mit dem Strand- bad zusammen in eine Achsenbeziehung hät- te gebracht werden können, konnte nicht in Frage kommen: denn die Wahrheit als letztes Ziel alles Gestaltens läßt es nicht zu, daß ein differenzierter Organismus durch eine äußere Form verkleidet wird. die seinem inneren We- sen nicht entspricht." Dieser Bau zeigt zeitgleich mit dem Dammerstock den in Karlsruhe etwas verspä- tet aufgetretenen Bruch mit der Städtebau- und Architekturtradition. Ganz deutlich wird dies bei der Betrachtung der ersten Entwürfe des Hochbauamtes aus dem Jahre 1927, die nicht von Merz stammen. Nicht realisiert wurde übrigens eine von Anfang an konzipier- te Wasserfläche vor dem Anwesen. Die Veröffentlichung über Rappenwört, insbesondere über die Hochbauten in der "Bauzeitung" in Form zweier aufeinander fol- genden Sonderbeilagen mit der Überschrift "Das neue Karlsruhe", zeigt das damalige über- regionale Interesse. Die wöchentlich erschei- nende Fachzeitschrift stellt Ende der 30er Jah- re in unregelmäßiger Folge große Projekte des "Neuen Bauens" in Form von Sonderbeilagen für einzelne Städte. Mirte 1928 fand in Karls- ruhe eine Hinwendung zum so genannten "Neuen Bauen" statt, freilich nur für kurze Zeit und in Gang gesetzt von der Stadrverwaltung, besser gesagt von Bürgermeister Schneider. Die Akteure des Projektes Das "Unternehmen Rappenwört" wurde von Personen der Stadrverwaltung geprägt. Leider hat die Literatur diese Phase det Karlsruher Kommunalpolitik bisher unzureichend wahr- genommen. Bislang wurden nur Namen wie Ernst May, Stadtbaurat in Frankfurt/M., Gus- tav Oelsner, Bausenator in Altona, Frirz Schu- machet, Oberbaudirekror in Hamburg, und Martin Wagner, Stadtbaurat in Berlin, gewür- digt. Sie standen für einen neuen Typ von lei- tenden Kommunalbeamten. Fachliche Kom- petenz und die Suche nach neuen Wegen in der Verwaltung kennzeichneten diese Persön- lichkeiten. Hermann Schneider, der Karlsru- her Baubürgermeister, kann ohne Einschrän- kungen in die Reihe dieser Personen eingeord- net werden. Ein Grund für die nur regionale Bekanntheit von Schneider und für die unge- nügende Rezeption seiner Person und Tätig- keit kann seine berufliche Herkunft gewesen 145 sein: er war kein Architekt, sondern Bauinge- nieur und war mehr Initiator und Umsetzer als Planer. Auch seine politische Herkunft als Konservativer - er war Mitglied der Zen- trumspartei - und fehlende ptogrammatisch ausgerichtete Publikationen haben vielleicht dazu beigetragen. Karl Pflästerer, Urheber des Gesamtkon- zeptes für Rappenwört, ist ein Beispiel der Kontinuität in der Karlsruher Stadtplanung von der Zeit der Weimarer Republik, über die des Dritten Reiches bis hin zu den Anfängen der Bundesrepublik. Seine Persönlichkeit be- stimmte seit Mitte der 30er Jahre bis nach dem Zweiten Weltkrieg die fachliche Arbeit, beginnend von den gestalterischen Beiträgen im Enrwurf zum Generalbebauungsplan 1926, über die unzähligen Baufluchtenpläne, Enrwürfe zum Ausbau der Stadt Karlsruhe bis zur Wiederaufbau planung Ende der 50er Jahre. Mit dem 1919 erfolgten Eineritt in das städtische Hochbauamt beginnt seine bis 1954 dauernde Berufslaufbahn bei der Stadt- verwalrung Karlsruhe . . Ab 1924 nahm das Tiefbauamt seine Dienste für die Erarbeitung des Generalbebauungsplans in Anspruch, was dort zum systematischen Aufbau des "Stadter- weiterungsbüros" unter seiner Leitung führte. 1947 wurde ihm die Leitung des Stadtpla- nungsamtes übertragen. Walter Merz, Architekt der Vogelwarte, wurde Anfang 1928 beim städtischen Hoch- bauarnt in Karlsruhe eingestellt, um am Dam- merstock-Projekt mitzuarbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete er das Hochbauamt und von 1955 an bis zu seinem Ruhestand 1961 hatte er die neugeschaffene Position ei- nes dem Oberbürgermeister zugeordneten Referenten inne. Dabei unterstand ihm das Stadtplanungsamt, das Hochbauamt und das Bauordnungsamt. Über Robert Amann, den Architekten für die Hochbauten im Rheinstrandbad, ist wenig bekannt. Er trat 1911 ins städtische Hochbau- amt ein, wurde 1913 Stellvertreter des Amts- leiters Beichel, nach dessen Pensionierung 1938 er die Amtsleitung bis 1948 übernahm. Rappenwört wird in den nächsten Jahr- zehnten wahrscheinlich wieder in den Mittel- punkt der Planungspolitik der Stadt Karlsruhe rücken. Sollte wieder einmal eine Bundesgar- tenschau stattfinden, so kann der "Rheinpark Rappenwört" ein reizvoller, weiter entwickel- ter Bestandteil dieser Unternehmung werden. HARALD RI NGLER Landesbildstelle Baden Neues Gebäude - neue Aufgaben Die im Januar 2001 in ein Gebäude des ehe- maligen Grenadierkasernenblocks umgezoge- ne Landesbildstelle Baden gehört zu den ältes- ten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland. Schon 1918 waren Freiburg, Karlsruhe und Mannheim Mitglieder des in Stettin lokalisier- ten Bilderbühnenbundes. Das vorwiegend privatrechtlich organisierte Bildstellenwesen bekam 1934 im Zuge der Vereinheitlichung und Zentralisierung des Schulwesens unter dem Nationalsozialismus eine völlig neue und für das Deutsche Reich flächendeckend orga- 146 nisiene Struktur von Landesbildstellen und Stadt- bzw. Kreisbildstellen. Dieses Verbund- system prägt heute noch das Bildstellenwesen. Im Unterschied zu den anderen Bundes- ländern, die ihre Landesbildstellen in nachge- ordnete Ämter überfühnen, blieben in Baden und Württemberg die Rechtsformen der selbstständigen Körperschaft erhalten. Beide Landesbildstellen, die badische und die wün- tembergische, blieben auch nach der Grün- dung Baden-Württembergs jeweils für ihre angestammten Landesteile zuständig. 1957 erlässt der Landtag das "Gesetz über die Versorgung der Schulen mit Filmen, Licht- bildern und Tonträgern". Dieses Gesetz, sei- nem Inhalt entsprechend das erste Bildstellen- gesetz, weist den beiden Landesbildstellen Ver- sorgungsfunktionen zu. Erst die Gesetzesno- vellierung von 1991 berücksichtigt in ihrem Aufgabenkatalog pädagogische Dienstleistun- gen wie Fon- und Weiterbildung von Pädago- gen und außerschulischen Bildungsmultipli- katoren im Medienbereich, Aufgaben der Me- dienbegutachtung in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport und - was für die damalige Zeit weit vo- rausschauend war - Aufgaben der Erprobung und Innovation neuer Informations- und Kom- munikationstechnologien sowie deren Trans- fer an Schulen und Bildungseinrichtungen. Des weiteren wurden auch traditionelle Aufga- ben des Verleihs, der technischen Beratung von Schulen und Bildungseinrichtungen, Ko- pierdienste von schulrelevanten Fernseh- und Rundfunksendungen und schließlich fotogra- fische Dienste zur Führung von landeskund- lichen Bildarchiven wahrgenommen. Von 1934 bis 1974,40 Jahre lang, war die Landesbildstelle Baden in Karlsruhe im ehe- maligen Prinzessin-Wilhelm-Stift in der So- phienstraße 39/41 untergebracht, wo sie auch die Fliegerangriffe heil überstanden hat. Für den Verlust des Verwaltungsarchivs und des Landesbildslellc: Baden, Sophienslraße 39/4 1, 1955 Dienstgebäude der Landesbildstelle Baden. Rastatter Straße 25. 1978 Altbestands des Bildarchivs gibt es die Vermu- tung, dass diese Teile während des Krieges nach Straßburg gekommen seien, wo maß, wie die dortigen Aktennachrichten belegen, eine oberrheinische Landesbildstelle aufbauen wollte. Der Umzug 1974 nach Rüppurr in die Rastatter Straße 25, in die ehemalige Hem- den fabrik Stecher, wurde notwendig, weil die Aufgaben der Landesbildstelle kontinuierlich 147 Neues Gebäude der Landcsbildstelle Baden, Molrkcmaße 64 , März 2001 wuchsen und somit der Raumbedarf. Der Me- dienbestand vergrößerte sich und mit ihm der Zulauf von Benutzern. Vor allem die pädago- gischen Aufgaben, wie sie 1991 ins Gesetz auf- genommen wurden, entwickelten sich mit der Medien- und Kommunikationstechnik. Das war das Aufkommen der Ton- und Videokas- setten - später auch der Disketten und CD's. Seit 1991 wird zunehmend die Zulassung von außerschulischen Benutzern diskutiert. Heute ist die Landesbildstelle Baden längst eine öffentliche Einrichtung, die jedem offen steht, der einen gültigen Personalausweis von Baden-Württemberg vorweisen kann. Medien waren lange Zeit mehr oder weni- ger die Stiefkinder der Schulpädagogik. Dies änderte sich bei der Diskussion über die Ge- walt in Medien, die zum öffentlichen Thema wurde. Erstmals bekam die Arbeit der Bildstel- len eine politische Dimension. In diesem The- menfeld wurde die heute noch bestehende Kinder- und Jugendvideothek eingerichtet. Dieses Angebot mit pädagogisch ausgewählten Medien wurde bundesweit zum Modell. Mehr als 5.000 eingeschriebene Kinder und Jugend- liche benutzen die Videothek, die in Koopera- tion mit der Karlsruher Jugendbibliothek ge- führt wird. Damit zählt sie zu den größten in Deutschland. Der zweite Anstoß für die Fortentwicklung des Bildstellenwesens kam durch die neuen interaktiven Medien. Die digitale Revolution wurde zur Herausforderung für das gesamte Schulwesen. Mit Medienoffensiven der lan- desregierung soll Anschluss an die sich atem- beraubend entwickelnde Informations- und Kommunikationstechnologie gefunden wer- den. Die Landesbildstelle Baden hat schon seit 1996 sich dieser Entwicklung geöffnet und die Parrnerschaft mit dem Universitätsrechenzen- trum erreiche. Seitdem gehört die Karlsruher Medienanstalt zu den führenden in Deutsch- land. Ohne die traditionellen Aufgaben zu vernachlässigen, konnte in der Landesbildstel- le Baden ein "Bildungsdienst" aufgebaut wer- den, der Lehrer, Schüler und bildungsinteres- sierte Bürger in die Informationsflut des Inter- nets lehrplankonform und bildungsrelevanc einführe. Die Ausleihe und Distribution von Medi- en wird mehr und mehr zur Moderation von Information aus dem Internet. Diese Entwick- lung wird sich noch weiter verstärken. Die technischen Möglichkeiten der Infor- mationsbeschaffung sowie deren Strukturie- rung sind nur in Kooperation mit bildungs- verwandten Einrichtungen zu nutzen. Die ins Netz gestellten Bildungsinhalte sind letztlich enrscheidend - nicht allein die Technik. Koo- perarionsparrner sind Universitäten, Hoch- schulen, Bibliotheken, Museen und Theater. Bei dieser Entwicklung wurde auch das Haus in Rüppurr zu klein. Mit dem Umbau der Grenadierkaserne, Moltkestraße 64, wurde der bisherige Nutz- raum von 2.000 m' mehr als verdoppele. In fünf vernetzten Übungs räumen können dort Lehrerinnen und Lehrer mit neuester Kom- munikations- und Informationstechnik ver- traut gemacht werden. Weitere Übungsräume 148 und ein Internet-Raum, den jedermann be- nutzen kann, stehen neben den traditionellen Einrichtungen, wie Ausleihe und Medienma- gazine, Bildarchiv und Schulfunktechnik der Nutzung offen. Die Ausleihe wird durch ein elektronisch gesichertes Freihandmagazin er- leichtert. MiTtelpunkt des Hauses ist ein gro- ßer Veranstaltungssaal: ein Raum der Begeg- nung mit dem medialen Kulturwirken wie Musik, Malerei, Theater und Literatur. Auf der großen Bühne steht auch ein Konzertflü- gel. Seit Dezember 2000 ist die Landesbild- stelle Zentrum und Archiv der Jugend- und Schulkunst. Dort sollen künstlerische Produk- te aus dem Kunstunterricht und auch aus den außerschulischen Kunstschulen archiviert und für Ausstellungen bereitgehalten werden. Die neue Landesbildstelle versteht sich als ein Haus der Begegnung im Bildungs- und Kunstbereich im weiten Sinne. Durch den Anschluss im World-Wide-Web ist die Lan- desbildstelle ein Haus ohne Grenzen. GÜNTER STEGMAlER Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951 Ein Aktivist vor der Spruchkammer Am 19. Januar 1948 verhandelte die Karlsru- her Spruchkammer VI unter Vorsitz von Wirt- schaftsprüfer Heinrich Weill gegen einen 1903 geborenen arbeitslosen Hilfsarbeiter, NSDAP- Mitglied seit 1925 und 1934 Träger der "Blut- fahne" beim Nürnberger Parteitag. Der Be- troffene, so die Bezeichnung für all jene, die sich nach dem Gesetz zur Befreiung von Na- tionalsozialismus und Militarismus einem Spruchkammerverfahren stellen mussten, war also ein "alter Kämpfer". Sein Vorstrafenregis- ter, dazu etliche teils illustrierte Zeitungsbe- richte, schließlich die Zeugenaussagen seiner politischen Gegner wiesen ihn zudem als be- rüchtigten Schläger aus, der keinen Propagan- damarsch und kaum eine Saalschlacht ausließ. Dass er hierbei auch Prügel bezog, zeigte ein dem badischen NS-Organ "Der Führer" ent- nommenes Foto. Der Aktivist war hier mit Bandagen um Kopf und Arm sowie Blessuren im Gesicht zu sehen. 1933 hau e Gauleiter Robert Wagner den bislang beschäftigungslo- sen Schläger zum Hilfspolizisten ernannt. Von nun an war er an Verhaftungen jener beteiligt, mit denen er sich bisher Saalschlachten gelie- fert hatte, begleitete gar Visiten Wagners ins nahe Konzentrationslager Kislau. Nicht nur den politisch Verfolgten, sondern auch seinem privaten Umfeld gegenüber benahm sich der Betroffene fortan wie ein "kleiner Führer", terrorisierte die Nachbarschaft und machte hierbei selbst vor Parteigenossen nicht Halt. Damit wurde er selbst seinen Fördern in der Parteileitung untragbar. 1937 schloss ihn Wagner auf massive Intervention des Stadtrats Peter Riedner wegen schädigenden Verhaltens aus Partei und SA aus. Diesen Hinauswurf stellte der Betroffene nun im Spruchkammer- verfahren als Resultat seines Widerstands ge- gen die Parteihierarchie dar, eine Strategie, die beim Kammervorsitzenden Weill um so weni- ger verfing, als es dem öffentlichen Kläger ge- lungen war, immerhin zwölf Belastungszeugen aufZubieten. Enrsprechend eindeutig gesraltete 149 sich die Beweislage. Und so konnten Heintich Weill und seine vier Beisitzer den frühen NS- Aktivisten in die Gruppe 11 der Belasteten einstufen und eine fünfjährige Lagerhaftsrra- fe, den Einzug von 80 Prozent des Vermögens sowie ein Betätigungsverbor für die nächsten acht Jahre verhängen. Das mit Hilfe eines An- walts angestrengte Revisionsverfahren bestä- tigte diese Entscheidung, doch erreichte der Betroffene im Dezember 1949 seine Entlas- sung aus dem Ludwigsburger Lager auf dem Gnadenweg. Entnazifizierungspläne der Alliierten Der geschilderte Fall war in mehrfacher Hin- sicht ein Ausnahmefall. Weit seltener als 1946 konnte in der Spätphase der Entnazifizierung 1948 eine Einstufung als Belasteter oder gar H auptschuldiger durchgesetzt werden, die noch dazu nicht nur auf den ohnehin im Mel- debogen eingeräumten Belastungsmomenten beruhte. Dazu war dieses mündlich verhandel- te eines von insgesamt 263 Verfahren gegen Haup"äter, während di~ Masse der insgesamt über 54.000 Karlsruher Entnazifizierungspro- zesse schriftlich entschieden wurden. Doch was genau bedeutete Entnazifizierung? Welche "Nazis" galt es zu ent-nazi-fizieren und, dies die erste Konsequenz, aus ihren Ämtern zu entfernen? Wer entnazifizierte? Und wie voll- zog sich diese politische Säuberung im Span- nungsfeld von amerikaniseher Direktive, öf- fentlicher Meinung und lokalpolitischem Neubeginn? Schließlich: wie ist die Entnazifi- zierung rückblickend zu beurteilen - als mög- lichst schnell zu vergessender Fehlschlag oder doch wenigstens als Teilerfolg? Die Entnazifizierung, englisch denazifica- tion, war eines jener alliierten Kriegsziele, die sich neben Demilitarisierung, Dekartellisie- rung und Demokratisierung hinter der be- kannten Formel der ,,4 0" verbargen. A1ler- dings war dieser Minimalkonsens der Konfe- renz von Jalta (Februar 1945) wenig mehr als eine Absichtserklärung, denn eine konkrere, gar einheitliche Planung der Umsetzung soll- te daraus nicht entstehen. Entsprechend ent- nazifizierte vom Frühjahr 1945 jede Besat- zungsmacht nach ihren eigenen Interessen und Vorgaben: rigide und mit einem gewissen missionarischen Eifer die Amerikaner; bis zur Anpassung an deren Sysrem 1947 eher prag- matisch Franzosen und Briten, die angesichts der prekären Situation im eigenen Land auch andere Prioritäten setzten; schließlich im Sin- ne der politischen Umgestaltung ihrer Zone die sowjetische Besatzungsmacht. Sollte hier unter dem Deckmantel der Entnazifizierung ein Austausch der politischen wie der Funkri- onseliten vollzogen werden, so beabsichtigten die westlichen Alliierten die Ausschaltung füh- render Nationalsozialisten, hingegen die Wie- dereingliederung der weniger kompromittier- ten Mitläuferin die entstehende demokrati- sche Gesellschaft. Erste Säuberungen in Karlsruhe Karlsruhe wie insgesamt das nördliche Baden war vom 4. April bis 7. Juli 1945 Teil der fran- zösischen Besatzungszone und erlebte zunächst wenig systematische Entlassungen. Dies sollte sich mit dem Einzug der Amerika- ner grundlegend ändern. Ihre Position unter- strich die neue Besatzungsmacht mit einem allgemeinen Fraternisierungsverbot und einer weit konsequenteren Säuberungspolitik. Die- ser Kurs musste sogar noch verschärft werden, als die bisherige Praxis in der US-Presse in die Kritik geriet. Die in Reaktion auf diese Vor- würfe am 26. September 1945 beschlossene Direktive N r. 8 war dann jedoch zugleich der Wendepunkt in der amerikanischen Säube- rungspolitik. Ende November 1945 entschloss man sich, die erwachsene Bevölkerung insge- 150 Gautag der NSDAP in Karlsruhe 1937. Parade vor dem Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, in der Kaiserstraßc am Marktplatz. samt einem gesetzlich geregelten Verfahren zu unterwerfen, um sodann all jene gleich oder nach Ablauf einer Bewährungsfrist in ihre Ämter und Positionen zurückkehren zu lassen, die nicht gänzlich kompromittiert schienen. Politisch unbelastete Deutsche sollten an der Entnazifizierung mitwirken, zudem Anfang 1946 an der Formulierung eines eigenen Säu- berungsgesetzes. Badischer Vertreter in diesem Gremium des Länderrats war der von Landes- bezirkspräsident Heintich Köhler entsandte frühere Mannheimer Rechtsanwalt August Neuburger, der mit seinem Vorschlag der Ein- fuhrung einer Kategorie V ("Vom Gesetz nicht betroffen") wesentlich zur Verfahrensvereinfa- chung beitrug. Am 5. März 1946 unterzeich- neten die Ministerpräsidenten der Länder Bayern, Württemberg-Baden und Hessen so- 151 wie der amerikanische stellvertretende Militär- gouverneur Lucius D. Clay in München das in zähem Ringen erarbeitete Gesetz zur Befrei- ung von Nationalsozialismus und Militaris- mus. Der Aufbau der Spruchkammern War damit eine innerzonal einheitliche Rege- lung getroffen, so standen die Regierungen der Länder nun vor der Aufgabe, neben dem da- zugehörenden Apparat jene Laiengremien ein- zurichten. denen die Entnazifizierung nun oblag: die Spruchkammern. Von Mitte März an bereiste der genannte August Neuburger auf der Suche nach Personal, Räumlichkeiten und Büroausstattung jene insgesamr 16 Städ- te Nordbadens, in denen solche Kammern eingerichtet werden sollten. Die feierliche Ver- eidigung der künftigen Kammervorsitzenden. öffentlichen Kläger und Beisitzer konnte be- reits am 18. April im Karlsruher Konzerrhaus stattfinden. und dies obwohl die Anforderun- gen hinsichtlich der politischen Vergangenheit dieses Personals die Suche kaum leicht ge- macht hatten. Vorzugsweise sollten NS-Opfer und Angehörige des politischen Widerstands geworben werden. Tatsächlich leitete in Karls- ruhe ein 1933 nach Frankreich emigrierter und als Sozialdemokrat und Spanien kämpfer 1940 bis 1945 in Gurs und schließlich im KZ Dachau inhaftierter Anwalt die Lagerspruch- kammer. vier seiner Vorsitzendenkollegen so- wie ein öffentlicher Kläger galten der NS-Ras- sedoktrin nach als Juden. In der Praxis wurden jedoch in erster Linie die sehr viel zahlreiche- ren Personen verpflichtet. die als Nichtpartei- genossen für unbelastet galten. Die Kammer- votsitzenden und Kläger waren faktisch laien- richter oder -staatsanwälte. die jedoch über keine juristische Vorbildung verfügen muss- ten. August Neuburger war es allerdings ge- lungen. nahezu alle nordbadischen Kammern mit Juristen zu besetzen j wie dies laut Gesetz vom 5. März lediglich für die Berufungsin- stanz votgeschrieben war. Er fand diese unbe- lasteten Juristen im Kreise seiner einstigen Anwaltskollegen. der ihm bekannten Richter und Staatsanwälte. die sich aber nicht in je- dem Fall freiwillig verpflichten ließen. Im- merhin mussten sie ihre Anwaltskanzlei ver- nachlässigen oder die Doppelbelastung einer gleichzeitigen Tätigkeit im Justizdienst auf sich nehmen. Der Spruch der Kammer lautet ... Wie vollzog sich nun die Entnazifizierung in einer Stadt wie Karlsruhe? In der Osterwoche 1946 hatten zunächst sämtliche Erwachsenen einen 14 Fragepunkte umfassenden Meldebo- gen auszufüllen und in doppelter Fertigung bei Polizei oder Bürgermeisteramt abzugeben. Da künftig nur Lebensmittelkarten erhielt. wem die Einreichung des Meldebogens quit. tien worden war, konnte ein hoher Grad an Mitwirkung. nicht zwingend jedoch an Ehr- lichkeit vorausgesetzt werden. Immerhin wurden in der Folgezeit mehr als 3.000 Karlsruher wegen Meldebogenfäl- schung angezeigt. weil sie entweder unvoll- ständige oder unzutreffende Angaben gemacht hatten. Mitunter entging jedoch auch man- cher - selbst plumpe - Fälscher der Aufmerk- samkeit der Auswerter. Jeder eingereichte Mel- debogen. nicht zu verwechseln mit dem seit Ernst von Salomons gleichnamigen Roman weit bekannteren Fragebogen, wurde eigens gesichtet und überprüft. Die anfänglich nur vier Auswerter der Karlsruher Spruchkammer harten binnen weniger Monate immerhin fast 200.000 Formulare zu bearbeiten. Nach Abschluss der Prüfung erhielten knapp 'A. insgesamt 142.000 Personen einen Postkartenbescheid mit dem Vermerk: "Vom Gesetz nicht betroffen". der für sie die Entna- zifizierung beendete. Die übrigen gut 54.000 wurden. je nach formaler Belastung. in eine der folgenden Kategorien eingereiht: Haupt- schuldige (I). Belastete (11). Minderbelastete (111). Mitläufer (IV) und. dies allerdings erst nach Abschluss eines Verfahrens. Entlastete (V). Die in Gruppe I-III sortierten Betroffe- nen. Parteimitglieder lange vor dem 30. Januar 1933. Funktionsträger. Nutznießer. erst recht Verbrecher gegen die Menschlichkeit. wurden im mündlichen Verfahren verhandelt. die üb- rigen. per schriftlichem Sühnebescheid erle- digt. In Karlsruhe erhielten gut 30.000 eine entsprechende Mitteilung. faktisch eine Ver- fahrenseinstellung gegen eine zumeist geringe Geldbuße. die einem Wiedergutmachungs- fonds zufließen sollte. 24.000. etwa ein Ach- tel aller Meldepflichtigen und zu weit über 80 152 Die Vereidigung der nord badischen Spruchkammern "".pradll du LaDdMprllldnkD 0.. 11. Köhler _ MI.a!.k'lal •• l Nel,lbw!ler Ohn dia Du.chlQhl'Vll\l du DeDlIlllzlen.nlll.c..ulz« Was erwartet die Welt? V". ku,.~", hefnde" ,ich V.rtte ... .01" ;a' .... ".ti .... l... C ..... k ..... floba .. d.. In! .i... 1 .. , •• - .... i .. 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Schließlich forderte die amerikani- sche Militärbehörde einen allwöchentlichen Erfolgsbericht, und der musste vor allem ein hohes Quantum erledigter Fälle aufWeisen. Die eigentlichen "Führer der Provinz": Kreis- leiter Willi Worch, Ministerpräsident Walter Köhler, Innenminister Kar! Pflaumer, post- hum sogar Gauleiter Robert Wagner, dazu hohe Beamte der badischen Ministerialbüro- kratie und der Justiz, sie alle blieben erst einmal aufgespart, um dann 1948 in einer vom beginnenden Kalten Krieg geprägten Schlussstrichstimmung von Verfahrensverein- fachungen zu profitieren. Zwar suchte man- cher Kammervorsitzende dieser Ungleichbe- handlung gegenzusteuern; auch quittierten nicht wenige Beisitzer aus Protest ihren Dienst. Eine Verwässerung der einst strengen Praxis konnten sie indes kaum verhindern. Nicht zuletzt aus diesem Grund war der ein- gangs geschilderte Fall eine bemerkenswerte Ausnahme. ANGELA BORGSTEDT 153 "Mit dem Gesicht nach Deutschland" Das Schicksal der Karlsruher Familie Marum im Exil Geboren 1914, 1928 Mitglied der SPD, 1932 Jurastudium, 1933 nach Frankreich emigriert, 1939 KPD-Mitglied, seit Kriegsausbruch u. a. in den Lagern Le Vernet und Les Milles inter- niert, 1942 Auswanderung nach Mexiko, 1947 Rückkehr nach Deutschland in die sowjetisch besetzte Zone, Arbeit als Journalist und Abtei- lungsleiter im DDR-Außenministerium. Sta- tionen einer Biographie, wie sie die Gewalt- herrschaft der Nazis in Deutschland vielfach zur Folge hatte. Nachlesen kann man sie im Biographischen Handbuch der deutschspra- chigen Emigration nach 1933, wo Tausende zerstörter Lebensplanungen und Zukunfts- hoffnungen versammelt sind. Die genannten Daten markieren das Leben eines in Karlsru- he geborenen Mannes: Hans Marum, ältester Sohnes von Ludwig Marum. Sie sagen aber wenig über das Leid aus,_ das ihm und der gan- zen Familie dieses von den Nazis 1934 in Kis- lau ermordeten vormaligen badischen Sozial- demokraten, Landtagsabgeordneten, Landes- ministers, Staatsrats und Mitglieds des Reichs- rags zugefügt wurde. Noch während der Haft- zeit Marums wurde der Familie durch unge- rechtfertigte Steuernachforderungen die Fort- führung ihres bürgerlichen Lebens unmöglich gemacht, es musste eine deudich kleinere Woh- nung bewgen und zahlreicher Hausrat verstei- gert werden. Die Suche nach einer neuen Un- terkunft erschwerte die Weigerung vieler Woh- nungseigentümer. an Juden zu vermieten. Nach der Ermordung Marums erhielt die Ehe- frau vom Staat eine Rechnung für Schutzhaft- kosten. Da sie sich weigerte zu bezahlen, ließ der Karlsruher Gestapochef die Auszahlung einer Lebensvetsicherung blockieren, so dass sie nachgeben musste. Da sich so für die Fami- lie die Sicherheit des täglichen Lebens auflös- te, blieb der Ehefrau Marums und ihren drei Kindern zur Bewahrung ihrer Selbstachtung vor weiteren Demütigungen durch das NS- System und als Juden zur Rettung ihres Le- bens nur der Weg aus Deutschland in ein un- gewisses Schicksal im Exil. Emigration mit dem Gesicht nach Deutschland Flucht und Vertreibung gehören unabdingbar zu den Begleiterscheinungen diktatorischer Regime und gewaltsamer Konfliktausrragung, so auch zum Nationalsozialismus. Annähernd eine halbe Million Menschen emigrierten aus Deutschland während des Dritten Reiches, darunter etwa 280.000 Juden. Alle antisemiti- schen Maßnahmen der Nazis zielten letztlich auf die Vertreibung der Juden. Aber der anti- jüdische Feldzug, der Kampf gegen den Kul- turbolschewismus, gegen "Pazifismus" und "Internationalismus" meinte zugleich alle Er- scheinungen der künstlerischen Avantgarde und der linken politischen Kultur. Da aber unter den Intellektuellen und Künstlern die Juden zahlreich vertreten waren, fielen bei ei- nem kleineren Teil der Emigranten rassische und politische Motive für die erzwungene Flucht aus der Heimat zusammen. Die Mit- glieder der Familie Ludwig Marums zählen gewiss ebenso zu den Emigranten aus rassi- schen wie zu den etwa 30.000 Emigranten aus politischen Gründen. Vor allem die politi- schen Emigranten lebten "Mit dem Gesicht nach Deutschland". So hat es Otto Wels aus- gedrückt, der Fraktionsvorsitzende der SPD, der 1933 im Reichstag in einer mutigen Rede 154 für die SPD als einziger Partei das Ermächri- gungsgesetz Hiclers abgelehnt hatte. Die Hoff- nung, wieder nach Deutschland zurückkehren zu können. erlosch zuletzt, auch wenn etwa Thomas Mann schon 1938 erkennen musste, "dass die Deutschen sich mit Hitler und Hit- ler sich mit Deutschland identifiziert hatten". Zahlreiche, vor allem politische Emigranten sahen sich denn auch nicht als Ausgestoßene und passive Opfer des NS-Regimes, sondern als aktive deutsche Hitlergegner, für die das Exil nicht nur ein persönliches Schicksal, son- dern auch eine polirische Aufgabe bedeutete. Den nach 1945 zurückgekehrten Emigranten vorzuwerfen. sie seien "vaterlandslose Gesellen", war daher ungerechtfertigt. Der genaue Blick auf Einzelschicksale und sinnlose menschliche Tragödien wie sie die Familienmitglieder Ma- rum trafen, erweisen den Vorwurf als scham- lose Verunglimpfung des politischen Gegners in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Exil der Marums in Paris Nach dem Mord an Ludwig Marum fanden sich bis 1936 die Familienmitglieder in Paris ein, damals ein wichtiges Zentrum der poli- tisch-intellektuellen Emigration aus Deutsch- land. Hans war schon im April 1933 über Straßburg dorthin gegangen. Seine Mutter folgte ihm im April 1934 mit der noch nicht funf2ehnjährigen Schwester Brigitte, seine äl- tere Schwester Elisabeth kam nach Abschluss einer Ausbildung als Krankengymnastin in Berlin, wo sie im März 1933 noch ihr erstes juris tisches Staatsexamen abgelegt hatte, 1936 in die Stadt. Sie traf dort ihren Freund den Juristen Heinz Lunau wieder, den sie im Juli 1937 heiratete. H ans hatte kurz zuvor Sophie Gradenwitz, die Tochter eines Rabbiners und studierte Germanistin geheiratet, die Ende des Jahres einen Sohn zur Welt brachte. Brigitte hatte mit Peter Hollaender, ebenfalls ein Emi- grant aus Deutschland 1938 einen Freund ge- funden. Das weitere Umfeld der Verwandten umfasste insgesamt erwa 50 Personen: Juden und Nicht juden, Sozialisten, Kommunisten und Parteilose. Wenn man so will, ein Mikro- kosmos der deutschen Emigration in Frank- reich. . Die Situation der "Kernfamilie" Marum in Paris steUte sich vor Kriegsbeginn in wenigen Worten etwa so dar: Johanna lebte bescheiden von den Erträgen der ausbezahlten Lebensver- sicherung ihres Mannes mit ihrer Tochter Bri- gitte. Diese hatte Gelegenheitsarbeit als Sekre- tärin, ihr Freund Peter Hollaender arbeitete in einer Buchhandlung. Elisabeth verdiente den Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit als Krankengymnastin - den Emigtanten war das Arbeiten offiziell nicht erlaubt. Heinz setzte seine schriftstellerische Tätigkeit fort - 1936 war in Brüssel ein Buch über die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit durch die Nazis und 1939 eines über die Politik des Völkerbundes erschienen. Sophie arbeitete schwarz als H aus- angestellte, H ans hatte eine Anstellung beim Büro des Jüdischen Weltkongresses, der haupt- sächlich jüdische Flüchtlinge unterstützte. Beide beteiligten sich an den Aktivitäten der Exil-KPD. Internierungen im Zweiten Weltkrieg Der Kriegsausbruch am I. Seprember 1939 brachte für die Familien einschneidende Ver- änderungen. Es folgre zunächst die monate- lange Trennung der Ehepartner durch die in- ternierung der Männer in weit entfernten Or- ten. Hans blieb bis zu seiner Auswanderung 1942 in verschiedenen Lagern u. a. in Le Ver- net. Heinz und Peter erhielten Anfang 1940 den Status eines Prestatär, d. h. sie wurden in eine militärische Hilfstruppe eingereiht. So- phie zog Ende Dezember 1939 als Leiterin eines Schullandheims der Quäker nach Char- 155 Inhaftierte im Internierungslager Le Vernet 1940/41, mes-sur-Rhöne/Ardeche, wohin ihr ihre Mut- ter mit ihrem Sohn folgten. Elisabeth, die mit Heinz vom Kriegsausbruch in Saint-Tropez überrascht wurde, wo sie zum Urlaub bei Ver- wandten eingeladen waren, saß dort wegen des Reiseverbots für Ausländer fest. Als Heinz im März 1940 erstmals seit Oktober seine Frau wieder sehen konnte, telegraphiert er: .. Kom- me heute, Sonntag, auf Urlaub. Glückseligkeit. Marum". Mit dem AngriffHitlers auf Frankreich am 10. Mai 1940 und dessen Niederwerfung in sechs Wochen verschlechterte sich die Situation der Flüchtlinge weiter. Ab dem 12. Mai wur- den nun neben den Männern auch alle deut- schen Frauen interniert. Brigitte, Johanna und Elisabeth trafen sich im Juni in dem Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen, das sie bereits im Juli wieder verlasssen konnten. Sophie blieb von der ,Internierung verschont, da sie ein Kleinkind zu versorgen hatte. Allerdings ver- lor sie nun ihre Stellung und musste ihren Sohn in ein Heim in Limoges geben. Elisabeth kehrte nach Saint-Tropez zurück, Brigitte ging nach Toulouse, wo Peter und Sophie in einem alten Pferdestall hausten. Heinz Lunau erleb- te eine turbulente Zeit und eine erneute lange Trennung von Elisabeth. Er kam im Mai/Juni als Prestatär in Le Mans zum Einsatz und musste über Bordeaux mit einem Schiff nach Casablanca fliehen. Dort wurde er wieder in- terniert und fand nach der Ausmusterung im Oktober Arbeit auf einem Bauernhof. Auswanderung nach Übersee und Tod im KZ Nach der Freilassung der Marum-Frauen aus Gurs richteten sich nun alle Bemühungen neben der alltäglichen Sorge um den lebens- unterhalt, um ein Dach über dem Kopf und um warme Kleidung für den Winter, darauf, die für die Flucht vor den Nazis nötigen Papie- re für die Ausreise zu bekommen. Auswande- rungsvorbereitungen, Schiffspassagen und rlie Angst, nicht mehr aus Europa wegzukommen, bestimmten nun den Lebensrhythmus. Um die Vorbereitungen zu beschleunigen, übersie- delten Johanna, Sophie und Brigitte im März 1941 nach Marseille, wohin Elisabeth ihnen folgte. Heinz betrieb seine Auswanderung von Casablanca aus, während Hans in das Lager Les Milles verlegr wurde. Einer Auswanderung standen aber hohe bürokratische Hürden entgegen. Man benötigte eine bezahlte SchifTs- passage, deren Erhalt an ein Einreisevisum für ein Aufnahmeland gebunden war. Dessen Dauer war begrenzt - für die USA vier Mona- te - wie auch das erforderliche französische Ausreisevisuffi. Benötigt wurden ferner: ärzt- liches Attest, Ausfuhrerlaubnis für das Reise- geld, bei Internierten zusätzlich Führungs- zeugnis und Entlassungsschein. Für all das musste man Dokumente besorgen, abschrei- ben und beglaubigen lassen. Das kostete Zeit und Geld und man benötigte Reisegenehmi- gungen. Ohne finanzielle und andere Unter- stützung von Hilfsorganisationen und Freun- den oder Verwandten in den Aufnahmelän- dern war das nicht zu schaffen. Für die Ma- rums waren von besonderer Hilfsbereitschaft Elisabeths Jugendfreunde aus Karlsruhe, Paul und Susie Schrag, die 1937 nach New York 156 ausgewandert waren. Elisabeth und ihre Mut- ter erreichten nach etwa einem Jahr Bangen im September 1941 auf der "Navemar" New York, Heinz ging nach teils zermürbendem Warten im Dezember 1941 dort an Land. So- phie und Hans waren erst im April 1942 mit Sohn und der wenige Monate vor der Abreise geborenen Tochter in Mexiko am Ziel. Im Gegensatz zu diesem bei allem Unglück guten Ende nahm die Geschichte für Brigitte und Peter ein tragisches Ende. Brigitte, die 1941 hochschwanger in Marseille zurückbleiben musste, gebar Ende Juli ihren Sohn Pierre. 1942 musste sie ihn, da sie keine Arbeit und kein Geld mehr hatte, in das Heim in Limoges geben. Versuche, in die Schweiz zu flüchten, misslangen. Im Januar 1943 wurde sie bei ei- ner Razzia in Marseille verhaftet und im März von Drancy bei Paris in das KZ Sobibor trans- portiert, wo sie unmittelbar nach der Ankunft vergast wurde. Ihr Freund Peter, der Vater des Kindes, von dem sie sich getrennt hatte, kehr- te Ende März 1941 wahrscheinlich auf Drän- gen der KPD nach Deutschland zurück, um im Untergrund tätig zu werden. Die Gestapo fasste ihn aber schon nach zehn Tagen. Er kam im April 1942 im KZ Sachsenhausen um. Das Baby der beiden überlebte glücklichetweise mit den Kindern von Limoges, die in die Schweiz gebracht werden konnten. Nach Kriegsende gelangte Pierre mit einem Kindertransport nach Palästina, wo ihn eine Familie adoptierte. Emigration als Teil des "anderen Deutschland" Das Beispiel der Familie Marum mag stellver- tretend den Selbstbehauptungswillen des "an- deren Deutschland" gegenüber dem Ungeist der Vernichrung belegen. Das Wissen um die Rückwanderung nach 1945 und deren Bedeu- tung für den Aufbau eines demokratischen Staates in Deutschland kann und sollte allerdings weder bei den Betroffenen noch bei den Nachgeborenen die vielen persönlichen Opfer und Tragödien der Emigration überla- gern. Denn die Vertreibung ganzer Volksgrup- pen aus ihrer angestammten Heimat, mit der Umschreibung "ethnische Säuberung" auf eine ebenso glatte wie menschenverachtende Formel gebracht, ist bis in unsere Tage vielfach geübte Praxis zur Konsolidierung der Macht innerhalb von Diktaruren oder bei der Okku- pation fremden Territoriums. MANFRED KOCH Am Oberrhein: Alltag, Handwerk und Handel 1350-1525 Vor etwas mehr als 30 Jahren fand im Schloss in Karlsruhe eine sehr erfolgreiche Ausstellung statt, an die sich viele Karlsruher heute noch gern erinnern. Sie hieß "Spätgotik am Ober- rhein" und breitete a11 die Schätze an kirchli- chem Silber, an Graphik, Bildhauerei, Glas- malerei und Textilien aus, die im nHerbst des Mittelalters" eine wohlhabend gewordene Be- völkerung zu Gottes und zur eigenen Ehre hat herstellen lassen. Inzwischen hat sich das Interesse der For- schung und der Museumsbesucher auch ande- ren Dingen zugewandt: Wie haben die Men- schen damals gelebt? Wie war ihr Alltag? Da- 157 neben ziehen Mittelalterfeste - von denen manche wenig mit der Realität des Lebens im Mittelalter zu tun haben - Tausende von Zu- schauern in ihren Bann. Fremd und vertraut, fern und anziehend zugleich ist vieles in der mittelalterlichen Stadt. Das beginnt mit einem ganz grundle- genden Aspekt des Zusammenlebens in einer mittelalterlichen Stadt: die Bürger verwalten ihre Stadt selbst. Sicher, nicht jeder Einwohner der Stadt ist Bürger, und das Gleichgewicht zwischen Patriziern und Bürgern ist überall erwas anders austariert. Aber die Bürger sind in Zünften organisiert und auf diese Weise bestimmend für oder doch aktiv eingebunden in das politische Geschehen. Wehrhafte Städte Politik: das kann ein Vertrag mit einer anderen Stadt über gegenseitige Zollerleichterungen bedeuten oder den Kampf um den Erhalt der Reichsunmittelbarkeit, d. h. der unmittelbaren Unterstellung unter den' Kaiser. Das kann der Beitritt zu einem Münzbund sein, der durch die Festsetzung eines bestimmten Silbergehalts und eines bestimmten Gewichts die jeweiligen Münzen vergleichbar macht und damit den Handel erleichtert; oder auch der Entschluss, einen Adligen anzugreifen, der die Stadt durch Überfälle auf die eigenen Kaufleute mit Gei- selnahme und Lösegelderpressung schädigte. Welche Bedeutung solche Auseinanderset- zungen für einzelne Städte hatten, lässt sich erwa am Beispiel der Stadt Hagenau ablesen, die von 1359 bis 1473 sechzehn länger dau- ernde Konflikte auszutragen hatte, meist mit Adligen, aber auch mit der Stadt und dem Bischof von Straßburg. 1m Einzelfall dauetten sie über 20 Jahre. In allen diesen Fällen und natürlich auch bei größeren Auseinandersetzungen, in die Städte am Oberrhein hineingezogen wurden, bedeutete das ganz persönlichen Einsatz und ganz persönliche Gefahr: die eigenen Bürger bildeten das Militär der Städte. In Straßburg ist der Aufbau dieser Organisation gut überlie- fert. Am Ende des 14. Jahrhunderts verfügte die Stadt über eine Truppe von erwa 1800 Mann, die im Bedarfsfall durch bezahlte Sol- daten aufgestockt werden konnte. Die Orga- nisation lief über die Zünfte und die ConstD- feln, in denen die patrizischen Bürger zusam- mengefasst waren. Diese bildeten die beritte- nen Verbände, während die Zunfthandwerker die Fußtruppe stellten. Für ihre Ausrüstung mussten sie alle selbst sorgen. Für einen Fuß- soldaten bedeutete das die Anschaffung eines Kopfschutzes (Beckenhaube oder Eisenhut), eines Kettenhemdes mit Manschettenkragen und einem Unterleibschutz aus Kettenge- flecht, dazu kamen Brustblech und Armschie- nen, Handschuhe und ein Beingewand. An Waffen hatte er entweder einen Spieß oder eine Mordaxt bereitzustellen, dazu ein Schwert. Musterung und allgemeine Überprüfung der Ausrüstung fanden mindestens jährlich statt. Aus Steuergeldern erwarb und verwahrten die Städte daneben weitere Waffenvorräte in Zeughäusern: ein Verzeichnis aus Basel von 14151istet unter anderem 250 Plattenharni- sche, 164 Panzerhemden, 324 Armbrüste mit über 6.000 Bolzen, dazu Schilde, Spieße und Feuerwaffen auf. Der regelmäßige Wachdienst auf der Mau- er, organisiert über die Zünfte, gehörte ebenso zu den Pflichten der durch ihren Eid (Bürger- eid) gebundenen Bürger wie die Mithilfe im Brandfall. Auch hier wurden die Aufgaben nach Zünften verteilt, die Zimmerleute z. B. mussten ihre Beile und Äxte zur Brandbe- kämpfung mitbringen. Und wehe, einer hätte die Rettung seines eigenen Hab und Gut für wichtiger angesehen! Empfindliche Strafen waren für solche Fälle vorgesehen. 158 Das bedeutendste Frachtschiff auf dem Rhein war der so genannte Oberländer. Er hatte keine Segel : am Mast wurden die Treidellcinen befestigt. Regulierung des städtischen Lebens In welchem Maß der Rat der Stadt jeweils das Leben innerhalb der Mauern organisierte und regulierte, lässt sich den städtischen Ordnun- gen enmehmen, die aus vielen Städten des spä- ten Mittelalters überliefert sind, so auch aus Srraßburg. Dort werden in der Zunft- und Po- lizeiordnung der Friedensbruch zwischen Bür- gern und Fremden oder auch zwischen zwei Bürgern geregelt, die Organisation des Spitals und des Leprosenhauses ("Gudeutehaus), Gewerbeordnungen der Bäcker, Metzger, Fi- seber u. a., das Betderwesen, Torhut und Müns- terwacht, Markt- und Mühlenordnungen und vieles andere mehr. Kein Wunder, dass es eine zunehmende Zahl von Ämtern in den Städten gibt: in Ba- sel wissen wir von der Kanzlei mit dem Stadt- schreiber, von dem Wachtmeister und dem Torhüter, vom Kaufhausschreiber für die städ- tische Güterverwaltung, dem Werkmeister für den städtischen Bauhof und dem Büchsen- meister für das Bauwesen. Andere städtische Ämter waren z. B. das des Waagmeisters, des Kornmessers, des Brotschauers. Manche klei- neren Aufgaben erlaubten auch Handwerkern, deren Einkommen nicht ausreichte, ein Zu- brot: Schneider und Pförmer, Seiler und Bote, Glöckner und Leinenweber sind Beispiele, die sich in Heidelberg nachweisen lassen. Bauen in der Stadt Mit den städtischen Ämtern entstehen auch städtische Bauten. Ob Rathaus mit Kanzlei 159 (Basel). ob Kaufhaus (Colmar) oder Zeughaus (SchIertstadt) oder Kornhaus (Thann). sie ver- treten im Grunde alle einen Bautypus. In der Regel war im Erdgeschoss eine große Halle. Das Obergeschoss wurde als Versammlungs- raum genutzt (z. B. auch als Tanzhaus) und hatte oft eine Stube abgeteilt für Sitzungen im kleineren Kreis. oder es diente als Lagerfläche ebenso wie das mehrstöckig unterteilte Dach; Ladeluken und Seilwinden ermöglichten den Waren transport. Dass in den engbebauten Städten des Mit- telalters überhaupt Platz für solche Gebäude gefunden wurde. "verdankte" man wohl der Pest. Als 1347-1351 der "Schwarze Tod". die erste große Pestwelle im Mittelalter durch Europa zog. starb etwa ein Drittel der Bevöl- kerung. Damit verödeten Grundstücke. gan- ze Stadtviertel fielen wüst. Dazu karnen als po- tentielle Bauplätze jüdische Synagogen. Nach der Vertreibung der Judengemeinden. nach- dem es in der Pestzeit zu schrecklichen Pogro- men gekommen war. bauten Freiburg (1424) und Speyer (1534) an diesen Stellen jeweils ihren Werkhof mit Z~ughaus. Schlenstadt nütze das Areal als Bauplatz fur ein Kaufhaus. Was fur die Großbauten gilt. trifft auch fur die Privathäuser zu: Sie konnten fur die unter- schiedlichsten Gewerbe genutzt werden. von Kaufleuten. Geistlichen. Handwerkern oder auch Gastwirten. In allen Häusern diente das Erdgeschoss dem Gewerbe des Bewohners. als Werksra[[J als Kontor, zur Repräsentation. Die beheizbare. holzgetäfelte Stube. die Kammer und - bei reichen Familien - der Saal lagen im Obergeschoss. ebenso die Küche. Bei dreige- schossigen Häusern war oft das zweite Ober- geschoss nicht mehr vollständig zum Wohnen ausgebaut. sondern diente partiell als Lagerflä- che. ebenso wie Keller und Dach. Nur in Aus- nahmefällen lassen Quellen erkennen. ob ein Anwesen von einer Familie bewohnt. oder teil- weise vermietet war, was wohl häufig vorkam. Die kleineren Handwerker oder gar Tagelöh- ner konnten sich kein eigenes Haus leisten. Die Anlage von Kellern hängt stark vom Un- tergrund ab. Bei nassem Boden. wie in Basel. gab es gar keinen Keller. in Freiburg wurde er - zum Teil zweistöckig - nachträglich abgetieft. Der Wandel in der Ausstattung ist schwe- rer zu fassen. als der ästhetisch-modisch be- dingte Wandel vom "Oberdeutschen" zum "Fränkischen" Fachwerk. Sicher ist. dass höl- zerne Wandverkleidungen. abgehängte Boh- lendecken sowie rauchfrei vom Gang aus be- heizte Kachelöfen in der Stube früh zum Stan- dard gehörten. Die gereihten Fensteröffnun- gen sind innen in einer breiten Fensteröffnung zusammengefasst. Hier macht sich nun der technische Fortschritt deutlich bemerkbar: die billigere Produktion von Fensterglas. beson- ders von runden, leicht zu transportierenden "Butzenscheiben" ermöglichte es. zunehmend mehr Fenster zu verglasen. die zuvor nur mit Leinwand oder Holzläden verschlossen waren. Im ländlichen Bereich muss man noch sehr viel länger mit so einfachen Fensterverschluss- Lösungen rechnen. z. B. auch bei der Stube ei- nes Weinbauernhauses aus Auggen bei Neuen- burg. die 1556/60 erbaut wurde und noch ganz mittelalterlichen Traditionen folgt. Sie wurde - da fur den Abriss bestimmt - in das Badische Landesmuseum überführt. Ernährung Weinbau war eine sehr wichtige Einkommens- quelle am Oberrhein. zu beiden Seiten des Flusses, wenn auch der elsässische Wein im- mer als der bessere galt. Den konnten sich aber die wenigsten leisten - dafur wurde er bis nach England und in den östlichen Hanseraum ex- portiert. Der Alltagswein hatte wohl wenig mie dem Getränk zu tun, das wir unter diesem Namen kennen. Und das Essen? An erster Stelle stand da der Brei. nicht umsonst enäh- 160 Das älteste erhaltene Kanenspiel aus der Zeit um 1430 stammt vom Oberrhein. Bald soll ten die gedruckten Kar- tenspiele ihren Siegeszug antreten. len die Märchen vom Hirsebrei. Getreidebrei braucht sehr viel weniger Enetgie zur Herstel- lung als Brot, war also billiger. Aber auch Mus (davon das Wort Ge-Müse) aus Linsen, Erb- sen oder Bohnen war ein wichtiger Nahrungs- bestandteil. Die Nonnen des Klosters Günters- tal zum Beispiel aßen abwechselnd grünes und gtaues Erbsenmus und einmal in der Woche Gerstenbrei. Brot und Wasser wurde immer- hin den Stadtarmen gereicht (Spitalordnung von Konstanz). Man muss sich Roggenbrot darunter vorstellen, das - doch den Zusam- menhang kannte man nicht - immer wieder durch Mutterkorn verunreinigt war und so Ergotismus verursachre. (Die damals ,,Antoni- 161 usfeuer" genannte Krankheit ließ die Glied- maßen bei lebendigem Leib abfaulen). Nur an besonderen Tagen oder bei entsprechendem Einkommen gab es helles Dinkelbrot. Weizen war selbst am Oberrhein noch sehr selten, da er viel anfälliger ist als andere Getreidesorten. Mit einem geschätzten Ertrag von 5 : 1 lag üb- rigens die Getreideernte am Oberrhein leicht über dem mitteleuropäischen Durchschnitt. Dennoch blieben auch hier Hungerjahre auf Grund von Missernten nicht aus. Eier gab es häufig, die wurden auch dem Gesinde vorgesetzt, Fleisch nur außerhalb der Fastenzeiten, dann aber nach Vermögen - und da waren die Unterschiede beträchtlich. Ein großer Teil der Bevölkerung lebte an oder sogar unter der Armutsgrenze. Auch darum waren die Zünfte fur die Handwerker so wich- tig: sie versuchten die Arbeit gleichmäßig zu verteilen, sie unterstützten in Not geratene Mitglieder bzw. deren Witwen und Waisen. Zugleich aber waren sie Qualitätsgaranten für die Arbeit ihrer Mitglieder. Nicht nur bei Goldschmieden, wo wir das heute noch ken- nen, auch bei anderen Schmieden, bei Webern und Färbern, kurz überall überprüften Ge- schworene des Handwerks die Einhaltung der vereinbarten Normen. Die Bußen waren sehr hoch, wenn etwas fehlerhaft war. Stoffe etwa, die nicht die vor- geschriebene Webdichte hatten, wurden zer- schnitten. Damit waren Material und Arbeits- zeit verloren, eventuell drohte eine zusätzliche Geldstrafe und als letzter Schritt bei schweren und wiederholten Verstößen der Ausschluss aus der Zunft. BRIGITTE HERRBACH-SCHMIDT Die Karlsruher Majolika-Manufaktur Ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre des 100-jährigen Unternehmern Ein Staatsuntemehmen im Niedergang Die Absicht, ihren Geburtstag 1976 mit einer Ausstellung im Badischen Landesmuseum groß zu begehen, konnte nicht darüber hinwegtäu- schen, dass die Karlsruher Majolika-Manufak- tur, die in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen feiern sollte, nicht zu den Lieblingskindern des Finanzministers gehörte. Die Ertragslage des Unternehmens, das zuerst der Großherzogli- chen Zivilliste unterstanden hatte, dann dem Land Baden gehörte und schließlich seit der Gründung des Südweststaats 1952 im Besitz des Landes Baden-Württemberg war, bot ihm zu Srolz und Freude auch wenig Anlass. Was die Badischen Neuesten Nachrichten über das Geschäftsjahr 1973/74 berichtet hatten. bei dem ein Umsatz von über 3 Millionen DM erzielt worden war, galt im Prinzip auch noch zwei Jahre später: "Die Erlöse, die das Land Baden-Württemberg jährlich kassiert, sind nicht überwältigend. Es gab auch Defizite bei der Jahresbilanz, und einmal wurde ein Ge- winn von sage und schreibe 69 Pfennig regis- triert." Der anschließende Hinweis, dass "die finanzielle Seite, so wichtig sie sein mag, [ ... 1 nicht die alleinige Rolle" spiele, war letztlich nicht sehr trostreich. Denn auch auf künstlerischem Gebiet bot die Majolika-Manufaktur ein zwar vertrautes, aber nicht eben große Erwartungen wecken- des Bild. Ihre Produktion wurde von Kerami- kern und Keramikmalern bestimmt, die wie Karl Heinz Feisst, Dietmar Liedke, Fridegart Glatzle und KarlTIll schon lange, teilweise seit Jahrzehnten in ihren Diensten standen. Sie lie- ferten nach wie vor solide Arbeit und waren so wichtige Stützen des Unternehmens, warteten aber nicht gerade mit zukunftsweisenden Ideen auf und wurden wohl auch von der Un- ternehmensleitung kaum künstlerisch heraus- gefordert. Was die Karlsruher Majolika in die- sen Jahren an Neuheiten produzierte, waren in erster Linie Fliesen und Wandteller mit Blu- men und Landschaftsmotiven, die dem Ge- schmack eines breiten Publikums entgegen- kamen, künstlerisch aber nicht überzeugen konnten. Dass die Manufakmr immer noch ein in technischer Hinsicht leistungsfahiges Unter- nehmen war, belegen die zahlreichen Fremd- aufträge, die von Editionen für Buchgemein- schaften über Spezialkollektionen bis zu Jubi- läumsgeschenken und Werbeartikeln aller Art reichten und schließlich etwa 35 Prozent der Produktion ausmachten. Interessante Ergeb- nisse brachte zum Beispiel die Tätigkeit für die Büchergilde Gutenberg, die nicht nur Teller nach historischen Vorbildern bestellte, sondern auch mit Künstlern wie Franz Dewald zusam- menarbeitete, deren Plastiken und Wandteller den Mitgliedern exklusiv angeboten wurden. Der wichtigste Kunde war seit Ende der 60er Jahre die Karlsruher Firma Rettmer & Luy, die eine umfangreiche Kollektion dekorativer Lampen und Wohnaccessoires fertigen ließ. Außer unter dem Markennamen "lma-Leuch- ten" angebotene Tischlampen, Hängelampen und Wandappliken gehörten dazu Vasen, Schalen und Dosen verschiedener Größe. Dafür wurden in der Manufaktur spezielle Glasuren mit metallischem Glanz oder mar- morartiger Wirkung entwickelt. Die Kollekti- on bewies. dass unter Ausnützung der techni- schen Möglichkeiten der Majolika zeitgemäße Produktlinien zu verwirklichen waren. Auf das 162 eigene Programm der Manufaktur blieben solche Anregungen aber ohne Auswirkung. Partner gesucht - und gefunden Gegenüber der Blütezeit des "Wirtschaftswun- ders" hatte sich die Belegschaft des Unterneh- mens seit den späten 60er Jahren um die Hälf- te auf etwa hundert Mitarbeiter reduziert. Trotzdem verschlangen die Löhne den größ- ten Teil der Einnahmen. Die geringe Produk- tivität, die Ursache für das steigende Defizit war, machte Ende der 70er Jahre eine Moder- nisierung des Betriebs unabweisbar. Eine durchgreifende Sanierung hätte jedoch be- ttächtliche Investitionen erfordert, für die das Land Baden-Württemberg die Mittel nicht bereitstellte. "Um das Unternehmen zu erhal- ten und die ArbeitSplätze zu sichern" - so das Finanzministerium im Oktober 1977 - "habe sich das Land entschlossen, das Stammkapital in Höhe von 500.000 Mark an einen 'poten- ten Interessenten' zu übertragen." Diesen glaubte man in Prinzessin Theresa zu Fürsten- berg gefunden zu haben. Als die Verkaufsplä- ne bekannt wurden, formierte sich in der Karlsruher Öffentlichkeit Widerstand mit dem Hinweis, dass die Majolika-Manufaktur nicht nur ein Wirrschaftshetrieb, sondern eine mit der Stadt fest verbundene kulturelle Ein- richtung sei, die öffentliche Förderung bean- spruchen könne. Nachdem die SPD eine Pri- vatisierung rundweg abgelehnt hatte, wurde am 16. November 1977 mit den Stimmen von CDU und FDP im Gemeinderat eine Ent- schließung verabschiedet, die forderte: "Das ArbeitSplarzangebot der Manufaktur muss dauerhaft gesichert bleiben, die Zusammenar- beit der Manufaktur mit freien Künstlern muss gefördert werden. Landesregierung und Landtag müssen die vorgenannten Ziele mit einer nach Aktienrecht erforderlichen Beteili- gungshöhe sichern." Dieser Linie folgte auch der Landtag, der in seiner Sitzung vom 26. Januar 1978 den bereitS ausgehandelten Ver- kauf ablehnte. In der Gernsbacher Katz-Werke AG wurde im Lauf des Jahres 1978 schließlich ein Partner gefunden, der bereit war, 74,8 Pro- zent der Aktien zu erwerben, während das Land Baden-Württemberg eine Sperrminori- tät von 25,2 Prozent behielt. Die Vereinba- rung mit den neuen Haupteigentümern, die Investitionen in Millionenhöhe zugesagt hat- ten, sah vor, eine langfristige wirtschaftliche Sicherung des Betriebes unter Berücksichti- gung seiner künstlerischen Tradition zu ge- währleisten. Auf diese Tradition verwies mit Nachdruck die große Jubiläumsausstellung, die wegen der schwierigen Forschungslage erst mit einiger Verspätung 1979 im Badischen Landesmuse- um gezeigt werden konnte. Die Verschiebung kam in der neuen Situation durchaus gelegen, rückte die Manufaktur durch die historische Leistungsschau im Schloss doch verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Der neue Vorstand ging auch zügig daran, das Unternehmen aus der Talsohle zu führen. Das Kapital wurde auf eine Million DM er- höht, vor allem aber bemühte man sich, zusätz- lich zu den bewährten Kräften, neue Künstler für das Unternehmen zu gewinnen. Dazu war vorgesehen, neben sieben 5rammateliers zwei Gastateliers einzurichten und Kontakte zur Kunstakademie zu knüpfen. Im Bereich der Serienproduktion setzte man zum einen auf anspruchsvolle, künstle- risch gestaltete Keramik, zum andern auf Ge- brauchs gerät in einem zeitgemäßen Design. Die erste Position wurde seit 1979 von Flori- an Merz vertreten, der mit einzelnen bemalten Vasen und Tellern der Manufaktur einen Weg wies, ihrem überkommenen Anspruch als kunstkeramische Werkstätte unter veränderten Bedingungen gerecht zu werden. Mit Hans Theo Baumann konnte einer der angesehens- 163 ten deutschen Designer für die Karlsruher Majolika gewonnen werden. Zwischen 1979 und 1981 schuf er eine rund hundert Model- le umfassende Kollektion von Schalen, Tellern, Vasen, Dosen und Leuchtern in klaren, wei- chen Formen, die durch das Farbenspiel ein- ander überlagernder Glasuren ihren besonde- ren Reiz erhielten . Enttäuschte Hoffnungen und ein bescheidener Neuanfang Obwohl mit der Verpflichtung von Metz und Baumann ein künstlerischer Neuanfang ver- sucht wurde und auch auf dem Gebiet der Baukeramik Verbindungen zu Bildhauern wie Jürgen Goertz und Mathias Ohndorf zustan- de gekommen waren, musste die Majolika Ende 1981 eingestehen, dass sie kein gutes Jahr hinter sich hatte. Einbrüche gab es ange- sichts starker Konkurrenz nicht nur bei den Ofenkacheln, deren noch wenig ausgereifte Produktion von der Geschäftsleitung forciert worden war, sondern auch bei den Geschenk- artikeln. Für Januar 1982 musste daher für etwa die Hälfte der rund hundert Beschäftig- ten Kurzarbeit beantragt werden, und im Frühjahr wurde der Personalstand auf80 Mit- arbeiter verkleinert. Um die Schwierigkeiten zu überwinden und in Erwartung einer weite- ren Kapitalzufuhr durch die Katz-Werke und das Land Baden-Württemberg, gewährte die Stadt Karlsruhe dem "künstlerisch bedeuten- den Betrieb, der für das Image unserer Stadt sehr wichtig ist", wie Oberbürgermeister Dul- lenkopf unterstrich, einen verlorenen Zu- schuss in Höhe von 300.000 DM. Angesichts der ungünstigen Konjunkturlage brachten die eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen jedoch nicht den erwarteten Erfolg. Die Katz-Werke AG geriet durch die Verluste der Majolika- Manufaktur 1982 selbst in Schwierigkeiten und beschloss daher, mit Ablauf des Geschäfu- jahres 1982/83 aus dem ,,Abenteuer Majolika" auszusteigen. Mit Wirkung vom I.Juni 1983 wurde das Land Baden-Württemberg wieder alleiniger Besitzer der Staatlichen Majolika- Manufaktur Karlsruhe, entschloss sich jedoch, den Betrieb nur noch "als kleine, aber hoch- qualifizierte Kunsrwerkstätce "mit etwa 25 Mitarbeitern weiterzuführen. Diese Schrump- fung rettete die Manufaktur - zumindest vor- läufig - vor dem endgültigen Ruin, bedeutete aber den bis dahin schwersten Einschnitt in ihrer Geschichte. Zum Alleinvorstand wurde Helga Wit- kowski bestellt, die schon seit 1955 im Bereich Baukerarnik der Manufaktur tätig gewesen war. Ihr gelang es, das Unternehmen mit durch- schnittlich etwa 30 Mitarbeitern allmählich zu konsolidieren und die Erträge zu verbessern, wobei sie auf das bewährte Sortiment setzte und die Neuansätze der vergangenen Jahre nicht weiter verfolgte. Ein wichtiges Standbein blieb die BaukeramIk, auch gelang es immer wieder. Künstler von auswärts zu gewinnen, ihre Arbei ten mi t der Maj olika-Man ufaktur zu realisieren. Als Helga Witkowski Ende 1994 altershalber ausschied, war der Umsatz nach anfänglicher Besserung zwar wieder auf2 Mil- lionen DM zurückgegangen, durch weiteren Personalabbau und höhere Produktivität der verbliebenen 19 Mitarbeiter konnte trotzdem ein befriedigendes Ergebnis vorgelegt werden. Im Januar 1995 wurde Gernot Wallner, Baudirektor am Staatlichen Hochbauamt Frei- burg, zum Vorstand der Karlsruher Majolika- Manufaktur berufen. Zu seinen vordringlichs- ten Aufgaben zählte die seit Jahren ansrehende Sanierung des Fertigungsbaus, für die das Land, 5,7 Millionen DM bereitstellte. Diese Maßnahme war im Mai 1996 abgeschlossen. Neben einer Verbesserung der Produktionsab- läufe ermöglichte der Umbau die Einrichtung einer Reihe von Ateliers, die an interessierte Künstler vermietet wurden. Eine Verpflich- 164 tung zur Zusammenarbeit mit der Manufak- tur war mit der Vermietung nicht verbunden. Mit der "Cantina Majolika" zog auch ein gas- tronomischer Betrieb in das Gebäude ein. Sollte auf diese Weise das Majolika-Gelän- de zu einem für Besucher attraktiven Ort ge- macht werden, so bemühte sich WaHner gleichzeitig, durch die Zusammenarbeit mit Künstlern auch im Produktions programm neue Akzente zu setzen. Mit dieser Absicht rief er die "MajolikaAktionen" ins Leben, Editio- nen in limitierter Auflage, die zwischen 1995 und 1999 mit jährlich wechselnden Gruppie- rungen von Malern und Bildhauern durch ge- fuhrt wurden. Sie sollten der Manufaktur neue Aufgaben und einen neuen Markt erschließen, auf dem freilich nur langfristig Erfolge zu er- warten waren. Die Renovierungs- und Umbaumaßnah- men im Fertigungsbau führten zu Einschrän- kungen der Produktion, so dass in den Ge- schäftsjahren 1994/95 und 1995/96 ein Um- satzrückgang auf I ,8 Millionen bzw. 1,5 Milli- onen DM hingenommen werden musste. Von den Einnahmen entfielen durchschnitrlich rund 45 Prozent auf die "Kleinkunst", I 0 Pro- zent auf Gartenkerarnik, 25 Prozent auf Bau- keramik und 20 Prozent auf Fremdaufträge. Unter den Fittichen der Landesbank Während in Karlsruhe neben der Sanierung des Manufakturgebäudes eine allmähliche Neuorientierung des Sortiments angegangen wurde, entschloss sich die Landesregierung in Stuttgart zu einer Neuordnung des Landesver- mögens, von der auch die Staatliche Majolika- Manufaktur betroffen war. Im Zuge verschie- dener Transaktionen und Fusionen, aus denen am Ende die neue Landesbank Baden-Würt- temberg hervorging, wurde auch die Majolika- Manufaktur privatisiert und zunächst in das Eigentum der Landeskreditbank, dann der neu- Florian Merz, Schale mit Frauenkopf, Staadiche Majolika-Manufaktur Karlsruhe, 1980. en Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) überführt. Das traditionsreiche Unternehmen wurde von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt, deren Geschäftsführer der bisherige Alleinvorstand Gernot Wallner wurde. Seit Ende 1999 führt das Unterneh- men neben seinem offiziellen Namen Staatli- che Majolika-Manufaktur Karlsruhe GmbH die Bezeichnung "Majolika Karlsruhe Kera- mik Manufaktur". Als Gernot Wallner zum Jahresende 1999 aus dem Amt schied, stellte die neue Eigentü- merin zum I. Januar 2000 mit Anton Goll ei- nen Betriebswirt und ausgewiesenen Marke- tingfachmann als Geschäftsführer ein. Seine vordringliche Aufgabe bestand zunächst darin, die Karlsruher Majolika in der Öffentlichkeit wieder stärker ins Gespräch zu bringen. Einen spektakulären Schritt in dieser Richtung stellte der noch mit seinem Vorgänger gemeinsam vorbereitete "blaue Strahl" dar. Als begehbare Linie aus 1.645 blau glasierten Platten führt er, einem der ursprünglich strahlenförmig vom Mittelpunkt der barocken Stadtanlage ausge- henden Wege folgend, seit dem Stadtgeburts- tag am 17. Juni 2000 vom Turm des Karlsru- her Schlosses direkt zur Majolika-Manufaktur 165 Frid~gart GI :HZI~ . Ooppclf1i~s~, S[aadich~ Majolika-Manufaktur Karlsruhe. 1976. im Hardrwald. Dem Ziel, das Unternehmen wieder stärker an die Stadt und ihre Bewohner heranzuführen, dient auch die Neugestaltung des Betriebsareals mit einer vielseitig nutzba- ren Hofanlage und großzügigen Schau- und Verkaufsräumen, in denen sich die Manufak- tur mit ihrer rraditionellen Produktion, vor allem aber mit ihren Neuerungen wirkungs- voll präsentieren kann. Diese verdanken sich vor allem der Zusam- menarbeit mit einer Reihe freier Künstlerin- nen, deren Schöpfungen bei einem breiteren Kreis Kunstinteressierter Akzeptanz finden. Ähnliches gilt für die Gartenkeramik, für die sich neue Gestaltungsmöglichkeiten jenseits der traditionellen Gartenfiguren abzeichnen. Auch auf dem Gebiet der Baukeramik konn- te die Manufaktur in den letzten Jahren ihre führende Stellung behaupten, bei der Denk- malpflege könnten neue Aufgaben auf sie zu- kommen. Insgesamt gesehen, kann die Manu- faktur daher mit gewissem Optimismus ihren 100. Geburtstag begehen - jedenfalls solange die LBBW ihr ein schützendes Dach bietet. PETER SCHMITT Di~str Bdtrag bmiut auf ~in~m /iing~rm Aufiatz in: M Bachmay~rlP. Schmitt. Kttrlsruhtr Majolika 1901- 2001, 100 Jahu Kunstk~ramik du 20. JahrJJtlnd~rtJ. G. Braun Buchvulog. Karlsrulu 2001, 240 S~itm mit 400 Farbbildrrn. Aus der Schatzkammer der Badischen Landesbibliothek Auf Grund ihrer bedeutenden Handschriften- sammlung gehört die Badische Landesbiblio- thek in Karlsruhe zu den europäischen Spit- zenbibliotheken, die zu Recht mit Stolz auf ihre Altbestände blicken dürfen. Deutlich vor Augen geführt wurde das der Karlsruher Be- völkerung im Juni 2001, als bekannt wurde, dass die älteste Handschrift des Nibelungenlie- des, die insbesondere mit Mitteln der Landes- bank Baden-Wümemberg erworben wurde, 166 in Zukunft in der Badischen Landesbibliothek beheimatet sein wird. Es handelt sich bei die- sem Kodex um den bedeutendsren Einzelzu- gang seit der Säkularisation von 1803. Voraus- gegangen waren die Ankäufe werrvoller Be- stände aus der Fürstlich Fürstenbergischen Bib- liothek durch das Land Baden-Württemberg, nämlich Handschriften (1993), Inkunabeln (1994), Musikalien (1999) und schließlich wei- terer Druckwerke Donaueschinger Provenienz (1999-2001), vornehmlich aus der Bibliothek des frühen Germanisten Joseph von Laßberg. So fügt sich Laßbergs berühmtestes Sammler- stück, der Nibelungenlied-Kodex, ausgezeich- net ein in den bestehenden Sammlungszusam- menhang der Badischen Landesbibliothek. Zur badischen Bibliotheksgeschichte Die Büchersammlung der badischen Markgra- fen dürfte wenigstens auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zurückgehen. Sicher hat das markgräfliehe Haus Bücher besessen, die seit der Erfindung Gutenbergs mit beweglichen Lettern gedruckt wurden. Das älteste bekann- te Zeugnis markgräflichen Buchbesitzes ist jedoch eine Handschrift, das so genannte Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden (1453-1527). Wie für die Biblio- thek sind für das Stundenbuch keine exakten Entstehungsdaten überliefert. Auf Grund ko- dikologischer, paläographischer und kunsthis- torischer Kriterien geht man davon aus, dass die Handschrift in lateinischer Sprache mit einer abschließenden Reihe französischer Ge- bete im ausgehenden 15. Jahrhunderr in ei- nem Pariser Atelier für Christoph von Baden hergestellt wurde. Einen bedeutenden Hinweis auf die mark- gräfliche Bibliothek gibt im Jahre 1528 eine Dankadresse des Basler Reformators Johannes Öcolampadius an den Markgrafen Philipp I. (1479-1533). Der Theologe dankt für die Ausleihe einer Handschrift aus der Stifts- und Schloss kirche St. Michael in Pforzheim Zut Herausgabe seiner Cyrill-Ausgabe, die bei dem Basler Drucker Andreas Cratander erschien. Die Handschrift stammte ursprünglich aus der Bibliothek des Humanisten Johannes Reuch- lin. Reuchlins Vermächtnis zierte seit 1523 die markgräfliehe Büchersammlung in Pforzheim. 1535 wurde die Markgrafschaft zwischen den Brüdern Philipps 1., Ernst (1482-1553) und Bernhard (1474-1536), geteilt. In der Folge widerfuhren den Büchersammlungen der bei den Linien verschiedene Schicksale, bis sie 1771 wieder in der Karlsruher Hofbibli- othek vereinigt wurden. Markgraf Karl 11. (1529 -1577) verlegte im Jahre 1565 seine Re- sidenz von Pforzheim nach Durlach, seine Bi- Codex Donaueschingcn 63: N ibelungenlied, 13. Jahrhun- dert, aus der Bibliothek Joscphs von Laßberg (1770- 1855) 167 Codex Durlach I: Ältesres Zeugnis markgräflieh bad ischen Buchbesines, Stundenbuch Christophs L, um 1500, Verkündigung an Mafia bliomek fand dort in der Karlsburg ihre neue Bleibe. Die erneute Verlegung der Residenz und damit des Bücherstandortes ins Karlsru- her Schloss geschah im 18. Jahrhundert. Lange bevor Säkularisation und Mediati- sierung reiche Güter zu Beginn des 19. Jahr- hunderts in die Karlsruher Bibliothek brach- ten, befand sich ein verschwenderisch ausge- stattetes deutsches Gebetbuch des 16. Jahr- hunderts im frühen wertvollen Bestand der Hofbibliomek. Diese Handschrift darf dem Leser ein Beispiel für die Kostbarkeiten sein, für die die Badische Landesbibliomek auch in Zukunft Sorge zu tragen hat. Das Original wird anlässlieh seiner Faksimilierung im kom- menden Jahr im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das "Gebetbuch der Markgräfin von Brandenburg" Das im Jahre 1520 entstandene Werk des noch jungen Augsburger Malers Narziss Ren- ner ist sicher bereits im Jahrhundert seiner Entstehung in badischen Besitz gelangt. Das Gebetbuch wurde für Markgraf Kasimir von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach (1481- 1527) und insbesondere dessen jungvermählte Gattin Susanna 1520 hergestellt. Die glänzen- de Hochzeit Kasimirs mit Susanna von Bayern (1502-1543) war ein gesellschaftliches Ereig- nis ersten Ranges. Sie fand statt zur Zeit des Reichstages in Augsburg im Jahre 1518 und damit in Anwesenheit Kaiser Maximilians 1., dem Onkel der Braut. Die dritte Tochter des Paares, Kunigunde, heiratete am 10.3.1551 den badischen Markgrafen Karl II. Ober Ku- nigunde (1523 -15 58) ist das kostbare Stück in das badische Erbgut gelangt. Das Jahr 1520 brachte für Kunigundes Mutter Susanna aufreibende Zeiten. Zu Jah- resbeginn stellte die Markgräfin ihre erneute Schwangerschaft fest. Sicher wird sich das Paar nach der Geburt der Tochter Maria im Herbst zuvor einen Thronfolger gewünscht haben. Für die noch dreiköpfige Familie wurde nach Auskunft der Handschrift selbst im März 1520 die Herstellung des Gebetbuches in Angriff genommen. Laut dem Zeugnis der Familieneinträge in der Handschrift wurde fünf Monate später jedoch die zweite Tochter Kamarina am 30.8.1520 geboren. Der heiß ersehnte Sohn, Albrecht, kam erst im Jahre 1522 zur Welt. Von den Zeitgenossen wurde er wegen seiner Charaktereigenschaften früh nach dem Griechen Alkibiades benannt, den auch sein Lehrer Sokrates nicht zu zügeln vermochte. MarkgrafAibrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach hat als "fürstlicher Mordbrenner" ein besonders negatives Bild seiner Persönlichkeit in der Geschichte hinrer- 168 lassen. Er fand in seinen letzten Tagen als po- litisch völlig Gescheiterter eine Zufluchtsstätte bei seinem badischen Schwager Karl und sei- ner Schwester Kunigunde, wo er 1557 in Pforzheim verstarb. Der letzte familiengeschichrliche Eintrag im Karlsruher Gebetbuch hält den Tod des knapp 35-jährigen fest, der in der Pforzheimer Stifts- und Schlosskirche St. Michael begraben wurde. Die badische Verwandtschaft Albrechts muss sich noch bemüht haben, aus dem "Sau- lus" einen "Paulus" zu machen. So gilt er in Quellen des 18. Jahrhunderts sogar als Autor eines geistlichen Liedes "Was mein Gott will, das gescheh allzeit", welches er in seinen letz- ten Lebenstagen im Badischen verfasst haben soll. Das Gebetbuch Susannas von Branden- burg ist ein besonders intimes Dokument der markgräflichen Familie. Die Wünsche des jungen Paares, Susannas Hoffnungen und Ängste als Schwangere und junge Mutter, werden in Miniaturen und Texten greifbar. So enthält die Handschrift, wohl auf besonderen Wunsch Susannas hin, ein Gebet um Beistand für Schwangerschaft und Entbindung und um ein gesundes, wohlgestaltetes Kind. Stellvertretend wird Margaretha angerufen, die Patronin der Schwangeren. Dem Betrach- ter des Kodex begegnet auf vielen Pergament- blättern Kinderspiel, und zwar in Gestalt der sich auf den Randleisten tummelnden Putten. Sie tanzen beim Flötenspiel. streiten sich um ihren Brei, reiten auf dem Steckenpferd und ahmen in vielfältiger anderer Weise die Er- wachsenenwelr nach. Codex Durlach 2: "Gebetbuch der Markgräfin von Brandenburg". 1520. Jesus und die zu Boden gestürzten Soldaten. UTE OB HOF Codex Durlach 2: Punen löffeln Brei. 169 Auch die Vaterlandsliebe geht durch den Magen! Versorgung im Krieg: Fleisch, Milch, Eier und Butter fiir Baden und seine Residenz 1915-1918 Fleisch vom Rind nnd Schwein: tigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und Stets teurer - doch die Ration bleibt klein der Bedürfnisse der Verbraucher verändert wurden. Kein Fleisch ohne Futter - nach diesem Motto war man während des Ersten Weltkrieges in Baden darauf bedacht, einerseits so viel Futter- mittel wie möglich zu sparen, indem man zum Beispiel die Weiden möglichst lang nutzte, andererseits alles mögliche, wie zum Beispiel Küchenabfälle, ja sogar Tierkadaver zur Ver- fürrerung zu nutzen - das war die Geburts- stunde des Tiermehls, das vor kurzer Zeir zur BSE-Krise führte. Dabei war zu berücksichti- gen, dass keine der ohnehin knappen Nah- rungsmirrel für Menschen an die Tiere verfüt- (ert wurden. Nach Kriegsbeginn kam es zu vielen SchIaehrungen, da das Heer versorgt werden musste. Außerdem hatten die Bauern weder genügend Futter noch ausreichend Arbeits- kräfte; deshalb gingen viele ihrer Tiere zum Schlachthof. So entstand 1914 ein Überange- bot an Schlachcvieh. Um die Viehbestände jedoch längerfristig zu sichern, wurden zahl- reiche Schlachcverordnungen erlassen. Trotz- dem ließ es sich nicht vermeiden, dass der Vieh bestand wegen des großen Mangels an Furrermitteln gegen Kriegsende immer mehr zurückging. Tierseuchen, die ebenfalls den Bestand bedrohten, konnten allerdings wirk- sam bekämpft werden. Beim Viehverkauf galten grundsätzlich Marktpreise, die sich aus Angebot und Nach- frage ergaben. Um zu vermeiden, dass Vieh- preise durch künstliche Verknappung in die Höhe getrieben wurden, setzte man Höchst- preise an, die immer wieder unter Berücksich- Von Anfang an gab es eine Konkurrenz zwischen Heer und Zivilbevölkerung um das Schlachcvieh. Deshalb wurde der Badische Viehhandelsverband ins Leben gerufen, der Ankauf, Absatz und Versand von Vieh, Kauf- preise und Aufschläge regelte. Die Badische Fleischversorgungsstelle, die zeitgleich einge- richtet wurde, hatte die Aufgabe, Bedarf und Export von Vieh zu regeln und genügend Vieh für Heer und Bevölkerung zu beschaffen. Ab 1916 übernahmen die Kommunalverbände letztere Aufgabe. Im Laufe des Krieges versuchte man, den Fleischkonsum der Bevölkerung in Restau- rants einzuschränken. Es gab auch generell fleischlose Tage und später wurden sogar fleischlose Wochen verordnet. Am 1. Mai 1916 wurde eine Fleischkarte eingeführt, die allein ein Anrecht auf eine genau festgesetzte Menge Fleisch sicherte, welche man natürlich selbst bezahlen musste; bis Kriegsende wurde diese Menge bis auf 200 Gramm pro Person und Woche gekürzt. Die Verkürzung der Schonzeiten und Er- höhung der Abschusszahlen sollte das Angebot an Wlid, bessere Fangmethoden auf dem Rhein das Angebot an Fisch erhöhen. Es blieben Tropfen auf den heißen Stein, zumal der Tro- ckenfisch den Karlsruhern nicht besonders mundete. Um speziell die Armen zu unterstützen, wurden vor allem vom Badischen Frauenver- ein Kriegsküchen eingerichtet. Hielt sich auch die Begeisterung der Bevölkerung wegen der 170 oft beklagten mangelnden Qualität des Essens in Grenzen, so wurde diese Wohlfahrtseinrich- tung doch immer mehr von den Bedürftigen in Anspruch genommen. Die Stadt Karlsruhe besaß einen eigenen Gutshof und versuchte durch einen Schweine- zucht- und Mastbetrieb in Rüppurr und am Schlachthof die Not der Menschen zu lindern. Der städtische Gutsbetrieb wurde immer wei- ter ausgebaut. Die Pachrverträge von Ackerflä- chen wurden gekündigt und selbst bewirt- schaftet, weiteres Vieh zur Zucht, Mast und Arbeit angeschafft. Ende 1917 bestellte die Stadt mit 141 Beschäftigten und allerlei Vieh 150 Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 243 Hektar. Milch, Butter, Fett - dem Mangel den Krieg erklären Fast zeitgleich mit dem Kriegsausbruch im Juli des Jahres 1914 serzte eine den Krieg überdau- ernde Lebensmittelteuerung ein. Gerade unter der immensen Milchverteuerung hatte das Volk besonders zu leiden, denn konnre man auch ohne "Luxusgüter" wie Fleisch oder Fisch zurecht kommen, eine unzureichende Versor- gung mit Milchfetten bedeutete besondets füt Kinder, Alte und Kranke oft einen besonders bitteren Verzicht. Auch Baden blieb von Milchverteuerun- gen nicht verschont - doch gelang es den ba- dischen Bauern über 1915 hinweg die Verteu- erung im Rahmen des Erträglichen zu halten. Der Grund dafür war, dass man in Baden pro Kuh durchschnittlich 500 Liter über dem jährlichen Landesdurchschnitt lag -, so gab es also anfangs noch eine kleine Milchreserve. Die Bauern versuchten zudem die Preise durch Tierzukäufe zu drücken, allerdings mussten sie die so entstandenen Mehrkosten auf den Milchpreis umlegen: Die Rechnung ging nicht auf und der Krieg tat ein Übriges. 171 '. iJleifdJuetfofguug. . . ~, I. :me 5\opfm,nge an 31,qc~ unbllllurit beträgt lfir bie fommen'Oe Wnebe 200 Qr unbjtDQt ISQ gr jJleifef) unb 50 gr Wurft, lfir 5\inber j,,,,eils bie \jä1.!1e. . 2. mlarfen Tinb 'abaugeben: '\ 3fir 40 gr 3tll(~",urlt ein. 31'ilc~mar!, 3nr40 gr 6c~la<f)tDie~fI'ilc~ mit ,inB,,,,ac~l,n," .slnocl)en alPti (jleifcl)marfen . ~ 3U, 16 B' 6c~lac~tDie~fI<ilc~ D~n, 5\no(~,n, -.Gcl;linfen, :l)auermurft, 3ungc. unb .6pecf eine 3Ieil(~ma,!,: . 3m übrigen gelten bie !BeJtimmungen unieret ·~e . f~nntItlQcl)~ng oom>27.~prif 1911. 5\od.ru~"b,n24.'llugult 1917 !Jlo~t.ng.mttt.IQmt ber Stobt 5\Qrl.ru~ •• Bekanntmachung zur Fleisch versorgung aus dem • Volksfreund • vom 25. August 1 9 17 Bekanntmachung zur Fleischversorgung aus dem "Volksfreund" vom 25. August 1917. Die Regierung sah sich zum Handeln gezwun- gen: Höchstpreise mussten her. Um den Miss- ständen bei der Milchversorgung abzuhelfen, wurden auch im Jahte 1916 weitere Maßnah- men ergriffen. Ab der Mitte des Jahres konnte man an den Verkaufsstellen Milch nur noch gegen das Vorweisen eines "Milchheftes" erlangen, auf dessen Deckblatt angegeben war, wie viel Li- ter Milch der Inhaber zu beanspruchen hatte. Immer wieder mussten die Höchstpteise für Milch, Butter und andere Fette neu festgesetzt werden. Beim städtischen Nahrungsmittelamt Karlsruhe wurde zur Regelung der Butterver- sorgung eine "Butterverteilungsstelle" einge- richtet. Auch im Jahre 1917 mussten die täg- lichen Milchportionen pro Kopf immer weiter rationiert wetden und so kam es, dass ab der Mitte dieses Jahres ein gesunder Erwachsener keinen Anspruch mehr auf Vollmilch hatte. Die strikten Maßnahmen verschlechterten die Stimmung in der Bevölkerung. Deshalb mahn- te die SPD im "Volksfreund" die Regierung, alles zu tun, was die Situation der Menschen verbessere. Denn: ,,Auch die Vaterlandsliebe geht durch den Magen." Nachdem man sich mit den geringeren Fleischportionen inzwi- schen abgefunden hatte, empfand man den Mangel an Fett als äußerst ärgerlich. Man ver- suchte deshalb die Not zu erklären und hielt Ausschau nach Schuldigen. Dabei wurden nicht selten Gerüchte in die Welt gesetzt über Schlendrian und Misswirtschaft. Trotz aller Bemühungen, sah die Situation für die Bevöl- kerung im letzten Kriegsjahr 1918 hoffnungs- los aus. Lieferungen kamen nur noch spora- disch zustande. Es war fast unmöglich gewor- den, den Überblick über die Verteilung zu behalten . Die Stimmung in der Bevölkerung war daher überaus schlecht, was durch die schon absehbare Niederlage im Krieg nur ver- stärkt wurde. Es sollte selbst nach Kriegsende noch Monate dauern, bis die Versorgung wieder einigermaßen hergestellt war. Bis dahin musste die badische Bevölkerung weiter aus- harren - aber das war sie ja schon gewohnt. Kleinvieh macht auch' Mist Im Laufe des Krieges wuchs mit den Problemen bei der Versorgung mit Rind- und Schwei- nefleisch die Bedeutung des "Kleinviehs", also von Kaninchen, Schafen, Ziegen und Geflügel - abgesehen von den Hühnern, die als Eier- lieferanten schon immer eine MonopolsteI- lung hatten. Doch trotz seiner wichtigen Stel- lung wurde am Geflügel bald gespart. Eine strenge Ausführung des Prinzips: "zuerst die Menschen" führte dazu, dass den Geflügelhal- tern kaum noch Getreide als Futtermittel zur Verfügung stand, da man fast alles für die menschliche Ernährung beschlagnahmte. So war eine Reduzierung der Geflügelbestände unumgänglich. Da kaum noch Körnerfütterung zur Verfü- gung gestellt werden konnte, versuchten die ~lt Si< cilItn ~trfudj mit Dr. Jnarti's €i·Spar= Cablttt~ll: 5<1ja.~ftr I1IÜ 6 !!cbltften 15 'Pf9· 'iJn~rrtr ;1 in !amtr,~mQlen. j~~~ Anzeige aus dem .. Volksrreund". Behörden bald, eine körnerlose Fütterung als ebenso effektiv darzustellen, was bei den Züch- tern Empörung und Sorge hervorrief. Den- noch blieb schließlich keine andere Wahl, als immer mehr zu Ersatzfuttermitteln überzuge- hen. Um diese Entwicklung zu fordern, brach- ten die höheren Stellen Broschüren über die sinnvolle Zusammensetzung des Ersatzfutters heraus, gespickt mit wissenschaftlichen Bele- gen, dass Hühner sehr wohl auch körnerlos am Leben und sogar leisrungsfähig erhalten werden könnten . Von Klee über Küchenabfäl- le bis hin zu Stroh und Schilf schien nach sol- chen Broschüren fast alles eine gute Grundlage für die Fütterung zu bieten, wenn man es nur fein genug mahle. Doch abgesehen davon, dass der erfahrene Züchter nach wie vor nicht glaubte, seine Zucht ohne Körnerfutter erfolgreich betreiben 172 zu können. fehlte diesem Ersatzfutter unbe- dingt noch ein eiweißreiches Beifutter. das je- doch nur in Form von Tiermehl und Kno- chenleimfutter vorhanden war. Doch nur in Maßen. so dass sich hier sogleich wieder das Problem der gerechten Verteilung einstellte. Die Futterknappheit war also kaum in den Griff zu bekommen. Am meisten machte den Geflügelhaltern das Problem der Nachzucht zu schaffen. Denn die Küken waren mit dem für die Alttiere verwendeten Ersatzfutter kaum groß zu ziehen und gesund zu erhalten. Hilfe vom Staat kam in erster Linie in Form von Brurmaschinen. doch die ausgebrüteten Tiere mussten ja fressen. Gegen ihren Hunger hal- fen auch die von der Landwirtschaftskammer ausgesetzten Prämien (15 Reichsmark für 50 selbsterbrütete Küken) nichts. Im Zuge all dessen wurde auch die Versorgung mit Eiern immer schlechter. denn die Bestände nahmen ja ab und die Hühner waren weniger legekräf- tig. Die Hühnerhalter konnten die geforderte Menge oft nicht abliefern. so dass es zu großen Versorgungsengpässen kam. So war bereits 1916 das Färben von Eiern zu Ostern verbo- ten. zeirweise fiel auf drei Personen gerade einmal ein Ei in der Woche ab. Ein Problem war die Nichteinhaltung der Eierablieferungspflicht. Die vorgeschriebene Menge an Eiern wurde von den Überschuss- verbänden nur unzureichend an die Bedarfs- verbände abgeliefert. (Ende 1917. Anfang 1918 gerademall 0 % der Pflichrmenge) Um dieses Problem zu bewältigen. versuchten es die Behörden mit Zuckerbrot und Peitsche. Bei Nicht-Erfüllung der Pflicht drohten safti- ge Sanktionen. bei guter oder übermäßiger Er- füllung winkten materielle oder finanzielle Blick in die Kriegsküche des Badischen Fraucnvercins in der Feschallc Karlsruhc. 173 Im Kleinen Saal der Festhalle befand sich eine der Ausgabesrcllen fUf Lcbensmirrdkanen. Prämien. Der Schwarzmarkt boomte trotz- dem. Kein Wunder: es ließen sich hier doppelt so hohe Preise erzielen. Doch auch Städte. die die Eier vom Nest weg beschlagnahmten. konnten kaum genügend Eier aufbringen. Zu groß war die Futtermittelknappheit. Der Not- stand ist aber auch auf den Mangel an Koope- ration und Kommunikation zurückzuführen. In ländlichen Gebieten konnten teilweise sogar Überschüsse produziert werden. die in den schlechter versorgten Städten aber nur selten ankamen. Der Versuch der Selbsthilfe führte unter anderem dazu, dass in guten Eierzeiten Eier eingefroren oder per Post und Bahn verschickt wurden. So erhielt schließlich die "Eiersen- dung" eine eigene Verordnung. Der größer wetdende Mangel brachte auch immer mehr Ei-Ersatzmittel auf den Markt: Teilweise eine echte Alternative, teilweise auch reine Geld- mache mit der Not der Menschen. Andere "Lieferanten" für Frischeier waren Gänse und Enten. Allerdings blieben sie nur von geringerer Bedeutung. da die Legeleistung der Hühner wesendich größer ist. Der Handel mit lebenden Gänsen und Gänsefleisch war dagegen populärer und rückte gegen Ende des Krieges besonders ins Rampenlicht. weil oft- mals erheblicher Wucher betrieben wurde und Züchter gegen Futtervorschriften verstießen. Die Kaninchenzucht gewann besonders an Bedeutung. Die enorme Anspruchslosigkeit der Tiere prädestinierte sie für die private Haltung. Der Karlsruher Kaninchenzüchter- verein warb für die Zucht und gab hilfreiche Tipps in Zeitungsartikeln. Auch die Stadt 174 unterstützte die Eigeninitiative bei der Fleisch- versorgung, indem sie Häsinnen zur Verstär- kung der Zucht ausgab oder städtische Wiesen zur Grasnutzung anbot. Durch die Haltung von Ziegen und Scha- fen konnten Privatleute ebenfalls Initiativen ergreifen. was die Stadt durch Beschaffung von Futtermitteln honorierte. Außerdem wurden Maßnahmen zur Winterlammung bei Ziegen getroffen. um dadurch die Milchversorgung auch im Wintet zu sichern. Harnsterei und Tauschhandel Wer Geld hatte. konnte sich fast alles leisten. Wohlhabende legten sich durch Hamsterkäufe einen ausreichenden Vorrat an Nahrungsmit- tel an. Sie zahlten I Mark für ein Ei. 3 Mark für ein Pfund Butter und in einem Fall 1.000 Mark für drei Schinken. Ein solches Verhalten trieb die Preise in die Höhe. So gab es über die Kurgäste und "Rei- sende" heftige Beschwerden aus der Bevölke- rung. die die Presse aufgriff: "Sie sind eine Landplage." Kurgäste. die "hamsterten". wur- den ausgewiesen; den Fremdenverkehr schränk- te man aus wirtschaftlichen Gründen jedoch nicht ein. Er war zu wichtig für die zahlreichen Gaststätten und Hotels. Dass man den gewerbsmäßigen "Schleich- handel" bekämpfen musste. darüber war man sich in Baden einig. Schwieriger war die Frage. wie man mit den "Hamsterfahrten" der klei- nen Leute aus den Städten umgehen sollte. die in sonntäglichen Fahrten auf das Land Nah- rungsmittel im Tausch gegen Konsumartikel erstanden. wie z. B. Seife gegen Schinken oder Schuhe gegen Butter. Auch umgekehrt bezahl- ten viele Bauern in der Stadt mit Lebensmit- teln anstatt mit Geld. Der Tauschhandel flo- rierte. Man beschloss diesbezüglich. die "Hams- terfahrten " der armen Bevölkerung nicht zu behindern. da sie für die Versorgung der Städ- ter lebensnotwendig waren. Pläne der Regie- rung. die privaten Verbindungskanäle zwi- schen Stadt und Land zu verstopfen. wurde von einem Großteil der Bevölkerung abge- lehnt. Auch der KarIsruher Bürgermeister sprach sich dagegen aus. ebenso wie ein Pfar- rer. der gegenüber dem Generalkommando die "Hamsterfahrten " mit der Not der Men- schen verteidigte: "Wer keine anderen Quellen hat als die amtliche Versorgung mit Nahrungs- mitteln. lebt an der alleräußersten Grenze der Lebensmöglichkeit. " Der Mangel an Nahrungsmitteln wird von den Verfassern des ;.Badischen Kochbüchleins" als Chance gesehen. sich auf eine viel gesünde- re Ernährung umzustellen, da "der übermäßi- ge Fleischkonsum. die Reichlichkeit und Häu- figkeit der Mahlzeiten über das hinausgingen. was der Mensch braucht. um kräftig und ge- sund zu bleiben." Denjenigen. die Fleisch im- mer seltener und in immer geringerer Menge im Topfe hatten. mag es zynisch vorgekom- men sein, wenn man ihre Not zur Tugend er- klärte. Die Not zermürbte die Bevölkerung und machte sie kriegsmüde. Die Sehnsucht nach Frieden und dem Ende der Entbehrun- gen trieb sie aber dennoch nicht auf die Barri- kaden. VIKTORIA ADAM, SVENIA DIEFENBACHER, JAN ERNEMANN, SIMINA GERMAN , SABINE GROH, HANNA KAISER, DAVID KUHS , ASYSA SCHWEHN Da lJorJtrhmdr Britrag ist dir ZusammmfoJSlmg (ina 695titm umfassmdm Untasuchung von acht Schü/ainnm und Schülan drs Bismarckgymnasiums. Damit gtwann dir Projrktgruppt im Jahr 2001 b~im Schülaw~ttb~wab G~schichu um dm Prt is dts Bundts- prdsidmtm tinm mit 1.000 Euro dotiatm dritun Prtis. Dit komplttu Studit kann im Stadtarchiv ting~sthtn wtrdm. 175 Wirtschaftliche Betätigung der Stadt Karlsruhe - ein Rückblick Mutige Stadtväter als erfolgreiche Unternehmer Wolfgang Leiser, geborener Karlsruher und bekannter Rechtshistoriker, bezeichnete die Gemeinden des 19. Jahrhunderts als primär private Veranstaltungen, und zwar die Landge- meinden als Markungsgenossenschaften und die Stadtgemeinden als Gewerbsgenossen- schaften. Auch im Großherzogturn Baden stand das privat-wirtschaftliche Element deut- lich vor, später neben dem politisch-bürgerli- chen Element, bis das staatliche Element im 20. Jahrhundert die Oberhand gewann. In § 3 des badischen Gemeindegesetzes 1831 wurde das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden garantiert, das auch und gerade die wirtschaft- lichen Aktivitäten umfasste. Sobald die Finanzen'es nach den schweren Kriegsjahren zuließen, nahm die Haupt- und Residenzstadt des neugeschaffenen Großher- zogturns Baden die Entwicklung urbaner Strukturen in die eigene Hand, anfangs zöger- lich, dann immer selbstbewusster. Bereirs 1812 gründete sie zunächst aus fürsorgerischen, spä- ter auch aus ökonomischen Gründen eine Leibhaus- und Ersparnißkasse, die heutige SparktZSse Kflrlsmhe, die Teil der Stadtverwal- tung bis 1893 bzw. 1925 bzw. 1932 blieb. Später gründete und beuieb die Stadt 1871 - 1896 sogar eine Hypothekenbank für die nach- rangige Finanzierung, um angesichts des ex- plosiven Bevölkerungswachstums den Bau von Wohnungen zu beschleunigen, Neue Schlacht- hatlStr wurden 1819 und 1887 gebaut sowie 1824 eine Wasserleitung von Durlach zur Ver- sorgung der 74 Trinkbrunnen im Stadt- und Hofgebiet, die wegen einer erheblichen Über- schreitung der Kosten verärgerte. Die Pflaste- rung von Straßen erfolgte auf Kosten der Bür- ger. Im Jahr 1874 legte die Stadt einen neuen Friedhof an und baute eine Kaserne, um den lIUnannehmlichkeiren und Collisionen" von Einquartierungen zu entgehen. Für alle diese Bereiche wurden eigenständige Kassen ange- legt, also die Amortisationskasse, die Leih- haus- und Ersparnißkasse, die Pflasterkasse, die Gruftenkasse, die Einquartierungskasse oder die Wasserleitungs- und die Wasserlei- tungsamortisationskasse, denen weitere Kas- sen folgten, bis zu 28 an der Zahl. Diese stan- den untereinander und mit der Stadtkasse in "Conto-Current" und gewährten sich wech- selseitig Kredite. Einen Gesamtüberblick gab es nicht, bis die staatliche Rechnungsabhör im Jahr 1858 daraufhinwies, dass die zuvor hoch verschuldete Stadt nach außen hin überhaupt keine Schulden mehr hatte. Dann aber gab es für die Stadtväter keine Bedenken mehr, neue "Unternehmen" in Angriff zu nehmen. Den Grundstein der Stadtwerke legte das WtZSserwerk im Durlacher Wald 1871, das heu- te noch in Betrieb ist, sowie der Ausbau der WtZSserleitungen in die Häuser: die Frauen mussten nicht mehr das Wasser an den Brun- nen holen. Manche Aufgaben erfüllte man kommunal, manche privatisierte man. Als der Gestank bei der Abortgrubenentleerung in den Häusern mittels Eimern unerträglich wurde, übertrug man 1866 diese Aufgabe der Düngerabfilhrgesellschaft mit ihrer Dampf- pumpe, bis zum Anschluss der Schwemmka- nalisation 1915 an das Klärwerk. Sie besorgte einige Jahre auch die Abfuhr des Kehrrichts 176 und der Haushaltsabfälle. bis die Stadt 1889 die Haushaltsabfuhr in die eigenen Hände nahm. Die Gasproduktion fur die Beleuchtung begann 1845 durch die Firma Marlow & Man- by. dann durch andere Firmen. bis schließlich die Stadt dieses Gaswerk 1869 übernahm und 1886 ein neues Gaswerk im Osten baute. das erst beim Bezug von Erdgas 1972 aufgegeben wurde. Auch beim Schienenverkehr ergriffen Priva- te die Initiative, ermuntert und begleitet von der Stadt. Diese Infrastruktureinrichtung wur- de immer wichtiger, weil die Arbeiter in die Fabriken kommen mussten und Karlsruhe eine kräftige Industriestadt zu werden begann. Eine private Pferde- und Dampfsrraßenbahn fuhr von 1877-1900 vornehmlich auf der Strecke Durlach bis Mühlburg. 1900 begann die Elektrifizierung durch die AEG. aber es klappte nicht so. wie die Stadt es wollte. die dann den Betrieb 1903 übernahm und moder- nisierte. weil- so die Begründung von Ober- bürgermeister SchnetzIer - eine öffentliche Straßenbahn "dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollte"; den Vorbetreibern wurde nämlich unterstellt, sie hätten zu Lasten von Verbesse- rungen zuviel aus dem Betrieb entnommen. Aber der Versuch. alle Schienenverkehre zu- sammenzuführen. gelang damals noch nicht. Das "Lobberle" von Durmersheim nach Spöck und die Albtalbahn vom Ettlinger Tor bis nach Etrlingen wollte der Bürgerausschuss trotz der wohlbegründeten Vorlage von Oberbürger- meister Karl Siegrist im Jahre 1913 nicht über- nehmen; sie blieben zunächst privat. Auch die Turmbergbahn DlIrlach wurde 1888 von einer privaten Aktiengesellschaft erbaut. sie fiel mit der Eingemeindung Durlachs 1937 an die Stadt und wurde dann in die Verkehrsbetrie- be Karlsruhe integriert. Einen ähnlichen Weg ging später das "Schlossgartenbähnle" von der privaten Gründung bis zur Eingliederung in die VBK. In der Entwicklung des Schienen- verkehrs gibt es im 20. Jahrhundert beachtens- werte Fortsetzungen. Ab dem Jahr 1870 wurden die Stadtväter sehr mutig. Sie bauten den Stadt garten und den anfänglich privaten Zoo zu einer großen, aber noch getrennten Anlage. sie bauten 1890 eine Radfohrbahn um den See neben dem Laurcrberg und sie errichteten eine Festhalfe, die bis zu ihrer Kriegszerstörung an der Stelle der heutigen Schwarzwaldhalle stand; ferner eine Ausstellungshalle (Stadthalle) sowie das Konzerthaus. die allerdings erst 1915 fertig ge- stellt werden konnten. Diese Gebäude legten den Grundstein fur ein Kongresszentrum am Festplarz. Ein neues Krankenhaus wurde 1907 an der Moltkestraße erbaur. und die Stadt un- terhielt zwei Krankenversicherungen. die 1893 in die neue Sozialversicherung integriert wur- den. Am Rande sei erwähnt. dass auch die Schulen Gebühren erhoben und "Miete" zah- len mussten. Die Stadtväter waren tatkräftige Unterneh- mer vor allem in einem Bereich, den man in Karlsruhe heute noch umfassend Stadtwerke nennt; gemeint sind neben Straßenbahn. Gas und Wasser auch die Stromerzeugllng und die Rheinhäftn. Beide wurden etwa zur gleicher Zeit 1901 und nahe beieinander erbaut. Sie sind heute noch Stürzen der städtischen Infra- struktur. Zum ersten Rheinhafen in Maxau (das noch nicht zu Karlsruhe gehörte) baute die Stadt die Rheinbahn. die später an den Staat verkauft wurde. Der Vollständigkeit hal- ber sei angemerkt. dass die Stadt in dieser Zeit auch die Kraichtalbahn nach Eppingen voran- trieb und für die Badische Staats eisenbahn vorfinanzierte. Bei allen diesen städtischen Aktivitäten wurde streng aufWirrschafrlichkeit geachtet. denn mit den knappen Steuermitteln konnte man solche Werke nicht subventionieren. Die Stadt verschuldete sich nicht zuletzt wegen ihrer Unternehmen sehr hoch. nämlich mit 52 177 Mio. Goldmark im Jahre 1913. Das Gesamt- budget betrug mit 25 Mio. nur knapp die Hälfte; dagegen beträgt die heutige Gesamt- verschuldung mit ca. 1.5 Mrd. DM weniger als die Hälfte der gesamtstädtischen Ausgaben in Höhe von weit über 3 Mrd. DM; auch nach Einwohnerzahl und Währungsrelation war die Verschuldung seinerzeit vergleichbar höher. Aber diese Verschuldung drückte nicht! Denn allein die Stadtwerke bedienten die Hälfte dieser Schulden mit Zins und TIlgung und konnten dazu noch einen Überschuss in etwa gleicher Höhe zur Finanzierung des all- gemeinen Etats beisteuern (je etwa 1.5 Mio. Goldmark). Strom. Gas und Wasser. aber auch die Straßenbahn erwirtschaftete Gewinne. und selbst das städtische Krankenhaus arbei- tete noch anfangs des letzten Jahrhunderts kostendeckend (notabene heute nach einer langen Durststrecke auch wieder). VergeseUschaftung und Privatisierung - .. Flucht aus dem Budget" Im 20. Jahrhundert w~rden die Gemeinden zunehmend Teil des Staates. Der Sozialstaats- gedanke ergriff auch die wirtschaftlichen Un- ternehmen. Ihr Wirken wurde als Teil der Da- seinsvorsorge angesehen, die am besren und sogar am günstigsten von der Stadt erfüllt werden sollte; der .. Municipalsozialismus" soll- te verhindern. dass Private die Bürger ausbeu- ten. Erst etwa ab den 1980er Jahren zeigte sich eine starke Tendenz. wirtschaftliche Aktivitä- ten aus dem Stadtverband herauszulösen und die Vorteile privaten Wirtschaftens zu nutzen. Aber geradlinig lief dieser Prozess nicht: ha- bent sua fata - auch die Unternehmen der Stadt haben ihre eigenen Schicksale. Die Stadtwerke als wichtigstes Beispiel waren Regiebetriebe. d. h. ihre Aktivitäten wa- ren im städtischen Haushalt veranschlagt. der Gemeinderat bestimmte bis ins Einzelne. Im Jahre 1935 wurde die Rechtsform des Eigenbe- triebs eröffnet und ständig weiterentwickelt. Die Stadtwerke blieben nur noch netto. d.h. mit ihrem wirtschaftlichen Ergebnis im Haus- halt. die Werkleitung erledigte die laufenden Geschäfte und der Werkausschuss des Ge- meinderats hatte übergeordnete Leitungsfunk- tionen. Die Festsetzung der Tarife oblag dem Gemeinderat. Mit der Fernwärmeversorgllng eröffneten die Stadtwerke 1961 einen neuen Betriebszweig. Aber es gab auch gegensätzliche Tendenzen: ein großer Ölhafen wurde 1963 in Betrieb genommen. und 1967 hat man den hafeneigenen Umschlagsbetrieb wegen hoher Verluste vollständig an die Privatwirtschaft (KALAG) abgegeben. Erst in den neunziger Jahren folgte die Stadt Karlsruhe dem allgemeinen Trend. die Werke in rechtlich selbständige Unternehmen auszugliedern. Das Kapital blieb zu 100 % bei der Stadt (Eigengesellschaft). mit Ausnahme der Versorgungsbetriebe. an denen sich das Baden- werk und die Ruhrgas mit zusammen 30 % des Kapitals bereiligten (Beteiligung). In einer Holding werden seit 1997 alle Zweige zusam- mengefasst. Die einzelnen Unternehmen ha- ben Tarifhoheit. Der Anlass für die allgemeine Ausgrün- dungsweIle war vor allem der bevorstehende Wettbewerbsdruck. der nach der wirtschaftli- chen Leitidee der Europäischen Union bald alle Zweige erfass t haben wird. neben der En- ergie auch den Verkehr und das Wasser. Privat- wirtSchaftIich geführte Unternehmen könnten sich rascher an die Marktlage anpassen und technische Verbesserungen schneller umset- zen. Die Städte müssen MonopolsteIlungen aufgeben. z. B. durch die Öffnung ihrer eige- nen oder durch die Duldung fremder Leitun- gen im städtischen Straßenraum. Die güns- tigste Versorgung der Einwohner soll durch ei- nen Wettbewerbsrahmen sichergestellt wer- den; z. B. im öffentlichen Nahverkehr durch 178 D~r Sf3dt. Rh~inhar~n (0.) und d~r Betriebshof d~r St3dt. V~rk~hrsb~tri~bc an d~r Tulla-Sualk vor d~m Erst~n W~hkrieg (u.). Vorgabe der Linienführung, des Zeittal<rs oder der Wagen ausstattung. Auch ökologische Rah- menbedingungen können vorgegeben und die Sorge wegen der Sozialisierung der Verluste soll durch den Wettbewerb vermindert wer- den. Das Unternehmen, das alle Forderungen erfüllt, soll bzw. muss den Zuschlag erhalten im Zweifel sogar vor den eigenen Betrieben (!), wenn es mit einem geringeren Zuschuss aus- kommt. Aber nicht nur die Stadtwerke haben sich von der Stadt entfernt. Auch das Klinikum wurde über einen Eigenbetrieb besonderer Art bereits im Jahre 1994 in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. Die Begründung war ähnlich wie bei den Stadtwerken, und dazu befürchtete man unübersehbare Probleme aus der Entwicklung und der Finanzierung des Gesundheitssektors. Das erfordere, so die Be- gründung, eine hohe Beweglichkeit nach allen Seiten. Das Kongress- und Messewesen ging zu- nächst mit, dann neben der Stadt aber eigene Wege. Im Vorfeld der Bundesgartenschau 1967 wurde die Kongress- und Ausstellungs- geseIlschaft KKA GmbH (heute KMK) gegrün- det, für die die Ausstellungshallen am Festplatz erneuert und erweitert wurden. Den Ge- schäfuzweigAusstellungen will man zukünftig durch das Gemeinschaftsunternehmen Nette Messe zusammen mit der Region vor den To- ren der Stadt erheblich ausweiten. Die inter- 179 kommunale Zusammenarbeit ist allgemein ein starkes Motive für Ausgliederungen. Hinter den offen vorgetragenen Begrün- dungen für Ausgliederungen wird auch eine Kritik an den politischen Rahmenbedingun- gen kommunalen Handelns erkennbar. Die politischen Kräfte in den Rathäusern sind be- strebt, das kommunale Geschehen vor Ort auf dem Hintergrund ihrer eigenen Vorstellungen zu beeinflussen, eine verständliche und in ei- ner pluralistischen Gesellschaft auch legitime Verhaltensweise. Das aber erzeugt bisweilen irrational anmutende Prozesse. Andererseits gibt es einen Druck der Öffentlichkeit, die Vorteile rationalen und zugleich dezentralen Handelns zu nutzen. Das technokratische Ele- ment in der Verwaltung soll gestärkt werden, aber zugleich möchten Gemeinderat und Bür- germeisteramt Gestaltungsrechte behalten. Die neuen Steuenmgsmodelle (NSM) sind ein solcher Versuch, der noch nicht abgeschlossen ist, aber schon befriedigende Ergebnisse zei- tigt, z.B. bei der Enrwässerung, der Feuerwehr oder der Bäderverwaltung. Doch immer wieder entsteht die Tendenz zur Flucht aus dem Haushalt; so sollen z. B. die städtischen Bäder demnächst rechtlich selbständig und den Stadrwerken angeschlos- sen werden. Auch bei anderen sozialen oder technischen Einrichtungen gibt es Tendenzen zur Verselbständigung. Beispielsweise wurden 1995 die Altersheime in eine rechtlich selb- ständige kommunale Stiftung, die Heimstif tung, umgewandelt, mit gewissen kommuna- len Einflussmöglichkeiten. Vorbild war eine erfolgreiche ehemals private Pfründnerstiftung unter der Verwaltung der Stadt, die Karl-, Friedrich-, Leopold- und Sophienstiftung (KFLS) . Weitere Formen des kommunalen Handelns, vom Rathaus abgerückt, gibt es in der Form von Zweckverbänden, dem Zusam- menschluss von Gemeinden zu gemeinsamen Aufgabenlösung, z. B. im Bereich des Abwas- sers oder der Konversion des Flughafons Söllin- gro, der den ehemaligen Fluglandep/arz Forch- heim ablöst. Ein solcher Weg war auch für die Abfallentsorgung der Region denkbar. Im Er- gebnis kam aber eine eindeutige Privatisiert/ng der Abfollbeseitigung durch das Badenwerk (EnBW) zustande, die diese Verpflichtung durch eine technisch völlig neuartige Thermo- selectanlage erfüllen will . Die Tendenz zur Bewältigung von Auf- gaben im kommunalen Bereich durch privat- wirtschaftliche Lösungen in verschiedenen Abstufungen ist deutlich. Es hat den An- schein, als enrwickle sich Karlsruhe wie auch andere urbane Zentren von der Leistungs- zur Steuemngsstadt (van Laatz). Wie weit dieser Prozess schon vorangeschritten ist. zeigt die Zahl der Beteiligungen. Wenn man den Betei- ligungsbericht der Stadt Karlsruhe 2000 etwas modifiziert, dann ist die Stadt an 32 bedmtm- den rechtlich selbständigen Unternehmen, Stif- tungen und Zweckverbänden unmittelbar oder über ihre Unternehmen mittelbar beteiligt. Davon standen vor 30 Jahren bei den Beteili- gungen nut die Volkswohnung GmbH und die Albtalverkehrsgesellschaji, die aus privaten An- fängen hervorgingen, sowie die KKA und die Flughafengesellschaft KFG. Dieser Trend wird durch die Zahl der "ausgelagerten" Mitarbei- ter unterstrichen, die in diesen Rechtsformen tätig sind, nämlich über 10.000 Ende des Jah- res 2000, während in der Kernverwaltung heute "nur" noch knapp 5.000 Mitarbeiter- innen und Mitarbeiter geführt werden. Ob die Entwicklung so weitergeht oder ob das Pendel wieder einmal in die andere Rich- tung ausschlägt, nämlich von der "Flucht aus dem Budget" zur "Flucht ins Budget", das ist die Sphäre der politischen Zukunftsvision. Sie hat nichts mehr zu tun mit einem Rückblick, der sich so wohltuend auf Tatsachen stützen kann. GERHARD SEILER 180 Lesegesellschaften in Karlsruhe 1784 - 1850 Der Beginn bürgerlicher Selbstorganisation Im Zuge der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft entstanden am Ende des 18. Jahr- hunderts mit dem Vereinswesen die ersten Formen bürgerlicher Selbstorganisation. Lese- gesellschaften kam dabei eine Vorläuferfunk- tion zu. Einer der wichtigsten Impulse für de- ren Gründung im 18. Jahrhundert war ein ra- sches Anwachsen des Lesepublikums bei er- höhter Zeitungs- und Bücherproduktion. Das gestiegene Interesse an Information hatte ei- nen funktionalen Zweck: Bildung war ein Schlüsselfaktor im gesellschaftlichen AufWärts- streben des Bürgertums, und damit im bürger- lichen Selbstbewusstsein gegenüber dem vor- herrschenden Adel. Lesegesellschaften boten außerdem einen gesellschaftlichen Rahmen für gesellige Unterhaltung und kulturelle Ver- anstaltungen. Bedenkt man den historischen Kontext, gab es gleichzeitig auch ein staatliches Interesse an vermehrter Informarionsverbreitung. Die ehemals kleine Markgrafschaft Baden konnte im Zuge der politischen Neuordnung Mitte- leuropas bis 1806 das Staatsgebiet verfünffa- chen. Die Bevölkerungszahl stieg innerhalb der ersten Jahrhunderthälfte von 250.000 im Jahr 1802 auf 1,35 Millionen im Jahr 1846. Das neue Staatengebilde blieb besonders expo- niert gegenüber den politischen Impulsen aus den Nachbarstaaten Frankreich und der Schweiz. Die sozioökonomischen und politi- schen Bedingungen erforderten eine zentralis- tische und effektive Verwaltung zum Zwecke einer administrativen Integration der hinzuge- wonnenen Gebiete sowie der Schaffung eines neuen Staats bewusstseins. Der Wunsch nach einer Stärkung der staatlichen Handlungs- rnacht und einer Einbindung des Bürgertums 181 in die Regierungspolitik mag die staatliche Pro- tektion der ersten Lesegesellschaften erklären. Das "Museum" Die Vereinsgründung der ersten Lesegesell- schaft in Karlsruhe soll auf die Initiative des Hof- und Stadtvikars Christoph Friedrich Rinck zurückgegangen sein. Rinck wurde vom Markgraf 1783 auf eine Studienreise durch andere deutsche Staaten und die Schweiz ge- schickt, wo er in größeren Städten in lesege- sellschaften eingeführt wurde. Dies wurde Anlass für den Plan, eine solche auch in seiner Heimatstadt zu gründen. In der Residenzstadt Karlsruhe war dafür durchaus Bedarf Schließ- lich harten die Vergrößerung der Markgraf- schaft, der Ausbau der Verwaltung und die auswärtigen Delegationen eine stetige Zunah- me des gesellschaftlichen Verkehrs gerade der oberen Schichten mit sich gebracht. Im Dezember 1784 fand die Gründungs- versammlung der "Lesegesellschaft Karlsruhe" statt, ab 1808 "Museum" genannt. Der Mark- grafKarl Friedrich übernahm die Schirmherr- schaft, das "Protektorat" der Gesellschaft, was auf den staatstreuen Charakter der Museums- gesellschaft deutet. Im Obergeschoss der noch heute existierenden Wirtschaft "Pfannenstiel" in der Brunnenstraße mietete die Lesegesell- schalt zwei Zimmer, ein Unterhaltungs- und Lesezimmer, in dem die Präsenzbibliothek untergebracht war. Zweimal wöchentlich traf sich ein literarischer Zirkel, gelegentlich wur- den Vorträge zu wissenschaftlichen Themen gehalten. Innerhalb von fünfJahren wuchs die Zahl der Mitglieder auffast 200, das jährliche Bud- get der Gesellschafr war auf 2.000 Gulden angewachsen, von dem ein Viertel für den Aufbau der Bibliothek verwendet wurde. Die Gründung des Großherzogrums wirkte sich auch auf die Lesegesellschaft aus: durch die Zentralisierung der Verwaltung und den Aus- bau des Staatsapparates wuchs die Zahl der Beamten, Geistlichen und Offiziere in der Stadt und damit das Publikum des Vereins, so dass zweimal ein Umzug in größere Vereins- häuser erforderlich war. 1813 wurde nach den Entwürfen von Friedrich Weinbrenner das repräsentative Museumsgehäude errichtet, mit einem großen Ballsaal, mehreren Konversati- ons- und Spielzimmern sowie einer geräumi- gen Bibliothek - in der heutigen Kaiserstraßel Ecke Ritterstraße nunmehr das Haus der Deutschen Bank. In der Festrede anlässlich der Grundstein- legung führte der damalige Direktor Freiherr von Fahnenberg aus: "In allen Lagen der Zeit und Umstände den Glauben an die Unver- gänglichkeit des Weisen und Edeln und Schö- nen fest halten, um diese ersten und ewigen Interessen der Menschheit sich enge zusam- menschließen, und mit vereinten Kräften dem Geiste seine Rechte, dem Gemüthe seine gött- liche Natur, dem Leben seine schönsten Reize für die Gegenwart bewahren, auf die Zukunfr sichern ist hoher Sinn und edles Geschäft; er- hält die Menschheit bei ihrem innern Stille- ben. wenn es von Außen um sie drängt und wittert, und rcnct sie in bessere Zeiten wieder glücklich hinüber. Es ist ein hoher Gesichts- punkt, in welchem diese vom Staat geschätz- ten und beschützten Verbindungen, in ihrem stillen stetigen Kampfe mit dem unreinen Zeitgeiste oder dem mächtigen Zeitlaufe be- griffen, uns hier erscheinen." Diese Worte bedürfen einer Übersetzung: In der Sphäre des Museums, an der die Mit- glieder als Privatleute teilnehmen, sind die ver- schiedenen (politischen, ökonomischen, stan- des- und bildungsgebundenen) gesellschaft- lichen Widersprüche aufgehoben. Die Sphäre des Ästhetischen, der Kunst, Literatur und Musik und des öffentlichen Räsonnements bietet einen gesellschaftlichen Ruhepol ange- sichts der wechselhaften Zeitumstände. Die proklamierte Eintracht wurde mit- unter nachhaltig gestört: Der Polizeidirektor von Hainau, selber Mitglied des Museums, soll in mindestes zwei Fällen die Loyalität des Museums in Zweifel gezogen haben. In einem von Großherzogin Stephanie gebilligten Rund- schreiben der Museums-Kommission wurde die Einführung einer Nationaltracht für die im Museum verkehrenden Frauen vorgeschla- gen; allein schon die Verwendung des Wortes "national" soll für von Hainau Anlass gewesen sein, das Museum "einer gegen den Staat ge- richteten Tendenz" zu verdächtigen. Der zwei- te Anlass bildete eine vom Museum erworbe- ne Schrift "Die Centralverwaltung der Ver- bündeten unter Freiherrn vom Stein", die, nachdem ein Mitglied darin Angriffe gegen die badische Regierung entdeckt hatte, in den Giftschrank des Museums verbannt wurde. Als ein weiteres Mitglied ohne Wissen der bereits erfolgten vereinsinrernen Zensur die Anschaffung des Buches im so genannten "Wunschbuch" ersuchte, soll dieser Eintrag ein weiterer Anlass für die Klage staatsfeindli- cher Gesinnung durch den Polizeidirekror gewesen sein. Offensichtlich mit Erfolg ver- suchte die Museums-Kommission in einem ausführlichen Schreiben an den Großherzog, die erhobenen Vorwürf~ aus dem Weg zu räu- men und ihre Loyalität zu versichern. In den frühesten überlieferten Statuten des Museums heißt es: ,,§ 1. Der Zweck der Ver- bindung ist: schöne Bildung des Geistes und Geschmacks, auch den guten Ton geselliger Freude zu befördern, und beydes im Kreise solcher Gebildeten zu gemessen. § 2. Nur auf diesen Zweck, nicht auf Geburt, Stand und 182 Gemälde vo n Adolf Schrocdter: Mitglieder der Karlsruher Lesege5ellschaft; an der Wand ein Portrait des Großherzogs. Rang. nimmt die Gesellschaft bey der Wahl ihrer Mitglieder den nächsten Bedacht. Jede selbstständige Person. ohne Unterschied des Geschlechts. welche Bildung mit sich bringt und nach ihren übrigen Verhältnissen aufnah- mefähig ist. kann Mitglied der Gesellschaft werden." Die Vereinsstrukturen sind somit ge- prägt von dem Leitbild eines allgemeinen Ge- sellschaftsvertrages und der Souveränität des Gesamrwillens. Dessen Instanz ist die Mitglie- derversammlung. ordentliche Mitglieder ha- ben bei Wahlen die gleichen Rechte. Das Literaturangebot enthält laut Satzung .. politische und gelehrte Zeitungen mit den dazu erforderlichen Hilfsmitteln. als landkar- ten. Wörter- und H andbücher für Sprachen. für Länder- und Völkerkunde. Statistik. u.s.w.; sodann periodische Schriften aller Art. Reise- beschreibungen. Geschichte. und überhaupt alles. was ohne spezielle Rücksicht auf beson- dere Berufsfacher allgemein interessiert und für den Einzelnen zu kostspielig. oder vorü- bergehend ist. " Tatsächlich lässt die Auswer- tung des frühesten noch vorhandenen Biblio- meksverzeichnisses ein dezidiertes Interesse an deutscher Literatur der jüngsten Zeit erken- nen. wobei größere Aufmerksamkeit aber der Sachliteratur geschenkt wurde. Eine erste Mitgliederliste ist aus dem Jahr 1815 überliefert: Die Mehrzahl der Mitglie- der. neben dem Großherzog und drei weiteren Grafen. rekrutiert sich aus Offiziers- und hö- heren Beamtenkreisen. während Lehrer. Pfar- rer, Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler in weit 183 geringerem Maße vertreten sind. Von 428 Mitgliedern sind ingesamt sieben Frauen, da- von 6 Witwen. Die soziale Herkunft der Mit- glieder hatte sich 1845 nicht wesentlich geän- dert: Überraschend ist nun der hohe Anteil weiblicher Mitglieder: 78 Frauen von insge- samt 744 Mitgliedern, also mehr als 10 Pro- zent, davon der überwiegende Teil Witwen. Das Karlsruher Museum war einer der weni- gen Vereine, die eine solche reguläre Mitglied- schaft gestatteten. Ansonsten waren Frauen von der literarischen und politischen Informa- tion und den Tätigkeiten der Vereine fast durchgehend ausgeschlossen. Die Lese-Gesellschaft Eine weitere Lese-Gesellschaft wurde 1815 gegründet. Das Publikum, zu dem auch der Oberbürgermeister Dollmetsch gehörte, der das Amt des Saal-Aufsehers verrichtete, ent- stammte vornehmlich dem Bürgertum. Folgt man einem anonymen Korrespondenzbericht aus dem Jahr 1818, so ist die Ursache für die Vereinsgründung im Koiltext der Befreiungs- kriege zu sehen, denn "der Menschen-Freund freuet sich nach den Stürmen des fürchterli- chen Kriegs einer wieder sanft anziehenden Verbindung", an der "Mitbürger, ohne Unter- schied des Standes und der Religion" teilneh- men können "zu welchem Tugend und Recht- schaffenheit allen den Weg bahnen können". 1818 hatte die Gesellschaft 117 Mitglieder. Von Interesse ist die Schilderung der Vereins- gründung: aus einem abendlichen Treffen von Bürgern und Beamten entwickelte sich eine . feste Abendgesellschaft, die gemeinschaftlich zuerst Zeitungen, dann auch Bücher anzu- schaffen begann. Die Zunahme von kulturel- len Veranstaltungen und weitere Eintritte machten eine Vereinsgründung erforderlich. Ein Umzug in ein größeres, täglich geöffnetes Vereinslokal wurde bald nötig. Schließlich wurde den Mitgliedern die Mitnahme von Büchetn und Zeitungen nach Hause gestattet, um auch Frauen und Kindern einen Zugang zur Bildung zu ermöglichen. Schon 1818 ver- fügte die Gesellschaft über eine Bibliothek mit knapp 400 Bänden "worunter die Schriften: Schiller, Göthe, Wieland, Lafontaine, Schel- ling, de la Motte Fouque, Schreiber etc. Le- bens- und Reise-Beschreibungen, und 16 theils bildende politische Zeitschriften sich vorfin- den." "Uebrigens ist die Gesellschaft, wie sich leicht denken läßt, sehr gemischt. Doch ist die Mischung nicht von der Art, daß man sagen könnte, sie ist allzu gemischt, hat allzu ver- schiedene Bedürfnisse und es finde eine allzu grosse Entfernung der Stände unter den Mit- gliedern statt. Treffen am Abend vielerley Per- sonen zusammen, so entfernt sie weder Stand noch Rang, da sie sich weder als untergeord- net, noch von einander abhängend in ihren Berufs-Geschaffen begegnen." Hier wird deut- lich, wie eng der Raum des sozialen Austau- sches auch in bürgerlichen Kreisen weiterhin bleibt. Trotz der Betonung auf eine prinzipielle Offenheit und Aufhebung von Standesunter- schieden wird die Eingrenzung auf bestimm- te Schichten explizit unterstrichen. Dass die Lesegesellschaft sich keinesfalls der radikalen Opposition verpflichtet, davon zeugt eine Bekanntgabe der Kündigung des Abonnements der radikal-demokratischen Konstanzer Zeitung "Seeblätter", die "als un- würdig, in einer anständigen, ehrenhaften und gesetzliebenden Gesellschaft aufzuliegen", be- zeichnet werden. Verstanden wird dies im Sin- ne einer vom aufgeklärten Publikum betrie- benen Kontrolle der politischen Diskussion; schließlich sei "es zu erwarten, daß die Blätter vom See durch derartige Maßregeln bald ihr Lebensende erreicht haben werden. Das Volk wird künftig die Presse überwachen und die Preßfreiheit wahren!" 1843 hat die Lese-Ge- 184 Mitglieder der Karlsruher Muscumsgesdlschafc 1848 . sellschah . nicht mehr viele Mitglieder, meis- tens aus dem wohlhabenderen Mittelstande." Der Stadtchronist lobt zudem die Verdienste um die gesellige Unterhaltung des Vereins, "da man hier nicht die Steifheit findet, wie im Museum." In den vierziger Jahren residierte die Lese-Gesellschaft im ehemaligen Palais des Markgrafen Friedrich am Rondellplatz und damit in unmittelbarer Nähe des H auses des Bürgervereins Eintracht, der 1835 gegründet wurde. Der Biligerverein Eintracht Ein Komitee gab die Gründung dieses Vereins bekannt, der "nur Gutes und Nützliches für die Stadt und ihre Bewohner, besonders in gewerblicher, wissenschaftlicher und über- haupt bildender Beziehung" im Sinne habe. Zum Zeitpunkt der Gründung im Juli 1835 traten 155 Mitglieder bei, vorwiegend Kauf- leute, Beamte, Lehrer, selbstständige Hand- werker, darunter eine Lehrerin. Trotz anfang- lieher Widerstände wurde der Verein Eintracht in vier Abteilungen geordnet: eine für geselli- ge Unterhaltung, Lektüre und Tanzveranstal- rungen, die zweite rur Musikveransralrungen, drittens ein Diskussionsforum für technische und industrielle Fragen und schließlich vier- tens eine Abteilung für wissenschaftliche Wei- terbildung. 1839 hatte die Eintracht insgesamt 800 Mitglieder. Im Mittelpunkt des Interesses, folgt man den Mitgliederzahlen der einzelnen Sektionen, lagen dabei Unterhaltung und Lek- rüre sowie die industriell-technische Weiterbil- dung. Die Eintracht beschreibt sieh als "ein Ver- ein gebildeter Männer, der es sich nicht nur zur Aufgabe macht, durch den Genuß geselli- ger Freuden seine Mitglieder zu erheitern, son- dern der auch dahin strebt, Wissenschaften, Künste und Gewerbe zu fördern, gemeinnüt- 185 zige Unternehmungen wirksam unterstützen zu helfen. und zur Stiftung von Sammlungen Gelegenheit zu geben. die den Künstler und Freund der Wissenschaft anziehen und beleh- ren. Sie ist ein freier Verein. in welchem kei- nem Mitglied als solchem ein Vorzug vor dem andern zukomme." Lesegesellschaften und die Revolution 1848/49 In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten die Lesegesellschaften in Karlsruhe ihre Blütezeit. Sie waren Ausdruck der gesellschaft- lichen Mobilisierung des Bürgertums in der Zeit des Vormärz. in denen eine direkte poli- tische Betätigung noch weitgehend unmöglich war. Über eine unmittelbare Beteiligung der Vereine an den Revolutionsereignissen 1848/ 49 liegen keine Zeugnisse vor. was auf die Ei- genschaften Karlsruhes als Residenzstadt zu- rückzuführen ist. Durch die Anbindung an den Hof war das politische Klima der Stadt deutlich konservativer als in anderen Städten Badens. Die Wahl zur zweiten Kammer 1819. die Liberalisierung der Presse im so genannten .. Pressefrühling" 1830-1832. die Politisierung det Literatur in den Jahren nach 1830 sowie die Nationalbewegungen in anderen europäi- schen Staaten hatten dort die Diskussionen innerhalb der Lesegesellschaften zu einer offe- nen Politisierung geführt. 1849 markiert eine Zäsur in der Geschich- te der Lesegesellschaften. denn auch sie fielen dem allgemeinen vorübergehenden Vereins- verbot zum Opfer. In den Jahren danach sind kaum Neugründungen zu verzeichnen. und die Restaurationzeit des Nachmärz mit dem Klima staatlicher Repression und Zensur be- einflusste die Entwicklung der Lesegesell- schaftsbewegung insgesamt. auch der Vereine. die nach 1848/49 nicht verboten wurden. Obwohl aufgrund der politischen Orientie- rung der Eintracht eine Nähe zu den revoluti- onären Ereignissen nicht vermutet werden kann. wirken sich auch hier die folgenden Jah- re der Restauration aus, wie bereits der Ver- einschronist Schwarz über die Eintracht no- tiert: .. In den Zeiten der Reaktion. die auf die politischen Ereignisse Ende der 1840er Jahre folgten. trat im Vereinsleben übethaupr eine gewisse Stagnation ein; wir finden aus den 1850er und 1860er Jahren keine Nachrichten von Veranstaltungen grösserer Art." Dasselbe gilt auch für das Karlsruher Museum. Dass 1850 der Bürgerverein Eintracht und die Le- segesellschaft sich vereinigten. deutet darauf hin. dass die Mitgliederzahlen der beiden Ver- eine gesunken waren. Die Verbotswelle nach 1849 war Ausdruck einer staatlichen Unfahigkeit. gegenüber der Vereinsbewegung und der bürgerlichen Öf- fentlichkeit anders als mit repressiven Mitteln zu reagieren. Ändern sollte sich dies erst im späten 19. Jahrhundert. als. bezogen aufLite- ratur und Journalistik. Kulturpolitik als Medi- um staatlicher Intervention entdeckt wurde: 1870 wurde die erste öffentliche Bibliothek in Mannheim gegründet. die. wie auch in ande- ren Städten. die Bestände der örtlichen Lese- gesellschaft später übernehmen sollte. Damit traten staatliche öffentliche Kulturinstitutio- nen das Erbe von Organisationen der bürger- lichen Öffentlichkeit an. Ausdruck einer zu- nehmenden Verschmelzung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft. TORSTEN LIESEGANG 186 Der Landeswohlfahrtsverband Baden In unserem differenzierten Sozialstaat erfüllt der Landeswohlfahrtsverband Baden wichtige Auf- gaben im Bereich der Hilfen zur Eingliederung und Rehabilitation behinderter Menschen, der Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge. Zur Geschichte Am 1.1.1964 wurde der LandeswohlfahrtsVer- band Baden für die Regierungsbezirke Karls- ruhe und Freiburg und der Landeswohlfahrrs- verband Württemberg-Hohenzollern für die Regierungsbezirke Stuttgart und Tübingen geschaffen. Die Neuregelung der Trägerschaft der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfe war eine Folge des am 1.6.1962 in Kraft getre- tenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Die- ses Gesetz, das nicht nur die Hilfe zum Le- bensunterhalt neu ordnete und die frühere "Fürsorge" durch "Sozialhilfe" ersetzte, erwei- terte den Kreis der Anspruchberechtigten um geistig und seelisch wesentlich behinderte Menschen mit Rechtsansprüchen auf Einglie- derungshilfe. Die Durchführung der Hilfen wurde örtlichen und überörtlichen Trägern übertragen, die durch Ausführungsgesetze der Bundesländer zu bestimmen waren. Der Landesgesetzgeber in Baden-Würt- temberg stand dabei vor der Frage, ob der überörtliche Träger der Sozialhilfe staatlich oder kommunal organisiert werden sollte. Nach- dem in Bayern, Hessen und Nordrhein-West- falen die überördiche Sozialhilfe bei kom- munalen Trägern angesiedelt war und es mit dem Landesfürsorgeverband Wümemberg auch in Baden-Wümemberg seit 1924 einen kommunalen Träger gab, entschied das Land Baden-Wümemberg sich dafür, die überört- liche Sozialhilfe zwei höheren Kommunalver- bänden, den Landeswohlfahrrsverbänden Ba- den und Württemberg-Hohenzollern zuzu- ordnen. Zuvor waren die Aufgaben des überördi- ehen Wohlfahrtswesens im badischen Lan- desteil bei den Regierungspräsidien Nordba- den und Südbaden als Landesfürsorgeverband angesiedelt. Ebenso die Landesjugendämter. Der neu gebildete Landeswohlfahrtsver- band Baden konstituierte sich in der 1. Sitzung seiner Verbandsversammlung am 23.10.1963 im Rathaus in Karlsruhe. In dieser Sitzung gab der damalige Vertreter der Stadt Karlsruhe, der spätere Oberbürgermeister Otto Dullenkopf, dem neuen Verband folgende Worte mit auf den Weg: "So wollen wir - nicht aufdrängend aber anbietend - etwas von der inneren Tem- peratur von Karlsruhe als Einstand mit auf den Weg geben, es ist das Bemühen, das Sach- liche mit dem Menschlichen zu verbinden, in diesem Falle zum Wohle unseres hilfesuchen- den Nachbarn, aber auch zum Wohle des Lan- deswohlfahrtsverbandes Baden, dem jüngsten Kind in dieser Stadt, zwar in Stuttgart gezeugt, aber in Karlsruhe geboren, und da es in Karls- ruhe aufwachsen wird, wird es ein badisches Kind werden, da es aber ein wohlerzogenes Kind sein wird. wird es seine Eltern ehren." Die Verbandsversarnmiung Mitglieder der Verbandsversammlung, dem obersten Organ, sind Vertreter der Verbands- mitglieder der Land- und Stadtkreise im badi- schen Landestei!. Nach jeder Kommunalwahl wählen die Kreistage bzw. Gemeinderäte pro 100.000 Einwohner einen Vertreter in die Verbandsversammlung. Die derzeitige hat 62 Mitglieder. Sie ist für grundsätzliche Entschei- 187 dungen zuständig, insbesondere für die Über- nahme neuer Aufgaben, die Wahl der leitenden Beamten und rur die Verabschiedung des Haus- halts mit der Festlegung des Hebesatzes rur die Landeswohlfahrtsumlage. Die Verbandsver- sammlung wählt aus ihrer Mitte einen Vorsit- zenden sowie 11 Mitglieder des Verbandsaus- schusses. Zum Vorsitzenden wurde in der er- wähnten konstituierenden Sitzung der damali- ge Karlsruher Landrat Josef Groß gewählt, dem die Landräte Dr. Burkard, Rastatt, Dr. Ger- hard Gamber, Offenburg folgten. Seit 1996 ist der Waldshuter Landrat Dr. Bernhard Wütz Vorsitzender. Leiter der Verwaltung ist der jeweils auf 8 Jahre gewählte Verbandsdirekror. Er ist obers- ter Dienstherr der rd. 600 Bediensteten des Verbandes und führt die Beschlüsse der Ver- bandsgremien durch. Erster Verbandsdirekror von 1964-1976 war Hans Schwörer. Ihm folgte der Verfasser von 1976-2001. Seit 2001 wird der Verband von Dr. Gerhard Vigener geleitet. Die alten und neuen Aufgaben Die verbands politisch bedeurendste Aufgabe ist die Eingliederungshilfe für geistig-, seelisch sowie mehrfachbehinderte Menschen, die der Verband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe organisiert und finanziert (Landessozialamt). Seit der Gründung des Verbandes hat die Zahl der behinderten Menschen, die Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, permanent zu- genommen. Von etwa 4.000 im Jahr 1964 auf rd. 14.000 im Jahr 2001. 8.700 behinderte Menschen erhalten vollstationäre Eingliede- rungshilfe in einer Anstalt, einer Heimsonder- schule oder einem Wohnheim, weitere rd. 5.300 altenteilstationäre Hilfen, insbesondere in Werkstätten rur Behinderte. Für diese Hilfen, die überwiegend in Form von Pflegesätzen an die Eintichtungen ge- währt werden, sind im Verbandshaushalt des Jahres 2002 347 Mio. Euro. Das sind 70 % der gesamten Verbandsausgaben! Bei Gründung des Verbandes - wurden lediglich 20 Mio. DM für diese Hilfen ausgegeben. D. h. der Aufwand stieg in 37 Jahren um rd. 3.400%! 1964 war in den Regierungsbezirken Nordbaden und Südbaden gerade der organi- sierte Wiederaulbau der früheren Heil- und Pflegeanstalten auf der Grundlage von Vor- kriegskonzeprionen abgeschlossen. In den über- regionalen Einrichtungen standen insgesamt etwa 1.500 Heimplätze zur Verfügung. Die behinderten Menschen lebten dort in Statio- nen, in denen Schlafsäle mit 10-12 Personen keine Seltenheit waren. Daneben gab es die Kreispflegeanstalten, in die geistige oder kör- perliche Gebrechliche aufgenommen wurden. Die meisten Behinderten lebten allerdings in ihren Familien, und es bestand - aus der Er- fahrung des "Dritten Reiches" heraus - eine große Scheu, sie in die Obhut einer Anstalt zu geben. Geistig Behinderte galten als bildungs- unfähig und besuchten keine Schule. Es gab kaum Behindertenwerkstätten noch Frühbe- ratungen. Das BSHG machte die Eingliederung von behinderten Menschen in die Gesellschaft zu einer öffentlichen Aufgabe. Seitdem ist ein Ilä- chendeckendes Netz von Werkstätten und Wohnheimen für Behinderte errichtet wor- den. Dank der besseren Versorgung und des medizinischen Fortschritts steigt das Durch- schnittsalter der behinderten Menschen stän- dig an und gleicht dem Nichtbehinderter. 2001 wurden die Träger der Sozial- und Ju- gendhilfe in den Kreis der Rehabilitationsträ- ger einbezogen. Dabei wurde die Bedürftig- keitsprüfung, ein Grundsatz der Sozialhilfe, in mehreren Bereichen eingeschränkt. So kann insbesondere auf Unterhaltsverpflichtete nur noch im Rahmen eines einheitlich festgelegten Pauschbetrages zurückgegriffen werden. 188 , ~;~r Bürogebäude des Badischen Landeswohlfahrrsverbandes an der GÜnlher-K1orz.-Anlage. Die Behindertenhilfe hat in der Geschichte des Verbandes eine Entwicklung genommen, die zu Beginn auch nicht annäherungsweise absehbar war. Die Rechtsansprüche und hohe Standards in der Behindertenhilfe dürfen allerdings nicht dazu führen, die Integration behinderter Menschen in Beruf und Gesell- schaft zu vernachlässigen. Der Landeswohl- fahrtsverband Baden hat auf die starke Zunah- me der Behinderten mit einer Reihe eigener konzeptioneller Vorstellungen reagiert. Er wird diese Bemühungen in den nächsten Jahren mit Innovationen verstärkt fortsetzen, um den großen finanziellen Herausforderungen erfolg- reich zu begegnen. Eine Hauptfürsorgestelle gibt es seit 1919. Sie ist 1964 in den neu gegründeten Verband integriert worden. Schwerpunkt der Arbeit der Hauprfürsorgestelle war die Betreuung der vom Krieg besonders betroffenen Menschen, ins- besondere derjenigen, die der besonderen 50n- derfürsorge bedurften. 55 Jahre nach Kriegs- ende ist die Zahl der 50nderfürsorgeberechtig- ten stark zurückgegangen. In den Mittelpunkt der Tätigkeit der Hauptfürsorgestelle ist nun der Personenkreis der schwerbehinderten Ar- beirnehmer gerückt, die Anspruch auf beglei- tende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben sowie auf besonderen Kündigungsschutz haben. An finanziellen Leistungen für Arbeitgeber und schwerbehinderte Arbeitnehmer werden aufgrund von rd. 1.500 Neuanrrägen pro Jahr etwa 25 Mio. DM bewilligt. Im Jahr 1999 wurden 1.500 Kündigungsschutzverfahren durchgeführt. Der Landeswohlfahrrsverband gewährt al- lein für etwa 5.200 Blinde Leistungen nach dem Gesetz über die Landesblindenhilfe. Die ohne Einkommens- und Vermögensprüfung bezahlten pauschalierten Beträge (mo na dich 189 409,03 Euro) dienen dem Ausgleich blind- heitsbedingter MehraufWendungen und Be- nachteiligungen. Die Fallzahlen im Verbands- gebiet sind seit Jahren annähernd unverändert. Der jährliche Zuschussbedarf beträgt rd. 20 Mio. Euro. Eine wesentliche Veränderung der Aufga- benschwerpunkte hat auch beim Landesju- gendamt stattgefunden. Bei Gründung des Verbandes war das Landesjugendamt insbe- sondere für die Gewährung der teueren statio- nären Jugendhilfemaßnahmen zuständig. Ge- setzliche Änderungen haben nicht nur die Formen stationärer Jugendhilfe verändert, sondern den gesamten Bereich dem örtlichen Träger der Jugendhilfe zugeordnet. Schwer- punkt der Tätigkeit des Landesjugendamtes ist heure neben der Aufsicht über Kindertages- stätten und Jugendheime die Entwicklung neuer Formen der Jugendhilfe. Fortbildung und Jugendpflege Ein umfangreiches Fortbildungsprogramm des Landeswohlfahrtsverbandes richtet sich in erster Linie· an Kindergärtnerinnen, Erzieher in Erziehungsheimen, Sozialarbeiter und Sozi- alpädagogen bei den Stadt- und Landkreisen, Verwaltungsfachkräfte in den Sozial- und Ju- gendämtern sowie Angehörige der verschiede- nen Beratungsstellen. Die Veranstaltungen werden schwerpunktmäßig im Bildungszen- trum des Landeswohlfahrtsverbandes Schloss Flehingen angeboten, denn mit der Gründung wurden dem Verband die bis dahin in der Trä- gerschaft des Landes stehenden Jugendheime Schloss Flehingen, Schloss Stutensee und Stift Sunnisheim übertragen. Schloss Flehingen, früher einmal die größ- te badische Fürsorgeerziehungsanstalt, wurde vom Landeswohlfahrtsverband von 1964- 1982 baulich saniert. Im Bildungszentrum, das hier 1984 seinen Beuieb aufnahm, befin- den sich u. a. eine Fachschule für Sozialpäda- gogik- FachrichtungJugend- und Heimerzie- hung - eine Fachschule für Heilpädagogik und eine Fachschule für Heilerziehungshilfe. In den Fachschulen werden Fachkräfte berufs- begleitend aus- und fortgebildet. Darüber hi- naus ist das Bildungszentrum mit den Aus- und Fortbildungsveranstaltungen des Landes- wohlfahrtsverbandes sehr gut ausgelastet. Auch das Landesjugendheim Schloss Stu- tensee wurde baulich saniert. Das Heim be- treut im Augenblick ca. 150 Kinder und J u- gendliehe, davon 34 in vollstationären Wohn- gruppen innerhalb und außerhalb des Heim- geländes und 106 Kinder und Jugendliche in Tagesgruppen im Heimgelände sowie in Karlsruhe, Bruchsal, Friedrichstal und Leo- poldshafen. 1983 wurde in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium Baden-Württemberg das Heinrich-Werzlar-Haus errichtet, ein Angebot an der Nahtstelle zwischen Jugendhilfe und Justiz zur Vermeidung von Untersuchungs- haft. Das Heinrich-Wetzlar-Haus wird zu 90 % von der Justiz in Baden-Württemberg in Anspruch genommen. Zur Zeit leben hier 10 Jugendliche. Das Landesjugendheim Stift Sunnisheim war und ist eine Einrichtung der Jugendhilfe mit dem Schwerpunkt handwerklicher BerufS- ausbildung. Die Palette der angebotenen Be- rufe reicht vom Bäcker und Konditor über Schlosser und Schreiner bis zum Maler und Lackierer. Finanzierung Die Aufgaben des Verbandes werden zu fast drei Viertel (73,5 %) über die von den Ver- bandsmitgliedern aufzubringenden Landes- wohlfahrtsumlage finanziert. Nur 18 % der Einnahmen erhält der Verband als Finanzzu- weisungen vom Land. Das Volumen des Ver- 190 bandshaushalts beträgt 582 Mio. Euro (1.138 Mio. DM) im Jahr 2002. Der erste H aushalts- plan 1964 hatte noch ein Volumen von 64 Mio. DM. Die wachsende Zahl der jährlich neu in die Kostenträgerschaft des Landeswohl- fahrtsverbandes aufZunehmenden Behinder- ten und die damit verbundenen Kosten stellen an den Finanzbedarf des Landeswohlfahrtsver- bandes und seine Mitglieder dann besonders hohe Anforderungen. wenn das Wachstum der Steuerkraft hinter dem Ausgabenanstieg zurückbleibt. Immer. wenn diese Schere aus- einandergeht. gerät der Verband in eine Zer- reißprobe. die bisher jedoch immer durch das Engagement und das Verständnis der Ver- bandsmitglieder für die Situation der Behin- derten überwunden werden konnte. Bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist daher ein enger Kontakt zwi- schen den Verantwortlichen des Landeswohl- fahrtsverbandes. seinen Mitgliedern und den Eintichtungen. die die Hilfe durchführen. unerlässlich . Solidarität mit Behinderten muss vor dem Hintergrund einer mehr und mehr betriebswirtschaftlieh denkenden Gesellschaft praktiziert werden und dies nicht in Aufsätzen. Erlassen. Reden und Verfügungen. sondern durch Gespräche mit den Veranrwortlichen in den Heimen und Werkstätten vor Ort. Dabei ist gerade das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder der Verbandsgremien in der Behin- dertenarbeit besonders wichtig, garantiert es doch das Verständnis für die Aufgaben des Landeswohlfahrtsverbandes und seine Ver- wurzelung in der Bevölkerung. Ein einziger Landeswohlfahrtsverband für ganz Baden- Württemberg. der von Zeit zu Zeit immer wieder in die politische Diskussion gebracht wird. kann wegen seiner Größe gerade diese spezielle Funktion nicht effektiv wahrnehmen. Die Erfahrungen des Landeswohlfuhrtsver- bandes Baden seit 1964 zeigen dagegen. dass den Land- und Stadtkreisen im badischen Landesteil eine kommunale Institution zur Verfügung steht. die soziale Aufgaben in ei- nem überschaubaren Bereich mit sozialem En- gagement und finanziellem Veranrwortungs- bewusstsein bürger nah wahrzunehmen. HANS·OTTO WALTER Moritz Ellstätter (1827-1905) Finanzminister im Großherzogtttm Baden Die Markgrafschaft Baden trat in das 19. Jahr- hundert ohne Schulden ein. Aber schon mit dem Erwerb neuer Territorien 1803 und 1806 mussten finanzielle Verpflichtungen von 10 Millionen Gulden (fl) übernommen werden. die nach der Teilnahme an den Napoleoni- schen Kriegen schließlich auf 27.5 Millionen wuchsen. Nach intensiver Sparpolitik waren es 1838 nur noch 14.5 Mio fl. 191 Doch die Revolution 1848/49 riss wieder ein großes Finanzloch auf. das 1849 mit 39 Mio berechnet wurde. Bis 1865 schaffte man einen Stand von 26.5 Mio; aber dann kam der Deutsche Krieg mit den allgemeinen Kriegs- kosten und 6 Mio fl Kriegsentschädigung an Preußen. so dass der Schuldenberg nun 36 Mio betrug und wiederum Anleihen aufge- nommen werden mussten wie 1850. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief unterschiedlich: einerseits brachten Missern- ten den Bauern Hunger und Not und riefen nicht zuletzt Auswanderungswellen hervor, andererseits hatte die industrielle Entwicklung in Baden früh Fuß gefasst. Allein die Rheinre- gulierung ermöglichte bald einen Dampf- schifffahrtsverkehr, und das Eisenbahnnetz wuchs rasch um die Nord-Süd-Achse, so dass Industriewerke an vielen Orten entstanden. Dennoch war die Lage Badens nach dem ver- lorenen Krieg 1866 misslich, als Großherzog Friedrich l. einen "Kleindeutschen", Karl Mathy, der lange Jahre für die Einigung Deutschlands unrer preußischer Führung ge- kämpfr hatte, zum Staatsminister und zugleich zum Präsidenten des Finanzministeriums er- nannte. Mathy stellte zum I. August Moritz Ellstätter als Rechtsreferent ein, der zunächst in Berlin wegen der Staatsanleihen verhandeln sollte. EHsrätters Werdegang Ellstätter, am 11. März 1827 als Sohn eines Möbelhändlers israelitischen Glaubens in Karlsruhe geboren, hatte nach Lyceumsbesuch Jura studiert und den Rechtsanwaltsberuf er- strebt, in dem Juden seit 1838 hinlänglichen Zugang fanden. Mehrfache Anttäge auf Zulas- sung waren aber dennoch geschei tert. Zunächst im Finanzministerium angestellt, wandte er sich 1856 der Wirtschaft zu, und aufEmpfeh- lung bei dem bedeutenden Kaufmann und Politiker David Hansemann in Berlin wurde er schließlich Syndikus bei der Direktion der 1851 gegründeten Diskontogesellschaft. "Die- se Wandlung meines Lebenslaufes", heißt es in seinen biographischen Notizen, "war für mich nach allen Richtungen entscheidend. Nicht nur, dass mir meine neue Berufstätigkeit wert- volle Einblicke in die große Verkehrsbewe- gung gestattete, dass der Aufenthalt in Berlin dem Süddeutschen neue Gesichtspunkte er- öffnete, Vorurteile zerstreute, und ihm Macht und Bedeutung des preußischen Staates vor Augen treten ließ." In dieser Gesellschaft lern- te er auch Karl Mathy kennen, der ihm Kon- takte zu profilierten Persönlichkeiten vermit- telte. Auch wenn die Berliner Atmosphäre Ell- stätter zusagte, in der er sich später als Kunst- freund und Theaterliebhaber so wohl fühlen sollte, strebte er 1859 nach Durlach, wo er endlich eine Niederlassung als Rechtsanwalt genehmigt bekam, später dann in Karlsruhe, wobei dort seine kleine Praxis freilich nicht weiter wuchs. Drum nahm er die Chance wahr, in den Staatsdienst aufgenommen zu werden. erst als Assessor, 1864 als Kreisgerichtsrat in Mann- heim. Zwei Jahre später begann mit dem Sprung in Mathys Finanzministerium eine Karriere, die für einen Badener israelitischer Religion ungewöhnlich war. Seine und Ma- thys Kontakte zur Diskontogesellschaft er- leichterten alsbald den Anleiheabschluss mit norddeutschen Geldgebern. Neue Finanznöte Diese Darlehen von 5 Mio fl reichten jedoch nicht, da zudem die Einverleibung der badi- schen Armee in das preußische Heer als Ein- trittsvorbereitung in den Norddeutschen Bund den Staatshaushalt aufs neue belastete. Alle indirekten und direkten Abgaben mussten deshalb erhöht werden. Mitten in dieser Bewältigung großer Pro- bleme starb 1868 Karl Mathy. Der Großher- zog betraute den bisherigen Leiter des Innen- ministeriums Julius Jolly, ein kleindeutscher Liberaler wie Mathy, mit dem Staatsministeri- um. Zum Präsidenten des FinanzministeriuffiS ernannte er auf Wunsch Jollys, wohl auch des verstorbenen Mathy, den 41-jährigen Moritz EIlsrätter. "Diese Ernennung", schrieb dessen 192 Sohn Otto Ellstätter ... versetzte die gesamte Beamtenwelt in das größte Erstaunen. ja man kann sagen, in eine gewisse Bestürzung. teil- weise Entrüstung. Schon die Berufung eines Juristen zum Leiter des Finanzwesens wurde von der kameralistischen Beamtenschaft als schwere Kränkung empfunden. zumal der Be- rufene erst so kurz (1 \h Jahre) dem Finanzmi- nisrerium angehörte, also kaum in der Lage sein konnte, sich dabei besondere Kenntnisse im Finanzwesen zu erwerben. Er war der jüngste aller Ministerialräte. dazu Jude! ... Die Hofchargen standen Kopf. die älteren Minis- terialräte und Direktoren desgleichen.« So war Elstätters neue Aufgabe einer mehrfachen Be- lastung ausgesetzt. die er dann aber in 26 Jah- ren bewältigte. Erste Anfänge Zunächst versuchte er das mühselige Werk der Neueinschätzung von Grundstücken. Wal- dungen und Gebäuden im Land. seit 1858 gesetzlich vorgeschrieben. zu Ende zu führen. um eine entsprechende Grundsteuer zu ge- währleisten. aber auch um Gerechtigkeit bei der Veranlagung zu erreichen. Neue Lasten beim Kriegsausbruch 1870 erzwangen neue Kredite von 14 Mio fl. Der Anteil Badens an den französischen 5 Milliarden Kriegsentschä- digung 1871 konnten freilich bis 1873 die Staatsschulden auf 29 Mio senken. nun in Mark gerechnet (1 fl= 1.71 Mark). Unter die- se Schulden fielen auch die Darlehen für den Eisenbahnbau. der eine wichtige Komponente der Industrialisierung blieb. Eine eigene Eisen- bahnschuldentilgungskasse war schon 1842 eingerichtet worden. Bei intensiver Konzentration der Behör- denorganisation konnte zugleich eine Verbes- serung der Beamten- und Angestelltengehälter durchgeführt werden. Wenn auch der warme Geldregen von 1871 nach dem Sieg über Frankreich dem badischen Staarshaushalr half. so waren nun Matrikularbeiträge fällig. Darun- ter verstand man den bundesstaatlichen Fi- nanzausgleich der Gliedstaaten zum Zentral- staat. Das neue Deursche Reich verfügte ja nur über Verbrauchssteuern und Zölle. brauchte also zur Ausgabendeckung zusärzliche Leis- tungen der Bundesstaaten. die jährlich nach der Bevölkerungszahl umgelegt wurden. Neue Steuerreformen Ellstätter sah seine wichtigste Aufgabe in einer Verbesserung des bisherigen badischen Steuer- systems. das bei den direkten Steuern gerech- ter aber auch erträglicher werden sollte. In ei- ner Reformkommission mit Finanzfachleuten beriet er verschiedene Möglichkeiten. 1874 wurde das Gesetz der Kapitalrentensteuer er- lassen. was wir heute Quellensteuer auf Zins- erwerb nennen. Der erste Entwurf für eine Einkommensteuer scheiterte. da deren Gegner 193 in vielen Fällen eine mehrfache Steuerbelas- tung fürchteten. ElIstätter erreichte dagegen 1876 ein Erwerbsteuergesetz, wobei anstelle der bisherigen Gewerbesteuer das Betriebska- pital sowie der voraussichtliche mirtlere Jahres- errrag nicht nur geschätzt, sondern durch eige- ne Steuererklärungen der Unternehmer dekla- riere werden musste. Das wurde von diesen nur unter lauten Protesten durchgeführt, zu- mal Schuldzinsen nicht abgesetzt werden durf- ten. Das Gesetz bereitete den Boden für einen neuen Anlauf zur allgemeinen Einkommen- steuer, nun nicht mehr als Zusatz-, sondern als Ausgleichssteuer. Bei der Erwerbsteuer sollte in Zukunft das Einkommen aus dem Arbeits- verdienst in der Berufstätigkeit freibleiben. Dieses Einkommensteuergesetz vom 1.1.1886, das in Zukunft die Hauptsteuereinnahme dar- stellte, war ein bedeutsamer Forrschritt. Bei steuerfreiem Existenzminimum von 500, spä- ter 900 Mark pro Jahr wurde nun jedes Ein- kommen erfasst, bei mäßiger Belastung der kleineren und mitderen und einer Progression der höheren Einkommen. Mit beträchtlichen Mitteln hatte man Be- amte als Steuerkommissäre ausgebildet, die bei der Bevölkerung die Überzeugung verbreite- ten, dass bei der Steuerveranlagung geset- zestreu, ohne Willkür oder Begünstigung ver- fahren werde. Steuerfrei waren nur die Zivillis- te des Großherzogs und die Apanagen, also die Einkünfte der Mitglieder des Fürstenhauses, vom Parlament jeweils bewilligt. Die Steuer- pflichtigen zahlten bei einem Jahreseinkom- men von 900 M 0,61 %, bei 3.000 M 2 % bei 25.000 M 4 %. Die Progression endete bei 100.000 M mit 5 %, insgesamt also eine mä- ßige Besteuerung. Auch die Verbrauchssteuer enrwickelte Ell- stätter weiter. 1882 wurden z. B. die zahlreichen Verordnungsvorschrifren in einem Weinsreu- ergesetz zusammengefasst, wobei der "Haus- trunk" unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei blieb. Die Branntweinsteuer war im badischen Winzerland von geringerer Bedeu- tung. Doch seit 1875 versprach sich Ellstätter, gleichzeitig Bundesratsbevollmächtigter in Berlin, von der nord- und mitteldeutschen Branntweinsteuer, die ins Reich übernommen worden war, eine Erhöhung der Staarseinnah- men. Da die Südstaaten die Besteuerung von Brannrwein und Bier landes gesetzlich regel- ten, mussten sie höhere Matrikularbeiträge zahlen. In zwei Unterredungen mit Bismarck rang Ellstätter um einen Kompromiss, der frei- lich am preußischen Finanzminister Camp- hausen scheiterte, mit dem Bismarck keinen Streit anzetteln wollte. 1887 traten die süd- deutschen Staaten schließlich ohne Konzessi- onen der Reichsbranntweinsteuergemein- schaft bei . Ellstätters Initiativen zeigten aber an diesem Beispiel und auch bei anderen Maßnahmen, wie zukunftsträchtig seine fi- nanzpolitischen Perspektiven waren: stärkere Verteilung der Steuerlasten auf die wachsende städtische Wirtschaft und einkommenstärke- re Personen zugunsten des Mittelstandes und der Minderbemittelten. Eine Vermögenssteuer konnte erst sein Nachfolger Adolf Buchberg- er 1895 einführen. "Zwischen Anpassung und Selbstpreisgabe" Bis 1893 diente Ellstätter seinem Altersgenos- sen Friedrich I. Als 1876 Jolly zurücktrat und Ludwig Turban als Staarsminister dessen Amt übernahm, behielt Ellstätter seinen Wirkungs- bereich. 1881 wurde die Zahl der badischen Ministerien von fünf auf drei zurückgeführt, wobei nun dem Finanzministerium das Eisen p bahnwesen zugewiesen wurde, dem sich Ell- stätter mit großen Eifer, aber auch mit Spar- samkeit annahm. An die Spitze dieser Abtei- lung berief er hochqualifizierte Beamte wie Wilhe1m EisenIohr, für die Hochbauverwal- 194 tung den Architekten Josef Durm. Mit der Er- richtung einer Oberrechnungskammer 1876 wurde eine sachgemäße Kontrolle über die Verwaltung des Staatsvermögens gesichert. Vor allem im Bundesrat wie bei den Kon- ferenzen der Finanzminister wusste EIIstätter Badens Interessen zu vertreten, war doch mit der Reichsgründung eine große Zahl neuer Gesetze verbunden. 1888 zeichnere der Groß- herzog den bisherigen Präsidenren ob seiner Verdienste mit dem Titel "Finanzministcr" aus; erst 1908 wurden die Ressortleiter so- gleich zu Ministern ernannt. Zeitgenössische Biographen Friedrichs l. betonten, dass unter ihm Ellstätter "als der erste Israelit in so hoher Sraatsstellung" wirkte, trotz der Widerstände bei seiner Einsetzung in bei den Kammern, der einzige in den Bundesstaaten bis 1918. Anti- semitismus lag Friedrich l. fern, sowohl aus humanitären wie aus politischen Gründen, war doch der Prozess der rechtlichen Gleich- stellung der Juden durch ein Gesetz 1862 ab- geschlossen worden. Wenn er auch zu Ellstät- ter keine persönlichen Beziehungen pflegte, rühmte er bei jeder Gelegenheit dessen über- ragende Fähigkeiten. Ellstätter selbst sorgte dafür, "dass seine jüdische Konfession den Zeitgenossen nicht zum Problem werden konnte". Er galt als Fachmann, der sich als Politiker nicht enga- gierte, wie wohl nationalliberal gesonnen und wirtschaftlich dem Manchesterliberalismus, also der freien Marktwirtschaft zugehörig, ein Patriot und Monarchist, Bismarck-Verehrer und doch auch sein Kritiker. Wie weit er sich dem dominierenden Gesellschaftsstil, beson- ders im wilhelminischen Berlin anpasste, bleibt offen. Klar ist seine Ablehnung des "Ostjudentums", und den grassiereriden Ju- denhass interpretierte er als Folge jüdischen Fehlverhaltens. Wenngleich er am Leben der jüdischen Gemeinde nicht direkt teilgenom- men hat, hielt er jedoch Kontakt zu zahlrei- ehen jüdischen Politikern und Kaufleuten, sein Freundeskreis war weitgehend jüdisch, er war mit einer Jüdin verheiratet. 1893 ging er 76-jährig mit hohen Aus- zeichnungen versehen in den Ruhestand. Ab- gesehen von der Eisenbahnschuld hinterließ er einen ausgeglichenen Staatshaushalt, ja mit einem finanziellen Polster für Notzeiten verse- hen. Der ambitionierte Kunstfreund, voll ins deutsche Kulturleben integriert, zog sich ins Private seiner intakten Familie zurück. Erst anlässlieh seines Todes im Juni 1905 las man wieder von ihm in den Nachrufen. so in der quasi offiziösen "Karlsruher Zeitung", wo es hieß, er habe nie aufgehört, "sich als Jude zu fühlen und sein Interesse für seine leidenden Glaubensbrüder an den Tag zu legen. Und wenn auch die Interessen seiner Glaubensge- meinschaft durch seinen Einfluß in hoher amtlicher Stellung niemals eine unmittelbare Förderung erfahren haben, so war doch schon der Umstand, dass ein Jude, der nie aufgehört hatte, ein Jude zu sein, von unserem Landes- fürsten mit einem der höchsten Staatsämter betraut wurde, für uns von erhebender Wir- kung". LEON HARD MÜLLER 195 Spitzel am Oberrhein Vom Demmziationswesen in Baden im 18. Jahrhundert Denunziation - wer denkt da nicht an totali- täre Staaten, an die Sowjetunion, das national- sozialistische Deutschland, die DDR und an- dere Regime, wo sogar Ehepartner einander und Kinder ihre Eltern anzeigten, ideologisch besessen, der Herrschaft verfallen. Doch De- nunziation ist nichts Neues. Schon das Wort, abgeleitet vom Lateinischen "denuntiare" = "ankündigen, anzeigen" weist auf den Ur- sprung in der Antike hin. Im Sizilien des Stau- ferkönigs Friedrich 11. oder in der "Repub- lique Venedig" konnte man Zettel "in gewis- se marmorne Lächer u werfen, und in Verona waren die Anzeigenkästen in die Mauern der Renaissance-Rathäuser eingebaut. Anzeigen, Rügen, diese deutschen Begriffe klingen schon anders, spiegeln etwas von Bür- gerbeteiligung am Gemeinwesen wider, und so muss man auch das . Spirzelwesen in der Markgrafschaft Baden im 18. Jahrhundert be- urteilen. Historiker haben sich in jüngster Zeit damit intensiv beschäftigt. 1995 förderte die Volks- wagenstifrung ein erstes Forschungsprojekt 115pirzelwesen und Denunziacionspraxis am Oberrhein. Eine Analyse von Machttechniken innerhalb des Entwicklungsprozesses moder- ner Staatlichkeiten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert", deren sehr verdienst- volle Ergebnisse sowie Beiträge zu einer ent- sprechenden Tagung von Michaela Hohkamp und Claudia Ulbrich unter dem Titel "Der Staatsbürger als Spitzel" 2001 veröffentlicht wurden. Vagantenwesen Doch zur Erinnerung: Die öffentliche Sicher- heit war am Oberrhein schon im 16. Jahrhun- dert stark zurückgegangen. Zu vagierenden Bettlern, Gauklern, wandernden Handwerks- burschen, entlaufenen Klosterleuten und manch anderen, die keinen geregelten Lebens- unterhalt fanden, gesellten sich nach dem drei- ßigjährigen Krieg die Heimatentwurzelten und entlassenen Soldaten. Die einzelnen Lan- desfürsren versuchten mit verschiedenen Mit- teln, dem Vagantenturn zu wehren. In der Markgrafschaft Baden-Baden wurde 1763 ein besonderes Husarenkorps aufgestellt. In Ba- den-Durlach entschloss man sich neben dem lang verzögerten, "Mandat der Errichtung ei- ner Policeydeputation in der Residenz Karls- ruhe betreffend" (1787) zum Ausbau des Bür- gerdienstes. Diesen Aspekten gilt in der obigen Aufsatzsammlung der anregende Beitrag von Andre H ohnstein "Normen und andere Prak- tiken der Anzeige in der Markgrafschaft Ba- den-Durlach in der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts". Da es auf dem Lande kaum professionelle Polizei kräfte gab, war in den Dörfern die Anzeige von Rechtsverletzungen und Gesetzesübertretungen für eine Strafver- folgung unabdingbar, ja für jeden Amtsträger wurde eine "Rügepflicht" festgeschrieben. Aber auch die Untertanen hatten im Zeitalter des Absolutismus "alle und jede ruegbare Sachen/ es seyen Gotteslästerungen / Verachtung oder Versaumung Göttlichen Worts und deß Got- tesdienstes / Friedbruch / Todschlag/ Zauberey und Hurerey/Ehebruch / Diebstahl! übermäs- siges Zutrinken und Spiehlen / und ins gemein alle andere verbottene Laster und Mißhand- 196 lungen" sowie anderes mehr anzuzeigen, so in der Vogt- und Rügegerichtsordnung, die von 1665 bis 1767 galt. GeseUschaftliche Ordnung 1767 redigiert, galt nun der "Rügezettel" nicht mehr allein der StrafVerfolgung, sondern er be- zog sich auch auf die wirtSchaftliche und sozi- ale Entwicklung der Dörfer. Die Funktionsträ- ger (Hatschiere, Husaren, Zollbereiter, Feld- stützler, Kirchenrüger) wurden in der dörf- lichen Gemeinschaft offen mit Anzeigenaufga- ben betraut und lebten dementsprechend zu- weilen im Zwiespalt zwischen Solidarität zu den Mitbürgern und der Strafandrohung mehrjäh- riger Zuchthausstrafen, wenn sie Übertretun- gen verschwiegen. So konnte z. B. ein "Kir- chenrüger", der "selten oder wohl im ganzen Jahr gar nichts [seinem Pfarrer] hinterbringt" und sich so "fremder Sünden theilhali:ig" macht, bei "mehrjähriger fortgesetzter Schläfrigkeit" zumindest seine Funktion verlieren, denn man muss wissen: In der Verwaltungshierarchie stand über den Orrsvorgeserzten, Amt, Ober- amt die Zentralbehörde der markgräflichen Verwaltung, und hier entschied neben Hofrat und Hofgericht auch der Kirchenrat, so dass die Pfarrer der protestantischen Kirche in den Verwaltungsaufbau einbezogen waren. Die niedere Gerichtsbarkeit, badische Vogr- und Rügegerichte oder Frevelgerichte, wusste freilich bei Straf- und Zivilklagen zu unter- scheiden, ja auch falsche Anzeigen aus Neid oder Habsucht wurden bestraft. Und oft war man großzügig! So beschwerte sich 1754 Pfar- rer Posselt über das Teninger Frevelgericht, dass dies Dorf "fast keine Schande mehr und größtenteils für eine lächerliche Bosheit" hiel- te, wenn "ledige Männer nachts zu den Mäg- den und ledigen Frauen einstiegen", so dass es das Oberamt ersuchte, mit der Androhung har- ter Strafen der Gemeinde Maßstäbe zu serzen. Mehrfach gerieten die Pfarrer in Rollen- konflikte, wenn sie einerseits als ,,Aufseher in Policeysachen", andererseits als Seelsorger am- ten sollten, weilllRügungen öfters einen wid- rigen Einfluß auf das Zutrauen macht, wel- ches die Zuhörer zu ihrem Seelsorger haben soUten." So war genau vorgeschrieben, wie vie- le Gäste bei Hochzeiten und "Tauf essen" ein- geladen werden konnten, um Luxus zu ver- meiden, der den Veranstalter zum finanziellen Ruin führen könnte. Da "denunciret" 1757 der Pfarrer von Friedrichstal (Oberamt Karls- ruhe) den Richter Isaac Calmez wegen Über- zahl von Gästen bei der Hochzeit seiner Toch- ter, und 1759 geschah gleiches beim Durla- cher Obermüller Rhott. Der Territorialstaat im ancien regime wur- de von strikten Ordungsvorstellungen be- stimmt, die die Bevölkerung - noch - bejah- te. Die Rügepflicht verhinderte das Ausweiten eines heimlichen Spitzel wesens, denn in der Praxis unterschied man genau so wie heute zwischen einer notwendigen Anzeige und ei- ner negativen "Denunziation". Je differenzier- ter eine Dorfgemeinschaft wurde und je öfter damit Konflikte auftraten, um so mehr wurde gerügt, wobei sich der Rügende nicht, wie spä- ter, wegen möglicher politischer Motive zu rechtfertigen hatte, denn in der Markgraf- schaft Baden wie anderswo kannte man einen fundamentalen Systemwechsel noch nicht. Jahrhundertwende Das trat erst Jahrzehnte später ein. Diedind Hüchtker berichtet in ihrem Forschungsbe- richt über "Das Räubergesindel und die Unru- hen in der Zeit der Französischen Revolution. Die Bedeutung von Anzeigen, Gerüchten und regelmäßigen Berichten für die Kommunika- tionspraxis der badischen Verwaltung am Ende des 18. JahrhundertS". 197 Ocr Roman von Goedles Schwager Christian Vulpi us über den Räuberhauptmann Rinaldini wurde ab 1779 ein Publ iku mserfolg. Am Oberrhein mehrten sich um diese Zeit Berichte über Räuberbanden, die wohl auf- grund von Hungerkrisen und Revolutions- kriegen entstanden waren. Die wachsende Pu- blizistik einer französischen Brigantenliteratur oder deutscher Räuberromantik sorgte für den Bekanntheitsgrad, und nicht zuletzt spielt Friedrich Schillers Jugendwerk in diesem Mi- lieu. Es waren z. T. kleine, kurzlebige Banden, die Überfälle auf Landstraßen unternahmen, aber auch größere wie die des bekannten Schinderhannes in den Rheinlanden, der schließlich 1803 hingerichtet wurde. Der Markgrafkonnte über dieses Banden- wesen nicht anders als über Anzeigen infor- miert werden, wobei das Gerücht eine große Rolle spielte, denn deren Allgemeinheit schütz- re einzelne Informanten vor Rachedrohungen der Räuber. Die Gerüchte wurden von den Ämtern noriert und weitergeleitet, damit man mit diesen Berichten seine Pflichterfüllung dokumentieren konnte, aber unbeachtet gelas- sen, wenn nichts Spekrakuläres auftrar. "Knapp und formal" wurden selbsr die vierteljährli- chen Berichre über die Bettelbekämpfung ge- halren. Auch hier musste sich 1769 ein Pfarrer beklagen, wie lax das Oberamt sich dabei ver- halte. Emigranten Unruhen ganz anderer Art zeichneten sich mit der Französischen Revolution ab, so "Missver- gnügungen" über Abgaberegelungen, Unzu- friedenheit über die Stationierung französi- scher konterrevolutionärer Truppen und das Wirken deutscher Jakobiner. Die badische Regierung reagierte verhalten, denn Markgraf Kar! Friedrich befürwortete als besorgrer Nachbar Frankreichs weder die Revolution noch schloss er sich Gegnern wie Preußen und Österreich an. Jedenfalls wurden in den Ober- ämtern einzelne Truppenteile stationiert, um Unruhen rasch erliegen zu lassen. Mit dem rapiden Einströmen der Emigranten schwol- len auch die Anzeigen an. Im Unterschied zu den Gerüchten über Räuberbanden waren diese Informationen präziser, und man be- kannte sich namentlich in Anzeigen über mögliche "Spione". Dabei zeigte sich in dieser "Sattelzeit" der Periode der "Umbrüche" Mehrfaches: zum einen die Abneigung gegen- über dem "fremden liederlichen Gesindel", ob Ausländer oder deutsche Vaganten, und man qualifizierte sich als "rechtschaffener Bürger" bei erhöhter Gefahrenwahrnehmung, nicht zuletzt in Sorge um das Eigentum. Zum ande- ren betonte der Anzeiger sein Vertrauen zur 198 Obrigkeit, die seine Denunziationen von der Verwaltungshierarchie auch entsprechend auf- nahm. um ihrerseits patriachalisches Vertrau- ensverhältnis zu betonen. Freilich gab es in der badischen Beamtenschaft nicht nur Revoluti- onsgegner, sondern auch Sympathisanten, die Revolutionäre nicht als "Gesindel" einstuften, andererseits gegen umherziehende Soldaten, vor allem Deserteure der französischen Revolutionsarmee, vorgehen mussten, die sich von Räuberbanden wenig unterschieden. Zuweilen nahmen Büger auf- grund von Anzeigen eine "Generalstreife" selbst in die Hand, um eine Gegend sicherer zu machen. So berichtete der Oberamtsmann Posselt von Pforzheim1793 dem Markgrafen: "Wir bemerken dahiebei, dass von der hiesi- gen Bürgerschaft, welche sich doch sonst nicht gerne zu dergleichen Streifen brauchen lassen, zu Bezeugung ihres guten Willens bei dieser Gelegenheit ein Drittel mehr als durch den Stadthauptmann aufgeboten worden, solche freiwillig mitgemacht." Die Zeiten waren un- ruhiger geworden. Viele trauten den Kontroll- instanzen nicht mehr den nötigen Eingriff zu, weil Rebellion und Vagantenturn sich zu ver- schmelzen schienen. Auf der Ebene des Adels zeigte sich der Karlsruher Hof sehr offen ge- genüber den emigrierten französischen 5tan- desgenossen. In den "Betrachtungen eines Ob- erbeamten am Rhein über französische Emig- ranten" von 1798 wurden aber "Fremde aus irgendeinem revolutionären Lande" mit Vaga- bunden gleichgestellt, weil sie die soziale Ord- nung störten. Ergebnisse Insgesamt blieben die Verwalrungssrrukturen der Markgrafschaft Baden ungebrochen. Die Berichre der Oberämter spiegeln ein klares Verhältnis der Kommunikationsformen zwi- schen Untertanen und Behörde. Gerade die anonymen Berichte ermöglichten oft ausge- dehnte Kontrollen kleinerer Gebiete, wo es Not tat. Die Anzeigen der berichrspflichtigen Funktionsträger wurden freilich nicht mehr als eine besondere Kooperation gewertet, weil sie alltäglich geworden waren und auch nicht immer beachtenswert. Man konnte sicher sein, dass die Bevölkerung "unabhängig da- von, ob und wann sie kooperierte, in die ob- rigkeitlichen Instanzen selbstverständlich ein- gebunden war." Spitzel, Denunzianten und Anzeiger sorgten aber dafür, dass entsprechen- de Berichte der einflussreichen Oberamtmän- ner erstellt werden konnten, aufgrund deren Ordnung geschaffen wurde und das Handeln der Verwaltung vor allem gesetzmäßig er- schien. Der Konflikt zwischen der Bürgerpflicht des Anzeigens und der Bürgertugend des Nichtanzeigens erhielt erst im 19. Jahrhundert neue politische Dimensionen. LEONHARD MÜLLER 199 Karlsruhe und earl Benz Kar! Friedrich Michael Vaillant - so der Ein- trag im Kirchenbuch - wurde am 25. Novem- ber 1844 als Sohn der Johanna Vaillant aus Landstuhl in Mühlburg geboren. In einem Ehevertrag vom 31. Oktober 1845. erkannte der in Pfaffenrodt geborene Lokomotivführer Johann Georg Benz ihn knapp ein Jahr später als seinen Sohn an. Da Carl Benz seinen Vor- namen später selbst mit "C" schrieb, hat sich diese Schreibweise heute weitgehend durchge- setzt. Ausbildung in KarIsruhe Bald zog die Familie Benz in die benachbarte Residenzstadt Carlsruhe, zunächst in die Stra- ße "vor dem RüppurrerTor", dann in die Kro- nenstraße. Nach dem Willen seiner Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1846 als Folge einer Berufserktankung den Le- bensunterhalt der Famiiie verdienen musste, sollte Carl Benz Beamter werden und besuchte deshalb das Karlsruher Gymnasium. Dort wa- ren Physik und Chemie seine Lieblingsfächer. Darübet hinaus bewies er handwerkliches Ge- schick, fotografierte und eignete sich mecha- nische Kenntnisse an. Mit 17 Jahren besuch- te er das Polytechnikum mit dem Berufsziel Ingenieur. Über die wissenschaftliche Arbeit hinaus ließ er eine große Neigung zur prakti- schen Atbeit erkennen, die ihn oft an die Werkbank führte. Bei der traditionsreichen Maschinenbauge- sellschaft Karlsruhe in der Südweststadt fand er nach dem Studium die erste Anstellung. Die 1836 von Emil Keßler und Theodor Mar- tiensen gegründete Firma hatte im Januar 1843 die erste badische Lokomotive, die "Ba- denia" ausgeliefert. Als Carl Benz am 1. Au- gust 1864 seine Tätigkeit in der größten KarIs- ruher Fabrik begann, hieß diese seit 1852 schon Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe. Nur ein Landeskredit hatte die in Konkurs gegangene Maschinenfabrik Keßler und Mar- tiensen gerettet, die als Aktiengesellschaft mit neuem Namen weitergefährt wurde. Hiet stand Benz von 1864 bis 1867 "als Arbeiter an Schraubstock und Drehbank" um noch ein- mal "ganz unten bei den Grundlagen anzufan- gen. (I Später erinnerte er sich: .. Der Dienst war hart, Sommer wie Winter von morgens 6 bis abends 7 Uhr, nur mit einer Stunde Mittags- pause. Hier lernte ich, wenn ich zwölf Stunden lang im Halbdunkel der damals noch mangel- haft beleuchteten Fabtiktäume gebohrt und ge- feilt hatte, dass Wort 'Lehrjahre sind keine Her- renjahre' von seiner strengsten Seite kennen." Mit dem Ende seiner Tätigkeit bei der Ma- schinenbaugesellschaft verließ Benz die Stadt. Werkstatt in Mannheim 1871 gründete er mit dem Mechaniker August Ritter die erste eigene mechanische Werkstätte "Karl Benz und August Ritter" in Mannheim, die er im folgenden Jahr allein übernahm. Die darauffolgenden Jahre schwerer wirtschaftli- cher Krisen, die als "Große Depression" in die Geschichte eingingen, brachten ihn an den Rand des Ruins. 1878 begann er mit der Ar- beit an einem Zweitakt-Gasmotor, der für den Konstrukteur der Beginn der industriellen Tä- tigkeit war, wenngleich er die 1882 mit Part- nern gegründete "Gasmotorenfabrik in Mann- heim" schon nach wenigen Monaten wieder verließ. 1883 gründete er, wiederum mit Part- nern, die offene Handelsgesellschaft "Benz und Cie., Rheinische Gasmotorenfabrik" . Mit 200 dem Benz-Patentwagen von 1886, einem Dreiradwagen, gelang ihm die Konstruktion, die ihn zu den bahnbrechenden Erfindern der Automobilrechnik gehören lässt. Ab 1893 rückte die Firma Benz an die Spirze der inter- nationalen Automobilindusrrie. 1899 waren insgesamt 2.000 Fahrzeuge ausgeliefert, da- runter mit Sicherheit auch schon nach Karls- ruhe. Wann das erste Benz-Automobil nach Karlsruhe geliefert worden ist, kann man mit Sicherheit aber nicht sagen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass es ein am 17. Oktober 1895 ausgeliefertes "Velo" war. Im Daimler- Chrysler-Archiv in Sturrgart sind die ersten Seiten des Buches, in dem die ausgelieferten Benz·Automobile verzeichnet sind, nicht er- halten, so dass man nicht weiß, ob der dort unter der Nummer 245 aufgeführte Velo tat- sächlich auch der ersre nach Karlsruhe geliefer- te Benz ist. Die ersten "Velos" Als das "Velo" 1894 das erste Mal gebaut wur- de, war es der erste Kleinwagen der Welt, von dem man mehr als 1.200 Einheiten verkaufte. Dieses erste Serienautomobil der Welt wog 280 kg, hatte 1,5 PS bei einem Hubraum von 1045 ccm. Mit dem Erfolg des Mercedes- Modells der Firma Daimler in den Autoren- nen von Nizza im Frühjahr 1901 erlebte die Firma Benz, wie die gesamte Automobilindus- trie, einen schweren Einbruch. Dies und seine Abneigung gegen den allgemeinen Trend zur Geschwindigkeit führten 1903 zum Ausschei- den des Konstrukteurs aus seiner Firma, deren Aufsichtsrat er jedoch ab 1904 wieder ange- hörte. Er verlegte seinen Wohnsitz nach La- denburg am Neckar, wo er bald darauf wie- derum eine kleine Fabrik zur Herstellung von Kraftwagen und Motoren ins Leben rief. Eines der wichtigsten Ereignisse im Leben des Carl Benz war wohl die Fusion der Pionierfirmen earl Bcnz in jungen Jahren, vermutlich /loch in seiner Karlsruher Zeit. Daimler und Benz im Jahre 1926 zur Daim- ler-Benz AG. Durch den Zusammenschluss der Stammfirmen und ihrer zahlreichen Wer- ke und Verkaufsorganisationen gelang es, auch die folgenden schweren Wirtschaftskrisen zu überstehen. Am 4. April 1929 starb Carl Benz in Ladenburg. Carl Benz gelangen seine Erfin- dungen zwar nicht in Mühlburg oder Karlsru- he. Sein Name blieb und bleibt aber mir der Stadt verbunden, in der er geboren wurde. Anerkennung und Ehrungen Bis 1924, als er 80 Jahre alt wurde, gab es kei- ne nachweislichen offiziellen Kontakte der Stadt Karlsruhe zu Carl Benz. Am 27. Novem- 201 Eines der ersten, wenn nicht das erste nach Karlsruhe gelieferte ßenz-Auwmobil war ein solches "Velo". earl Benz und Familie im Fabrikhof der Firma Benz & Cie in Mannheim, 1894. Von links nach rechts Sohn Richard. die Töcluer Thilde und Ellen, Ca rl Benz, Toch[cr Clara, Sohn Eugen. ber gratulierte Oberbürgermeister Julius Fin- ter dem seit 1914 mit der Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Karlsruhe geehr- ten Automobilpionier nachträglich zum 80. Geburtstag. "Ihre Vaterstadt freut sich mit Ih- nen, dass es Ihnen vergönnt war, das Werk Ihres Erfindergeistes zu so gewaltiger Größe und Bedeutung ausgereift zu sehen .... Die ba- dische Landeshauptstadt nennt sie mit Stolz Ihren Sohn". Damit war der Kontakt hergestellt, es folg- ten weitere jährliche Geburtstagsglückwün- sche. earl Benz bedankte sich am 4. Dezem- ber 1926 für die Glückwünsche der Stadt zu seinem 83. Geburtstag. "Wie sehr ich zeit- lebens mit allen Herzensfasern an jener Stadt hing, in der ich Kindheit und Jugend verleb- te, wo ich die Volksschule und das Gymnasi- um besuchte und in vierjahrigem Studium auf der Technischen Hochschule mir das Rüstzeug für mein späteres Schaffen holte - das alles habe ich in meinem Buche 'Lebensfahtt eines deutschen Erfinders' niedergelegt." Kurz dar- auf erhielt das Stadtarchiv ein Exemplar dieser Lebenserinnerungen. Den Vorschlag von Elisabem Trippmacher aus Ladenburg. earl Benz die Ehrenbürger- würde zu verleihen. griff die Stadt allerdings nichr auf. Sie benannte aber 1928 eine Straße nach ihm und veranlasste den mit der Ausma- 202 lung des Bürgersaals im Rathaus beauftragten Hans AdolfBühler, das Bildnis von Carl Benz dort zu integrieren. Nach dem Tod von Carl Benz erschienen in den Karlsruher Zeitungen zahlreiche Todes- anzeigen und Nachrufe, die alle betonten, dass mit ihm ein Sohn der Stadt gestorben sei. Die Stadt beschloss, eine Gedenktafel an dessen Geburtshaus anbringen zu lassen. Die nach dem Standort befragte Elisabeth Trippmacher teilte am 28. April 1929 aber mit, dass das Geburtshaus "nicht mehr zu ermitteln ist, da die Mutter des großen Mannes wiederholt nach dem Tode ihres Mannes umgezogen u. so erfuhr Dr. C. Benz nie, in welchem Hause sich seine Geburt vollzogen. Er äußerte mir gegen- über vor Jahren einmal scherzend, dass dieses Haus, in dem er geboren, wohl längst durch ein neues ersetzt worden sei - verbaut". Am 17. April 1933 ließ der Bürgerverein Mühl- burg eine Gedenktafel deshalb am alten Mühl- burger Rathaus anbringen. Heute vermutet man in Mühlburg, dass sich das Haus in der Marktstraße befunden haben könnte. Der Bericht des Karlsruher Tagblatts vom 18. April 1933 über die Anbringung der Tafel hob hervor, dass Mühlburg "die Geburtsstät- te eines Mannes" sei, "dessen Erfindung dem gesamten Verkehrswesen der Welt sein[enl Stempel aufdrückte und in völlig neue Bahnen brachte." Ende 1933 griff der Karlsruher Stadtrat auch den Vorschlag auf, ein Benz-Denkmal zu errichten. Es soll re aber in Verbindung mit einer für 1935 geplanten Autosternfahrt des Deutschen Automobilclubs (DDAC) und des Narionalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) nach Karlsruhe im Jahr 1935 einge- weiht werden. Das von ürrmar Schrott-Vorse (Büste) und dem städtischen Hochbauamt (Sockel) gestaltete Denkmal wurde schließlich auch wie geplant am 23. Juni 1935 in Anwe- senheit von Bertha Benz eingeweiht. Im Zwei- ten Weltkrieg fiel die Bronzebüste den Metall- beschaffungsmaßnahmen zum Opfer und wurde eingeschmolzen. Nach Kriegsende dau- erte es noch bis 1956, dass das Benz-Denkmal wieder einen Kopfbekam. Der Bildhauer Carl Egler hatte den Auftrag bekommen, wobei er sich in einigen formalen Details der Physiog- nomie an das Original hielt. Das um 100 Merer nach Osten vor die neue Wirtschafts- oberschule am Ettlinger Tor versetzte Denk- mal wurde am 26. April 1958 offiziell von Oberbürgermeister Günther Klotz in Anwe- senheit zahlreicher Prominenz enthüllt. Im März 1963 entschied man, dass das Denkmal wegen der Bauarbeiten an der Kriegs- straße einen neuen Standort erhalten müsse und verlegte es an die Beiertheimer Allee, wo es bis heute steht. Zudem erinnern die 1971 in Mühlburg eingeweihte Carl-Benz-Halle und die 1973 ge- baute Carl-Benz-Schule in Wettersbach an den großen Automobilpionier. Am 6. Juni 1999 fand erstmals ein Autokorso "Tribut an Carl Benz" statt. Im Juni 2002 steht Carl Benz erneut im Mittelpunkt eines solchen Autokor- sos, sein Leben und Werk werden anlässlich des Karlsruher Stadtgeburtstages in einer Aus- stellung des Carl-Benz-Museums in Laden- burg, der Universität und des Stadtarchivs im Rathaus gezeigt. ERNST OTTO BRÄUNCHE 203 Der Botanische Garten in Karlsruhe Karlsruhe isr in der glücklichen Lage, im Zen- trum der Stadt ein Kleinod ganz besonderer Art zu besitzen. Das ist der Botanische Garten, ein von Gebäuden umgebener Freiraum, der mit seinen Gewächsen, Rasenflächen und Wasserbecken ein beliebter Aufenthaltsort für die Bürger geworden ist. Nicht immer ist man sich aber bewusst, dass diese Anlage mit seiner architektonischen Fassung als Kunstwerk von hohem europäischem Rang gesehen werden muss. Sie ist also nicht nur aus lokalpatrio- tischet'Wertschätzung ein wichtiger und erhal- tenswerter Stadtraum. Wir haben es hier mit einem fast intakten Ensemble der Spätroman- tik zu tun, in mehreren Plansrufen entworfen von dem badischen Architekten Heinrich Hübsch (1795-1863) und begonnen im Jahre 1837 mit dem Bau der Kunsthalle. Die Geschichte des Gartens Die Geschichte des Botanischen Gartens reicht zeitlich weiter zurück. Er entstand unter Mark- graf Karl Friedrich, als 1754 der Schlossvor- platz als Blumengarten aufgelöst und zum Empfangshof der Residenz umgestaltet wer- den sollte. Damit wandelte sich dieser zentrale Stadtraum zu einer Repräsentationsbühne des badischen Staates, auf der Ostseite gefasst von den Marstallgebäuden, im Westen durch drei Orangerien, hinter denen sich ein Küchengar- ten und der Holzplatz befanden. Dorthin ver- lagerte man nun die Blumenpracht, und da auch seltene Gewächse vor dem Winter ge- schütZ[ werden mussten, entstanden weitere Bauten, die aber insgesamt noch keinen Rah- men für den Freiraum ergaben. Großartige Entwürfe in spätbarocker Form sind uns von Jeremias Müller überliefert. Friedrich Wein- brenner schuf nach 1806 eine heute nicht mehr erhaltene Orangerie, einige Treibhäuser und vor allem ein Hoftheater, das sich an Stel- le des heutigen Bundesverfassungsgerichts be- fand. Dieser Bau, unscheinbar im Äußeren, doch wegen seiner Schönheit und vornehmen Farbigkeit im Inneren gerühmt, brannte leider 1847 bis auf die Grundmauern aus. Es war eine der größten Theaterkatastrophen des 19. Jahrhunderts bei der 62 Menschen den Tod fanden, da man durch nachträgliche Um- und Anbauten die Fluchtwege verstellt hatte. Vier Jahre später erhielt Heinrich Hübsch den Auftrag, an der gleichen Stelle ein größeres Theater zu errichten, so dass mit seiner Kunst- halle zunächst arn Rand des Botanischen Gar- tens ein Kulturforum entstand. Der Neubau wurde etwas aus der Flucht zurückgesetzt. So erhielt er seinen eigenen Vorhof, und zu bei- den Seiten standen immer noch die barocken Orangeriegebäude, von denen nur das mittlere durch die Brandkatas trophe zu Grunde gegan- gen war. Noch aber fehlte die architektonische Fassung des Botanischen Gartens. Sie entstand in den nachfolgenden Jahren zwischen 1853 und 1857. Als Kette unterschiedlich gestalte- ter Bauten hatte Heinrich Hübsch eine neue Orangerie, die .,warmen Häuser", den Torbo- gen und die große Exedra des "italienischen Gartens" eneworfen. Wie ein breit auseinan- dergezogener Bühnenprospekt sollten die Ge- bäude sich entfalten, jedes mit seiner eigenen Form und in spannungsvollem Kontrast ne- beneinandergesetzt durch ihre gestreckten oder höher aufragenden Konturen, mit mehr ge- schlossenen oder rransparenrcn Fassaden. So entstand in Zusammenarbeit mit der Hofgärtnerei ein Ensemble von ganz besonde- rem Reiz. Es ist eine Schöpfung der späten 204 Bmanischer Garten im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. deutschen Romantik, von der wir die schöns- ten, aber zumeist unausgeführte Entwürfe ken- nen. Dazu gehört zum Beispiel das Schlosspro- jekt von Karl Friedrich Schinkel für die Akro- polis zu Athen, auch der Zaren palast Orianda oder die "Fürstenresidenz" als Musterbeispiel für sein Lehrbuch. Man könnte in diesem Zusammenhang noch die Museumsinsel von Berlin erwähnen. Die Schinkelschüler Fried- rich August Stiller und Heinrich Strack hatten dort ein Zentrum für Kunst und Wissenschaft geplant, durchsetzt mit Gartenanlagen und umflossen von der Spree. Aber auch davon wurde nur mit dem Neuen Museum und der Nationalgalerie ein Teil des Ganzen gebaut. Die Eisenbahn zerschnitt dann die Insel und fügte diesem spätromantischen Ensemble ei- nen schweren unreparablen Schaden zu. Der asymmetrische Charalkter Es blieb von diesen architektonischen Träu- men wenig erhalten. Wir können sie in den Plansammlungen bewundern und wissen, dass die politischen Ereignisse, die Revolution von 1848/49 die Menschen veränderte. Sie wur- den realistischer und waren nicht mehr bereit, in Architekturträume hohe Kosten zu investie- ren. Karlsruhe blieb eine Ausnahme und ist damit für die deutsche und europäischen Bau- geschichte eine überaus wertvolle Seltenheit. Hier wurde tatsächlich ein Ensemble in be- achtlicher Größe geschaffen, das Architektur und Gartenkunst miteinander vereint. Das Charakteristische an dieser spätromantischen Komposition ist die Asymmetrie. Sie ergab sich aus dem Prinzip, dass jeder Raum und jeder Baukörper nach seiner Funktion auch seine eigene unverwechselbare Gestalt erhalten müsse. Ein "Individualisieren" der einzelnen Gebäudeteile in einem größeren Komplex fin- den wir auch in den späten Entwürfen Schin- kels, wenn wir an die "Römischen Bäder" in Potsdam, seinen 5chlossenrwutf für Athen oder an die Fürstenresidenz denken. So sind in einem solchen Ensemble auch keine Haupt- 205 achsen vorhanden. Ganz unterschiedlich er- lebt man die Blickrichtungen und mit ihnen auch die Raumerlebnisse der Gärten. In Karlsruhe hatte Hübsch mit seiner Pla- nung zunächst eine sehr schwierige Situation zu bewältigen. Sie ergab sich aus dem Fächer- grundriss der Stadt. Das für den Botanischen Garten vorgesehene Gelände hatte die Form eines Dreiecks. dessen Spitze gegen den Schloss- turm als Mittelpunkt der Residenz gerichtet war. Dort verengte sich der Raum. so dass dem mit Architektur und Gartenkunst entgegenge- wirkt werden musste. Zunächst wollte man so weit wie möglich die Mauern der älteren Ge- wächshäuser verwenden. Dann aber zeigte es sich. dass durch den Theaterkomplex die ge- planten Neubauten zum Teil verschüttet wur- den . So entschloss man sich. die Bauflucht gegen Nordosten zu verschieben. wodurch nun aber die zum Schlossturm ziehende Allee als Fortsetzung der heutigen Bismarckstraße überbaut werden musste. Das aber genügte noch nicht. Hübsch bewältigte schließlich das Entwurfsproblem durch das ausschwingende Rund des "italienischen· Gartens". der gerade dort das Gelände erweitert. wo das Zusam- mendrängen der Begrenzungslinien kritisch wird. Die Dreieckspitze des Gartens ließ sich mit einem kleinen Wäldchen kaschieren. Es verschleiert damit den Schlossbau und öffnet sich zu den weiträumigen und lichten Rasen- flächen gegen Westen mit Blick aufTorbogen. Warmhaus und Orangerie. Reizvoll ist damit ein Kontras t ausgespielt. der den Garten. je nach welcher Richtung man ihn durchschreitet. in ganz unterschiedlichen Lichtstimmungen und Perspektiven erleben lässt. Der Kunstgriff besteht darin. dass durch das Wäldchen die Dreieckspitze gefüllt und die übrige Fläche als Trapez gesehen wird. Der italienkundige Hein- rich Hübsch wusste. wie die Barockarchitek- ren gerade diese Grundform zu nutzen ver- standen. So überträgt er den dort erkannten perspektivischen Kniff auf den Botanischen Garten. den man mit Blick zum Schloss länger und gestreckter. in umgekehrter Richtung aber breiter zu erfassen glaubt. Die Bepflanzung Wir wissen leider nicht. wer maßgeblich an der Bepflanzung beteiligt war. Aus den Akten ist zu entnehmen, dass Hübsch zunächst etwas andere Vorstellungen hatte als der Karlsruher Gartendirektor Held oder Hofgärtner Mayer. Der Schloss park war nach 1853 zum land- schaftsgarten umgestaltet worden. Die Barock- anlage mit Parterre- und Boskettzone hatte man beseitigt. damit auch die Regelmäßigkeit der Fächerachsen durch Busch- und Baum- gruppen kaschiert. um die Natur von den strengen Bindungen der Architektur zu befrei- en. Es ist damit eine Auflösung des "barocken Verbandes" erfolgt. die sich konsequent im Botanischen Garten fortsetzen sollte. Das be- deutete also gleichfalls für die Grünanlagen verschlungene Wege zu planen. malerisch ver- teilte Baumgruppen anzuordnen oder mar- kante Einzelgewächse in das Blickfeld der Ra- senflächen zu stellen. Durch Italien scheint sich aber Heinrich Hübsch an der manieristi- schen Gartenkunst begeistert zu haben. Dabei handelt es sich um mehr geordnete Anlagen. die von Mauern oder Bauten umgrenzt südli- che Pflanzen. zum Beispiel Orangen- und Zi- tronenbäume, Palmen oder seltene exotische Gewächse bergen. Durchdringt ein Besucher die architektonische Fassung. soll er den Be- reich wie ein kleines Wunderland erleben. das sich in seiner ganz besonderen. aber auch künstlichen Atmosphäre deutlich von der Umwelt unterscheidet. So ist nach seinen Vor- stellungen der Botanische Garten keine Fort- setzung von Schloss park oder Landschafts- park. Er hatte ein umschlossener Sonderbe- reich zu bleiben. der aber auch nicht allein der 206 botanische Sammelleidenschafr zu dienen hat- te. Es kam Hübsch hauptsächlich darauf an, dass "die vorzugsweise den Laien ansprechende Schönheit und Großartigkeit - also die mas- senhafte Anpflanzung des gleichmäßigen vor- herrschen" sollte. Schließlich kam es zu einem Kompromiss. Architekt und Hofgärrnerei müssen sich mit ihren unterschiedlichen Vor- stellungen geeinigt haben, so dass als Ergebnis der heutige Garten entstand. An seinen Ent- würfen sehen wir aber, dass Hübsch zumin- dest ein rundes Wasserbecken plante, das er dann auch durchserzen und ausführen konn- te. So kam es zu dem beliebten Karpfenteich, der in die Blickachse des Torbogens gestellt und gartenarchitekronisch ein Zentrum bil- den sollte, um die Anlage mit a11 ihren gewoll- ten Unregelmäßigkeiten dann doch zusam- menzuhalten. Die Fassung durch die Bauten aber ist al- lein das Werk von Heintich Hübsch. Er ent- warf sie in seinem geforderten Rundbogenstil. Mit seiner Schrift "in welchem Style sollen wir bauen", hatte schon 1828 der damals noch junge, unbekannte Feuerkopf schlagartig auf sich und seine Thesen aufmerksam gemacht, mit denen er sich von der klassizis tischen Ar- chirravarchitektur distanzierte und die An- wendung der Wölbtechnik verlangte. Es ist erstaunlich, wie sofort Karl Friedrich Schinkel in Berlin darauf reagierte. Bei seinem großen Packhofspeicher wandte er im darauffolgen- den Jahr konsequent den Rundbogen an, und als Hübsch 1829 das Karlsror schuf, entstand in der preußischen Residenz am Luisenplarz fast eine Kopie. Schinkel muss also mit großer Aufmetksamkeit das Baugeschehen in Karlsru- he beobachtet haben. Aber im umgekehrten Fall war es ebenso. Hübsch wurde auch durch Schinkel beein- flusst und übernahm von der Berliner Bauaka- demie den eleganten Segmentbogen für seine Trinkhalle in Baden-Baden und das Hofihea- ter in Karlsruhe. Es war ein Geben und Neh- men, ohne dass die Selbständigkeit einge- schränkt wurde. Durch seine Reisen hatte Hübsch sehr viel gesehen. Er kannte nicht nur Italien und Frankreich, sondern auch das da- mals schwer zu erreichende Griechenland und Konstantinopel mit seiner frühchristlich-by- zantinischen Baukunst. Er hatte sehr viel mehr gesehen und erlebt als Karl Friedrich Schinkel. Eine harmonische Einheit Doch verfolgten beide ähnliche Ziele, auch wenn Hübsch, durch seine Thesen festgelegt und deshalb konsequenter war. Der von ihm proklamierte Rundbogenstilließ sich durch- aus variieren, und allein der Botanische Gar- ten in Karlsruhe zeigt, welche Möglichkeiten er für die unterschiedliche Gestaltung der Ge- bäude bereithielt. Wie Schinkel oder Friedrich von Gärtner in München bemühte sich dabei auch Hübsch um eine polychrome Architek- tur. Aber die Farbigkeit der Fassaden sollte nicht durch einen Putzanstrich hergestellt werden. Es war das Ziel dieser spätromanti- schen Generation, das Baumarerial in seiner unterschiedlichen Tönung und Oberflächen- struktur zur Geltung zu bringen. Der Kunst- und Natursrein sollte sich in seiner besonderen Eigenheit zeigen. Um mehr Spielraum für die Fassadengestalrung zu gewinnen, versuchten Hübsch und Schinkel mit großem Engage- ment die Anwendung keramischer Bauelemen- te zu fördern. Terrakotten sollten den plas- tischen Schmuck ergeben und Formsteine die kosten- und zeitaufWendige Steinmetzarbeit erserzen. Ganz besonders faszinierte sie die Farbbeständigkeit der Backsteinarchitektur, die beide in Oberitalien kennengelernt hatten. Dabei ist interessant, wie Hübsch im Gegen- satz zu seinem Berliner Kollegen die äußere wetterabweisende Schicht auch als Verklei- dung darzustellen versucht, indem er sie wie 207 aufgespannte Teppichbahnen mit Borten de- koriert und runde Scheiben als Heftsymbole einfügt, die an der Orangeriefassade wie gro- ße Nagelköpfe wirken. Auch wechselt von Bau zu Bau die Wandstruktur. Am Torbogen ist die keramische Verkleidung durch eine Diagonal- schraffur wie ein Netz behandelt. Und in ab- gestimmten Farben sind die Kacheln oder Zie- gel mit Sandsteinelementen kombiniert. Sie ergeben zusammen die polychrome Fassung des Gartens, die ihn wie ein Juwel umschließt und seine südlich heitere und lebensfrohe At- mosphäre ganz entscheidend mitbestimmt. Architektur und Gartenkunst steigern sich ge- genseitig in ihrer Wirkung und sind im Ne- beneinander von Natur und Menschenwerk eine harmonische Einheit, die durch keinen Eingriff beschädigt werden darf. MANFRED KLiNKOIT Ein Historiker in der Landespolitik der Nachkriegszeit Franz Schnabel als Leiter der Kultus- und Unterrichtsabteilllng Nordbadens Als der 1936 von den Nationalsozialisten zwangspensionierte Geschichtsprofessor Franz Schnabel am 5. September 1945 die Leitung der Kultus- und Unterrichtsabteilung im Prä- sidium des Landesbezirks Baden übernahm, betrat er damit weitgehend berufliches Neu- land. Immerhin hatte Schnabel mit der Reor- ganisation der Volksschulen in der zunächst amerikanisch besetzten Pfalz im Mai und Juni schon erste Erfahrungen sammeln, letzdich aber kaum mehr als einen ersten Eindruck gewinnen können. Nun galt es nicht nur, das Elementar-, sondern das gesamte Schulwesen Nordbadens, dazu die Universität Heidelberg und die TH Karlsruhe wiederaufZubauen, und dies im Spannungsfeld der Besatzungspolitik einerseits, der Interessen von Eltern, Erziehern und der sich formierenden Landespolitik an- dererseits. Sein Werdegang Was bewog einen politisch unbelasteten Uni- versitätsprofessor wie Franz Schnabel, sich statt der Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit dem NeuauEbau von Schule und Universität in einem von Enrnazifizierungs- und Umer- ziehungsvorgaben eng gesteckten Rahmen zu widmen? Warum nahm er eine solche glei- chermaßen schwierige wie unpopuläre Tätig- keit auf sich? Patriotische Gesinnung, Ver- pflichtung einem "nderetl, einem demokrati- schen Deutschland gegenüber führten im all- gemeinen jene an, die wie Schnabel nach Kriegsende für Aufgaben in der Zivilverwal- rung oder den Prüfungsausschüssen der Ent- nazifizierung rekrutiert wurden. Einen weite- ren Erklärungsansatz für sein eineinhalb Jah- re währendes Engagement in der Kultus- und Unterrichtsabteilung bieten seine Biografie wie der spezielle geschichtswissenschafdiche Ansatz Franz Schnabels. 1887 in Mannheim geboren, hatte er 1906 bis 1911 in Berlin und Heidelberg Geschichte und Philologie studiert, um später die Fächer Geschichte, Deutsch, Französisch und Latein zu unterrichten. Eine Probearbeit aus dem sich anschließenden Lehramtspraktikum "Inwieweit ist die Kultur- 208 geschichte im Geschichtsunterricht der Ober- klassen zu berücksichtigen?" ist im General- Iandesarchiv überliefere. übrigens jenem Ge- bäude in der Nördlichen Hildapromenade 2. in dem sich 1945 bis 1947 auch Schnabels Diensträume befanden. Gymnasialprofessor wurde er allerdings erst nach der Heimkehr aus dem Ersten Weltkrieg. zu nächst an der Karlsruher Lessing-. dann an der Goetheschu- le. 1920 erhielt er die ehrenvolle Aufforderung der Karlsruher Technischen Hochschule. sich zu habilitieren. zwei Jahre später ernannte ihn das Badische Kultus- und Unterrichtsministe- rium zum Professor für das Fach Geschichte. Schnabel war in zweierlei Hinsicht ein umypi- scher Vertreter seines Fachs: er lehrte an keiner Universität, sondern an einer Technischen Hochschule, und er vertrat einen von seinen Historikerkollegen sehr verschiedenen For- schungsansatz. Ungewöhnlich war also erstens sein Adressatenkreis: angehende Ingenieure und Techniker. dazu die interessierte Karlsru- her Öffentlichkeit. kaum jedoch der "klassi- sche" Geschichtsstudent. der eher in Heidel- berg studierte. Außergewöhnlich war aber auch sein methodischer Ansatz. der die Ge- schichte ganz allgemein als Kulturgeschichte fass te. statt sie auf die politische. die Geschich- te der Staaten und ihrer Beziehungen zu redu- zieren. Schnabels Geschichtsbild. Schnabels humanistische Ideale hatten unter den Natio- nalsozialisten keine Konjunktur. Sie nun wie- der auflängere Sicht zur Gtundlage von Unter- richt und Bildung machen zu können. mochte nun die Entscheidung des einstigen Gymnasi- allehrers für eine Mitwirkung am Wiederauf- bau von Schule und Bildungswesen entschei- dend beeinflusst haben. Entnazifizierung nach 1945 Als Landesdirektor für Kultus- und Umerricht hatte Franz Schnabel zunächst ei nmal die Franz Schnabel . 1887-1966. Wiederaufnahme des Elementarunterrichts in Nordbaden zu gewährleisten und zu diesem Zweck sowohl Räumlichkeiten. Mobiliar und Unterrichtsmaterialien als auch politisch un- belastetes Personal zur Verfügung zu stellen. "Wir haben [ ... ]". berichtete er in einem Vor- trag vor den nordbadischen Bürgermeistern. "den Grundsarz durchgeführt. dass kein Leh- rer. der jemals Parteimitglied gewesen ist. bei der Grundlegung der neuen Schule mitwirken kann. Mag sein Motiv. warum er beigetreten ist, gewesen sein, welches es wolle - mag er Gefallen gefunden haben an der Prahlerei und an der Plakatierung der Gewalt oder mag er nachgegeben haben aus Gedankenlosigkeit. aus Bequemlichkeit oder aus Streberei - das Vorbild. das er [ ... ] zu geben verpflichtet ist. 209 hat er gewiss nicht gegeben." Bereits im Mai und Juni 1945 hatte die damals noch franzö- sische Militärregierung sämtliche Lehrer sus- pendiert. die der NSDAP angehört oder an einer elsässischen Schule unterrichter hatten. Doch war angesichts des Ausmaßes der Amts- enthebungen eine Teilrevision dieser Entlas- sungen beschlossen worden. die zunächst auch von der nachfolgenden amerikanischen Mili- tärverwaltung getragen wurde. Mitte Oktober sah diese sich allerdings zu einer Verschärfung ihrer Entlassungspraxis veranlaßt. so dass etli- chen der seit dem 1. Oktober wiedereröffne- ten Volksschulen Nordbadens die erneute Schließung drohte. Allein im Landkreis Karls- ruhe waren 42 Lehrer von dieser Maßnahme betroffen. In kleinen Orten kam gar der Schul betrieb zum Erliegen. "Die angeordnete Entlassung". klagte Schnabel bei Landesbe- zirkspräsident Heinrich Köhler. "hat in den Kreisen der Betroffenen große Enttäuschung und Erbitterung hervorgerufen. Die Lehrkräf- te hatten nach ihrer Wiederzulassung zum Schuldienst neuen Lebensmut gefaßt und wußten sich und ihre Familien wieder in gesi- cherten Verhältnissen. Beglückt nahmen sie ihre Schularbeit auf. denn sie durften sich ja nun frei vom Druck der Nazigesetze und Nazi- aufsicht wieder als Lehrer in ihrer Erziehungs- arbeit so einsetzen, wie sie es aus der Zeit vor Hitler gewohnt waren." Problem der Hochschulen Nicht nur den Unterricht an Volksschulen. Februar 1946. Zeitweilig war nicht einmal der Standort Karlsruhe gesichert. und es sollte der vereinten Kräfte des Landesbezirkspräsidenten Köhler. des ersten Karlsruher Nachkriegsober- bürgermeisters Hermann Veir, sowie Franz Schnabels bedürfen. um eine Zusammenle- gung mit der TH Stuttgart oder der Universi- tät Heidelberg zu verhindern. Wie auch der Schul- mußte der Universi- tätsbetrieb mit einem durch Kriegsgefangen- schaft und Entnazifizierung dezimierten lehr- körper aufgenommen werden. Entlassen wa- ren etwa die Rektoren der NS-Zeit. Heinrich Wittmann und RudolfWeigel. entlassen wa- ren aber auch die "Dozentcnführer" der TH, der Physiker Alfons Bühl und der Direktor der chemisch-technischen Prüfungs- und Ver- suchsanstalt. Karl Theodor Nestle. der von der "Zwangsemeritierung" Schnabels profitiert hatte. Was für den Lehrerberuf galt. sollte auch auf Professoren zutreffen: Kein Parteimitglied. keiner. der in der "Zeit 1933 bis 1945 [ ... ] den deutschen Geist vor der ganzen Welt kompro- mittiert hat", sollte am Wiederaufbau der Universitäten mitwirken können. Kompro- mittiert waren Karlsruhe wie Heidelberg etwa durch solche Vertreter einer "deutschen" Phy- sik wie Alfons Bühl oder. prominenter. Philipp Lenard. doch fühlte sich die Rllperto Carola vor allem dadurch angegriffen. dass Franz Schnabel die Korruption des univetsitären Geistes an der Heidelberger Promotion des späteren Reichspropagandaministers Joseph Goebbels festmachte. den weiterführenden wie den Berufsschulen. Streit mit der Universität Heidelberg sondern auch den universitären Betrieb sollte und wollte Franz Schnabel wiederaufnehmen. Hatte die französische Militärverwaltung den Wiederbeginn der Lehrveranstaltungen bereits für den Oktober 1945 in Aussicht gestellt. so verzögerte sich der Anfang des Wintersemes- ters unter amerikanischer Ägide bis in den Walter Jellinek. der Heidelberger Nachkriegs- rektor. und der Philosoph Karl Jaspers warfen Schnabel in ihrer Entgegnung zumindest Ein- seitigkeit zugunsten der Karlsruher TH vor. Der Konflikt sollte eskalieren. als Schnabel 1947 den Rückzug aus der Landespolitik in 210 Das Gebäude des Generallandesarchivs, 1905 fertiggcstellt, um 1910. Im Zweiten Weltkrieg un'Lerstön, war im 4, Stock- bisher fur Dienstboten bestimmt - die Kultus- und Untcrrichtsabtdlung Nordbaden untergebracht. Forschung und Lehre betrieb. Einer Bewer- bung nach Heidelberg widersetzten sich nun die Philosophische Fakultät wie auch der Se- nat auf das heftigste. Die Heidelberger Profes- soren machten deutlich, dass ihnen der ge- schichtswissenschaftliche Ansatz Schnabels nicht passte, seine Methodik "unzeitgemäß" und sein Forschungsschwerpunkt von den "heute so entscheidend gewordenen Fragen der angelsächsischen Welt" zu weit entfernt sei. Schnabels Schüler mutmaßen zudem reli- giöse Vorbehalte gegenüber dem katholischen Historiker. Welcher der genannten Faktoren für das Votum der Fakultät nun ausschlagge- bend war, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sah Schnabel nach den Querelen um seine 211 fehlgeschlagene Berufung keine Basis mehr für eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Hei- delberger Universität und legte die Leitung der Kultus- und Unterrichtsabteilung in der nord- badischen Landesbezirksverwaltung nieder, die er ohnehin länger geführt hatte ,,[ ... ] als gemeinhin solche politischen Ämter bei ein und derselben Person zu bleiben pflegen." Fortan woUce er sich ganz der wissenschaftli- chen Arbeit widmen. Nach München Zu jenem Zeitpunkt hatte Schnabel sich, be- ginnend mit einigen Gastvorlesungen und - vorträgen, längst einen neuen Wirkungskreis an der Universität München geschaffen. wo- hin er zum Wintersemester 1947/48 schließ- lich berufen wurde. "Ich habe nach langer Prü- fung aller Umstände mich entschlossen. nach München zu gehen". schrieb er Heinrich Köh- ler in seiner Bitte um Entlassung aus dem badi- schen Staatsdienst. "weil der Ruf dorthin schon seit zwei Jahren mehrfach und in besonders ehrenvoller Form sowohl durch die Fakultät wie durch alle drei Kultusminister. die bisher in Bayern amtiert haben [ ... ] an mich ergan- gen ist." Köhler bedauerte das Ausscheiden eines seiner engsten Mitarbeiter. der die Karls- ruher Studierenden wie die interessierte städ- tische Öffentlichkeit ein wenig mit seinem Weggang versöhnte. indem er zumindest im Wintersemester 1947/48 noch eine Gastvorle- sung zur "Europäischen Geschichte" hielt. Das Münchener Ordinariat sollte Schnabel bis 1962. vier Jahre vor seinem Tod 1966 innehaben. ANGELA BORGSTEDT Schule und NS-Diktatur Das Beispiel der Karlsrtther Humboldt-Schule Dem Thema "Schule und NS-Diktatur" wid- meten sich die Teilnehmer der Arbeitsgemein- schaft "Geschichte im Archiv" des Humboldt- Gymnasium Karlsruhe in den zurückliegenden drei Schuljahren. Der Gegenstand der Unter- suchung. die aufschlussreiche Einblicke und Entdeckungen gewährte. war die ehemalige Karlsruher Humboldt-Schule. Das General- landesarchiv. das Stadtarchiv Karlsruhe und das Archiv des Karlsruher Humboldt-Gymna- si ums lieferten mit ihren Beständen die Quel- lenbasis. Der Kontakt zu ehemaligen Schülern der Humboldt-Schule und weiteren Zeitzeugen brachte zusätzliche Erkenntnisse und gab Ant- worten auf Fragen. die sich aus dem Studium des Quellenmaterials ergaben. Zwei Schüler. Mitarbeiter der AG. stellen im Folgenden eine stark gekürzte Auswahl aus den insgesamt be- arbeiteten Themenkomplexen vor. RAI NER GUTJAHR Hitlerjugend (HJ) Als eines der zentralen Themen kristallisierte sich das Verhältnis zwischen HJ und Schule heraus. Bereits ab November 1933 lässt sich ein Lehrer als "Vertrauensmann" der HJ an der Humboldt-Schule nachweisen. Die Ver- trauensleute. so ein Rundschreiben des Minis- teriums des Kultus und Unterrichts vom 5. Mai 1934. sollten die Beziehungen zwischen Schule und Hitlerjugend pflegen und in allen Fragen eine Verständigung zwischen Schule und HJ garantieren. Die Schule selbst hatte keine "Befehlsgewalt" über die Schüler. die in der HJ Mitglieder waren. sie sollte vielmehr mit der HJ kooperieren um ein "gemeinsames Erziehungsziel" zu verwirklichen. Die HJ be- anspruchte beispielsweise zwar das Recht zu bestimmen. zu welchem Anlass ihre Mitglie- der in Uniform zu erscheinen hatten. jedoch sollte das Tragen einer Uniform an der Hum- boldt-Schule nur erlaubt sein. "wenn die Schulleitung dies wünsche". Neben dem Ver- trauensmann wirkten an der Humboldt-Schu- le auch noch je ein Lehrer als "Kolonialrefe- rent" der HJ und als Sportwart. Im Herbst 1935 verstärkte die HJ ihre Werbung an den Schulen und ließ im Zuge dieser Aktion Aufnahmeanträge an die Schü- 212 ler austeilen. Dieser Werbefeldzug erzielte gro- ße Erfolge in der Humboldt-Schule. Nach An- gaben der Schulleitung waren 97,4% der Schü- ler bis Schuljahresende 1935/36 einer Gliede- rung der NSDAP beigetreten. Die Hitlerjugend hatte auch einen nichr zu verachtenden Einfluss auf die Notengebung, wie das Beispiel eines Schülers zeigt. Ihm wur- de anstelle einer Fünf eine Vier in Englisch erteilt, "damit man ihm den Weg in die Prima nicht verbaue", wobei zur Rechtfertigung er- wähnt wurde, dass der aus Freiburg nach Karlsruhe wechselnde Schüler sich "auf einem sehr exponierten Posten seit Jahr und Tag für die HJ eingesetzt" habe. Ein weiteres Beispiel für die Einflussmöglichkeit der HJ liefert das Aufnahmegesuch eines auswärtigen 17-jähri- gen Schülers vom September 1938. Er hatte seine alte Schule wegen der Schwängerung seiner 15-jährigen Tanzstundenparrnerin ver- lassen müssen. Der Hinweis auf seine HJ-Kar- riere, er war Oberjungenschaftsführer, und das Engagement seiner Eltern in verschiedenen Gliederungen der NSDAP ermöglichten ihm die Aufnahme in die Humboldt-Schule. Die Mitglieder der HJ wurden durch zahl- reiche aullerschulische Veranstaltungen in An- spruch genommen, was zu erheblichen Schul- versäumnissen führte. Um die negativen Aus- wirkungen des HJ-Dienstes einigermaßen zu kompensieren, erließ der Reichs- und Preußi- sche Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bereits im Mai 1935 ein Dekret, welches die Oberprimaner vom Dienst in SA, SS, HJ oder JV freistellte. Verbindungen oder Vereine von Schülern, die mit der HJ in Konkurrenz standen, wur- den geächtet und schließlich ganz verboten. Dagegen gerichtete Verstöße konnten weitrei- chende Konsequenzen nach sich ziehen. 1937 wurde vor dem Karlsruher Jugendgericht der Fall eines Humboldt-Schülers verhandelt, dem in einer Anzeige durch den Bannführer des Professor Leopold Weil, Lehrer 3n der Humboldt-Schulc his Ende 1935; 1939 Emigration nach Palästina; 1952 in Karlsruhc verstorben. Hans Heim Läwcnthal . Schüler der Humboldt-Schule 1932- 1937; 1940 deportiert nach Gurs, vermutlich in Auschwitz ermorder. Karlsruher HJ-Bannes 109 vorgeworfen wur- de, an einer Veranstaltung der verbotenen Schülerverbindung "Primania" teilgenommen zu haben. Der Richter beliell es bei einer Ver- warnung des Schülers. Der Schulleiter der Humboldt-Schule nahm jedoch den Fall zum Anlass, das Ministerium des Kultus und Un- terrichts um eine grundsätzliche Stellungnah- me zur Thematik Schülerverbindungen, Aus- tritt bzw. Ausschluss aus der HJ zu bitten. In einem darauf folgenden Erlass des Ministeri- ums vom 26. Januar 1938 heißt es, "daß Schü- lerverbindungen neben der Staatsjugend keine 213 Daseinsberechtigung mehr" hätten. Wo Ver- bindungen noch bestünden, seien sie dadurch aufzulösen, "daß sämtlichen Schülern verbo- ten wird, in irgendeiner [ ... ) Form an einer solchen Verbindung teilzunehmen". Volksbund rur Deutschtum im Ausland (VOA) Der NS-Staat machte sich den VDA fur seine "völkische" Politik dienstbar. Auch an der Humboldt-Schule bestand eine VDA-Schul- gruppe, die sich in einer monatlichen "Volks- deutschen Stunde" mit dem ,,Auslands- deutschturn" und "volksdeutschen Fragen" oder auch mit dem Thema "Das Elsaß - Ein deutsches Land" befasste. An Vorbereitung und Durchfuhrung des vom VDA organisier- ten Karlsruher "Festes der deutschen Schule" im Oktober 1933 war die Humboldt-Schule aktiv beteiligt, was ihr einen ausdrücklichen Dank durch den VDA einbrachte. Von den weiteren Aktivitäten in Diensten des VDA seien erwähnt eine SamJ.1llung zugunsten der "deutschen Schulen im Ausland" sowie der Vertrieb eines "Sonderblaues" zur Unterstüt- zung eines Wahlkampfes im Memelland. Vereinnahmung zugunsten des NS-Staates Die der Schule im NS-Staat zugedachte Rolle lässt sich beispielhaft auch an den Themen zur Reifeprüfung 1940/41 ablesen. So war im Deutschaufsatz zu behandeln "Goetbes Faust als Spiegelbild des deutschen Wesens und Schicksals"; im Fach Erdkunde sollten die "wirtSchaftlichen und geopolitischen Möglich- keiten" untersucht wetden, die sich "aus den deutschen Siegen der Jahre 1939 und 1940" ergaben; die Chemie war vertreten mit dem Thema "Kohle, Kalk und Holz, die Waffen der Chemie im deutschen Entscheidungs- kampf'; in Mathematik lautete die Aufgabe: "Welche größte Höhe erreicht ein Geschoß, das mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 650 ml sec. und einem Erhebungswinkel a = 12,5° abgefeuert wird? Welches ist das Maxi- mum der WurfWeite?" Diskriminierung jüdischer Schüler Die Diskriminierung der jüdischen Schüler begann schon kurz nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 mit Übergriffen durch nicht jüdische Mitschüler. Erstaunlicherweise wurde dieses Aufkeimen spontanen" Volks- zorns" zunächst offiziell verurteilt. Der Kul- tusminister qualifizierte am Tag vor dem Ju- denboykott am I. April 1933 in einem Rund- schreiben an alle "unterstellten Schulbehörden und Schulanstalten " diese ,,Angriffe auf wehr- lose Einzelne durch eine Überzahl" öffentlich als "feige". Dieses Verhalten sei wedet "christ- lich noch national". Er sprach sich damit nicht generell gegen eine Demütigung der Juden aus, schreibt er doch weiter, "die nationale Regierung" habe sich "die Bekämpfung des Judentums zur Aufgabe gemacht", doch dür- fe diese nur in "gutorganisierter und wohIdis- ziplinierter Weise" geschehen. Im "nationalen Aufbaukampf[sei) Disziplinhalten auch Pflicht eines jeden deutschen Jungen und jedes deut- schen Mädchens". Die staatlich organisierte Diskriminierung der jüdischen Schüler begann mit dem Gesetz gegen die Überfullung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933. Der Anteil jüdischer Schüler an einer Schule durfte den Gesamtanteil aller Juden an der Bevölkerung im Deutschen Reich von 1,5 % nicht über- steigen. Von da an mussten die Eltern, wenn sie ihre Kinder an den Schulen anmeldeten, einen Nachweis für ihre rein arische Abstammung bringen. Eine Aufnahme von nicht jüdischen Schülern, war nur dann möglich, wenn der 214 Vater einen Nachweis erbringen konnte, für das Deutsche Reich oder einen seiner Verbün- deten im Ersten Weltkrieg an der Front ge- kämpft zu haben. So legte zur Aufnahme sei- nes Sohnes Gerhard in die Humboldt-Schule der Kar/sruher Fabrikant Ernst Bernheimer einen Bericht über seinen militärischen Wer- degang, seine Kriegsteilnahme und seine Tap- ferkeitsauszeichnungen vor. Die jüdischen Kinder wurden jedoch nicht nur bei der Anmeldung benachteiligt, auch im Schulleben waren sie unterschiedlichen Dis- kriminierungsmaßnahmen ausgesetzt, wie sich dies auch für die Humboldt-Schule belegen lässt. Zahlreiche Veranstaltungen wie Theater- besuche, Faschingsumzüge etc. waten den Kin- dern der ,,Arier" vorbehalten. Die Maßnahmen führten zum gewünsch- ten Ergebnis. Während sich zu Beginn des NS-Regimes im Schuljahr 1932/33 noch 27 jüdische Schüler an der Humboldt-Schule be- fanden, waren es 1936/37 nur noch neun Schüler und 1938/39 galt die Schule als "ju- denfrei" , abgesehen von vier "Mischlingen ers- ten Grades". "Mischlingen" blieb nach bestan- denem Abitur unter Umständen der Zugang zum angestrebten Studium versagt. Als "wehr- unwürdig" mussten sie während des Krieges Zwangseinsätze bei der Organisation Todt ableisten, sofern sie nicht an einem als "kriegs- wichtig" eingestuften Arbeitsplatz eingesetzt waren. Der israelitische Religionsunterricht fiel ebenfalls den Gesetzen des NS-Regimes zum Opfer. 1936 wurde die jüdische Glaubenslehre auf grund der Nürnberger Rassegesetze und der "allgemeinen nationalsozialistischen Rechts- auslegung" an allen öffentlichen Schulen ver- boten. Die Lehrer verloren ihre Bezüge, Un- terrichtsräume wurden nicht mehr zur Verfü- gung gestellt, Religionsnoten durften nicht mehr in die Zeugnisse eingetragen werden. An der Humboldt-Schule wirkten zu diesem Zeit- punkt drei jüdische Religionslehrer: Oberkan- tor Simon Metzger, Siegfried Speyer und Her- bert Sax. Bei zweien ist das weitere Schicksal bekannt: Simon Metzger floh zusammen mit seiner Frau Marie am 8.9.1938 nach Luxem- burg, wo er eine neue Stelle als Kantor antrat. Es gelang den beiden, noch vor dem Ausbruch des Krieges, in die USA zu flüchten. Siegfried Speyer wurde in Auschwitz ermordet. Eine im Zug unserer Arbeit entstandene Liste der jüdischen Schüler der Humboldt- Schule wurde dem Stadtarchiv Kar/sruhe übergeben; sie dient dort als eine det Grund- lagen zu Erarbeitung des Gedenkbuches der im Dritten Reich ermordeten Karlsruher Juden. Die "Säuberung" der Schule von unerwünschten Lehrern Am 15. März 1933 wurde Direktot Rudolf Wilhe1m von seinem Posten als Direktor der Humboldt-Schule auf grund des Paragraphen 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtenturns suspendiert. Bereits die Be- rufung Wilhe1ms zum Direktor der Hum- boldt-Schule im Jahre 1932 war von einer Hetzkampagne im "Führer", dem Katlsruher NS-Organ, begleitet. Wilhelm war politisch aktiv in der SPD und im "Reichsbanner" und publizierte unter dem Pseudonym Ferdinand Madlinger im Katlsruher "Volksfreund" . Un- ter anderem erschien dort nach dem Umsturz von 1918 folgender Vierzeiler: Wir sind sie los, die stolzen Regimenter, Mir blinkt im Auge keine Wehmutszähre. Um ist die Zeit gefügig-stummer Heere, Hier wird der harte Friede Segensspender. "Der Führer" vom 19. März 1933 zitierte unter der Überschrift "Weitere Bonzenverhaf- tungen in Karlsruhe" diesen Vietzeiler und kommentierte wie folgt: "Diese niederträchti- ge Verhöhnung unseres Heeres, das mit bei- 215 spielloser Tapferkeit im Weltkrieg vier Jahre lang einer Welt von Feinden standhielt, war nach der Marxistischen Revolution im Karls- ruher 'Volksfreund' zu lesen. Der Verfasser ist der jetzt als Direktor der Humboldtschule in Karlsruhe beurlaubte sozialdemokratische Dissident RudolfWilhelm, der auch als The- aterkritiker des 'Volksfreund' jede Auffiihrung nationaler Bühnenwerke herunterriß. [ ... ] Daß ein derartiger Zeitgenosse als Jugend- erzieher und als Direktor einer höheren Lehr- anstalt schlechterdings unmöglich ist, bedarf wohl keines weiteren Beweises. Heute sind die traurigen Verse des beurlaubten Direktors Rudolf Wilhelm folgendermaßen umzuän- dern: Wir sind ihn los, der hat gesungen, der völlig bar der nationalen Ehre. Uns blinkt im Auge eine Freudenzähre. Gott schütz, vor solchen Lehrern unsere Jungen! [ ... ] Wir verlangen heute charaktervolle Direktoren [ ... ], die als deutschbewusste Män- ner mit gläubigem Optimismus der nationa- len Jugenderziehung die Wege weisen. Hierüber darf auch keine liebedienerische Konzilianz hinwegtäuschen, die doch nur pa- zifistische Pädagogik zur Waffe hat." Nach seiner Suspendierung gelang RudolfWilhelm zusammen mit seiner jüdischen Frau Thekla 1939 die Auswanderung nach Kolumbien, wo er 1970 in Bogota starb. Opfer des NS-Regimes wurde Alfred Kanzler, ebenfalls Lehrer an der Humboldt- Schule. Kanzler wurde im Juli 1944 zu siebenJah- ren Zuchthaus verurteilt. Schüler hatten seine regimekritischen Bemerkungen zum Anlass für eine Denunziation genommen. Er über- lebte seine Befreiung Anfang April 1945 durch amerikanische Soldaten nur um wenige Wo- chen. Alfred Kanzler starb 57-jährig am 24. Mai 1945 an den Folgen der Hafibedingungen. Schule und Wehrmacht Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht begann der Zugriff der Wehrmacht auf Lehrer und Schüler. So wurden einzelne Lehrkräfte der Humboldt-Schule wiederholt zu Wehrü- bungen eingezogen. Ab Kriegsbeginn wurden verschiedene Lehrer einberufen. In einem Fall bemühte sich der Minister für Kultus und Unterricht, einen zu einer Baukompanie ein- berufenen Lehramtsassessor wieder in den Schuldienst zurückzuholen. In seiner Begrün- dung gab das Ministerium an, der betreffende Lehrer sei bei einer freiwilligen Meldung zum Wehrdienst wegen Kurzsichtigkeit abgewiesen worden und somit "nicht neuzeitlich ausgebil- det". Im Übrigen sei die Erziehung der Jugend als "kriegswichtig" zu bezeichnen. Die Bitte hatte zur Folge, dass der Betreffende umge- hend vom Wehrdienst befreit wurde. Von Bedeutung für die Wehrmacht war vor allem auch der Zugriff auf die Schüler der Höheren Schulen, aus deren Reihen der Offi- ziersnachwuchs gewonnen wurde. Dieses Inte- resse schlug sich in zahlreichen Informations- veranstaltungen während der Unterrichtszeit nieder. Hinzu kamen weitere Werheveranstal- rungen des SD, der SS und der Sicherheitspo- lizei. Sie zeigten auch entsprechende Wirkun- gen: acht Schüler der Abschlussklasse bewar- ben sich z.B. im Juli 1940 bei der Luftwaffe als Offiziersanwärter. All dies hatte Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts, was auch durch eine Notiz von Direktor Hundt zur Reifeprüfung von Ostern 1941 bezeugt wird: "Die Prüfung war in mancher Hinsicht nicht befriedigend, da die Folgen der Unterrichts- einschränkungen, der Lehrerwechsel und die schon ganz auf den Eintritt in die Wehrmacht ausgerichreren Einstellung der Schüler deut- lich feststell bar war." Mit unserer Arbeit hofften wir zeigen zu können, wie die NS-Diktarur die Schule zu 216 einem Instrument ihrer Politik machte. In welchem Ausmaß Schüler wie Lehrer der Humboldt-Schule tatsächlich der NS-Ideolo- gie anhingen, ließ sich mit unseren Mitteln nur begrenzt ermitteln. Immerhin konnten die Opfer benannt werden, welche die NS- Diktatur unter Schülern und Lehrern der Humboldt-Schule forderte. An ihr Schicksal erinnert zu haben gibr unserer Arbeit, so hof- fen wir, ihren besonderen Sinn. SANDRA JUNG UND MANUEL WITTEK »'" damit unnötigen Sorgen und Mißerfolgen vorgebeugt werden kann im Interesse der Stadt und der menschlichen Gesellschaft ... " Zum 75-jährigen Bestehen der Psychologischen Beratungsstelle Karlsruhe fiir Eltern, Kinder undjugendliche Mit den eingangs zitierten richtungsweisen- den Worten appellierte die Erziehungsbera- tungsstelle des Stadt jugendamtes Karlsruhe in der Abendausgabe der "Badischen Presse" vom 11. Mai 1927 an "alle an der Erziehung unse- rer Jugendlichen interessierten Kreise, insbe- sondere Schule, Behörden und Wohlfahrtsver- bände, ... rechtzeitig die psychisch gefahrdeten Kinder der Beratungsstelle zuzuführen ... " Mit einem ausführlichen Zeitungsartikel stellt sich die Erziehungsberatungsstelle hier der Karlsru- her Bevölkerung vor. Öffentliche Hilfe in persönlichen Angele- genheiten in Anspruch zu nehmen, war auch in einem anderen Zusammenhang nicht ganz neu - war doch im April 1927 im Rathaus eine Eheschlichtungsstelle eingerichtet wor- den, die bereits im Herbst zunehmend aufge- sucht wurde. Die Gründung der Erziehungsberatungs- stelle Karlsruhe fügt sich in ein gesellschaftli- ches Klima ein, das für Themen der Psycholo- gie, Psychoanalyse und Pädagogik offen war. "Was ist Psychoanalyse?" "Zweiter Kongreß für Psychotherapie. Der gegenwärtige Stand der Psychoanalyse" .. "Moderne Kindererzie- hung. Die individual-psychologische Erzie- hungsmethode" . "Erziehung und Unterricht auf neuer Grundlage" oder "Gesunderhaltung der Kinderseele. Was der Nervenarzt sagt" : bei der Durchsicht der "Badischen Presse" des Jahres 1927 fallt eine dichte Berichterstattung zu Fragen der Psychologie, Psychoanalyse und Pädagogik auf. Zudem jährte sich 1927 der 100. Todestag des Pädagogen Heinrich Pesta- lozzi, der im Rahmen einer Reichserziehungs- woche des evangelischen Reichselternbundes auch in Karlsruhe mit Veranstaltungen der Lehrerbildungsanstalt und des evangelischen Kindergartenseminars gefeiert wurde. Im oben zitierten Zeitungsartikel vom 11. Mai 1927 informiert das Stadt jugendamt sei- ne Klientel umfassend und detailliert über die Leistungen der Erziehungsberatungsstelle: über ihre Unterbringung im Erdgeschoß des Rathauses, über ihre Öffnungszeiten und die unentgeltliche Beratung. Auf einer zweiten inhaltlichen Ebene informiert das Stadtju- 217 gendamt über die Arbeitsweise der Betatungs- stelle: zur Klärung der Sachlage wurden zu- nächst Vorerhebungen sowie psychologische Untersuchungen und Beobachtungen ange- stellt worauf die Beratung der Eltern erfolgte. Eingehende psychologische Untersuchungen mit anschließender ambulanter Beobachtung und Beschäfrigungsstunden mit heilpädagogi- scher Beratung und Aussprachen rundeten schließlich die Behandlung ab. "Bei aller Ver- feinerung der Methodik: seht viel hat sich bis heute nicht geändett, d. h. die drei Begtiffe Diagnostik, Beratung und Therapie bilden nach wie vor die drei Hauptsäulen der Erzie- hungsberatungsarbeit" urteilt der damalige Leiter Norbert Schmidt im Jahr 1985 in sei- nem "Geschichtlichen Rückblick über die Er- ziehungsberatungsstelle der Stadt Karlsruhe". Das Stadt jugendamt benennt zudem detail- liert die Kinder und Jugendlichen, für die es Beratung anbietet: psychisch auffällige, ent- wicklungsgehemmte und schwer erziehbare Kinder sowie in Entwicklungskrisen und Er- ziehungskonflikten stehende oder sittlich ge- fährdete Kinder und Jugendliche. Schließlich formuliert das Stadt jugendamt in seinem Zei- tungsartikel vom 11. Mai 1927 den Zweck der Erziehungsberatung: "durch rege Zusammen- arbeit und Verständigung mit den Schulbe- hörden, dem Schularzt, dem Arbeitsamt und den caritativen Organisationen soll zum Woh- le der Schutzbefohlenen gewirkt werden. Gleichzeitig sollen durch diese vorbeugende Fütsorge die Fälle drohender Verwahrlosung und notwendig wetdendet Fürsorgeerziehung möglichst eingeschränkt werden." Umsetzung des Jugendwohlfahrtsgesetzes Die Berarungstätigkeit des Stadt jugendamts in Erziehungsfragen begann bereits im Jahr 1922. Die Stadt Karlsruhe unternahm damit die ersten Schritte zur Umserzung des Jugend- wohlfahrtsgeserzes aus dem Jahr 1922, das am 1. April 1924 in Kraft trat. Mit der Einrich- tung einet Etziehungsberatungsstelle wird Paragraph 4 umgesetzt, der als eine Aufgabe des Jugendamts definiert: ,,Aufgabe des Ju- gendamts ist ferner, Einrichtungen und Veran- staltungen anzuregen, zu fördern und gege- benenfalls zu schaffen für 1. Beratung in An- gelegenheiten der Jugendlichen." Das Jugend- amt hatte für die Beratungstätigkeit in dem damaligen Direktor der Fürsorgeerziehungs- anstalt Flehingen, Professor Adalbert Gregor (1878-1971) eine renommierte Fachkraft ge- funden. In den "Badischen Anstaltsblättern" aus dem Jahr 1926 schildert Professor Gregor die Hintetgründe seiner Mitarbeit beim Stadt- jugendamt. "Die guten Erfahrungen, welche wir mit der im Frühjahr 1918 von mir und meiner Frau in Leipzig gegründeten Bera- tungsstelle gemacht haben, veranlaßten uns, dem Wunsche des Jugendamtes in Karlsruhe Folge zu leisten und auch hier seit 1922 heil- pädagogische Sprechstunden abzuhalten." Die heil pädagogischen Sprechstunden Pro- fessor Gregors fanden alle zwei bis drei Wo- chen in den Räumen der Stadtschularztstelle in der Kreuzstraße 15 starr, und in den kom- menden drei Jahren erwies es sich, dass die heilpädagogische Beratung zu erweitern und zu vertiefen war. Aus der Sprechstunde wird eine Behörde Am 17. Juli 1925 stellte der Beirat des Jugend- amts an Oberbürgermeister Julius Finter den Antrag, "die bisher betriebene Fürsorge für geis- tig zweifelhafte Kinder und Jugendliche aus- zubauen durch Einstellung einer auf dem Ge- biete der Heilpädagogik ausgebildeten Kraft". 218 Ihre Tätigkeit müßte nach Einschätzung des Beirats derart festgelegt werden ...... daß aber mindestens an 3 oder 4 Nachmittagen in der Woche in einem geeigneten Raum oder Gar- ten Spiel- und Beschäftigungs-Nachmittage für geistig anormale Kinder von ihr abgehalten und etwa notwendige Rücksprachen zwischen ihr. der Schule und den Eltern im Einverneh- men mit ihrer vorgesetzten Dienststelle vorge- nommen werden." Der Beirat hielt es außerdem für zweckmä- ßig. diese Kraft der StadtschularztsteIle anzu- gliedern, und ein Zusammenwirken mit Pro- fessor Gregor und dem Jugendamt sollte si- chergestellt sein. Die gewünschte Kraft wurde in der Fürsor- gerin beim Jugendamt. Frieda Ott (1887- 1972) gefunden. Die Sozialbeamtin und Wohl- fahrtspflegerin Ott war bereits am 1. August 1925 beim Städtischen Jugendamt eingestellt worden. Während eines fünf-monatigen Vo- lontariats beim Provinzialinstirut für Psycho- logie in Halle und einer dreimonatigen Assis- tentinnen-Tätigkeit am Psychologischen Ins- titut der Technischen Hochschule Stuttgart hatte sie sich .. psychotechnische Kenntnisse" angeeignet. wie aus ihrer im Stadtarchiv Karls- ruhe archivierten Personalakte hervorgeht. Zu- nehmend wurde Frieda Ott in der nun so be- zeichneten .. Beratungsstelle fur schwer erzieh- bare Kinder" eingesetzt und war im Juni 1927 schließlich vollbeschäftigt dort tätig. Aus den bisherigen Sprechstunden war eine städtische Behörde geworden. Bis 1945 wurde die Erzie- hungsberatungsstelle Karlsruhe von der Für- sorgerin Ott geleitet. Parallel zu seinen Tätig- keiten als Direktor der Fürsorgeanstalt Flehin- gen. als Medizinalreferent beim Justizministe- rium in Karlsruhe sowie als Gefängnisarzt in Karlsruhe und Bruchsal wirkte der Psychiater Professor Adalbert Gregor weiterhin als Mitar- beiter und Gutachter an der Karlsruher Erzie- hungsberatungssteIle mit. Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg .. Bei der gegenwärtigen Not der körperlich und geistig geschädigten Jugendlichen und in Anbetracht der Tatsache. daß viele Eltern hilf- los den Problemen der körperlichen und geis- tigen Schädigungen ihrer Kinder gegenüber- stehen. erscheint es angebracht. die heilpäda- gogisehen Beratungsstellen bei den Stadtju- gendämtern wieder einzurichten." Mit dieser Stellungnahme unternahm das landesjugend- amt Baden im Dezember 1946 die ersten Schritte zur Wiedererrichtung der heilpädago- gischen Beratungsstelle beim Stadt jugendamt Karlsruhe. Die Lektüre der Karlsruher Stadt- chronik vermittelt eine Vorstellung davon. welcher Not die Karlsruher Kinder und Ju- gendlichen in der Nachkriegszeit ausgesetzt Karlsruher Buben im Jugendhort. 219 waren. Überbelegte Wohnungen ohne indivi- duellen Rückzugsbereich, ein extrem harter Winter 1946/47 und drastischer Nahrungs- mangel kennzeichneten die ersten Nachkriegs- jahre. Den Wiederaufbau der Karlsruher Er- ziehungsberarungsstelle betrieb das Landes- jugendamt nun in zügigen Schritten. Nach Rücksprache mit der Karlsruher Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Marie Sulzer, die bereit war, ab sofort die Leitung der Karlsruher heil- pädagogischen Beratungsstelle zu überneh- men, erging am 14. April 1947 die Aufforde- rung an das Stadt jugendamt, die Einrichtung der heilpädagogischen Beratungsstelle in Karls- ruhe nunmehr durchzuführen. Am 13. Juni 1947 war es dann so weit: die Städtische Wohl- fahrrsverwalrung gab im ,,Amtsblatt der Stadt Karlsruhe" die Wiedererrichrung der Erzie- hungsberarungsstelle im Städtischen Schü- lerhort Sofiensrraße 43 bekannt, wo künftig am 2. und 4. Mittwoch jeden Monats von 10- 12 Uhr Sprechstunden abgehalten wurden. Ein Zeitungsartikel der "Badischen Neues- ten Nachrichten" dokumentiert, daß die Er- ziehungsberatungsstelle Karlsruhe auch Ab- endveranstaltungen durchführte. Unter der Überschrift "Haben deutsche Eltern so wenig Interesse?" berichtet die "BNN" am 18. No- vember 1952 von einer gur besuchten Vor- trags- und Diskussionsveranstalrung im Ame- rikahaus, bei der die Heilpädagogin Christa Rauhur den von ihr geleiteten heilpädagogi- schen Spielkreis vorstellte und von ihren Er- fahrungen mit Spieltherapie in Amerika be- richtete. Ausbau und Aufbau Die Erziehungsberatungsstelle der Stadt Karls- ruhe wurde von 1947 bis 1968 von der Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Marie Sulzer (1901-1995) geleitet. Auch die frühere Für- sorgeinspektorin Frieda 0" arbeitete bis 1952 an der Karlsruher Stelle wieder mit. Dr. Marie Sulzer führte anstelle der bisher praktizierten bewußtseinspsychologischen Methode die Be- ratungsarbeit auf tiefen psychologischer Grund- lage ein. Zudem baute sie die Karlsruher Bera- tungsstelle im Sinne der "Child Guidance Clinic" (Teamarbeit) aus. Zusätzlich zu ihrer Tätigkeit in Karlsruhe hielt sie an zwei Nach- mittagen pro Monat auch Berarungsstunden im Stadtamt Durlach. Die große Akzeptanz und Anerkennung für Marie Sulzer innerhalb der Fachwelt kommt durch ihre Wahl zur ers- ten Vorsitzenden der Landesarbeitsgemein- schaft Baden-Württemberg für Erziehungsbe- ratung im Jahr 1965 und zum Vorstandsmit- glied der Bundeskonferenz zum Ausdruck. Seit Einrichtung der ersten Psychologen- stelle im Jahr 1952, die mit dem Psychologen und späteren Leiter Dr. Ernst EU besetzt wur- de, hat sich die ErziehungsberatungssteUe so- wohl in ihren Aufgaben als auch personell und räumlich kontinuierlich erweitert. 1967 zog die Beratungsstelle vom Rathaus West in das Gebäude Werderstraße 63 um und erweirerte 1968 ihre Wirkungsmäglichkeiten mit der Einrichtung einer psychagogischen Abteilung im ehemaligen Schülerhort auf der Nordseite des Sybelheims. 1984 erfolgte ein ern eurer Umzug in den renovierten Südflügel des Städ- tischen Kinderheims in der Sybelsrraße 13. Im Jubiläumsjahr 2002 nimmt die "Psychologi- sche Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche", wie sie seit 1988 heißt, mit dem ehemaligen städtischen Wasserwerksgebäude Gartenstraße 53 sogar ein eigenes Gebäude in Besirz. Mit der Gründung des Psychosozialen Dienstes im Jahr 1974, der seither zur Psycho- logischen Beratungsstelle gehärt, dehnte sie ihr Diensdeistungsangebot auf Familien aus, die vom Städtischen Jugendamt und vom So- zialen Dienst betreut werden und die Erzie- hungsberatung bis dahin nicht in Anspruch 220 genommen hatten. Psychologische Stellung- nahmen bei der Planung von Heimunterbrin- gungen und die Prüfung von ambulanten Al- ternativen wurden zu einer weiteren Haupt- aufgabe des Psychosozialen Dienstes. Von 1973 bis 1990 bildete außerdem die städtische Jugend- und Drogenberatungsstelle eine Ab- teilung der Karlsruher Erziehungsberatungs- steIle. Heute ist der Psychologischen Bera- tungsstelle auch die 1990 gegründete Fachbe- ratungsstelle bei sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen ,,AllerleiRauh" fachlich und organisatorisch angegliedert. In den letzten Jahren hat sich eine regelmä- ßige offene Sprechstunde in den Räumen der Beratungsstelle etabliert, aber auch Sprech- stunden in Schulen oder Kindergärten, Grup- penangebote und Gesprächskreise in den Stadtteilen sollen ratsuchenden Eltern und auch Kindern und Jugendlichen unkompli- zierte Zugangsstelle zur Psychologischen Bera- tungsstelle eröffnen und zur Kontaktaufnahme mit den Beratern und Beraterinnen ermutigen. Seit 1988 "Psychologische Beratungsstelle rur Eltern, Kinder und Jugendliche" Die 1988 erfolgte Umbenennung in "Psycho- logische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche" ist der Erziehungsberatungs- stelle nicht leichtgefallen, wie sie in ihrem "Jahresbericht 1988" schreibt, denn " ... hat doch die Karlsruher Erziehungsberatungsstelle eine nunmehr 62-jährige Geschichte und ei- nen sehr guten Ruf in der Bevölkerung." Als letzte der badischen Erziehungsberatungsstel- len nahm Karlsruhe 1988 die Umbenennung vor. "Letztendlich konnten und wollten wir uns aber dem allgemeinen Trend nicht ver- schließen", begründet die Erziehungsbera- tungsstelle im Jahresbericht 1988 ihren Schritt, und in einem "BNN"-Artikel vom 5. Januar 1988 erläutert der damalige Leiter Oe. Norbert Schmidt einen weiteren Zusam- menhang: "der neue Name ... ist eigentlich nicht mehr als eine Anpassung an die Realität, denn es geht bei uns längst nicht mehr nur um Erziehung und Beratung, sondern verstärkt auch um Beziehungsprobleme.'.' Im Jubiläumsjahr 2002 arbeiten bei der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche neben Verwaltungs- kräften 16 Psychologinnen und Psychologen, drei Sozialpädagoginnen und drei Heilpäda- goginnen auf 14,5 Planstellen. In jüngster Zeit ist auch ein dringendes Anliegen des früheren Amtsleiters und Psychologen Dr. Ernst Eil verwirklicht worden: die Dezentralisierung und Regionalisierung der Beratungsstelle. Be- reits 1971 hatte Dr. Eil als mittelfristige Auf- gabe der Erziehungsberatungsstelle formuliert: "in den nächsten Jahren sollten in den größten Stadtteilen Außenstellen der Erziehungsbera- tung eingerichtet werden. Unsere Arbeit soll- te mehr als bis jetzt dort geleistet werden, wo die Menschen wohnen". Im Jahr 1996 wurde mit der Bildung der drei Beratungsstellen Ost, Mitte und West, die analog den Bezirken des Sozialen Dienstes zuständig sind, die Psycho- logische Beratungsstelle dezentralisiert und regionalisiert. Diese Regionalisierung trägt da- zu bei, die Leistungen der Psychologischen Be- ratungsstelle besser auf die Erfordernisse vor Ort einstellen zu können und enger mit ande- ren Einrichtungen der Stadtteile zu koope- rieren. Sie versteht sich nicht nur als Einrich- tung, die notwendige Hilfe im Einzelfall leis- tet, sondern als eine soziale Dienstleistungs- einrichtung. Mit dem Bezug des Gebäudes Gartenstraße 53 im September 2002 findet eine räumliche Zentralisierung der drei Bera- tungsteams Ost, West und Mitte statt, die re- gionale Zuordnung zu den Karlsruher Stadt- teilen bleibt aber weiterhin bestehen. ANGELIKA SAUER 221 Stadtplanung in Karlsruhe im 19. Jahrhundert: Der Bauplan von 1857 Der "Bauplan der Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe" von 1857 ist der erste behördlich genehmigte Stadterweiterungsplan von Karls- ruhe. Kurioserweise ist dieser keine grafische Darstellung. sondern ein schriftliches Doku- ment als Verordnungstext der Großherzogli- chen Regierung des Mirrelrheinkreises. Der Text enthält auch keinen Hinweis auf eine grafische Beilage. Auch führten die Recher- chen zu keinem Fund. obwohl nach EHREN- BERG ein Plan gezeichnet worden sein soll. Die Entstehung des Bauplanes gestaltete sich langwierig und mühevoll. Die "innere Erwei- terung" der Stadt östlich der heutigen Rein- hold-Frank-Straße war dabei unstrirrig. im Gegensatz zu der südlich der Kriegsstraße. Pläne und Bedenken Seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhun- derts. dem endgültigen Ausklingen der abso- lutistischen Stadtplanung. stellte sich für die Verantwortlichen in Karlsruhe die Frage einer Stadterweiterung über die Grenzen der Stadt des 18. Jahrhunderts. Der Schlossbezirk im Norden. die nördliche Bebauung der Stepha- nienstraße. der von Nord nach Süd verlaufen- de Abschnitt der Kriegsstraße (südlicher Teil der heutigen Reinhold-Frank-Straßel. die Kriegsstraße bis zum Rüppurrer Tor und der Landgraben bis zum Durlacher Tor bildeten die Grenzen der Stadt. An die 23.000 Einwoh- ner lebten in über 1.250 Häusern. Innerhalb dieser Fläche gab es noch zahlreiche unbebau- te beziehungsweise nicht erschlossene Grund- stücke. Ende der dreißiger Jahre zählte man 35 freie Baugrundstücke und 468 Häuser. die aufzustocken gewesen wären. Neben den großen Gartenanlagen der Markgräfin Amalie. des Markgrafen Ludwig. der Gräfin Hochberg und des Langenstein- sehen Gartens war im Südwesten noch eine große Fläche mit privaten Gärten. Dieses Are- al war in Plänen von Friedrich Weinbrenner bereits als Stadterweiterungsgebiet vorgesehen. Zwischen Karlsrraße. Kriegsstraße. Landgra- ben und heutiger Reinhold-Frank-Straße lag ein Flächenpotenzial von über zwölf Hektar. Die Bebauung reichte von der Amaiienstraße bis zur heutigen Sophienstraße und von Osten bis zur Hirschstraße. die bis zur Sophiensrraße bereits beidseitig bebaut war. An der Amalien- straße selbst waren die Häuserzeilen bis zum Mühlburger Tor annähernd geschlossen. Große Nach&age Die ausdrückliche Verhinderung einer großen Stadterweiterung - sie war südlich des Ettlin- ger Tores von Friedrich Wein brenner konzi- piert worden - beruhte unter anderem auf der Befürchtung der Regierung. dass das Bauge- schehen innerhalb der Stadt stagnieren könn- te. viele Baulücken weiterhin unbebaur blie- ben und die älteren niedrigen Gebäude in der damaligen Langen Straße (heurige Kaiserstra- ßel nicht aufgestockt beziehungsweise durch Modellhaustypen ersetzt würden. 1811 wurde deshalb eine Verordnung mit dem Inhalt erlassen. dass alle Hauptrepararu- ren in den alten Häusern verboten wurden. 1827 erfolgte die erneute Bekanntgabe. die noch 1843 Bestandteil der damals erlassenen Bauordnung wurde. Anfang 1816 lehnte der Großherzog Weinbrenners letzte Variante der "Vergrößerung der Stadt" ab. Weinbrenner 222 selbst genehmigte nur provisorisch beantragte Bauvorhaben südlich des Ettlinger Tores, um keine eventuellen Hindernisse gegenüber sei- nem Plan entstehen zu lassen. Die Nachfrage nach Bauerlaubnis außer- halb des eigentlichen Baubezirkes, der heutigen Innenstadt, muss stark gewesen sein, da das Po- lizeiarnt 1833 dazu eine Stellungnahme abgab und dabei die Festlegung der Baugrenzen für die Stadt verlangte. Für das Bauen von Wohn- häusern empfahl die Behörde enge Grenzen. Die 1835 erlassene Verordnung untersagte im Allgemeinen Gebäude außerhalb des Stadt- baubezirkes . ..Ausnahmsweise wird die Auffüh- rung von Gebäuden gestattet: a) zur Errichrung von Fabriken oder andern Gewerbsanlagen, wovon die einen oder die andern einen großen Raum erfordern; b) zum Behuf der Betreibung solcher Gewerbe, die, wenn sie innerhalb der Stadt errichtet würden, eine Unannehmlichkeit für das Publikum verursachen, oder für die Vorübergehenden oder Nachbarn gefährlich sein könnten, c) als Garten und Landhäuser ... " Im Bereich der heutigen Südstadt standen einzelne Gebäude wie das Landesgestüt, eine Bleichanstalt, die militärische Waschanstalr. 1840 gab es aber auch bereits eine Reihe von Wohnhäusern, die wahrscheinlich offiziell als "Landhäuser" galten. Neue Grenzen Die Erweiterung der Stadt nach Südwesten innerhalb der Kriegsscraße war bereits im ers- ten Stadterweiterungsplan von Friedrich Weinbrenner aus dem Jahre 1802 als eine selbstverständliche Ergänzung des Stadtgrund- risses zu sehen. Die Fesdegung der Akzisen- grenze endang der Kriegsstraße vom Karlstor bis zum Etdinger Tor war eine logische Fort- führung der bisherigen Stadtgrenze. Diese Zollgrenze war für die städtischen Finanzen von Bedeutung, da an den Stadtto- ren ab 1820 eine Verbrauchssteuer unter ande- rem auf Mehl, Wein, Holz und Immobilien er- hoben wurde. Ab 1837 rückte der "Mühlbur- ger-Tor-Stadtteil" wieder ins Blickfeld der Ver- anrwortlichen. Das Polizeiamt beantragte die Genehmigung der Bebauung für die freie Flä- che und die Herstellung der Aharnauer inner- halb von drei Jahren vom Etdinger Tor zum Mühlburger Tor. Von jetzt an begannen die kommunal politischen Querelen, die nachweis- lich zehn Jahre andauerten. Hatte das Polizei- arnt eine abschnittsweise Planung und Geneh- migung angeregt, so verlangten einige Ge- meinderatsmitglieder die Erstellung des Ge- sarntplanes für den Stadtteil vor der Genehmi- gung einzelner "Quadrate". Weinbrenners Pla- nUßrerlagen waren nicht aufgefunden worden, was das Polizeiarnt zweifeln ließ, ob überhaupt jemals eine Planung angefertigt worden war. Aus dem Gemeinderat kam dann der An- trag auf Aussetzung des Projektes, solange die Lage des Bahnhofs noch nicht entschieden sei. 1840 stellte ein Grundstückseigentümer an der Kriegsstraße ein Baugesuch, das wieder zu Aktivitäten führte. Unter anderem beschäftigt sich die Baukommission des Gemeinderates mit Fragen der Stadterweiterung: Ist eine Er- weiterung der Stadt notwendig? Wo kann und soll solche geschehen? Die erste Frage wurde bejaht, die zweite dahin gehend beanrwortet, dass innerhalb der Stadt Möglichkeiten bestünden wie die Be- bauung der neuen Zähringerstraße und des Langensteinsehen Gartens. Auch sollte der begonnene Stadtteil zwischen Mühlburger Tor und Ludwigstor, also nördlich der Stephanien- straße, wegen seiner "höchsten und gesündes- ten Lage" fertig gestellt werden. Die Vergröße- rung der Stadt südlich der heutigen Kriegsstra- ße sollte nicht weiterverfolgt werden, da der Bahnhof nahe an der alten Stadt liegen solle, größere Verbindungen daher fehlten. Auch betrügen die Kosten einige Hundertausend. 223 Plan Karlsruhes von 1817 mit der Stadrerweirerung westl ich der Karlstra~. Der bereits zitierte Ehrenberg widmete dem Thema in seiner Arbeit viel Aufinerksam- keie. Ihm lagen noch die Quellen in Form von Archivalien vor, was heute durch Verluste - spätestens während des Zweiten Weltkrieges- nicht mehr der Fall ist. Dadurch stützt sich die Schilderung zu einem großen Teil auf diese Sekundärquelle. So berichtet er auch von einem 1843 für die Regierung vetfassten Gutachten des Ober- baudirektors Hübsch, Residenzbaumeisters Schwarz und Stadtbaumeisters Küntzle "Über die definitive Begrenzung von Karlsruhe und die Art, wie die dermalen noch unbebauten Flächen innerhalb der Grenzen überbaut wer- den sollen". Die Stadtgrenze wurde dabei festgelegt mit der heutigen Moltkesrraße, Reinhold-Frank- Straße, Kriegsstraße und die östliche Mauer des alren Friedhofs an der heutigen Ostend- straße. Die Augärten sollten nur der Errich- tung von Landhäusern vorbehalten bleiben. Durch die Verbteiterung der vorhandenen Gar- tenwege in Ost-West-Richtung - jetzt Schüt- zen- und Luisenstraße -, die Anlage einer Al- lee hinter dem Bahnhof (Bahnhofstraße, heute Baumeisterstraße) und einer Nord-Süd-Straße in Fortsetzung der Gebäudeachse der Maschi- nen- und Wagenwerkstätten entstünden viet Areale. Det Planentwurf füt alle Stadtetweite- rungsgebiete von 1847 gibt diese Beschreibung wieder. Die halbkreisförmige Straßenerweite- 224 " , .. ·······1 ,. ... ,' •. , .. of • •• V ; ~ ... .... .A. ......... ~';r..- ....... -r".,- l..*.. ._ .. .... ~ .. .--. 1: _ . "--,. , ... -'-- .. _ .... .. _~.---.. _,..,. .... ...-.- ... -_ .. --. . :]1~::~~~. Plan Karlsruhes von 1847 mit den projektierrcil Stadterweiterungen nach Süden und Westen, rung in der projektierten Bahnhofstraße als Platz zu Beginn der Nord-Süd-Erschließung dürfte der wahrscheinlich letzte stadtbau- künstlerische Akzent in einer Planung für Karlsruhe in den nächsten Jahrzehnten bleiben. Politische Dispute 1846 erreichte die öffentliche Diskussion über die künftige Erweiterung Karlsruhes ihren Höhepunkt mit dem Bekannrwerden der Pla- nungsabsichten in Richtung Westen, also für den Mühlburger-Tor-Bezirk. Die damalige Presse, insbesondere der "Karlsruher Beobach- ter", ließ die unterschiedlichen Meinungen zu Wort kommen. Zwischen dem 2. April 1846 mit der Ankündigung über den Entwurf des neuen Stadtbauplans bis 30. Juli desselben Jahres sind in 14 Ausgaben des "Karlsruher Beobachters" Beiträge zur Stadterweiterung abgedruckt, Die Mehrzahl der Artikel und Zuschriften enthielten die Forderung, mit dem Ausbau eines Bahnhofsviertels zu beginnen, Als Begründungen wurden genannt die Norwendigkeit von Wohnungen für Arbeiter der Bahnhofswerkstätten und Fabriken und von Flächen für Gewerbe und Handel. Ge- genmeinungen hoben die Gefahren in einer Vorstadt wegen erhöhter Kriminalität und das Problem der Erhebung des Octrois, der Ver- brauchssteuer, hervor. Die Akteure "Grund- stückseigentümer" führten die Auseinander- 225 setzung über die Presse. Jede Gruppe vertrat ihre Interessen, je nach Lage des Eigentums. Diese Positionen entsprachen auch den unter- schiedlichen politischen Einstellungen. Die politischen Umwälzungen in dieser Zeit wirk- ten auch auf die kommunale Ebene. Tenden- zen des Liberalismus wurden erkennbar durch die Kräfteverschiebung im Stadtrat zu Guns- ten der "Männer des Fortschrittes". Bei der Wahl von 1846 erreichten die Vertreter des Handwerkerstandes mit 53 Prozent die Mehr- heit gegenüber den konservativen Kräften aus dem Kaufmanns- und Bankierstand. Weech spricht in seiner Stadtgeschichte 50 Jahre spä- ter von den "in den Anschauungen der alten Zeit lebenden Gemeindevertretern", denen wegen deren "ultrakonservativen Tendenzen" eine Stadterweiterung als unerhörtes und geradezu leichtfertiges Wagnis erschien. Das große öffentliche Interesse an der Stadtbaufra- ge lässt sich auch noch durch den inserierten Verkauf des Planentwurfs (Stand I. Januar 1847), verlegt von der Müllersehen Hofbuch- handlung, belegen. DerErtrag kam sozialen Einrichtungen zu Gute. Die Entscheidung im wichtigsten kommunalen Gremium. dem gro- ßen Bürgerausschuss, fiel am 5. Juli bezie- hungsweise 12. August 1847 zu Gunsten aller beantragter Distrikte, aber mit unterschiedli- chen Bebauungsmöglichkeiten. Die Bauer- laubnis für das Mühlburger-Tor-Areal erfolg- te mit der Bedingung, dass eine Stadteinfriedi- gung vorerst nicht erfolge oder von den Eigen- tümern zu finanzieren sei. Leopold- (früher Schlachthaus-) und Hirschstraße sollten dabei bis zur Kriegsstraße verlängert werden. Das zwischen der zu verlängernden Karlstraße und Ettlinger Tor, südlich der Kriegsstraße bis zur Keßlersehen Maschinenfabrik liegende Gelän- de (bis zur heutigen Hermann-Billing-Straße) solle als "Vorstadt" überbaut werden dürfen. Hier hatte der Vertreter der Fortschrittlichen und kurzzeitige Oberbürgermeister August Klose Grundstücke im Eigentum. "Vorstadt" bedeutete, wie im erst 1857 endgültig geneh- migten Stadtbauplan deutlich erkennbar ist, Bebauung mit Fabriken, gewerblichen Anla- gen, Gärrnereien und Landhäusern. Ebenso erlangte der erste Abschnitt der Augärten den Status einer Vorstadt. In Abwandlung des Plan entwurfs vom Januar 1847 sollten anstatt einer zwei von Norden nach Süden laufende Straßen der Erschließung dienen (heutige Wilhelm- und Marienstraße). Die Bauerlaub- nis in allen drei Distrikten war aber an Bedin- gungen geknüpft. An die Stadt konnten keine Ansprüche auf die Erschließung gerichtet wer- den. Die dafür notwendigen Flächen waren aber unentgeltlich an die Stadt abzutreten. Des Weiteren sollten alle Bauwilligen den Ansprüchen an die Stadt entsagen, was die öffentliche Erschließung betraf. Was ist Karlsruhes Profil? Der Inhalt und Verlauf der beiden Sitzungen des großen Bürgerausschusses sind durch die stenografischen Aufzeichnungen in der Zei- tung "Karlsruher Beobachter" wiedergegeben. Damit liegt hier ein Dokument vor, das aus mehreren Gründen für die Nachwelt von Be- deutung ist: I. die damals aktuellen Hauptfragen und unterschiedlichen Standpunkte in der Kom- munalpolitik liegen aurhentisch vor, was bei der ansonsten schlechten Verfügbarkeit von Primärquellen von Bedeutung ist; 2. die Redebeiträge verschiedener Aus- schussmitglieder zeigen deutlich die Verbin- dung der eigenen Sache mit der der künftigen Stadtentwicklung; 3. in der Stadterweiterungspolitik wurden entweder Gefahren für die Immobilien der be- stehenden Stadt oder mehr "Gerechtigkeit und Freiheit" durch das vermehrte Bodenan- gebot gesehen; 226 4. Fragen des Städtebaues beziehungsweise des Stadtbildes wurden in keiner Weise berührt: 5. die Behandlung dieses, insgesamt über drei Stunden dauernden Tagesordnungspunk- tes in diesen Sitzungen zeigt ein ungemein starkes Engagement an der damaligen Frage der Stadtplanung, wie es in einem kommuna- len EntScheidungsgremium in Karlsruhe wahr- scheinlich bislang einzigartig ist. Das Polizeiamt kritisierte diese Beschlüsse und verlangte eine Umarbeitung. Die zwei Jahrzehnte lang geführte Diskussion über die Notwendigkeit einer Stadterweiterung und die Hauptfunktion Karlsruhes als Stadt droht nochmals auszubrechen. "Der Bürgerausschuß folgt dem Prinzip, die Verhältnisse sich natür- lich entwickeln zu lassen und ferner der Idee, daß die industrielle Richtung nach der Eisen- bahn gehe. Was ist nun das vorherrschende Interesse von Karlsruhe? Karlsruhe ist kein Industrieort und wird es bei seiner ungünsti- gen Lage nie werden. Es ist entstanden durch die Idee eines Fürsten, hier seinen Hofbalt zu nehmen ... Karlsruhe ist sonach vorzugsweise eine Hofstadt ... Als Residenz muß Karlsruhe trachten, die vielen unansehnlichen Bauten im Stadtbezirk zu beseitigen und elegante Bauten in seinen Umgebungen zu erhalten. Statt der eleganten Bauten verlangen diese (die Be- schlüsse, Anm. d. Verf.) gewöhnliche Vorsräd- te, statt die Bauten außerhalb zu beschränken, lassen sie solche ungehindert zu und garantie- ren dadurch das fernere Bestehen der alten Baracken in der Stadt. Die Stadt wird zu aus- gedehnt, zu teuer und die Gebäude und Bau- plätze der Stadt verlieren offenbar an Wert." Ehrenberg berichtet, dass der Plan im Dezem- ber 1848 - die politischen Umwälzungen der Revolutionsjahre verlangsamten wahrschein- lich das Verwaltungshandeln - vom Ministe- rium genehmigt worden sei. Gewisse Zweifel sind hier angebracht, da erst acht Jahre später der Plan, mit Datum vom 13. März 1857 ver- sehen, arn 31. August des selben Jahres öffent- lich bekannt gemacht wurde. Neue Areale Das Mühlburger-Tor-Areal war als nahe lie- gende "innere Sradrcrweiterung" unsrrittig. Die Flächen südlich der Kriegssrraße bezie- hungsweise des Bahnhofes lagen nicht in dem nun exakt definierten Baubezirk, letztendlich der Stadt des frühen 19. Jahrhunderts. Es gal- ten hier die "Vorschriften für die Aufführun- gen von Gebäuden in der Umgebung der Stadt". Die darin als zulässig definierten Nur- zungen entSprechen praktisch denen des Erlas- ses von 1835: Fabriken, störende Gewerbean- lagen, Gärtnereien, Gartenhäuser, Landhäuser und Gebäude für eine größere Landwirtschaft. Hier zeigt sich keine veränderte Einstel- lung nach 20 Jahren, es blieb die Fiktion der geschlossenen Stadt. D ennoch lassen die Aus- führungen über die Erschließung - 60 und 40 Fuß (18 bzw. zwölf Meter) breite Straßenquer- schnitte für die West-Ost-Straßen in den Au- gärten - auf eine Vorbereitung für städtisches Bauen schließen. Auch die geplanten Fortfüh- rungen der Schlachrhaus- (heute: Leopoldstra- ße und Karlsrraße über die Kriegsstraße hinaus und die Fesclegung einer südlichen Parallel- straße zur Kriegsstraße sind als Indizien dafür zu werten. Das alles deutet auf einen Kompro- miss hin zwischen den Akteuren mit deren unterschiedlichen Interessen. Die Bestimmun- gen lassen auf Prioritäten für die Realisierung schließen: zuerst das südwestliche Areal inner- halb des Baubezirkes, dann die Flächen südlich der Kriegsstraße und letztendlich die Augär- ten, die heutige Südstadt. 1858 liegen schon die Baufluchtenpläne für alle drei Bezirke vor. Wie die Diskussionen über die neuen Bau- flächen gezeigt haben, erhielten spätestens ab diesem Zeitpunkt das Bodeneigentum und seine Verwertung, sowohl auf der öffentlichen 227 als auch auf privater Seite eine maßgebliche Bedeutung für die weitere Entwicklung der Stadt. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ver- suchte die Regierung durch den Verkauf staat- lichen Grundeigentums zu niedrigen Preisen und zeitweilige Korrekturen von zu hohen Schätzpreisen die Spekulation und Überteue- rung zu unterbinden. Ab 1825 fand der Staat selbst Gefallen am Grundstücksgeschäft, als die Preise für Flächen im Nordwesten nahezu verdoppelt wurden. Ein Jahr später wurden Grundstücke in der Zähringerstraße verstei- gert und der Zuschlag erst erteilt, als nach ei- ner zweiten Versteigerung ein erhöhter Preis erreicht werden konnte. Der Staat, im 18. Jahrhundert noch Lenker im Sinne der landes- fürstlichen Stadtplanung, gab diese Rolle lang- sam auf. Die Akteure auf der Gemeindeebene - Stadt- räte, Grundstückseigentümer, Wirtschaftstrei- bende - übernahmen die Geschicke der Stadt. Dabei wurde Karlsruhe immer weniger als geschlossenes bauliches Gebilde gesehen. Die Eisenbahn, die Vorbotin der Industrialisierung, fungierte als Auslöserin der ersten Stadterwei- terung Karlsruhes außerhalb der alten Grenzen. HARALD RINGLER Eberhard Gothein 1853 -1923 "Kümmern Sie sich nur gar nicht um die an- deren Herrn, lesen Sie, was ihnen gut scheint, aber fesseln Sie die jungen Leute, das ist alles, was wir wollen.'( So anMortctc der badische Kultusminister Nokk auf die Frage des neuen Professors an der Technischen Hochschule Karlsruhe 1885, ob er seinen Schwerpunkt mehr auf die Kulturgeschichte oder die Nati- onalökonomie legen sollte. Eberhard Gothein war froh, bei seinen ersten Lehrstuhl an der Technischen Hochschule Karlsruhe berufen worden zu sein, in die liberale Atmosphäre Badens, einem Land, dem er noch in vielfa- cher Weise dienen sollte. Auf dem Weg zum Kulturhistoriker Am 29. Oktober 1853 wurde Eberhard Go- thein als Sohn eines Arztes im schlesischen Neumarkt geboren. Früh verlor er seine Eltern und absolvierte bei einem Onkel in Breslau seine Gymnasialzeit. Mit dem Studium be- gann er an der dortigen Universität, die da- mals in hoher Blüte stand. 1874 wechselte er nach Heidelberg, wo er auf hervorragende Historiker und Nationalökonomen stieß. Pro- moviert hatte er 1877 mit der Arbeit "Der gemeine Pfennig auf dem Reichstag zu Worms". Der Weg zum Gelehrten ebnete sich rasch ein Jahr später mit einer Habilitationsar- beit über "Politische und religiöse Volksbewe- gung vor der Reformation". Jetzt begannen seine Wanderjahre, und mit einem preußi- schen Stipendium zog es ihn in den Süden Italiens, wo er Material zu seinem Buch über "Die Kulturentwicklung Süditaliens" sam- melte. Der künftige Kulturhistoriker sah in seiner Habilitationsschrift eine Ergänzung der Arbei- ten des Nestors Leopold Ranke, den er sehr verehrte. Dessen Schüler meinten hingegen, Kritik herauszuhören, und so trug dies dazu bei, ihm Rufe auf einen Lehrstuhl für Ge- schichte zu versagen. 228 "Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes" Er ließ sich 1883 an die Universität Straßburg umhabilitieren und nahm mit Baden Konrakr auf. Hier harre sich kürzlich die Badische His- torische Kommission gebildet, die Gothein 1883 mit einer Untersuchung der wirtschaft- lichen und sozialen Geschichte des Schwarz- waldes beauftragte. Das war ein Thema, das ihn ganz erfüllte, denn schon für seine Kultur- geschichte Süditaliens harre er Landschaft und Städte durchwandert auf der Suche nach loka- len Quellen. Er wurde bald ein Kenner des Schwarzwaldes wie keiner zuvor. Ursprünglich von der Kommission nur als Studie geplant, wuchs der erste Band zur Geschichte einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dieser Region und der sie umgebenden Landschaf- ten. Mit dieser Städte- und Gewerbegeschich- te kommen für Gothein "die wichtigsten schwebenden Fragen zur Behandlung", und mit den Reichsstädten der Ortenau wollte er auch noch "die Wechselwirkung des städti- schen und bäuerlichen Lebens am genauesten erkennen lassen". Im Karlsruher Generallan- desarchiv harre er "ungeheure Stoffrnassen" zu bewältigen, dazu aber auch die Stadtarchive in Donaueschingen, Freiburg, Villingen und Kon- stanz besucht, nicht immer bei großer Bereit- schaft der Institutionsträger. Ziel war, sowohl die Entstehung der mittelalterlichen Stadt- und Zunftverfassung als auch die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsform zu verfol- gen. In den stattlichen Band von zirka 900 Sei- ten wurde mit einer Einleitung eingeführt, die mit 60 Seiten schon fast eine eigene Publika- tion darstellt. Mehrfach stützt er sich dabei auf Einzelarbeiten, aber auch auf eigene Aufsätze zu wirrschaftsgeschichdichen Themen, die als Vorbereitung für das große Werk dienren. Wie in Italien übte Gothein das aus, was wir heure als "oral history" bezeichnen. "Nach meinem alten Brauch rede ich viel mit Arbei- tern und Bauern, wandre ein Stück mit ihnen und lasse mir erzählen. Das ist auch ein Stück Arbeit und nicht die schlechteste." In Karlsru- he isst er in "einer Bierkneipe, um die Leute, die denen in meiner Arbeit enrsprechen, ken- nen zu lernen". Gothein verfügte nicht nur über eine flüs- sige Formulierungskunst, er war auch ein sehr kommunikativer Mensch und alles andere als ein Stubengelehrter. Erstaunlich, wie er, der sich "von Problem zu Problem jagen" ließ, Arbeiten zu verschiedenen Themen gleichzei- tig bewältigte. Der Verein für Reformationsge- schichte trug ihm nämlich die Bitte an, eine Schrift über Ignatius von Loyola und den Je- . suirenorclen zu verfassen, "da Sie einer der wenigen Historiker sind, die auch darzustellen wissen", so hieß es in der Anfrage. Es wurde ein Thema, das ihn in drei Versionen ein Le~ ben lang beschäftigte. Lehrstuhl in Karlsruhe Da er mit seiner Habilitationsschrift, "die un- ter dem Begreifen der Geschichte aus Wurzeln der sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Kräfte" stand, einem später selbstverständli- chen Gesichtspunkt, sich die Aussicht auf eine Berufung in Preußen verschüttet hatte, war der Ruf 1885 an die Technische Hochschule Karlsruhe um so erlösender. Mitglieder der Zunft wie der ehemalige Karlsruher Historiker Hermann Baumgarten begrüßten es, dass er von der Historie "endlich" zur Nationalöko- nomie gewechselt habe, was Gothein für eine Zumutung hielt. All diese Umstände bewirk- ten, dass der "Schwarzwald" erst 1892 er- schien, als Gothein bereits einen Ruf nach Bonn erhalten harre. Die fünf Karlsruher Jahre waren für den nun jung Verheirateten eine glückliche Zeit. Man genoss das bedeutende Theater unter 229 Felix Mottl, verkehrte im illustren Kreis des Gymnasialdirektors Gustav Wendt, mit dessen Enkel Wilhe1m Furtwängler der ältere Sohn spielte, trafHeyse, Brahms und andere Künst- ler. Im Kontakt mit Naturwissenschaftlern und Ingenieuren entschloss sich Gothein zu der Schrift "Die Aufgaben der Kulturgeschich- te", der einzig polemischen. Er wendet sich hier gegen die These, dass nur das Verhältnis der Menschen zum Staat das "eigentliche Ar- beitsgebiet der Geschichte" sein könne. Bei aller Achtung vor der politischen Historie sei sie nur ein Teil der Kulturgeschichte. So ver- langte er von der "politischen Geschichte", "dass sie sich ihr unterordne, "denn die Entste- hung der Kulturgeschichte ist eine notwendi- ge Folge der Entwicklung des modernen Geis- tes". Ein temperamentvolles Thesenpapier mit jenen hohen Zielsetzungen, die später als Kul- tursoziologie einen Niederschlag fand. Damals kritisierte die Rankeschule - zuweilen nicht zu Unrecht -, dass die Detailarbeit bei den zur Polyhistorie gezwungenen Wissenschaftlern vernachlässigt werde, ja dass Diletrantismus am Werk sei und Spekulationen, gar einen Dogmatismus im Erfinden von Entwicklungs- gesetzen zeitige. Das traf bei ' Gothein alles nicht zu; jedenfalls hat die Wirksamkeit, der Ideenreichtum jener "Kulturhistoriker" von Schmoller bis Sombart, von Max Weber zu Huntington bis heute Diskussionen ausgelöst, auf die die sicher verdienstvolle antiquarische Geschichtsschreibung oft verzichten muss. Nationalökonom in Bonn 1890 erhielt Gornein einen Ruf an die Univer- sität Bonn, wo neben einem Lehrauftrag für Kulturgeschichte sein Hauptamt in der Nati- onalökonomie lag. Bald wandte er seine wiss- sensehaftlichen Arbeiten dem Rheinland zu, schloss Kontakte mit Industriellen, deren Fa- briken er mit seinen Studenten besuchte, war ein häufig gesuchter Redner, der in seiner "In- teressenmannigfaltigkeit" über ganz unter- schiedliche Themen vor großem Publikum zu sprechen wusste. frei vortragend. immer belas- tungsfähig, so dass die Kölner Karnevalisten reimten: "Tritt einmal Not ein/so holt man den Gothein". Hier entstand sein nächstes großes Werk "Die Wirtschafts- und Verfassungs geschichte der Stadt Köln im ersten Jahrhundert unter preußischer Herrschaft", von vielen Fachkol- legen als Muster einer Stadtgeschichte gelobt. Für Köln hat er sich darüber hinaus durch die Gründung einer Handelshochschule nach dem Beispiel der Pariser "EcoIe des Hautes Etudes Commerciales" verdient gemacht. Da- bei war nicht nur organisatorische Tatkraft, sondern auch diplomatisches Geschick in der von partei politischen Klüften gekennzeichne- ten Kommune gefordert und persönlicher Ein- satz verlangt, vor etwa 500 Kaufleuten mit Vorlesungen zusätzlich zum Hauptamt zu be- gInnen. Die Heidelberger Zeit 1904 folgte er einem Ruf nach Heidelberg. Zwar riss er sich schweren Herzens vom Rhein- land los, das er von seinen vielen Exkursionen wie kein Zweiter kannte, doch war er als De- kan mit seinem Widerstand gegen eine stärke- . re Bürokratisierung der Hochschulen beim preußischen Kultusministerium in Misskredit geraten. So lockte nun das liberale Baden, wo man ihn "als den besten Kenner des Landes" herzlich begrüßte - bei deutlich besserem Jah- resgehalt. Man schätzte auch sein Organisati- onstalent, und so wurde in enger Zusammen- arbeit mit der Stadt Mannheim die Grundla- ge für die 1907 eröffnete Handelshochschule nach Kölner Muster gelegt. Mit seiner natio- nalökonomisehen Lehr- und Forschertätigkeit von der Wirtschaftsgeschichte über ökonomi- 230 sehe Theorie bis zu handelspolitischen Ab- handlungen war diese Zeit der größten Breite seines Schaffens gewidmet. Und im Kontakt mit Max und Alfred Weber gewann für ihn die Soziologie zunehmend an Bedeutung. Zu seinem fünfZehnstündigen Arbeitstag gehörten die Aktivitäten für die durch ihn initiierte "Süddeutsche Gesellschaft für staats- wissenschaftliche Fortbildung". Von 1906 bis 1913 unternahm er mit jeweils 25 Beamten aus Baden, dann auch aus Württemberg, aus- führlich vorbereitete Exkursionen in deutsche Wirtschaftsgebiete, ja nach dem Krieg begann er schon 1920 wieder eine Exkursion, denn er hatte sich zum Ziel gesetzt: "Wenn doch wenigstens diese meine Schöpfung dauern würde, gute Früchte trüge und dadurch die unbedingt nötige Verbundenheit zwischen Universitätswissenschaft und Verwaltungspra- xis und beider mit dem realen Leben herge- stellt würde", ein Vorläufer unserer heutigen Führungsakademie Baden-Württemberg. Einstieg in die Politik . 1912 wurde er Vorsitzender der Badischen Historischen Kommission, 1913 Prorektor der Universität Heidelberg, unermütlich tätig, selbst als Lateinlehrer am Heidelberger Gym- nasium für den Ersatz zum Kriegsdienst einge- zogener Lehrer. Wilhe1m Il. hielt er für einen Bramarbas, aber ebenso warnte er vor staatsso- zialistischen Träumereien. Die Revolution 1918 traf ihn bis ins Herz. Bisher nationallibe- ral gesonnen, trat er nun in die Deutsche De- mokratische Partei ein, eine Schar hochgebil- deter Mitglieder wie Theodor Heuss, Gertrud Bäumer, Marie Baum und vieler Wissenschaft- ler, Diplomaten und Wirtschaftsführer, frei- lich "Führer ohne Soldaten". Gothein wurde als Abgeordneter in den Badischen Landtag gewählt, ja 1919 bot man ihm das badische Kultusministerium an, das er aus Alrersgrün- Eberhard GOI hein. ordentlicher Professor an der Tc:chnischcn Hochschule I(;arlsruhe 188; bis 1890. den ablehnte. Vielmehr konzentrierte er sich auf eine öffentliche Aktion, "den Zusammen- schluss von Württemberg, Baden und der Pfalz zu einem wirtschaftlich-politischem Gan- zen". Gornein war zwar Gegner des Separatis- mus, sah aber, dass durch das Reichssteuerge- setz des Finanzministers Erzberger die Länder in ihren vitalen Aufgaben lahm gelegt werden würden, daher die Notwendigkeit, größere Länder mit entsprechendem Gewicht zu bil- den. Zu den inneren Gründen für einen Zu- sammenschluss zählte er den "Volkszusam- menhang" , die Verkehrs- und Wirtschafts ge- meinschaft, vor allem die kulturellen Vorteile einer künftigen gemeinsamen Hochschulland- schaft. Als äußeren Grund sah er die durch die französische Besatzung gefährdete Rheinpfalz. In zahlreichen Zeitungsartikeln warb er für seine Idee, nahm an Ministerkonferenzen teil , fürchtete sich vor einer Zukunft "des kleinen 231 Baden, das überall in die Ecke gedrückt wird". Der Misserfolg von Gotheins Plänen wurzel- te in Bayern, wo man in der Aktion eine Un- freundlichkeit gegenüber einem Land sah, das auf keinen Fußbreit verzichten würde. Auch die Pfälzer selbst wehrten sich nun gegen einen Separatismus vom Reich und somit gegen die französische Gefährdung. So kam es, notiert seine Frau in ihren Erinnerungen. "dass die Gegner in beiden Ländern, deren es natürlich genug gab, so besonders der ganze Beamten- körper in Karlsruhe, der aus nahe liegenden Gründen für sein Fortbestehen besorgt war, die Oberhand behielten. Und so ... als der günstige Moment verpasst war, war man froh, alles beim Alten zu lassen und vor allem auch, Ba- den den Badenern' zu renen". 1921 kandidierte Gqthein nicht mehr für den Landtag. Bei seinen engen Kontakten zur Industrie war er nun als Vermittler in Streitfal- len gefragt, das Auswärtige Amt bat ihn, an der Reform der Diplomatenausbildung mitzu- wirken. Immer wieder auf Dienstreisen, die er, im Zug arbeitend, als "Vergnügungsreisen" de- klarierte, war er aber vor allem den Studenten zugewandt, mit denen er wie eh und je Wan- derungen unternahm, die große Zahl von Pro- motionen begleitete, sich um eine Seminarbi- bliothek kümmerte und dafür Sponsoren ge- wann. 1923 wurde er emeritiert, kurz darauf starb er, siebzigjährig. Sein Leben war nicht nur durch Höhepunkte gekennzeichnet. Er- sehnte Berufungen nach Leipzig und Mün- chen stellten sich nicht ein, in der Universität fühlte sich der Reformer oft vereinsamt, in der kurzen politischen Tätigkeit erreichte er nicht seine Ziele. Dennoch war dieser universale Gelehrte eines vergangenen Jahrhunderrs mit seiner stupenden Gelehrsamkeit, großer Aus- strahlung und ungeheuren Arbeitskraft, der mit leichter Feder auch für Laien schreiben konnte, der mit seiner Beredsamkeit ein Publi- kum mitriss, eine herausragende Gestalt, auch wenn er keine wissenschaftliche "Schule" grün- dete. Der deutsche Südwesten hat ihm arn Anfang des 20. Jahrhunderrs viel zu verdanken. LEONHARD MÜLLER Der Schlacht-und Viehhof an der Durlacher Allee Die Entwicklung des Schlachthofes Karlsruhe geht auf das Jahr 1726 zurück, in dem die in- zwischen auf 2.000 Einwohner angewachsene Bürgerschaft über den Standort des geplanten Rathauses mit Markt, Schlachthaus, Fleisch- und Brotbänken abstimmte. Als Standort wurde der Platz neben der Lutherischen Kir- che ausgewählt wegen der zentralen Lage und der günstigen Grundstückspreise. Außerdem "könnten hinter der Kanzlei keine Metzelbän- ke, viel weniger ein Schlachthaus, wegen dem Gestank und Geschmeiß gebaut werden, wenn anders nicht die Acta darunter Schaden leiden sollen". Verschiedene Schlachthäuser Im Jahre 1729 wurde das Rathaus mit den Fleischbänken und dem Schlachthaus fertig gestellt, einem Gebäude mit zwei Schlachträu- men und einer darüber gelegenen Wohnung für den Aufseher. Einer der Schlachträume 232 war für die Chrisren und einer für die Juden bestimmr. In den Jahren 1773 bis 1777 wur- den jedoch bereits einzelne Häuser auf der Südseite des Landgrabens erbaut, so dass das Schlachthaus bald innerhalb des Wohngebie- tes lag und seinen Nachbarn einen "hässlichen Anblick und zur Sommerzeit einen nachteili- gen Geruch" bor. Daher forderte die mark- gräfliche Rentkammer bereits 1787 einen Neu- bau, der aber erst 1794 am heutigen Ludwigs- platz erstellt wurde. Doch schon im Jahre 1809 folgte ein Erlass, der das Schlachthaus fur baufällig erklärte und einen Abriss notwen- dig machte. Trotzdem wurde aber erst im Jahre 1819 in der heutigen Leopoldstraße ein Neu- bau erstellt, der seine Aufgaben bis in die acht- ziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts mehr recht als schlecht erfullte. Das weitere Wachs- tum der Stadt, städtehygienische Gründe und die Einfuhrung des Schlachthausbenutzungs- zwanges für alle Schlachttiere machten 1880 einen weiteren Schlachthausneubau an der Durlacher Allee erforderlich. Am 25. Juni 1883 beschloss der Bürgeraus- schuss dann den Neubau. Die Baupläne ent- warf Stadtbaumeister Wilhe1m Strieder, die im Flur des Veterinäramtes der Stadt Karlsruhe heute noch ausgehängt sind. Der vierte Schlachthof in der Stadtgeschichte wurde im März 1885 begonnen, im Dezember 1886 fand die erste Probeschlachtung statt und am 28. März 1887 wurde der für 874.000 Mark erbaute Schlacht- und Viehhof mit einem fest- lichen Umzug durch die Stadt in Betrieb ge- nommen. Der Grund für die Schlachthofneubauten in Deutschland gerade in dieser Epoche war durch die Erkenntnis begründet, dass auf Grund verschiedener Krankheiten, die damals schon bekannt waren, wie Finnen, Tuberkulo- se und Trichinose eine allgemeine Untersu- chung der Schlachttiere vor und nach dem Schlachten durch Tierärzte gefordert wurde. Entwurf des Stadtbaumeisters W. Snicder für dfc Schlachthausgasrstänc 1890. Eine ewige Baustelle Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Ba- den und in anderen süddeutschen Ländern in den meisten Städten mit mehr als 20.000 Ein- wohnern von den Gemeinden erstellte und unterhaltene öffentliche Schlachthäuser. Nur in einzelnen Städten, zum Beispiel in Karlsru- he, durften in den öffentlichen Schlachthäu- sern auch Schweine geschlachtet werden. Die 1887 erbaute Anlage ist trotz des 1972 durch- gefuhrten Neubaus fast unverändert erhalten. Ein erster bedeutender Erweiterungsbau wur- de im Jahre 1927 durch den Bürgerausschuss beschlossen, in dessen Rahmen im Viehhof eine neue Schweinemarkthalle errichtet, das 233 Pförtnerhaus vergrößert, die Laderampen ver- längert und die ehemalige Lymphanstalt in ein Bürohaus für die Viehagenten umgebaut wur- de. Von diesen Erweiterungsbauren ist ledig- lich heure noch das Bürohaus für die Vieh- agenten erhalten, das aber in den neunziger Jahren einer anderen Nutzung zugeführt wur- de. Wegen der ständigen Betriebszunahme, aber auch zur Behebung der Kriegsschäden blieb der Schlacht- und Viehhofbis zum Jah- re 1964 eine ewige Baustelle. Neue Planungen Mehr und mehr machte sich nachteilig bemerk- bar, dass der Schlachthof weder in baulicher noch in technischer Hinsicht den modernen Anforderungen genügte und daher sehr kos- tenintensiv war. So wurde 1969 mit der Pla- nung eines Schlachrhofneubaus begonnen, der am 29. September 1975 abgeschlossen wurde. Diese mittlerweile fast 30 Jahte alte Anlage wird bis heure überwiegend für die Schlach- tung von Schweinen und Rindern genutzt. Wurde im 19. Jahrhundert der Bau von Schlachthöfen als notwendig erachtet, um die Bevölkerung mit hygienisch einwandfreiem Fleisch zu versorgen, das vor allem gesundheit- lich unbedenklich war, nahm die Bedeutung der kommunalen Schlachtbetriebe vor allen Dingen in den siebziger und achtziger Jahren vermehrt ab, was zu einer Schließung vieler Betriebe, vor allen Dingen in den neunziger Jahren, führte. Auf und ab beim Schlachtbetrieb Der europäische Binnenmarkt machte es möglich, die Fleischversorgung auch über grö- ßere Entfernungen sicherzustellen, was vor allen Dingen für produktionsschwache Gebie- te, zu denen auch Karlsruhe und das Umland zählt, von Bedeutung war. Diese Überlegun- gen und die zum Teil städtebaulich sehr un- günstige Lage der Schlachtbettiebe überwie- gend in den Ostteilen der Städte hat die Kom- munen dazu veranlasst, die Schlachthofsitua- tion neu zu überdenken. Auch in Karlsruhe werden seit 1990 Überlegungen angestellt, den Schlachtberrieb in der Durlacher Allee zu schließen, da auch die Schlachrzahlen bedingt durch das veränderte Verbraucherverhalten sehr deutlich zurückgingen. Insofern war die An- nahme der Stadrverwaltung, keinen Schlacht- hof vorrätig halten zu müssen, schlüssig. Dies änderte sich allerdings durch zahlteiche Skandale rund um das Urprodukt "Fleisch", die zu einer Änderung des Verbraucherverhal- tens führte. Plötzlich war die anonyme Ware in den Großmärkten nicht mehr angezeigt, sondern man bevorzugte wieder die heimische Schlachtung, und das Begehren, den Schlacht- hof zu erhalten, wurde aus Sicht der Bevölke- rung durchaus größer. Vor allem die begrün- dete AngSt vor der Rinderkrankheit BSE (Bo- vine Spongiforme Enzephalopathie) hat bei der Bevölkerung große Sorge ausgelöst. Dies führte dazu, dass die Selbsrvermarktung, vor allen Dingen von Schlachtvieh, auch in Karls- ruhe vermehrt zunahm. Das Schlachtgesche- hen, in den vergangenen Jahren durch Groß- schlächtereien beherrscht, wurde nun durch die Ptivatzufuhren aus Karlsruhe und dem Umland geprägt. Dies macht wegen der Dis- kussion um die Tiertransporte über längere Strecken durchaus auch einen Sinn, der von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen wurde. Qualitätssicherung war das Schlagwort der neunziger Jahre, die sich allerdings in der Pra- xis nur sehr langsam durchsetzte. Um hier eige- ne Erkenntnisse durchsetzen zu können, wur- de 1991 das Labor der Karlsruher Schlacht- hof-Betriebsgesellschafr mbH gegründet, das neben den bakteriologischen Fleischuntersu- chungen auch den Firmen bei der Installation 234 Ehemalige Schwei ncmark,halle .. heule ~To l lhaus" . von Qualitätssicherungssystemen half. Im Jah- re 2000 wurde das Labor um die Einheit für die Untersuchung auf BSE erweitert. Schließung des musealen Schlachttempels Dioxine in Futtermitteln, Antibiotika im Fleisch, Tierseuchen wie Maul- und Klauen- seuche und BSE haben dann Überlegungen zugelassen, zwar den Schlachthof in der Dur- lacher Allee zu schließen, aber den ortsansäs- sigen Firmen Möglichkeiten zu zeigen, an an- derer Stelle in einem "Ernährungszentrum " weiter zu arbeiten. Es bestehen derzeit Aktivi- täten, diese Pläne zu verwirklichen. Die Schließung des Schlachtbetriebes in der Durlacher Allee ist norwendig, da der si- cher schon als musealer Schlachttempel zu bezeichnende Schlachthof nicht mehr zeitge- mäß arbeiten kann, die Hygienevorgaben der EU nur noch sehr schwer zu erfüllen in der Lage ist und städtebauliche Gründe den Um- zug erforderlich machen. Die Nähe zum Schloss Gottesaue sowie die Planungen der Stadt Karlsruhe, einen Ostaue- park für die Bürger zu gestalten, bedeuten für den Schlachthof Karlsruhe, dass im Jahre 2007 der Schlachtbetrieb eingestellt wird. Da- mit verschwindet einer der ältesten Schlacht- betriebe aus Deutschland, was sicher wehmü- tige Gedanken zulässt. Es ist gelungen, nach Gründung der Karlsruher Schlachthof-Be- triebsgesellschaft mbH im Jahre 1976 den Be- trieb wirtschaftlich in ruhigem Fahrwasser zu führen und bis heute eine ausgeglichene Bilanz vorzulegen. 235 Abschied und Neuanfang Ein Blick von der SchlachthofVerwaltung über die alten Hallen, die heute schon zum Teil kul- turell genurzr werden, lassen Wehmut zu. Nur das Wissen um die Tatsache, dass die Gebäude- struktur erhalten bleibt, und dass Kunst und Kultur ein Weiterleben des Schlachthofes in den alten Hallen möglich machen, versöhnt. Die Umnurzung des Schlachtbetriebes in ein zukünftig überwiegend kulturelles Zentrum begann bereits mit der Umsiedlung des Thea- ters, das "Tollhaus" in die alte Schweinematkt- halle. Auch heute nurzen zahlreiche Musikka- pellen und Künstler bereits die alten Räume. Der Schlachthof an der Durlacher Allee ist ein Stück Stadtgeschichte. Diese wird auch festgehalten durch zwei Disserrationen über die Geschichte des Schlacht- und Viehhofes der Stadt Karlsruhe bis in das Jahr 1988. Die Dissertation von Frau Tierärztin Bieringer schließt, wie lange die Viehhof- und die Schlachthof GmbH der modernen Entwick- lung in der Vermarktung von Schlachtvieh noch trotzen kann. Diese Frage ist nun beant- wortet. DIRKSTEGEN Eisbärenhaltung im Karlsruher Zoo zwischen Tradition und Faszination Die Eisbärenhaltung hat in unserem nun fast 140 Jahre alten Zoo eine lange Tradition. Ver- einzelt findet man diese Tietaet schon in Tier- bestandslisten aus der ersten Hälfte des lerzten Jahrhunderts. Zuchterfolge bei in Zoos gehal- tenen Eisbären waren jedoch weltweit eine Rarität und für Tiergartenbiologen eine echte Herausforderung. So lag es nahe, dass im Zuge des Wiederaufbaus der im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten Zooanlagen die Präsen- tation dieser Tierart auf den Plan kam. Im Rahmen der Planungen für die Bundesgarten- schau 1967 entstand an der Nordseite des Lauterbergs eine nach damaligen Erkenntnis- sen großzügige Eisbärenanlage, die mit elf Jungbären als weltweit größte Eisbärenhaltung galt. Zu Beginn der siebziger Jahre stellte sich der ersehnte erste Nachwuchs ein, und die Karlsruher Zoo besucher gewöhnten sich mit Hilfe des Stammvaters "Willi", dem legendä- ren Eisbären aus dem Berliner Zoo, an den rc- gelmäßigen Nachwuchs. International erlang- te der Karlsruher Zoo durch diese über Jahr- zehnte andauernde erfolgreiche, aber immer noch seltene Zucht einen hervorragenden Ruf in der Eisbärenhaltung. Im Freiland leben Eis- bären während der Sommermonate in den arkrischen Küstenregionen und sind dabei überwiegend auf pflanzliche Nahrung ange- wiesen. Erst wenn Eis das Meer bedeckt, durchwandern sie auf der Suche nach Robben - ihren Hauptbeutetieren -, riesige Territorien, wobei sie hier einzeln oder als Kleinfamilie, bestehend aus Mutter mit Jungtieren, anzu- treffen sind. Besiedlung und Nutzung ihres Lehensraumes durch den Menschen einerseits, aber auch klimatisch bedingte Veränderungen, die mit der Schmelzung der Polkappen einher- gehen, haben zu einem dramatischen Rück- gang des weltweiten Bestandes geführt und Eisbären zu einer bedrohten Tieean werden lassen. 236 Die Entwicklung zoologischer Gärten von der Präsentation möglichst vieler exotischer Tierarten hin zu einem modernen Natur- schutzzentrum mit dem vorrangigen Ziel, dem Besucher Zusammenhänge zwischen Ökosystemen und Artenvielfalt zu vermitteln. führt zu einer neuen Tierpräsentation. die na- turnahe Gestaltung von Tiergehegen unver- ziehtbar macht. Bereits 1990 wurden erste Überlegungen angestellt. die alte Eisbärenan- lage in ein Gesamtprojekt Lebensraum Wasser zu integrieren. denn das reine Betongehege aus den sechziger Jahren enrsprach nicht mehr den zoologischen Anforderungen an eine tierge- rechte Haltung. Untersuchungen hatten erge- ben. dass Eisbären Areale mit natürlichem Karlsruhcr Eisbärenanlage. Boden und vielfältige Rückzugsbereiche benö- tigen. Für die Aufzucht und Entwicklung von Jungtieren sind Wasserbecken unterschiedli- cher Tiefenzonen erforderlich. die sowohl Schwimmen. Spielen als auch Tauchen ermög- lichen. Für die Präsentation des arttypischen Verhaltensspektrums dieser faszinierenden Großsäuger erwies sich das veraltete Eisbären- gehege. das lediglich den Blick von oben auf die Tiere in der Versenkung zuließ. für den Besucher als völlig ungeeignet. Erst der Ein- blick in die Unterwasserzone bietet dem Be- trachter Möglichkeiten. die Geschicklichkeit und Eleganz der an Land eher tapsig wirken- den Tiere zu erleben. Die Neugestalrung der Tiergehege am Fuße des nördlichen Lauterbergs zum "Le- bensraum Wasser" begann Anfang 1999 mit der Anlage für Eisbären. Für die Dauer der Bauzeit wurde die fünfköpfige Karlsruher Eis- bärengruppe im Tiergarten Nürnberg unterge- bracht. Für die Aufrechterhaltung des Zoobe- triebs in Verbindung mit der Groß baustelle mitten im Zoologischen Garten war hier be- sonderes Einfühlungsvermögen aller Projekt- beteiligten erforderlich und die reibungslose Abwicklung nur in enger Kooperation mit dem Städtischem Hochbauamt und dem Pla- nungsbüro • .Assem Architekten" einetseits so- wie dem Zoo als Fachberater und -planer andererseits zu gewährleisten. Beschreibung der Anlage Eisbären sind für die Jagd auf Ringel- und Bartrobben perfekt an den Lebensraum Was- ser angepasst. Somit zieht sich das Wasser als Kernelement durch die neue. insgesamt 1.800 Quadratmeter große Außenanlage. deren To- pografie gegenüber der ehemaligen Betontief- anlage völlig neu gestaltet wutde. Eine eis- schollenähnliche Stufenlandschaft. die an die Packeiszone erinnert, ist umgeben von Wasser- kaskaden und -becken mit unterschierllicher Tiefe. In diesem Areal bieten sich so den Tie- ren vielfältige Bewegungsmöglichkeiten. Etwa ein Drittel der Gesamtfläche nimmt die gegen 237 den Lauterberg auslaufende, fast ebene Tun- drafläche mit einem niedrigen Pflanzen be- wuchs, kleinen Felseninseln, Wurzelstöcken und Kiefernstämmen ein. Den Tieren stehen hier unterschiedliche Bodenmaterialien wie Geröll und Schotterwiese zur Verfügung, die zum Graben oder auch als individuelle Ruhe- plätze genutzt werden können. Einen beson- deren Reiz haben die großzügigen Sandareale für Jungtiere. Unterschiedliche Höhenregio- neo bieten den Bären einerseits Sichtschutz vor Artgenossen, andererseits aber auch durch ihre exponierte Lage am Hang einen guten Überblick über das umliegende Gelände. Bei Bedarf kann ein Teil der Außenanlage als ein voll funktionsfähiges Einzelgehege ab- getrennt werden und dient so beispielsweise zur vorübergehenden separaten Haltung von neu zugegangenen Tieren. An das Großgehe- ge anschließend und nur durch einen Lauf- gang verbunden, erstreckt sich das Mutter- und-Kind-Gehege, das - ausgestattet mit Flachwasserzonen - besonders für Eisbären- mütter mit Nachwuchs, geeignet ist und eine tiergerechte Haltung auch über einen längeren Zeitraum gewährleistet. Unter der Freilandzo- ne sind die großzügigen Innenboxen gelegen. Durch die isolierende Überdeckung mit Na- turboden bieten sie im Sommer kühle Rück- zugsbereiche können aber im Winter zu Ein- zeIgehegen, die den tragenden Weibchen als Wurfböhlen dienen, abgeschottet werden. Die neue Eisbärenanlage bietet nicht nur seinen Bewohnern verhaltensgerechte Lebens- bedingungen, sondern auch unseren Besu- chern besondere Attraktionen. Zwei große kreisrunde Unrerwasserfenster gestatten den Einblick ins Tauchbecken. Hier können Eisbä- ren beim Schwimmen beobachtet werden. Die ausgeklügelte umwelt- als auch tierfreundliche Wassertechnik sorgt für klare Sicht und eine gute Wasserqualirät. Die Wegeführung mit ihren ständig wechselnden Perspektiven und Einsichten macht die Betrachtung der Eisbä- ren - manchmal fast hautnah - durch fast funf Zentimeter dicke Glastrennwände zum Erleb- nis. Die Sitzarena mit tonnenschweren Srcio- quadern im oberen Besucherbereich lädt zum Verweilen und längerer Beobachtung der Tiere ein. Umgeben von der Tundralandschaft mit ihrer Pflanzenvielfalt aus den arktischen Regi- onen, gewinnt der Besucher angesichts des meterhohen im Sonnenlicht bläulich glänzen- den Eisbergs im Zentrum der Anlage und den von Eis und Schnee ausgewaschenen, zerklüf- teten Felsformationen einen realistischen Ein- druck eines typischen Eisbärenhabitats im ark- tischen Randbereich. 238 Zum Tierbestand Im März 2000 schien nach dem Tod der Karlsruher Eisbärenzuchrgruppe im Tiergar- ren Nürnberg alle Mühe umsonst gewesen zu sein. Unbekannte hatten dort das Gehege der Eisbären geöffnet. Alle Karlsruher TIere waren ins Zooareal entkommen und mussten, um Menschenleben nicht zu gefahrden, aus Si- cherheitsgründen getötet werden. Die welt- weite Suche nach Eisbären für einen Neube- ginn blieb zunächst erfolglos, da im Winter 1999 in der Zoowelt kaum Jungtiere nachge- rogen worden waren. Hilfe kam aus dem Rot- terdamer Zoo. Das Eisbärengehege dort war sehr klein und veraltet. Es lag daher nahe, die beiden alten Eisbärinnen "Mien" und "Katri- en" in das Karlsruher Gehege umzusiedeln. So konnte im Oktober 2000 zur Freude der Karlsruher die neue Anlage doch noch mit Eisbären eingeweiht werden. Zug um Zug er- oberten die bei den Eisbärenweibchen das für sie völlig neue Ambiente und fühlten sich sichtlich wohl. Ein Jahr später kamen aus den Zoologischen Gärten Moskau, Rostock und Wien die drei jungen Bären "Kap", "Virus" und "Nika" nach Karlsruhe. Seitdem kennt die Faszination unserer Besucher über die Aus- gelassenheit und Spielfreude der Halbstarken- bande fast keine Grenzen. Mit ihr beginnt die neue Eisbärengeneration. Eisbärenhaltung und Tierschutz Schon lange rekrutieren sich im Zoo gehalre- ne Tiere aus Nachzuchten der Zoogemein- schaft, so auch Eisbären. Trotz allem stellt sich die Frage, ob diese anspruchsvolle und intelli- gente Art unter Zoobedingungen tiergemäß gehalten werden kann. Beobachtungen bei unserer ehemaligen Zuchtgruppe zeigten bis ins hohe Alter verspielte und aktive Bären, die miteinander harmonienen. Auch wenn wir mit der neuen Anlage einen weiteren Schritt in der tiergerechten Eisbärenhaltung vorange- kommen sind, gilt es nun, durch vergleichen- de Studien in verschiedenen Eisbärenhaltun- gen Zoologischer Gärten dies wissenschaftlich abzusichern. Mit den vielen Spenden der Karlsruher Bevölkerung für unsere Eisbären werden diese Studien im Sinne des TIerschut- zes ermöglicht. GISELA VON HEGEL Das allmähliche Verschwinden eines "Dinosauriers" Aus der kurzen Geschichte des Karlsruher Panoramas am alten Hauptbahnhof Manchmal kann sich auch ein Kunsthistoriker wie ein Paläobiologe fühlen und nach Spuren einer riesenhaften, längst ausgestorbenen Spe- zies suchen. Wer weiß schon noch, dass es einstmals gewaltige, mehr als hundert Meter lange und über zehn Meter hohe Gemälde gab, die in speziell dafür konstruierten Bauten präsentiert wurden? Obwohl die Blüte dieser Kunstform kaum mehr als hundert Jahre zu- rückliegt, ist sie so gründlich in Vergessenheit geraten, dass es große Mühe macht, Näheres über ihre einzelnen Vertreter zu erfahren. Auch über das Karlsruher Beispiel ist nur noch weniges zu ermitteln. Informationen von bes- 239 ser dokumentierten Fällen müssen zu Rate gezogen werden, um zu einem halbwegs an- schaulichen Bild zu gelangen. Das frühe Kaiserreich als Blütezeit der deutschen Panorama-Malerei In der Kunstgeschichte ist es selten, dass ein Maler etwas erfindet - und sich dies patentie- ren lässt. Am 17. Juni 1787 gab es einen sol- chen Fall, als Robert Barker in London den Plan einer ersten vollständigen, auf Leinwand gemalten 360-Grad-Rundumsicht präsentier- te, die in einem eigens dafür konstruierten Gebäude gezeigt werden sollte. Die Experi- mentierphase war 1793 abgeschlossen, als Barker am Landoner Leicester Square eine große, doppelstöckige Rotunde erbauen ließ. Darin wurde zum einen eine Art Luftbild von London gezeigt und zum anderen eine An- sicht der russischen Kriegsflotte, die vor Spi- thead ankerte. Schnell bürgerte sich für Ge- mälde wie Gebäude das griechische Kunstwort "Panorama" ein. Barker war mit seiner Unternehmung öko- nomisch so erfolgreich, dass sich sein Modell bald auch auf dem Kontinent verbreitete. Jah- re- und jahrzehntelang wurden Panoramen vor allem von fremden Landschaften und Städten, zunehmend aber auch von verschie- denen Kriegen in allen möglichen Größen gemalt und bewundert. Trotzdem wäre Barkers Erfindung nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wohl allmäh- lich in Vergessenheit geraten, wenn es nicht zu zwei entscheidenden Veränderungen gekom- men wäre. Zum einen entdeckte man die be- sondere Publikumswirksamkeit von heroi- schen Schlachten gemälden mit Themen der jüngsten Vergangenheit - der Deursch-Fran- zösische Krieg von 1870/71 lieferte da auf einmal Beispiele in Hülle und Fülle; und zum anderen zeigten sich die Einsparpotcnziale von genormten Bildformaten. Fortan wurden die Rotunden so gebaut, dass die Gemälde zwi- schen ihnen ausgetauscht werden konnten, wenn ihre Anziehungskraft auf die Besucher nachließ. Der Standardbau hatte danach einen Durchmesser von 40 Metern und war 15 Meter hoch. Den Startschuss für die zweite, die eigent- liche Blüte der Panoramamalerei in Deutsch- land bildete der große Erfolg des am 1. Sep- tember 1880 in Frankfurt am Main eröffneten Panoramas, für das Louis Braun eine Ansicht des damals am meisten gefeierten deutschen Sieges gemalt hatte - in der Schlacht bei Sedan am I. September 1870, wo unter anderem auch der französische Kaiser Napoleon IIl. in Gefangenschaft geraten war. Danach brach eine regelrechte "Panorama-Manie" aus, wie sich Anron von Werner gegen Ende seines Lebens erinnerte, der Vorzeigemaler des Kai- serreichs, der dann auch bald das Verzeigepa- norama für die Reichshauptstadt zu malen hatte - ebenfalls ein Sedan-Panorama, das 1883 in Anwesenheit des Kaisers, Bismarcks und anderer Prominenz eröffnet wurde. Wer- ner war generalstabs mäßig zu Werke gegan- gen, hatte mit zwei Kollegen die Landschaft vor Ort erkundet, hatte Zeugen befragt und die Geschehnisse minuti- ös rekonstruiert, um dann mit einem Team von 14 Mitarbeitern die Arbeit aufzunehmen. Eine Million Goldmark verschlang das Projekt alles in allem, Werner allein erhielt 100.000 Mark. Jede deutsche Großstadt wollte danach auch ihr Panorama besitzen, und die größten von ihnen natürlich mehrere: Hamburg und München besaßen zwei, Berlin am Ende sogar fünf. Das Panoramawesen erwies sich als ein boomender Wirtschaftszweig, dem zuneh- mend auch künstlerische Bedeutung zuge- schrieben wurde. In der von einem Großkriti- ker der damaligen Zeit herausgegebenen, weit 240 verbreiteten Zeitschrift "Die Kunst für Alle" war im Juni 1890 in einem Artikel über "die neueste Entwicklung der deutschen Panora- menmalerei U zu lesen, dass dem Panorama "noch eine große Zukunft beschieden sein werde". Vielleicht wurde dies auch in Karlsru- he gelesen. einer Stadt. die bis dahin noch über kein eigenes Panorama verfügte. Das Karlsruher Panorama und seine Gemälde Wer in Karlsruhe die Initiative ergriff, muss genauso unbeantwortet bleiben wie die Frage nach den Geldgebern für das Projekt. Wahr- scheinlich waren es wie in den meisten anderen Fällen auch belgisehe Finanziers. die sich zu großen, international operierenden Panorama· gesellschaften zusammengeschlossen hatten. Am 31. Oktober 1894 war es dann jeden- falls in Karlsruhe so weit. wurde die Stadt durch ein eigenes Panorama "ohne Zweifel um eine Sehenswürdigkeit bereichcrc'\ wie die "Karlsruher Zeitung" am nächsten Tag berich- tete. Und sie fuhr fort: .,Auf einem seiner Zeit von der Stadtgemeinde unentgeltl ich zur Ver- fügung gestellten Platze an der Ettlinger Stra- ße hat Herr Baumeister K. Augenstein den stattlichen Rundbau errichtet". in dem als Erstes eine speziell für Karlsruhe gemalte Dar- stellung des Gefechts bei Nuits am 18. De- zember 1870 präsentiert wurde. Prinz Wil- helm von Baden hatte damals eine badische Grenadierbrigade zum Sieg geführt. Als leitender Maler war der 1862 geborene Militärspezialist earl Becker gewonnen wor- den. Unterstützt wurde er von den beiden Landschaftsmalern Karl Kehr und Friedrich Kallmorgen. Wie in allen anderen Panoramen auch. waren in ihrem Werk das Streben nach überwältigender Illusion. glanzvoller Effekt und pädagogischer Anspruch - der "Hebung der vaterländischen Gesinnung". wie es der Panoramagebäud~ an der KJosesrraße. Rezensent der "Karlsruher Zeitung" formu- lierte, unauflöslich miteinander verwoben. Ei- ner Zeit. der noch nicht die Möglichkeiten von Film und Fernsehen zur Verfügung stan- den. wurde der "volle Überblick über das weite Gefechtsfeld und über den Stand des Kamp- fes" in kaum mehr zu überbietender Realistik geboten. Leider hat sich dazu auch nicht das geringste Anschauungsmaterial erhalten. Von Werners Sedan-Panorama gibt es wenigstens noch eine Foroserie. Zu sehen war Beckers Werk täglich "von Morgens 8 1/2 Uhr bis zu eintretender Dun- kelheit". wie den Anzeigen in der Tagespresse zu entnehmen ist. Leider fehlt ihnen die An- gabe über die Höhe des Eintrittspreises. Es ist allerdings anzunehmen. dass sie nicht weit von denen andernorts abwichen. In Frankfurt etwa kostete die normale Karte eine Mark. Soldaten und Kinder zahlten die Hälfte und an Sonn- und Feiertagen gab es noch einmal "halbe Preiseu. Die Eröffnung des Karlsruher Panoramas und sein erstes Rundgemälde waren nicht nur in der lokalen Presse, sondern auch in der weit verbreiteten Zeitschrift "Die Kunst für Alle" gewürdigt worden. So viel Publizität gab es danach nie mehr. Als 1897 im Rahmen der "Festlichkeiten zur Säkularfeier des Geburtsta- ges weiland Seiner Majestät Kaiser Wilhelms des Großen" am 21. März ein neues Schlach- 241 tenbild präsentiert wurde, war dies nur noch der lokalen "Karlsruher Zeitung" einen länge- ren Artikel wert. Es handelte sich ja auch um kein neues Werk, sondern um die Weiterver- wendung eines schon 1895 entstandenen und zuerst in München gezeigten Gemäldes. Mi- chael Zeno Diemer hatte es unter Mitwirkung von drei anderen Malern geschaffen und darin die Schlacht bei Orleans am 4. Dezember 1870 gestaltet. Als im Februar 1899 in Karlsruhe ein wei- teres neues Panorama ausgestellt wurde, fand dies selbst in der lokalen Presse kaum noch Niederschlag. Nur der Chronik der Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe für das Jahr 1899 "ist überhaupt zu entnehmen, dass es damals zu einem Wechsel kam. Fast dreißig Jahre nach dem Deutsch-Französischen Krieg hatte man sich auch in Karlsruhe entschlossen, den The- menkreis behutsam zu erweitern: Wieder wur- de zwar ein Schlachten bild entrollt, diesmal aber war es einem weit zurückliegenden The- ma gewidmet, der Schlacht bei Lützen am 16. November 1632, bei welcher der Schweden- könig Gustav Adolf den Tod gefunden hatte. Der 1836 geborene Routinier Louis Braun hatte das Thema bereits 1883 zum ersten Mal gestaltet; 1893 schuf er eine Wiederholung, die zuerst in Nürnberg, dann in Frankfurt und schließlich in Karlsruhe gezeigt wurde. Das Publikumsinteresse an den Panorama- darsteIlungen scheint immer schneller erlahmt zu sein, die Präsentationszeiten wurden immer kürzer. Bereits Ende des Jahres 1900 musste mit einem neuen Rundbild aufgewartet wer- den. Und erstmals gab es keine Schlachtendar- steIlung: Der Marinemaler Hans Petersen, der über Louis Braun zur Panoramistenlaufbahn gefunden hatte. wartete mit einer Ansicht des Hamburger Hafens auf. Ob man der Zugkräf- tigkeit des Themas nicht ganz traute, muss offen bleiben; jedenfalls wurde im Panorama- gebäude auch gleich noch ein TIefseeaquarium aufgestellt. Der Erfolg scheint nicht allzu groß gewesen zu sein, denn schon ein J ahc später, 1901, wurde mit dem nächsten, dem fünften Riesenrundbild aufgewartet. 1885 hatte der Münchner Maler Bruno Piglhein sich an eine monumentale Kreuzigung Christi gewagt und hatte damit großes Aufsehen erregt. Die Nach- frage nach diesem Werk, das zu guter Letzt auch noch 1892 in Wien verbrannte, war so groß, dass sich Piglheins ursprüngliche Mitar- beiter Karl Hubert Frosch und Josef Krieger bald selbstständig machten und mehrere eige- ne Versionen des Themas schufen. Eine davon fand auch den Weg nach Karlsruhe. Mit einem knappen Hinweis auf diese Prä- sentation verschwindet das Karlsruher Panora- ma nicht nur aus der publizierten "Chronik'\ sondern aus der ganzen Geschichte der Stadt Karlsruhe. Auf einer Karteikarte des Stadtar- chivs findet sich nur noch der handschriftliche Vermerk, dass das Panoramagebäude 1906 abgerissen worden sei. Das Kino als neue Unterhaltungs-Alternative Schon zeitgenössisch war auf das zentrale Pro- blem der Panoramaform, dem "Gegensatz zwischen der weitestgehenden Naturnachah- mung auf der einen, der thatsächlichen Bewe- gungslosigkeit und Totenstille auf der andern Seite" hingewiesen worden. Seltsamerweise wurden die in den Vereinigten Staaten und auch in England so erfolgreichen Varianten der "Moving Panoramas", bei denen bis zu mehrere hundert Meter lange Leinwandbän- der am Publikum vorbeigezogen wurden, um so beispielsweise eine Mississippifahrt zu si- mulieren, in Deutschland kaum übernom- men. Auch das so genannte "Kaiserpanorarna" vermochte sich nicht so recht durchzusetzen. Keinesfalls mit einem gemalten Großpanora- ma zu verwechseln, ähnelte die 1880 erstmals 242 Schni tt durch ei n Panorama: A. Eingang und Kasse, B. Verdunkelrer Gang, C. Berrachterplanform, D. Sehwinkel des Be· trachten. E. Rundleinwand, F. Plastisch gestalteter Vordergrund. G. In trompe l'oeil gemalte Gegenstände auf der Leinwand. präsentierte Erfindung eher einer Art Diashow mit Landschafuaufnahmen. In Karlsruhe wur- de im November 1894 eine Serie über St. Pe- tersburg gezeigt. Der Eintrittspreis betrug 30 Pfennig pro Person, für Kinder 20 Pfennig. Einen durchschlagenden Erfolg erzielte dagegen eine ganz andere Alternative: die be- wegte Bilderfolge des Films. Für kurze Zeit überschnitten sich die Enrwicklungslinien. Wann die allerersten Filmbilder in Karlsruhe zu sehen waren, ist schwer zu sagen. Gerhard Bechtold behauptet in seiner Geschichte des Karlsruher Kinos, dass sie Anfang September 1900 als Höhepunkt eines neuen Varietepro- gramms über eine Leinwand im Varietemeater "Colosseum" in der Waldsttaße geflimmert wären. Auf dem Programm, wie es in der "Karlsruher Zeitung" veröffentlicht wurde, standen damals "Original aufnahmen der Pari- ser Weltausstellung, unsere Flotte etc. etc." und "Lokalaufnahmen von Karlsruhe: Markt- platz, Bahnhof'. Allerdings waren auch schon ein Jahr zuvor, am 12. September 1899 .. ,kine- mamographische Marine- und andere Bilder- des Herrn Meßter "vorgeführt worden. Auf jeden Fall handelte es sich in beiden Fällen um punktuelle Aufführungen, um Gastspiele reisender Unternehmen. Dies setzte sich fort bis 1907, als im Okrober "The Oce- anic Vio Company" mit Aufnahmen aus dem Leben überseeischer Völker auftrat und kurz darauf der "Weltkinematograph" mit "singen- den, sprechenden und musizierenden Phoro- graphien". Am 15. Dezember 1908 wurde dann das etste ortsfeste Kino in Karlsruhe eröff- net, das Residenztheater in der Waldsrraße 30. Das gemalte Panorama war damit Vergan- genheit. Der Panoramaleinwand aber sollte die Zukunft gehören. Vom einen führte - technisch betrachtet - kein Weg zum anderen. Und doch darf das Gemeinsame, das Zu- kunfrweisende nicht übersehen werden: das neue, der Realität verpflichtete und gleichzei- tig doch auch unterhaltungs betonte Sehen, das nicht mehr nur den einen oder anderen begeisterte, sondern immer breitere Massen beschäftigte. KONRAD DUSSEL 243 10 Jahre Stadtbibliothek im Neuen Ständehaus Hm Menschen und Medien Die Menschen Zunächst mal muss man es finden, um dann zu begreifen, was hier los ist. Unzählige Menschen, neben Radfahrern vor allem Autofahrer und Parkplatzsuchende aus Karlsruhe und Umgebung, sind im Laufe der zehn Jahre am Ständehaus vorbeigefah- ren, ohne es zu ahnen. Auch viele Passanten brauchten noch eine Orientierungshilfe, um das Gebäude erwas abseits der Kaiserstraße zu entdecken. Bis heute ist eine kurze Erklärung hilfreich: "Sie wissen doch, da ist der Karstadt, Halte- stelle Herrenstraße ... Sie müssen aber die Rit- terstraße rein gehen. Rechts liegt das Neue Ständehaus und darin ist die Stadtbibliothek ... Wenn man beim Vorbeilaufen durch die Schaufenster guckt, sieht man dort Leute sit- zen, Zeitung lesen ... Ach so, Sie kommen mit dem Auto. Ja, dann haben Sie das Gebäude si- cherlich schon gesehen. Nämlich immer dann, wenn Sie das Parkhaus von Karstadt benutzen wollen. Da kann es ja manchmal einen Stau geben. Wenn Sie die Häuserfront links von sich betrachen, dann fällt Ihnen ein Gebäude mit einem sehr markanten Rundbau an der Ecke auf. Diese runde Ecke heißt Rotunde ... ja, die Fenster erinnern an Bullaugen. Die Ro- tunde ist das Wahrzeichen des Ständehauses. Das erste Ständehaus besaß auch so eine Ro- tunde; die Erbauer erhielten dafür viel Aner- kennung. Karlsruhe war damals in jeder Hin- sicht stolz auf dieses architektonisch herausra- gende und politisch fortschrittliche Gebäude. Vom Friedrichsplatz aus kann man das beson- ders gur sehen ... da gibt es übrigens auch eine Tiefgarage. " Ob mit oder ohne Wegbeschreibung, Zehntausende haben inzwischen den Weg zum Neuen Ständehaus gefunden. Die meisten Besucher sind jedoch übet- rascht, wenn sie das erste Mal die Bibliothek betreten. Es ist nicht nur die Innenarchitektur des Hauses, wie erwa stellenweise die Glasbö- den, denen vorsichtige Besucher mit Misstrau- en begegnen, es sind die Menschen und die große Zahl an Medien, die viele überrascht. Fast 1.300 Personen besuchen täglich die Zen- trale der Stadtbibliothek, Tendenz steigend. Die Bibliothek zählt damit zwar nicht so vie- le Kunden wie das Kaufhaus nebenan, doch sie gehärt mit 330.000 Besuchern im Jahr (640.000 Besucher in den neun Häusern det Stadtbibliothek insgesamt) zu den meistbe- suchten Kultureinrichtungen in Karlsruhe. Bezogen auf das Alter ihrer Mitglieder und Gäste ist sie darüber hinaus ein relativ junger Treffpunkt auf Kulturebene, sind doch die Menschen, die hierherkommen, zu zwei Drit- teln unter 40 Jahre. Dies gilt auch für die an- deren Einrichtungen der Stadtbibliotlaek. Das Gesamtsystem Stadtbibliothek Karlsruhe be- steht nämlich aus der Zentrale im Ständehaus, der Jugendbibliothek im Prinz-Max-Palais, den Stadtteilbibliotheken in Neureut, Dur- lach, Mühlburg, Grätzingen und der Wald- stadt, sowie dem Medien-Bus und der Ameti- kanischen Bibliothek. Der BegriffStadtbibliothek wird üblicher- weise doppelt verwandt und meint enrweder das Gesamtsystem oder die Zentrale dieses Systems, nämlich die Stadtbibliothek im Neu- en Ständehaus. 244 Sladlbibliolhek im ehemaligen Sländeh3us. Die Medien -lesen, wissen, hören, sehen Die Interessen, die dem Bibliotheksbesuch zu Grunde liegen, sind vielfältig und häufig stark alltagsorientiert. Da sucht jemand einen Rat- geber für die Altersvorsorge, ein anderer Hilfe bei Legasthenie, ein Dritter will wissen, wie seine Träume zu deuten sind und ein weiterer will sich informieren, was er bei seiner Partner- suche erfolgreich anders machen muss. Die ge- samte Ratgeberliteratur zu den Themen Psy- chologie, Pädagogik, Gesundheit und Sport, Kochen, Gartengestaltung, PC-Hilfe usw. ver- zeichnet stets eine große Nachfrage. Alle Bü- cher zu den genannten Themen sind im ersten Obergeschoss der Stadtbibliothek zusammen- gestellt und dort zu finden. Hier befindet sich die gesamte Sachliteratur, die Wissen erwerb- bar macht und so zum persönlichen und be- ruflichen Weiterkommen verhilft. Für die Unterhaltung gehen die Besucher einen Stock höher in die zweite Etage, hier ist zum einen die obere Rotunde mit Videos und DVDs, zum andern der Bereich der Musik- CDs zu finden. Den größten Raum auf die- sem Stockwerk nehmen jedoch die Romane, Krimis und phantastischen Erzählungen ein, das heißt alle schöne Literatur von Bestsellern bis zu klassischen Werken. Da man einen im wahrsten Sinne des Wor- tes mitreißenden Roman gerne mit in Urlaub CompulerbibliOlhek in der Rotunde. 245 nimmt, passt es gut, dass sich neben dem Un- terhaltungsbereich die "Länderbrücke" befin- det, ein auf zwei Seiten verglaster Raum, der Reiseführer zu allen Ländern der Erde, Bild- bände, Wanderkarten, Stadtpläne - kurzum alles für Urlaub und zur Geographie enthält. Sinnvollerweise befindet sich die Interna- tionale Abteilung 'ebenfalls auf der zweiten Etage. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Er- lernen von Sprachen, wobei von Last-Minute- Sprachkursen bis zu mehrstufigen, differen- ziert aufgebauten Kursen viele Varianten des Spracherwerbs geboten werden. Die Lernin- halte stehen auf Kassette, CD oder CD-ROM zur Verfügung und beziehen sich auf 25 Spra- chen. Nicht minder wichtig ist die große Zahl an Deutschkursen für Ausländer, die hier ge- nauso zum Ausleihen bereitstehen und die von Studenten und Neubürgern aus der ganzen Welt lebhaft genutzt werden. Tradition und "Revolution" Gerade in diesen zehn Jahren seit dem Bezug des Neuen Ständehauses fanden auf dem In- formations- und Mediensektot gewaltige Ver- änderungen statt. Bei der Etöffnung im August 1993 hatte noch keinet der Festredner und -gäste die ge- ringste Ahnung davon, mir welch tasender Geschwindigkeit sich wenige Jahre später die "Neuen Medien", CD-ROM und vor allem Internet, im alltäglichen Gebrauch durchsetzen wütden. Damals wat man noch stolz, dass auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses erstmals Videos und Musik-CDs als sinnvolle Ergän- zung zu den gedruckten Medien in das Bibli- otheksangebot aufgenommen wurden. Die Nachfrage der Karlsruher Bürgerinnen und Bürger war entsprechend groß. Doch dies war erst der Anfang. Es vergingen keine drei Jahre, als auch in Karlsruhe gewissermaßen das Multimedia-Zeitalter anbrach; das Interesse an Lernsoftware und Lexika auf CD-ROM wur- de durch die Bibliotheksbesuchet immer deut- licher geäußert. Im Jahr 1997 kamen deswe- gen die ersten CD-ROMs als vielseitige Infor- mationsträger mit in die Bücherregale, ein Jahr später wurden zwei öffentliche Internetplätze für die Kunden des Ständehauses eingerichtet. Als schließlich die DVD mit ihrer hervorra- genden Bildqualität und mehreren Sprach- wahlmöglichkeiten auf den Markt kam, wur- den auch DVDs wegen enormer Kunden- nachfrage mit in die Regale gestellt. Doch nicht nur die Dinge, die neu auf den Markt kamen, erlebten einen ungeahnten Boom. Es war ein altbekanntes Medium, das in jüngster Zeit wiederentdeckt und zum absolu- ten Ausleihhit wurde: die bekannte, sehr tradi- tionsreiche Art der Literaturrezeption in Form des Hörspiels, das heute als Literaturkassette bzw. -CD erhältlich ist. Bei allet Diskussion um nachlassendes Leseinteresse muss festgehal- ten werden, dass die Lust an Sprache noch weit verbreitet bleibt. So zeigen die Bibliotheksbe- sucher nach wie vor ein starkes Interesse an schöner Literatur, doch etliche lassen sich ger- ne auch "vorlesen". Zum einen - und das war schon immer so - sind es ältere Menschen und Menschen mit eingeschränktem Sehvermö- gen, die sich damit gerne unterhalten lassen, es sind aber auch Autofahrer bei längeren Faht- ten, Leute, die neben einer eintönigen Arbeit zuhören, Menschen auf Reisen oder zu Hause. Das Interesse arn Hörbuch geht durch alle Al- tersstufen und Berufe und so ist es teils erfreu- lich, teils bedauerlich, dass viele Literatur-CDs kaum länger als eine Stunde im Regal liegen, da sie sofort von beglückten Bibliotheksmit- gliedern nach Hause entliehen werden. Eines blieb unverändert: das Buch war und ist das Leitmedium. Der Gesamtbestand der Stadtbibliothek beträgt 122.000 Medienein- heiten, davon sind immer noch mehr als 90 Prozent Bücher (Il1.500). 246 Die elektronische Vemetzung Die Kombination von traditionellen und zeit- gemäßen Informationsangeboten brachte es mit sich, dass die Bibliothek im vergangenen Jahr umgeräumt werden musste. Neue Medien und Internet waren im ursprünglichen Raum- konzept nicht vorgesehen, freie Flächen gab es nicht. Unter der Berücksichtigung der jetzt zu schaffenden internationalen Abteilung für Sprachen sowie eines Raumes, der sechs Inter- netplätze und zwei Textverarbeitungs-PCs ent- halten sollte, musste für die erst neun Jahre junge Regalaufstellung des Hauses eine neue Konzeption gefunden werden. Als Ergebnis entstanden die oben beschriebenen Buch- und Medienbereiche sowie die Computerbibliothek in der Rotunde im ersten Stock. Hier kommt die räumliche Wirkung der Rotunde beson- ders gut zur Geltung, denn - entsprechend sei- ner Grundfläche - wird der Raum dominiert von einem runden Tisch, der als Internet-Ar- beitsplatz genutzt wird. Wie alle Angebote der Stadtbibliothek stehen sie allen Besucherinnen und Besuchern zur Verfügung. Dass die EDV erst im Jahr 1995 Einzug hielt in die Stadtbibliothek, ist heute schon fast vergessen, denn so selbstverständlich ist der damit verbesserte Kundenservice geworden. Erst zu diesem Zeitpunkt konnten, nach einer langwierigen elektronischen Nacherfas- sung, alle noch vorhandenen Zettelkataloge durch online-Kataloge, die "OPACs", ersetzt werden. Im gleichen Zusammenhang wurde an der Ausleihtheke das manuelle Ticketver- fahren durch eine Bibliothekssofrware abge- löst, die es ermöglichte, alle Ausleihvorgänge über Computerterminals zügig zu steuern. Die Zahlen Mit den neuen Bibliotheksräumen karnen 1993 mehr Bürgerinnen und Bürger in die Bi- bliothek als in den Jahren davor. Entsprechend viele Medien wurden entliehen, sodass das Er- öffnungsjahr auch die höchsten Ausleihzahlen seit langer Zeit mit sich brachte. Der AufWärts- trend wurde zwar 1994 gebremst als Jahresge- bühren für die Entleihung, die bis dahin kos- tenlos war, bezahlt werden mussten, doch nach zwei Jahren der Zurückhaltung stieg die Auslei- he wieder kontinuierlich. Mit fast 600.000 Ausleihen im Ständehaus und 1,45 Millionen Medienausleihen insgesamt in allen neun Ein- richtungen der Stadtbibliothek wurde das Jahr 2002 zum absoluten Rekordjahr. Im Vergleich zu den Ergebnissen zehn Jahre davor brachte es eine Steigerung um 13 Prozent. Dass die Stadtbibliothek immer bekannter wurde, hängt auch mit dem neu konzipierten monatlichen Programm zusammen. Seit eini- gen Jahren wird das Literaturangebot ergänzt durch Veranstaltungen, in denen Autorinnen und Autoren ihre Bücher persönlich vorstel- len. Auch hier erwies sich wieder, dass gerade praxisnahe Sachthemen auf großes Besucher- interesse stießen. So zählten beispielsweise die Abende zum Thema Pilzkunde oder zu Erzie- hungsfragen zu den meistbesuchten. Daneben bietet die Bibliothek auch ein Forum für we- niger bekannte Belletristikautoren oder sie beteiligt sich überdies an gesamtstädtischen Kulturaktionen. Den größten Erfolg, im Rah- men der Europäischen Kulturtage 2002, ver- buchte hierbei die Modenschau, die, durch die Bibliothek führend, zum Publikumsmagneten wurde. Nicht zuletzt sind die regelmäßigen Aus- stellungen, die seit drei Jahren im Brücken- raum des ersten Obergeschosses stattfinden, für die Besucher ebenfalls sehr interessant. Hier stellen Künstler aus Karlsruhe und Um- gebung aus, wobei die Werke meist in Bezie- hung zu Buchkunst und Literatur stehen. ANDREA KRIEG 247 "Oberle ist ein aufgeweckter Knabe und war fleißig in der Schule" Zum 90jährigen Bestehen des Kinder- und Jugendhi/ftzentrums Karlsruhe in der Sybelstraße Mit der eingangs zitierten Eintragung im "Grundbuch des Waisenhauses zu Karlsruhe" kam der damalige Waisenhausverwalter der in Paragraph 31 der "Grundbestimmungen der Waisen-Anstalt zu Carlsruhe" formulierten Aufgabe nach, in den letzten Jahren des Auf- enthalts eines Zöglings gewissenhaft darauf zu achten, ob derselbe zu irgend einem Beruf eine besondere Neigung, Fähigkeit oder Geschick gezeigt habe, damit er bei seiner Entlassung aus der Anstalt in eine den Umständen ange- messene Lehre oder einen Dienst unterge- bracht werden könne. Über den damals elfjäh- rigen Wilhelm Oberle berichtet Waisenhaus- verwalter Friedrich Fischer in seiner Eintra- gung, vermutlich aus dem Jahr 1886, darüber hinaus, dass der Knabe wegen seiner Aufge- wecktheit und seines Fleißes die Aufmerksam- keit seines Lehrers auf sich gezogen habe. Die- ser habe ihm Lateinunterricht verschafft und fördere die Ausführung des Plans, ihn zum Studium der Theologie vorzubilden. In der Spalte "künftiger Beruf' skizzierte Friedrich Fischer die weitere Ausbildung des Jungen: "Tritt in die von Dekan Lender in Sasbach geleitete Anstalt für Knaben zur Vorbildung für das Studium der Theologie" . Das Waisenhaus in der Kriegsstraße Der aufgeweckte Knabe Wilhelm Oberle war Zögling des ersten Karlsruher Waisenhauses in der südlichen Kriegsstraße beim Karlstor, das am 29. August 1849 eingeweiht worden war. Die Geschichte des ersten Karlsruher Waisen- hauses beginnt im Jahr 1832. Im "Karlsruher Intelligenz- und Wochenblatt" und im 2. Band der Karlsruher Stadtgeschichte Friedrich von Weechs sind die ersten Schritte zur Grün- dung des Waisenhauses dokumentiert. Am 17. Juni 1832 gibt der Karlsruher Gemeinderat und Bürgerausschuss im "Karlsruher Intelli- genz- und Wochenblatt" die Gründung eines Fonds zur Etziehung armer Waisen bekannt und teilt mit, dass er "an dem denkwürdigen Feste am 23. April d.J." 1226 Florentiner- Gulden als erste Gabe für den Waisenfonds erhalten habe. Friedrich von Weech berichtet ausführlich über das Fest am Ostermontag, dem 23. April 1832. Es handelt sich hierbei um den "Wiederhervorgang" der Großherzo- gin Sophie nach der Geburt ihres fünften Kin- des am 9. März 1832, des Prinzen Karl von Baden, der mit einem Volksfest, verbunden mit einer Almosensammlung auf dem Markt- platz und einer Spende des Großherzogpaars an die Armenkommission, gefeiert wurde. Der Plan zum Bau eines Waisenhauses wird in Pa- ragraf 6 der 1836 erlassenen "Statuten für den neuen Waisenfonds in Karlsruhe" festgeschrie- ben: ,,Aus dem Grundstockvermögen soll, wenn dereinst die Mittel zureichen, eine be- sondere Erziehungs-Anstalt errichtet werden". Die Grundsteinlegung zum Bau des Waisen- hauses in der Kriegsstraße fand am 14. April 1848 statt, und an Großherzog Leopolds Ge- burtsrag, dem 29. August 1849, wurde das Waisenhaus von den Waiseneltern Schuma- eher und von zehn Knaben sowie sechs Mäd- chen bezogen. 248 Das Leben im Waisenhans Es waren dies die Geschwister Joseph, Marie und Magdalene Beyer (7, 10 und 12 Jahre), die Geschwister WilheImine, Karl und Augus- te Berblinger (8, II und 13 Jahre), der la-jäh- rige Christian Denny, die Brüder Julius und Franz Ihle (!2 und 13 Jahre), die Geschwister Ludwig, Karl und Luise Kiefer (9, 10 und 12 Jahre), der 12-jährige Karl Pfisterer, der 14- jährige Martin Räuber, die 13-jährige Magda- lene Spörling und der 13-jährige Franz Trönd- le. Alle Kinder hatten seit dem Tod ihres letz- ten noch lebenden Elternteils bei Pflegern ge- lebt. Der Festakt zur Einweihung des Waisen- hauses fand in dem im zweiten Stockwerk ge- legenen Arbeitssaal des Gebäudes statt. Hier hatten die Kinder künftig die in Paragraf 5 der "Haus- und Tagesordnung" formulierten "sonstigen Beschäftigungen" zu verrichten. Die "sonstigen Beschäftigungen" bestanden neben Feld- und Gartenarbeit in verschiede- nen Handarbeiten. Für die Knaben bedeu- tete dies Strumpfstricken, Korbflechten und Strohflechten, für die Mädchen Hanf- oder Flachsspinnen, Stricken und Nähen. Nach Paragraf 30 der "Haus- und Tagesordnung" kam der Erlös aus den Handarbeiten der Kin- der der Waisenhaus-Anstalt zu gute, die An- stalt selbst hatte den rohen Arbeitsstoff an- zuschaffen. Die Arbeit der Kinder wurde in den Sommermonaten in der Zeit zwischen dem nachmittags um 4 Uhr eingenommenen Abendbrot und dem um 7 Uhr gereichten Nachtessen geleistet, in den Wintermonaten arbeiteten die Kinder zwischen 4 Uhr und 6 Uhr. Eine Durchsicht des im Stadtarchiv Karlsruhe archivierten "Grundbuches des Waisenhauses zu Karlsruhe" ergibt, dass die meisten Kinder das Waisenhaus im Alter von 15 bis 17 Jahren verließen. In der Rubrik "künftiger Beruf' ist ihr weiterer Weg ange- deutet. Die meisten Mädchen wurden dem- nach Dienstbotin, die 17-jährige Bertha Sey- fried zog 1880 nach erfolgreichem Besuch der Frauenarbeitsschule des Badischen Frauenver- eins zu ihten bei den Schwestern nach Eng- land, die 15-jährige Maria Bischoff wanderte 1867 zu ihrer Mutter nach Amerika aus und die 17 -jährige Carolin Hauser trat 1880 nach erfolgreichem Besuch der Frauenarbeitsschu- le zur Ausbildung als Kinderlehrerin in die Kleinkinderschule ein. "Schreiner", "Schlos- ser", "Bäcker", "Kaufmann", "Lithograph" und "Zeichner in der hiesigen Werkzeugma- schinenfabrik" lauten einige der Eintragungen für die Knaben, die nach dem Verlassen des Waisenhauses eine Lehre begannen. Der 14- jährige Adolf Hertenstein kam 1861 zu Hof- maler und Photograph Ludwig Wagner in die Lehre. Von ihm ist vermerkt, dass er viel Talent besitze und das Lyceum bis zur Unterquarta besucht hatte. Der überwiegende Teil der Wai- senhauskinder besuchte die zweite evangeli- sche Stadtschule in der Spitalsrraße 26 bund die katholische Stadtschule in der Erbprinzen- straße 12 B. Der Besuch dieser Schulen war kostenlos. Auch der 16-jährige Carl Christian Hörnle hatte eine weiterführende Schule be- sucht. Über ihn ist im "Grundbuch des Wai- senhauses" dokumentiert: "War ein sehr fleißi- ger Schüler, weshalb er noch ein Jahr nach sei- ner Confirrnation die Schule besuchen durfte, um die 6te Klasse der Bürgerschule zurückzu- legen". Carl Christian Hörnle trat 1879 als Schreibgehilfe in die Kanzlei des Großherzog- lichen Amtsgerichts ein. Das Waisenhaus in der Stösserstraße "Das Bedürfnis eines Umbaus bzw. Neubaus des Waisenhauses ist nach gerade zur btennen- den Frage geworden". So lautet das Fazit in Tagesordnungspunkt 8 im Sitzungsprotokoll des Waisenhaus-Verwaltungsrats vom 10. Fe- 249 Gruppenbild 1880. bruar 1897. Der Bau eines neuen, den moder- nen hygienischen wie wirtschaftlichen Ein- richtungen entsprechenden Anstaltsgebäudes hatte im Januar des Jahres 1897 durch die Erkrankung von elf Jungen an Krätze neue Dringlichkeit bekommen. Noch im selben Jahr wurde für den Neubau des Waisenhauses ein Gelände in der Falterstraße (1899 umbe- nannt in Stösserstraße) im Stadtteil Mühlburg erworben, und am 3. Oktober 1899 bezogen 25 Knaben, 15 Mädchen und Waisen vater Theodor Gscheidtlen das nach Plänen des Ar- chitekten E. Schweickhardt errichtete Gebäu- de. Das Waisenhaus in der Stösserstraße 17 war bis zum Jahr 1934 in Betrieb. Danach wurde es von der Stadt Karlsruhe als Volks- schule genurzt und mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für militärische Zwecke und als La- zarett in Anspruch genommen. Seit 1940 ist das ehemalige Waisenhaus in der Stösserstraße 17 im Besitz der Firma Kondimawerk Engel- hardt GmbH & Co.KG. Das Kinderheim in der Sybelstraße "Es ist deshalb die Errichtung eines besonde- ren Kinderasyls außerhalb der Stadt in Aus- sicht genommen" stellt der Armen- und Wai- senrat der Haupt- und Residenzstadt Karlsru- he am 4. April 1911 in einem Schreiben an Stadtrat Dr. Binz, den Vorstand des Verwal- tungsrats des Waisenhauses, in Aussicht. Die Notwendigkeit der Errichtung eines eigenen Kinderheims hing mit der Überbelegung der Kinderabteilung des städtischen Armenhauses in der Zähringerstraße 4 und den daraus resul- tierenden räumlichen und hygienischen Män- geln zusammen. In der Kinderabteilung des städtischen Armenhauses waren seit mehreren Jahren "unterstandslose" Kinder jeden Alters vorübergehend solange untergebracht worden, bis über ihre weitere Unterbringung bei den Eltern, Fürsorgern oder in einer Pflegefamilie auf dem Land entschieden war. Das neue städ- tische Kinderheim wurde im Südosten der 250 Stadt, Ecke Sybel- und Wiesenstraße (seit 1927 Stuttgarter Straße) erbaut und am 16. September 1913 mit Überführung der im städtischen Armenhaus untergebrachten Kin- der in Betrieb genommen. Der Erfahrungsbe- richt der ehemaligen Kinderheimbewohnerin Katharina Horras vermittelt eine Vorstellung vom Leben im Kinderheim. Die 1912 gebore- ne Katharina Horras wurde bei ihrem Eintritt in das Kinderheim im Jahr 1922 einer Mäd- chengruppe für schulpflichtige Mädchen zu- geteilt, die Mädchen teilten sich einen Schlaf- saal mit zirka 40 bis 45 Betten. Die großen Kinder halfen im Haus mit: für die Mädchen bedeutete dies Strümpfe zu waschen, Wäsche zu stopfen oder Schuhe zu putzen, sie betreu- ten außerdem die jüngeren Kinder und unter- stützten sie bei den Schulaufgaben. Die Buben hatten den Hof zu fegen, dem Hausmeister bei kleineren Arbeiten zu helfen und Kartoffeln zu schälen. Als 27-jährige erlebte Katharina Hor- ras, die seit 1931 im Büro des Kinderheims angestellt war, am 4. September 1939 die Eva- kuierung des Kinderheims in das Paulusheim nach Bruchsal und von dort nach Priem am Chiemsee mit. Nach der Evakuierung wurde das Kinderheim von der Narionalsozialisti- schen Volkswohlfahrt belegt. Bei dieser Gele- genheit kritisierte der zuständige Gauhaupt- stellenleiter in einem Schreiben vom 18. Sep- tember 1939 an Stadtrat Peter Riedner, dass fast alle Wohnräume des Personals ausschließ- lich konfessionellen Charakter trugen und das gesamte Heim überhaupt kaum von NS-Geist berührt zu sein schien. Weitere Evakuierungen fanden im September 1943 in das Bibelheim "Bethanien" nach Langensteinbach und An- fang 1944 nach Ettlingen in das St. Augusti- nusheim der Wohlfahrrsgesellschaft Gut Hell- berg statt. Beim Luftangriffvom 5. September 1944 wurde das Kinder- und Säuglingsheim so sehr beschädigt, dass es nicht mehr benutz- bar war. Der Wiederbezug in der Sybelstraße durch die nach Ettlingen und Langenstein- bach evakuierten Kinder erfolgte im Mai 1946. Das Kinder- und Jugenhilfezentrurn Das heutige Kindet- und Jugendhilfezentrum ist eine nach neuesten sozialpädagogischen und sozialtherapeutischen Kenntnissen ge- führte Einrichtung mit 60 Plätzen für Mäd- chen und Jungen zwischen 6 und 20 Jahten. Die Um benennung wurde 1995 vorgenom- men, als das Städtische Kinder- und Jugend- heim Teil der Heimstiftung Karlsruhe wurde, zu der außerdem das A1ten- und Pflegeheim im Klosterweg sowie das A1ten- und Pflege- heim "Parkschlößle" und die Wohnungslosen- hilfe gehören. Seit den späten sechziger Jahren hat sich das Kinder- und Jugendheim in seiner pädagogischen und baulichen Entwicklung permanent neuen heimpädagogischen Er- kenntnissen und Konzepten angepaßt. Die frühere überholte, eher autoritär-hierarchisch ausgerichtete Heimstruktur wurde durch ei- nen sozial-integrativen Fühtungsstil abgelöst, der die Kinder und Jugendlichen an der Pla- nung und Gestaltung des Heimgeschehens teilnehmen lässt. Die Einbeziehung der Her- kunftsfamilie in den Erziehungsprozeß ist ein wichtiges Element der reformierten Heimar- beit. "Das klassische Heim mit einer aus- schließlich vollstationären Eintichtung gehört der Vergangenheit an. Die neue Richtung zielt auf ein multifunktionales Angebot, auf ein Kinderhilfezentrum mit vielfältigen Dienst- leistungen." Mit diesen Sätzen charakterisiert der damalige Heimleiter Herbert Schmitt im 75. Jubiläumsjahr 1988 Funktion und Aufga- be des städtischen Kinder- und Jugendheims. Im Rahmen von breitgefächerten Hilfen zur Erziehung nach dem Kinder- und Jugendhil- fegesetz gliedert sich das Betreuungsangebot des Kinder- und Jugendhilfezentrums in al- ters- und geschlechtsgemischte Familiengrup- 251 pen mit umfassender Betreuung Tag und Nacht, in Jugend- und Verselbständigungs- gruppen sowie Betreutes Wohnen, in teilstati- onäre Tagesgruppen für 6 - 13-jährige Kinder, die um 17 Uhr in ihre Familien zurückkehren sowie in die Notaufnahme für Inobhutnahme in akuten Krisensituationen. Mit der VeIWirk- lichung dieser differenzierten Betreuungsmaß- nahmen hängt auch der grundlegende Umbau des städtischen Kinderheims in den Jahren 1971 bis 1981 zusammen. Aus den großen Tages- und Sammelschlafsälen mit Groß- waschräumen des Jahres 1913 wurden Grup- penwohnungen für jeweils maximal neun Kinder gebildet. Den Gruppenwohnungen wurden Bastelräume, Lernzimmer, Personal- zimmer und Therapieräume angegliedert und im Kellergeschoss ein Schwimmbad sowie ein Turn- und Gymnastikraum eingebaut. 1978 erhielt das Kinderheim ein Musikzimmer, und der Umbau des ehemaligen Speisesaals zu ei- nem neuen Festsaal wurde fertiggestellt. Seit 1973 unterstützt und begleitet der von der damaligen Stadträtin Margot Neef und ihrem Ehemann Gerhard Neef gegründete "Förder- kreis Städtisches Kinderheim" das Kinder- und Jugendhilfezentrum. Seit 1999 ist Doris Birgin Vorsitzende des Förderkreises. Treue Freunde sind auch die Marinesoldaten der Fregatte "Karlsruhe", die seit mehr als 30 Jah- ren die Patenschaft zum Kinder- und Jugend- hilfezentrum pflegen. ANGELIKA SAUER 100 Jahre St.-Bernhardus-Kirche am Durlacher Tor An einem bedeutsamen Punkt im Karlsruher Stadtgefüge steht am Durlacher Tor seir über einem Jahrhundert erhöht auf einem Plateau etwa 1,50 m über dem Straßenniveau, die ka- tholische St. Bernharduskirche. Die Kirche mit ihren kathedralenartigen Dimensionen, mit der kräftigen Einturmfassade steht genau in Blickachse der Kaiserstraße und markiert den Übergang der Kernstadt zur östlichen Vorstadt. Mit dem Pfarrfest am 23./24. Juni 2001 auf dem Kirchplatz und einem großen Banner am Kirchturm mit der Aufschrift" 100 Jahre St. Bernhard 1901-200112002" begann das Jubeljahr, fast auf den Tag genau 100 Jahre nach der feierlichen Schluss-Steinlegung auf der Spitze des Turms. Die Pfatrgemeinde ge- dachte des Baus der Kirche und der Gründung der Pfarrei mit der Herausgabe einer Fest- schrift und einer Gedenkmünze. Mit Vorträ- gen, Gedenkgottesdiensten, wechselnden Aus- stellungen zum Leben in St. Bernhard - früher und heure - wurde das Jubiläumsjahr abge- rundet. Die Höhepunkte waren ein Festakt und ein Fesrgottesdienst am 26./27. Oktober 2002, dem Tag der feierlichen Einweihung des Gotteshauses vor 100 Jahren. Der Einwei- hungsgottesdienst am 26.0ktober 1902 durch Erzbischof Thomas Nörber fand damals in Anwesenheit des Fürstenpaares Großherzog Friedrich und Großherzogin Luise statt, beim 100-jährigen Jubiläum war das Fürstenhaus Baden durch Markgraf Max und Markgräfin Valerie von Baden vertreten. 252 Die Anfänge Für nahezu 30.000 Katholiken gab es in der Residenzstadt Karlsruhe zunächst nur eine ka- tholische Kirche (St.Stephan) und eine katho- lische Pfarrei. Die Entwürfe für den Bau einer weiteren katholischen Kirche von Baudirektor Heinrich Hübsch im Jahr 1853 und von Bau- rat AdolfWeinbrenner 1885 an jerziger Stelle scheiterten aus finanziellen Gründen. 1888, mit 'Ende des KuIrurkampfes und mit Einführung des Orrskirchensteuergeset- zes, verbesserten sich die Rahmenbedingun- gen für Kirchenbauten in Karlsruhe. So enr- stand zunächst die Liebfrauenkirche im dama- ligen Bahnhofsviertel. Planung und Bau der Kirche Im Januar 1888 stimmte das Erzbischöfliche Ordinariat dem Bau einer dritten katholischen Kirche in der sich rasch vergrößernden Ost- stadt zu und beauftragte den Erzbischöflichen Baurat AdolfWillard mit der Planung. Im November 1888 schenkte Großherzog Friedrich I. der katholischen Gemeinde als Baugrund den ehemaligen Küchengarten vor dem Durlacher Tor unter der Bedingung, in- nerhalb von fünfJahren mit dem Bau der Kir- che zu beginnen. Der Plan von Willard sowie ein neuer Entwurf von Architekt Josef Schmitt missfielen der Großherzoglichen Baudirekti- on, da es diesen Entwürfen an Monumentali- tät und Kraft fehlte. Im November 1892 be- auftragte der Stiftungsrat den Architekten und erzbischöflichen Bauinspektor Max Meckel, ein ansehnliches und würdiges Gotteshaus im früh gotischem Stil mit 1000 Sitz- und 1200 Stehplärzen zu errichten. Dem Großherzog gefiel Meckels Entwurf. Er äußerte lediglich den Wunsch, auf den Ver- purz der Kirche zu verzichten und den Bau stcinsichtig mit Haustcinen auszuführen. Da die Zeit drängte, erfolgte am 15.Mai 1893 der erste Spatenstich. Mit den Bauarbei- ten wurde die Firma Werle & Hartmann aus Mannheim beauftragt. Im November 1895 suchte der Stiftungsrat um die Erlaubnis nach, dass die Kirche dem seligen Markgrafen Bernhard von Baden (1428-1458) geweiht werde, da dieser Patron des Landes und Angehöriger des herzoglichen Hauses sei. Karlsruhe sollte eine besondere Stätte der Verehrung des Seligen werden. Am 29. Juni 1896 nahm Weihbischof Dr. Friedrich Knecht in Anwesenheit des großher- zoglichen Paares, geladener Gäste und der Gemeinde, die Grundsteinlegung der Kirche vor. Am selben Tag erhielt Dekan Benz von Papst Leo XIII ein Telegramm, in welchem der Papst den apostolischen Segen und den Dank an die Königlichen Hoheiten übermittelte. Schwierigketen bei der Fundamentierung des Turmes sowie die anspruchsvolle Detailgestal- wng verursachten eine lange Bauzeir. die mehrfach Anlass zur Kritik gab. Schließlich konnte am 20.0ktbober 1901 mit der Bene- diktion durch Stadtdekan Anton Knörzer der erste Gottesdienst in der neuen Kirche gefei- ert werden. An der feierlichen Konsekration der Pfarr- kirche durch Erzbischof Dr. Nörber am 26.0ktober 1902 beteiligte sich der gesamte Klerus des Stadtdekanats. Am anschließenden Pontifikalamt nahmen das Fürstenpaar sowie die Spitzen der Zivil- und Militärbehörden teil. Am Abend fand zur weltlichen Feier ein Festbankett in der großen Festhalle statt. Max Meckel (1847-1910) war einer der bedeutensten und meist beschäftigten Archi- tekten des Historismus in Südwestdeutsch- land. Neben den architektonischen Plänen für die St.-Bernhardus-Kirche lieferte er auch die Entwürfe für das Inventar unter anderem Hochaltar, Kanzel, Taufstein und Glockenzier. Die ganze Bernharduskirche verdeutlicht den 253 St. -Bernhardus-Kirche etwa 1902. Im Vorgrund die Straßenbahn nach Durlach. Grundriss von Meckcll901 mit der Gewölbestrukrur. freien und kreativen Umgang des Baumeisters Meckel mit historischen und zeitgemäßen Vorbildern bei gleichzeitiger Originaltreue im Detail. Der Grundriss zeigt eine dreischiffige ge- wölbte Rundpfeilerbasilika mit Lang- und Querhaus, deren Apsis von einem abgetrennten Chorumgang umschlossen wird. Der Chorbau öffnet sich wiederum zu einer Art Kapelle, die als Sakristei dient. An das Mittelschiff schließt sich im Westen ein mächtiger Turm mit Vor- halle im Sockel geschoss an. Der gewaltige, reich gegliederte Turm mit 93 m Höhe und der malerisch gruppierte Querhaus-Chor-Komplex stellen die architek- tonisch aufwendigsten Teile dar. Die West- front der Turmfassade ist von einer hohen, kielbogenüberfangenen Portalnische mit rei- chen Dekor bestimmt. Unterhalb des Ziffer- blattes der Turmuhr steht unter einem Balda- chin die Statue des seligen Bernhard, Markgraf von Baden. Dieses von der Firma Huckschlag und Fritschli nach einem Modell vom Karls- ruher Bildhauer Fridolin Dietsehe in Kupfer getriebene Standbild ist ein Geschenk des Großherzogs Friedrich I. Die ursprünglich beidseitige Auffahrt und die breite Außentreppe auf der Turmseite sind durch geänderte Verkehrsführung am Durla- eher Tor nicht mehr vorhanden. Die gegenläu- fige Freitreppe und ein kanzelartiger Altan mit Maßwerkbrüstung im Osten, sind Reste der ursprünglichen Außenanlage. Beim Betreten der Kirche durch das Haupt- portal erlebt der Besucher eine abwechslungs- reiche Raumfolge. Auf die über 20 m hohe Turmvorhalle folgt unter der Orgelempore das sechsjochige Langhaus mit den schmalen Sei- tenschiffen, das durch Säulenarkaden abge- trennt ist. Das Langhaus mit der anschließen- den quadratischen Vierung, den polygonal ge- schlossenen Querhäusern und dem Hochchor formt ein durch Gewölbe und Wandstruktu- ren zusammengefasstes Raumgebilde. Der Reiz liegt in den fein ausgearbeiteten Steinmetzdetails, den aufsteigenden Rund- diensten mit den zierlichen Blattkranzkapitel- len, den Gewölben mit den gekehlten Rippen und den unterschiedlichen Schlusssteinen so- wie den jeweils verschiedenen Maßwerkfor- men der Fenster. Besonders bemerkenswert ist 254 die letrnerartige Orgelbühne mit den feinen Steinmetzarbeiten, die von außergewöhnlicher Schönheit und handwerklicher Qualität zeugen. Eine Besonderheit der Kirche sind die zwi- schen 1902 und 1936 entstandenen kunstvoll geschnitzten, mit Figuren, Reliefs sowie Tafel- bildern ausgestatteten Altäre: der Hochaltar, der Franziskus-, der Marien-, Herz-Jesu-, Bernhard- und Josefaltar. Ebenso beachtlich sind der Taufstein, die Kanzel und die Kreuz- wegsrationen. die in Steinmerzarbeiten von hoher Qualität gefertigt wurden. Kriegschäden und Wiederaufbau Das Abliefern der 1902 von B. Grüninger in Villingen gegossenen sieben Glocken konnte im Ersten Weltkrieg durch Einwände verhin- dert werden. Am 24.08.1942 jedoch läuteten die Glocken nach Beschlagnahme im Zweiten Weltkrieg zum Abschied. Sechs Glocken wur- den herabgelassen und abtransportiert. Die Aufschrift "St. Bernhard Karlsruhe - nicht verhütten" retteten diese jedoch vor dem Ein- schmelzen, und so konnten 1945 die Glocken wieder gefunden werden. Bei einem Grossangriff 1942 wurden zahl- reiche Fenster beschädigt und am 08.09.1944 brannte das Dach, durch Brand- und Phos- phorbomben getroffen, vollständig aus. Au- ßetdem verbrannte die 1908 von Firma Hein- rich Voigt & Söhne in Durlach gefertigte gro- ße Orgel und Teile des Gestühls. Des weiteren wu rden Teile des Gewölbes beschädigt, und alle Fenster, teilweise mit gestifteten Glasge- mälden, gingen verloren. Auch der Turm wur- de durch Artillerie-Beschuss beschädigt. Durch viele Bemühungen konnte am 09.02.1946 das Notdach unter großer Mithilfe der Gemeinde fertig gestellt und dadurch weitere Schäden vermieden werden. Erst 1947 kamen die Glocken aus dem Glockenlager in Hamburg wieder zurück. Zur Beseitigung eines Klangfehlers, der die Wir- kung der Gesamtdisposition beeinträchtigte, wutde die vierte Glocke umgegossen und ei- ne kleinere achte Glocke hinzugefügt. Am 24.12.1948 läuten zum erstenmal alle Glo- cken die Heilige Nacht ein. Als weitgehend unverfälschte Einheit der Jahrhundertwende erhalten, stellt das Geläute zusammen mit dem Glockenturm, dem Glo- ckenstuhl, den Glockenarmaturen und der Turmuhr (von 1902) ein Gesamtkunstwerk dar. Es zählt musikalisch zu den schönsten Ge- läuten der Jahrhundertwende in Süddeutsch- land. Bei den Instandsetzung der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Ausmalung im Chor entfernt und einige Elemente der Innenausstattung dem nüchternen Stil der Nachkriegszeit angepasst. Erhalten blieb je- doch die komplette Altarausstattung. 1959 wurde die dritte Orgel, ein Gemeinschafrs- werk deutscher und französischer Firmen und Künstler, fertig gestellt. Bis Ende 1972 wurden umfangreiche Baumaßnahme im Innern, am Turm, am Glockenstuhl und am Kirchen- dach vorgenommen. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Dachform und die Besei- tigung von Kriegsschäden sowie Witterungs- schäden am Sandstein standen dabei im Vor- dergrund. 1968 wurde ein Gedenkstein für Erzbi- schofEugen Seiterich (1903-1958), ein Sohn der Pfarrgemeinde St. Bernhard, im nördli- chen Querschiff eingelassen. Die Umgestaltung des Chores im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgte 1975: Der Zelebrationsaltar wurde unter Ver- wendung von Teilen der neugotischen Kom- munionbank geschaffen. Zu gleicher Zeit ent- stand der in Bronze gegossene Ambo. Eine umfassende Innentenovierung der Kirche erfolgte 1991. Teilweise wurde den nach Raumfassung verlangenden Wand- und 255 Gewölbeflächen eine Bemalung in zeitgemä- ßen Formen zurückgegeben. Die Ausmalun- gen in den Blendfeldern der Langhaus-Ober- gadenfenster nehmen Bezug auf die "Zehn Gebote". Die St.-Bernhardus-Kirche gilt als bedeu- tendster neu gotischer Kirchenbau in Baden. Sie ist nicht nur kraftvolle Manifestation des wiedererstarkten Katholizismus in der protes- tantisch geprägten Residenz am Ende des 19. Jahrhunderts, sondern auch Ausdruck der auf Ausgleich zielenden Kirchenpolitik Großher- zog Friedrichs I. am Ende der KulturkampfZeit gegen die "Sozialistische Gefahr". Ausblick Fortschreitende Witterungseinflüsse auf den Sandstein fordern ihren Tribut. Im Frühjahr 2002 wurden Sofortmaßnahmen im Rahmen der Verkehrssicherheit notwendig, um locke- re und lose Steine zu entfernen. Dies war auch Anlass, die Vorplanung zur Instandsetzung der Außenhülle der Kirche zu beginnen. Mangels vorhandener Pläne muss zuerst eine Stereo- Photogrammetische Fassadenaufnahme er- stellt werden, um eine anschließende steinge- naue Auswertung und Darstellung der Gebäu- deansichten zu ermöglichen. Auf diesen Grundlagen erfolgt die Schadenanalyse, die Erarbeirung eines Sanierungskonzeptes, die Kostenberechnung und die Ausschreibung der Arbeiten. Die Ausführung wird je nach Finanzie- rungsmöglichkeiten in mehreren Bauabschnit- ten erfolgen müssen. Die jetzt schon kalkulier- ten Instandsetzungskosten wird die Katholi- sche Kirchengemeinde St. Bernhard nicht all- eine tragen können, sie wird auf Spenden an- . . geWIesen sem. HEINRICH ALOIS SCHILLINGER 256 Zei tzeugen berichten 257 Professor Dr. ing. Dr. h. c. Heinz Draheim Blick: Sie waren 1968 bis 1983 Rektor der Universität Karlsruhe. Unterschied sich Ihre Rektor-Wahl von früheren? Draheim: Bisher wanderte das Rektorat für ein, meistens zwei Semester von Fakultät zu Fakultät. 1968 wurde angesichts lebhafter Reformdiskussionen bewusst nach bestimm- ten Personen Ausschau gehalten. Als Dekan 1965/66 hatte ich mich schon engagiert für eine Zusammenarbeit mit studentischen Gre- mien eingesetzt. Das zählte für viele. Blick: Das Jahr 1968 forderte ja von deut- schen Universitäten besondere Aufgaben. War das für Sie ein besonderer Reiz? Draheim: Aber ja. Zu den üblichen Pflich- ten kam als Hauptaufgabe der Vorsitz in einer gewählten Grundordnungsversammlung, in der Vertreter aller Gruppen mitarbeiteten un- ter dem Motto: "Mitarbeit begründet Mitver- antwortung". Reizthema war die Mitwirkung von Studenten. Das Bundesverfassungsgericht wurde angerufen, und es ging vielfach turbu- lent zu. Wir nutzten voll die rechtlichen Mög- lichkeiten für eine echte Mitwirkung, und das wirkte sich auch auf das Diskussionsklima positiv aus, ebenso auf die Verabschiedung der Grundordnung, und das ohne Polizeischutz oder Tumulte. Allgemein sprach man vom "guten Geist von Karlsruhe". der unser Innen- leben bis heute prägt. Blick: Der Senat wurde demnach vom Ver- waltungsrat "entmachtet". Wie stellten sich die Professoren dazu? Draheim: Die Arbeit des Verwaltungsrats kann man nicht als Entmachtung des Senats bezeichnen; es ist vielmehr eine höchst zweck- mäßige Aufgabenteilung. Im alten Dekans- Senat kämpfte jeder natürlich für seine Fakul- tät, und dabei kommen die Aufgaben der Universität zu kurz. Ein von Fachegoismen freier Verwaltungsrat eignet sich besser für die Verteilung von Mitteln, Räumen und Stellen. Er kann sich aktuellen Bedürfnissen anpassen und in Forschung und Lehre gezielt handeln. So war es von besonderer Bedeutung, dass er die Berufungsvereinbarungen aushandelte, was vorher das Ministerium mit manchmal unver- ständlichen Ergebnissen vollzog. Die heutige Abschaffung des Verwaltungsrats ist also abso- lut unverständlich, und man fragt sich, was der Rechnungshof dazu sagt. Blick: Aber die Atmosphäre war doch um 1968 auch in Karlsruhe gespannt? Draheim: Natürlich gab es auch hier De- monstrationen. Die Demonstranten versam- melten sich im Ehrenhof, wobei ich sie er- mahnte, sich nicht bei der Bevölkerung unbe- liebt zu machen. Manchmal stand ich dabei 258 am Straßenrand. Es wurden auch Streiks in der Uni versucht, aber der Lehrkörper war in jedem Falle von mir zu Vorlesungen und Übungen verpflichtet worden. Zum Festakt im Jubiläumsjahr 1975 in der Stadthalle hat- ten wir große Demonstrationen von Sruden- ten anderer Hochschulen. Die eigenen Stu- denten distanzierten sich. Störee, die mir den Zugang zur Mensa verwehrten, ließ ich durch die Polizei entfernen. Bei uns gab es also Jah- resfeiern und auch Rektorenbälle ohne Stö- rungen, allerdings einige Male mit Drohungen. Blick: Eine schwedische Delegation sprach von einer "Pax Draheim"? Draheim: Vielleicht weil sich der Rektor und die Professoren damals zunehmend um vieles mehr kümmerten als früher. Die Stu- denten hatten in den Grundordnungsver- handlungen erfahren, dass ihre Mitwirkung willkommen sei und ernsrgenommen werde. Sie machten die Erfahrung, dass es wirkungs- voller ist, mit Professoren, Dekanen und dem stets sprechbereiren Rektor zu reden als zu demonstrieren oder Klamauk zu machen. Sie wussten, dass Missstände in Vorlesungen, bei Klausuren und Examina, die es natürlich immer wieder gibt, geprüft und nach Mög- lichkeit abgestellt werden. Und wichtig war auch, dass es nur bei den Studenten politische Listen für Wahlen gab, nicht beim Lehrkörper. Blick: Aber Widerspruch bei Studenten gab es auch hier? Draheim: Sicher, z. B. im ASTA. Als die verfasste Studentenschaft im Hochschulgesetz abgeschafft wurde, entstand ein Unabhängiger Studentenausschuss (USTA), der die im Ge- setz vorgeschriebene Vertretung ergänzte. Das ASTA-Vermögen (Busse, Druckerei u. a.) wur- de sachgemäß erhalten. Die Studenten behiel- ten auch ihre Räume, zu deren Schließung ich gedrängt wurde. Schließlich war doch nur der ASTA abgeschafft worden, was ein schwerer Fehler war und bleibt, nicht aber die Studen- ten. Meine Eigenmächtigkeiten wurden auch einmal gerügt, was ich als Auszeichnung an- sah. Für die Medien waren wir uninteressant, weil wir trotz Drittelparität in einem Gremi- um kein Chaos zu bieten hatten. Bildunlerschrifr der BNN vom 1.12.1976: Eine deudiche Aussage zu ihrer sozialen Lage und der SilUation an den Hochschulen sollte die Demonslr3lion der 1.200 SlUdemen, die gestern auf die Stra& gingen. der Bevölkerung bringen. Die Masse der Demonstramen stell· ten die Studierenden der Karlsruher und Pforzheimer Fach· hochschulen und der Pädagogischen Hochschule. die gegen 17 Uhr auf dem Europaplatz mit Studenten der Universität zu einer Abschlußkundgebung zusammentrafen. Wie don ist es auch im übrigen Verlauf der DemonSlruion nach Auss3gen der Polizei zu keinen Zwischenfallen gekommen, wenn man von der Behinderung des Berufsverkehrs in der Innenstadt rur etwa eine Stunde absieht. 259 Blick: Wie gestaltete sich der Kontakt zu Wirtschaft. und Industrie, der ja für eine tech- nische Hochschule besondere Bedeutung hat? Droheim: Ungebrochen, trotz einiger da- maligen Ideologiesprüche über die "Indoktri- nation des Spätkapitalismus" oder die Forde- rung, das Wort "Elite" durch "Experten" abzu- lösen und anderes. Bedeutende Vertreter der Industrie wurden Ehrensenatoren, Honorar- professoren und Lehrbeauftragte. Manche berichteten mir von Diskussionen, die sie ge- nossen. Drittmittel für die Forschung flossen weiter, und die Arbeitsbereitschaft der Studen- tenschaft ließ trotz Entwicklung zur Massen- universität nicht nach. Das Leistungsniveau war und blieb hoch, was damals wie heure anerkannt wird und viele ausländische Stu- denten anzieht. Dazu dienten auch Kontakte mit anderen Universitäten. Man darf heute nicht vergessen, was z. B. vor 30 Jahren ange- sichts des Eisernen Vorhangs eine Partner- schaft mit der Universität Budapest bedeutete. Wir haben so viele Kontakte zu Persönlich- keiten aus Industrie und Wirtschaft, die uns mir Rat und Tat zur Seite stehen, dass eine offizielle Vertrerung in einem Gremium der Universität, wie heute vorgesehen, nicht erfor- derlich ist. Ich habe dies in meiner Amtszeit erprobt. Das funktioniert nicht, denn kein Spitzenmanager kann an offiziellen Sitzungen regelmäßig teilnehmen. Blick: Welche Summe haben Sie nach 15 bewegten Rektor-Jahren gezogen? Draheim: Das lasse ich lieber den damali- gen Wissenschaftsminister Professor Engler beantworten. Bei der Rekroratsübergabe an Professor Kunle 1983 sprach er nicht nur von den Studentenunruhen, dem raschen Hoch- schulausbau trotz nachlassender Finanzkraft und der "fast geräusch- und reibungslos verab- schiedeten ersten Grundordnung" , sondern er wies auf den sichtbaren Fortschritt in vielen Bereichen hin, wobei nur das Rechenzentrum und die Bildung der Fakultät für Informatik genannt sei, die heutezu den führenden zählt. In summa: die Fridericiana ist gestärkt aus dieser problem befrachteten Zeit hervorgegan- gen. Wir haben die vielfach chaotischen Zu- stände als fruchtbare Unruhe genutzt. DIE FRAGEN STELLTE LEONHARD MÜLLER Bildunterschrift der BNN vom 12.6 .1975 Zu einem Handgemenge, zwischen Gästen der Universität, ihrem Rektor und den Studenten kam es, als der Eingang durch cine Gruppe auswärtiger (man vermutet aus Sruttgarr, Heidclberg und Man nheim) kommunistischer Studenten blockiert wurde. Auf unserem Bild sind u.a. Rektor Dra- heim und Alr-Landragspräsidem Oe. Gurk zu erkennen. 260 Hans Joachim Hoffner Deutsch-amerikanischer Verbindungsoffizier 1953 - I 990 Blick: Herr Hoffner. Sie sind als Oberst der Bundeswehr 1990 in Pension gegangen. Ihre Tätigkeit unterschied sich ja deutlich von mancher anderen Offizierskarriere? Hoffiur: 1945 bin ich als Leutnant nach dem Krieg wieder Zivilist geworden und wur- de nach Studien und Berufstätigkeit 1953 als deutscher Berater des amerikanischen Verbin- dungsoffiziers eingestellt. von der Bundeswehr als Hauptmann übernommen. Nach zahlrei- chen Wehrübungen wurde ich parallel zu mehreren Beförderungen durch die Amerika- ner auch in der Bundeswehr befördert. und zwar zuletzt als "Leiter der Verbindungsabtei- lung beim US-Distriktkommando Nord- und Südbaden und des Regierungsbezirks Neu- stadt-Pfalz" und Oberst der Bundeswehr. d. h. ich unterstand unmittelbar der Nato. die mich auch bezahlte. Blick: Das waren zunächst militärische Aufgaben? HoJfoer: Jedes Jahr fanden Manöver bis ca. insgesamt acht Wochen statt mit großen Vor- bereitungen. verschiedenen Lagern. umfang- reichen Flugplatzlandungen innerhalb des Big Lift. wo in kurzer Zeit voll einsatzfähige Trup- penteile aus den USA in Deutschland lande- ten. daher auch meine Verbindungen zu der Air Force. Mit einem kleinen Stab von ca. 25 Personen samt Pressestelle schufen wir nicht nur den erforderlichen Kontakt zur Öffent- lichkeit. sondern kümmerten uns nachher auch um die Manöverschäden. Blick: Was wäre im Ernstfall geschehen? HoJfoer: Der Rhein hätte auf jeden Fall als Auffanglinie gedient. Hier hatte übrigens die US Navy zwei Patrouillenboote und eine gro- ße Anzahl von Fähren für die Rhine River Patrol stationiert. Im Falle einer Besetzung der DDR wäre ich verantwortlich gewesen für den Beginn demokratischer Regierungsformen im Land Thüringen. Blick: Das war sicher damals streng geheim. HoJfoer: Ja. ich war Träger der höchsten Geheimhaltungsstufe. was den Umgang mit Karlsruher amerikanischen Kommandeuren. die nicht diesen Grad hatten. manchmal um- ständlich machte. um Maßnahmen zu erklären. Blick: .. Jack" Hoffner spricht akzentfreies Amerikaniseh? HoJfoer: Was manchmal dazu führte. dass die Amerikaner vergaßen. dass ich Deutscher bin. Doch dazu gehörte auch. die Mentalität 261 dieser Soldaten zu begreifen angesichts ihrer häufig wechselnden Einsatzorte. Blick: Sie stellten also innerhalb der 37 Jah- re eine Kontinuität dar? Hoffoer: Was sehr erwünscht war, auch bei den deutschen Dienststellen, wie zu den Land- räten, Bürgermeistern. Bei den Panzermär- schen, Biwaks mit ihren Straßenschäden wut- den ja erhebliche Entschädigungssummen ge- zahlt, zwei Drittel von der Army, ein Drittel von der Bundesrepublik. Blick: Konnten Sie bei den Übungen ein- zelner Truppenteile noch einen positiven Ak- zent setzen? Hoffoer: Besonders die Pioniere halfen bei der Anlage von Straßen, Sportplätzen, Kinder- gärten, Freizeitanlagen u a. Die Kirche am Feldberg hätte ohne den Einsatz der Amerika- ner nicht gebaut werden können. Blick: In Karlsruhe wurde der Flugplatz in der Nordstadt für die Army umgewidmet. Hoffoer: Und die Kasernenbauten, Schu- len, Kirchen erstellt. Ich war damals bei der Bauplanung beteiligt, wo mit deutschen Stel- len um jeden Baum gekämpft werden musste. Heute ist dies ein bevorzugtes Wohngebiet mit der sehr aktiven amerikanischen Bibliothek, einem Geschenk an Karlsruhe. Blick: Die Truppen und ihre Angehörigen lebten wohl stark abgeschirmt? Hoffoer: In der Versorgung waren sie völlig autark. Gerade bei ihren strikten Hygienevor- stellungen sorgten eigene Schlachter, Bäcker und andere Dienste für die Lebensmittel. Da aber 14.000 Familien in Wohnungen inner- halb der Stadt lebten, kam es zu vielen Kon- takten; besonders wenn die Kinder miteinan- der spielten, begann rasch ein Gespräch über dem Zaun, wobei man immer wieder über- rascht war, wie viele Deutsche Englisch spre- chen und manche Amerikaner kaum Gelegen- heit hatten, die mühsam erworbenen Deutsch- kenntnisse anzuwenden. Mit der Truppenre- duzierung bedauerten viele Vermieter den Rückzug der amerikanischen Familien. Blick: War für die Army eine Y.ersetzung nach Deutschland interessant? Hoffoer: Sicherlich. Jeder musste hier einen 30-stündigen Pflichtkurs absolvieren, in dem die Geschichte, der Standort, die Sitten und Gebräuche und etwas Basic German unter- richtet wurde. Besonders die Mroamerikaner haben sich hier wohl gefühlt. Für das Offi- zierskorps wurde ein Round table mit franzö- sischen, kanadischen und deutschen Offizie- ren eingerichtet. Man ging ins Theater, in Mu- seen, und viele zeigten einen großen Wissens- durst. Blick: Gab es auch Probleme? Hoffoer: Natürlich. Gerade bei Verkehrs- unfällen, Straftaten und anderen Konflikten. Für mich bedeutete es eine harte Aufgabe, deutsche Ehefrauen über den Tod ihres Man- nes in Vietnam zu informieren. Blick: Wenn Sie die Summe ziehen, was ist geblieben, was hat sich bis heute geändert? Hoffoer: Wer als amerikaniseher Soldat in Deutschland diente, konnte als Botschafter dieser Republik in den USA gelten. Hatten die GIs anfangs in den 50er Jahren noch auf die- ses Land herabgesehen, die die Deutschen 1945 nach der ersten französischen Besatzung 262 eher als Befreier betrachteten, so stellte sich bald ein freundschaftliches Verhältnis ein. Wir haben hier in unserem Distrikt auch Gruppen von Medizinern, Juristen, Pädagogen empfan- gen, die sich wohl vorbereitet im Gespräch mit deutschen Partnern zeigten. Zwar sind man- che Kontakte geblieben, Heidelberg ist noch immer Sitz des Hauptquartiers, aber viele Stränge sind verdünnt, und die heutige ame- rikanische Jugend, die nicht mehr die Erfah- rungen einer Wehrpflichtarmee in Europa gewinnen kann, spiegelt wohl ein anders Welt- bild. Die derzeitige Berufsarmee, die andere Strukturen aufweist, anderen Risiken ausge- setzt ist, schafft andere Verhältnisse. Unabhän- gig von der Tatsache, dass wir 1945 von der Nazi-Diktatur befreit wurden, konnte ich in diesen 37 Jahren beobachten, wie hier in Karlsruhe, aber auch in anderen Regionen, besonders die jüngeren Angehörigen zweier Staaten zusammenrückten, sich zu verstehen versuchten. Wenn ich auf meinen privaten Reisen in die USA immer wieder Amerikaner getroffen habe, die oft voll guter Erinnerungen von ihrer Zeit in Deutschland berichten, kann man darin trotz mancher Probleme im ganzen eine positive Bilanz dieses Abschnitts der Zeit- geschichte ziehen. DIE FRAGEN STELLTE LEONHARD MÜLLER JosefWerner Journalist und Publizist Blick: Sie wurden im Jahr 1950 mit 35 Jah- ren Chef des Lokalteils der Badischen Neues- ten Nachrichten (BNN) und später stellvertre- tender Chefredakteur. Hatten die BNN da- mals noch keine Monopolstellung? Wemer: Mitte des Jahres 1949 war in der amerikanischen Zone die Lizenzpflicht für Ta- geszeitungen aufgehoben und damit Gewerbe- freiheit auch für den Bereich der Presse ge- schaffen worden. Rasch wurde dann das Dur- lacher Tageblatt wiedergegründet, und in Karlsruhe wurden die CDU-nahe Badische Volkszeitung (BVZ) sowie die SPD-nahe All- gemeine Zeitung (AZ) aus der Taufe gehoben, die beiden Letzteren von uns Journalisten lie- bevoll-spöttisch "Schwarz Kattl" und "Rot Kattl" genannt. Dass diese Zeitungen nach einigen Jahren aus wirtschaftlichen Gründen eingingen, war ein Verlust an Meinungsfrei- heit, den ich immer sehr bedauert habe. Die Kollegen dieser Zeitungen kamen übrigens fast ausnahmslos bei den BNN unter. Blick: Welche Rolle spielt in Zeitungen wie den BNN der Lokalteil? 263 Werner: Eine sehr wesentliche, denn Leser von Regionalzeitungen wie den BNN wollen ja vor allem über das vielfaltige lokale und re- gionale Geschehen informiert werden. Eine umfassende und objektive Berichterstattung isr die vordringliche Aufgabe der Lokalredak- tion. Zur Erfüllung dieses Auftrags ist ihr in- nerhalb der Gesamtredaktion die größte Zahl an Redakteuren und Redakteurinnen zugeord- net. Zusätzlich verfügt die Lokalredaktion über eine beachtliche Zahl freier Mitarbeiter. Blick: Welchen Einfluss nimmt und hat die Lokalredaktion auf das lokale Geschehen? Werner: Der Leser erwartet von seiner Zei- tung, dass sie zu aktuellen Fragen Stellung nimmt. Gegebenenfalls kann sie dabei sogar eine Art Meinungsführerschaft übernehmen. Ob die Meinung der Zeitung auch Einfluss hat aufEnrscheidungen, etwa des Stadtparlamenrs, hängt zum einen von der Überzeugungskraft der vorgebrachten Argumente ab, zum ande- ren narürlich von der Bereitschaft der Damen und Herren Stadträte, den Standpunkt der Zeitung anzunehmen. Überschärzen sollte man den Einfluss der Zeitung allerdings nicht. Blick: Können Sie dennoch Fälle nennen, bei denen Ihre Zeitung die öffentliche Mei- nung maßgeblich beeinflusst hat? Wemer: Aus meiner Zeit ist mir lebhaft unser Widerstand gegen die Absicht des dama- ligen BVG-Präsidenten Gebhard Müller und des damaligen Ministerpräsidenten Kurt-Ge- arg Kiesinger in Erinnerung, das Bundesver- fassungsgericht im Schloss zu etablieren. Der Plan wurde aufgegeben, das Badische Landes- museum, das sich im Schloss gerade einzurich- ten begann, konnte im Schloss verbleiben. Einen heftigen öffenrlichen Kampf führten wir um den Wiederaufbau des Markgräflichen Palais' J Weinbrenners schönstem Bauwerk, dessen Ruine geschleift werden sollte. Ein vol- ler Erfolg war diesem Bemühen bedauerlicher- weise nicht beschieden. Aber immerhin wur- de der für die Gestalt des Rondellplatzes wich- tige Porrikus wiederaufgebaut. Auf der ganzen Linie durchgesetzt har sich meine Zeitung andererseits bei ihrem Kampf gegen den der Aachener-Münchener Versicherung zuliebe bereits beschlossenen Abbruch des anmutigen klassizistischen Weltzienhauses am Karlstor. Und dem Stadtgarren blieb dank BNN und der von ihr mobilisierren Öffentlichkeit bei der KLV-Erweiterung der - auch vom dama- ligen Gartenbaudirektor Roberr Mürb be- kämpfte - erdrückende so genannte "Dreifin- genurm U erspart. Massive Kritik äußerte die Zeitung schließlich an der vom Gemeinderat nahezu einstimmig erfolgten Entscheidung, den stadthistorischen vielsagenden, zugleich anmutigen Namen "Entenfang" in Mühlburg als Referenz für Besucher aus der Pfalz in "Pfälzer Platz" umzubenennen. Das Ergebnis: In der darauffolgenden Sitzung nahm der Gemeinderat seinen Beschluss zurück, der "Entenfang" war gerettet. Blick: Ist andererseits eine Lokalredakrion nicht doch dann und wann Einflussversuchen, beispielsweise von politischer Seite, ausgesetzt? Werner: Ein Journalist ist dann glaubhaft. wenn er sich seine Unabhängigkeit bewahrt. Um Behinderungen seiner journalistischen Freiheit zu entgehen, ist es ratsam, dass der Lokalredakteur sich nicht von Parreien oder einflußreichen gesellschafrlichen Gruppierun- gen als Mitglied anwerben lässt. Blick: Und wie steht es mit dem Anzeigen- teil? Gibt es nicht seitens der Inserenten Ein- flüsse, denen sich der Redakteur schwer ent- ziehen kann? 264 ~nltr: Es ist theoretisch denkbar, das dies versucht wird. Ich versichere Ihnen aber, dass ich nie auch nur den Versuch erlebt habe, die Redaktion zu einer unveranrwortbaren Gefäl- ligkeit zu veranlassen. Die Trennung vom re- daktionellen und Anzeigenteil ist konsequent und wird respektiert. Auch ein fester Abon- nentenstarnm garantiert die Wirtschaftlichkeit und damit die Unabhängigkeit einer Zeitung. Blick: Sehen Sie die Regional- und Lokal- zeitungen bedroht? ~nltr: Keineswegs. Bei aller Informati- onsflut durch Fernsehen, Rundfunk, auch überregionale Boulevardblätter, will man halt doch vor allem über das Geschehen auf der lokalen Basis informiert werden, möchte schwarz auf weiß in Ruhe lesen können, was auf kommunalpolitischem, kulturellen und sportlichen Gebiet geschieht. Ich bin sicher, dass gut gemachte Regionalblätter ihre Bedeu- tung nicht verlieren, auch nicht im Zeitalter des Internet. Blick: Die Karlsruher Journalisten gründe- ten schon im Jahr 1949 den Karlsruher Pres- seclub. Sie waren Mitbegründer und in den 60er Jahren dessen Vorsitzender. ~rner: In jenen Jahren ging der Presseclub auf zwei Ebenen in eine breitere Karlsruher Öffentlichkeit. Zum einen mit vielbesuchten Vortrags-Großveranstaltungen, beispielsweise mit Baron von Guttenberg und Sebastian Haffner. Wenn Klaus Mehnert kam, war selbst die Schwarzwaldhalle zum Brechen gefüllt. Die andere Schiene war gesellschaftlicher Art, waren die Presse- und die vom Presseclub in- itiierten legendären Bühnen- und Pressebälle, Gemeinschaftsveranstaltungen mit dem Badi- schen Staatstheater. Inzwischen konzentrieren sich die Aktivitäten des Presseclubs vor allem auf Begegnungen mit namhaften Personen des öffentlichen Lebens, erwa mit BVG-Präsiden- tin Jutta Limbaeh, mit den Landesbischöfen Klaus Engelhardt und Ulrich Fischer oder auch mit dem quirligen FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß. Um den Clubmitgliedern sach- dienliche Informationen aus der Politik zu bieten, waren in den vergangenen Jahren Spit- zen politiker jeder Couleur zu Gast, Gerhard Schröder ebenso wie Wolfgang Schäuble, Klaus Kinkel oder Joschka Fischer, um nur diese zu nennen, aber auch mehrere Ministecp präsidenten und unlängst die Justizministerin Däubler-Gmelin. Blick: Der Ruhestand des "In Ettlingen geborenen Karlsruhers", wie Sie OB Gerhard Seiler nannte, hat Ihnen Freiraum für die Stadthistorie gegeben. ~rner: Zu dieser Arbeit kam ich dank des Angebots des damaligen Oberbürgermeisters Dullenkopf. Statt, wie von ihm erwartet, die seit 1923 liegengebliebene Stadtgeschichte fortzuschreiben, widmete ich mich dafür der Zeitgeschichte. So entstand das Buch ,,1945- Karlsruhe unter Hakenkreuz, Trikolore und Sternenbanner", ein Rückblick auf ein unver- gleichliches Jahr Karlsruher Geschichte. Spä- ter kamen, mit Fotos aus den umfangreichen Schlesiger- und Bauer-Beständen, Jahrzehnte- Publikationen hinzu, Spiegel der 40er, 50er, 60er und 70er Jahre in Wort und Bild. Mein herausragendes Engagement aber gehörte ei- ner Arbeit, die die wichtigste meines Berufsle- bens werden sollte. Durch die Recherchen für das Buch ,,1945" schemenhaft auf die Tragö- die des Karlsruher Judentums gestoßen, nahm ich mir, unterstützt von OB Seiler vor, das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mitbürger zu erforschen und zu beschreiben. So ent- stand, rechtzeitig zum 50. Jahrestag der so genannten "Reichskristallnacht", das Buch 265 "Hakenkreuz und Judenstern - Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich". Die Arbeit an dieser Publikation war schwer, tief bewegend, aber auch ungemein befriedigend. Denn ich konnte mit diesem Buch dazu bei- tragen, den Nebelschleier aufzureißen, der über dem traurigsten Geschehen Karlsruher Geschichte lag. DIE FRAGEN STELLTE LEONHARD MüLLER Kurt Gauly Erster Bürgermeister a. D. Blick: Herr Gauly, Sie sind, 1926 geboren, in Worms aufgewachsen und mit 25 Jahren als Rechtspfleger im rheinland-pfälzischen Justiz- dienst vom neu gegründeten Bundesgerichts- hof für den Verwaltungsdienst ausgewählt worden. Was waren Ihre Tätigkeiten? Gauly: In den 27 Jahren beim BGH bin ich im Kassenwesen, bei Senatsgeschäftssrellen. der Pressestelle und als Sicherheitsbeauftragter eingesetzt worden, eine Funktion, die vor al- lem nach dem Attentat auf Generalbundesan- walt Buback wichtig wurde. Blick: Das waren die Zeiten, seit dem der BG H mit großen Schutzgittern umzäunt ist? Gauly: Ja, aber auch der Personenschutz der einzelnen Bundesrichter musste verstärkt werden, oft zu ihrem Leidwesen, weil es den Freiraum einengte. Es waren Jahre hoher An- spannungen. Blick: Wann begann Ihre politische Tätig- keit? Gauly: 1947 trat ich in die Christlich-De- mokratische Union ein. 10 Jahre später wurde ich in Karlsruhe Vorsitzender der Jungen Uni- on. Nachdem ich mit ihr in der Auseinander- setzung um die Bundestagskandidatur 1961 den Wechsel von Dr. Werber zu Dr. Güde durchgesetzt hatte, wurde ich im gleichen Jahr Vorsitzender der Karlsruher CDU. Es galt, die noch immer bestehenden Spannungen zwi- schen den ,,Altbadenern" und den "Südwest- staatlern " zu überwinden. 1962 wurde ich dann in den Gemeinderat gewählt. Blick: Welcher Bereiche haben Sie sich als Stadtrat besonders angenommen? Gauly: Auf Grund beruflicher Erfahrungen der Finanzen. Es war wirtschaftlich eine schwie- rige Zeit, als ich 1967 zum Fraktionsvorsitzen- den gewählt wurde. Die Parteien setzten un- 266 terschiedliche Akzente, und die CDU stimmte erstmals dem Haushaltsplan nicht zu. Die Bun- desgattenschau 1967 wat ein Publikumserfolg, verschlang aber viel Geld. Schon zwei Jahre später wollte Oberbürgermeister Klotz, mit dem ich im allgemeinen ein gutes Verhältnis pflegte - war er doch ein Mann, der nicht stän- dige Konfrontationen liebte und auch nicht viel von Ideologien hielt - für das Jahr 1975 eine zweite Bundesgattenschau beschließen lassen. Wegen der Vernachlässigung wichtige- rer Investitionen im Schul- und Krankenhaus- wesen versagte die Mehrheit des Gemeinderats unter meiner Worrführung die Zustimmung. Blick: 1978 wurden Sie Bürgermeister. Wo lagen Ihre Zuständigkeiten? Gauly: Einmal beim Schulwesen. Karlsru- he hat damals unter großen Anstrengungen besonders für die beruflichen Schulen moder- ne Bauten geschaffen, so das Technische Gym- nasium und weitere Schulbauten im Beiermei- mer Feld, die Heinrich-Hübsch-Schule am Mendelssohnplatz mit erheblichen Geburts- wehen, die Gewerbeschule in Durlach, dazu Sonderschulen und andere. Mit der Ernst- Reuter-Schule in der Waldstadt wurde die ers- te Ganztagesschule eingerichtet. Nicht weniger wichtig war mir, und das überrascht vielleicht, die Pflege unserer Fried- höfe. Der Hauptfriedhof wurde erweitert, die Friedhofskapelle neu gestaltet, neue Friedhö- fe in der Nordweststadt und in Wolfartsweier angelegt und anderes mehr. Gepflegte Fried- höfe sind Ausdruck intakter Lebens- und Stadtkultur. Eine große Unternehmung war die Neuge- staltung der Stadthalle, bis jetzt das einzige repräsentative Kongressgebäude. Schon darna- lige Überlegungen für eine Neue Messe außer- halb des Festplatzbereiches scheiterten an der Finanzlage. Schließlich noch mein größter Zuständigkeitsbereich, nämlich die Stadtwer- ke samt Verkehrsbetrieben und Rheinhäfen. Bei den letzteren wurde ein Containerum- schlagplatz neu geschaffen und durch das Hafensperrror der Hafen gegen Hochwasser geschützt. Bei den Versorgungs betrieben sind das große Wasserwerk Rheinwald in EIches- heim sowie eine Kesselanlage mit moderner Rauchgasreinigung festzuhalten; zuletzt noch die herausragende Modernisierung unserer Verkehrsbetriebe, die weltweit Beachtung ge- funden hat. Mit der Einführung der 2-Sys- tem-Fahrzeuge wurde Nahverkehrsgeschichte geschrieben, der Ausbau des Nahverkehrsnet- zes ist beispielhaft. Blick: 1986 wurden Sie Erster Bürgermeis- ter. Was für eine Funktion hat dieses Amt? Gauly: Der Erste Bürgermeister ist der arntliche Vertreter des Oberbürgermeisters. An seiner Stelle kann der Erste Bürgermeister die Stadt über alle Geschäftsbereiche hin rechtlich binden, was den übrigen Bürgermeistern nur für ihren eigenen Geschäftsbereich möglich ist. Natürlich wird der amtliche Vertreter ver- nünftigerweise nicht gegen die Intentionen des Oberbürgermeisters entscheiden. Im Üb- rigen stelle ich dankbar fest, dass mein Ver- hältnis zu meinen Oberbürgermeistern 0[[0 Dullenkopf und Professor Dr. Gerhard Seiler immer herzlich und ungetrübt war. Blick: Was für Pläne würden Sie sich als Karlsruher Kommunalpolitiker mit langjähri- ger Erfahrung für die Zukunft realisiert wün- schen? Gauly: Zunächst einmal eine Straßenbrü- cke über den Rhein. Zu meiner Zeit haben wir beim Neubau der Eisenbahnbrücke Stützpfei- ler und Widerlager für ein zweites Gleis vorge- sehen, das inzwischen nachgebaut worden ist. 267 Die Rheinbrücke muss ja in absehbarer Zeit saniert werden. und so ergibt sich die Not- wendigkeit eines zweiten Strom überganges, an dem allein die geplante. aber nicht be- schlossene Nordtangente angeknüpft werden müsste. Mit der Messe in Rheinsterten ist ein wich- tiger Schritt über die Stadtgrenze hinaus un- ternommen worden, genauso wie bei der Ver- kehrsplanung. Bei dieser befürchtete man zu- erst Wanderungen zu Ungunsten der Stadt- kommune. Heute si.eht man das unproblema- tischer. und Karlsruhe gewinnt deutlich im Prozess einer stärkeren Vernetzung der Region. Schließlich fühle ich mich als ehemaliger "Schulbürgermeister" auch der Entwicklung unseres Bildungswesens noch immer verbun- den. Nicht zuletzt nach den Weichenstellun- gen vergangener Jahre fährt da der Zug auf richtigem Gleis. DIE FRAGEN STELLTE LEONHARD MÜLLER 268 Biografien 269 Fridolin Heurich 1878-1960 Wenn in Karlsruhe von der Trümmerräumung nach 1945 die Rede ist, dann denken die we- nigsten Karlsruher an den verantwortlichen Baubürgermeister jener Tage. Fridolin Heu- rich war in dieser Funktion maßgeblich für die Stadt bei der Gründung der ,,Aufräumungs- Arbeitsgemeinschaft Karlsruhe" beteiligt und förderte deren Tätigkeit so entschieden, wie er die ersten Schritte des Wiederaufbaus von Wohngebäuden, öffentlichen Bauten und die Neugestaltung der Kaiserstraße vorantrieb. Heurich wurde am 14. September 1878 als eines von fünf Kindern eines Taglöhners in Magdlos, Kreis Fulda geboren. Zwischen der Maurerlehre, dem Aufstieg zum Polier 1904 und der Karriere als Politiker in der Weimarer Republik lag eine unermüdliche und erfolgrei- che Tätigkeit für die christlichen Gewerk- schaften. Er begann 1906 als Funktionär des Bauarbeiterverbandes in Krefeld und ging 1908 nach Freiburg als Bezirksleiter. Unter- brochen wurde seine Aufbauarbeit in Baden und im Elsaß durch die Einberufung zum Kriegsdienst bis April 1917. In der Zeit der Weimarer Republik stieg Heurich u. a. als Vorsitzender der christlichen Gewerkschaften zum herausragenden christli- chen Arbeiterführer in Baden auf, der 1922 seinen Wohnsitz nach Karlsruhe verlegte. Mit seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit verband Heurich von Anfang an auch politische Aktivi- täten für die Zentrumspartei. Seit 1919 nahm er eine Führungsrolle als Vorstandsmitglied der Partei in Baden und im Reich und seit 1919 als Mitglied des Landtags und des Fraktions- vorstands ein. Ab 1927 gehörte er als Staatsrat ehrenamtlich der badischen Regierung an. Seine Mitwirkung am Abschluss des badischen Konkordats würdigte der Vatikan 1932 mit der Verleihung eines päpstlichen Ordens. Über den Politiker Heurich schrieb der "Badische Beobachter" 1931, seine Reden sei- en "wuchtig und überzeugend" und verrieten schöpferisches Talent. Er sei ein glänzender Versammlungsredner und ein Meister der Debatte, "der mit seinem Gegner schlagfertig, aber dennoch ritterlich abrechnet." Heurichs tolerante, den Ausgleich mit dem politischen Gegner suchende GrundeinsteIlung fand ihre Grenze im Umgang mit den Nazis. 1930 er- regte sein Ohrfeigenduell mit dem NS-Abge- ordneten Kraft in einer erregten Landtagssit- zung öffentliches Aufsehen. Die Gegnerschaft zum Nationalsozialis- mus kostete Heurich 1933 alle Ämter. Erst ab 1937 konnte er bei einer Bausparkasse wieder arbeiten. Nach dem missglückten Attentat vom Juli 1944 wurde Heurich, der unter stän- diger Beobachtung der Gestapo stand, meh- rere Tage inhaftiert. 270 Wie manch anderer Politiker der Weimarer Republik. die zu NS-Gegnern wurden. kehr- te auch Heurich im Rentenalter 1945 wieder in das politische Leben zurück. Die Amerika- ner ernannten ihn im August 1945 zum Ers- ten Bürgermeister der Stadt. Er zählte zu den Mitbegründern der überkonfessionellen CDU und einer einheitlichen Gewerkschaft in Karls- ruhe. Mit großer Oberzeugungskraft warb er für die Gemeinsamkeit aller demokratischen Kräfte und .. gegen gehässige Parteienkämpfe". Seine Partei wählte ihn 1946 bis 1951 zum Vorsitzenden in Nordbadenj er vertrat sie von 1946 bis 1952 im Parlament von Württem- berg-Baden. Heurich. der nie einen Zweifel daran aufkommen ließ. dass seine geistigen und politischen Wurzeln in der Arbeiterschaft gründeten. schied zu Beginn des Jahres 1953 vor Ablauf seiner Amtsperiode im Alter von fast 75 Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst. Ausgezeichnet mit dem Gro- ßen Verdienstkreuz der Bundesrepublik starb der verdiente Landes- und Kommunalpoliti- ker in Karlsruhe am 12. Februar 1960. MANFRED KOCH Heinrich Wetzlar 1868 -1943 Der Karlsruher Jugendrichter Dr. Heinrich Wetzlar hatte im Laufe seiner Berufsarbeit die Notlage der gestrauchelten Jugendlichen er- kannt. Als Vorsitzender des Bezirksvereins für Jugendschutz und Gefangenenfürsorge in Karlsruhe hielt er daher Ausschau nach einem geeigneten Gebäude. wo straffällige junge Menschen vor Polizeigewahrsam. Untersu- chungshaft oder Strafvollzug im Gefängnis verschont bleiben konnten. zugleich soziale Eingliederung erfahren sollten. Im Sommer 1914 gelang es. in einem Wohnhaus in der Werderstraße ein Heim zu eröffnen. das straf- fällige männliche JugentHiche aufnahm. Wäh- rend der Kriegsjahre waren ständig zehn bis zwölf Jugendliche untergebracht. wurden be- treut und versorgt. Bei Kriegsende aber musste die Einrichtung wegen der Wohnraumbewirt- schaftung geschlossen werden. die Fortsetzung der erfolgreich angelaufenen Hilfstätigkeit schien in Frage gestellt. Doch Dr. Wetzlar gab nicht auf. Dank seiner umsichtigen Verhand- lungsführung konnte das ehemalige großher- wgliche Jagdschloß Stutensee durch den Be- zirksverein übernommen und ausgebaut wer~ 271 den. Bereits im Jahre 1919 gründete Dr. Wetz- lar hier ein Erziehungsheim. Bald standen 36 Heimplätze zur Verfügung. die Insassen konn- ten in der Gärtnerei. in der Landwirtschaft. in der Korbflechterei und in der Schuhmacher- werkstatt angelernt und beschäftigt werden. Ein Fortbildungsschullehrer wirkte als Heim- leiter. fünf Aufsichtsbeamte standen ihm bei der Betreuungsarbeit zur Seite. Da herrschte kein Anstaltsklima, sondern man war bestrebt, die Heimbewohner nach neuen jugendpäda- gogischen Erkenntnissen auf das künftige Le- ben draußen vorzubereiten. An vielen Wo- chenenden fuhr oder wanderte der J ugend- richter. oft begleitet von seiner mithelfenden Ehefrau, hinaus nach Stutensee, um sich sei- ner Schützlinge anzunehmen. Ihm gebührt das Verdienst. im Raum Karlsruhe ein bei- spielhaftes Modell moderner Jugendhilfe ge- schaffen zu haben. Heinrich Wetzlar stammte aus einer jüdi- schen Kaufmannsfamilie. am 30. Mai 1868 war er in Mannheim geboren worden. Nach Studium der Rechtswissensehaften absolvier- te er seine Militärdienstzeit. 1894 in den badi- schen Justizdienst übernommen, war er bei verschiedenen Gerichten tätig. über mehrere Jahrzehnte in Karlsruhe. ab 1929 als Landge- richtspräsident in Mannheim. Unermüdlich engagierte sich der Richter in der Stralfalligen- hilfe. Neben seiner Funktion im KarIsruher Bezirksverein hat er 1920 das Amt des stell- vertretenden Vorsitzenden der Zentralleitung aller badischen Bezirksvereine übernommen (heute Badischer Landesverband für soziale Rechtspflege). An zahlreichen Tagungen der Gefangenenfürsorge nahm er teil, um seine erzieherischen Erfahrungen und seine rechts- politischen Forderungen an die Öffentlichkeit zu tragen. Unter dem Druck randalierender SA wurde er als Präsident des Landgerichts Mannheim zum I. August 1933 pensioniett. Kein Wort der Anerkennung und des Ab- schieds haben die amtlichen Stellen für den angesehenen Richter gefunden. Den beschä- menden Pogromen der so genannten Reichs- kristallnacht entging die Familie. sie war recht- zeitig gewarnt worden. Nun entschloss man sich zu rascher Auswanderung in die Nieder- lande. Nachdem dort deutsche Truppen einge- fallen waren. wurden Dr. Wetzlar und seine Frau im März 1943 in das Konzentrationsla- ger Theresienstadt verschleppt. Es lässt sich nur erahnen. welch unsägliche Leiden und Entbehrungen die 74 und 75 Jahre alten Men- schen bis zu ihrem Tode erdulden mussten. Heute erinnert an der Vorderfront des Schlos- ses Stutensee eine Gedenktafel an die Ermor- deten. Und ganz in der Nähe erhebt sich seit dem Jahre 1984 das Heinrich-Wetzlar-Haus. bestimmt zur Unterbringung jugendlicher Beschuldigter, die ansonsten in Untersu- chungshaft einsitzen müssten. Hier lebt das Werk des selbstlosen Helfers fort. REINER HAEHLI NG VON LAN ZENAUER 272 Luitgard Himmelheber 1874-1959 Der Name Himmelheber steht in der Karlsru- her Stadtgeschichte zum einen für die 1768 gegründete, renommieree Möbelfabrik der Gebrüder Himmelheber, zum anderen aber auch für eine Reihe von Frauen, die die übli- chen Pfade weiblichen Verhaltens ihrer Zeit verließen und sich politisch engagiereen. Luitgard Himmelheber war eine der ersten Frauen im Karlsruher Stadtparlament. Sie wur- de im Mai 1919 Stadrverordnete der "Deut- schen Demokratischen Partei" (DDP). Damit hatte sie für eine Frau ihrer Herkunft außerge- wöhnliche Wege beschritten. Am 27. April 1874 wurde sie als Tochter des Max Honsell (1843-1910) und dessen Ehefrau SophieAmalie Prestinari (1845-1929) geboren. Ihr Vater hatte als Ingenieur die von Tulla begonnene Rheinregulierung vollendet und wurde dann badischer Finanzminiscer. Luitgard genoss die für eine Tochter der Ober- schicht herkömmliche Bildung. Von 1880 bis 1890 besuchte sie eine führende Einrichtung für die Erziehung höherer Töchter, die im Besitz der Großherzogin Luise befindliche Vikcoriaschule. 1894 heiratete sie Gustav Himmelheber (1863-1937) , der zusammen mit seinem Bruder Karl die Möbelfabrik "Ge- brüder Himmelheber" führte. Vielleicht lag es daran, dass sie in einem geistig aufgeschlossenen Elternhaus aufge- wachsen war, vielleicht hatte sie ihre eigene Ausbildung als ungenügend empfunden; Lu- itgard Himmelheber befasste sich jedenfalls bald mit den Problemen einer höheren Bil- dung für Mädchen. Die Institute für höhere Töchter wollten Mädchen auf ihre Rolle als bürgerliche Gattin vorbereiten. In erster Linie sollten Repräsentationsfähigkeit, Geschick- lichkeit und ästhetisches Empfinden durch das Erlernen der französischen Sprache, von Hand- arbeiten und durch Zeichenunterricht erwor- ben werden. Eine weiterführende Bildung, die zur Ausübung eines qualifiziereen Berufs oder gar zum Studium befahigt hätte, gab es zu je- ner Zeit für Mädchen in Deutschland nicht. Luitgard Himmelheber setzte sich für die Gründung des 1893 in Karlsruhe eröffneten ersten deutschen Mädchengymnasiums ein und focht mit Entschiedenheit für dessen Forebestehen, als dies 1897 zweicweilig gefähr- det war. Ein besonderes Anliegen war ihr die Einrichtung eines Internats für die auswärti- gen Gymnasiastinnen. Sie kümmeree sich um die Verwaltung des Pensionats und sorgte auch für die Freizeitgestaltung der Mädchen an Sonntagen und in kürzeren Ferien. Der all- jährliche Tagesausflug der Internatsschüler- innen führee in das Landhaus des Ehepaars Himmelheber in Bernbach. 273 Neben diesem praktischen Wirken enga- gierte sich die Fabrikantengattin und Mutter von sieben Kindern auch politisch für eine bes- sere Ausbildung von Mädchen. Sie trat dem Ver- ein "Ftauenbildung- Frauenstudium" bei, des- sen Karlsruher Gruppe sie von 1902 bis 1919 leitete. Während des Ersten Weltkriegs bildete dieser Verein gemeinsam mit anderen Frauen- organisationen den "Nationalen Frauendienst". Luitgard Himmelheber sah hier ihre Aufgabe im sozialen Bereich und widmete sich ins- besondere der Betreuung von Kriegerwitwen. Das Kriegserlebnis veranlasste sie, sich par- teipolitisch zu betätigen. Sie wurde Mitgrün- derin der Karlsruher Demokratischen Partei und nutzte 1919 nach Einführung des Frau- enwahlrechts ihre neugewonnenen demokra- tischen Rechte, um Politik selbst mitzugestal- ten. Bis 1924 saß sie im Karlsruher Bürgeraus- schuss. In ihrem fünfzigsten Lebensjahr zog sie sich aus dem politischen Leben zurück. Der Zweite Weltkrieg veranlasste schließlich ihre Schwiegertochter Kathinka Himmelheber, sich nach 1945 in der überparteilichen Karls- ruher Frauengruppe zu engagieren. Luitgard Himmelheber verstarb am 1. März 1959. BARBARA GUTTMANN GustavTrunk 1871-1936 "Trunk hat gezögert, er besprach sich zunächst mit Chefredakteur Meyer vom 'Badischen Be- obachter' und mir, dann nahm auch er an, 'in Gottes Namen', wie er ausrIef. Trunk war. wie sich herausstellte, ein absoluter Fehlgriff, un- fähig zu selbstständigem Handeln." Mit diesen herben Worten kommentierte sein Parteifreund Heinrich Köhler den Beginn der politischen Laufbahn Gustav Trunks auf Landesebene. Am 10. November 1918 wurde in Karlsruhe im Zuge der Revolution die vor- läufige Volksregierung unrer dem Sozialdemo- kraten Anton Geiß gebildet. Trunk - unsicher, unvorbereitet und misstrauisch - übernahm darin das Amt des Ernährungsministers, das die Verwaltung des Mangels bedeutete und dessen Übernahme ein hohes Maß an Pflicht- bewusstsein und Selbsrverleugnung erforder- te. Er baute das neue Ministerium auf, war aber nicht erfolgreich im Kampf gegen Schwarz- markt, Versorgungsnot, Hunger und die Un- zufriedenheit großer Teile der Bevölkerung. Zugute hielt er sich, die Eisenbahnfahrt der großherzoglichen Familie ins "Exil" nach Schloß Langenstein (17./18. November 1918) mitorganisiert zu haben. JosefLudwig GustavTrunk, der Sohn eines Hauptlehrers, geboren am 24. Juli 1871 in Waldprechtsweier, erhielt in Sasbachwalden, in der von dem Priester und führenden Zen- trumspolitiker Franz X. Lender gegründeten Schule eine stark katholisch-religiös geprägte Erziehung. Gewiss hatte diese Anteil daran, dass der betonr patriotische Mann sich später nicht den Nationalliberalen, sondern dem Zentrum anschloss. Nach dem Abitur am Gymnasium in Rastatt 1893 studierte Trunk bis 1897 Jura in Heidelberg und Berlin und schloss sich der farben tragenden Verbindung Arminia im CV an. Der wegen starker Kurz- sichtigkeit vom Militärdienst befreite Jurist war nur kurze Zeit Amtsrichter in Wolfach und ließ sich 1900 als Anwalt in Karlsruhe nieder. Damals war er schon Mitglied der 274 Zentrumspartei, für die er von 1911-1919 im Stadtrat von Karlsruhe saß. Bereits Minister, kandidierte Trunk im Ja- nuar 1919 erfolgreich für ein Mandat in der Badischen Nationalversammlung. Von 1921 bis 1930 gehörte er dem Landtag an, zuletzt als 2. Fraktionsvorsitzender des Zentrums. Nach dem Wechsel im April 1919 vom Ernäh- rungs- in das Justizministerium (1919-1929) erwarb Trunk sich ohne Zweifel rasch große Verdienste. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis Trunk auch höchste Würden erlang- te. 1920121, 1925/26 und 1927 (als Nachfol- ger des zum Reichsminister ernannten Hein- rich Köhler) war Trunk Badischer Staatspräsi- dent. Der Tod seiner Frau und parteiinterne Streitigkeiten - vor allem der persönliche Kon- flikt mit Köhler, der großen Einfluss in der Landtagsfraktion besaß und im Gegensatz zu Trunk die Politik von Reichskanzler Brüning nicht unterstützte - führten zu seinem Rück- tritt als Minister (November 1929) und zur Niederlegung des Landtagsmandats Quni 1930). Danach war er wieder als Anwalt in Karls- ruhe tätig und heiratete noch einmal. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten ver- dunkelte Trunks Lebensabend. Schon Ende März 1933 wurde ihm das Ruhegehalt aber- kannt, wogegen er. sich, seit 1935 schwer er- krankt, gerichtlich wehrte. Im März 1936 be- kam er auf Intervention des Reichsjustizminis- ters ein Übergangsgeld bewilligt. Wenige Wochen später, am 23. April 1936, ist der Trä- ger der Jubiläumsmedaille der TH Karlsruhe und Ehrendoktor der Universität Freiburg in Karlsruhe gestorben. FRANK RABERG Rahel Straus 1880 -1963 Das zwanzigsre Jahrhundert eröffnete Frauen neue Bildungs- und Berufsmöglichkeiten. Kurz vor der Jahrhundertwende legten in Karlsruhe die ersten vier Frauen in Deutsch- land ihr Abitur ab. Eine von ihnen war Rahe! Straus geb. Gotein. Nach dem frühen Tod ih- res Vaters, des Rabbiners der orthodoxen Aus- trittsgemeinde Dr. Gabor Gotein, lag die Er- ziehung der 1880 geborenen Rahel und ihrer Geschwister in den Händen der Mutter Ida Gotein geb. Löwenfe!d. Für die damalige Zeit durchaus nicht selbstverständlich, ermöglichte diese nicht nur den Söhnen, sondern auch den Töchtern eine Ausbildung. Raheiließ sie das 275 1893 in Karlsruhe gegründete erste deutsche Mädchengymnasium besuchen. Das neue Jahr- hundert brachte für Frauen in Baden auch die Zulassung zum Studium. und Rahel Gotein nahm in Heidelberg als erste Frau an einer deutschen Hochschule das Medizinsrudium auf. Wie ungewöhnlich das war. mag die Reak- tion ihres Freundes Elis Straus verdeutlichen. der rundheraus erklärte: "Eine Ärztin kann man nicht heiraten. " Er tat es doch. und das Paar übersiedelte 1905 nach München. Hier eröffnete Rahel Straus 1908 als dritte Ärztin in München und als erste. die an einer deutschen Universität studiert hatee, eine eigene Praxis. Das. wofür die Frauenbewegung im 19. Jahr- hundert gekämpft hatte. wurde für die junge Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts nun Re- alität. 1918 erlangten Frauen auch die politi- sche Gleichberechtigung. Rahel Straus über- nahm in der Münchener Räterepublik die Ver- tretung im Frauenrat und im Geistigen Rar. Die Situation zu Beginn des 20. Jahrhun- derrs stellte sich für Frauen. zumindest der bürgerlichen Schichten. in vieler Hinsicht als Aufbruch dar. Dennoch konnte Rahel Straus nicht das Gefühl Friedrich Schillers ein Jahr- hundert zuvor teilen: "Wie schön. 0 Mensch. mit Deinem Palmenzweige. Stehst Du an des Jahrhunderrs Neige. Wir spürten zu sehr das Gärende. das kommen wollte und das unter der Decke schwelte.". erinnerte sie sich später. Die alte Weltordnung war brüchig gewor- den. Dies bot nicht nur Chancen für positive Entwicklungen. z. B. hinsichtlich der Frauen- emanzipation, sondern setzte durchaus auch negative Kräfte frei. Die Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung des national erstarkten Deutschland wurde durch den Ersten Welt- krieg zunichte gemacht. und die Enttäu- schung über den ausbleibenden Blitzsieg führ- te zu einer Verschärfung des Antisemitismus. Als Rahel Straus 1917 vor dem Kreis ehemali- ger H eidelberger Mitstudentinnen über Zwei- fel am Krieg und die Überbetonung männli- cher Werte in Kriegszeiten sprach. sah sie sich auch hier mit dem Misstrauen gegenüber der patriotischen Loayalität der Juden konfron- tiert. Die ehemaligen Weggenossinnen waren der Meinung. dass sie als Jüdin anders zum Vaterland stünde als die anderen. Als der Krieg vorbei war. engagierte sich Rahel Straus in der neu gegründeten "Womens International Zionist Organisation" (WIZO) und im Jüdischen Frauenbund. Die Verbin- dungen zu nicht jüdischen Frauenorganisatio- nen wurden mit dem Anwachsen der völki- schen Bewegung jedoch zunehmend belastet. "Wir hatten große Sehnsucht nach Ruhe. Frie- de und Ordnung.". erklärte Rahel Straus spä- ter die Tatsache. dass sie das Anwachsen des Antisemitismus zwar wahrnahmen, jedoch darüber hinweg zu gehen suchten. Nach der nat ionalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 und dem wenige Monate darauf 276 folgenden Tod ihres Ehemanns fasste sie schließlich den Entschluss, das Land zu verlas- sen. Mit Unterstützung ihrer ältesten Tochter Isa und deren Ehemann gelangten Rahe! Straus und die jüngeren Kinder nach Palästina. Eine Pionierin der Frauenbildung und -berufstätig- keir ging Deurschland verloren, doch ihr Le- ben war gerettet. Rahel Straus, deren Haupt- augenmerk auch in Palästina der Situation von Frauen galt, starb 1963 im Alter von 83 Jahren. BARBARA GUTTMANN Franz von Roggenbach 1825 -1907 War er eine Alternative zu Bismarck? Und wäre - so heutige Historiker - unter seiner Kanzlerschaft ein anderer Weg beschritten worden als jener, der die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts für uns so verhängnisvoll werden ließ? Vor 175 Jahren am 25. März 1825 als Sohn des Regimentskommandeurs in Mann- heim geboren, studierte er Jura in Heidelberg, wo die Historiker Gervinus und Schlosser sein politisches Interesse weckten. Nach Ausbil- dungsabschluss 1848 wurde er "durch den wunderlichsten Zufall" im Außenministerium der damaligen Reichsregierung angestellt, und so erlebte er auch das Paulskirchenparlament aus nächster Nähe. Seitdem begleiteten ihn Zweifel "angesichts einer nie ruhenden Dem- agogie" und der "Unfähigkeit großer Ver- sammlungen" . Nach Übertritt in den badischen diploma- tischen Dienst 1849 begann er in Berlin erste Kontakte zu knüpfen, die er auf Bildungsrei- sen vertiefte. Für die liberalen Fürstenhäuser wie Nassau, Oldenburg, Weimar, Coburg u. a. wurde er ein engagierter Berater, weil für ihn der Weg zum nationalen Staat nur über diesen liberalen Konstitutionalismus fuhren konnte. Kleindeutsch gesinnt, erhoffre er sich von der Neuen Ära 1858 in Preußen einen mutigen Schritt für ein Fürstenbündnis. Auch in Baden waren seit 1856 Liberale in die Regierung be- rufen worden. Mit dem ihm freundschaftlich verbundenen Großherzog Friedrich I. entwarf Roggenbach einen Reformplan für die "Verei- nigten Staaten von Deutschland" unter Aus- gliederung Österreichs, dessen Besitzstand garantiert werden sollte. Die gemeinsamen Beratungen mit Friedrichs Schwiegervater Wilhe1m I. durchkreuzte aber Bismarck, den angesichts des Verfassungskonflikts Wilhe1m 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannte. 277 Roggenbach, seit 1861 badischer Außen- minister - auf ein Gehalt verzichtete er - for- derte, dass das Bismarcksche System "scho- nungslos angegriffen" werden müsse, und der Hass gegen den "gewissenlosen Menschen" und "grundsatzlosen Junker" begleitete sein politisches Wirken. Aber schon 1865 sah er sich als Vertreter eines Mittelstaates eingeengt, und Friedrich musste auf seinen Antrag seinen "Herzensminister" entlassen. Den Krieg gegen Frankreich 1870 bejahte er freilich wie den Deutschen Krieg 1866 und er "zitterte nur vor Pfuscharbeit". Im Hauptquartier des preußi- schen Kronprinzen entwarf er radikale Annek- tionspläne zur Auflösung Frankreichs in föde- rative Provinzen und eine vorgeschobene Grenze von Belgien bis zur Schweiz. Die Posi- tion eines Statthalters für Elsaß-Lothringen schlug er unter einem Kanzler Bismarck aus. Dafür reorganisierte er als Kurator 1871/72 die Universität Straßburg und war Mitglied des Reichstags. Die Schärfe des Kulturkarnp- fes - wie in Baden - missfiel dem liberalen Ka- tholiken, und er sparte sich "für bessere Zeiten auf'. Diese erhoffte er sich im Kontaktkreis mit Kronprinz Friedrich als künftigem Kaiser, wobei er vor allem eine intensive politische Korrespondenz mit Augusta, Gattin Wllhelms 1., führte, die Roggenbachs Gedanken immer wieder. teils wörtlich übernommen, vortrug. Als 1888 Friedrich III. starb, waren Rog- genbachs Pläne zerbrochen, denn Wilhe1m Il. brauchte ihn nicht. Dessen Regime galt bald seine Kritik im Briefverkehr mit Entschei- dungsträgern, die für ihn mehr bedeuteten als der Parlamentarismus, den er gerade in seiner englischen Form ablehnte. 1907 starb der "Staatsmann ohne Staat", wohl zwiespältig und die Realitäten der Macht oft verkennend, aber ohne persönliches Machtstreben und vol- ler Ahnungen, wohin Deutschland im 20. Jahrhundert treiben würde. LEONHARD MüLLER Wilhelm Eiseniohr 1799 -1872 In der Geschichte det Physik hat der Professor am Karlstuhet Polytechnikum einen Namen, denn die von ihm 1854 als ultraviolettes Licht bezeichneten kurzweiligen Strahlen mit ihrer Fähigkeit, Fluoreszenz zu erregen, konnte er etstmalig anhand eines von ihm erfundenen Verfahrens in ihrer Wellenlänge messen, und dies fand bei den Physikern besondere Auf- merksamkeit. Eine gleiche Beachtung gilt hier dem leh- rer. 1799 in Pforzheim geboren, wuchs der Sohn eines Obervogts in Durlach auf. Die frü- he Halbwaise wollte nach Lateinschulbesuch Schreiber werden, um die alleinerziehende Mutter zu unterstützen. Autodidaktisch er- warb er den Hochschulzugang und studierte 1817 Kameralwissenschaften und Mathema- tik in Heidelberg. Dem brillanten Zwanzig- jährigen wurde bereits 1819 eine Stelle für Mathematik und Physik am Mannheimet Lyceum angeboten, die er mit Erfolg 21 Jah- re wahrnahm. Berichtet wird, dass der begeis- terte Lehrer auf einem Ausflug seinen Schü- lern in einem Gasthaus mit seiner Stentor- stimme den pythagoreischen Lehrsatz anhand eines Stückes Käse erläuterte. Ein unbekann- ter, zuhörender Gast erwirkte später die Erhö- hung der Besoldung des Professors um 200 Gulden. Es war der Innenminister. EisenIohr war mittlerweile auch Gewerbeleh- 278 rer geworden. Er erwarb sich hohe Verdienste um den Aufbau der neuen Schulart. wo er. wie damals üblich. abends und Sonntagfrüh Un- terricht hielt und als Beirat bei der Aufsichts- behörde für Gewerbeschulsachen diente. 1840 wurde er an das Karlsruher Lyceum berufen und im Nebenarnt zu Vorlesungen am Polytechnikum verpflichtet. Seine Hauptsor- ge war die Einrichtung eines physikalischen Kabinetts. Dass er diese anfangs aus eigenen Mitteln bestritt. forderte das Ministerium heraus, einen ansehnlichen Staatszuschuss zu zahlen. Auch seine Vorlesungen. seit 1855 ganz dem Polytechnikum zugeordnet. dehnte er freiwillig bis zu 12 Stunden aus und schuf mit seinem Laboratorium erstmals Übungs- plätze für seine Physikstudenten. "Seine Be- geisterung" so eine Biographie. "entzündete den göttlichen Funken in der Brust der Jüng- linge." 1836 verfasste er das erste Physiklehr- buch. das nicht auf französischen Vorbildern fußte. 1876 in 11. Auflage erschienen. Neben dem industriellen Nutzen der Physik. so heißt es im Vorwort, wirkt sie "aber ebenso wohltä- tig auf unser religiöses und moralisches Ge- fühl. Durch sie lernen wir überall die Weisheit und Größe des Schöpfers bewundern." Verdienstvoll für das Polytechnikum war nicht nur seine enge Zusammenarbeit mit Di- rektor Ferdinand Redtenbacher. sondern auch der Kontakt zum Großherzog Friedrich 1.. der mit Ehefrau Luise sein physikalisches Kabinett besuchte. 1858 fand in Karlsruhe die 34. Ver- sammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte statt. zu deren Vorsitzendem Eiseniohr gewählt wurde. ein Kulminationspunkt in sei- nem Leben. Im Nachhall gründete er 1859 auf Wunsch seines Fürsten den "Verein für wissen- schaftliche Belehrung". dem er zehn Jahre vorstand. Den regelmäßigen Vorträgen. für die er bedeutende Köpfe der Wissenschaft gewin- nen konnte. wohnte der Großherzog fast re- gelmäßig bei. Mit seinen populärwissenschaft- lichen Schriften konnte EisenIohr neben sei- ner großen Redekunst zunehmend nicht nur viele Studenten. sondern auch weite Kreise der Bevölketung für den Erlebnisbereich "Physik" gewinnen . Der Dank blieb nicht aus. Mit hohen Orden und dem Titel Geh. Rat II. Klasse geehrt. mit den Ehrendoktorhüten der Universitäten Freiburg und Basel ausgezeich- net. gehörte er zu den eindrucksvollen Köpfen des Polytechnikums. Neben seiner Neigung zu Kunst und Literatur - Dante und Shakespea- fe las er in der Ursprache - interessiene er sich auch politisch. Im Ruhestand seit 1865 war er nicht min- der rührig. bis er 1872 an einem Herzleiden starb. Der Band. in welchem er Shakespeares dramatische Dichtungen zu lesen pflegte. ist ihm auf seinen wiederholten Wunsch in den Sarg gelegt worden. LEONHARD MüLLER 279 Margarethe Hormuth-Kallmorgen 1857-1916 Margarethe Hormuth war Mitglied der Gröt- zinger Malerkolonie. Sie wurde 1857 in Hei- delberg geboren. Aus einer bürgerlichen Fami- lie stammend, erhielt sie die Ausbildung einer höheren Tochter im Mädchenpensionat. Auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung hatte sie die Chance, eine Berufsausbildung zu ma- chen, doch durch ihre Geschlechtszugehörig- keit waren dem Grenzen gesetzt. Sie wollte Malerin werden, aber an der Akademie, dem klassischen Ausbildungsort der bildenden Künstler, waren Frauen damals nicht zugelas- sen und so musste sie Privatunterricht neh- men. 1878 wurde Margarethe Privatschülerin des Porträt- und Historienmalers Ferdinand Keller. Während man an den Akademien die Fächer Historien-, Porrrät-, Genre- und Land- schaftsmalerei lehrte, wurden die Frauen allein in Blumenmalerei unterrichtet. Obwohl sich Margarethe, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, auf Blumenmalerei spezialisier- te, ist das Vorbild des Lehrers deutlich in ihren Arbeiten spürbar. Die Staffagen seiner großen historischen Szenen. wie ein roter Samtvor- hang, eine kupferne Vase und die üppigen Blüten der Pfingstrosen werden bei ihr zum alleinigen Bildinhalt, wobei sie die Stofflich- keit der Gegenstände hervorragend in Malerei umsetzte. Gestalterisch blieb sie immer der Kunst der Gründerzeit verhaftet. Bereits im ersten Jahr ihrer Malerinnenaus- bildung lernte sie den Kunststudenten Fried- rich Kallmorgen kennen. Bald wurde sie zur wichtigsten Ratgeberin für den jungen Maler: "Ich will keine Frau sein, die mit ein bissehen süßem Geschwätz den Mann unterhält, ihm ein kostbares Spielzeug isr - oh nein - ich als Frau von einem Künstler will vollen Anteil an seinen Werken haben, ich will die anregende, fördernde Kraft sein. Mit mir, durch mich." Erst nachdem gesichert war, dass Friedrich Kallmorgen mit dem Verkauf seiner Gemälde eine Familie ernähren konnte, erlaubte sein Vater die Hochzeit, die am 10. September 1882 stattfand. Doch weder die Heirat noch die Geburt der beiden Kinder hinderten Margarethe am Malen. Nachdem im Sommer 1883 der Sohn Walther zur Welt gekommen war, zog Marga- rethes Schwester Anna zu der jungen Familie. Sie kümmerte sich um den Haushalt und die Familie. Bis zur Geburt der Tochter Helene war Margarethe Schülerin von Ferdinand Kel- ler. Sie erhielt Aufträge für Gemälde, sie be- schickte regelmäßig Ausstellungen, wo ihre Arbeiten meist auch verkauft wurden, und seit 280 1884 unterrichtete sie immer wieder Privat- schülerinnen. Margarethe war nach Kräften bemüht, mit ihrem Verdienst das Haushalts- geld aufzubessern. Dabei teilte sie ihre Zeit ge- wissenhaft ein: ,,Abends strickend, morgens malend, nachmittags Frau für alles'" wie sie 1885 ihre Situation beschrieb. Die künstleri- schen Erfolge Friedrich Kallmorgens ermög- lichten es dem Paar, 1889 in Grötzingen das "Haus Hohengrund" als Wohnsitz für den Sommer zu bauen. Margarethe entwickelte, wegen der langen Abwesenheit ihres Gatten, der als Landschaftsmaler zahlreiche Reisen un- ternahm, große Selbständigkeit. Unterstützt von ihrer Schwester Anna hatte sie bereits 1889 das Richtfest des Hauses ohne ihren Mann bestreiten müssen. Darüber hinaus ar- beitete sie beständig an ihren eigenen Werken - in einem Nordzimmer. das ihr als Atelier diente, und gelegentlich auch im Garten. Wie ihr Ehemann hielt auch Margarethe den Kon- takt zu den Kollegen und Kolleginnen in Karlsruhe. 1898 wurde sie in den Vorstand des Karlsruher Malerinnen-Vereins berufen. Von 1900 bis1902lehrte sie Blumen- und Stillle- benmalerei an der Malerinnenschule in Karls- ruhe. Mit der Berufung ihres Mannes zum Professor an die Berliner Akademie und dem Umzug in die Reichshauptstadt erlahmte die künstlerische Schaffenskraft der 46-jährigen. BRIGITTE BAUMSTARK Melitta Schäpf 1901-1989 Am 27. Januar 2001 jährt sich der Geburtstag einer außergewöhnlichen Karlsruherin zum hundertsten Male. Melitta Schöpf wurde 1956 als erste FDP-Frau in den Karlsruher Stadtrat gewählt. Im selben Jahr kandidierte sie für ihre Partei auch zu den Landtagswah- len. Für eine Frau in den 50er Jahren schlug sie damit ungewöhnliche Wege ein. In ganz Baden-Württemberg befanden sich unter ins- gesamt 350 Erstkandidaten nur elf Frauen, in Karlsruhe war sie die einzige Kandidatin. Me- litta Schöpfs gesellschaftspolitisches Enga- gement hatte Familientradition. 1901 in Mos- bach geboren, wuchs sie in der Karlsruher Weststadt auf und besuchte das Lessinggym- nasium am Gutenbergplatz. Im Elternhaus wurden, besonders von mütterlicher Seite her, demokratische Traditionen lebendig erhalten und weitergegeben. Urgroßvater und Urgroß- onkel hatten sich an den revolutionären Auf- ständen 1848/49 in Baden beteiligt und wa- ren nach deren Niederschlagung in den Kasse- matten von Rastatt inhaftiert. Melitta Schöpf entschloss sich, nach Beendigung von Natio- nalsozialismus und Zweitem Weltkrieg in die FDP zu gehen, weil sie dort Ideale wie Indivi- dualismus und Freiheit des Denkens groß ge- schrieben sah. Den Anstoß, politisch aktiv zu werden, gab für sie jedoch die Frage der Gleich- berechtigung der Frau. Es war schließlich die Freundschaft mit Dr. Marie Elisabeth Lüders, die bereits in Kaiserreich und Weimarer Repu- blik in der Frauenbewegung führend gewesen war und nun für die FDP im Bundestag saß, die Melitta Schöpf 1953 in die liberale Partei führte. 1955 übernahm sie den Vorsitz der Karlsruher FDP-Frauengruppe, und auch im Landesfrauenausschuss der Partei war sie ver- treten. Dies alles war für die Gattin des Inha- bers eines bekannten Karlsruher Modege- schäfts durchaus ungewöhnlich. Seit 1931 war sie mit dem Kaufmann Karl Schöpf verheira- 281 tet. Ihrer Tochter wurde sie in ihrem vielfaIti- gen politischen und sozialen Engagement so- wie ihrem Einsatz für die Gleichberechtigung der Frau zum Vorbild. Melitta Schöpfs politische Arbeit be- schränkte sich keineswegs auf Frauenfragen. Sie wurde bald als stellvertretende Vorsitzende in den Vorstand der Karlsruher FDP gewählt und in den Ausschuss für Gewerbepolitik der Bundespartei entsandt. Auch in ihter Tätigkeit als Stadträtin deckte sie ein breites Spektrum an Themen ab. Ob es nun um die Beleuch- tung des Marktplatzes, die geplante Auflösung der gynäkologischen Abteilung im städtischen Krankenhaus, die Überbelastung der Polizei oder Sicherheit im Straßenverkehr ging, Me- litta Schöpf vertrat stets engagiert ihre Über- zeugung. Ende der 60er Jahre setzte sie sich vehement gegen den vollständigen Abbruch des im Krieg beschädigten Ständehauses ein. Dies war ihr nicht alleine ein baugeschichtli- ches und ästhetisches Anliegen, vielmehr woll- te sie das alte Ständehaus als bedeutendes Zeugnis der liberalenVerfassungsgeschichte Badens erhalten sehen. Die Frau, der die Überlieferung demokratischer Traditionen ein wichtiges Anliegen war, war gleichzeitig mit ihren Ideen oft ihrer Zeit voraus. Manches, wofür sie sich einsetzte, hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Bereits 1968 sah sie in der Ganztagsschule die Schule der Zukunft und schlug vor, Schulhausneubauren im Hin- blick darauf zu planen. Neben der Arbeit in Partei und Stadtrat fand Melitta Schöpf noch Zeit und Kraft, sich vielfältig gesellschaftlich und sozial zu engagieren. All ihre Aktivitäten und Funktionen im Einzelnen zu benennen, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Erwähnt sei, dass sie u. a. stellvertretende Vor- sitzende des Deutsch-Evangelischen Frauen- bunds war. Kirchenälteste sowie stellvertreten- de Vorsitzende des Kreisvereins Karlsruhe des Roten Kreuzes. 1967 wurde Melitta Schöpf für ihre Verdienste im Bereich der Kommunal- politik, der Frauenarbeit und des Sozialwesens das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. 1975 ehrte die FDP sie mit der Thomas-Deh- ler-Medaille. Die engagierte Politikerin ver- starb am 26. Februar 1989. BARBARA GUTTMANN 282 Gustav Zimmermann 1888-1949 "Dieser Tod ist wahrlich eine bittere Überra- schung für uns alle" schrieb Landtagspräsident Wilhe1m Keil dem hessischen Ministerpräsi- denten Christian Stock am 13. August 1949. "Wir haben einen guten Kameraden und ich persönlich einen rreuen Freund verloren". Der plötzliche Hetztod des SPD-Politikers Gustav Zimmermann erschütterte damals zahlreiche Weggefährten, zumal der Verstorbene eine Aura der Vitalität hatte, die Gedanken an Krankheit und Tod gar nicht aufkommen ließ. Gustav Zimmermann wurde am 2.12.1888 in Liedolsheim bei Karlsruhe geboren. Er war Mechaniker und Seemann, bevor er um 1910 zum Journalismus kam. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er schwer verwundet wur- de, war Zimmermann Redakteur sowie Ver- lagsdirektor und stand als stellvertretender Landesvorsitzender mit an der Spitze der badi- schen SPD. Von 1920 bis 1933 Stadtrat und SPD-Fraktionsvorsitzender in Mannheim, er- lebte Zimmermann 1933 die Entlassung aus allen Ämtern durch die Nationalsozialisten. Als führender badischer Sozialdemokrat be- fand er sich 1933 auch in "Schutzhaft" im KZ Kislau. Nach der Entlassung ernährte Zimmer- mann seine Familie als Geschäftsführer einer Papierwarenfabrik und als Handelsvertreter. Wegen Verbreitung eines verbotenen Presseor- gans saß er später erneut für drei Monate im Gefängnis. Nach dem Untergang des "Dritten Reiches" wurde der politisch Unbelastete im Spätfrühjahr 1945 von der US-Militärregie- rung in Mannheim zum Ersten Bürgermeister ernannt. Doch höhere Aufgaben warteten auf ihn: Im September 1945 berief ihn der Präsident des Landesbezirkes Baden im neugegründeten Land Württemberg-Baden Heinrich Köhler, zum Landesdirektor des Inneren und zu sei- nem Stellvertreter. Damit fand Zimmermann einen neuen Lebensschwerpunkt in Karlsruhe, wo die den Landesministerien in Stuttgart beigeordneten Landesdirektionen angesiedelt waren. Er war gewissermaßen für Nordbaden Stellvertreter des Innenministcrs von Würt- temberg-Baden. Als einer der Mitarbeiter am demokratischen Neubeginn im deutschen Süd- westen schrieb er sich in die Nachkriegsge- schichte ein. Schon im Januar 1946 wurde er Mitglied der Vorläufigen Volksvertretung in Stuttgart. Im Sommer des gleichen Jahres erfolgte seine Wahl in die Verfassungsgebende Landesver- sammlung von Württemberg-Baden und zum Erstem Vizepräsidenten. Bei der Erarbeitung 283 der Verfassung des Landes Württemberg-Ba- den leistete Zimmermann im Verfassungsaus- schuss Grundlegendes. Auch im Landtag von Württemberg-Baden. dem er für den Wahl- kreis Mannheim angehörte. nahm Zimmer- mann die Aufgabe des Ersten Vizepräsidenten wahr. Sein parteiübergreifendes Ansehen. sei- ne Konzilanz und sein großer Sachverstand führten im Sommer 1948 zur Wahl in den Parlamentarischen Rat. Er war Mitglied des Hauptausschusses und zählte neben dem mit ihm eng befreundeten Carlo Schmid zu den Sozialdemokraten. die entschieden für Kom- promisse mit den Konservativen, vor allem mit der CDU /CSU. eintraten und damit das Grundgesetz überhaupt erst ermöglichten. Während sich Zimmermann in Karlsruhe. Stuttgart und Bonn engagierte und die Arbei- ten am Grundgesetz in eine Krise gerieten, starb Heintich Köhler. der Präsident des Lan- desbezirks Baden. Als Stellvertreter war Zim- mermann der gegebene Nachfolger. Der 60- jährige fragte sich. ob er auch diese Last noch würde schultern können. Aber er verschloss sich den lauten Rufen nicht und trat das Prä- sidentenamt an. Zunehmend machten sich Folgen der Ent- behrung und der psychischen Belastung aus der Zeit vor 1945 bemerkbar. Zimmermann litt unter einer schweren Herz- und Bronchi- enerkrankung, die er nicht auskurieren konn- te. Im Sommer 1949 bekam er eine Lungen- entzündung, von der er sich zu erholen schien. Eine plörzlich auftretende Embolie führte am I. August 1949 im Neuen Vinzentius-Kran- kenhaus in Karlsruhe seinen Tod herbei. FRANK RABERG Johann Georg Schlosser 1739 -1799 Als einer der "merkwürdigsten" badischen Be- amten wird er in einer Würdigung charakteri- siert. Vielleicht weil er. geboren 1739 in eine Familie der Oberschicht zu Frankfurt. sich immer als "Republikaner" einer freien Reichs- stadt empfand. dem Adel gleichwertig wie sein Schwager Goethe. Nach Rechtsstudium. kurze Zeit Geheim- sekretär. später als Advokat in Frankfurt. trat der Sprachkundige als Übersetzer und Verfas- ser philosophischer Beiträge literarisch hervor. Als er 1773 Goerhes Schwester Cornelia hei- raten wollte, verlangte deren Vater, dass er eine gefestigte Position samt Titel vorweisen solle. Schlossers Interesse galt der badischen Verwal- tung. die ihm als vorbildlich und Markgraf Friedrich als "einer der hervorragendsten Ver- 284 treter des aufgeklärten Absolutismus" erschien. Jener kannte Schlossers "Katechismus der Sit- tenlehre für das Landvolk" und stellte ihn als Hof- und Regierungsrat in das Hofratskollegi- um ein, das Regierungsfunktionen wahrnahm. Nach kurzer Zeit in Kar!sruhe, "schroffe Redlichkeit" machte ihn hier unbequem, zog er mit seiner Frau Cornelia nach Emmendin- gen als hochbezahlter Oberamtsverweser der Herrschaft Hochberg, eine der sücllichen badi- schen Exklaven neben Rötteln und Badenwei- ler. Während die an Frankfurter Geselligkeit gewöhnte Cornelia sich in diesem Ackerbau- städtchen, fern von ihrem geliebten Bruder, sehr unglücklich fühlte, fand Schlosser als oberster Beamter das richtige Betätigungsfeld. Die Verweser verkehrten direkt mit dem Hof- kollegium, waren sie doch für die Polizeige- walt, die Schul- und Kirchen- und Finanzsa- chen, die untere Gerichtsbarkeit und die Ge- werbeaufsicht zuständig. Wenn der Hofrat unter dem "unverbesserlichen Besserwisser" auch litt, denn der Fürst gewährte ihm stetig seine Gunst, so entwickelte sich unter der flei- ßigen, akuraten Verwaltung Schlossers diese Zwergresidenz auf allen Gebieten ganz vorzüg- lich. Seine schriftstellerischen Produktionen ruhten nicht, und Freundschaften mit Litera- ten in der Schweiz, im Elsass und anderswo pflegte er durch reichen Briefwechsel. Der ra- sche Tod der 27 -jährigen Cornelia 1777 nach einer zweiten Geburt und depressivem Dasein war ein harter Schicksalsschlag. Nach 13 Jah- ren in Emmendingen bat er 1787 um eine Stelle "an der er nicht reden dürfte bis man ihn fragt". Kar! Friedrich berief ihn als Geh. Hof- rat nach Karlsruhe, und die Reaktion Schlos- sers war: "Ich lebe so frei wie in Frankfurt. Mein ganzer Zwang besteht darin, dass ich alle Tage einen Haarbeutel und Schuhe und Strümpfe trage." In seinem Wirken ging er, der die "Politik" des Aristoteles als erster ins Deut- sche übersetzt hatte, von einer Gewaltenteilung aus. In vielem der Tradition zwar verbunden, so für die Erhalrung der Ständegesellschaft und der Zünfte, war er schon 1783 vom Kaiser Joseph II in eine Kommission zur Verbesse- rung des österreichischen Rechts berufen wor- den. Jetzt forderte er entschieden die Unab- hängigkeit des Hofgerichrs vom Hofrat, quasi der Exekutive, und dem Fürsten, quasi der Le- gislative. 1790 wurde das eigene Hofgericht ge- schaffen und Schlosser zum Direktor bestellt, obgleich der Markgraf letztlich sters den Adel bevorzugte, aber auf einen solchen "Gelehrten und Mann von Genie" nicht verzichten wollte. 1794 wollte Schlosser aus dem badischen Staatsdienst ausscheiden. Er nahm Anstoß am Eingriff des Markgrafen in die Justiz in Sachen eines hochverschuldeten französischen Asylan- ten, für die das Herz des Fürsten in der Revo- lutionszeit schlug. Hier sah er einen groben Verstoß gegen den von ihm immer wieder ver- tretenen Gerechtigkeitssinn. "Mein Herr ist der liebste Mann, den ich kenne, aber er ist unthätig", und damit meinte er: vom Hofstaat absorbiert, der nur den "Hofblick" kannte. Als unabhängiger Geist, seit 1798 Syndikus im Frankfurter Magistrat, 1799 gestorben, war er ein aufgeklärter Begleiter, ja Wegbereiter eines Monarchen an der Schwelle zum bald libera- len Baden des 19. Jahrhunderts. LEONHARD MÜLLER 285 Rahel Varnhagen 1771-1833 "Hier bin ich noch mit niemand, als wär's mei- nesgleichen", schrieb Rahel Varnhagen im De- zember 1816 an einen Freund, nachdem sie ein halbes Jahr als Ehefrau des preußischen Ge- sandten am badischen Hof, Karl August Varn- hagen, in Karlsruhe gelebt hatte. In die Litera- tur- und Geschichtswissenschaft ging Rahel Vamhagen ein als Betreiberin der wohl bedeu- tendsten Berliner Salons in den Jahrzehnten um 1800, in denen sich der gebildete Adel mit Vertretern des Bürgertums zu stände- und kon- fessionsübergreifendem Gedankenaustausch traf. Zudem hinterließ sie ein umfangreiches Briefwerk, sie korrespondierte im Laufe ihres Lebens mit rund 300 Menschen. Dennoch umgab sie immer eine Einsamkeit, die mit ih- rer Herkunft und ihrem Wesen zusammen- hing. Es stellt sich die Frage, mit wem Rahel hätte so sein können, als wär's ihresgleichen? Sie kam am 19. Mai 1771 als ältestes Kind des jüdischen Kaufmanns Markus Lewin und seiner Frau Chaie in Berlin zur Welt. 1790 begann sie in der Dachstube ihres Elternhau- ses ihren ersten Salon zu etablieren. 1806, als sich im napoleonisch besetzten Preußen der Nationalismus verbreitete, musste sie ihn schließen, denn nun traf man sich nicht mehr bei einer Jüdin. Der deutsche Nationalstolz zeichnete sich von Anfang an durch eine Ab- weisung der Juden aus. 1814 heirate re sie den 14 Jahre jüngeren Karl August Vamhagen, nachdem sie vorher zum christlichen Glauben übergetreten war. Mit ihm lebte sie ab 1816 in Karlsruhe, bis er 1819 von seinem Amt abberufen wurde. Das Ehepaar ging zurück nach Berlin, wo Rahel ihren zweiten Salon eröffnete. Sie starb 1833. In ihren Karlsruher Jahren vermisste sie vor allem die gelehrte Geselligkeit. Sie schrieb: "Karlsruhe ist ein schöner, unbequemer Ort. Die Unbequemlichkeit liegr in der Prätention eines großen, ohne dessen Ressourcen zum Nutzen und Vergnügen, und in der Be- schränktheit und dem Stagnierenden eines kleinen. ( ... ) Kurz, es fehlt den Personen, die sich sehen könnten, eine volle Stadt als Unter- lage und Grund ihrer Gesellschaften.« Auch stieß das Ehepaar aus Preußen wohl auf Vor- behalte seitens der Residenzstadtbewohner. Der Karlsruher Chronist Friedtich Weech stellte noch 1885 fest: "Doch fand der spezi- fisch norddeutsche Zuschnitt ( ... ) nicht gera- de vielen Anklang bei dem Karlsruher Adel . Mit den Beamten- und Bürgerkreisen hatte das geistreiche Gebahren ( ... ) so gut wie gar keine Berührung." Erschwerend kam füt Ra- hel hinzu, dass sie als geborene Jüdin bei Hofe nicht geladen wurde. 286 Hinzu kam die Erkennrnis. dass sie als Ehefrau in ihrer Bewegungsfreiheit stark ein- geschränkt war. Die Erfahrung. dass sie nur etwas galt in Bezug auf ihren Mann. war für sie neu und unangenehm. So schrieb sie 1819 an ihre Schwester: "Es ist Menschenunkunde. wenn sich die Leute einbilden, unser Geist sei anders und zu anderen Bedürfnissen konsti- wiert, und wir könnten zum Exempel ganz von des Mannes oder Sohnes Existenz mit- zehren." Dennoch zählten die Karlsruher Jahre zu den glücklichsten ihres Lebens. da sie erstmals - abgesehen von der Abweisung des Hofes - nicht mehr unter den Kränkungen ihrer frü- heren Jahre litr. Ihr war der gesellschaftliche Aufstieg von der an den Rand gedrängten J ü- din zur Gattin des preußischen Gesandten gelungen. Die Verkündung der badischen Ver- fassung 1818. an die sich die Hoffnung auf eine gesamtgesellschafdiche Emanzipation auch der jüdischen Minderheit knüpfen konnte. erlebte sie wie ihr Mann mit großer Freude. Die judenfeindlichen Hep-Hep-Stürme von 1819 erschreckten sie dann bis in den Her- zensgrund. Sie behielt nämlich trotz ihres ge- sellschaftlichen Aufstiegs und ihres Übertritts zum Christentum ein Gespür für das Inhuma- ne einer Gesellschaft. die bestimmte Gruppen ausschließt oder abwertet. So meinte sie am Ende ihres Lebens. dass sie ihre Herkunft um keinen Preis mehr missen wollte. SUSANNE ASCHE Hilda von Baden 1864-1952 - Am 3. Mai 1885 schrieb Erbgroßherzog Fried- rich an seinen Bruder Ludwig: "Ich kann Dir nur wünschen. dass Du auch einmal so glück- lich wirst. wie ich es bin. und eine solche Per- le findest, wie mir sie in meiner Hilda von Gott geschenkt worden isr." Eine Liebesheirat. doch politisch geplanr. Denn Großherzog Friedrich I. kümmerte sich nicht nur intensiv um die Schul- und Universitätsausbildung wie um die militärische Laufbahn des Thronfol- gers. sondern auch um die Wahl der Schwie- gertochter. bei der sich sogar die englische Königin Viktoria. beka nnt für den europäi- schen Heiratsmarkt. einmischte. Nach einigen Absagen nahm Friedrich I. vorsichtig Verbin- dungen mit Herzog Adolf v. Nassau auf. der im Krieg 1866 von den Preußen aus seinem Land verjagt worden war. Eine Verbindung von dessen Tochter Hilda mit dem Enkel Wil- helms I. hätte also eine positive Entwicklung geschaffen. Vorsichtig sollte der Erbprinz sei- ne politischen Standpunkte beim ersten Be- such darlegen. Aber das war nicht nötig. "denn der Mensch denkt und Gott lenkt" notierte Adolf v. Nassau. seit 1890 Großher- zog v. Luxemburg. und bald begannen "unbe- schreiblich glückliche Tage". als am 26. Sep- tember 1885 das junge Paar in Karlsruhe ein- zog. Die Ehe blieb leider kinderlos. "ein schmerzliches Entbehren". Hilda betreute auf- opferungsvoll den seit seiner Jugend an Ge- lenkrheumatismus leidenden Gatten. der in seiner Offizierslaufbahn öfter aussetzen muss- te. Sie begleitete ihn an verschiedene Standor- tc, vor allem nach Berlin mit Kontakten zum HofWilhe1ms 11.. dessen schnoddrigen Gar- deleumantsjargon Friedrich bei seinem Vetter gar nicht schätzte. 1902 schied er aus dem 287 Dienst, da Wilhelms Militärkabinett seine Ernennung zum Kommandierenden General in Baden ablehnte. weil man u. a. "den jungen süddeutschen Fürsten mit partikularistischem Untergrund" misstraute - so auch dem Würt- temberger und dem Bayer. In Karlsruhe bezo- gen Friedrich und Hilda das neuerbaute Palais, heute Sitz des Bundesgerichtshofs, in dem sie auch blieben, als der Vater 1907 starb und Mutter Luise, die Kaisertochter. im Schloss residierte. Hilda "nahm das in ihrem beschei- denen Sinn gerne hin, , .. anerkannte sie doch rückhaltlos die überragende Größe der bishe- rigen Landesmutter". Beim Badischen Frauen- verein, der unter Luise eine bedeutende Leis- tungskraft gewonnen hatte, musste Hilda im "liebevollen Wetteifer" mit der repräsentati- onsgewohnten Schwiegermutter eine "ausge- prägte Selbstbeherrschung" zeigen. Im I. Weltkrieg gewann Hilda durch Laza- rerrbesllche. Sorge um Verwundetentranspor- te, Ausbildung von Krankenschwestern und anderes weitere Anerkennung der Bevölke- rung. In den sieben Friedenjahren hatte seit 1907 Friedtich 11. , der nicht die Strahlkrafr seines Vaters besaß, dessen Regierungsprinzi- pieo nur weiterführen können. Das neue Großherzogspaar, das sehr zurückhaltend war, galt manchem als arrogant. Wenn dies auch nicht zutrifft , so machte man sich doch poli- tische Illusionen bis zum Kriegsende. Am 11. November 1918 meinte das Paar nach einem Intermezzo einer kleinen Soldateska fliehen zu müssen. Durch ein Fenster musste man stei- gen samt Murter Luise und Schwester Vikto- ria, Königin v. Schweden, um das im Fasanen- garten wartende Auto zu erreichen, den Kof- fer mit Kronjuwelen vetgessend, den anderntags ein Hofbeamter unterm Busch entdeckte. Erst im Schloss Langenstein, fern vom "roten Mannheim ", fand man eine Blei- be, wo man nach Thronverzicht, anders als andere Fürsten, sich großzügig in den Ab- standsleistungen zeigte. Bei der zunehmenden Erkrankung des Großherzogs, der erblindete, sah Hilda in dessen Pflege ihre ganze Aufgabe. Als ihr Gatte 1928 starb, beging man in Karls- ruhe über alle Parteiungen hinweg eine feier- liche Beerdigung. Hilda wohnte im Freiburger Palais, das 1944 zerbombt wurde. In Baden- weiler verlebte sie, die sich völlig abseits des NS-Regimes gehalten hatte, nun ihre letzten Jahre. Sie war wie ihr Gatte ein tiefreligiöser Mensch, der Vorbildliches leisten wollte, dem die Zeitläufte jedoch die Wirkungsfelder ein- schränkte, die Hilda mit Eifer zu bestellen ver- suchte. LEONHARD MÜLLER 288 Richard Horter 1868 -1942 Der Höhepunkt des politischen Lebens von Richard Horter lag zweifellos in der Revoluti- onszeit 1918/19. In dem am 11. November in Karlsruhe gebildeten Arbeiterrar wurde er Vor- sitzender, bewerkstelligte tags darauf die Kon- stituierung eines gemeinsamen Vorstandes des Arbeiter- und Soldateneates und sorgte mit für die Verbreiterung des Arbeiterrates durch die Aufnahme christlicher und liberaler Gewerk- schafter sowie von Vertretern anderer Bevölke- rungsgruppen. Daher nannte sich dieser seit Ende November Volksrar. Als Vorsitzender des Karlsruher Arbeiter- und Soldatenrates eröff- nete Horter dessen Vollversammlung mit den Worten: "Dank gebührt den Soldaten, welche durch ihr beherztes Auftreten die dem Volk auferlegten Fesseln sprengten. Jetzt gilt es, das Errungene festzuhalten .... Der Arbeiter- und Soldateneat steht mit ganzer Macht hinter der Volksregierung, um sie in ihrer Reformarbeit zu unterstützen." Horter stammte aus der Lausitz, wo er in Rothwasser am 10. April 1868 geboren wurde. Wie sein Vater erlernte er das Maurerhand- werk. Als 18-Jähriger kam er nach Mannheim, leistete 1889-1891 den Militärdienst und ging dann aufWanderschaft in die Schweiz, nach Österreich und Frankreich. Zurück in Mann- heim engagierte er sich bei der SPD und in der Gewerkschaft. Nach einer Ausbildung an der Berliner Parteischule wurde der Maurer 190 I Bezirksleiter des Bauarbeiterverbandes. Der Weg Horters in der Arbeiterbewegung gleicht dem vieler rhethorisch begabter und organisa- torisch befähigter Funktionäre, die ihren er- lernten Beruf aufgaben und sich in den Dienst der Partei oder Gewerkschaft stellten. Als Leiter des Bauarbeiterverbandes über- siedelte Horter 1912 nach Karlsruhe und setz- te hier seine parteipolitische Aktivität fort. Er trat bei I. Mai-Veranstalrungen als Redner auf und gelangte in den Vorstand des SPD-Orts- vereins. In der mehrheitlich reformistisch ori- entierten Karlsruher Organisation galt er als Sprecher der linken innerparteilichen Oppo- sition. Zeitgenossen bescheinigten dem Parrei- linken, der im Kriege nicht zur USPD wech- selte, eine nüchtern-ruhige Art und eine klare, fast leidenschaftslose Sprechweise. Er habe sich damit in Partei und Gewerkschaften eine brei- te Vertrauensbasis erworben. Dies galt wohl auch für seine rege Tätigkeit im Arbeiterrat, denn er wurde als badischer Delegierter in den Berliner Rätekongress entsandt. Ab Dezember 1918 war er Mitglied des Zentralrats der Deut- schen Sozialistischen Republik. Dieser fun- 289 gierte bis zum Zusammentritt der Deutschen Nationalversammlung im Februar 1919 als Ersatzparlament. Der Zentralrat wirkte bei den wichtigsten politischen Entscheidungen der Reichs- und der preußischen Regierung mit und besaß das Recht, Volksbeauftragte zu ernennen und abzuberufen. Seit 1919 gehör- te Horter zuerst der Badischen Nationalver- sammlung und dann dem Landtag bis 1925 an, wo er 1919-1921 dem Petitionsauschuss vorstand. Außerdem bestimmte ihn die SPD als Arbeitnehmervenreter des Handwerks von 1920-1933 zu einem ihrer Verrreter im Reichswirtschafrsrat. Dieser Rat blieb ein weit- gehend bedeutungsloses Gremium, das unter Beteiligung aller wirtschaftlichen Berufsgrup- pen grundlegende sozial- und wirrschaftspoli- tische Gesetzentwürfe begutachten sollte. Nach dem Ausscheiden aus dem Landtag übernahm Horrer die Bezirksleitung des Ver- bands sozialer Baubetriebe. Die Nazis setzten den 65-Jährigen und seine Familie nach 1933 zahlreichen Schikanen aus bis hin zur Verhän- gung zeitweiliger Schutzhaft, denen er sich durch eine Übersiedlung nach Legelshurst bei Kehl zu entziehen versuchte. Horter srarb dort am 13. Mai 1942, ohne dass seine Verdienste um die Arbeiterbewegung oder um die fried- liche Neuordnung des Sraarswesen 1918/19 gewürdigt wurden. MANFRED KOCH Clara Faisst 1872-1948 "Mit einem Flügel kann man ja nicht fliegen" - dieser Satz stammt nicht etwa von einem Vogelkundler, sondern von der Karlsruher Komponistin C. Faisst. Geboren ist sie in die- ser Stadt am 22. Juni 1872 - gerade vor 130 Jahren - und sie starb hier am 22. November 1948. Als Pianistin, Musiklehrerin und Kom- ponistin sowie als Dichterin wirkte sie in ihrer Heimat. Ihre musikalische Ausbildung erhielt sie zunächst am Großherzoglichen Konserva- torium in Karlsruhe, 1894 ging sie dann zum Studium nach Berlin an die Königliche Hoch- schule für Musik, wo Max Bruch einer ihrer Lehrer war. Seit 1901 ist sie als "Pianistin", später auch als "Tonkünstlerin" im Karlsruher Adressbuch verzeichnet. e. Faisst hat vorwiegend Lieder kompo- niert, u. a. auf Texte von E. Geibel, G. Haupt- mann, L. Uhland sowie auf eigene Gedichte. Viele der Lieder und der rund 10 Orgel- und K1avierwerke sind veröffentlicht. Die Künstle- rin pflegte viele Freundschaften, u. a. zu Hans Thoma, dem Direktor der Kunsthalle in Karls- ruhe, zum Dichter Hermann Hesse, sowie vor allem zu Musikern wie W. Furtwängler, J.Joa- chim und ihrem Lehrer M. Bruch. Eine bis zum Tod der Komponistin andau- ernde Freundschaft bestand mit dem Arzt, Theologen und Musiker Albert Schweitzer. Die Verbundenheit in musikalischen Fragen muss sehr groß gewesen sein. Faisst schrieb am 5. März 1939 an Schweitzer: "Ich vergesse die Stunden nie im Leben, als Sie einmal am späten Abend in mein Zimmer traten und ich Ihnen viele von meinen Liedern spielen u. singen durfte. [ ... ] Wie Sie mir damals zuhörren, u. beim Fortgehen um ein Heft der Lieder baten - das war eine solche Ermutigung und Ehre für mich, für die ich Ihnen immer dankbar bleibe. Das sind seltene Stunden im Leben des Künstlers [ ... ] Gestern las ich in einem Musik- kreis aus Ihrem Bachbuch vor. Ich spielte das 290 Iw. Concerr [von). S. Bach]. Das ist so befrei- end, so lebensstark, so klar, so beglückend froh. Glaubt man, daß dieses Werk vor 200 Jahren entstanden ist? Ach, was ist "Zeit" - rasch enteilend - solche Lebenswerke wie die unserer ganz großen Meister können nie ver- alten, denn sie sagen ja gerade jedem Zeitalter das, was es braucht! [ ... ] Wenn Sie jemals wieder einmal Abends, wie damals, in meinen Musikraum träten, dann würden Sie da zwei Flügel vorfinden, die mir Freunde schenkten. Mit einem Flügel kann man ja nicht fliegen, dazu braucht man schon zwei! Und da mir das Geld zum Reisen fehlr, ich meine zu solchen Reisen, nach denen ich mich sehne - so lasse ich mich von den Flügeln in "ferne Welten" tragen, wo alles groß, harmonisch, rein und erhaben ist. [ ... ] Meine Kunst hat hier eine feste kleine Zu- hörerschar, die ich alle 4 Wochen zur Musik in meine Wohnung lade. Ich pflege die Werke unsrer großen Meister und spiele viel Bach - neben den andern Großen. [ ... ]" Weitere erhaltene Briefe an Freunde zeigen ein eindrückliches Bild der schwierigen Le- bensumstände in Karlsruhe während und nach dem Zweiten Weltkrieg, die schlechte Er- nährungslage und die Probleme beim Behei- zen der Wohnungen in der zu einem Drittel sehr schwer zerstörten Stadt. In diesen Jahren verschlimmerre sich zudem der Gesundheits- zustand der Künstlerin. C. Faisst erlebte zwei Weltkriege. Diese Er- fahrungen und die damit verbundenen Verluste von Angehörigen sowie weitere Entbehrungen haben ihr Leben stark geprägt. Die Musikerin war schwierigen äußeren Umständen ausge- setzt und dennoch fand sie als Kampanistin und ausübende Künstlerin Anerkennung. Erhalten hat sich ihr handschriftlicher und gedruckter Notennachlass in der Badischen Landesbibliorhek. So kann ihr Werk heute wieder neu entdeckt werden. MARTINA REBMAN N Alois Kimmelmann 1886-1946 Im Sommer 1945 wurde AJois Kimmelmann unter Beteiligung der US-Militärregierung zum Wiederaufbau des Schulwesens in die neu konstituierte Unterrichtsverwalrung für Württemberg-Baden in Karlsruhe berufen. In der im selben Jahr veröffentlichten Schrift "Erziehung und Bildung in neuem Geiste" bot 291 der neu ernannte Ministerialrat rückblickend eine erste breitere Nachkriegsanalyse der Erzie- hungsideologie und Schulwirklichkeit der NS- Zeit und umriss sein pädagogisches Leitbild: "Der Geist der Humanität muss hineinstrah- len in die Schulen. Unter Abkehr von den ver- derblichen, verabscheuungswürdigen Irrlehren des Nationalsozialismus. unter Verurteilung der verbrecherischen Taten muß die Schule die Kinder wieder hinführen zur Ehrfurcht vor allem Hohen und Erhabenen, vor der Heilig- keit menschlichen Lebens, und sie bilden zu ( ... ) rechtschaffenen, vernünftigen, religiös- sittlichen Menschen und brauchbaren Glie- dern einer neuen Gemeinschaft." Vierzig Jahre davor hatte es den am 21. Juni 1886 im fränkischen Oberalbach gebore- nen Alois Kimmelmann als Junglehrer beruf- lich zum ersten Mal nach Karlsruhe verschla- gen. Zwischen 1905 und 1912 war er zu- nächst in der Südstadt (Uhland- und Neben- iusschule), anschließend in Mühlburg (Hardt- schule) als Unterlehrer tätig. Zuvor durchlief er die im Großherzogturn Baden seinerzeit übliche Ausbildung zum Volksschullehrer: Dem Volksschulabschluss (1900) in seinem Geburtsort folgten zwei Jahre Präparanden- schule (Tauberbischofsheim) und drei Jahre Lehrerseminar (Ettlingen). Die größte politische und pädagogische Bedeutung erlangte Kimmelmann während der Weimarer Republik. Mittlerweile Haupt- lehrer in Pforzheim, gründete der Reserveoffi- zier und Weltkriegsteilnehmer nach seinem Eintritt in die SPD (1919) einen Ortsverband der sozialdemokratischen Frontkämpferverei- nigung Reichsbanner (1925). Als führendes Mitglied im Badischen Lehrerverein (ab 1921) hatte er erheblichen Einfluss auf die bildungs- und berufspolitischen Konzepte des Verbandes und genoss darüber hinaus aufgrund seiner schulpolitischen, pädagogischen und didak- tisch-methodischen Publikationen hohes An- sehen. So wurde er 1926 als Dozent für Allge- meine Unterrichtslehre und Methodik an die neu organisierte Lehrerbildungsanstalt Karls- ruhe berufen. Im selben Jahr erschien seine über Lehrergenerationen hinweg populäre "Geschichte der Lehrerbewegung in Baden 1876-1926". Ab 1929 übernahm Kimmelmann als Stadtoberschulrat die Leitung des Karlsruher Volksschulwesens. Unter schwierigen wirt- schaftlichen und bildungspolitischen Rah- menbedingungen gingen von seiner Amtsfüh- rung reform pädagogische Ansärze und Impul- se für das Volksschulwesen aus. Im Frühjahr 1933 wurde der sozialdemokratische Leiter des Stadtschulamts von den Nationalsozialisten entlassen und zwangspensioniert. Die zwölf Jahre des NS-Regimes verbrachte er in seiner fränkischen Heimat. Dort beschäftigte er sich mit lokal- und regionalgeschichrlichen Studi- en, für die er Druckerlaubnis erhielt, da man sie für politisch unverfänglich erachtete. Als Mann der ersten Stunde nutzte Kim- melmann 1945/46 die Möglichkeiten seines neuen Amtes rasch und zielsicher zur Behe- bung der akuten Schulnot in Nordbaden: Er organisierte u. a. Schnellkurse für Volksschul- lehrer, veröffentlichte die "Badischen Schul- blätter" als Schullektüre-Sammlung und gab 292 als Mitarbeiter eine neue Kinderfibel heraus. Auch an der Reorganisation der Lehrerbewe- gung hatte Kimmelmann großen Anteil. Er beantragte noch bei der US-Militärregierung die Herausgabe der "Südwestdeutschen Schul- zeitung" als Organ des Badischen Lehrerver- eins (1950 in die GEW integriert). Am 13. April 1946 wurde Alois Kimmelmann mit 59 Jahren durch einen plötzlichen Tod mitten aus seiner Arbeit gerissen. J ÜRGEN SPANGER Eduard Devrient 1801-1877 Sänger, Schauspieler, Regisseur - es war ein Mann vom Fach, kein Höfling, den vor 150 Jahren Prinzregent Friedrich 1852 als Inten- dant für sein Karlsruher Hoftheater gewann. In Berlin wurde Devrient 1801 geboren, und schon mit 18 Jahren war er Mitglied des kö- nigl. Hoftheaters. Als Bariton gefiel er in Mozart-Opern seinem Publikum. Im produk- tiven geistigen Leben, in dessen Mittelpunkt vor allem einige jüdische Häuser standen, hier besonders das Mendelssohnsche, war er mit Felix Mendelssohn-Bartholdy befreundet und an der "Wiederentdeckung" von Bachs Matt- häus-Passion beteiligt, bei der er die Partie des Jesus sang. Die Pflege der Musik Mendels- sohns galt für ihn auch später in Karlsruhe als eines seiner Ziele. Berlin enttäuschte bald Devrient. "In der immer unumschränkteren Gefallsucht" er- kannte er "das Grundlaster der neuen Kunst- periode. " Mit der Hinwendung zur Sprech- bühne wechselte er 1844 als Schauspieler und Oberregisseur nach Dresden, wo er schnell das Publikum für seinen Stil gewann: zwar Pflege der großen Werke der Weltliteratur, aber nicht im deklamatorischen "Weimarer Stil", son- dern im realistischen Sprachduktus. Konflik- te gab es mit seinem jüngeren Bruder Emil, auch Schauspieler, der sich nicht an strenge künstlerische Prinzipien halten wollte. Das machte ihm bald den Abschied leicht, zumal mit dem Ruf nach Karlsruhe große Aufgaben waneten. Erst 1853 war der Wiederaufbau des Hof- theaters nach dem schrecklichen Brand von 1847 vollendet. Der Fundus musste völlig neu begründet werden, und Devrients Verhand- lungsgeschick war es zu verdanken, dass mit einer einmaligen Bereitstellung von 50.000 Gulden ein guter Start ermöglicht wurde. 293 Gleichzeitig erhielt er die volle Verantwortung fur den künsrlerischen Betrieb, und mit einer geschickten Personalpolitik konnte er das Ni- veau des Ensembles heben. Nach den revolu- tionären Verhältnissen 1848/49 war das The- ater fast zum Amüsierbetrieb herabgesunken. Man musste, trotz Widerstände, nicht nur das Personal, auch das Publikum für ein neues Angebot gewinnen. Hier kam Devrient die "unermüdiche Ausdauer seiner Natur" zu Hilfe, schrieb der Karlsruher Gymnasialdirek- tor Gustav Wendt über seinen Zeitgenossen. Devrienrs Auftreten "war nie ohne freundli- ches Wohlwollen", aber dem Personal zeigte er klar, wer hier der Intendant sei. "Geldstrafen, welche für einzelne Unregelmäßigkeiten ein- mal feststanden, wurden unnachsichrlich ein- gezogen, schwere sitrliche Ausschreitungen nicht geduldet." In verschiedenen Schriften hat er sich zur Schauspielkunst geäußert, und er strebte für die Schauspieler eine "geachtete Stellung in der Gesellschaft an", die auf Bil- dung und Disziplin beruhte. So verpflichtete er nicht nur die einzelnen, Künstler, sondern auch die Chöre zu Lese- und Szenenproben. Shakespeare, Moliere, Goethe, Schiller be- stimmten das Theaterprogramm. Dem klassi- schen Repertoire des Schauspiels entsprach das musikalische. Das gängige Virtuosenturn hielt Devrient dem Theater fern. Große Künstler sollten eine feste Bindung bekommen. So wurde mit dem Engagement von Hermann Levi ein Dirigent gewonnen, der Karlsruhes Musikleben bald national weit berühmt mach- te. Bekannt ist Devrients Einsatz fur das Werk Richard Wagners. "Tannhäuser" stand 42mal, "Lohengrin" 28mal, der "Holländer" 17mal auf dem Programm. Seit 1862 wurde auch im neuen Theaterge- bäude in Baden-Baden gespielt, wo Hector Berlioz als Gast die Eröffnung dirigierte. Beim 50-jährigen Bühnenjubiläum Devrients 1869 wurde er als Generaldirektor unmittelbarer Hofbeamter als erster bürgerlicher Intendant. Seit 1870 im Ruhestand, vollendete er 1874 mit dem 5. Band seine "Geschichte der Schau- spielkunst". 1877 starb er, für viele eine Le- gende, mit dessen überragendem künstlerischen und organisatorischen Profil seine Nachfolger sich auseinanderzuserzen harren. LEONHARD MÜLLER Ernst Fuchs 1859-1929 In ganz Deutschland wurde Ernst Fuchs, Rechtsanwalt in Karlsruhe, als juristischer Fachschrifrsteller, insbesondere als so genann- ter Freirechtler, bekannt. Als Sohn eines Vieh- händlers 1859 in Weingarten geboren, be- suchte der Hochbegabte das Karlsruher Gym- nasium, studierte Rechtswissenschaft 1876- 1880 in Heidelberg und Straßburg und erhielt nach dem Vorbereitungsdienst 1884 die Zu- lassung als Rechtsanwalt zunächst beim Land- gericht Karlsruhe. In dieser Zeit übernahm er auch mehrfach Verteidigungen von Sozialde- mokraten, die nach den Sozialistengesetzen verfolgt wurden. 1894 folgte sodann die Zu- lassung als Rechtsanwalt an das Oberlandesge- richt Karlsruhe, wo er überwiegend in Zivilsa- chen tätig war. Bereits in dieser Zeit verfasste Ernst Fuchs Beiträge für juristische Zeitschrif- ten. Erstmals Aufsehen erregt haben soll er Anfang der neunziger Jahre mit einem in einer Fachzeitschrift erschienen Aufsatz, indem er vorschlug, durch Geserz den jüdischen Sabbat 294 auf den Sonntag zu verlegen, Ausgangspunkt für seine Überlegung war der Umstand, dass bei Zustellungen, Lieferungen, Fristabläufen und Wechselprotestationen durch die damals praktizierte strenge Sabbatsruhe nicht uner- hebliche Schwierigkeiten für den Rechtsver- kehr bestanden. In erster Linie wollte Fuchs durch seinen ungewöhnlichen Vorschlag den Assimilationsvorgang beschleunigen, was da- mals von vielen Tausenden fortschrittlicher deutscher Juden geteilt wurde. Ernst Fuchs gehörte zu einer Juristengene- ration, die mitten in ihrem Berufsleben den grundlegenden Wechsel von einer zur anderen (Zivil-)Rechtsordnung durchmachen musste. Dem zur Jahrhundertwende sich vollziehen- den Übergang vom französischrechtlichen Ba- dischen Landrecht zum streng am Römischen Recht ausgerichteten Bürgerlichen Gesetz- buch, mit dem die reichsweite Rechtseinheit auch im materiellen Zivilrecht verwirklicht wurde, stand Fuchs als glühender Anhänger des Badischen Landrechts von Anfang an reser- viert gegenüber. In erster Linie lehnte er die damit verbundene Tendenz zu mehr formalbe- griffiichem Denken ab. Hinzu kam, dass mit der Einführung eines neuen Gesetzeswerkes regelmäßig die Gebundenheit der Rechtsspre- chung zunahm, was sich insbesondere in den Anfungsjahren der reichsgerichtlichen Judikatur zum BGB bestätigt hat. Hierin liegen die Wur- zeln des alsbald einsetzenden Engagements von Fuchs für die nicht nur in Deutschland in Entstehung begriffene Freirechtsbewegung. Fuchs' Grundpositionen beruhen auf der Erkenntnis der Lückenhaftigkeit der staatli- chen Rechtsordnung. Die norwendige Lü- ckenausfüllung könne weder durch Analogie oder Umkehrschluss, sondern nur im Rahmen einer "soziologischen Methode" erzielt wer- den, wobei der Richter insbesondere die jewei- lige Verkehrssitte seiner Entscheidung zu Grunde zu legen habe. Gebe es keine, so solle er entscheiden, wie. ein mit den jeweiligen Verhältnissen vertrauter "gerechter und ge- scheiter Mann" urteilen würde. Nach Fuchs hat sich die neue "Gerechtigkeitswissenschafr" als eine empirisch - durch Soziologie und Psy- chologie - fundierte theoretisch-praktische Einheit darzustellen, die insbesondere eine grundlegende Änderung der Juristenausbil- dung erfordere. 1929 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Heidelberger Juristischen Fakultät: Fuchs habe die von ihm so genannte Pandektologie der Rechtsgelehrten bekämpft, sei dabei aber selbst - nach dem Vorbild der römischen Ju- risten - als Rechtsschöpfer aufgetreten, nicht aus dem Buchstaben der Gesetze, sondern aus ihrem Sinn und Zweck. 1929 starb Fuchs in Karlsruhe. Seine Kanzlei konnte sein Sohn weiterführen, musste aber 1939 nach Austra- lien emigrieren, seine Tochter wurde in Aus- chwitz ermordet. DETLEV FISCHER 295 Joseph Melling 1724 -1796 Als Hofmaler des Markgrafen Carl Friedrich von Baden-Durlach stellte Joseph Melling sein am französischen Rokoko und besonders an Fran~ois Boucher orientiertes künstlerisches Können vor allem in Karlsruhe eindrucksvoll zur Schau. Joseph Melling wurde 1724 im lothringischen St. Avold geboren. Er ent- stammte einer Handwerker- und Künstlerfa- milie, sein Vater Nicolas war Schreinermeister. sein Onkel Jean Bildhauer. Eine Ausbildung erhielt Joseph Melling zunächst als Latein- schüler in Saarlouis. Dann lernte er bei einem Pariser Kunstschreiner. Später besuchte er die renommierte Pariser ,,Academie royale d'ar- chitecture", an der er unter den berühmtesten Künstlern seiner Zeit, den Rokokomalern Carle van Loo und Fran,ois Boucher studier- te. Van Loo hatte als Hofmaler König Ludwigs XV. eine hervorgehobene Stellung. Fran,ois Boucher stieg unter dem besonderen Schutz von Madame Pompadour sogar zum "Premier peintre du Roi" auf. Später wurde er außer- dem Direktor der ,,Academie royale" womit er die höchsten Ämter im Bereich der Kunst in seiner Zeit innehatte. 26-jährig schloss Mel- ling 1750 seine Studien mit dem "Grand Prix" für Malerei ab. Dieser Preis war mit einer Stu- dienreise nach Rom dotiert. Markgraf eirl Friedrich von Baden-Dur- lach ließ das 1715 von seinem Großvater Karl Wilhelm gegründete, aber schon baufällige Karliruher Residenzschloss erneuern und mo- dernisieren. 1748 holte er Christoph Melling, Josephs Bruder, als Hofbildhauei nach Karls- ruhe. Christophs Initiative und auch 'dem Beistand Fran,ois Bouchers verdankte Joseph Melling seine Berufung in den Dienst des ba- dischen Markgrafen, 1758 kam er nach Karls- ruhe und wurde bereits 1759 zum badischen Hofmaler ernannt. Ebenfalls 1759 erhielt Melling den Auf- trag, das Residenzschloss malerisch auszu- schmücken. Bis 1760 entstand das große De- ckengemälde im Festsaal des Karlsruher Schlosses mit der mythologischen Darstellung der "Geburt der Venus". Dieses im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gemälde gilt als Mellings Hauptwerk. Von besonderer künstlerischer Qualität ist sein Porträt der Markgräfin Caro- line Louise mit ihren beiden Söhnen im Badi- schen Landesmuseum Karlsruhe. Die Arbeiten an der malerischen Ausstat- tung des Karlsruher Schlosses dauerten bis 1775. Dann scheinen die Aufträge, die Mel- ling übertragenen wurden, nicht mehr ausge- reicht zu haben, um ihm seinen Lebensunter- halt zu sichern. Jedenfalls siedelte er 1774 nach Straßburg über. Er tat dies ohne mark- gräfliche Erlaubnis. In einem Brief an Caroli- ne Louise bat er um Verständnis für den Um- 296 zug und berichtet, dass er in Srraßburg eine Malschule, die ,.Acadernie de dessin d' apres natute", gegtündet habe. Diese Schule wurde vom Magistrat der Stadt unterstützt und war gut besucht. Allerdings wurde sie nach der Französischen Revolution zunächst in eine staatliche Institution umgewandelt und später bei det Einführung der staatlichen Zeichen- schulen abgeschafft. Melling starb 1796 in Srraßburg. Mit dem Weggang von Karlsruhe hatte er seinen künst- lerischen Zenit überschritten. Die Werke sei- ner Straßburger Zeit erreichten nicht mehr die gleiche malerische Qualität. Dessen ungeach- tet hinterließ er ein umfangreiches und künst- lerisch eindrucksvolles Gesamtwerk mit einem weiten malerischen Repertoire. ALMUT MAAß Adrian Bingner 1830 -1902 22 Jahre leitete er auf der vom Land Baden zu besetzenden Stelle als Senatspräsident den 11. Zivilsenat im Reichsgericht Leipzig und nahm entscheidenden Anteil an der Auslegung und Fortentwicklung des Rheinisch-Französischem Rechts, das in zirka 'k des damaligen Reichs- gebiets angewandt wurde, zum Beispiel im Badischen Landrecht. 1830 in Karlsruhe ge- boren, wurde er nach Rechtssrudium in Hei- delberg promoviert .. Seine umfassende juristi- sche Bildung beruhte aber nicht nur aufinlän- dischen Studien und der herkömmlichen ju- ristischen Ausbildung seiner Zeit. Ein Studi- enaufenthalt bei den Pariser Gerichten gab ihm die Gelegenheit, die französische Rechts- ordnung, die für das Land Baden von ent- scheidender Bedeutung war, unmittelbar aus eigener Anschauung näher kennen zu lernen. Nach diesem Studienaufenthalt in Paris war er 1861 als Amtsrichter in Heidelberg tä- tig, 1864 als Staatsanwalt am Karlsruher Kreis- und Hofgericht, dem heutigen Landgericht, ab 1865 bereits im Justizministerium als Mi- nisterialrat. In der Stephanienstraße 20 bewg er ein Haus. Zu Fuß ging man zum Vorderen Zirkel 19, zum Ministeriumgebäude mit dem Generallandesarchiv, dem Innen- und dem Justizministerium. Im Badischen Justizminis- terium konnte Bingner besonders nach der Reichsgründung 187 1 entscheidenden Ein- fluss auf die Gesetzgebung nehmen. Seine Aufgabe bestand bald in der Ausarbeitung ei- 297 nes badischen Einführungsgesetzes zum neu- en Reichsstrafgesetzbuch, ein erster Schritt zur deutschen Rechtseinheit, dem die Verfas- sungsgesetzgebung folgte. Schon 1864 hatte Baden einen neuzeitlichen dreistufigen Ge- richtsaufbau. 1877 konnte ein Entwurf »die Einführung der Reichsjustizgesetze über Ge- richtsverfassung, Civilprozeß, Konkurs und Strafprozeß im Großherwgtum Baden betref- fend »dem Landtag vorgelegt werden. Trotz erheblicher Widerstände setzte sich Bingner mit dem Vorschlag durch, nur ein Oberlandes- gericht mit Sitz in Karlsruhe zu errichten. Sei- ne Begründung, aus Zweckmäßigkeit 'sollten die Befugnisse der dritten Instanz nicht zer- splittert, sondern in einem Mittelpunkt verei- nigt werden, zeigt seinen bewundernswerten Weitblick. Erst 1952/53 wurden im Zuge des neuen Südweststaats zwei, heure sieben Zivil- senate in Freiburg als Außensenate des Haupt- hauses eingerichtet, die nun wieder nach Karlsruhe verlegt werden sollen. Im Reichsgericht war er seit 1879 zustän- dig für Revisionen und sonstige Rechtsmittel, und er verfasste unter anderem verschiedene Kommentare, zum Beispiel zum Badischen Landrecht, nachdem er bereits als 24-Jähriger beim Karlsruher Verlag C. F. Müller eine sys- tematische Übersicht über die staatsrechtliche Literatur im Großherwgrum Baden veröffent- licht hatte, ein wichtiges Nachschlagewerk für die badischen Verwaltungsbeamten. 1872 folg- te - auf der Grundlage seiner ministeriellen Erfahrungen - eine Kommentierung zu den badischen Einführungsbestimmungen zum neuen Reichsstrafgesetzbuch. Bingner war auch als Mitglied des Ständigen H aager Schiedsgerichtshof, als Beirat für die Großher- zogin Luise im Badischen Frauenverein, schließlich als Mitglied der Stadrverordneten- versammlung in Karlsruhe 1875 -1879 enga- giert und leistete über seine Ämter hinaus Vor- biltlliches für die rechtliche und gesellschaftli- che Entwicklung. Da es damals noch keine feste Pensionsgrenzen gab, starb er im Dienst für Baden und das Kaiserreich als 72-Jähriger. DETLEV FISCHER 298 Carlsruher Blickpunkte 299 Rätsel um eine Figur im Durlacher Schlossgarten Nur die wenigsten Karlsruher sind schon einmal im Durlacher Schloßgarten gewesen. und in der kalten Jahreszeir. wenn die Bäume kahl. die Springbrunnen abgesrellt und die beiden Kinderspielplärze verwaist sind. durch- queren nur hier und da eilige Passanten den Park. Und auch sie - so scheint es - haben jene Figut noch nie bewusst wahrgenommen. die nahe beim Eingang Ecke Marstall- und Bade- ner Straße zu sehen ist. Etwas unglücklich in den Schatten einer verholzten Eibengruppe gerückt. steht dort auf einem einfachen Sockel die knapp lebens- große Statue einer jungen Frau, eine damen- hafte Etscheinung. eingehüllt in ein faltenrei- ches Gewand. Über eine modische Pelzrnütze hat sie einen mantelartigen Umhang geschla- gen. die Arme hält sie schützend vor den Oberkörper - besonders warm ist ihr anschei- nend nicht. Entdeckt man dann an den zier- lichen Füßen. die unter dem Gewand hervor- schauen. die Kufenschuhe und betrachtet im Profil den weit nach hinten wehenden Falten- schlag der Robe. so wird einem klar. was ge- meint ist: Wir sehen vor uns eine vornehme Schlittschuhläuferin. die auf einer imaginären Eisfläche schicklich. aber doch vorwärtssrre- bend ihte Runden dreht. Darüber hinaus will die Plastik offensichtlich auch ganz allgemein als Sinnbild /Ur den Winter verstanden werden. Bildthema und Stil verweisen auf eine Ent- stehung in der zweiten Hälfte des 19. Jahthun- derts. vor allem auf die so genannten Gründer- jahre nach 1871. als "moderne Allegorien" wie diese - anknüpfend an antike oder barocke Traditionen, aber in einem zeitnahen Natura- lismus auch neue Wege beschreitend - in Mo- de waren. Für diese Entstehungszeit spricht ein weiteres Indiz, das Material. aus der die Figur besteht. Sie ist nämlich keineswegs. wie man erwarten möchte, aus Stein gemeißelt. sondern in Zement gefotmt - ein Verfahren. das in den 1870er Jahren auch unter Künst- lern als innovativ und keineswegs minderwer- tig galt. Gerade in Karlsruhe war diese Technik in aller Munde. nachdem sich die 1865 in der Residenzstadt gegründete Firma Dyckerhoff & Widmann vor allem mit der Entwicklung der Zementausformung für Kunstwerke und Bauornamente einen Namen gemacht hatte. Der Galathea-Brunnen von Hermann Moest. 1872 im Stadtgarten eingeweiht und heute leider für die Öffentlichkeit unzugänglich vor dem Bundesgerichtshof aufgestellt. ist hierfür das anspruchsvollste Beispiel. Auch die Schlittschuhläuferin wird mit großer Wahr- scheinlichkeit von Dyckerhoff & Widmann hergestellt worden sein; noch offen bleibt. wer der Bildhauer war. der das Gussmodell her- stellte. Eine Signatur ist nicht zu erkennen. und Unterlagen über die Produktion der Fir- ma in diesen Jahren lassen sich leider nirgend- wo auffinden. Wie kam die Plastik an ihren heutigen Standort? Alle Nachforschungen in älterer Li- teratur und in Akten blieben zunächst ohne Ergebnis. Erst ein Zufallsfund im Stadtarchiv führte weiter. Auf einem Foto. das bald nach 1871 aufgenommen sein muss und den Tier- gartensee im Karlsruher Stadtgarten zeigt. ist deurlich unsere Schlittschuhläuferin zu erken- nen. aufgestellt an einer kleinen Uferterrasse. neben ihr eine weitere weibliche Figur. wahr- scheinlich als Pendant die Allegorie des Som- mers. Seide Statuen, so ist einem alten Führer zu entnehmen. waren wie viele später entstan- dene Kunstwerke des Stadtgartens von Bür- gern gestiftet worden. ohne dass in diesem Fall 300 der Name des Spenders überliefert worden wäre. Spätestens in den 20er Jahren mussten die Figuren dem Ausbau des Zoos weichen. Altmodisch geworden, verschwanden sie wohl zunächst in einem Bauhof. Angesichts des in Karlsruhe wenig zimperlichen Umgangs mit Kunstwerken im öffentlichen Raum grenzt es fast an ein Wunder, dass zumindest die Dar- stellung des Winters überlebte und schließlich eine neue Heimat im Durlacher Schloßgarten bekam. Und nicht nur die Schlirrschuhläufe- rin fand hier eine Zuflucht: Ein Engel, ver- mutlich von einem Grabmal des alten Fried- hofS beim Basler Tor, die Statue der einst gefei- erten "Schönen Nubierin" sowie der beliebte Rosengartenbrunnen, beide ebenfalls "Vertrie- bene" aus dem Karlsruher Stadtgarten, tragen heute zum individuellen Charme des Durla- eher Schloßgartens bei. Die Tage unserer Schlittschuhläuferin scheinen indes gezählt, wenn nicht bald etwas geschieht. Fast 125 Jah- re lang hat die Figur der Witterung getrotzt. In letzter Zeit zeigen sich vermehrt Risse im Ze- ment, die in Verbindung mit Feuchtigkeit und Frost die Standsicherheit zunehmend in Frage stellen. Wird es für . dieses nicht alltägliche Kunstwerk noch eine Zukunft geben? GERHARD KABIERSKE Der Mensch im Rhythmus der Natur Ein Großteil der Karlsruher Studenten hat es täglich vor Augen, doch die wenigsten neh- men das späte Hauptwerk des in Vergessenheit geratenen badischen Malers August Babberger (1885-1936) bewusst wahr: seine Monumen- talkomposition "Tag und Nacht" beherrscht seit den frühen 60er Jahren die Stirnwand der alten Mensa. Ausgeführt 1932/33 als fünfteiliges Fresko auf transportablen Putzplatten fand es freilich zu Lebzeiten des Künstlers keinen adäquaten Wirkungsorr und blieb daher bis zu seinem 301 frühen Tod im Karlsruher Atelier verborgen. Von dort konnte es 1937 mit dem übrigen Nachlass in die Schweiz transferiert und so vor dem drohenden Zugriff dernationalsozialisten bewahrt werden. Im Zuge der 1956 im Badischen Kunstver- ein gezeigten ersten Gedächtnisausstellung ge- langte das Kolossalwerk schließlich als Schen- kung an die Karlsruher Universität. Sollte es hier zunächst im Architekturgebäude seinen Platz finden, so wurde es beim Neubau der Mensa 1962 in die weite Klinkerwand des großen Hauptsaales eingelassen, wo es bis heu- te als einziger Raumschmuck für dekorative Akzente in der ansonsten nüchternen Innen- architektur sorgt. 1885 im südbadischen Hausen im Wiesen- tal geboren, lässt sich August Babberger nach künstlerisch-handwerklichen Lehr- und Stu- dienjahren in Basel, Karlsruhe und Florenz 1912 in Frankfurt nieder. Erste Aufträge für sakrale Glasmalereien und Bühnenbilder zu expressionistischen Dramen begründen zu- sammen mit Wandbehängen schon bald sei- nen Ruf als vielseitiger Monumenralkünstler. Im Mittelpunkt des Werkes steht fortan neben der reinen Landschaftsmalerei das figürliche Wandbild, in welchem der Einklang von Mensch und Naturgeschehen symbolwirksam zur Darstellung gelangt. Als Professor für De- korative Malerei und Wandmalerei wird Bab- berger 1920 an die neugegründete Karlsruher Akademie berufen, die er in der Zeit von 1923 bis 1929 als Direktor leitet. Die in den 20er und frühen 30er Jahren geschaffenen Wand- bilder und Glasfenster fur Sakral- und Profan- bauten in Deutschland und der Schweiz sor- gen für überregionale Bekannrheit. Die Nazi- Herrschaft setzt der künstlerischen Laufbahn ein abruptes Ende. 1933 wird Babberger als "entarteter" Künstler seines Lehramtes entho- ben und hält sich in der Folgezeit überwiegend in der Schweiz auf. Der frühe Tod ereilt den Maler. 1936 inmitten seines Schaffens im ur- nerischen Altdorf. Geleitet von der Vorstellung, dass das Da- sein des Menschen untrennbar mit natur- rhythmischen Vorgängen verbunden ist, ver- sinnbildlicht Babberger im Karlsruher Wand- bild den Ablauf der Tages- und Jahreszeiten durch stilisierte Figuren vor einer flächenab- strakten Landschaftskulisse und entwirft da- mit ein gültiges Programm bild seines Schaffens. "Mich interessiert als Maler der Mensch, die Landschaft und die Mitte/' diese in Wandmale- rei in eine Dreieinigkeit zu bringen ': definiert er 1921 seine Position und zielt darin zugleich auf eine Abkehr vom traditionellen Staffeleibild. Dem Betrachter begegnet eine friesartig konzipierte und collagehafr aufgebaute, imagi- näre Bildwelt, welche in allegorischer Form die geistige und körperliche Einheit von Mensch, Natur und Kosmos als ideale Lebenswirklich- keit beschwört. Das pathetisch inszenierte Ge- schehen vollzieht sich als mehrfacher Wechsel von Tag und Nacht in rhythmischer Staffelung und dynamischer Reihung auf einer gewalti- gen Bildfläche von drei Metern Höhe und acht Metern Breite. Dem zeitzyklischen Pro- zess antwortet der klare Bildaufbau mit einer alternierenden Abfolge breiter und schmaler Abschnitte. Das Verhalten der Figuren ver- weist auf den Zustand der Natur. Die ins All- gemeingültige und Mystisch-Religiöseüber- 302 höhte Bilderzählung entwickelt sich in Lese- richtung: Kraftvoller Aufbruch und dramati- sche Bewegung, ehrfurchtsvolle Anbetung und gemäßigtes Schreiten sowie andächtiges Verharren und statische Ruhe prägen die drei Hauptbereiche. Sie stehen stellvertretend für Tagesbeginn (Frühling), Mittag (Sommer) und Abend (Herbst). Zwischen die großen Hauptteile schaltet der Maler nach eigenen Worten "die lu ren Nächte mit Morgen- und Abendgrauen, um ruhige Flächen lind Abstände zu haben ". In diesen Zonen lenken ansteigen- de Wellen bewegungen des Nachthimmels das Auge jeweils zur folgenden Szene. Radikale Vereinfachung der Form und Übersteigerung der Farbe bestimmen die Bild- gestaltung. Mensch und Natur, Figur und Umgebung, Muster und Grund, Dekor und Ornament verdichten sich zu einem streng geordneten, bildteppichartigen Flächengefuge. In seinem Putzbild vereinigt Babberger Ein- flüsse aus Symbolismus, Jugendstil, Kubismus und Expressionismus zu einem eigenständigen Monumentalstil, worin er sich gleichzeitig als Grenzgänger zwischen Figur und Abstraktion präsentiert. Mit dem bislang wenig beachteten Fresko "Tag und Nacht", in welchem ein neues, von jeglicher Alltagsrealität abgelöstes Menschen- bild entworfen und zu gesteigertem Ausdruck geführt wird, behauptet August Babberger eine Sonderstellung im Karlsruher Kunstge- schehen seiner Zeit. Als einzigartiges Zeugnis moderner badischer Wandmalerei markiert das Werk zugleich einen Höhepunkt südwest- licher Monumentalkunst zwischen den Krie- gen. Innerhalb der badischen, Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt der Maler damit zu den wichtigsten Vertretern der klassischen Moderne. ANDREAS GABELMANN Badespaß im Glaspalast Der Karlsruher beliebtestes Spiel: die Stand- ortfrage. Ob ZKM, ob OPD, sie werden des Spieles nicht müde. Das neueste Spielzeug birgt Wasserfreuden: Spaßbad oder Badespaß. Doch geht es diesmal nur am Rande um die Frage, ob Rodelhügel oder Weinbrennerplatz. In Wirklichkeit steht das Tullabad auf dem Spiel. Das Tullabad ist ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung, das seit 1990 in das Denkmalbuch des Landes Baden-Württem- berg eingetragen ist. Ocr interessierte Bürger wird sich hier wohl zwei Fragen stellen: ers- tens, warum diese Bccon-Glas-Kiste mit Ka- cheldekor ein Denkmal sein soll, noch dazu ein besonders wertvolles, und zweitens, wie denn die Zukunft dieses Schmuckstücks aussehen soll, wenn ein neues Bad an anderer Stelle ent- steht. Wer kann sich heute noch vorstellen, was in Karlsruhe los war, als 1955 die Pforren des T ullabads öffneten? Seit der Zerstörung des Friedrichsbades 1944 gab es in Karlsruhe nur noch das Vierordtbad. Nach dem Krieg stieg die Zahl der Badegäste stetig an, 1954 zählte man über 380.000 Besucher. Ein neues Bad war dringend notwendig, der Ort schnell ge- funden. Für den Standort sprachen die zentra- le Lage und die Nähe zum Festplatz, dem neu- 303 en Mittelpunkt sportlicher und kultureller Veranstaltungen, sowie die wundervolle Lage am Rande des Sallenwäldchens und des Stadt- gartens. Welch ein Erlebnis muss es gewesen sein, aus der anheimelnden, aber dämmrigen und vor allem völlig überfüllten Schwimmhalle des Vierordtbades in den neuen Glaspalast zu tre- ten, einzutreten in die helle Eingangshalle mit der sich frei emporwindenden Treppe, dem f..rbigen Wandbild und einem kleinen Winter- garten. Geschickt war die Wegefuhrung durch die Umkleiden - geschossweise für Männer und Frauen getrennt - und durch die für Erwach- sene und Jugendliche geteilten Duschräume. Und dann: die Schwimmhalle! Was für ein Anblick! Lichtdurchflutet dank der großen Glaswände, die umgebende Natur unmittel- bar gegenwärtig. Der Eindruck spielerischer Leichtigkeit mit der geschwungenen Hallend- ecke und den schlanken Betonstützen - alles so weit entfernt von der Monumentalarchitek- tur des "Dritten Reiches". Sensationell auch die Technik: Das Sport- becken mit einer Wassertiefe von mindestens Das Tullabad 1956. 2,10 m steht bis heute in seiner ganzen Größe für Wassersport zur Verfügung. Der wie eine Freiplastik in der Halle stehende Zehnmeter- Sprungturm mit den drei tieferen Plattformen war damals in der Bundesrepublik der einzige seiner Art in einem Hallenbad, ebenso wie der hydraulisch verstellbare Sprungturm. Zwei Unterwasserfenster ermöglichten den Trainern die Kontrolle der Schwimmer. Es findet sich eine Tribüne für 550 Zuschauer, Kabinen für Presse und Funk, sogar an Fernsehübertragun- gen war bereits gedacht. Angenehm auch die Atmosphäre: Durch das separierte Nichtschwimmerbecken blieb der Lärm spielender Kinder der großen Halle fern. Hier konnte man, aufWärmebänken ru- hend, gemütlich dem lebendigen Treiben fol- gen, oder man genoss ein Sonnenbad im Frei- en. Abends verzauberten 18 Unterwasserstrah- ler und das Lichtband der Hallendecke den Raum. Das Tullabad ist der erste Hallenbadneu- bau der Bundesrepublik, und es war damals revolutionär. Es markiert den Beginn einer 304 neuen Phase in der Geschichte der Hallenbad- architektur und war Vorbild und Maßstab für zahlreiche andere Bäder in Deutschland. Das Tullabad besitzt einen der qualitätvollsten öffentlichen Innenräume der 50er Jahre in Karlsruhe. Soweit zur Bedeutung der Beton-Glas-Kis- te mit Kacheldekor. Ob das Tullabad in die- sem Spiel verlieren wird, oder ob es als Zeit- zeugnis und als Erinnerung an die damalige Aufbruchstimmung in eine neue Zeit rnit all seinen bis heute gültigen Qualitäten erhalten bleibt, ob es weiterhin seinem eigentlichen Zweck, dem Wassersport, dienen wird, das enrscheiden die Bürger, für die es einst gebaur wurde. ULRIKE PLATE Bürgerliche Gartenkultur in Durlach Der barocke Pavillon vor dem Basler Tor Verriegelte Läden, abblätternde Farbe und ein völlig verwilderter Garten - kein Zweifel, das kleine, an ein Schlösschen erinnernde Gebäu- de an der Weiherstraße unweit des Basler To- res in Durlach hat schon bessere Tage gesehen und seine Zukunft scheint gegenwärtig alles andere als gesichert. Selbst in seinem heutigen verwahrlosten Zustand zeugt es aber von einer besonderen Facette der lokalen Kultur- und Architekturgeschichte, die es zu entdecken gilt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ausweisung der Altstadt Durlach als denkmal- pflegerische Gesamtanlage, die beim diesjäh- rigen "Tag des Offenen Denkmals" auf großes öffentliches Interesse stieß. Die Anfänge des Baues reichen zurück in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Damals kam es bei vermögenden Durlachern in Mode, sich vor der Stadt Gärten anlegen zu lassen, die nicht mehr nur zum reinen Gemüse- und Obstanbau bestimmt waren, sondern vor al- lem Zierfunktion hatten. Die grandiosen ba- rocken Parkanlagen der Fürsten vor Augen, wollte der Bürger, der es sich leisten konnte, mit seinem Garten nun auch repräsentieren. Zwischen geometrischen Beeten, geschnitte- nen Buchsbaumhecken, Blumenbosketten und Rankgerüsten hielt man sich im Sommer ger- ne auf und empfing Gäste. Gerade in Durlach scheint bürgerliche Gartenkultur lange vor der Goethezeit zur Blüte gekommen zu sein, reih- ten sich doch in Nachbarschaft zum Schloss- garten am Hang oberhalb der Badener Straße gleich eine ganze Reihe von geplanten Idyllen, deren Aussehen sogar in einem Kupferstich festgehalten wurde. Aber auch in den Weiher- gärten vor dem Basler Tor dokumentierte sich der neu entstehende Garrenkulr in mehreren anspruchsvollen Privatanlagen, die teilweise über ein eigenes festes Gartenhaus verfügten, von denen unser Gebäude, direkt außerhalb von Stadtmauer und Stadtgraben gelegen, ein letztes erhaltenes Beispiel ist. Es hatte ursprünglich mehr den Charakter eines Pavillons, da die seitlichen Flügel erst später angebaur wurden. Eine Freitreppe führt hinauf auf die hohe, von einer Balustrade flan- kierte Terrasse vor der zur Sonne nach Süden orientierten Hauptfassade. Ein breiter Giebel mit einem Ochsenaugenfenster. das von Zier- voluten gerahmt wird, sowie ein steiles Zelt- dach sorgen für einen repräsentativen Zug. 305 Durch eine Tür mit dem für die Durlacher Architektur der ersten Hälfte des 18. Jahrhun- dens typischen Ohren gewände und einem ovalen Oberlicht gelangt man zwischen zwei barocken Fenstern von der Terrasse ins Inne- re. Hier empfängt einem ein großer Raum, der vielfältig genutzt werden konnte: als Obdach bei Regen, als Ruheraum bei Hitze oder als Speisesaal beim Empfa~g von Gästen. Ein heizbarer offener Kamin ermöglichte den Auf- enthalt selbst in der Übergangszeit, vor allem aber konnte der PaviIlon damit auch wie eine Orangerie als Winterquartier für wertvolle südländische Kübelpflanzen genutzt werden. Über den Architekten und das genaue Baudatum lässt sich bislang nichts in Erfah- rung bringen. Als Bauherren dürfen wir die Familie Lamprecht vermuren, denen das Gar- tenanwesen Mitte des 18. Jahrhunderts gehör- te, wie der Durlach-Experte Dr. Peter Güß nachweisen konnte. Über drei Generationen gehörten die Lamprechts als Eigentümer des Gasthauses Krone und als Stadtpolitiker zu den gesellschaftlich einflussreichsten Familien der Stadt, deren kultureller Anspruch sich auch in Stuckausstattung und Fassadenbemalung des Hauses am Marktplatz demonstrierte. Durch die im 19. Jahrhundert geschickt angefügten Seitenflügel zum Wohnhaus um- gebaut, gehörte das Anwesen bis in unser Jahr- hundert zum Besitz der Brauerei Eglau. Der schleichende Niedergang setzte erst in den 1950er Jahren ein mit dem wenig einfühlsa- men Anbau auf der Rückseite und der Planie- rung eines Großteils des Gartens, der 1963 einem öden, aber finanziell lukrativen Gara- genhof weichen musste. 1975 versuchte die Ausstellung "Die stiIle Zerstörung" auf das Schicksal des Baues aufmerksam zu machen - mit wenig Erfolg, wie sich heute nach 25 Jah- ren zeigt. Da die öffentliche Hand trotz des in den 80er Jahren erklärten Sanierungsziels, die Gartenanlage wieder herzustellen, keine Not- wendigkeit sieht, sich selbst zu engagieren, steht die definitive Überbauung des Gartens mit Reihenhäusern unmittelbar bevor. Das räumlich bedrängte Gartenhaus selbst, durch unangemessene Umbauten immer weiter ent- wertet und nun auf dem Immobilienmarkt feilgeboten, sieht einem ungewissen Schicksal entgegen. GERHARD KABIERSKE 306 "Dem neuen Jahrhundert zum Gruß" So steht es von kaum jemandem noch regist- riert über dem Eingang des H auses Waldstr. 6. Der Hofconditor Hermann Hildenbrand als Bauherr und der Architekt Theodor Traut- mann, die diese Inschrift vor nunmehr fast genau 100 Jahren an dem Neubau anbringen ließen, sahen offensichtlich voller Zuversicht in das neue Jahrhundert. Schließlich waren sie beide äußerst erfolgreiche Unternehmer. Hil- denbrand konnte zum Jahrhundertbeginn auf seinen beiden Anwesen Waldstr. 6 und 8 zwei neue Gebäude errichten lassen und hatte dafür einen der damals meistbeschäftigten Architek- ten Karlsruhes beauftragt. Über beide Männer ist nur wenig bekannt. Hermann Hildenbrand übernahm 1885 von Theodor Compter dessen 1859 gegründetes und kurz darauf zur Hofconditorei ernanntes Unternehmen in der Waldstr. 8. Fünfund- zwanzig Jahre später zog er sich aus dem Ge- schäft zurück, das bis 1956 an gleicher Stelle als Konditorei Hornung weiter bestand. Über Trautmann ist lediglich wenigen Fachleuten bekannt, dass er seit Beginn der 1890er Jahre bis 1913/14 sehr viele Häuser in der Oststadt, an der Kriegss traße und rund um den Guten- bergplarz geplant und somit durchaus stadt- bildprägende Bedeutung erlangt hat. Laut Karlsruher Adressbuch kam er 1892 mit sei- nem 1885 gegründeten Bauunternehmen nach Karlsruhe. Er bezeichnete sich als Architekt, war aber laut Adressbuch Maurermeister mit der Befugnis, planerische Aufgaben zu über- nehmen. Ohne stilbildend zu wirken, nahm er die jeweils aktuellen Architekturvorstellungen auf und gestaltete für seine Bauherren durchaus individuelle Fassaden. Trautmann starb am Ende des Zweiten Weltkrieges, sein Bauunter- nehmen existiert bis heute in Karlsruhe. Das Vorderhaus der Waldstr. 6 maß 12,5 m Frontlänge, dahinter erstreckte sich bis zum Ende des etwa 50 m tiefen Grundstücks ein 7 m breites Hinterhaus. Im Erdgeschoss lagen zwei Läden, darüber drei Vollgeschosse und ein Dachgeschoss. Die Fassade war dem da- mals vom Büro Curjel & Moser gepflegten Ju- gendstil nachempfunden. Bereits im Oktober 1900 nach Fertigstellung des Rohbaus annon- cierte Hildenbrand für den April 1901 in der Zeitung: " ... schöne Wohnungen mit großen Zimmern nebst reichlichem Zugehör, AufZug, Bad, Waschküche, Trockenspeicher etc., 5-9 Zimmer, zusammen oder getrennt zu vermiet- hen." Der heute wieder aktuelle Gruß am Haus Waldstr. 6 an das kommende Jahrhundert gibt . v 307 Anlass, einen Blick auf die Geschichte des Hauses zu werfen, in der sich ein Stück weit auch die Geschicke der Stadt widerspiegeln. Gebaut wurde es in einer Boomphase der Stadtenrwicklung, als die Zuwächse der Ein- wohnerzahlen einen Höhepunkt erreichten, und der Bau eines Mietshauses eine gute Geld- anlage war. Im Zweiten Weltkrieg fiel es teil- weise dem schwersten Brandbombenangriff auf die Stadt vom 27. September 1944 zum Opfer. Der Dachstuhl war ausgebrannt und zwei darunter liegende Geschosse in Mitlei- denschaft gezogen. Nach 1945 sollte es auf Empfehlung der Aufräumungs-Arbeitsgemein- schaft Karlsruhe im Zuge der Trümmerräu- mung abgerissen werden. Dem Besitzer gelang es jedoch, den Erhalt durchzusetzen und das Baumaterial für eine Instandsetzung zugeteilt zu bekommen. Ein Notdach schützte bis 1955 die benutzbaren Stockwerke. 1955 erfolgte dann durch einen neuen Eigentümer der Wie- deraufbau, wobei das Haus allerdings um ein Geschoss gekürzt werden musste. Die Bewohner des Vorderhauses, darunter auch der Besitzer, gehörten bis in den Zweiten Weltkrieg sicher zur Oberschicht bzw. zum gurverdienenden Mittelstand der städtischen Gesellschaft, auch wenn der im Haus lebende Besitzer mit dem Ende der Monarchie 1918 auf seinen Titel als Hoflieferant verzichten musste. Ein Ausdruck der Wohnungsnot der Nachkriegszeit war 1922 die Umwandlung der Einzelzimmer im Dachgeschoss in eine Dreizimmerwohnung, auf die das städtische Wohnungsamt gedrängt hatte. Die Ladenlo- kale waren an oft wechselnde Mieter vergeben. So wurden hier bis zum Zweiten Weltkrieg u. a. Werkzeuge, Büroartikel und Herrenwäsche verkauft, ein Büro der Elektrizitätsgesellschaft unterhalten, sowie eine Leihbibliothek betrie- ben, es waren ein Rabattsparverein. eine Tuch- groß- sowie eine Möbelhandlung angesiedelt. Mit der sinkenden Wohnqualität in der Innenstadt im Zeichen der zunehmenden Motorisierung änderte sich seit den 1970er Jahren allmählich auch die Zusammensetzung der Bewohner des Hauses. Das Erdgeschoss beherbergte lange eine Kunsthandlung, da- nach wurde sein Erscheinungsbild kommerzi- ellen Interessen angepasst. MANFRED KOCH Funktionale Ästhetik am Rhein ,,Am nordwestlichen Rand des Stadtgebietes, weit außerhalb des unmittelbaren Blickfeldes der Karlsruher Stadtbewohner, hinter riesigen Raffinerietanks und zahlreichen Schornstei- nen verborgen, direkt am landschaftlich reiz- vollen Rheindamm, dort steht ein Kleinod der Architekturgeschichte, das Verwaltungsgebäu- de der ehemaligen DEA-Scholven-AG." Es ist das Werk eines der berühmtesten Architekten unseres Landes, Professor Egon Eiermann (1904-1970). Bekannt ist er heu- te vor allem für seine nach dem Zweiten Welt- krieg errichteten Bauten. Vor Augen hat jeder den Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis- kirche in Berlin, unter Fachleuten verbinden sich mit dem Namen jedoch eher Industrie- bauten wie die Taschentuchweberei in Blum- berg (Schwarzwald) von 1951, der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel (1957-58) und Verwaltungsgebäude wie das 308 Bonner Abgeordneten-Hochhaus (1965-69) oder die Olivetti-Türme in Frankfurt/Main (1968-72). Eiermann gilt als einer der Haupt- vertreter der so genannten zweiten Generation der modernen Architektur. Die Taschentuch- weberei wirkte 1951 auf junge Architekten in Deutschland wie das Fanal einer neuen, kom- menden Baukunst, modellhaft und zukuntts- weisend. Sie zeigte Maß und Ordnung, über- schaubare Gliederung, präzis gestaltete Details und verwendete wie selbsrverständlich die Stahlkonstruktion als Mittel der Architektur. 1947 erhielt Eiermann einen Lehrstuhl fur Architektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Die Bezeichnung "Eiermann-Schü- ler" galt jahrzehntelang für viele Architekten als Referenz. Nach dem Abklingen der "Post- moderne" als Stil der 80er-Jahre ist das Werk Egon Eiermanns gegenwärtig wieder Vorbild einer weiteren Generation von Architekten geworden, die sich, postuliert als "Zweite Moderne", ein zweites Mal den Bauten des großen Architekturlehrers zuwendet. Obwohl Eiermann über zwanzig Jahre lang sein Büro in Karlsruhe hatte, sind von ihm im Stadtgebiet nur zwei seiner Projekte verwirk- licht worden. Da ist zunächst das Versuchs- ktaftwerk auf dem Gelände der Universität Karlsruhe von 1951-55 zu nennen. Es gilt als einer der qualitärvollsten und fortschrittlichs- ten Bauten der Wiederaufbauzeit in Karlsruhe und wurde 1995 als Kulturdenkmal von be- sonderer Bedeutung ins Denkrnalbuch des Landes Baden-Württemberg eingetragen. Das zweite Projekt ist eben das Verwal- tungsgebäude der ehemaligen DEA-Scholven- AG, später OMW. heute mit der benachbar- ten Esso zusammen zur MIRO fusionierten größten Raffinerie Deutschlands. Es steht hier stellvertretend für eine ganze Gruppe von Funktionsbauten wie das Pförtnerhaus mit Fahrradabstellplatz, die Kantine, Magazin und Werkstatt, Feuerwehrhaus bis hin zu Messwar- ten. Die Planung unterlag mehreren äußeren Zwängen, zum einen die Vielzahl der Bauten bei gleichzeitiger Verschiedenheit und ge- 309 wünschter Variabilität innerhalb der Häuser, das alles unter großem Termindruck (es stan- den nur 7 bzw. 18 Monate für Planung und Bauausführung zur Verfügung) und selbstver- ständlich unter Beachtung ökonomischer Vor- gaben. Eiermann löste die schwierige Aufgabe durch den Enrwurf eines einheitlichen kon- struktiven Rasters für alle Bauren. Typisierte Baureile waren in der Anfertigung preiswerter und ermöglichten das parallele Arbeiten im Büro und auf der Baustelle. Aus den vorgege- benen Norwendigkeiten heraus fand Eier- mann eine formal hochqualitätvolle Lösung. Alle außenliegenden Stahlelernente blieben frei sichtbar, die vorgefertigten hölzernen Fas- sadenelemente ethielten eine einheitliche Grö- ße und unterschieden sich nur in der Auftei- lung. Teilweise waren die Gebäude klimati- siert, wobei die Lüftungsmaschinen in den Dachaufbauten untergebracht wurden. Bis ins Detail hinein feilte Eiermann an der techni- sehen und gestalterischen Vervollkommnung. Nichts an den Bauten ist zufällig, bis in das fein abgestimmte Farbkonzept hinein ist es ein Kunsrwerk von funktionaler Ästhetik. Ober die Qualität dieser Gebäude bestand auch bei den Bauherren kein Zweifel. Als am 14. Juni 1963 der Vorsitzende des Konsortial- ausschusses der DEA-Scholven-GmbH, Herr Dr. Staiger, die offizielle Einweihungsrede hielt, lobte er das Werk Eiermanns mit folgen- den Worten: "Das Werk, das Sie vor sich se- hen, ist eine nüchterne Industrieanlage. Den- noch haben wir über den Ansprüchen der Technik den Respekt vor den Gesetzen der Ästhetik nicht vernachlässigt und für die Bau- lichkeiten dieser Raffinerie in Herrn Professor Eiermann einen Architekten von internationa- lem Ruf gewonnen. Für seine Schöpfungen danken wir ihm auch an dieser Stelle." ULR1KE PLATE Tor zum Campus: das Hauptgebäude der Universität Auf einer Fläche von 56 Hektar erstreckt sich das Gelände der Universität wie ein eigener Stadtteil in unmittelbarer Nachbarschaft zur geschäftigen City. Dennoch dürften sich nur die wenigsten Karlsruher in diesem weitläufi- gen Areal mit seinen fast 150 Gebäuden aus- kennen. Sieht man von den über 20.000 Stu- dierenden, Lehrenden und Angestellten ab, die hier arbeiten, so nehmen die meisten Bür- ger den Campus allenfalls im Vorüberfahren wahr. Trotz stadtbild prägender Hochhäuser, die in den sechziger Jahren beim Durlacher Tor oder sogar in Schlossnähe entstanden, wird auch heure noch das hisrorische Haupt- gebäude in der östlichen Kaiserstraße mit sei- ner markanten Fassade aus rotem Sandstein am ehesten mit der Universität identifiziert. Die Geschichte dieses Baues geht zurück bis in die Frühzeit der ältesten Technischen Hochschule in Deutschland. Bei Gründung des Polytechnikums 1825 musste sich die neu- artige Eintichtung zunächst die Räume mit dem Karlsruher Lyceum neben der Stadtkir- ehe am Marktplatz teilen. Nach 1830 konnte an einen eigenen Neubau gedacht werden, für den man einen repräsentativen Bauplatz an der Langen Straße fand, der der rasch wach- senden Bedeutung der Schule entsprach. Ar- chitekt war Heinrich Hübsch, seit 1827 Nach- folger Friedrich Wein brenners als Leiter der 310 badischen Bauverwaltung und ab 1832 auch Vorstand der Architekturschule des Polytech- nikums. Wie innovativ das Gebäude bei seiner Voll- endung 1836 wirkte, ist heute nur bei Kennt- nis der damals aktuellen Architekturszene möglich, und die hatte der junge Hübsch mit seiner 1828 erschienenen programmatischen Schrift "In welchem Stile sollen wir bauen?" nachhaltig beeinflusst. Die darin theoretisch formulierte Abrechnung mit dem Klassizis- mus, die Abkehr von der Orientierung der Baukunst an der Antike, setzte Hübsch beim Neubau des Polytechnikums in die Praxis um. Formal hat das Äußere nichts mehr gemein mit Weinbrenners Stil. An die Stelle antikisie- render Tektonik und Formensprache trat eine sehr individuelle Rezeption italienischer Palaz- zofassaden des Mittelalters und der Frühre- naissance, die vor allem in einer geschlossen- blockhaften Frontbildung von ernster Monu- mentalität zum Ausdruck kommt. 311 Auch durch den roten Haustein als Fassa- denmaterial fiel der Bau im Karlsruhe der 1830er Jahre, das zuvor eine Stadt mit Purz- bauten gewesen war, aus dem Rahmen, Glie- derungen wurden nur sehr spärlich und meist flächig eingesetzt. Verzierungen sind in die abwechselnd roten und gelben Bogenquader spröde, wie Laubsägearbeiten eingeschnitten. Um so mehr traten die auf Konsolen zwischen die Bogenöffnungen des Eingangs gestellten Standfiguren ins Auge, ausgeführt von A10ys Raufer, Erwin von Steinbach und Johannes Kepler darstellend. Selbst die Wahl gerade die- ser Personifikationen flir Architektur und Na- turwissenschaft war neuartiges Programm: Wären im Klassizismus allenfalls antike Vor- bilder denkbar gewesen, sind es jetzt histori- sche "vaterländische" Personen des Mittelalters und der Neuzeit, geboren im badischen Stein- bach bzw. im württembergischen Weil der Stadt. Hübschs Schul palazzo, flir 300 Schüler berechnet, genügte schon bald nicht mehr den rasch wachsenden Studentenzahlen. Seit den 1850er Jahren wurden nördlich davon in den Fasanengarten hinein erste Ergänzungsbauten errichtet - der Beginn der Campusbebauung. 1859-64 schließlich erhielt das Hauptgebäude sein heutiges Aussehen. Einfuhlsam erweiter- te Friedrich Theodor Fischer das Werk seines Amtsvorgängets. Er verdoppelte den bestehen- den Bau in Richtung Dur!acher Tor und fug- te zwischen die beiden Trakte in anpassenden Formen einen höheren Mittelrisalit ein, der im Erdgeschoss einen neuen Haupteingang mit offener Halle erhielt, durch die auch das nörd- lich sich entwickelnde Hochschulgelände von der Kaiserstraße aus erschlossen werden konn- te. Erwin von Steinbach und Kepler wurden an das neue POrtal versetzt. Entstanden war die nach dem Schloss längste Gebäudefront in der Residenz, die es in Ausdehnung und monu- mentalem Anspruch auch mit anderen damals entstehenden Neubauten fur polytechnische Schulen im deutschsprachigen Raum aufneh- men konnte. 1944 ausgebrannt, wurde der Bau in der Nachkriegszeit im Äußeren in sei- nen ursprünglichen Formen wieder aufgebaut. Das mit Ausnahme der Treppenhäuser verän- derte Innere beherbergt heute Rektorat und Verwaltung der Universität. GERHARD KABIERSKE Pyramide oder Reiterstandbild? Als "Via Triumphalis" bilden die Denkmäler der Markgrafen und Großherzöge von Baden die herausragende Blicbchse im Zentrum der Stadt Kar!sruhe. Das 1844 vollendete Stand- bild des Markgrafen Kar! Friedrich auf dem Schlossplatz ist das nördlichste dieser Denk- malsreihe. Es folgen auf dem Marktplatz die Pyramide fur den Stadtgründer Kar! Wilhe1m und das 1833 fertiggestellte Brunnendenkmal für Großherzog Ludwig. Am Rondellplatz schließt sich der 1832 vollendete Obelisk fur Großherzog Kar! an, der als "Verfassungssäu- le" auch an die erste badische Verfassung von 1818 erinnert. Den südlichen Abschluss der "Via Triumphalis" bildete das bis 1805 im Stil einer antiken Tempelfront errichtete Stadttor, das Ettlinger-Tor-Denkmal, das jedoch 1872 abgerissen wurde. Der 1738 verstorbene Gründer der Stadt Kar!sruhe, Markgraf Kar! Wilhe1m von Ba- den-Durlach, wurde in der Gruft der Konkor- dienkirche beigesetzt. Die von Friedrich Wein- brenner von 1791 an projektierte Neugestal- tung des Marktplatzes im klassizistischen Stil führte zum Abriss der Konkordienkirche. So wurde der weitläufige Platz geschaffen, an dem sich Stadtkirche und Rathaus gegenüber stehen. Die Gruft blieb jedoch unangetastet. Schon Weinbrenner sah vor, über ihr ein Denkmal für den Stadtgründer zu schaffen. Er selbst schuf drei Entwürfe für ein solches Monu- ment, zunächst in Form eines Sarkophags, dann mit kolossalen Figuren eines Genius des Todes und einer trauernden Stadtgöttin. Die Kosten fur das Denkmal erwiesen sich freilich als zu hoch, so dass die Gruft nach dem Ab- bruch der Kirche im Jahr 1807 mit einer höl- zernen Pyramide nur provisorisch abgedeckt wurde. Durch die Rezeption der An tike und die Ideen der französischen Revolutionsarchitek- tur wurde die stereometrische Pyramide um 312 1800 in das Gestaltungsrepertoire der Archi- tekten und Bildhauer aufgenommen. Sie fand vorwiegend für Grabmäler Verwendung. Die Abdeckung der KarIsruher Grufr mit einer Pyramide entsprach also dem zeitgenössischen Stilempfinden. Zwischen 1823 und 1825 wurde das mittlerweile beschädigte Provisori- um durch eine Ausführung in rotem Sand- stein ersetzt. Die Pyramide erhielt damit einen dauerhaften Charakter. Nach dem Tod Kaiser Wilhelms l. im Jahr 1888 brach in Deutschland eine Denkmalseu- phorie aus, die sich vor allem an den Monu- menren für den Kaiser festmachte, jedoch auch anderen feudalen und bürgerlichen Per- sonen öffentliche Ehrung zukommen ließ. Das Reiterstandbild wurde als die repräsenra- tivste Denkmalsform angesehen und blieb den bedeutenden Monarchen vorbehalten. Für das in Karlsruhe ab 1890 geplante Kaiser-Wil- helm-Denkmal kam deshalb nur ein Reiter- standbild in Frage, das dann bis 1897 am Kai- serplatz realisiert wurde. Es spricht für die Wertschätzung des Markgrafen Karl Wilhelm, dass man während der Planungen für das Karlsruher Kaiser-Wilhelm-Denkmal auch dem Stadtgründer ein Reiterstandbild errich- ten wollte. Großherzog Friedrich l. äußerte bereits 1890 die Absicht, "anstelle der jetzigen Pyramide ein würdiges Denkmal setzen zu las- sen". Die Ausführung gewann 1902 Konru- ren. Denn mit der Errichtung des neuen Karl- Wilhelm-Denkmals wollte sich der Großher- zog für die Feiern bedanken, die zu seinem 50- jährigen Regierungsjubiläum veranstaltet wur- den. Am 29. April 1902 ließ Friedrich l. den Stadtrat wissen, er gedenke, "dem Gründer der Residenzstadt ( ... ) auf dem hiesigen Markt- platze an der Stelle der ( ... ) als Provisorium erstellten Pyramide ein Reiterdenkmal zu er- richten". Die mittlerweile als Wahrzeichen der Stadt geltende Pyramide sollte an anderer Stel- le wieder aufgebaut werden. Mit dem Entwurf des Denkmals beauf- tragte der Großherzog den Professor an der Karlsruher Kunstgewerbeschule Fridolin Diet- sehe. Der Leiter des Hofbauamtes, der Archi- tekt Friedrich Ratze!' entwarf den Sockel. In der Folgezeit scheute man es jedoch, die Pyra- mide vom Marktplatz zu entfernen. Das Rei- tersrandbild sollte nun in engem Zusammen- hang mit der Pyramide errichtet werden. Des- halb sah ein überarbeiteter Entwurf ein nach Norden ausgerichtetes Denkmal vor, dessen Sockel die Pyramide weit überragte. Doch konnre sich der Großherzog aus ästhetischen Gründen nicht dazu enrschließen, das Denk- mal ausführen zu lassen. Weitere Überlegun- gen gingen dahin, das Monumenr an Stelle des Ludwig-Brunnens zu errichren und diesen auf den Ludwigsplatz zu verlegen. 1907 und 1908 starben Friedrich l. sowie die Künstler Diet- 313 sehe und RalZel. Ihr Tod machte die Realisie- rung dieses Denkmalentwurfs unmöglich. Der neue Großherzog Friedrich 11. griff den Plan eines Karl-Wilhelms-Reiterdenkmals bald wieder auf. Der Marktplatz sollte jedoch unangetastet bleiben und kam als Standort nicht mehr in Frage. Den Auftrag für einen neuen Entwurf erhielt 1909 der Frankfurter Bildhauer FrilZ Boehle. Der sich an den alt- deutschen Kunsttraditionen orientierende und vom Galeriedirektor Hans Thoma sehr ge- schätzte Bildhauer sollte mit diesem Auftrag als Professor für die Karlsruher Kunstakade- mie gewonnen werden. Die Einweihung des Denkmals sollte 1915 zum 200-jährigen Stadt- jubiläum stattfinden. Als Standort wurde die Mittelpromenade der Hans-Thoma-Straße bei der WaIdstraße bestimmt, doch 1916 galt die Standortfrage als wieder offen. Der Erste Welt- krieg und der Tod Boehles im Jahr 1916 besie- gelten das Scheitern dieses Denkmalprojektes. Die Pyramide auf dem MarktplalZ aber war endgültig zum Monument des Stadtgründers Kar! Wilhe1m geworden. J UTT A D RESCH Südstern - Lebendige Geschichte zwischen Sturmlampe und Kastenschloss Der Südstern in der Marienstraße 32 ist zu- mindest Cineasten, die nach dem Besuch der Schauburg eine der vielen Kneipen der Süd- stadt besuchen, hinlänglich bekannt. Magisch ziehen dessen Schaufenster mit ihren Auslagen aus längst vergangenen Tagen den Passanten an, und kaum einer bleibt nicht wehmütig für eine Weile davor stehen. Doch nur wer den Südstern betritt, sich auf die Einrichtung und Auslagen einlässt, wird bemerken, dass dieser Raum, der das ge- samte Erdgeschoss einnimmt, die Geschichte des Hauses, seiner Bewohner und des Ge- schäfts zu erzählen weiß. Das dreigeschossige, durch schlichte Fens- tergewände und einfache Gesimse aus gelbem Sandstein architektonisch gegliederte Eckge- bäude, in dem sich der Laden befindet, wur- de 1872/73 in den Gründungstagen der Süd- stadt errichtet. Ein Schneider und ein Schuh- macher teilten sich das Erdgeschoss, was sich bis heute an den Ladentüren in der Marien- straße nachvollziehen lässt. In den ursprüng- lich drei begehbaren Schaufenstern, die nur diffuses, gebrochen weiches Licht in den In- nenraum dringen lassen, bot der Schneider seine Waren feil. Zwei dieser tiefen, durch Sprossenfensrer zum Innenraum offenen Vit- rinen sind heute neben den Türen leme Zeug- nisse aus der Entstehungszeit des Ladens. In nur wenigen Jahren wechselte das Haus dreimal seinen Besitzer, bis es 1899 schließlich von Adolf Rosenberger erworben wurde. Der mit Lederwaren handelnde jüdische Kauf- mann lebte damals bereits zehn Jahre in der Fächerstadr. Seine Frau Sophie betrieb in der Schützenstraße 52 einen Eisenwarenhandel. Rosenberger übernahm 1893 deren Geschäft und eröffnete es noch vor der Jahrhundert- wende im Erdgeschoss des neu erworbenen Hauses. Rötlich-braun gestrichene offene Re- gale und einfache mit sparsamem Dekor ge- 314 schmückte Theken sowie em Sortimenr- schrank mit hunderten kleiner, nummerierter Holzkästchen für Schrauben und Scharniere, Messer, Beschläge und Werkzeuge zeugen von der reichhaltigen Waren palette, die hier ange- boten wurde und das Fundament des wirt- schaftlichen Erfolgs legte. Rosenberger ließ gegen Ende der zwanziger Jahre seinen Laden vergrößern. Die Hofeinfahrt von der Schüt- zenstraße wurde bis zum Bodenniveau des Ladengeschäfts aufgefüllt und durch ein stäh- lernes Schaufenster, mit zurückgesetzter Ein- gangstür geschlossen. Ein winziger, nur wenige Quadratmeter großer Innenhof wurde über- dacht, wodurch ein dunkles Warenlager ent- stand. Diese Erweiterung brachte seinem Be- sitzer kein Glück. Adolf Rosenberger starb 1926, und seine Frau musste die Geschäfte wieder allein übernehmen. Sie konnte den Betrieb jedoch nur kurze Zeit leiten. 1936 stellten die Nationalsozialisten Haus und Ei- senwarengeschäft unter "arische Zwangsver- waltung", im Oktober 1940 wurde Frau Ro- senberger nach Gurs deportiert, wo sie am 12. Februar 1943 verstarb. Das Eisenwarengeschäft Rosenberger wur- de am 1. Juni 1936 durch den Kaufmann und Hilfspolizisten Otto App unter eigenem Na- men als "rein arisches Unternehmen" eröffnet, wie ein erhaltenes Flugblatt dokumentiert. In seinem Mietvertrag wird penibel festgehalten, dass die Einrichtung zwar verändert und um- geräumt werden dürfe, soweit dies der Ge- schäftsbetrieb erforderlich mache, doch sah App hierzu offensichtlich keine Veranlassung. Er führte das Geschäft bis weit in die Nach- kriegszeit ohne tiefgreifende Veränderungen an Einrichtung und Sortiment fort. Es muss heute als ein außerordentlicher Glücksfall an- gesehen werden, dass nach Apps Tod 1984 der Laden zunächst in einen Dornröschenschlaf verfiel. Als am 16. Oktober 1992 Peter F. Koch die Pforten der Eisenwarenhandlung wieder öff- nete, um die vorhandenen Warenbestände zu verkaufen, die eine knapp einhundert jährige Geschichte industrieller Eisenwarenprodukti- on dokumentierten, konnte niemand wissen, dass neben Nägeln und Schrauben, Sensen- wetzsteinen und emaillierten Reklamerafeln auch zahllose Dokumente erhalten blieben, die den schicksalhaften Weg des Geschäfts nachvollziehbar machen. Es ist das Verdienst Kochs, dass er den Mut aufbrachte, diesen Laden nicht zu modernisieren, sondern in den gegebenen Umständen dessen Geschichte fort- zuschreiben und darüber hinaus die histori- schen Dokumente zu bewahren. Doch dieses Kapitel wird mit dem 23. Dezember 2000 beendet werden. Dann schließt das ehemalige Eisenwarengeschäft in der Marienstraße end- gültig seine Pforten. ULRICH SCHNEIDER 315 Die Karlsruher Uhrmacherfamilie Schmidt-Staub Zur Eröffnung einer netten Abteilung im Badischen Landesmuseum Die Regierungszeit des Markgrafen Kar! Fried- rich bildet den Hintergrund für den Aufbau des Schmidc'schen Uhren geschäfts. Nach an- fänglich schweren Jahren konnte sich Johann Jacob Schmidt schließlich eine solide Existenz als Uhrmacher aufbauen. Seine Söhne, Enkel und Urenkel, Jacob, earl und Gustav führten die Uhrmachertradition des Familienunter- nehmens weiter: Taschen- und Turmuhren, Präzisions regulatoren oder Standuhren aus feinem Holz, Bronze oder Marmor wurden allseits geschätzt. Unter den Käufern waren auch berühmte Persönlichkeiten wie der Dich- ter Johann Peter Hebel. Für seine ausgezeichne- te Arbeit wurde Schmidt zum Hofuhrmacher ernannt. Seitdem war das Schicksal der Fami- lie eng mit dem badischen Hof verbunden. Dies gilt besonders für Georg Schmidt, den zweiten Sohn Johann Jakobs. Er wurde Beamter im Dienste des Großherzogs. Seine Hingebung an das öffendiche Wohl konnte er 1847 beim großen Theaterbrand unter Beweis stellen. Er war die ganze Zeit über bei den Löscharbeiten im Einsatz und musste miterle- ben, wie 63 Theaterbesucher einen qualvollen Tod fanden. Für seinen Einsatz wurde er we- nig später belohnt. Als durch ein Feuer seine eigene Wohnung verwüstet. wurde, erschien der Großherzog Leopold höchstpersönlich, um sich der Sache anzunehmen. Bis zur Behe- bung des Schadens konnte das Ehepaar Schmidt Logis im Schloss nehmen - Seite an Seite mit dem Landesherrn. Zwei Jahre später war es an Gustav, dem Großherzog zu helfen. Ihm oblag die Aufgabe, das Schloss vor der Plünderung revolutionärer Truppen zu schützen, nachdem Leopold vor Smnuhr den AufStändischen geflohen war. Geldbestän- de und Dokumente brachte Schmidt in Sicher- heit. Nicht verhindern konnte er allerdings, dass die Aufständischen einige Pferde aus dem Marstall entführeen und sich an den Beständen der Waffenkammer vergingen. Nur durch die dosieree Herausgabe der wertvollen großher- zoglichen Weinvorräte konnte Georg die Un- ruhestifcer besänftigen und so das Schlimms- te verhindern. Auch anderswo waren die Mitglieder der Familie Schmidt miceen im Geschehen der Zeit. 1844 durfte der lO-jährige Gustav eine 316 Probefahrt der neu erbauten Eisenbahn mit- machen. Mag das noch ein Vergnügen gewe- sen sein , so lässt sich das für seine Reise von Karlsruhe nach Brüssel im Jahr 1858 wohl kaum sagen. Das Unternehmen dauerte gan- ze drei Tage und zwei Nächte. Sein Weg führte ihn mit der Eisenbahn nach Mainz. Weiter ging es mit der Postkutsche nach Koblenz, von wo ein Dampfschiff nach Köln fuhr. Von dort schließlich brachte ihn der Zug endlich nach Brüssel. Ein Trost für die Beschwernisse des Reisens wurde ihm allerdings einige Zeit spä- ter gewährt: 1862 lernte er in einem Eisen- bahnabteil Luise Staub kennen, deren Vatet den ersten Frisiersalon der Stadt betrieb. Nur wenig später sollte sie seine Frau werden. Von der Hochzeit, wie von vielen anderen Familiengeschichten, berichten uns die Fami- lienpapiere - Tagebüchet, Briefe und Poesieal- ben. Sie lassen unter anderem die Zeit des Bie- dermeier lebendig werden und besehteiben typisch biedermeierliche Rituale wie das fami- liäre Beisammensein bei Kaffee und Kuchen. So geschah es auch bei der Vetmählung von Gustav und Luise 1862. Dem Anlass entspre- chend war die Torte von einem Amor mit Pfeil und Bogen gekrönt. Als Gustav diesen beim Anschneiden vorsichtig herunterheben wollte, fiel er in sein Weinglas. Unter großem Geläch- ter deuteten einige Gäste dies als böses Omen, doch zeigte die Zukunft, dass der Sturz des Liebesgottes den Neuvermählten kein größe- res Unglück bringen sollte. 1870/71, während des Krieges mit Frank- reich, verband sich das Familienschicksal er- neut mit der großen Politik. Dank der Kriegs- ereignisse gingen die Geschäfte sehr gut. Offi- ziere kauften Felduhren, die später - mit Split- tern und Kriegsschäden - zu begehrten Kauf- objekten wutden. Für "das Bestreben, in kunstgewerblicher Hinsicht die Uhrgehäuse sowohl stilgerecht als auch in sorgfältiger und liebevoller Ausführung" hergestellt zu haben, erhielt Gustav Schmidt einige Jahre später die Silberne Medaille der Gewerbeausstellung. Von den fünf Enkeln aus der Ehe Gustavs Schmidts mit Luise Staub erlernte der Älteste, Rudolf Schmidt-Staub, das Uhrenhandwerk, während der Zweitgeborene, Hermann, Gold- schmied wurde. Erst 1965 wurde das Uhren- fachgeschäft aufgegeben und teilte damit das Schicksal vieler Familienunternehmungen. Am 27. April 2001 wird im Badischen Landesmuseum die Ausstellung zur badischen Landes- und Kulturgeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnet. Mit die- ser Neueinrichtung unter dem Titel "Baden zwischen den Revolutionen 1789-1848" wer- den die Anfänge des Großherzogturns an his- torischem Ort, dem Karlsruher Schloss, leben- dig. Die Ausstellung führt den Besucher dutch die badische Geschichte in der Zeit Napoleons und des Biedermeier, dokumentiert die Um- gestaltung der Stadt durch Friedrich Wein- brenner und den vorindustriellen Aufbruch und leitet über die Erhebungen von 1848 in die zweite Hälfte des Jahrhunderts. All das haben die verschiedenen Generationen der Karlsruher Familie Schmidt bzw. Schmidt- Staub miterlebt. KRlSTIANE BURCKHARDT 317 Die Statuen von Erwin von Steinbach und Johannes Kepler Wer mit offenen Augen über den Karlsruher UniCampus flaniert. bemerkt schnell. dass hier nicht nur Institutsgebäude und laborhal- len zu finden. sondern auch zahlreiche Kunst- werke zu entdecken sind. Der Ort von For- schung und Lehre ist zugleich eine Art Musen- tempel- und das bereits von Beginn an. Vor- gestellt werden nachfolgend die ersten. aus der Gründungszeit des ehemaligen Polytechni- kums stammenden Kunstwerke: die bei den Statuen Etwin von Steinbachs und Johannes Keplers am Portal des Hauptgebäudes. Als Großherzog Ludwig von Baden 1825 die Polytechnische Schule in Karlsruhe grün- dete. fand in den ersten Jahren ihres Bestehens das neugegründete Institut eine provisorische Unterkunft im Lyceum am Marktplatz. 1832 erfolgte eine Reorganisation. bei der man mehrere bereits bestehende Lehranstalten wie die angesehene Bauschule Friedrich Wein- brenners. die Ingenieurschule Johann Gott- fried Tullas. die Forstschule und zwei weitere private Fachschulen im Polytechnikum zusam- menfasste, so dass nun ein Neubau dringend erforderlich wurde. Die Planung des ers- ten Hochschulgebäudes lag in den Händen des herausragenden Archi- tekten Heinrich Hübsch. der seit 1832 auch die Bauschule des Polytech- nikums leitete. Im Jah- re 1833 erfolgte die Grundsteinlegung. drei Jahre später konnte der Lehrbetrieb im eigenen Domizil an der östli- chen Langen Straße. der heutigen Kaiserstra- ße. aufgenommen werden. Hübsch. der mit seinem schulebildenden "Rundbogenstil" in Anlehnung an die italienische Frührenaissance den in Karlsruhe bislang vorherrschenden Klassizismus Weinbrenners ablöste. entwarf ein breites. dreigeschossiges Gebäude mit zen- tral gelegenem Treppenhaus. An der Vordersei- te bildete der Eingangsbereich mit seinen drei Rundbogenöffnungen den Hauptakzent. zu- sätzlich betont durch zwei Portalstatuen. die Hübsch als vermittelnde Elemente zwischen Außen- und Innentaum an dieser Stelle plan- te. Dabei dachte man wohl von Anfang an nicht an Figuren der Antike als Vorbilder eines humanistischen Bildungsideals. sondern an bekannte Persönlichkeiten der nationalen Geschichte. die programmatisch auf Funktion und Ausbildungsschwerpunkte der Polytech- nischen Schule verweisen sollten. Die Wahl fiel auf Erwin von Steinbach (um 1244- 1318). den Baumeister des Straßburger Mün- sters. und auf den Astro- nomen Johannes Kepler (1571- 1630): Der eine als »Repräsentant der Technik und Kunst". der andere als "Reprä- sentant der mathemati- schen Wissenschaften«. wie Hübsch ausführte. Beide waren weithin be- rühmte Vertreter ihrer Fachgebiete. die Weg- weisendes geleistet hat- ten und überdies eng 318 mit der südwestdeurschen Region verbunden waren. Der Auftrag für Entwurf und Ausfüh- rung der zwei Portalfiguren wurde an A10ys Raufer vergeben. Raufer, der seit 1830 als Leh- rer für Modellieren an der Polytechnischen Schule unterrichtete. gehörte im ersten Drir· tel des 19. Jahrhunderts zu den führenden Bildhauern in Baden. Seine Werke sind auch heute noch an prominenten Stellen im Stadt- bild von K:arlsruhe zu finden - erwähnt sei als Beispiel das 1833 auf dem Marktplatz errich- tete Denkmal für Großhetzog Ludwig. Raufers um 1839 vollendete Portalstatuen aus gelbgrünlichem Schilfsandstein sind keine Idealbildnisse, sondern porträthafte Figuren. Sie lassen die Intention des Bildhauers, die in- dividuelle äußere Erscheinung der histori- schen Personen möglichst wirklichkeitsgetreu wiedetzugeben, deutlich erkennen. Beim Bild- nis von Johannes Kepler konnte sich Raufer an den überlieferten Porträtgemälden des Gelehr- ten aus dem 17. Jahrhundert orientieren. Für die Gestalt Erwin von Steinbachs, der seit Goethes Aufsatz "Von deurscher Baukunst" (1772) zu den populärsten Künstlerpersön- lichkeiten des Mittelalters zählte, nahm er sich offensichtlich zwei im Straßburger Münster aufgestellte Figuren aus dem späten 15. Jahr- hundert zum Vorbild, die damals - und wie sich später zeigte irrtümlicherweise - als au- thentische Bildnisse des Erwin von Steinbach galten. Überlebensgtoß und vollplastisch aus- geführt, sind beide Statuen durch Attribure gekennzeichnet: Erwin von Steinbach hält ein Modell des Straßburger Münsters in der einen und ein Winkelmaß in der anderen Hand, während Johannes Kepler durch Weltkugel und Fernrohr charakterisiert ist. Dieses erste eigene Gebäude der Polytech- nischen Schule bot Platz für insgesamt erwa 300 Schüler. Doch die rasch steigende Zahl an Studenten machte schon bald eine Erweite- rung der Räumlichkeiten notwendig. Bis 1864 war die Vergrößerung des Hauptbaus - heute Sitz von Rektor, Senat und Verwaltung - nach den Plänen von Friedrich Theodor Fischer ab- geschlossen. Hübschs Nachfolger in der Bau- direktion löste die Aufgabe, indem er das schon vorhandene Gebäude als Flügelbau ver- wendete und in östlicher Richtung noch ein- mal errichten ließ. Der ursprüngliche Zugang wurde geschlossen, die beiden Skulpturen von Raufer an das neue Portal versetzt und nun auf Wandpfeilern stehend wieder aufgestellt. Aus konservatorischen Gründen wurden die durch Luftverschmutzung gefahrdeten Fi- guren 1976 gegen Kopien aus Epoxydharz ausgetauscht, die Originale befinden sich seit- her im Foyer des Universitätsbauamts. URSULA MERKEL 319 Wasser für die Residenz Friedrich Weinbrenners Brunnenhalls in Dllrlach Seit dem Mittelalter nutzten die Durlacher mehrere natürliche Quellen, die am Fuß des Geigersbergs unmittelbar an der Landstraße nach Ettlingen entspringen, zur Versorgung der Stadt mit fließendem Wasser. Nachweis- lich seit 1468 war eine Quelle baulich gefasst, das Wasser lief über hölzerne Deichelrohre zu einem Brunnenrurm beim Blumentor, um von hier einige öffentliche Brunnen innerhalb der Stadtmauern zu speisen. Später mehrfach verbessert und erneuert, erfüllte diese Leitung bis ins 19. Jahrhundert ihren Dienst. In der 1715 neu gegründeten Residenz Karlsruhe stand es mit der Wasserversorgung im 18. Jahrhundert hingegen nicht zum bes- ten. Man konnte zwar das lebensnotwendige Nass wegen des hohen Grundwasserstands relativ leicht gewinnen, sodass nahezu jedes Haus einen eigenen Zieh- oder Pumpbrunnen besaß; die Wasserqualität ließ jedoch sehr zu wünschen übrig, nicht zuletzt wegen der vie- len Sickergruben, durch die das Abwasser ins Grundwasser gelangte. Wer es sich als Karlsru- her leisten konnte, ließ deshalb Trinkwasser in Fässern aus Durlach und Umgebung heran- fahren. Der alte Karlsruher Wunsch nach reinem Wasser führte nach langen Überlegungen erSt nach 1819 zu konkreten Planungen. Der Bür- germeister von Durlach wies damals auf die noch ungenutzte Quelle zwischen dem alten Durlacher Brunnenhaus und der Bäderbrünn- le Quelle hin, deren Wasser bislang in der sumpfigen Niederung der Weihergärten versi- ckerte. 1821 wurde eine Kommission einge- setzt, die die Möglichkeit der Fassung der Quelle und ihrer Leitung nach Karlsruhe un- tersuchte. Ihr gehörten u. a. der wegen seiner Rheinkorrektion berühmt gewordene Ingeni- eur Johann Gottfried Tulla, Baudirektor Fried- rieh Weinbrenner sowie der "Mechanik- und Mühlen-Baukunst-Practicus" Joseph Haber- 320 stroh aus Ettlingen an. Ihr Projekt wurde 1822 von Großherzog Ludwig genehmigt und bis 1824 realisiert. Über der neu gefassten Quelle an der heu- tigen Ecke von Badener und Marstallstraße wurde ein weiteres Brunnenhaus errichtet, das Wasser zum alten Turm Ecke Pfinztal- und Ba- dener Straße geleitet und dort eine neue Me- chanik eingebaut. Diese erzeugte, angetrieben von beständig im Kreis gefuhrten Pferden, den nötigen Druck, das Wasser durch zwei gussei- serne Rohre entlang der Durlacher Allee bis nach Karlsruhe zu pumpen, wo eine Reihe von laufenden Brunnen vor allem auf städti- schen Plätzen, etwa dem Markt-, dem Ron- dell-, dem Lidell- und dem Ludwigsplatz, ge- speist wurden. Friedrich Wein brenner war als Leiter des öffentlichen Bauwesens für die Gestaltung der Karlsruher Brunnen, aber auch für die Errich- tung des Durlacher Brunnenhauses verant- wortlich. Er löste die ungewöhnliche Bauauf- gabe - wie wir noch heute sehen können - auf anspruchsvolle Weise. Über die reine Funkti- onserfüllung hinaus und völlig anders als die benachbarten älteren, heute verschwundenen Quellhäuser, die schlichte Zweckbauten wa- ren, erhielt der massive Bau eine äusserst re- präsentative, gedrungen-monumentale Form in der für Weinbrenner charakteristischen For- mensprache des Klassizismus. Das mit mäch- tigen Sandsteinplatten gedeckte Satteldach, die wie im Boden versunkenen Pilaster der Wandgliederung oder die archaische Bogenni- sche der Giebelseite mit dem Portal sind stilis- tisch deutlich von der französischen Revoluti- onsarchitektur beeinflusst. Nicht weniger ein- drucksvoll zeigt sich das Innere des Gebäudes. Eine schwere Tonne überwölbt das rechtecki- ge Quellbecken, in dem sich das aus der Erde aufsteigende Wasser sammelt. Ein Umgang ermöglicht es dem Besucher, entlang der Au- ßenwände das Becken zu umschreiten. Noch heute erfüllt das Gebäude seine Auf- gabe der Quellfassung, wenngleich das Wasser nicht mehr der Versorgung der Bevölkerung dient und ungenutzt über einen Graben der Weihergärten in die Kanalisation abfließt. Bis zur Erbauung des Wasserwerks im Oberwald 1871 versorgte es ganz Karlsruhe, später speis- te die Quelle nach dem Neubau des Durlacher Wasserwerks Ecke Pfinztal- und Badener Stra- ße von den 1890er bis in die I%Oer Jahre noch die Haushalte in Durlach. GERHARD KABIERSKE Das Karlsruher Gefängnis Ein Nmrenaissancebau von fase[ Durm Gefangene hatte man früher im Rathausturm oder in dem schmalen Zellenbau, der ehemals im Hofe des Landgerichts stand, eingesperrt. Doch mit der wachsenden Einwohnerschaft Karlsruhes stiegen die Gefangenenzahlen an, unerträglich wurde die drangvolle Enge in den Zellen, der Plarz reichte nicht mehr aus. Man 321 plante daher ein neues Gebäude auf einem Grundstück zwischen heutiger Stabel- und Riefstahlstraße. Ein landläufiger Gefangnisbau hätte dort neben den Kirchen, öffentlichen Bauten und Villen das städtebauliche Gesamt- bild gestört. Prof. Eugen von Jagemann (1849- 1926), der aus dem badischen Justizdienst kam und mit StrafvoUzugsfragen vertraut war. schlug daher vor. nach dem Vorbild des Sankt- Petersburger Untersuchungsgefängnisses einen aufgegliederten Bau zu errichten. dessen Au- ßenfassade an ein Museum erinnert. Der mit dem Entwurf befasste Oberbaudirektor Josef Durm (1837-1919) griff die Idee auf und schuf in den Jahren von 1894 bis 1897 einen rechteckigen Baukärper mit abgerundeten Kanten und einer unauffällig wirkenden Neo- renaissance-Fassade. Der Sockel und die Fen- sterumfassungen des dreistöckigen Bauwerks sind in Sandstein. die übrigen Außenflächen in rötlich-gelben Backsteinen ausgeführt. Der Dachstuhl musste nach Bombenschäden neu errichtet und mit Schiefer eingedeckt werden. Die Außenmaße des Baus betragen 77 x 47 m. Seine Flügel umschließen einen geräumigen. etwa 60 m langen und 30 m breiten Innenhof. auf den sämtliche Zellen ausgerichtet sind. Dank dieser Bauweise verlaufen im Inneren alle Flure an der zur Straßenseite gehenden Wand. so dass nach außen hin keine vergitter- ten Zellenluken. sondern frei gestaltete größe- re Bogenfenster angebracht werden konnten. In den Ostflügel des Gevierts ist ein herausra- gender. erhöhter Mittelbau eingelassen. in dem die Verwaltungsräume mit Krankenre- vier. Arztzimmer. Bibliothek und Anstaltska- pelle sowie im Untergeschoss die Küche unter- gebracht sind. In den Untergeschossen der Sei- tenflügel befinden sich die Werkstätten. der Zentralheizungskeller und das Waschhaus. Al- te Baugrundrisse lassen erkennen, dass in einer Hofecke ein längst verschwundenes Schafott- fundament angelegt war. Bis etwa Mitte der dreißiger Jahre sollen dort zu Todesstrafe Ver- urteilte hingerichtet worden sein. Bei der Erbauung verfügte das Amtsge- fängnis über 124 Einzelzellen. zehn Kranken- zellen und vier Arbeitszellen. Als normale Gesamtbelegung war früher eine Zahl von 162 Gefangenen vorgesehen. heute geht man nach Veränderung einzelner Zellen von 111 Haft- plätzen aus. In den ersten Nachkriegsjahren waren allerdings bis zu 400 Personen hinter den Mauern verwahrt. Auch gegenwärtig be- steht eine gewisse Oberbelegung. Zut Zeit sind 151 erwachsene Männer inhaftiert (Stand 1.1.2001). Während man in dem Hause frü- her auch zeitliche Freiheitsstrafen vollstreckte. wird heutzutage nur Untersuchungshaft für Beschuldigte aus dem gesamten Landgerichts- bezirk Karlsruhe vollzogen. Daneben sitzen auch so genannte Trennungsgefangene aus an- deren Bezirken ein. die mit bestimmten Tatge- nossen keinerlei Konrakt halten dürfen. Bis nach Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich im Hause zugleich eine abgesonderte Frauenabteilung. seit längerem aber sind weib- .\ bll. I. O .. tfrolit . 322 liehe Gefangene in speziellen auswärtigen Anstalten untergebracht. In der Verwaltung der Justizvollzugsanstalt - so heißt die Einrichtung nunmehr - sind ge- genwärtig zwölf Mitarbeiter, im Vollzugs- dienst 61 Bedienstete beschäftigt, ebenso ist ein Psychologe tätig. Eine Ärztin und zwei Anstaltsseelsorger betreuen die Insassen an einzelnen Tagen. Drei Sozialarbeiter nehmen sich der Sorgen und Nöte der Gefangenen während der Haft an, zudem können sie den Übergang in die Freiheit, nötigenfalls die Wiedereingliederung, vorbereiten und beglei- ten. Ehrenamtlich unterstützt und gefördert wird diese Tätigkeit von dem Bezirksverein für soziale Rechtspflege (früher: Gefangenenfür- sorge und Bewährungshilfe), der seit dem Jah- re 1832 in Karlsruhe seine Hilfen anbietet. REINER HAEHLlNG VON LANZENAUER Die Künstleröfen der Majolika-Manufaktur Karlsruhe Die Baukeramik gehörte von Anfang an zu den angestrebten Betätigungsfeldern der 1901 gegründeten Karlsruher Majolika-Manufak- tur. Ihr Mitbegründer H ans Thoma hatte dabei sowohl die äußere Gestaltung eines Bau- es als auch die Ausstattung von Innenräumen im Sinn. Getreu dem Anliegen der Manufaktur, Künstler und Architekten zur Mitarbeit zu ge- winnen, schufen auch außenstehende Entwer- fer wie beispielsweise der Architekt Hermann Billing Kachelöfen für die Manufaktur. Auch Abteilungsleiter Hans Grossmann selbst fertig- te Entwürfe. Von Grossmann und Billing stammen die Öfen für die Innenaussrattung des Karlsruher Künstlerhauses, dessen innerer Umbau durch das Architekturbüro Gross- manns erfolgte. Diesen Entwürfen ist im Gan- zen ein historisierender Zug eigen, so im Fal- le der beiden Öfen für das Künstlerhaus mit Rücksicht auf die Architektur in Formen des Empire. Durch den Ersten Weltkrieg wurde die positive Entwicklung der Baukeramik unter- brochen. Anfang der zwanziger Jahre erfolgte jedoch ein erneuter Aufschwung. Es gelang der Manufaktur, bedeutende Künstler zur Mitarbeit zu gewinnen. Im Bereich der Ka- chelöfen führte dies zu einer Kollektion von Künstletöfen, zu der so namhafte Entwerfer wie Fritz August Breuhaus, Emil Fahrenkamp, Josef Hillerbrand u. a. beitrugen. Außerdem erhielt die Manufaktur zahlreiche Aufträge für einzelne Öfen, aber auch ganze Ofenanlagen, von privater und öffentlicher Seite. Auffallend bei diesen Auftragsarbeiten ist, dass sie sich im Gegensatz zu den modernden Künstleröfen sehr an traditionellen Vorbildern orientieren und stark historisierende Züge aufweisen. Der Kachelofen erfreute sich auch in den zwanziger Jahren noch großer Beliebtheit, ob- wohl zunehmend modernere Formen des H ei- zens Verbreitung fanden. Mochte man auch der Zentralheizung heiztechnische Vorzüge zugestehen, so war doch in Bezug auf Behag- lichkeit und Repräsentation eindeutig dem Kachelofen der Vorzug zu geben. Auch was die künstlerische Gestaltung betraf, beschäftigte 323 Kachelof(:n, F. A. Br(:uhaus, 1920. man sich weit intensiver, mit dem Entwerfen von Öfen als etwa der künstlerischen Gestal- tung von Heizkörperverkleidungen. Die Besonderheit der Karlsruher Künstler- öfen besteht darin. dass sie sich zwar im Rah- men des traditionellen Ofen typs bewegen. innerhalb dessen aber. wie ihnen die zeitgenös- sische Kritik bescheinigt. zu "modernem Stil- empfinden" gelangen. Entsprechend dem her- kömmlichen Ofenaufbau bestehen sie aus ei- nem Unterbau. der entweder auf einem Sockel oder auf Füßen steht und in dem das Heizma- terial verbrannt wird. Darüber erhebt sich der Oberofen. der zylinder-. kegel- oder kastenför- mig angelegt sein kann. Er hat die Aufgabe. die Strahlungsfläche des Ofens zu vergrößern. Meistens ist er daher recht hoch. aber im Durchmesser kleiner als der Unterofen. Den oberen Abschluss bildet die Bekrönung. häufig der am aufWendigsten durchgestaltete Teil des Ofens. Während die Entwerfer der Künstleröfen diesen durch Tra- dition und Technik gebildeten Aufbau aufgrif- fen. folgten sie in ihrer künstlerischen Gestal- rung jedoch weder volkstümlichen noch histo- risierenden Vorbildern. So setzte auch Fritz August Breuhaus in seinem hier abgebildeten Ofen den herkömm- lichen Typus in die sachliche Formensprache der zwanziger Jahre um. Die Formen sind ganz auf schlichte Quader reduziert. Die Oberfläche des Unterbaus. der auf einem Mes- singrahmen mit vier Füßen steht. trägt als ein- zigen Schmuck die durch unterschiedliche Farbgebung hervorgehobenen Rippen. Es wer- den nur wenige. große Kacheln verwendet. so dass der einheitliche Charakter des Unterbaus noch verstärkt wird. Um diesen nicht zu stö- ren. ist auch die Befeuerungstür seitlich ange- bracht. Die Schlichtheit des vom Umfang her et- was kleineren Oberofens wird noch dadurch betont. dass pro Seite nur eine einzige glatte Kachel in einen etwas vorspringenden Rah- men eingesetzt ist. Die Bekrönung ist ebenso zurückhaltend und besteht aus einem geraden. sich etwas nach außen neigenden Gesims. Al- les Schmückende konzentriert sich hier auf die Bemalung. die auf dem Oberbau angebracht ist. Während die Seitenteile mit pflanzlichen Motiven bemalt sind. trägt die große Vorder- seite eine mythologisch an murende Szene zweier miteinander kämpfender Reiter. Die Suche nach neuen Formen bei den Karlsruher Künstleröfen wurde von zeitgenös- sischen Kritikern der Gewerbeschau in Mün- chen 1922 lobend festgestellt. Dort waren mehrere der Künsrleröfen. darunter auch der hier gezeigte Ofen von Breuhaus. zu sehen. Trotz des "modernen Stilempfindens" wurde positiv bewertet. dass die Öfen keinem neuen Stil um der Neuheit willen folgen und damit zur Modeerscheinung werden. sondern be- 324 wusst auf alten Formen und Techniken etwas Neues aufzubauen suchen. Die Künstleröfen fielen umso mehr auf, als die Beispiele anderer Hersteller überwiegend "in der bodenständi- gen Geschmacksrichtung altdeutscher Hafuer- kunst" gehalten waren. Wurde den Künstleröfen 1922 auch be- scheinigt, sich keiner Modeströmung zu un- terwerfen, so sieht man ihnen aus heutiger Sicht doch deutlich ihre Entstehungszeit an. Die Modernität und künstlerische Leistung lässt sich jedoch nicht zuletzt im Vergleich zu den Öfen ablesen, die in den dreißiger Jahren von der Manufaktur angeboten wurden und die in ihrer Formensprache wieder ganz auf traditionelle und volkstümliche Vorbilder zu- rückgriffen. Der abgebildete Ofen von Fritz August Breuhaus ist Bestandteil der ständigen Ausstel- lung des Museums in der Majolika-Manufak- tur. Die Ausstellung gibt einen überblick über die Geschichte der Manufaktur und ist täglich außer Montag von 10-13 Uhr und 14-17 Uhr geöffnet. EVA SPINDLER "Terra et mundus" von Hans Kindermann Auf ihrem weitläufigen Areal beherbergt die Universität Karlsruhe nicht nur Institute und Laborhallen, sondern auch eine Vielzahl an Kunstwerken und Technikobjekten. Über die Jahrzehnte hinweg entstand an der Stätte des Forschens und Lehrens sowohl innerhalb wie außerhalb der Gebäude eine Art Museum, das ein bemerkenswertes Spektrum herausragen- der Beispiele der bildenden Kunst und der Technikgeschichte umfasst. Während der ers- ten 130 Jahre nach Gründung der Polytechni- schen Schule (1825) wurden Kunstwerke vor- wiegend als bauplastischer Schmuck, als Denkmalssetzungen oder zur Innenraumge- staltungen ausgewählt. Der weitaus größte Teil datiert jedoch aus neuerer Zeit und konnte zumeist mit Hilfe des "Kunst am Bau"-Pro- gramms seit Ende der 1950er Jahre erworben werden. Den Hintergrund hierfür bildete ein Beschluss des Bundestages von 1950, der 1955 von der Landesregierung Baden-Württemberg festgeschrieben wurde. Er besagt, dass "zur Förderung der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks ( ... ) bei allen staatlichen Bau- aufträgen ( ... ) im Regelfall 1 bis 2 % der Bau- auftragssumme" für ·künstlerische Arbeiten vorgesehen werden soll. Mit diesen Mitteln wurde auch die Bronzeplastik "Terra et mun- dus" ("Erde und Weltall") von Hans Kinder- mann realisiert. Das Kunstwerk befindet sich seit 1969 auf der westlichen Grünfläche des Physikgebäu- des, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ins- titut für Nachrichtentechnik. Eine Vielzahl amorph geformter und ineinander greifender Einzelteile mit schrundig zerklüfteter Oberflä- che fügen sich zu einer durchlässigen Kugel zusammen. Wie in einer unaufhörlichen. wir· belnden Bewegung scheint das in seiner Mit- te offene Gebilde schwerelos im Raum zu schweben. Das lebhafte Spiel von Licht und Schatten, das sich auf den Wölbungen, Graten und Vertiefungen der Bronze entfaltet, unter- streicht den transitorischen Charakter des Bildwerks: Innen und Außen, Materie und Raum sind keine unvereinbaren Gegensätze, sondern einander bedingende und ergänzende Elemente. 325 Anders als die ebenfalls zum Kunstbesitz der Universität gehörenden Plastiken von Ari- stide Maillo!, Bernhard Heiliger oder Karl- Heinz Krause, die unabhängig von ihrem künftigen Standort geschaffen wurden, ent- stand "Terra et mundus" als Auftragsarbeit für die Neubauten der Institure für Nachrichten- technik und Physik. Die Geschichte dieses Bildwerks lässt sich bis z~m Jahr 1959 zurück- verfolgen. Zum damaligen Zeitpunkt dachte man zunächst ausschließlich an eine Bildhau- erarbeit für das neue, zwischen 1959 und 1964 errichtete Gebäude. Der mit der Pla- nung des Neubaus beauftragte Architekt Wolf- gang Hirsch von der "Werkgemeinschaft Karlsruhe" beabsichtigte, den Eingangshof des Instituts mit einer Brunnenanlage und einer freistehenden Skulptur zu schmücken. Als für diese Aufgabe geeigneten Künstler schlug Hirsch den an der Karlsruher Kunsta- kademie lehrenden Bildhauer Hans Kinder- mann (1911-1997) vor. Dabei verwies der Architekt ausdrücklich auf Varianten, die Kin- dermann neben seinem realisierten Brunnen- entwurf für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel vorgelegt hat- te und die nicht zur Ausführung bestimmt worden waren. Diese Varianten dienten als Ausgangspunkt für die künftigen Planungen. Anfang der sechziger Jahre entwickelte Hans Kindermann schrittweise eine modifi- zierte künstlerische Konzeption, die als zei- chenhafte, abstrakt-plastische Chiffre symbo- lisch auf die moderne Nachrichtentechnik und damit auf die Nutzung des Gebäudes ver- weisen sollte. Obwohl die Arbeit am Modell wenig später abgeschlossen war und die Um- setzung in Kürze hätte erfolgen können, erga- ben sich nun langwierige Verzögerungen, in deren Folge nicht nur der Entwurf noch wei- terentwickelt und umgestaltet, sondern auch der ursprünglich geplante Standort verändert wurde. Nicht zuletzt stellten die zu erwarten- den hohen Gusskosten der Großplastik ein Problem dar. Nach längeren Diskussionen wurde jedoch eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung gefunden: Man einigte sich darauf, das Bild- werk wenige Meter vom zunächst vorgesehe- nen Standort entfernt auf dem Gelände der benachbarten, gerade im Bau befindlichen Physikalischen Institute aufzustellen und die für künstlerische Gestaltungen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel beider Institutio- nen zusammenzufassen. Die Ausführung der Plastik übernahm ab 1966 die Karlsruher Firma Metz und Bachert. Stück für Stück wurden die insgesamt 124 Bronzeteile im Wachsausschmelzverfahren gegossen und anschließend im Atelier des Künstlers überarbeitet. Einige der Teilformen waren 1966 in Essen und 1967 in Karlsruhe auf den Jahresausstellungen des Deutschen Künstlerbundes zu sehen. 1968 konnten die Bauarbeiten am Neubaukomplex der Physika- lischen Institute im Wesentlichen abgeschlos- sen werden, einige Monate später folgte die Aufstellung der mehr als fünf Tonnen schwe- ren Plastik. URSULA MERKEL 326 Das Durlacher "Markgrafendenkmal" Wer auf dem Durlacher Marktplatz den Blick schweifen lässt. entdeckt auf dem Balkon des Rathauses eine steinerne Ritterfigur. Geht man dann in das Pfinzgaumuseum in der Karlsburg. stäßt man erneut auf diese Ritter- gestalt mit einer Fahne aus Eisenblech und einem Schild mit dem badischen Wappen. Im Museum steht das Original. auf dem Rathaus- altan eine Kopie. Welche Geschichte verbirgt sich hinter dieser doppelten Ritterfigur? Im Jahr 1567 ließ die gerade zur Residenz erhobene Stadt Durlaeh einen großen steiner- nen Brunnen errichten und darauf eine steiner- ne Statue setzen. Einer jahrhundertealten Über- lieferung folgend gilt diese als eine Darstellung des Markgrafen Karl Ir .• der 1565 seine Resi- denz von Pforzheim nach Durlach verlegen ließ. Angeblich aus Dankbarkeit ge lach die Ritterfigur anfertigen. die als Markgrafensta- tue in die Geschichtsschreibung einging. Der Durlacher Marktplatzbrunnen von 1567 wurde 1862 abgerissen. Man ersetzte ihn durch einen gusseisernen achteckigen Brun- nen mit einem ebenfalls gusseisernen Aufsatz. zu dem die jahrhundertealte Ritterstatue nicht passte. Zunächst plante die Stadt. die Standfigur auf den vor dem Schloss gelegenen Fischbrun- nen zu setzen. Dagegen erhoben allerdings der großherzogliehe Archivrat Bader und der Konservator Hofmaler von Bayer Protest. denn schließlich handele es sich um die Dar- stellung eines ehemaligen Landesherren. Da- raufhin wurde die Statue auf dem Rathausbal- kon untergebracht. Das stieß aber auf die Ablehnung des Großherzogs. der die steinerne Darstellung seines Vorfahren nicht so unwür- dig untergebracht sehen wollte. Nun schalte- ten sich Kreisregierung und Obetamt ein. bis der Bürgerausschuss eine Summe von 1.000 Gulden für die Restaurierung der Sandsteinfi- gur beschloss. Die nun von einer Brunnenfi- gur zum Denkmal gewordene Statue samt Baluster wurde 1865 nach Entwürfen August von Bayers um einen mit vier gusseisernen he- raldischen Löwen verzierten Sockel unterbau erweitert, mit einem Zaun umgeben und auf der Grundfläche des 1829 begonnenen. aber nicht ausgeführten Karl-Friedrich-Denkmals auf dem Schlossplatz an der Ecke Pfinztalstra- ße/Karlsburgstraße errichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Figur so stark verwittert. dass der großherzog- liehe Konservator Ernst Wagner 1902 vor- schlug, sie zu restaurieren und in einen ge- 327 schlossenen Raum zu stellen. Er meldete zu- dem Zweifel an, dass es sich um eine Darstel- lung des Markgrafen Karl 11. handele. In einer damaligen Durlacher Volksweise, die Wagner zitierte, meinte er einen Hinweis zu entde- cken, dass auch die Durlacher sich nicht sicher waren, ob es sich tatsächlich um die Statue Karls II. handele: "Zu Durlach auf dem Brun- ne, Da steht ein Mann mit Spieß; Er sagt, er kann nicht kumme, Er hätt so krumme Füß." Dennoch wurde die Ritterfigur nun als Zeichen der Durlacher Geschichte entdeckt. In Durlach wuchs, wie auch in anderen Städ- ten, ein ortsgebunden-historisches bürgerli- ches Selbstverständnis. Ebenfalls 1902 er- schien im Durlacher Wochenblatt ein Aufruf, eine Altertümersammlung anzulegen - das war der Beginn der Sammlungen des heurigen Pfinzgaumuseums. Im gleichen Jahr begann auch die Diskussion über eine mögliche Wie- derherstellung des alten Marktplatzbrunnens mit der Ritterstatue, in die auch der Maler Karl Weysser einbezogen wurde, der ein heu- te im Pfinzgaumuseum zu sehendes Ölgemäl- de des Marktplatzbrunnens von 1567 gemalt hatte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg be- schloss der Durlacher Gemeinderat tatsächlich die Rekonstruktion des alten Brunnens und rief eine Kommission mit Fachleuten ins Le- ben. Der gerade zum Konservator ernannte Friedrich Eberle veröffentlichte einen Spen- denaufruf für dieses Projekt, das nach Ende des Krieges in den 20er Jahren weiter verfolgt wurde. Doch der Marktplatzbrunnen blieb unverändert. Aber schon 1911 hatte Heinrich Bauser den Auftrag erhalten, die Ritterfigur zu restaurieren, die nun im Erdgeschoss des Rat- hauses aufgestellt werden sollte, und eine Ko- pie anzufertigen. Ein Jahr später wurde die Statue abgebaut, 1915 der Sockel abgetragen und der mit heraldischen Löwen geschmück- te Unterbau auf den Bauhof gebracht. Die Ritterstatue wurde 1929 schließlich dem 1924 eröffneten pfinzgaumuseum über- geben, die Kopie schmückt seitdem den Rat- hausbalkon. Auch wenn es sich nicht um eine Darstellung des Markgrafen Karl II. handelt, sind Original und Kopie heute fest im Durla- eher Bewusstsein verankerte Symbole der eige- nen jahrhundertealten Geschichte. SUSANNE ASCHE Kunst oder Schrott? Das Hirschtor im Karlsruher Schloss garten Es steht in Sichtverbindung mit dem Schloss- turm und schließt den Schlossgarten gegen den Fasanengarten ab, die bei den Parkteile dabei trennend und doch optisch miteinander ver- bindend. Gemeint ist das prächtige schmiede- eiserne Gittertür, das wegen seiner repräsenta- tiven Erscheinung und seiner handwerklichen Perfektion ein beliebtes Fotomotiv abgibt. Zwischen den von Schmuckvasen gekrön- ten Steinpfeilern sind drei Eisengitter wie Spit- zenwerk eingespannt: Schmale, jeweils mit dem badischen Wappen geschmückte Fuß- gängerpforten flankieren das breite Haupttor der Durchfahrt, das korbbogenförmig über- höht ist und in einer Wappenkartusche mit den Initialen MarkgrafKarl Friedrichs gipfelt. 328 Skiue des Tores z.um Vorhor des Schlosses. Der spröde Werkstoff Eisen wird im phanta- sievoll-plastischen Schmuckwerk. das wurzel- • ranken- oder blattartig aus den Vertikalsrre- ben herauszuwachsen scheint, in seiner Mate- rialeigenschaft geradezu negiert. Zweifellos handelt es sich um ein Meister- werk der Rokoko-Schmiedekunst aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. das in eine Reihe zu steI- len ist mit berühmten zeitgenössischen Beis- pielen anderer Barockschlösser. etwa in Würz- burg oder Schwetzingen. Als Zeichner des Entwurfs ist der damals noch junge. seit 1752 am Karlsruher Hof tätige Baumeister Wilhe1m Jeremias Müller überliefert. die Ausführung besorgte der talentierte Hofschmied Melchior Hugenest. der auch die Fenster-. Balkon- und Treppengitter des Schlossneubaus fertigte. Das Tor wurde nicht immer so geschätzt wie heute. Schon unmittelbar nach seiner Fer- tigstellung im Jahr 1759 untersagte Karl Fried- rich die Aufstellung am vorgesehenen Ort. dem Hauptzugang des Schlosses zwischen den gerade fertig gestellten Wachhäuschen. Wie sehr es dort in spätbarockem Sinn das Ge- samtbild des Ehrenhofs bereichert hätte. macht eine Skizze deutlich. die sich im Nach- lass des Bauhistorikers Arnold Tschira im Süd- westdeutschen Archiv für Architektut und in- genieurbau an der Universität Kadsruhe fand . Der Markgraf. durch seine Gemahlin Karoline Luise gut über die aktuellen französischen Modesträmungen informiert, hatte erkannt, dass das Tor nicht mehr dem neuestcn Pariser Geschmack entsprach. der sich immer stärker an der Antike orientierte. Für Jahrzehnte ver- schwanden die reich geschmückten Gitterflü- gel im Bauhof. erst 1806 fand das Tor an ab- gelegener Stelle beim Neuen Zirkel eine unter- geordnete Verwendung. obwohl ein Gutach- ten Friedrich Weinbrenners damals sogar schon fast sein Ende bedeutet hätte. Der be- rühmte Architekt - Vertreter eines schlichten Klassizismus - fand. dass das Werk seines Vor- gängers Müller mit seinen Schnörkeln ganz und gar abzulehnen sei. da "man über dassel- be gleich einer Leiter leicht einsteigen und sich im vorbeigehen durch die hervorragenden. langen und spitzigen Verzierungen beschädi- gen kann". Glücklicherweise erfolglos forderte er den Verkauf als altes Eisen. aus dessen Erlös ein modernes Tor finanziert werden könne. Erst 1864. als - bezeichnenderweise wieder von Paris ausgehend - das Rokoko neu ent- deckt wurde. erkannte man am Karlsruher 329 Hof die Qualität des inzwischen über hundert Jahre alten Tores und verschaffte ihm seine heutige Stelle. Zwei ruhende Hirsche. Kopien nach Christian Daniel Rauch. wurden damals zu beiden Seiten als zusätzlicher Schmuck auf- gestellt. Sie verschwanden leider nach dem Zweiten Weltkrieg. nur der Name "Hirschror" erinnert heute noch an sie. GERHARD KABIERSKE Der "Männerwald" von HAP Grieshaber Obwohl es keine städtische Galerie. das heißt keine Ausstellungsräume rur eine permanente Präsentation der Kunstwerke gab. kaufte die Stadt Karlsruhe seit dem späten 19. Jahrhun- dert immer wieder Gemälde. Zeichnungen. Druckgrafiken und Plastiken vorwiegend hie- siger Künstler an. 1971 erwarb die Stadt Dru- cke der 8-teiligen Holzschnittserie "Männer- wald" von HAP Grieshaber anlässlich einer Werkausstellung des Künstlers im Badischen Kunstverein. Der Künstler war zu dieser Zeit in Karlsruhe sehr bekannt. 1955 wurde er als Nachfolger Erich Heckels an die hiesige Kunstakademie berufen. Grieshaber prakti- zierte in Karlsruhe eine neue Form des Unter- richts. Er selbst war wichtiger Anreger und Gesprächspartner. der mit seinen Studenten aktuelle Ausstellungen besuchte oder ihnen moderne amerikanische Literatur vermittelte. Als zwei Lehramtskandidatinnen durch die Prüfung fielen. weil die Prüfungsordnung - in den 1930er Jahren unter den Nationalsozialis- ten erlassen - forderte. dass das dargestellte Motiv erkennbar sein müsse. legte Grieshaber 1960 seine Professur nieder und verließ Karls- ruhe. Wenige Jahre später schuf er den "Män- nerwald" für die Weltausstellung 1967 in Montreal. 1972 fügte er das Relief der Justitia hinzu. und gab der Arbeit den Gesamttitel "Areopag". So erweitert gelangten die Druck- stöcke an ihren endgültigen Platz im Gerichts- hof der Europäischen Gemeinschaft in Lu- 330 xemburg. Jedes der großformatigen Blätter mit den Maßen 220 x 122 cm zeigt eine Figur, die wie ein überdimensionales schwarzes Zeichen auf dem weißen Papier steht. Die acht leicht überlebensgroßen Gestalten sind fries artig angeordnet und beziehen sich jeweils paarar- tig aufeinander. Jede nimmt die ihr zur Verfü- gung stehende Fläche völlig ein und wendet sich weitgehend dem Betrachter zu. Die Figu- ren erscheinen flächig. Der Künstler setzt Li- nien ein, die zum Teil die Figuren präziser for- mulieren oder die Binnenflächen strukturie- ren. Die Abfolge der Figuren weist formal und inhaltlich eine Zäsur auf mit der, von links ge- sehen, vierten Figur, dem Flötenspieler. Nach rechts schließen vier Akte an, die Pflanzen wie Attribute oder als Kopfputz tragen. Fast könn- te man meinen, die Figuren gingen, vergleich- bar der Sage von Daphne, in Bäume über. Inhaltlich lässt die Folge viel Fragen offen: Warum gab ihr Grieshaber den poetischen Titel "Männerwald" , wenn doch zwei der Fi- guren eindeutig weiblich sind? HAP Grieshaber vor den Druckstöcken des "Männerwaldes". Der Künstler selbst bezeichnete sie als "Ce- res" und "Gäa", zwei antike Göttinnen. Auch die Übrigen sind namentlich benannt. Es han- delt sich um die antiken Gestalten (v. I. n. r.): Peleus, Polias, Öneus, Linus und Nisus. Ihre Biografien bergen tragische Züge, wie zum Beispiel Öneus, dessen Nachlässigkeit dazu führte, dass seine Gemahlin den gemeinsamen Sohn tötet. Oder wie Peleus, auf dessen Hoch- zeit mit det Nereide Thetis Eris, die Göttin det Zwietracht, den Apfel mit der Aufschrift "Der Schönsten" in die Runde warf und damit letztlich den Trojanischen Krieg hervorrief. Die Bedeurung des Titels "Männerwald" sowie des gesamten Zyklus lässt sich nicht rasch erschließen und bedarf eingehender Re- cherchen. In der Ausstellung zu HAP Griesha- ber ab 6. September 2003 in der Städtischen Galerie wird der Zyklus zu sehen sein. Dann werden auch Anrworten auf die Fragen gege- ben, die dieses Kunstwerk stellt. BRIGITTE BAUMSTARK 331 Sphinx ante portas Begeistert schrieb 1905 der renommierte Kunstkritiker Karl Widmer über die neue künstlerische Bewegung der Jahre um 1900, den Jugendstil, der auch in Karlsruhe eine Fülle faszinierender Zeugnisse hinterlassen hat. "Die letzten fünf, sechs Jahre haben eine Reihe architektonischer Schöpfungen hervor- gebracht, die in ihrer sprudelnden Fülle von persönlichem Gehalt und phantasievoller For- menfreude die äußere Physiognomie der Stadt völlig umgestaltet und einen ungewohnt ori- ginellen und künstlerisch interessanten Zug hineingebracht haben.« Allen Kriegszerstörun- gen zum Trotz haben sich zahlreiche Bauwer- ke aus dieser Zeit erhalten - und vieles ist den- noch heure so gut wie unbekannt. Geht man durch die Straßen der Stadt und macht sich die Mühe, den Blick nach oben zu richten, lässt sich Erstaunliches entdecken. Wer zum Beispiel kennt die beiden Sphingen hoch oben am Haus Nummer 136 in der 50- phienstraße? Errichtet wurde das Gebäude im Jahr 1904 von Christian Rothfuß junior, der Maurermeister, Zimmermann und Unterneh- mer in einem war. Von welchem Bildhauer die beiden Skulpturen rechts und links des Bal- kons stammen, ist dagegen bisher unbekannt. Weshalb aber ägyptische Sphingen an einem badischen Wohnhaus? Die Welt der Verände- rungen und der fließenden Grenzen, der Zwit- terwesen und des beflügelnden Rausches, das Reich dunkler Dämonen und lauernder Be- gierden, waren dem Mensch des Fin de Siede, dessen Gedanken und Gefühle bis in das neue Jahrhundert hineinreichten, ständiger, wenn oft auch trügerischer Lebenshintergrund. Symbolischen Ausdruck fand dieses Lebensge- fühl häufig auch im Schmuck von Hausfassa- den. Bei den Ägyptern mit männlich glatter, breiter Brust, bei den Griechen der Antike vollbusig als weiblich dargestellt, wurde die Sphinx im 19. Jahrhundert in Kunst und Li- teratur zum Inbegriff des rätselhaften Weibes schlechthin. Niemand anderes als Heinrich Heine war es, der in seinem Gedicht von der Sphinx diese als die Verkörperung von Liebe und Liebesschmerz versteht. Die Gestaltung der Sphingen in der So- phienstraße zeigt die widersprüchliche und komplexe Natur des mythischen Wesens. Von 332 vorne betrachtet ist das mythische Wesen ein schönes Mädchen mit stolzen Brüsten und langen Lockenwellen. dessen seltsam leerer. auf sich selbst bezogener Blick Rätsel aufgibt. Die Krallen sind verborgen. der Eindruck ist von kühler Unnahbarkeit. Ganz anders dage- gen die Skulptur im Profil: Da ist ein Raubtier auf dem Sprung. die Augen aufmerksam auf das hilflose. gebannte Opfer gerichtet. die Schultermuskeln angespannt. die Krallen der mäch tigen Tatzen ausgefahren. der Schwanz peitscht kraftvoll die Flanken. Das Figuren- paar ist identisch gestaltet und flankiert einen kleinen Balkon. dessen geschwungenes Gitter die gleichen qualitätvollen Jugendstilmerkma- le zeigt wie die beiden Skulpturen. Während die Sphingen den Abschluss der Fassade bilden und die Dekoration des sehens- werten Hauses. eines der bedeutendsten erhal- tenen Karlsruher Jugendstilhäuser. von unten nach oben immer reicher und vielfältiger wird. gibt es über dem Eingang zur Begrüßung lediglich einen Kopf. dessen Züge sich in line- ar-dekorativ wucherndes Pflanzenwerk aufzu- lösen scheinen. Unzweifelhaft ist bei aller all- mählichen Verwandlung. dass es sich um ein zeitlos-gelassenes. ursprünglich männliches Gesicht handelt - den Blick nach innen ge- richtet. Wird also im Gesamrzusammenhang der Fassade der Triumph des »Ewigweibli- chen" über die gebannte und verwandelte Männlichkeit gezeigt? Den Zeitgenossen sind solche Vorstellungen und Überlegungen nicht fremd gewesen. Das von Robert Dreikluft fotografierte und im G. Braun Verlag erschienene Buch .,Jugendstil in Karlsruhe. Formen. Vielfalt. Fantasien" kann als ein Ariadnefaden der be- sonderen Art durch die Straßen Karlsruhes hin zu dem ganzen Reichtum der Karlsruher Ju- gendstilarchitektur dienen. Tiefsinniges und Trauriges. Skurriles und Lustiges. Mystisches und Historisches lassen sich auf den verschie- denen Streifzügen entdecken. Anmutige Mäd- chen und phantastische Fabelwesen. eine Fau- na, die vom Frosch bis zum Rhinozeros reicht, und eine Flora. die manche Fassade in einen steinernen Garten schier zu überwuchern scheint. Wohlklang der Linien und Schönheit der Ornamente kommen hinzu. Eine eigene Welt. für die das Haus in der Sophienstraße als ein besonders gelungenes Beispiel gelten kann. MONlKA BACHMAYER 333 Neue Adresse der Denkmalpflege in Nordbaden Die Grenadierkaserne in Karlsrtlhe Nach dem 1991 erfolgten Abzug der franzö- sischen Armee aus der Grenadierkaserne im Karlsruher Westen nutzt das Land Baden- Württemberg die Möglichkeit, hier mietfrei Behörden untetzubringen. Die Außenstelle des Landesdenkmalamtes in Karlsruhe bezog nun in der Moltkestraße 74 ihr neues Domizil. Die Karlsruher Grenadierkaserne wurde in den Jah- ren 1893 bis 1897 nach Plänen des Garnisons- baubeamten Jannasch errichtet. Sie war der Sitz des 1. Badischen Leibgrenadier-Regiments. In den Ersten Weltkrieg war das Regiment mit 3.000 Soldaten nach Frankreich ausgezogen. Von den insgesamt 25.000 Männern des im- mer wieder verstärkten Regiments, das in den mörderischen Grabenkämpfen um Verdun kämpfte, kehrten 3.500 nicht mehr zurück. Kurz nach seiner Rückkehr wurde das Re- giment 1919 aufgelöst. Nach Besetzung der entmilitarisierten Zone durch die Reichswehr quartierte sich 1936 wieder das Infanterieregi- ment 109 in der Kaserne ein, nun unter natio- nalsozialistischem Oberkommando. Seit 1945 wurden die Militärgebäude für einige Jahre zur provisorischen Unterkunft für Heimatvertrie- bene. Erst 1952, nach Aufhebung der starren Militärzonenaufteilung, bezog die französische Armee die Grenadierkaserne und nannte sie "Quartier General Pagezy", die bei Karlsru- hern noch heute als "Franzosenkaserne" be- kannt ist. Mit dem Ende des Kalten Krieges ging das Kasernengelände 1990 schließlich in die Verwaltung des Bundesvermögensamtes über, das dann für den Verkauf an das Land Baden-Württemberg und die Stadt Karlsruhe sorgte. Immer wieder hoben Betrachter den "preu- ßischen Gesamteindruck" der Kasernenanlage hervor. An die 1892 eröffnete und unmittel- bar benachbarte Kadettenanstalt schloss der im folgenden Jahr begonnene Neubau der Leibgrenadierkaserne zeitlich und räumlich fast unmittelbar an. Das Grundstück der Ka- serne ist erwa fünf Hektar groß, und die Ge- bäude gruppieren sich um einen großen zen- tralen Exerzierplatz. Die schweren Gebäude sind in rotem Sandstein gemauert und waren ursprünglich mit Schieferplatten und Holzze- ment eingedeckt. Auf drei Seiten stehen sechs große Mannschaftsgebäude, die jeweils zwei Kompanien aufnehmen konnten. Zwischen den Mannschaftshäusern wurden drei kleine- re Wirtschaftsgebäude mit Wasch- und Speise- funktion eingestellt. Stärker umgebau·t wurde das große Exer- ziergebäude am Ostrand des Platzes; es fun- giert seit 1932 als Autohalle. An der Nordost- ecke des Grundstücks befand sich ein großes Kammergebäude. Wohnhäuser für verheirate- te Unteroffiziere und die Offiziersmesse neben dem Wachgebäude an der Toreinfahrt schlos- sen das Areal gegen Osten ab. Am westlichen Rand des großen Exerzierfeldes stand unweit des Gebäudes des Landesdenkmalamtes 1913 die eingeschossige Waffenmeisterwerkstatt und Beschlagschmiede. Besonders stolz waren die Erbauer der Mannschaftsschlafsäle auf die Fenster, deren Oberlichter leicht zu öffnen waren und somit eine gute Belüftung garan- tierten. Auch in den Türen waren bewegliche Lüftungsklappen angebracht. Die meisten der auf Hygiene zielenden Eigenschaften des Ge- bäudes finden sich bereits in der 1889 heraus- gegebenen preußischen Garnisons-Gebäude- ordnung zusammengefasst. Die Norm billig- te jedem Soldaten eine Fläche von 4,5 Qua- 334 ! 11011 Z\!nl 1 ~'" j iihr, J ubilÄum ~,ß",lif,nr,1'1 6 r(1l"~{t~··R"ts: . N,"" ~C9 . Pos[karte eines Grenad iers 1903. dratmeter Fläche zu, wie auch einen Luftraum von 15-16 Kubikmeter. Dies führte zu durch- schnittlichen Raumhähen von 3,5 Metern. In der Bauvorschrift von 1889 finden sich nur vage ästhetische Vorgaben zur architektoni- schen Formgebung. Sie dekretierte lediglich, den Bauten "im Aeußeren einen einfachen und ernsten Charakter zu geben". Die militä- rische Funktion sei "durch einfache aber sorg- fältig erprobte architektonische Formen" zu signalisieren. In der Kaiserzeit konnten Kaser- nenbauten in Baden deshalb individuelle Erscheinungs- bilder enrwickeln, die nicht einer Form, son- dern einer Baunorm verpflichtet waren. Eine wichtige Eigenschafi: von Kasernenanlagen des späten 19. Jahrhunderts ist eine strenge räum- liche Trennung der einzelnen Funktionen. So waren Unterkünfte und Latrinen streng von- einander getrennt, auch Wasch-, Speise- und Küchenräume befanden sich in einem separa- ten Gebäude. Dies verringerte die Gefahr von Epidemien sehr deutlich. Die Offiziere der Grenadierkaserne besaßen ein eigenes Kasino, sie hatten jedoch keine Wohnpflicht auf dem Kasernengelände und wohnten großteils in Privatunterkünften. Aber ein Offizier musste je Kompanie in der Kaserne leben. Durch die Anlage des großen Exerzierplatzes konnten militärische Übungen nun auch innerhalb der Kaserne durchgeführt werden; zudem grenzte unmittelbar im Nordwesten ein mehrere Hek- tar großes, heute bebautes Übungsfeld an. In den vorspringenden Flügelbauten der Kompaniegebäude befanden sich Wohnungen für ledige Offiziere und Unteroffiziere, Ärzte und die Revierkrankenstuben. Verheiratete Unteroffiziere wohnten mit ihren Familien in den drei Familienhäusern der Kaserne, die auch von der Straße aus zugänglich waren und 335 den Komfort von internen Latrinen und Was- seranschlüssen boten. Die Mannschaftsräume wurden mit eisernen Kanonenöfen beheizt, in den übrigen Zimmern standen Kachelöfen. Bei Dunkelheit wurden die Mannschaftsge- bäude mit Petroleumlampen erhellt. In den Kompanie- und Wirtschaftsgebäuden gab es damals noch keine Aborte. Vier eingeschossige Latrinengebäude befanden sich, jeweils etwa 10 Meter von den Mannschaftsgebäuden ent- fernt, bei den Eckpunkten des Exerzierplatzes. Die drei kleineren Wirtschaftsgebäude - sie liegen zwischen den größeren Kompaniehäu- sem - beherbergten im Untergeschoss jeweils Mannschafts- und Unteroffiziersküchen mit Kantinen, sowie das Brausebad für die gemei- nen Soldaten. Nur die dreistöckigen Wohn- häuser für Soldatenfamilien verfügten schon damals über Klosett und Wasseranschluss im Hause. Zusätzlich konnte sich jedes Wirt- schaftsgebäude, das Wachhaus, das Kammer- gebäude und die Wohnhäuser über jeweils 15 Meter tiefe Röhrenbrunnen mit Wasser ver- sorgen. CLEMENS KIESER 336 · Bücher-Blick 337 Barbara Guttmann: Hopfen & Malz. Die Geschichte des Brauwesens in Karlsruhe Mit Beiträgen von Thomas Meyer und Erik Neumann, Karlsruhe; Badenia 1998 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadt- archivs, Bd. 19), DM 39,80 Das Karlsruher Stadtarchiv hat eIn "neues Faß" aufgemacht: Im mittlerweile 19. Band der Reihe "Veröffentlichungen des Stadtar- chivs" wird die Geschichte des Brauwesens in Karlsruhe in einem zusammenfassenden Über- blick erstmals erschlossen. Unter Berücksich- tigung unterschiedlicher Quellenüberlieferun- gen, die aus Archiven, Zeitungen, zeitgenössi- schen Beobachrungen und Firmenfestschrif- ren "mosaikartig" zusammengetragen werden mussten, ist es gelungen, ein übersichdiches Bild über die Geschichte des städtischen Bier- brauens von der Gründung der Residenzstadt im Jahr 1715 bis in die Gegenwart zu entwer- fen. Gleichzeitig zur Ausstellung "Hopfen & Malz" im Prinz-Max-Palais erfährt damit jener Teil der Karlsruher Wirtschafts- und Unter- nehmensgeschichte, der ·rund um den allseits beliebten Gerstensaft angesiedelt ist, eine um- fassende Würdigung. Die Historikerin Barbara Gurrmann hat die Hauptarbeit an dem reich bebilderten Band übernommen und die Entwicklungsge- schichte des Brauwesens in Karlsruhe beschrie- ben. Struktur- und wirtschaftshistorische Per- spektiven wollte sie dabei in den Vordergrund rücken, aber auch alltags- und sozialgeschicht- liche Aspekte "schlaglichtartig" beleuchten. Dieses Vorhaben, das bei zahlreichen stadrhis- torisehen Abhandlungen bereits erfolgreich angewendet worden ist, kann sie handwerklich solide umsetzen. Da Karlsruhe nun einmal keine Insel ist, beschreibt sie stets allgemeine, über die Fächerstadt hinausreichende histori- sche Entwicklungsprozesse und kombiniert ihre Ausführungen dann mit der Geschichte des Brauwesens. Kommt diese Darstellung mit- unter auch nicht über die Feststellung schieter . Parallelität hinaus, gelingt Guttmann doch an manchem Beispiel eine tiefgreifende Vernet- zung von Ereignissen und Personen, so etwa bei dem Karlsruher NS-Kreisleiter Worch, der seinen Beruf zuvor als Bierbrauer ausgeübt har. Im Vordergrund des Buches steht indes die Fachgeschichte des städtischen Brauwesens mit besonderem Schwerpunkt auf der Darstel- lung des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit det zunehmenden Industrialisierung mündeten quantitative und qualitative Ausdifferenzie- rungen in eine Blütezeit des Bietbrauens. Wäh- tend der Hochkonjunktutphase besaß die Fä- cherstadt annähernd 30 Brauereien. Die Be- schreibung der jeweiligen Firmengeschichte bringt die zum Teil vergessenen Unternehmen wieder in Erinnerung. Bauhistorische Betrach- tungen zu den Brauereigebäuden, die das Stadtbild mitunter bis heute prägen, runden das Bild ab. Ergänzend hierzu beleuchtet Thomas Me- yer in einet kurzen Abhandlung den Einfluss der Karlsruher Btauereien auf die Stadtent- wicklung; Erik Neumann, vom Stadtmuseum der Partnerstadt Halle, macht erhellende Be- merkungen zur Sonderausstellung im Prinz- Max-Palais. Der sorgfältig zusammengestellte Anhang erlaubt es darüber hinaus, das infor- mative Buch auch als Nachschlagewerk zum Thema zu benutzen. M ICHAEL STOLLE 338 Mühlburg: StreifZüge durch die Ortsgeschichte Hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe durch Ernst Otto Bräunche in Verbindung mit dem Bürgerverein Mühlburg; Karlsruhe 1998; 32,- DM Zu den Feiern der 750-jährigen urkundlichen Ersterwähnung Mühlburgs und "runden Ge- burtstagen" von gleich vier Vereinen oder Or- ganisationen des Stadtteils hat das Stadtarchiv publizistisches Neuland betreten. Gleich mehr- fach: Zum einen haben die Stadthistoriker den bisherigen Weg der mit professioneller Feder aus einem Guss verfassten Geschichtsschrei- bung verlassen und die Jubiläumsvereine mit eigenen Beiträgen in die Publikation einge- bunden. Und ebenfalls als Novum stellt der Mühlburg-Band nicht den Text, sondern das Bild in den Vordergrund. Historische Zeichnungen, Pläne, Fotogra- fien von Wilhe1m Kratt oder aus dem Schlesi- ger-Archiv: Gut 150 Abbildungen spiegeln das Aussehen Mühlburgs, seiner Gebäude, Stra- ßen und Plätze in den unterschiedlichen Epo- chen wider, geben vor allem aber Einblick in den früheren Alltag, zeigen Mühlburger bei der Arbeit in der Eisengießerei Seneca, bei Festen oder im Dress der einst so erfolgreichen Fußballer. Und zum Bildteil trugen die Be- wohner des Stadtteils ebenfalls ein gewaltiges Scherflein bei. Nach Aufrufen in StadtZeitung und Tagespresse stellten zahlreiche Privatper- sonen Schnappschüsse aus ihren Archiven für die Veröffentlichung zur Verfügung. Obwohl die eindrucksvollen Aufnahmen in schwarz- weiß die 300 Seiten dominieren, ist das Werk kein Bildband im herkömmlichen Sinn. Die von Profis und Amateuren geschosse- nen Fotos sind vielmehr eingebettet in Texte, die ebenfalls Fachleute, aber auch Mitglieder der Feuerwehr, des Bürgervereins oder Rad- sportler fertigten. Wenn überhaupt, liegt hier auch die einzige kleine Schwäche des Bandes. Gegenüber dem historischen StreifZug, den Stadtarchiv-Chef Ernst Otto Bräunehe mit den Lesern vom "Mulenberc" des Jahres 1248 bis zum zerbombten Stadtteil im Zweiten Weltkrieg unternimmt oder dem Beitrag von Stadtplaner Harald Ringler über die Neuord- nung in den 50er Jahren fallen die Kapitel der anderen Autoren sprachlich manchmal ein wenig ab und kommen bisweilen holprig oder gestelzt daher. Doch Unebenheiten wie "in großer Anzahl stattgefundene Feste" machen den Band auf der anderen Seire sympathisch. Der Leser spürt: Der Mühlburg-Rückblick wurde keineswegs routinemäßig abgespult, es "menschelt" zwischen den Zeilen. Der Stadt- teil stellt sich selbst in Wort und Bild dar. Stadtgeschichte soll bekanntlich Identität stif- ten: Mit dem Pilotprojekt haben Archiv und Vereine dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. MATHIAS TRONDlE Dieter Vestner: Badische Revolution vor 150 Jahren. Geschehnisse in Baden und Durlach 1848/49 Hrsg. von der Bürgergemeinschaft Durlach und Aue 1892 e.v., Durlach 1998, 62 Seiten, 15,- DM Dieter Vestner: Die Karlsburg und der Fürstenhof zu Durlach Durlach 1998,72 Seiten, 22,80 DM Stadtgeschichtsschreibung lebt in ihren vielen Facetten auch von der intimen, oft durch jah- relanges Quellenstudium erworbenen Detail- kenntnis nichtprofessioneller Historiker. Die- ter Vesmer beschä.&igt sich in seinen in den ver- gangenen zehn Jahren publizierten Büchern mit der Geschichte Durlachs und Badens. Er stützt sich dabei auf vorliegende Veröffentli- 339 chungen und verzichtet, soweit dies erkennbar ist, völlig auf eigene Archivsrudien. Daher kann er keine neuen Erkenntnisse mitteilen. Auch in den beiden neuen Bändchen macht sich der Autor zum Multiplikator der Forschungen anderer, was durchaus berechtigt sein kann, wenn damit zusätzlich Leser ange· sprochen werden. Dabei unterlaufen Vesener jedoch Fehler, die die Mühen seiner Arbeit in Frage seelIen. In der chronologisch erzählten Revolurionsgeschichte spricht er z.B. vom Zehnt und der Leibeigenschaft, als ob diese nicht längse aufgehoben worden wären. In Offenburg forderte man 1847 nicht die kon- stitutionelle Monarchie, sondern die Repub- lik, und der Bürgerverein von 1847 kann mit seinen politischen Intentionen nicht als Vor· läufer der heutigen Bürgergemeinschaft inter- pretiert werden. Warum man für diese trotz der lieferbaren Geschichte der Revolution in Durlach von A. Mohr eine gekürzte Nacher- zählung für nötig hielt, ise unverständlich. Die zweite Broschüre berichtet enclang des Wech- sels der Markgrafen und ihrer Aktivitäten die Geschichte des Fürsrenhofes in Durlach. Entgegen der mit dem TItel geweckten Erwar- tung kommt die Baugeschichte der Karlsburg dabei zu kurz. Auch hier unterlaufen Vesmer Schnirzer wie z. B. die Fesrstellung, die Mark- grafen härren früher auf dem Turmberg resi- diert. Wer sich über die Geschichte Durlachs informieren will, sollte lieber zur 1996 erschie- nen Geschichte Durlachs greifen. MANFRED KOCH Susanne Asche I Ernst Ouo Bräunehe I Manfred Koch I Heinz Schmitt I Christina Wagner: Karlsruhe. Die Stadtgeschichte. Badenia Verlag, Karlsruhe 1998, 792 S., zahlreiche Abb., 49,-DM Stadtgeschichte hat in Deurschland seit gerau- mer Zeit eine gure Konjunktur. In den zu- rückliegenden beiden Jahrzehnten haben zahl- reiche Kommunen ihre Enrwicklung von den Anfängen bis heute in umfassenden Werken vor Augen geführt, verwiesen sei aus dem süd- wesedeurschen Raum nur aufSpeyer, Freiburg und, für das 18. bis 20. Jahrhundert, aufTri- er. Auch in Karlsruhe beschäftigte sich eine rege Forschung mit vielen Aspekten des städ- tischen Lebens seit 1715, aber es blieb doch schmerzlich spürbar, dass eine Gesamtdarstel- lung der Stadtgeschichte nicht greifbar war - die lerzte Publikation dieser Art erschien 1915. Die Lücke wurde durch das Gemeinschafts- werk von fünf Historikern, von denen vier im Stadtarehiv tätig sind, auf eindrucksvolle Wei- se geschlossen. Einleitend behandelt Heinz Schmitt relativ knapp, aber sehr instruktiv den Raum Karlsruhe vor 1715 und das Umland der Stadt seither - mit Durlach und Mühl- burg existierten hiet zwei kleine Städte und eine Reihe von Dörfern, von denen Knielin- gen schon 776 erwähnt wurde. Christina Wagner erörtert die Enrwicklung Karlsruhes von 1715 bis zum Jahre 1806, also bis zur Annahme der Würde eines Großherzogs durch Karl Friedrich. Der umfangreichste Beitrag stammt von Susanne Asche und hat das 19. Jahrhundert zum Thema. Hier wird die Enrwicklung von der Residenzstadt mit knapp 9 000 Einwohnern (einschließlich des 1812 eingemeindeten 'Dörfles' Klein-Karlsru- hel bis zur schon kräftig industrialisierten Großstadt mit einer Bevölkerung von etwa 130 000 Menschen im Jahre 1914 nachge- zeichnet. Das Schicksal der Stadt und ihrer 340 Bewohner während des Ersten Weltkriegs, in der Weimarer Zeit und unter der nationalso- zialistischen Diktatur sowie im Zweiten Welt- krieg führt Ernst Orto Bräunehe vor Augen, nur der Widerstand wird von Manfred Koch behandelt. Koch ist auch der Autor des ab- schließenden Teils über Karlsruhe zwischen 1945 und 1997. Insgesamt ist etwas mehr als die Hälfte des Bandes dem 18. und 19. Jahr- hundert gewidmet, etwas weniger den letzten 85 Jahren. Der Leser findet alles, was eine sinnvoll konzipierte Stadtgeschichte bieten muss. Behandelt werden der Raum des Ge- schehens, die Entwicklung der Bevölkerung, das allmähliche territoriale Wachstum der Stadt - 1886 wurde, um nur einige Beispiele zu nennen, Mühlburg eingemeindet, 1935 Knielingen, 1938 das damals knapp 20.000 Einwohner zählende Durlach - , die Ausbil- dung der Infrastruktur, wichtige Bauren, die Erwerbs- und Lebensverhältnisse der Einwoh- ner, Gewerbe, Handel und Industrie, Verfas- sung und Verwaltung der Stadt, die Oberbür- germeister, die Einwirkungsmöglichkeiten der Bürger auf die kommunalpolitischen Ent- scheidungen, ihr Verhalten als Wähler, Partei- en und Vereine, die Presse und die öffentliche Meinung zu wichtigen Fragen, das Bildungs- wesen, das kulturelle Leben, die konfessionel- len Verhältnisse und die Religionsgesellschaf- ten. Selbstverständlich ist dabei nie nur Karls- ruhe das Thema. Alle Autoren beziehen die Region, die Geschichte Badens, dessen Haupt- stadt Karlsruhe ja 230 Jahre war, und die deut- sche Entwicklung stets in gebührendem Maße mit ein. Zu diesen allgemeinhistorischen Pas- sagen wären hier und da Anmerkungen zu machen. So ließ König Friedrich Wilhelm IY. am 18. März 1848 nicht einfach "in die Men- ge schießen", vielmehr ist bis heute unklar, wie es an jenem Tage in Berlin zum Kampf kam. Die von Preußen und der Provisorischen Zen- tralgewalt 1849 gegen die Pfalz und Baden 341 aufgebotenen Interventionstruppen beliefen sich auf nur 53.000 Mann. Der Krieg mit Frankreich wurde 1870 nicht von Bismarck "provoziert", er war, jedenfalls nach Bismarcks lebenslanger Überzeugung "uns aufgezwun- gen". Und von Widerstand ohne Volk kann man nicht sprechen: zwischen 600.000 und 1.000.000 Deutsche waren in den Jahren 1933 bis 1945 aus politischen Gründen für längere oder kürzere Zeit in Haft; in Karlsru- he betrug die Zahl mindestens 700. Alle fünf Beiträge sind sehr informativ und sehr leser- freundlich geschrieben. Die zahlreichen Abbil- dungen und Karten tun ein übriges, um fast 300 Jahre Karlsruher Stadtgeschichte anschau- lich vor Augen zu führen. Bei der Betrachtung einiger Karren dürfte mancher Leser freilich zur Lupe greifen, wenn er alles entziffern will, was da aufgedruckt ist. Aus der Fülle des von den Autoren Vorge- tragenen können nur. ganz wenige Momente erwähnt werden. Im 18. Jahrhundert war die Stadt in ganz ausgeprägtem Maße auf den Hof bezogen. Das änderte sich nach 1806 deutlich, weil Baden im Zuge der damaligen territoria- len Veränderungen vom Klein- zum Mittel- staat heranwuchs; der durlachsche Landesteil hatte zunächst weniger als 90.000 Einwohner, das junge Großherzogrum immerhin die zehnfache Zahl. So gewann die Verwaltung ganz beträchtlich an Gewicht, und 1819 ent- stand mit den Kammern ein zweites politi- sches Zentrum von schnell erheblicher Bedeu- tung. Trotz der im letzten Drittel des 19. Jahr- hunderts sich kräftig entfaltenden Industrie blieb die Stadt, da sie eben Verwalrungszen- trum und Sitz zahlreicher Bildungseinrichtun- gen war, stärker bürgerlich geprägt als Kom- munen vergleichbarer Größe ohne derlei Ein- richtungen. Politisch dominierte lange ein gemäßigter Liberalismus, und konservative Neigungen waren hier und übrigens auch im unmittelbaren Umfeld deutlicher ausgeprägt als im badischen Durchschnitt. Mit den sich wandelnden Konfessionsverhältnissen - 1840 waren drei Fünftel der Karlsruher evangelisch, ein Drittel katholisch, in der Weimarer Zeit waren die beiden großen Konfessionen fast gleich stark - und mit der Industrialisierung erlangten der politische Katholizismus und die Sozialdemokratie fortlaufend mehr Gewicht. Das politische Klima in der Stadt blieb dabei moderat, und die Revolution im Winter 1918/19 verlief gemäßigt, wie das auch schon 70 Jahre zuvor der Fall gewesen war. Der Zu- spruch, den die Nationalsozialisten in der Spät- zeit Weimars fanden, lag (mit 40,3 % der gül- tigen Stimmen bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932) etwas über dem deutschen Durch- schnirt. Auf den Verlust der Hauptstadtfunk- tion musste man sich schon nach dem deut- schen Sieg über Frankreich im Juni 1940 und der Schaffung des Parteigaus Baden-Elsaß ein- stellen; eine Kompensation der damit verbun- denen Schwächung schien nur dutch eine ver- stärkte Industrialisierung möglich. Als das Land Baden nach 1945 unterging, blieb Karls- ruhe freilich in beachtlichem Maße Verwal- tungszentrum. Mit der Ansiedlung des Bun- desgerichtshofs - gegen die starke Konkurrenz von Köln - und des Bundesverfassungsgerichts gewann die Stadt als 'Residenz des Rechts' allerdings eine neue zentrale Funktion, dies- mal für die gesamte Bundesrepublik. Auch die Industrialisierung machte Fortschritte. Dass der Wille der Badener bei der 1950/51 heftig umkämpften Frage der Wiederherstellung des Landes Baden "überspielt" wurde, räumte 1956 selbst das Bundesverfassungsgericht ein und übte damit implizit Kritik an seiner ersten ein- schlägigen Entscheidung von 1951. Die Karls- ruher waren zu fast sieben Zehnteln für das Land Baden und gegen den Südweststaat. Schon im Ersten Weltkrieg wutde die Stadt wiederholt das Ziel von Luftangriffen, zwi- schen 1939/45 kam es viel schlimmer: Jetzt wurden fast 80 % aller Wohnhäuser zerstört oder doch beschädigt. Die Beseitigung der 3 Mill. m3 Trümmer erfolgte bemerkenswert schnell. Dieser von der Stadt nachdrücklich geför- derten, vom Verlag liebevoll betreuten und rundum gelungenen Stadtgeschichte, wird es an Lesern nicht mangeln, daran ist nicht zu zweifeln. Vermutlich wird es nicht bis zur Dreihundert jahrfeier Karlsruhes im Juni 2015 dauern, bis eine zweite Auflage erscheint. HANS FENS KE Klaus Bindewald: Die Albtalbahn. Geschichte mit Zukunft. Von der Schmalspurbahn zur modernen Stadtbahn Hg. Albtal-Verkehrs-Gesellschafr mbH., Ubstadt-Weiher 1998, 144 Abb., 191 S., 29,80 DM. Der öffentliche Personenverkehr ist ein Stadt- phänomen. Ohne ein leistungsfähiges Nahver- kehrsnetz wären die modernen Großstädte nicht denkbar. Der Nahverkehr erschloss aber schon früh aus der Stadt heraus auch das Um- land. Bahnen, die Stadt und Region verbanden, gab es in Karlsruhe bereits vor der Jahrhun- dertwende: Die Lokalbahn Durmersheim- Spöck und die Albtalbahn. Ihre 1998 100-jäh- rige wechselvolle Geschichte vermittelt K. Bin- dewald in seiner Darstellung ebenso kenntnis- und faktenteich wie unterhaltsam. Zahlreiche historische und neuere Aufnahmen - nicht nur von Schienenfahrzeugen - tragen dazu bei. Der Autor wendet sich - obgleich Ingenieur - weniger an Spezialisten der Straßenbahn- technik, sondern an alle an der Geschichte von Stadt und Region interessierte Leser. Es wer- den immer auch die sehr spannenden politi- schen Entscheidungsprozesse, die wirtschaftli- 342 ehen Rahmenbedingungen des Betriebs - hier hätten gelegentliche Angaben von Beförde- rungszahlen nicht geschadet -, aber auch die wirtschaftliche Enrwicklung von Unterneh- men entlang der Strecke einbezogen. Dabei stützt sich der Autor auf intensives Quellen- studium, verzichtet jedoch zum Bedauern des Historikers auf Einzelnachweise. Eingangs berichtet Bindewald von der 25- jährigen Planungszeit einer Lokalbahn nach Herrenalb mit einer Verbindung nach Pforz- heim. Es folgt die Geschichte der schmalspuri- gen, schon kurz nach der Eröffnung 1898 teil- weise elektrifizierten Albtalbahn. Die Zusam- menhänge zwischen dem Neubau des Haupt- bahnhofs sowie die Finanznot der Betreiberge- sellschaft mit dem Besitzerwechsel in der Zwi- schenkriegszeit werden u. a. thematisiert. Mit dem Kauf der Bahn durch die Stadt ging 1957 ein lang gehegter Wunsch in Erfül- lung. Die Enrwicklung seitdem bildet den zweiten Teil der Darstellung. Umbau der Glei- se auf Normalspur, Verknüpfung mit dem Karlsruher Straßenbahnnetz, Modernisierung der Technik und der Fahrzeuge, Verkürzung und schließlich Erweiterung des Streckennet- zes sind Themen dieses Teils. Tabellen z. B. zu den Fahrzeugtypen sowie eine Chronik run- den den Band ab. Gelungen ist damit ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des welrweit beachteten "Karlsruher Modells" des öffentli- chen Nahverkehrs. MANFRED KOCH Auf den Spuren der antiken Welt, eine Reise durch die Antikensammlung des Badischen Landesmuseums Hrsg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe im G. Braun Buchverlag 1998; 56 Seiten, 20,- DM. Zu seiner neu gestalteten Antikensammlung hat das Landesmuseum "für Kinder und Ju- gendliche ab 11 Jahren" einen Führer, nein, einen Reisebegleiter veröffentlicht. Sieht es ein Museum als seinen Auftrag an, seine "Expona- te" nicht nur einem schon interessierten, meist informierten Besucher zu präsentieren, will es auch für den Nichtfachmann da sein und ihm seine Schätze zugänglich machen, so ist es fol- gerichtig, besonders die jungen Menschen anzusprechen. Jugendbücher, die vergangene Kulturen anschaulich darstellen, gibt es heute erfreulicherweise zahlreich. Mit den bunten Restruktionszeichnungen dort wird ein Be- gleiter durch ein Museum nicht konkurrieren wollen, er hat aber - richtig gemacht - eine besondere Chance. Beate Bollmann, die die Texte schrieb (mit Beratung durch Mitarbeiter des Museums), hat es richtig gemacht. Sie stellt den jungen Besucher nicht vor die Vitrine und belehrt sondern schickt ihn auf eine Entdeckungsrei- se. Zu einzelnen Ausstellungsstücken, die in dem Heft abgebildet und somit schnell zu fin- den sind, stellt sie graphisch deutlich hervor- gehobene Fragen. Die Richtigkeit der Anrwort und weitere Informationen kann man dem beschreibenden Text auf der gleichen Seite entnehmen. So wird mit 46 Fragen der junge (nur der junge?) Besucher hingeleitet in die Welt der alten Ägypter, Urartäer und Phönizi- er, blickt in die Welt der griechischen Götter und Helden, erkennt die Lebensfreude der Etrusker aus ihren Gräbern und schaut in das Leben von römischen Kaisern und Töpfern, 343 bis schließlich den alten Göttern das Kreuz der neuen Religion in die Stirn gemeißelt wurde. Wer bei diesem Gang auf den Spuren der antiken Welt dieses vermisste und jenes gerne näher ausgeführt hätte. könnte auch nur eine Auswahl bieten. Dieses Heft - an Jugendliche gerichtet - gibt jedenfalls auch dem Lehrer. der einen Besuch der Sammlung mit Schülern plant. wertvolle Antegungen. Viele Fragen sind beantwortet, mehr wer- den sich stellen. und so soll es sein. HELMUT GRIMM Ute Grau / Ulrike Plate: 1898 - 1998. Vom Versicherungspalast zum Rathaus West Festschrift. Hrsg.: Stadtarchiv Karlsruhe. Kirlsruhe 1998. 36 Abb .• 77 S. Das heutige Rathaus West an der nordwesdi- ehen Ecke des Mühlburger Tores gehört zu den eindrucksvollsten Beispielen für Reprä- sentationsbauten des späten 19. Jahrhunderts in Karlsruhe. Ursprünglich als Bürogebäude der Karlsruher Lebensversicherung konzipiert. dominiert der von Adolf Hanser geschaffene monumentale Sandsteinbau noch heute den Zugang zur Weststadt über die Kaiserallee. In der vorliegenden Festschrift stellt Ute Grau die wechselvolle Geschichte des ehema- ligen Versicherungsgebäudes und seiner Nutz- er dar, das zur Zeit seiner Erbauung als Se- henswürdigkeit der Stadt galt. Die 1835 ge- gründete Karlsruher Lebensversicherung er- richtete in den Jahren 1895-98 den Repräsen- tationsbau im Stil der Neo-Renaissance. um der kontinuierlich gewachsenen Bedeutung des Unternehmens städtebaulich wirksam Rech- nung zu tragen. In den folgenden Jahrzehnten war das Ge- bäude immer wieder teilweise gravierenden Ver- änderungen unterworfen, die einerseits den gewandelten Zeitgeschmack. andererseits das Schicksal der Stadt Karlsruhe widerspiegeln. Neben Erweiterungen in den Jahren 1912 und 1928/29. die sich der stilistischen Dominanz des Hauptgebäudes unterordneten. kam es im Zuge der Vorbereitungen zum IOD-jährigen Firmenjubiläum im Jahre 1935 zu einer opti- schen Überarbeitung. bei der große Teile des Bauschmucks des 19. Jahrhunderts weichen mussten. Mit dem Ende des Zweiten Welt- krieges endet die Nutzung durch die Versiche- rung. da das Gebäude zunächst von der fran- zösischen, später von der amerikanischen Be- satzungsmacht beschlagnahmt wurde. Wäh- rend die Versicherung Mitte der 50er Jahre einen Neubau bezog. übernahm die Stadt Karlsruhe das Gebäude am Mühlburger Tor. wo seitdem das Rathaus West mit seinen zahl- reichen Dienststellen untergebracht ist. In einem zweiten Abschnitt des Bandes beschreibt Ulrike Plate die Baugeschichte und den architektonischen Rang des Verwaltungs- komplexes. wobei auch auf die weitgehend unbekannte Person des früh verstorbenen Ar- chitekten Adolf Hanser eingegangen wird. Mit dem vorliegenden Buch gelingt den beiden Autorinnen auf anschauliche und in- formative Weise die Würdigung eines Gebäu- des. das bis heute als städtebaulicher Akzent das Stadtbild prägt. Zahlreiche Abbildungen ergänzen den Text. THOMAS MEYER 344 Elisabeth Spitzbart: Karl Joseph BerckrnülIer 1800-1879. Architekt und Zeichner. (Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule, Bd. III) Hrsg. Wulf Schirmer, Institut für Baugeschichte der Universität Karlsruhe, G. Braun, Karlsruhe 1999, 308 S., zahlreiche Abb., 118,- DM Das Sammlungsgebäude und die Gestaltung des Friedrichsplatzes erforderten die Verbin- dung von Architektur und Städtebau in einer Weise, wie sie seit Weinbrenner wohl keinem anderen Architekten in Karlsruhe als Chance geboten wurde. Der Architekt, dem dieses Glück widerfuhr, hatte einen ungewöhnlichen Lebenslauf, über den bisher außer knappen Nachrufen keine biographischen Arbeiten vorlagen. E. Spitzbart unterrichtet jetzt umfas- send über Karl Joseph Berckrnüllers Werk als Zeichner und Architekt in dem reich bebilder- ten neuen Band der überdurchschnittlich gut ausgestatteten Veröffentlichungen über Fried- tich Weinbrenner und seine Schüler. Wesent- liche Quellengrundlage der Arbeit bildet der künstlerische und architektonische Nachlass Berckrnüllers im Institut für Baugeschichte der Universität Karlsruhe. Dieser ist in dem 991 Nummern zählenden Katalogteil des Bandes erschlossen und erstmals vorgestellt. Das Leben Berckrnüllers, der einer seit drei Generationen in Karlsruhe tätigen Bauunter- nehmerfamilie entstammte, verlief nicht ge- radlinig. Zum Architekten ausgebildet (1817- 1829) wurde er nach der Hochzeit mit einer Unternehmersrochter 1829 zunächst Fabrik- direktor, um, als der Konkurs der Spinnerei in St. Blasien absehbar war, 1844 in Karlsruhe zunächst Bezirks- und Militär- und seit 1853 bis 1878 Holbaumeister zu werden. Diese bio- graphischen Daten geben die Hauptabschnitte der Darstellung vor. Dass dabei insgesamt die Person und die privaten Lebensumstände des Studenten und Bildungsreisenden, Eheman- nes und Witwers seit 1852 nur arn Rande zur Sprache kommen, ist offensichtlich der fehlen- den Überlieferung persönlicher schriftlicher Quellen geschuldet. Spitzbart arbeitet anhand der Skizzenbücher und Reisezeichnungen die Spannung heraus zwischen der durch den Klassizismus Wein- brenners geprägten Ausbildung und den durch die Reisen gewonnenen Eindrücken, die den Historismus als Möglichkeit eines neuen Bau- stils enthielten, wobei Berckrnüller eine Vorlie- be für die Renaissance zeigte. Die Autorin the- matisiert dabei auch den kulturgeschichtli- chen Rahmen der Bildungsreisen der Zeit und die unterschiedlichen Arbeitsweisen der wer- denden Architekten in Paris und in Rom. Obgleich Berckrnüller 34 Jahre als Archi- tekt tätig war, hat er nur relativ wenige Bauten selbst ausgeführt (u. a. die Kirche in Leo- poldshafen und das Pfarrhaus St. Stephan in Karlsruhe). Als Gründe dafür nennt Spitzbart die Befassung mit zahlreichen Verwaltungsauf- gaben und kleineren Um- sowie Anbauren. Weiter trugen dazu die knappen Finanzen in der Vor- und Nachrevolutionszeit 1848/49 und während der kriegerischen Auseinander- setzungen 1866 und 1870/71 bei. Dies führ- te auch zu sehr langen Planungs- und Bauzei- ten. Betroffen davon war auch das Karlsruher Sarnmlungsgebäude, das Berckrnüller nahezu ein Vierteljahrhundert beschäftigte. Ausführ- lich schildert die Aurorin das für die Lokalge- schichte interessante Kapitel der Friedrichs- platzbebauung vom ersten Architektenwettbe- werb in Karlsruhe über die Entwicklung der dann doch Berckrnüller übertragenen Planung und die Bauverzögerungen beim Sammlungs- gebäude durch die Koordinierung der unter- schiedlichen Interessen der späteren Nutzer des Hauses. In ihrer Gesarnteinschätzung sieht die Au- torin in Berckmüller einen Architekten, der, 345 eingebunden in das von Heinrich Hübsch ge- prägte zentralisierte badische Bauwesen, erst spät seinen eigenen architektonischen Vorstel- lungen Ausdruck geben konnte. Deutlich sichtbar am Sammlungsgebäude habe er "mit seiner klassischen und ruhigen .. . Grundhal- rung eine ganz persönliche Variante der Neu- renaissance ausgebildet .. . und so mit seiner Stilhaltung eine Brücke ... zwischen dem Klas- sizismus Wein brenners und dem späten 19. Jahrhundert" geschlagen. MANFRED KOCH Eduard Koelle: Drei Tage der Karlsruher Bürgerwehr 1849 Hrsg. von Rainer Gut jahr, (Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte, Schriftenteihe des Stadtarehivs Karlsruhe, Band 5); Karlsruhe 1999, 154 5., 35 Abb., 29,- DM. Der Autor, 1810 in Karlsruhe geboren, ein rechtschaffener Kaufmann, war 1848 in der Bürgerwehr bis zum Adjutanten des Oberbe- fehlshabers aufgestiegen. Der "konstitutionelle Konservative" will seine Darstellung über den 13./14. Mai, 6./7. und 24./25. Juni 1849 als Rechtfertigungsschrift verstanden wissen. Die freiwillige Bürgerbewaffnung sollte zunächst einen befürchteten Franwseneinfall abwehren, dann bald angesichts innerer Unruhen die öf- fentliche Ordnung sichern. Besonders bedeut- sam wurde dieser Auftrag in den Junitagen, als sich die Revolution dem Ende neigte. Wäh- rend die Bürgerwehr am 4.6. noch vor der provisorischen Regierung Brentano und Peter defilierte, sah man am 24.6. die Truppen die- ser Regierung als "geschlagenen Tross" vor den Preußen fliehen. "Diesen aufgelösten Horden, die damit begonnen hatten, kein Gesetz mehr zu kennen und nur ihren Lüsten zu folgen, war die gute Stadt Carlsruhe diese Nacht über- antwortet." Eine dramatische Schilderung, die Verständnis schaffen soll, warum die Bürger- wehr nach dem Einzug des Prinzen Wilhe1m in die Stadt von den Siegern geachtet wurde und ihre Waffen behalten durfte, da sie als Ordnungselement ein Chaos verhindert hatte. Koelle, vom zurückkehrenden Großherwg Leopold im August geehrt, wollte in seiner Beurteilung der Aufständischen diese aber nicht pauschal verurteilen, so sehr er auch deren Ziele verabscheute. In einer Fülle von wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten stieg er nachher zu hohen Würden auf, wurde u. a. Mitbegründer der Badischen Bank, die Ende der 70er Jahre die Munitionsfabrik, die späteren IWK finanzierte. Handelsrichter, Präsident des badischen Handelstags, portu- giesischer Konsul, das waren nur einige seiner Würden. Die Herausgabe des eindrucksvollen Textes durch Rainer Gut jahr ist vorbildlich. Mit ei- ner ausführlichen Einleitung wird man in die Lage Karlsruhes in diesen Tagen 1849 einge- führt. Urheberschaft, innere und äußere Merkmale der Quelle und die Editionsprinzi- pien werden erörtert, schließlich neben reich- lichen Literaturangaben in 150 Kurzbiogra- phien die im Text erwähnten Personen aufge- listet. Die farbigen Abbildungen veranschau- lichen den besonderen Sektor der revolutionä- ren Situation, der eben nicht nur den Ruf nach Freiheit kannte, sondern auch manches Leid für Baden brachte. LEONHARD MüLLER Elga Roellecke: Vereine und Vereinigungen, Gasthäuser. Chronik Wolfartsweier Hrsg. vom Verein für die Geschichte von Wolfartsweier, Karlsruhe 1998, Heft 3, 197 S. Mit diesem "Hefr" legt Elga Roellecke nun den dritten Teil einer Ortschronik vor, die einmal sechzehn Kapitel umfassen soll (siehe 346 S. 196 im Anhang). Mit ihren Beiträgen zur Munitionsfabrik, dem so genannten Zünd- hürle, und zu "Wasser und Straßen, Quellen und Wegen" in Wolfartsweier, Publikationen, die ebenfalls schon hier besprochen worden sind, erreicht die geplante Chronik bereits 500 Seiten, ein Umstand, der einerseits für den fleiß der Autorin spricht und andererseits an- gesichts der noch ausstehenden Kapitel einen Umfang des Gesamtwerks von mindestens 2.000 Seiten erwarten lässt. Scheint es auch heute populär zu sein, mit dem "Gewicht" bestimmter Publikationen zu werben, die schon in Kilo aufgewogen wer- den, so wäre m. E. bei der Geschichte eines kleinen Ortes wie Wolfartsweicr etwas Mäßi- gung angebracht, handelt es sich ja nicht um die Geschichte einer Großstadt. Sicher werden sich aber viele Wolfartsweierer freuen, gerade in diesem Heft namentlich erwähnt zu wer- den, etwa der Schützenkönig von 1968 oder die Schriftführerin des Evangelischen Ge- meindevereins. Die Daten zu Geschichte und Aktivitäten der fast dreißig Vereine von Wol- fartsweier sind minutiös aufgelistet, so dass sich Vorstände und Mitglieder hier gut reprä- sentiert wiederfinden. Dies mag zum Wirge- fühl der Gemeinde und zur Identitätsfindung beitragen, für den Außenstehenden wirkt die Fülle der Detailinformationen manchmal et- was ermüdend. Er muss eifrig blättern, um an Informationen von allgemeinem Interesse zu kommen. Zu diesen zählt sicherlich die lesenswerte Einleitung zur Entwicklung des Vereinswesens seit der französischen Revolution 1789, die den historischen Kontext und die Bedingun- gen berücksichtigt, unter denen Vereine da- mals entstanden sind und die die Einwirkun- gen auf sie im Verlauf der Geschichte schil- dert. Interessant sind auch die den einzelnen Vereinschroniken vorangestellten Einführun- gen zur Geschichte jeder Vereinsart ganz allge- mem, so etwa zu den Militärvcreinen, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870171 in fast jedem Dorf entstanden sind, oder zum Turnverein, wo auf die Bewegung unter Turnvater Jahn eingegangen wird. Al- lerdings tragen diese Einführungen auch wieder zum Anschwellen der Chro- nik bei, z. B. wird die Geschichte des Feuer- löschwesens seit 1689 dargestellt. Manches Interessante ist aber auch in den eigentlichen Vereinsgeschichten nachzulesen, etwa wenn beim Kleintierzuchtverein die Frage beantwor- tet wird, warum im Dritten Reich "Hühner und Kaninchen einen nationalsozialistischen Wert" hatten. Insgesamt erstaunt es den Leser, welche Masse und Vielfalt an Aktivitäten ein kleiner Ort wie Wolfartsweier in den letzten hundert bis hundertfünfZigjahren entwickeln konnte. Viel Lokalkolorit von Wolfartsweier ent- deckt der Leser dann . beim Schlusskapitel zu den Gasthäusern, stammt ja deren Bausub- stanz zum größten Teil noch aus dem 18. Jahr- hundert. Nicht nur hier regen Text und Abbil- dungen, die nur manchmal etwas klein gera- ten sind, zum Besuch dieses noch sehr dörflich wirkenden und in landschaftlich schöner Umgebung liegenden Stadtteils an. PETER PRETSCH Manfred Koch - Jürgen Morlock (Hrsg.): Von Graspisten zum Baden-Airport, Luftfahrt in Mittelbaden Herausgegeben im Auftrag der Baden-Airport AG in Verbindung mit dem Stadtarchiv Karls- ruhe 1999,306 S., 159 Abb., 29,80 DM Sicher ist dies auch eine Selbstdarstellung der Baden-AirparkAG, die mit ihrem Airport und dem dazu gehörenden Gewerbepark ein Ob- jekt begonnen hat, über dessen Zukunfts- 347 trächtigkeit Jürgen Morlock selbst referiert. Zur Entwicklung in den letzten Jahren berich- tet Walter Baumgärtner, dessen zweiter Beitrag über die Umwandlung der Air-Base Söllingen zum Baden-Airport spannend zu lesen ist, denn was in den fünfJahren nach seinem "Ta- gebuch einer Konversion" alles geschah, wel- che Widerstände zu überwinden waren, wie jeweils neue Mitstreiter und Politiker gewon- nen werden mussten, das schafft Respekt vor den Aktivisten, die im wahrsten Sinn des Wor- tes ein "Unternehmen" wagten, das für die wirtschaftliche Entwicklung Mittelbadens zu- nehmende Bedeutung gewinnen wird. Wer freilich zuvor Kurr Hochstuhls Auf- satz über "Düsenjäger am mittel badischen Himmel" und das Ausgelieferrsein der Bevöl- kerung gegenüber dem Lärm gelesen hat, ver- steht den anfänglichen Widerstand gegen ei- nen neuen Flugbetrieb. Als aber die Kanadier, die nicht nur zu den besonders freundlichen Besatzungstruppen gehörten und auch für 540 deutsche Zivil beschäftigten Arbeirsplatz boten, 1994 abzogen, gab es nicht nur tränen- reiche Abschiede; der Wegfall von "Klein-Ka- nada" bedeurere für die ganze Umgebung tie- fere Einschnitte. Die historischen Kapitel der Publikation sind nicht einfach Vorspann, sondern können verpflichten, dass Mittelbaden wie einst wie- der eine Rolle in der Luftfahrt spielen sollte. Reiner Haehling von Lanzenauer erinnert an den Flughafen Baden-Baden-Oos, wo in der Zeppelineuphorie 1910 der erste Luftschiff- Landeplatz entstand. Als intimer Kenner sei- ner Stadtgeschichte erzählt der Auror an Hand anschaulicher Quellen von den Erfolgen der ersten Passagierflüge. aber auch von den vielen Unfällen, ja Katastrophen. Wären damals nur "Bedenkenträger" am Werk gewesen, wäre der Luftverkehr von Anfang an abgestorben. Manfred Koch schildert Ähnliches über die Entwicklung der Flughäfen Karlsruhe und Forchheim. In der Residenz lebte eine Weile Carl Friedrich Meerwein, der 1784 in Em- mendingen erste Flugversuche unternahm. Gleichzeitig ergriff aber das "Ballonfieber" via Frankreich die Erfinder, und 1812 erlebte Karlsruhe die erste bemannte Ballonfahrt. Um die Jahrhundertwende begeisterte der Zeppe- lin die Karlsruher Bevölkerung. Anlässlich des Kaisermanövers 1909 wanderten nicht nur Tausende zum Exerzierplatz, auch "Fremden- ströme, die sich hierher wälzten" wollten die Landung eines Luftschiffs miterleben. Wie schnell der Bau von Luftschiffen und der sich rasch entwickelnden Flugzeuge zur tödlichen Waffe mutieren konnte, beweist der französi- sche Luftangriff am Fronleichnamstag 1916 aufKarlsruhe, der 120 Tote forderte. Die Ka- pitel stecken voller Informationen auch über die Bemühungen in der Weimarer Republik, "aus Karlsruhe in die Welt hinaus" zu dringen, vom Ringen um Flugplätze, über das NS-Flie- gerkorps in "brauner" Zeit bis zur Dominanz der Besatzungsmächte nach 1945. Über jede Seite müsste man berichten, zumal die zahlrei- chen Fotos die antegende Lektüre noch erhö- hen. Hier wird ein stadtgeschichrliches Kapi- tel aufgeschlagen, das innovative Gemeinderä- te, zuverlässig informiert. heute weircrschrei- ben können. Und das gilt nicht für jedes Buch. LEO N HARD MÜLLER Wolfgang H. Collum: Hugenotten in Baden- Durlach. Die französischen Protestanten in der Markgrafenstadt Baden-Durlach, insbe- sondere in Friedrichstal und Welschneureut verlag regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1999, 112 S., 10 Abb., 26,- DM. Im letzten Jahr konnten die ehemaligen Huge- nottengemeinden Friedrichstal und Welsch- neureut ihr 300-jähriges Jubiläum feiern. Aus 348 diesem Anlass erschien ein bereits 1974 in der Badischen Heimat veröffentlichter Aufsatz von Wolf gang H. Collum in einer überarbei- teten und ergänzten Buchfassung. Der Autor verwendet für alle in Baden- Durlach aufgenommenen Glaubensflüchtlin- ge richtigerweise den Begriff Hugenotten. Diese waren im Spätjahr 1699 in die Mark- grafschaft nach der Aufhebung des Toleranz- ediktes von Nantes im Jahre 1685 zunächst in die Schweiz geflüchtet und erst dort aufWal- denser getroffen. Auf einen entsprechenden Aufruf König Wilhe1ms III. von England, die Flüchtlinge, aufzunehmen, hatte Markgraf Ftiedrich Magnus positiv reagiert und einer Anzahl gestattet, sich in seinem Lande nieder- zulassen, darunter die etwa 180 Hugenotten, die Welschneureut gründeten. Obwohl die Welschneureuter also keine Waldenser im enge- ren Sinne waren, fühlen sich deren Nachkom- men bis heute als solche. In der 1983 erschie- nenen Neureuter Ortsgeschichte von Hermann Ehmer und der im letzten Jahr veröffentlich- ten Festschrift ,,300 Jahre Welschneureut" ist Collums Forschungsergebnis von 1974 aber übernommen und damit auch alczeptiert. Der Autor, der einen familiengeschichtli- chen Ansatz verfolgt, geht zunächst auf die Vorgeschichte der Ansiedlungen ein, ehe er sich mit Friedrichstal, dann mit dem hier zu berücksichtigenden Welsch neu reut befasst. Namen und Herkunft der Neuankömmlinge interessieren ihn in erster Linie, einem be- schreibenden Text folgt eine fast achtseitige Namensliste. Verdienstvoll ist darüber hinaus, dass er anhand der Eintragungen im Welsch- neureuter Kirchenbuch die Menschen und ihre Schicksale vorstellt. In einem weiteren Kapitel werden die Stammeltern der heutigen Familien aufgeführt. Das durch ein Personen- und Familienre- gister erschlossene und mit 10 schwarz-weiß- Fotos, darunter einer Abbildung des erwähn- ten Briefs Wilhe1m 111., ausgestattete Buch lie- fert wertvolle Informationen zur Frühge- schichte Welschneureuts. Aus Karlsruher Sicht bleibt nur zu bedauern, dass der Verfasser - konsequenterweise - die bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts württembergische Waldenser- gründung Palmbach, heute ebenfalls Karlsru- her Stadtteil, nicht berücksichtigt, so dass man im Jubiläumsjahr 2001 dort nicht auf seine Forschungen zurückgreifen kann. ERNST OTTO BRÄUNCHE Horst Schlesiger, JosefWerner: Die 70er Jahre. Ein Karlsruher Jahrzehnt in Bildern G. Braun Verlag, Karlsruhe 1999, 120 S., 90 Abb., 36,- DM Der Braun Verlag führt eine Reihe mit Auf- nahmen aus dem Nachlass des ehern. BNN- Fotografen Schlesiger und Texten seines ehern. Lokalchefs Werner fort. Dieser Band ist nicht weniger anschaulich als die vorangegangenen. Der Rückblick in die Zeiten vor 20,30 Jahren lässt erkennen, in welcher Weise das Stadtbild deutlich verändert wurde: Günther-K1otz- Anlage mit Europahalle, Stadthalle, Theater, Einschnitte wie die Südtangente, die nicht das Los der Nordtangentenplanung erlitt, die mit 32 zu 31 Stimmen im Gemeinderat abgelehnt wurde. Einschneidend auch die Sanierung des "Dörfles" mit dem damals größten internati- onalen Architektenwettbewerb. Während mit Ende der Ära K1orz, von Werner mit innerer Anteilnahme beschrieben, Otto Dullenkopf erst rigoros sparen musste, weil die "Lichter ausgegangen waren", konn- ten trotz Ölpreisschock und erster Wirt- schaftskrise deutliche Fortschritte gemacht werden. Die Fußgängerzone um die Kaiser- straße (schon 1971 plante man eine Unter- pflasterbahn) schuf ein neues Flair. Aber Ar- 349 beitslosigkeit, Streiks und Demonsttationswel- len, vor allem der RAF-Terror, brachte Karls- ruhe auch Negativ-Schlagzeilen. Das Wich- tigste der Ära Dullenkopf war wohl die Einge- meindung, z. T. unter schmerzhaften Reakti- onen, die Karlsruhe deutlich größer werden ließ und neue Entwicklungsschübe auslöste. Klug dosierte Texte und Bildunterschriften schließen nicht nur die ptägnanten Fotos auf, mehrere von künstlerischer Qualität, sondern vermitteln einen deutlichen Eindruck vom Lebensgefühl jener Jahre, die an Aufgeregthei- ten nicht arm war, in denen aber Karlsruhe endgültig aus der Nachkriegszeit herauswuchs. Neben der reichhaltigen Information stellt sich unter der damaligen Herrschaft der Ab- rissbirne und des auslaufenden Betonzeitalters auch Nachdenklichkeit ein, weil der Rück- blick in diesem wichtigen Buch die Gegenwart durchsichtiger werden lässt. LEON HARD MÜLLER Birgit Bublies-Godau (Hrsg.): Henriette Obermüller-Venedey, Tagebücher und Lebenserinnerungen 1817-1871 (Forschungen und Quellen zur Stadtgeschich- te Band 7, Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe); Badenia Verlag, Karlsruhe 1999, 278 S., 21 Abb., 32,- DM. "Dass die Frauen bessere Democraten, gebore- ne Democraten seren ... '\ wie es zusätzlich im Titel heißt, ist jedenfalls bei dieser Karlsruhe- rin deutlich zu erkennen, hat sie doch wegen ihres Einsatzes 1848/49 für die demokratische Entwicklung allein monatelang im GeHingnis verbringen müssen und ist auch später einen teilweise schwierigen Lebensweg gegangen. Ihre Tagebücher, "Notizen unseres Erlebens", reichen vom Mai 1856 bis September 1870 und geben einen Teil der Atmosphäre im Großherzogturn Baden wieder, wie sie sie als Frauenrechtlerin, ehemalige Barrikadenkämp- ferin und Republikanerin sah. Auch die Le- benserinnerungen sind nicht nur fesselnd zu lesen; sie vermitteln einen farbigen Eindruck in familiäres, wirrschaftliches und auch politi- sches Alltagsleben im 19. Jahrhundert, wie man es nicht leicht vergleichbar findet. Darum ist nicht nur das Stadtarchiv zu loben, dass es diese Quellen der bisher wenig bekannten "Democratin" zugänglich gemacht hat, bereichert um 16 Seiten Abbildungen, sondern auch die Herausgeberin, die mit ko- lossaler Intensität in die Materie eingestiegen ist, nachdem sie über den Publizisten und Historiker Jakob Venedey (1805-1871), der zweite Ehemann von Henriette Obermüller (1817 -1893), ihre Dissertation geschrieben hatte und man sie dort schon die Papiere die- ser Familie auswerten ließ. Die Texte werden sehr ausführlich kommentiert, und die Präzi- sion der Autorin au~h in der Handschriftdeu- tung besticht. Zuweilen wird jedoch wohl des Guten zuviel getan. Bei 34 Seiten der Tagebü- cher zählt der Anmerkungsapparat 35 Seiten, und die Lebenserinnerungen werden mit 456 Anmerkungen begleitet. Zählt man zu den Anmerkungen noch die 21 Seiten Literatur- verzeichnis dazu, erhält man nebst dem Ein- druck der großen Belesenheit und des Fleißes der Herausgeberin freilich eine umfassende Bi- bliographie, die für den jungen Historiker sehr nützlich sein kann. LEONHARD MÜLLER Harm-Hinrich Brandt: Deutsche Geschichte 1850-1860, Entscheidung über die Nation Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln 1999, 273 Seiten, 48,90 DM Wer vor dem Hintergrund fulminanter Ge- samtdarstellungen zum 19. Jahrhundert aus 350 jüngerer Zeit wie denen von Thomas Nipper- dey oder Hans-Ulrich Wehler eine Epoche der deutschen Geschichte noch einmal beschrei- ben will, braucht schon Mut. Nun handelt es sich hier um ein Studienbuch, dessen Umfang der Verlag "mit freundlicher Beharrlichkeit" streng begrenzte. so dass nach einem kurzen einführenden Kapitel über den "ökonomi- schen Wandel im Zeichen der Industrialisie- tung" nur die politische Geschichte beschrie- ben wird, auch wenn in Unterkapiteln Kir- chen- und Bildungspolitik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Reaktionszeit gestreift wer- den. Der Verfasser weist im Vorwort daraufhin, wie stark er den Text straffen musste. Wenn das ein "Studienbuch" für Studenten sein soll, ist es eine sraubtcocken konzentrierte Kost, die nicht gerade zum Geschichtsstudium einlädt. Selbst Handbuchbeiträge wie die von Hans Fenske zur baden-würtrembergischen Ge- schichte (1992) sind da farbiger geschrieben. Für Profis ist die Lektüre hingegen anre- gend, zumal hier die föderale Grundlage stär- ker gesichert ist und Baden und Württemberg neben anderen Ländern eigene Kapitel erhal- ten. Dazu findet man sonst in Gesamtdarstel- lungen ab 1849 nur wenige Formulierungen; in der Regel wird gleich die Brücke zur Neu- enÄra 1858 in Preußen geschlagen, das ohne- hin als Großmacht zu einseitig betont wird. Aber auch die Kapitel zum deutschen Süd- westen sind äußerst gestrafft. Was soll sich der Leser über die Reaktionszeit in Baden von der "Inszenierung politischer Prozesse (Prozess Ger- vinus)" vorstellen, wenn ihm nicht in einem Nebensatz erklärt wird, dass da ein Hisroriker des Hochverrats bezichtigt wurde, der die Entwicklung zur Demokratie voraussagte. Wer solche Verkürzungen kennt oder in Handbüchern nachschlägt, wird freilich diese Passagen mit Gewinn lesen. So ist z. B. die ba- dische liberale Parteiregierung 1858-66, die innenpolitisch so konfliktreich verlief, auf zwei Seiten höchst differenziert und sachgerecht dargestellt. Ähnliches gilt für den Wechselbe- zug von Innen- und Außenpolitik in Würt- temberg. Wie Baden ist ja kein anderer deutscher Einzelstaat so nachdrücklich von der Tendenz- wende einer Neuen Ära geprägt worden. Erst- mals wurden in Deutschland durch Entschluss des Regenten Vertreter einer Kammermehr- heit der Liberalen in eine Regierung berufen, eine erste parlamentarische, von der sich Friedrich l. "innenpolitische Impulse" ver- sprach, "eine nationalpolitische Signalwirkung erhoffte ... und andere Fürsten von der Frucht- barkeit des badischen Kooperationsmodells" zu überzeugen versuchte. Das große innere Reformwerk "erneuerte Badens nationalen Ruf als Reformstaat" , der bei "einer Verstaadichung der Schulorganisation und einer Säkularisati- on der Bildungsziele und Lehrpläne" zum er- sten langjährigen Kulturkampf mit den Kir- chen, besonders der katholischen, führte . Die Hinwendung von Baden und WÜrt- temberg zu Österreich bis zur Kriegspartner- schaft 1866, die antipreußische Stimmung und die Ablehnung Bismarcks quer durch die politischen Lager erhält in der Darstellung durch die Einbeziehung Österreichs tiefere Dimensionen. So ist eines der wichtigsten Ka- pitel die Beschreibung des Reformversuchs der Habsburger Monarchie 1862/63, die Verfas- sung des Deurschen Bundes als Staatenbund weiter zu entwickeln, um ihm "ein Element nationaler Integrität einzufügen". Bismarcks kleindeutsche Politik zielte aber auf eine Zer- störung des Deutschen Bundes und die preu- ßische Vormacht. Im Schlusskapitel weist Brandt daraufhin, dass bei einer Hypothese eines Bewahrens des Deutschen Bundes unter österreichischer Do- minanz zwar die bereits vorhandenen nationa- listischen Tendenzen nicht "so penetrant for- ciert" worden wären wie nach dem "sieges- 351 deutschen Anstrich" wilhelminischen Musters nach 1871. Die Bundesreformvorschläge hät- ten aber auch nicht zu einem echten Parla- mentarismus der Bundesangelegenheiten ge- führt und die obrigkeitsstaatliche Tradition wäre auch so prägend geblieben. Die Wiener Regierung hätte die deutsche Nationalbewe- gung für die Interessen des Vielvölkerstaats eingesetzt und wäre in der Balkanpolitik un- ausweichlich auf die russische Expansion ge- stoßen. Ein Konflikt hätte sich dann schon vor 1914 ergeben. Das sind interessante Extrapo- lationen, die in die Sonderwegdebatte ein- münden, d. h. auch ohne das Reich Bismarck- scher Prägung wäre ein österreichisch geleite- ter Bund in die innen- und außenpolitischen Konflikte hineingeraten, die das Ende des 19. Jahrhunderts bis 1914 begleiten. Der Verfasser bietet - studienbuchgemäß - ein ausführliches Verzeichnis der jüngsten li- teratur an. Und so basiert z. B. auch seine Dar- stellung der Gründe für den deutsch-französi- schen Krieg auf Forschungen Josef Beckers zum Problem der Bismarckschen aggressiven Politik in der spanischen Thronfrage. Bei der Annexionsfrage von Elsaß-Lothringen kenn- zeichnet er dagegen Bismarcks Zurückhal- tung, die er "nicht von sich aus losgetreten" hat. Denn wenn man die Pläne zur politischen Zerstückelung Frankreichs eines einflussrei- chen badischen Politikers wie Franz von Rog- genbach dem gegenüberstellt, erkennt man, dass unter Nationalliberalen noch viel härtere Friedensbestimmungen gefordert wurden, die die Demütigung des "Erbfeindes" noch ver- stärkt hätten. Weder eine liberale noch eine österreichi- sche Alternative zu Bismarcks Kleindeutsch- land hätte wohl eine andere Wendung ge- bracht, denn noch vor der Zerstörung des Deutschen Bundes zeigte auch die Habsburger Politik - so der Verfasser - sowohl im Krim- Krieg wie im Anspruch aufOberitalien 1859 "ausgesprochen frühimperialistische Züge ... , in manchem eine Vorwegnahme der Stim- mung von 1870". Offenbar war die Lawine der Imperialismen nicht aufZuhalten und ließ 1914 "in Europa die Lichter ausgehen". LEONHARD M ü LLER Unter Strom - Geschichte des öffentlichen Nahverkehrs in Karlsruhe (Veröffentlichungen des Karlsruher· Stadtar- chivs Band 20; hrsg. vom Stadtarchiv Karls- ruhe und den Verkehrsbetrieben Karlsruhe durch Manfred Koch); Badenia Verlag Karls- ruhe 2000; 336 Seiten, 39,80 DM Die Fächerstadt gilt als Mekka des ÖPNV. Mit der Eröffnung der Linie Bretten-Gölshau- sen zum Albtalbahnhof im September 1992 war erstmals die Trennung von Straßen- und Eisenbahn aufgehoben. Die weltweit beachte- te Pioniertat bestand im von den Verkehrsbe- trieben entwickelten Stadtbahnwagen, der auf beiden Gleisarten gleichermaßen verkehren konnte und so Bewohner der Region ohne Umsteigen in die Innenstadt brachte. Der im Jahr darauf gegründete KVV baute das Netz der Zweisystem-Stadtbahnwagen, die den öf- fentlichen Nahverkehr revolutionierten, zügig aus, schuf einen einheitlichen Tarifverbund und erweiterte seinen Service für die Fahrgäs- te. Heute bedient der KVV ein Gebiet mit einer Fläche von 3.158 Quadratkilometern, in dem etwa 1,2 Millionen Menschen leben. Das unter der Ägide von Dieter Ludwig entstande- ne Karlsruher Modell wurde zum Vorbild für zahlreiche Städte in In- und Ausland. Doch das erste Teilstück der Erfolgsspur legten bereits die Generationen zuvor. Über die Geschichte des öffentlichen Nah- verkehrs in der Fächerstadt und dessen we- sentliche Weichen stellungen berichtet jetzt 352 ausRihrlieh der Band 20 der Veröffentlichun- gen des Stadtarchivs, den Archiv und Ver- kehrsbetriebe unter dem Titel "Unter Strom" zum 100-jährigen Jubiläum der elektrischen Straßenbahn in Karlsruhe vorlegten. Das 336 Seiten starke Werk ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist es die erste Gesamtdarstellung der facettenteichen Ent- wicklung der Karlsruher Schiene in einem Guß von den Anfangen als Pferdebahn im Jahre 1877 und als Dampfbahn, die seit 1881 vom Durlacher Tor zum damaligen Durlacher Staatsbahn hof führte, bis zum Karlsruher Modell unserer Tage. Wesentliche Wegmarken wie die Elektrifizierung im Jahre 1900 oder der Weitblick in den 50er bis 70er Jahren, als Karlsruhe unter den Oberbürgermeistern Klotz und Dullenkopf ganz entgegen dem Trend in vielen anderen Städten weiter auf die Straßenbahn setzte, genießen in der von zahl- reichen, teilweise bisher unveröffentlichten Abbildungen wirksam unterstützten Retros- pektive besonderen Stellenwert. Weiter bringt die Publikation detaillierte Informationen über technische Neuerungen, Änderungen im Liniennetz, die Entwicklung von Albtal-, Turmbergbahn und Lokalbahnen und listet sämtliche bisherige Fahrzeuge der Karlsruher Straßenbahnbetriebe auf. Und "der Neuling" beleuchtet auch bislang weitgehend unbe- kannte Facetten der wechselvollen Bahnge- schichte. So hätte das Karlsruher Modell um ein Haar bereits acht Jahrzehnte zuvor einen Vorgänger gehabt. Im Jahre 1912 trat Ober- bürgermeister Karl Siegrist mit dem Plan an die Öffentlichkeit, die Straßenbahn, die ins Umland filhrende Lokalbahn und die Albtal- bahn miteinander zu verbinden und eine Karlsruher Eisenbahngesellschaft zu gründen. Die nahverkehrspolitische Vision scheiterte jedoch am Veto des Bürgerausschusses, der sich vor allem gegen die vorgeschlagene Form der Privatisierung in eine Aktiengesellschaft der gerade zehn Jahre zuvor kommunalisierten Straßenbahn wandte. Bemerkenswert ist bei "Unter Strom" aber auch die Herangehenswei- se an die Themen und die Verarbeitung der Fülle an Details. Unter Federfilhrung und Schlussredaktion von Stadthistoriker Dr. Manfted Koch liefer- te ein zwölfköpfiges Autorenteam, das sich zur überwältigenden Mehrheit nicht aus ausge- wiesenen Hiscorikern, sondern aus Straßen~ bahnexperten zusammensetzte, Einzelbeiträge zu den drei Schwerpunkten "Straßenbahnver- kehr in der Stadt 1877-1953", "Schienenver- kehr mit dem Stadtumland 1843-1957" und "ÖPNV in Stadt und Region 1954-2000". Koch selbst fügte die Arbeiten der Hobbyhis- toriker durch ein gleichermaßen themenorien- tiertes wie chronologisches Ordnungsschema nicht nur zu einem sinnvollen Ganzen, son~ dem gibt in einem eigenen Kapitel auch einen Überblick über den bislang weitgehend uner- forschten Zusammenhang von Nahverkehr und Stadtentwicklung. Insgesamt ist "Unter Strom" der Spagat, zum einen wissenschaftlich fundierte Erkennt- nisse zu liefern, aber auch eine möglichst brei- te Leserschaft anzusprechen, überzeugend ge- lungen. Vor allem da sich der Band nicht nur als Lesebuch eignet, in das sich der Interessier- te in Ruhe vertiefen kann, sondern durch sei- ne wohldutchdachte Unterteilung auch als profundes Nachschlagewerk, das vor allem in Manfred Kochs Überblick und der abschlie- ßenden Chronik in Kürze übet die wichtigs- ten Wegmarken det ÖPNV-Geschichte infor- miert. Nicht zu vergessen sind dabei die zahl- reichen eindrucksvollen Photographien aus den Anfängen der Bahn in der Fächerstadt, die Pferdebahn, Dampfbahn, wie die ersten "Elektrischen" vor dem Auge des Betrachters so richtig wieder auferstehen lassen. MATHIAS TRONDLE 353 Jürgen Schuhladen-Krämer: Akkreditiert in Paris, Wien, Berlin, Darmstadt. Badische Gesandte zwischen 1771 und 1945 Hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe; Info Verlag Karlsruhe 2000, 80 Seiten, 14,80 DM Anlässlieh der Einrichtung einer neuen baden- württembergischen Landesvertretung in Ber- lin gibt das Stadtarchiv einen Überblick he- raus, wie er in dieser anschaulichen Form bis- her noch nicht vorlag. Viele dieser Diploma- ten im 18.119. Jahrhundert hatten bei geringer Amtstätigkeit nur Kontakte zu den Höfen zu pflegen und ausführlich darüber zu berichten. Doch in entscheidenden Momenten wie in den Jahren 1803 und 1806 war es ein Diplo- mat wie Reitzenstein, der mit großem Ge- schick mehr zum Entstehen des badischen Staates bewirkte als sein Fürst. Es war ein spar- sames Land, und die Klage der zu geringen Aufwandsentschädigung war bei allen Ge- sandten notorisch, die deshalb oft aus reichen Adelsgeschlechtern ausgewählt wurden, um einen Eigenanteil zu leisten. Ein besonderes Kapitel ist den Vertretern in Berlin gewidmet, wofür bei den Preußen anfangs besonders Offiziere geeignet erschie- nen. Bei den zivilen Nachfolgern mussten die Außenminister zuweilen darauf drängen, dass nicht eigene, sondern die Politik der Karlsru- her Regierung vertreten werde. 1871 hob Ba- den zunächst alle Gesandtschaften auf bis auf die Berliner, die das Land im Bundesrat zu vertreten hatte und so auch ein repräsentatives neues Gebäude bezog, denn die zunehmende Bedeutung der Wirtschaftsförderung verlangte vielerlei Kontakte. So blieb dieser Stützpunkt als Vertretung im Reichsrat 1919 erhalten, ja bis 1943, um sich auch bei dem Rüstungspro- gramm beteiligt zu sehen. Beim Verfasser als erfahrenem Landeshis- toriker kann man nichts anderes als solides Quellenstudium und einen allgemein zugäng- lichen Stil erwarten. Die Redaktion (E. O. Bräunehe) der zahlreichen Abbildungen, Ta- bellen, Register unter Mitwirkung von Kat ja Schmalholz zeigt, wie gewissenhaft sich das Stadtarchiv auch bei kleineren Gelegenheits- publikationen aus gegebenem Anlass kümmert. LEONHARD MüLLER Heinz Kunle, Stefan Fuchs (Hrsg.): Die Technische Universität an der Schwelle zum 21. Jahrhundert Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der Universität Karlsruhe (TH); Springer Verlag Berlin 2000, 477 S., 230 Abb., 69,- DM Gar manche Festschriften für Institutionen langweilen, weil man sich dort nur selbst fei- ern will. Ganz anders dieser Band, der, auch unabhängig vom Anlass, ein Tableau unserer Epoche zu entwerfen versteht: im Spannungs- feld von Tradition und Innovation zwar mit dem Schwergewicht auf die Brennpunkte technisch-naturwissenschaftlicher Forschung, aber gründend auf den gesellschaftlichen Strö- mungen. Natürlich sind manche der 17 Bei- träge über neue Erkenntnisfelder für Fachleute geschrieben. Aus Darstellungen über "Das neue Bild der Erde" oder "Neue Werkzeuge für die Medizin" kann aber auch der Laie Ge- winn ziehen, um nur zwei Beispiele zu nen- nen. Allein 13 Beiträge wenden sich den neu- en Formen der Lehre zu. Gängige Schlagwör- ter wie "Internationalität" oder "Interdiszipli- narität" werden hier mit Fakten gesättigt und überzeugen in ihrer Schlüssigkeit. Mit Berich- ten über ein Karlsruher Modell für die Ingeni- eurausbildung, postgraduale Studien, Studien- zentrum für Sehgeschädigte, lebenslanges Ler- nen und eine Teleuniversität beweisen, welche große Bedeutung die Lehre in dieser Hoch- schule einnimmt. 354 Die geistes-sozialwissenschaftlichen Pers- pektiven für Bildung und Ausbildung führen in das Feld der "offenen Universität" und ihre Rolle füt Politik, Wirtschaft und Gesellschafr. Hier wird angesichts jüngerer Kritik an den Universitäten ob ihrer Strukrur und der Ge- fährdung der Einheit von Forschung und Leh- re Stellung bezogen. Wie können Elemente der Leisrungskontrolle und des Wettbewerbs sinnvoll eingebracht werden, wie verändern öffentliche und private Mittel den Finanzrah- men, welchen Stellenwert soll die Grundla- genforschung gegenüber der angewandten, ökonomisch geforderten einnehmen? "Eines ist sicher: Die Hochschule muss mit einer be- wussten Öffnung hin zur Gesellschafr auf die- se Herausforderungen reagieren ... sei es als kompetente Beratungsinstanz für Politik, Me- dien und Bürger, sei es als mächtiger wirt- schaftlicher Faktor für ganze Volkswirrschaften oder ganz unminelbar für die eigene Region." Gerhard Seiler erwähnt für Stadt und Region die große Zahl von Unternehmern, aus der Universität kommend, die in der Technologie- region einen erfolgreichen Start fanden. Die Hochschule ist für ihn wie die Stadt von "ty- pisch badischem Understatement" geprägt, in einer "lauten Zeit" manchmal ein Nachteil, wo man Leistungen besser "verkaufen" müss- te. Die geschichtlichen Rückblicke erläutern, welche Impulse von Karlsruhe ausgingen, wie z. B. im Kampf um die Gleichberechtigung der technisch-naturwissenschaftlichen Bildung neben den traditionellen Universitäten mit dem TItel "Technische Hochschule" 1885 und das Promotionsrecht 1900 durch Grhzg. Fried- rich I. die "Fridericiana" bewusst herausgeho- ben wurde, die schon in der Kaiserzeit Weltruf gewann. Neben solchen Erfolgen werden auch Problemphasen in ausgewogener Sicht mehr- fach erÖrtere. So ist den Herausgebern gelun- gen, eine zwar varianrenreiche, aber doch ge- schlossene Publikation vorzulegen mit griffi- gen Zwischentexren zwischen den Sektionen bei vorzüglicher Präsentation durch Abbildun- gen. Die Universität kann auf eine solche Fest- schrift stolz sein. LEONHARD MÜLLER Barbara Guttmann: Den weiblichen Einfluss geltend machen ... KarIsruher Frauen in der Nachkriegszeit 1945 - 1955 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadt- arehivs Bd. 21); Badenia-Verlag, Karlsruhe 2000,248 S., 37,- DM Der TItel ist Programm. In Anlehnung an ein Zitat von Kathinka Himmelheber, Initiatorin und etste Vorsitzende der im Oktober 1946 gegründeten Karlsruher Frauengruppe formu- liert Barbara Gunmann das Ziel, den Beitrag von Karlsruherinnen zum politischen Wieder- aufbau eines demokratischen Gemeinwesens in der ersten Dekade nach dem Zweiten Welt- krieg zu dokumentieren und in allgemeine politische Zusammenhänge einzuordnen. Diese Untersuchung lässt sich als weiteres Ele- ment in das mosaikartige Bild weiblichen En- gagements in der öffentlichen Sphäre einfü- gen, um das sich Forscherinnen seit einigen Jahren bemühen. Nach wie vor dominiert in der allgemeinen Erinnerung das Bild der so genannten Trümmerfrau, die in mühseliger Arbeit die Ruinen des Weltkriegsdesasters bei- seite räumt, um Neuem Platz zu schaffen. Damit wird jedoch nur ein Bruchteil des Ein- satzes, der Verdienste und vor allem auch Hoffnungen auf Einfluss und demokratische Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen erfasst. Die ganze Breite gesellschaftlichen Engage- ments in den Blick nehmend, zeichnet Gun- mann neben der Mitarbeit in Parteien, in Ge- werkschaften und in kommunalpolitischen Ins- titutionen, also in der Politik im engeren Sinn, auch die Arbeit in Frauenorganisationen auf. 355 Die Quellenlage freilich ist schwierig und erfordert eine penible Spurensuche über allge- mein Zugängliches, wie z. B. die zeitgenössi- sche Presse hinaus. In den Überlieferungen der Parteien oder Gewerkschaften wird selten ein Wort über die weiblichen Protagonisten verlo- ren, die Unterlagen der Frauenorganisationen mussten aus privater Hand zur Einsicht erbe- ten werden. Außerdem führte die Historikerin Interviews mit 20 Zeitzeuginnen durch. Alltagsbewältigung und Politik fielen auf kommunaler Ebene zusammen, wie Gutt- mann das überwiegend kommunalpolitische Engagement begründet. Einführend widmet sie sich der wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Situation von Karlsruherinnen nach 1945, die die Rahmenbedingungen allen Engagements prägte und zugleich auch jene Alltagsprobleme schuf, an deren Lösung Frau- en mitarbeiten wollten. Die politischen Rah- menbedingungen wurden bis 1949 von der Besatzungspolitik gestaltet. Das kam der Gründung von Frauenorganisationen entge- gen, denn die amerikanische Militärregierung sah gerade in der weiblichen Bevölkerung das Potenzial ' für den Aufbau der Demokratie. Ohne Zögern wurde beipielsweise dem Antrag der Karlsruher Frauengruppe stattgegeben, ei- nen interkonfessionellen und überparteilichen Zusammenschluss zu begründen, der sich in der Tradition der Frauenbewegung vor 1933 sah. Ob und wie diese Erfahrung eine Rolle spielte, ist eine der Leitfragen. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass zu den Aktiven fast ausschließlich jene zählten, die auf organi- satorische und politische Erfahrungen vor 1933 zurückgreifen konnten, aber es gelang ihnen nicht, junge Frauen zu gewinnen. Für sie waren die alten Organisationsformen über- lebt, außerdem habe eine Abneigung gegen Politik unter jenen, Frauen wie Männern, ge- herrscht, deren Jugend durch den Nationalso- zialismus geprägt worden war. Und so seien die Älteren in vielen Organisationen unter sich geblieben. Barbara Guttmann zeigt an- schaulich und ohne aus heutiger Sicht ambiva- lente Aspekte zu verschweigen, dass das öffent- liche Handeln der "Frauen der ersten Stunde" zur demokratischen Tradition gehört - auch wenn es kein massenhafter Aufbruch war. CHRISTINA KLAVSMAN N Horst Fischer: Landwirtschaft und Viehzucht in früherer und heutiger Zeit. Heft 4 (Band 11, Kapitel 8) der Chronik Wolfarts- weier; hrsg. vom Verein für die Geschichte von Wolfartsweier, 153 S., 24,- DM Die ersten authentischen Hinweise zur Situa- tion der Landwirtschaft in Wolfartsweier fin- den sich in AufZeichnungen von 1404. Zahl- reiche weitere Urbare, Urkunden und Schrift- stücke dienen dem Autor als Grundlage. Vom frühen Mittelalter bis in das 14. Jh. werden allgemeine Quellen herangezogen, die sich auch aufWolfartsweier übertragen lassen. Das Ergebnis ist eine interessante Wiedergabe des Lebens in den vergangenen Jahrhunderten. Die Bauern waren wichtigster Wirtschaftsfak- tor der Volkswirtschaft, die Gesellschaft war bis in das 19. Jh. bäuerlich geprägt. Struktur und Entwicklung der landwirt- schaftlichen Betriebe zeichnen ebenso ein le- bendiges Bild wie die Veränderung der Erträ- ge und Preise bei landwirtschaftlichen Produk- ten. Anschaulich wird die Problematik der Realteilung mit ihren negativen Folgen für die Betriebs- und Flurstruktur im Laufe der Jahr- hunderte abgehandelt. Kleinstbäuerliche Ver- hälrnisse resultieren daraus und bleiben bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bestehen. Die landwirtschaftlichen Betriebe boten ihren Eigentümern bei einer äußerst geringen Flä- chenausstattung oft nur ein karges Brot und 356 das bei der Last der hohen und vielfaltigen Abgaben und Frondienste. Dennoch: manch tüchtiger Landwirt mehrte seinen Besitz und etteichte sicher auch einen gewissen Wohl- stand. Bemerkenswert, dass über die Jahrhun- derte hinweg 20 bis 40 % der Fläche im Besitz von Auswärtigen lag (z. B. Auemer, Durlacher, Grötzinger). Berichtet wird von rund zwei Dutzend landwirtschaftlicher Betriebe Anfang des 15. Jh., die dann bis zum Ende des 18. Jh. auf über 80 ansteigen und erst im Zuge des Strukturwandels der Nachkriegszeit bis 1990 völlig aufgegeben werden. Ebenso anschaulich dargestellt wird die Nutzung der kleinen Wolfartsweierer Flur: Wie wichtig war das Gartengrundstück zur Selbstversorgung! Die Förderung der Land- wirtschaft durch die Markgrafen war bedeut- sam. Natürlich spielte die Abhängigkeit von der Obrigkeit eine große Rolle, die Gemar- kung gehörte rechrlich den Markgrafen. Manche Familie in Wolf.lttsweier wird sich vielleicht bei der Auflistung der Namen im Zusammenhang mit früherem Gebäude- und Grundbesitz wiederfinden. Die Verwendung und Erläuterung der alten Begriffe wie Hube, Hufen, Zelg usw. interessiert. Wie auch die Nennung zahlreicher Hub- und Flurnamen und das Auflisten der früheren Straßennamen. K1einstbetriebe in Wolfartsweier konnten natürlich nur sehr kleine Viehbestände halten. Ein bis zwei Milchkühe, zugleich als Arbeits- tiere eingesetzt, waren die Regel. Die Pferde- haltung und "von oben" verordnete Pferde- zucht diente mehr der Bereitstellung von Mi- litätpferden und für Fuhrzwecke im Lohn. Nicht unbedeutend war das Federvieh. Ein besonderes Kapitel ist der Entwicklung des Genossenschaftswesens in Wolfärrsweier ge- widmet. Selbsthilfeeinrichtungen, wobei vor al- lem die Warengenossenschaft während ihres 70- jährigen Bestehens ab 1990 viele Impulse für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft gab. In den alten Quellen hat der Autor auch längst vergessene Namen und Tatbestände wieder ausgegraben. Die Geschichte der land- wirtschaft in Wolfartsweier spiegelt die allge- meinen Lebensumstände vergangener Jahr- hunderte wieder, und sie ist in sehr vielen Tei- len auf unseren Raum übertragbar. Das Heft ist ein Nachschlagewerk und Geschichtsbuch zugleich. Welch große Bedeutung hatte die heimische Landwirtschaft für die Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg, wie untergeordnet ist ihr Stellenwert in heutiger Zeit! ARNULF BEEG Bernhard Wien: Politische Feste und Feiern in Baden 1815-1850, Tradition und Transformation: Interdependenzen liberaler und revolutionärer Festkultur Peter Lang Verlag, frankfurt 2001, 702 S., 185,- DM Seit dem Historikertag 1984 wurden "Feste und Feiern" zu einem Modethema, dem bereits viele Arbeiten gelten. Also auch noch ein Buch über Baden, fragt der Verfasser ein- gangs. Er bejaht dies mit 702 Seiten und 1955 Anmerkungen. Für weitere Dissertationen wie diese sollte das keine Richtschnur werden. Die überfülle der Details verhindert aber nicht eine facettenreiche Publikation, weil in ihrer Differenzierung pauschalierende Darstellun- gen über das so unterschiedlich strukturierte Großherzogturn Baden relativiert werden. Seit 1818/19 wurde die neue Verfassung gefeiert, die man allerdings trotzig von der Regierung respektiert wissen wollte, und Eltern wie leh- rer sollten den Kindern den Verfassungstext wie Bibelstellen einprägen. Da politische Ver- sammlungen verboten waren, entpuppten sich diese kryptopolirischen Feste - in gelöster At- mosphäre - und Feiern - gemessenen Charak- 357 ters mit Pathos in Rede und Musik - zur Schiene in die revolutionäre Phase ab 1847, zur Revolution 1849. In Württemberg von der Polizei verboten, stärkte in Baden die po- litische Festkultur die liberalen Abgeordneten, ein Vorgang, von anderen Staaten bewundert, doch angesichts schwacher liberaler Bewegun- gen nicht erfolgreich nachgeahmt. Denn Ba- den und die bayerische Pfalz waren wohl die "aufgeregtesten" Länder und aufgeschlossen fur die Dynamisierung der revolutionären Ent- wicklung durch das Ausland. Mannheim und Freiburg galten dabei als liberale Hochburgen; Karlsruhe, Sitz der Regierung, wurde als Ba- dens Mitte in Zweifel gezogen. Bedeutsam bei den Festivitäten waren die Teilnehmerkreise und Symbole, mal mit Be- amten und Offizieren, mal ohne, mal mit Gottesdiensten sakral überhöht, mal rein po- litisch. Das Zeremoniell spielte eine wachsen- de Rolle mit Abzeichen, Kokarden, Bändern, Binden, Schärpen oder Kleidungstücken wie große Hüte, rote Mützen, blaue Blusen. Der Heckermyrhos, charakterisiert durch Heckers Erscheinungsbild, wurde einerseits Vorbild fur Revolutionäre, andererseits so abschreckend wie die rote Fahne, die die Radikalen für das erst revolutionäre, dann kompromittierte Schwarz-Rot-Gold einsetzten. Vor diesem Rot aber schreckten Bürgermeister zurück, die rote Feuerspritzen verkauften; Apotheker wollten Fläschchen nicht mehr in rotes Papier einwi- ckeln, "ein Bankier schnitt einem herrlich prangenden Kaktus alle seine Blüten ab", so berichteten die Konstanzer "Seeblätter" , eine der 77 Zeirungen, die d. Verf. in stupendem Fleiß ausgewertet hat neben vielen bisher un- gedruckten Quellen aus Stadtarchiven. Allein 73 Seiten umfasst das Verzeichnis der Litera- tur, mit der er sich kritisch auseinandersetzt. In Zwischenergebnissen nach seinen Kapiteln wird der Weg deutlich, wie die traditionellen bürgerlichen Feste und Feiern transformiert werden zur Basis fur Massenwirksamkeit mit entsprechender Durchschlagskraft, ja sie die- nen als "Türöffner für das unterbürgerliche Versammlungswesen 1847-49". Damit wird ein Zugang zu einer neuen Öffentlichkeit ge- schildert, die seit dem 19. Jahrhundert bis in unsere Tage reicht. LEONHARD MÜLLER Rheinhafen Karlsruhe 1901-2001. Mit Beiträgen von E. O. Bräunehe, G. Hert- weck, R. Homberg, P. Pretsch, U. Schubart, J. Schubladen-Krämer, A. Schwarzer (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 22), Karlsruhe 2001, Info Verlag, 408 S., 45,- DM Heute fragen Firmen, die sich neu ansiedeln wollen, häufig zuerst: Wie weit ist es zum nächsten Flughafen? Vor hundert Jahren hat- te die Rheinschifffahrt eine ähnlich große Be- deutung. Die Inbetriebnahme des Karlsruher Rheinhafens 1901 stieß das Tor auf zur drin- gend notwendigen wirtschaftlichen Weiterent- wicklung der Stadt und ihres Umlandes. Nicht zuletzt durch den 1963 angelegten Ölhafen hat sich der Güterumschlag übetwiegend po- sitiv entwickelt. In den 1980er Jahren stand Karlsruhe nach Duisburg zeitweilig an der Spitze der deutschen Anlauforte für die Bin- nenschifffahrt. Höchste Zeit also, nach früheren kleineren Publikationen die Geschichte und Entwick- lung der Karlsruher Rheinhäfen in der Ge- samtschau darzustellen. Für den vorliegenden, auch durch seine reiche Bebilderung informa- tiven Band zeichnen mehrere Autoren verant- wortlich. Nach einer zusammenfussenden Ein- leitung durch E. O. Bräunehe, der eine kurze Chronik zur Rheinhafengeschichte beisteuer- te, teilen sich G. Hertweck, J. Schuhladen- Krämer sowie Rheinhafenchef A1exander 358 Schwarzer die Aufgabe, den Werdegang von der Entwicklung der Oberrheinschiflfahrt und frühen Hafenplänen bis zur heutigen Anlage und den an sie gerichteten Anforderungen nachzuverfolgen. Eine Darstellung der Hoch- bauten am Hafen als Beispiele der Industtiear- chitektut zwischen Historismus und Beginn der Moderne von U. Schubart, die reizvolle Prä- sentation der Rheinhäfen in der bildenden Kunst von P. Pretsch sowie die kurze Geschichte der IOO-jährigen Stromversorgung durch das städtische E-Werk am Rheinhafen von R. Homberg erweitern in willkommener Weise die Untersuchung der Hafenentwicklung. Die mit dem Verfahren, das Thema "Rheinhafen" aus unterschietllichem Blickwinkel zu betrachten- unvermeitllichen Wiederholungen nimmt man gerne in Kauf. werden sie doch ausgeglichen durch Informationen, wie sie vorher so und zu- dem so übersichtlich geordnet nicht zur Ver- fügung standen - ist ein Gewinn. Dass schon die Römer den Rhein als Trans- portweg nutzten, ist bekannt, dass die Rhein- schifffahrt danach zeitweise immer wieder zur Bedeutungslosigkeit verkam, schon weniger. Weder die Stromverhältnisse, noch die Schiffs- technik bremsten den Handel, sondern eine Art gewerblichen Raubrittertums, das die Schiffs- ladungen "hemmungslos" mit Zöllen und Abgaben belegte. Neben diesen Detailfragen vermitteln die historischen Kapitel vor allem gruntllich recherchiert und faktenreich die wirt- schaftliche Bedeutung des Hafens für die Stadt, ist das Auf und Ab seiner Umschlagszahlen und seiner Erweiterungspläne doch ein Gradmes- ser auch für die Stadtentwicklung. Nachvoll- ziehbar wird der Einfluss der beiden Weltkrie- ge, der umstrittenen Neckarkanalisierung und der Energieträger Kohle und Öl. ZU einem Buch über den Hafen gehören freilich auch Informationen über die Personen beförderung mit den Fahrgastschiffen "Friedrich Töpper" oder "Karlsruhe" und über Hochwasser, die viele Karlsruher noch in Erinnerung haben. Auch wenn die Fülle des Stoffs die Lektüre nicht immer leicht macht, so ist der Band den- noch nicht nur für Historiker, sondern für alle an der Geschichte ihres H afens interessierte Karlsruher und Karlsruherinnen eine unent- behrliche Fundgrube. DOROTHEA SCHMITT-HOLLSTEIN Ute Grau/Barbara Guttmann: Gegen Feuer und Flamme. Das Löschwesen in Karlsruhe und die Berufsfeuerwehr (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 23), Karlsruhe 2001, Info Verlag, 256 S., 39,80 DM Noch 1809 bestimmte die Feuerordnung: "Je- der erwachsene Einwohner hiesiger Stadt und Klein-Carlsruhes ist verbunden, an den Feuer- lösch-Anstalten Antheil zu nehmen." Bis zur heutigen, gut organisierten Feuerwehr "als Mädchen für alles" war es ein langer Weg. Die Autorinnen beschreiben die Entwicklung des Feuerlöschwesens als mühsame Wanderung zwischen organisatorischen Reformen und technischem Fortschritt. Anlässe zu Verbesse- rung waren oft Katastrophen mit vielen Toten. Zwar hatte schon Markgraf Karl Wilhelm erkannt, dass seine überwiegend aus Holz ge- baute Stadt eine Feuerordnung brauchte. Inves- tieren wollte er jedoch nichts und zwang die Bürger, selbst eine falubare Spritze und Leder- eimer anzuschaffen. Das funktionierte leitllich. Zur Gründung der Freiwilligen Feuerwehr führte schließlich der Theaterbrand von 1847. Die als demokratische Vereine entstandenen freiwilligen Wehren hatten es daher nach der Revolution 1848/49 erst einmal schwer. Ab 1860 gab es jedoch erstmals im Haushalt ei- nen eigenen Feuerwehretat. Militärisch organi- siert, erwarb sich die Truppe schnell einen gu- 359 ten Ruf. Während der Industrialisierung wirk- ten sich das Wachstum der Stadt und die tech- nischen Entwicklungen bei den Anforderungen und der Ausstattung der Feuerwehr aus. 1912 leitete unter anderem die "benzin-automobile Drehleiter" die Motorisierung ein. Erst 1926 leistete sich die Stadt eine Berufsfeuerwehr, die an der Ritterstraße eine moderne Hauptwache erhielt. Für die Lösung des schwelenden Kon- flikts, ob der Chef der Hauptamtlichen oder der Freiwilligen das Sagen haben sollte, brauchte es einen Denkzettel. Nach dem Brand des Warenhauses Knopf im Juli 1928 erhielt der Chef der Berufswehr das letzte Wort. Unter dem Nationalsozialismus erlebte die Feuerwehr in der Reichskristallnacht 1938, als sie Juden keine echte Hilfe leisten durfte, den Tiefpunkt ihrer Geschichte. Nach 1949 folg- te dem ,Anfang mit nichts" eine stete Auswei- tung der Aufgaben mit neuen Sicherheitskon- zepten, etwa im Strahlenschutz oder für den Ölhafen. 1960 kam mit der Dependance in Mühlburg endlich die seit langem geforderte Westwache. Die Anschaffung moderner Mul- tifunktionswagen entsprach den erweiterten Anforderungen. Heute ist die Karlsruher Be- rufsfeuerwehr ein moderner Dienstleistungs- betrieb mit 210 Männern. Im Stadtfeuerwehr- verband besteht eine vertrauensvolle Koopera- tion zwischen Berufsfeuerwehr und der Frei- willigen Wehr. Wer sich für den aktuellen Stand des Löschwesens interessiert, dem bietet das letzte Kapitel des Buches guten Einblick. Der ganze Band bettet die Historie der Wehren in das politische und wirtschaftliche Geschehen der Stadt ein. Die umfassende und detaillierte Darstellung wäre allerdings noch lesefreundlicher, wenn jedem Kapitel ein kur- zer Absatz voran ginge, der die spezifischen Er- eignisse in die großen Entwicklungslinien auch der Feuerwehrgeschichte einreihte. ANDREA ALTENBURG Michael Ruhland: Schulhausbauten im Großherzogrum Baden 1806-1918 Verlag Renate Miller-Gruber, Augsburg 1999, 504 S., 379 Abb., 79,- DM Die Dissertation von Michael Ruhland, die nunmehr in einer reich illustrierten Buchaus- gabe vorliegt. leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zu einer noch ausstehenden Architek- turgeschichte des Schulhausbaus in Deutsch- land, vielmehr dürfte diese Untersuchung ge- rade auch für den regional- und lokalge- schichtlich interessierten Leserkreis von beson- derem Interesse sein. Die Publikation besteht aus einem gut les- baren Darstellungsteil und einem umfangrei- chen Katalogteil. Im Mittelpunkt der Darstel- lung steht der Schulbau und Schulraum als soziale und pädagogische Umgebung im Spannungsfeld zwischen Funktion und Reprä- senration. Dabei bilden städtebauliche Aspek- te, die Entwicklung der Grundrissformen und Fassaden sowie die Frage nach der künstleri- schen Ausschmückung von Schulgebäuden in sich geschlossene Themenkomplexe der Un- tersuchung. Viele Beispiele in Text und Bild beziehen sich hierbei auf Karlsruher Schulbau- projekte von Friedrich Weinbrenner, Heinrich Hübsch, Heinrich Lang, Wilhe1m Strieder oder Friedrich Beichel. Der um die Jahrhun- dertwende einsetzende Einfluss der Kunster- ziehungsbewegung erreichte im Karlsruher Schulhausbau den Höhepunkt mit der 1905 in der Kapellenstraße fertiggestellten Schiller- schule von August Stürzenacker. Der Katalog stellt 98 Schulbauten vor, die im Großherzogturn Baden 1806-1918 ent- standen sind. Zu jedem Objekt gibt es eine Abbildung, eine Auflistung wichtiger Daten und Fakten sowie eine kurze Charakteristik des betreffenden Gebäudes. Daran schließt sich jeweils ein Abriss der Baugeschichte und eine Beschreibung der Ausstattung des Schul- 360 hauses an. Dabei ist mögliehst der Zustand zur Zeit der Eröffnung. zumindest aber das Aus- sehen vor 1918 zugrundegelegt. Aus Karlsruhe werden 17 Sehulhausbauten vorgestellt. Das ehemalige Lyceum in den Sei- tenflügeln der Stadtkirehe am Marktplatz und die ehemalige Höhere Töchterschule in der Kreuzstraße dienen heute anderen Zwecken. Dagegen wurden die Höhere Bürgerschule am Zirkel und das Lehretseminar in der Rüppur- rer Straße nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut. während vom Lehrerseminar in der Bismarckstraße wenigstens noch die Fassaden /Ur den Wieder- aufbau der heutigen PH verwendet werden konnten. Noch ganz oder tei lweise erhalten sind die Schulgebäude des Gymnasiums in der Bismarckstraße. der Höheren Bürgerschule und des Realgymnasiums in der Englerstraße. der Höheren Mädchenschule in der Sophien- straße. der Oberrealschule in der Kaiserallee. der Goemeschule in der Renkstraße und der Lessingschule in der Sophienstraße. Bezeich- nenderweise musste das Gebäude der Gewer- beschule am Lide11platz nach seiner Fertigstel- lung 1914 zunächst als Lazarett eröffnet wer- den. bevor es 1919 seiner eigentlichen Bestim- mung übergeben werden konnte. Der Stadtteil Durlach ist in Ruhlands Katalog mit drei noch heute bestehenden Schulhausbauten vertreten: Vereinigte Schulen in der Pfinztalstraße. Ge- werbeschule sowie Progymnasium und Real- progymnasium in der Gymnasiumstraße. Zu jedem Objekt sind auch die entspre- chenden Archivalien und die Literatur angege- ben. Zusätzlich erschließt ein Personen- und Gebäuderegister alle im Darstellungs- und Katalogteil erwähnten Sehulen und die betei- ligten Architekten und Künstler. Somit stellt die Publikation insgesamt auch ein wichtiges Handbuch und Nachschlagewerk dar. JÜRGEN SPANGER Annette Borchardt-Wenzel: Frauen am badischen Hof. Gefahrtinnen der Großher- zöge zwischen Liebe. Pflicht und Intrigen Casimir Katz Verlag. Gernsbach 2001. 388 S .• 25 Abb .• 49.- DM Der nFrauengeschichteCC ist seit längerem zu verdanken. dass die manchmal männlich- graue Geschichtsszene nicht nur eine neue Farbe erhält. sondern aueh neue Einsichten. So ist es verdienstvoll. die Lebensläufe von sie- ben Fürstinnen an badischen Höfen zu schil- dern. die nicht ohne Einfluss /Ur Badens Ent- wicklung waren: Karoline Luise. Amalie. Luise Karoline von Hochberg. Stephanie Beauhar- nais. Sophie. Luise v. Preußen und Hilda. Zwar gibt es über jede bereits Literatur. doch die Zusammenfassung dieser Lebensläufe ver- mittelt neben dem politischen einen breiten kulturhistorischen Zusammenhang. Wiewohl auf wissenschaftlichen Publikati- onen gründend. trotzdem manchmal an alte Voreingenommenheiten gebunden. will die Verfasserin in erster Linie unterhalten und wirft den deutsehen Historikern "aller größtes Misstrauen vor, wenn Geschichte zu 'Unter- haltung' herhalten soll". Nun könnte man im Gegenteil genug brillant gesehriebene Werke aufführen und auch darauf hinweisen. dass immerhin. die wissenschaftliche Literatur. auf die sich dieses Buch stützt. von diesen Histo- rikern aufgearbeitet wurde. Deren Stil ist freilich ein anderer. Hier dagegen benimmt sich ein russischer Großfürst "wie die Axt im Walde". Amalie "war ganz seharf', Kamarina die Große zu sehen, hielt dagegen Stephanie für "eine dumme Pute", während Napoleon "hämisch gegrinst" haben soll und so fort. Man weiß nicht, wo in den Quellen so etwas steht, denn das Original macht doch wohl erst "Spaß", wovon mehrere hier zitierte Quellen zeugen und nicht allein diese Diktion der Autorin. 361 Dass es zu Überschneidungen der einzel- nen Lebensbilder kommt. die einzeln gelesen werden können, Stört weniger, dagegen ein Faktum wie z. B. die Vorliebe Karl Friedrichs für "diese oder jene niedrige Weibsperson" so oft in Variationen, was man doch spätestens beim zweitenmal begriffen hat. Die Schicksale sind "durch ein Temperament" gesehen. und da kann man bei jeder Biographie streiten. Dass der letzte Großherzog Friedrich 11. aber ein "charakterschwacher" Mann gewesen sein soll. dem muss man auf Grund der Quellen deutlich widersprechen. Die zahlreichen Literaturangaben werden z. T. eigens kommentiert und eine Stammta- fel erleichtert die Übersicht. So werden Hilfen für weitere Orientierungen angeboten. Und manchen mögen die obigen Einwände weni- ger stören, wenn er sich bei dieser Portrair- sammlung unterhalten weiß. Sollte er dadurch mögliche Zugänge zur badischen Geschichte finden. wäre das erfreulich. . LEONHARD MÜLLER Ute Grau: Schloss Augustenburg (Häuser- und Baugeschichte. Schriftenteihe des Stadtarchivs Karlsruhe. Bd. 1). Info Verlag Karlsruhe 2000.16.80 DM/8.59 € Holger Reimers. Gerhard Kabierske. Georg Matzka: Ein Karlsruher Modellhaus von 1723. Das Seilerhäuschen (Häuser- und Baugeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe. Bd. 2). Info Verlag Karlsruhe 2001. 29.34 DMI15 € Mit dem Band über Schloss Augustenburg eröffnet das Sradtarchiv Karlsruhe eine neue Publikarionsreihe "Häuser- und Baugeschich- te" und ergänzt damit die beiden bestehenden Reihen "Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs" und "Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte". Nun besteht eine Publi- kationsmöglichkeit für kleinere Arbeiten zu architektur- und baugeschichtlichen Themen. denen innerhalb der Gesamtstadtgeschichte eine wichtige Rolle zukommt. Dies ist umso erfreulicher. als es gerade in Karlsruhe lange am Bewusstsein für die eigene Architektur fehlte. Insbesondere die historischen Gebäude wurden - aufgrund des geringen Alters der Stadt - wenig geschätzt. Völlig zu Unrecht. denn. wie Oberbürgermeister Heinz Fenrich in seinem Geleitwort feststellt. verfügt Karls- ruhe über eine beachtliche historische Bausub- stanz. Diese sei nicht nur von architekturge- schichtlichem Interesse. sondern liefere darü- ber hinaus wertvolle Erkennrnisse z. B. zur Alltags-. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Dass Häuser "vielerlei Geschichten erzäh- len" können. zeigt sich gleich im ersten Band über Schloss Augustenburg. Die Autorin Ute Grau. eine auf stadt- und landesgeschichtliehe Themen spezialisierte Historikerin. bettet ver- siert die wechselvolle Geschichte des Gebäudes in übergreifende Zusammenhänge ein. In flüs- sig zu lesender Weise entblättert sie das Schick- sal des Gebäudes vom staufischen Pfründner- haus über fürstliche Hofhaltung. die Nutzung als Krapphaus und als Knopffabrik. bis hin zur Herberge der Grötzinger Malerkolonie. Span- nend zu verfolgen ist auch der lange Kampf um den Erhalt des alten Gemäuers. Leider erst in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts konnte durch den Ausbau zum Altenheim wenigstens noch der Hauprflügel gerettet wer- den - der Rest der Anlage war wegen des fort- geschrittenen Verfalls nicht zu erhalten. Der Titel der neuen Reihe legt nahe. dass sich das Stadtarchiv in Zukunft mehr der Bau- geschichte widmen will. Wie schwer Histori- kern der Umgang mit dreidimensionalen Quel- len fällt. zeigt dieser erste Band. Die Bauge- schichte wird zwar genannt. doch fehlt es an 362 einer soliden Baubeschreibung, kein Plan hilft dem Leser, sich das Gebäude selbst zu erschlie- ßen. Selbst klassische historische Quellen wie die Inventarverzeichnisse der Markgräfin Ma- riaAugusta (1649-1728) werden nur in Hin- blick auf Besitztümer und Personalbestand ausgewertet. Die Information über 34 Zimmer und eine Kapelle im Hauptgebäude sowie eine Vielzahl an Nebengebäuden fehlt. Ein Blick ins Großinventar von 1938 (Kunstdenkmäler Badens) gibt hier auf wenigen Seiten eine Viel- zahl von bauhiscorischen Informationen, die in eine Monographie unbedingt hätten einflie- ßen müssen. Eine Ergänzung dieser über 70 Jahre alten Beschreibung anhand des heutigen Bestandes wäre darüber hinaus wünschens- wert gewesen. Auch fehlt ein Wort zu den prä- genden Baurnaßnahmen des 16. Jahrhunderts im Rahmen der heimatlichen Renaissancebau- kunst. Trotz dieser Kritik bleibt der hier vorge- stellte Band eine unterhaltsame und optisch ansprechende Lektüre, die mit leichter Hand viel über das Leben im Schloss Augustenburg erzählt. Völlig anders zeigt sich demgegenüber der zweite Band der Reihe. Er ist einem Gebäude gewidmet, das auf grund seiner spektakulären Rettungsgeschichte zu einer Karlsruher Be- rühmtheit wurde: dem Seilerhäuschen. Schon die Profession der Aucocen - zwei Bauhisroci- ker und ein Architekt - lässt die andere Ge- wichtung dieses Bandes ahnen. Und dann schlägt sie zu, die Baugeschichte. Zunächst führt Holger Reimers den Leser an das Gebäude heran und in es hinein. In allgemeinverstäncllicher Sprache erklärt er, wie viele Fragen der kenntnisreiche Forscher an ein unscheinbares Haus stellen kann, und wie vielfältig die Erkenntnisse sind, wenn er Zeit für die Suche nach Antworten hat. Das an- hand des Seilerhäuschens gewonnene Wissen erlaubte dem Autor, historische Fotografien anderer Modellhäuser neu auszuwerten. Die Erkenntnisse befruchteten sich gegenseitig und dem Leser steht nun nicht mehr die alte Hütte vor Augen, sondern - sehr anschaulich in den farbigen Rekonstruktionszeichnungen - ein reizvolles Barockhäuschen. Dieser Ex- kurs kommt einer Grundlagenforschung zur Stadtbaugeschichte gleich. Der Wert der bei- den letzten erhaltenen Dokumente - neben dem Seilerhäuschen nur noch das Haus Wald- straße 9 - wird um so deutlicher. Wie wenig selbstverständlich das Interesse an dieser Form von Geschichte ist, zeigt die von Gerhard Kabierske zusammengestellte Chronologie der Ereignisse seit 1962. Das Seilerhäuschen ist ein Paradebeispiel für den Wandel des öffentlichen Bewusstseins von fortschrittsgläubigem Erneuerungswillen der 1960er Jahre - als das unscheinbare Haus be- denkenlos einer Hochgarage weichen sollte - bis hin zur Eintragung des Gebäudes ins Denkmalbuch als Kulturdenkmal von beson- derer Bedeutung im Jahre 1999. Für den zukünftigen Besucher des Gebäu- des - und dank der geplanten Nutzung als Cafe und Galerie wird das Gebäude öffentlich zugänglich sein - wird ebenfalls von Interesse sein. wie denn nun mit den vielen Erkenntnis- sen umgegangen wurde. was warum und wie erhalten blieb oder erneuert wurde. Hierüber gibt der Beitrag des bauleitenden Architekten Georg Matzka Auskunft. Der Band ist mit zahlreichen informativen Abbildungen ausgestattet, die zum Nachlesen verleiten. Sie erleichtern es dem Leser, die an- spruchsvolle Lektüre zu bewältigen - der Lohn ist ein großer Erkenntnisgewinn: über cllie frü- he Stadtbaugeschichte, die Modellhäuser, über Handwerkstraditionen und nicht zuletzt auch über bauhistorische Methoden. ULRIKE PLATE 363 Sergej G. Fedorov: Wilhe1m von Traitteur. Ein badischer Baumeister als Neuerer in der russischen Architektur 1814-1831 Berlin 2000, 331 5.; 75,67 € Badens Architektur- und Ingenieurschule - Vorläuferin der heutigen Karlsruher Univer- sität - ist seit Weinbrenners Zeiten über die nationalen Grenzen hinaus bekannt. Nur we- nige wissen, dass bereits vor Weinbrenner ein badischer Baumeister im Ausland wirkte und maßgeblich am Aufbau einer modernen Ar- chitekturschule in St. Petersburg Anteil hatte. Die Rede ist von Wilhe1m von Traitteur (1788-1859), dessen Familie heute noch im Mannheimer Raum bekannt ist. In den Jah- ren, als gerade die Rheinbegradigung durchge- führt wurde, erwarb er das für solche Projek- te notwendige ingenieurtechnische Wissen zu- nächst autodidaktisch und dann an der europa- weit führenden »&ole des ponlS et chaussees" in Paris. In der Endphase der napoleonischen Kriege (1813-1816) weilte der russische Zar Alexander 1., verheiratet mit einer badischen Prinzessin, häufig in Bad~n. Hier lernte er den jungen Ingenieur kennen und engagierte ihn 1814 für Arbeiten in seiner Hauptstadt. St. Petersburg war seinerzeit wohl die größte Baustelle Europas. Zur Bewältigung der zahlrei- chen Aufgaben richtete der Zar Bauschulen und Behörden nach französischem Vorbild ein und berief ausländische Fachleute wie Augus- tin de Betancourt als Leiter und Wilhelm von Traitteur, der mit seinen französischen Erfah- rungen beste Voraussetzungen mitbrachte. In den kommenden 18 Jahren entfaltete Traitteur eine reiche Tätigkeit: Seine Entwürfe für Kasernen, staadiche Druckanstalten oder unüblichen Spannweiten. Brückenbauten stellten den innovativsten Teil des Oeuvres von Traitteur dar. Russland hatte einen enor- men Bedarf an neuen Verkehrswegen. Dabei waren Hunderte von Brücken über Bäche und Flüsse zu bauen, was nur durch weitgehende Rationalisierung und Standardisierung der Bauelemente zu lösen war. In St. Petersburg selbst mussten für den steigenden Verkehr ebenfalls neue Brücken über die Newa und ihre Seitenarme geschlagen werden. Traitteur passte den gerade in Amerika und England entwickelten Typus der Eisenkettenbrücke dem Nordrusslands an. Dabei entstanden ei- nige besonders schöne Brücken, wie die Pan- teleimonbrücke, die zum eleganten Erschei- nungsbild St. Petersburgs beitrugen. Einzelne von ihnen existieren heure noch. 1831 verließ Wilhelm von Traitteur plötz- lich den russischen Staatsdienst und kehrte nach Mannheim zurück. Aufgrund fehlender Quellen sind dafür eher politische als persön- liche Gründe zu vermuten. Das Wirken eines Ingenieurs in verschiede- nen Kulturen zu schildern, war nur einem Autor möglich, der diese auch selbst kennt. Es ist daher ein Glücksfall, dass der russische Bauhistoriker Sergej G. Fedorov aus St. Peters- burg seit edichen Jahren am Institut für Bau- geschichte der Universität Karlsruhe arbeitet. Er brachte die reichen Quellen insbesondere der St. Petersburger Archive zum Sprechen und entlockte auch badischen Archiven man- che Neuigkeiten. Das Buch, großzügig ausge- stattet und votzüglich bebildert, schildert ei- nen neuen Aspekt der badisch-russischen Be- ziehungen und macht mit einer wichtigen Facette der Geschichte des Brückenbaus be- Menagerien zeugten einerseits von der siche- kannt. ren Verwendung der klassizistischen Architek- turformen; andererseits offenbaren sie seine besondere Neigung zu Ingenieurbauten: viele Bauwerke besitzen Hallen mit riesigen, bisher JÜRGEN KRÜGER 364 Hansmartin Schwarzmaier: Das Dorf in der Geschichte von Land und Landschaft. Von den Anfangen bis zum Jahr 1800 Chronik Wolfahrtsweier Heft 5, Selbstverlag des Geschichtsvereins, 2001, 143 S., 12,- € Der Elan von Elga Roellecke, eine repräsenta- tive Chronik von Wolfahrtsweier herauszuge- ben, von der bereits vier Hefte erschienen sind, ist bemerkenswert. Wer in verschiedene landesgeschichtliche Arbeiten Einblick hat, z. B. bei der Jury für Preise zur Heimatfor- schung in Baden-Württemberg, bemerkt, wie besonders dieses Heft sich von einer einäugigen Blickrichtung auf das örtliche Detail abhebt, wie sie oft anzutreffen ist. Nun ist H . Schwarz- maier ein versierter Historiker, der für zahlrei- che Epochen eine Vielzahl von Veröffentli- chungen vorgelegt und besonders als Heraus- geber und Autor des "Handbuchs der Baden- Württembergischen Geschichte" große Ver- dienste erworben hat. So gelingt es ihm, wie der Titel verheißt, die Entwicklung eines Dor- fes wie Wolfahrrsweier in das große Tableau der Landesgeschichte einzufügen. Und das gerade für eine Zeit, für die der Ort nur weni- ge Quellen aufWeist, denn die Schriftzeugnisse strömen erst seit dem 18. Jahrhundert. Allein die sorgfaltige Ausstattung mit Kar- ten zeigt, wie eine Dorfgeschichte immer im Zusammenhang mit der Landschaft zu sehen ist. Dazu gehört nicht nur die Geographie, die Bevölkerungsstruktur. In dieser Landschaft der ehemaligen Römerstraßen, der Funde aus Kelten- und Alemannenzeit, der großen Be- deutung des Klosters Gottesau für die kirchli- che Betreuung findet man so viele Kompo- nenten, dass farbige Kapitel aus antiker und mittelalterlicher Geschichte aufgeschlagen werden können. Der Verfasser nimmt den Leser bei der Hand, um ihn in großer An- schaulichkeit zu Epochen hinzuführen, die diesen Ort in ein großes Geschehen einbetten. Die komplizierte Familiengeschichte der Zäh- ringer und ihre Glaubenswechsel in der Refor- mationszeir werden so aufbereitet, dass man neues Imeresse an badischer Geschichte ge- winnt. Die Zeit der französischen Einfälle im 17. Jahrhundert, die großes Elend am Ober- rhein hervorrief. macht deutlich, wie die dörf- liche Bevölkerung Opfer von Machtgier und Ideologie wurde. In einem sorgfältig ausge- wählten Anmerkungsapparat wird auf eine umfangreiche Literatur hingewiesen. In summa: ein Beispiel für Hobbyhistori- ker, wie Orrsgeschichte lebendig gemacht wer- den kann, wie man mit dem Schicksal eines Dorfes den großen Atem der Geschichte ein- Hingt, der jeden Leser faszinieren wird. LEONHARD MüLLER Karl Zahn: Gräber, Grüfte, Trauerstätten. Der Karlsruher Hauptftiedhof (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 24), Info Verlag Karlsruhe, 200 I , 26,- € "Denn alle Lust will Ewigkeit" - mit einem fotokünstlerischen Blick auf erorische Skulp- turen europäischer Friedhöfe öffnete die Foto- grafin Isolde Ohlbaum nicht nur den Blick auf eine ungewöhnliche Friedhofsperspektive, son- dern weckte bei einem breiten Publikum die Lust auf mehr über Friedhöfe. Lust auf Fried- hof? Die kulturelle Bedeutung des "öffentli- chen Bestattungsraumes", sie verdient weit mehr als spektakuläre Impressionen, sie for- dert vor allem eine feste Verankerung des The- mas "Friedhof" im Kontext stadthistorischer Untersuchungen. Friedhöfe als wichtiger Be- standteil von Stadtgeschichte sind ein facet- renreiches Kaleidoskop von Stadtentwicklung, kunsthistorischer Vielseitigkeir, Baugeschichte und vor allem soziokultureller Entwicklung. 365 Wie Friedhofsgeschichte als integraler. le- bendiger Bestandteil der Karlsruher Stadtge- schichte durchaus Lust auf mehr Friedhof ent- fachen kann. das verdeutlicht die von Karl Zahn über zwanzig Jahre hinweg sorgfältig recherchierte Entwicklung des Karlsruher Hauptfriedhofs und seiner Vorgeschichte. Dass das umfangreiche Manuskript der nach ihrem Verfasser im Karlsruher Stadtarchiv ge- führten "Zahn-Chronik" über den ältesten kommunalen Friedhof Deutschlands nun endlich als Buch den Weg in die Öffentlich- keit gefunden hat. ist ein publizistischer Glücksgriff. Weckt bereits der Haupttitel "Gräber. Grüfte. Trauerstätten" die Neugierde der stadthistorisch interessierten Leser. so hält der chronologisch gegliederte Inhalt neben seiner unglaublichen Informationsfülle so manches überraschende historische Detail bereit. Wer vermutet schon unter dem bauli- chen Karlsruher Prunkstück. dem Markplatz. den Ursprung des Karlsruher Bestattungswe- sens oder unter dem Verkehrsknotenpunkt Mendelssohnplatz den ersten. 1794 angeleg- ten Friedhof der jüdischen Mitbürger? "Streit um das Leichenhaus". "Drei-K1assen-Bestat- tungssystem", "das Karlsruher Sargmonopol" - wer Karl Zahn auf den Spuren durch die Karlsruher Friedhofgeschichte begleitet. wird vieles entdecken: Nachdenkliches. Erstaunli- ches und auch manches zum Schmunzeln. Für den Leser etwas irreführend mag der Untertitel der Publikation sein. Denn wenn auch ihr Kernstück dem Karlsruher Haupt- friedhof gewidmet ist. macht vor allem die umfassende Darstellung der Geschichte des Bestattungswesen in Karlsruhe - von der Stadtgründung bis heute - die Besonderheit dieses Werkes aus. Mit historischen Quellen. Plänen. Zeichnungen sowie reichhaltigem Fo- tomaterial abwechslungsreich gestaltet. entfal- tet sich ein spannungsreicher Bogen von den Gräbern beim Schloss Gottesaue. Trauersitten Das Theatcrhrand·Denkma! vor der Grufu=nhalle auf dem Allen Friedhof, mit dem den Opfern des Theaterhrandes 3m 28. Februn 1847 gedacht wird. und Begräbnisvorschriften. Friedhöfen der jü- dischen Gemeinde. über die architektonischen Höhepunkte. die Parkstruktur sowie besonde- re Grabmale des Hauptfriedhofes bis hin zu dem aktuellen Thema "Grabmalpatenschaften auf Karlsruher Friedhöfen". Mehr Lust auf Karlsruher Friedhofsge- schichte? Sicher! Was der langjährige stellver- tretende Leiter des Karlsruher Friedhofsamtes 366 Karl Zahn durch intensives Quellen- und Li- teraturstudium zusammengetragen hat, ist ein Werk von besonderer historischer Dichte, das in seiner Gründlichkeit der Karlsruher Stadt- geschichte eine neue vielseitige Perspektive er- öffnet. YPS KNAUBER Im Mittelpunkt der Mensch. Parlaments- reden Karlsruher SPD-Abgeordneter. Herausgegeben vom SPD-Kreisverband durch Manfred Koch, Info Verlag Karlsruhe 2001,15,- € Jubiläen zu begehen ist eine Kunst. Traditio- nen verleiten gerne zu ausschmückender Selbstdarstellung. Die eigene Geschichte dient dann nur noch als Instrument zur Selbsrwert- steigerung im Gegenwärtigen. Ganz anders ist die Karlsruher SPD mit dem bleibenden Werk zu ihrem 125-jährigenJubiläum umgegangen. Statt einer farbigen Hochglanzbroschüre liegt ein 232seitiges Buch mit wenigen schwarz- weiß Aufnahmen auf dem Tisch. Auf dem Umschlag nur Passfotos von Politikerinnen und Politikern, einer Berufsgruppe, die im öf- . fentlichen Ansehen der Bundesrepublik nicht gerade hoch gehandelt wird. Die positive Übertaschung erfolgt bei der Lektüre des Bandes: Statt in hehren Worten sich selbst zu feiern, wird anhand der geleiste- ten Arbeit Karlsruher Parlamentarier der Ein- satz für die Werte der Sozialdemoktatie darge- stellt. Der Kraft des Wortes vertrauend, wer- den gleichsam wie Zeitzeugen alle Karlsruher Abgeordnete und Oberbürgermeister - die Auswahl wird in einer Vorbemerkung erläutert - mit wichtigen Reden vorgestellt. Dabei wird jede Rede mit Bild und einer 1-2 seitigen in- formativen Kurzbiografie dem Leser nahege- bracht, bevor der Zusammenhang, in dem die Ansprache gehalten wurde, kurz skizziert wird. Unter dem mehrfach zutreffenden Leitmo- tiv "Im Mittelpunkt der Mensch" bieten die Texte ein beeindruckendes Kaleidoskop aus der deutschen Geschichte. Bei manchen The- men zeigt sich die Veränderung der Bundesre- publik überdeutlich, wenn z. B. Erwin Sack 1979 im Landtag eine Lanze für den Sozialen Wohnungsbau bricht, weil viele Familien kei- ne Wohnung zu einen verktaftbaren Mietpreis finden. Bei den Forderungen von Brigitte Wim- mer aus dem Jahr 1989 zur Schulpolitik drängt sich dagegen der Eindruck auf, dass viele der Sätze nach 13 Jahren angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studie unverändert gültig sind: eine Klassenstärke von 25, fächerüber- greifender Unterricht und Projektorientierung - damals übrigens an den Kultusminister Mayer-Vorfelder gerichtet. "Im Mittelpunkt der Mensch" als Orien- tierungspunkt der politischen Sacharbeit aber auch als Individuum zeigt eindrücklich die Rede Ludwig Marums anlässlich der Ermor- dung von Walter Rathenau 1922. Klar be- nennt er die Geldgeber der national-völki- schen Hetze als Wegbereiter politischer Mor- de in der Weimarer Republik. Und hellsichtig geißelt er die Teilnahmslosigkeit der Masse: "Wenn es jetzt nach diesem Attentat auf Ra- thenau wieder so gehen sollte, dass die deut- sche Öffentlichkeit 14 Tage vielleicht wieder entrüstet ist und dann der Bürger in Deutsch- land wieder sein Zipfelmütze über die Ohren zieht und Angst vor dem Sozialismus be- kommt, [ ... 1 dann werden Sie die deutsche Republik nicht retten" (S. 80). Hellsichtig und tragisch zugleich, weil er letztlich die Ursachen seine eigenen Ermordung 1934 beschrieb. Diese kurzen Eindrücke mögen anregen, sich im "Who is who" der Karlsruher Sozialde- mokratie festzulesen, von Wilhe1m Kolb 1918 zur Friedenspolitik über Friedrich Töpper mit dem Etat 1949, Hermann Veit 1951 leiden- 367 schaft1ich zum Südweststaat in aufgepeitschter Atmosphäre, Günther Klotz 1964 zur Bun- desgartenschau und A1ex Möller 1970 zum Bundeshaushalt, um nur einige zu nennen. Die ganze Bedeutung entfaltet der Band, wenn man vorher die 40 Seiten zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der SPD in Karls- ruhe liest. Informativ und kurzweilig: Ein SPD-Kreisverband in der badischen Landes- hauptstadt, in der die so genannte Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, Liberale) bis 1933 stabile Verhältnisse und solide Politik ermög- lichte, eine Partei, die bis zum Ende der 60er Jahre auch die kommunale Politik entschei- dend mitprägte. Det Band, ein würdiges, blei- bendes Denkmal, zu dem man - passend zum Jubiläum - gratulieren kann. CLEMENS REHM Michael Stolle: Die Geheime Staats polizei in Baden. Petsonal, Organisation, Wirkung und Nachwirken einer regionalen Verfolgungsbehörde im Dritten Reich Konstanz 2001 (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus Bd. 6), UVK Verlagsgesellschaft mbH, 39,- € In fünf Kapiteln untersucht der Autor in sei- ner an der Universität Karlsruhe vorgelegten Dissertation Vorgeschichte, Organisation, Per- sonal, Verfolgungspraxis und Entnazifizierung einer Behörde, die als eine der tragenden Säu- len der nationalsozialistischen Diktatur gilt. In Baden ging die Gestapo aus dem Landes- polizeiamt hervor, in das die politische Polizei integriert war. Dieses "StaatsschulZorgan" hat- te in der Weimarer Republik die links- und rechrsextremen Parteien zu überwachen. Eine angesichts dieses Einsatzes für die Demokratie erstaunlich hohe Zahl von Beschäftigten (40 von 50) konnte nach der nationalsozialisti- schen Machtübetnahme für die badische Ge- stapo weiterarbeiten, die im Dri[[en Reich zeitweise 450 Beschäftigte (1938) ha[[e. Nur besonders exponierte Beamte wie der Karlsruher August Furrer, der wegen seines entschiedenen Auftretens gegen die National- sozialisten sofort nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 verhaftet worden war, wurden entlassen. Furrer gehörte auch zu den Sozial- demokraten, die in der beschämenden Schau- fahrt durch Karlsruhe am 16. Mai 1933 in das KZ Kislau überführt wurden. Stolle, der immer auch den Blick auf die Entwicklung im Reich hat, arbeitet heraus, dass die badische Gestapo bis 1936 noch relativ ei- genständig war. Der unmittelbar dem badi- schen Gauleiter Robert Wagner unterstellte ers- te Gestapochef Karl Berckmüller geriet nach der "Verreichlichung" der Polizei 1936 zuneh- mend in Konfrontation zu Himmler und wur- de schließlich im März 1937 abgeschoben. Die Gestapo war trotz des starken perso- nellen Ausbaus immer auch auf willige Helfer angewiesen, auf andere Partei- und Staats- dienststeIlen, aber auch auf Denunzianten, die z. B. die Abhörung von Feindsendern melde- ten. Zuweilen wurden "V-Männer" in opposi- tionelle Gruppen eingeschleust. So fiel die Widersrandsgruppe um den Mannheimer KPD-Politiker Georg Lechleitner einem sol- chen V-Mann zum Opfer: Lechleitner wurde 1942 mit 19 Mitstreitern zum Tode verurteilt und hingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt war seit Ende der 30er Jahre nach der weitgehenden Zerschla- gung der linken oppositionellen Gruppen die Verfolgung anderer Gegner in den Vorder- grund getreten. Die badische Gestapo glieder- te sich nahtlos ein in die Bekämpfung der au- ßerhalb der so genannten Volksgemeinschaft gestellten Gruppen wie etwa ,,Asoziale", "Be- rufs- und Gewohnheitsverbrecher", "Homo- sexuelle", "Zigeuner", "Bibelforscher" sowie "Juden". 368 Dabei nahm die Brutalität der Maßnah- men nach dem Beginn des Zweiten Weltkrie- ges noch einmal signifikant zu. In Ettlingen wurde z. B. das Gerichtsgefängnis seit 1941 für .. Vernehmungen" der Gestapoleitstelle Karls- ruhe genutzt, um dort ungestört zu foltern. Maßgeblich beteiligt waren Gestapoleute an den Exzessen der .. Reichskristallnacht" 1938 und der Deportation der badischen Juden im Oktober 1940 nach Gurs. Auch an den be- rüchtigten Einsatzgruppen im Elsaß hatte die Gestapo großen Anteil. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie- ben Angehörige der Gestapo von den Sieger- mächten hingerichtet. Nur 10% wurden in ihrem Entnazifizierungsverfahren als Haupt- schuldige eingestuft, 17 % waren .. Belastete". Diese recht bescheidene Bilanz wird auch dadurch nicht besser, dass die Betroffenen im Schnitt eine fast dreijährige Internierungshaft hinter sich hatten. Abgerundet wird dieser gründlich recher- chierte Band, der die Erforschung der NS- Diktatur in Baden, aber auch die der Gestapo allgemein ein gutes Stück weiterbringt, durch Kurzpotträts der badischen Gestapoleiter und eine Topographie der badischen Gestapo- dienststellen. ERN ST OTTO BRÄUNCHE Angela Borgstedt: Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951. Politische Säube- rungen im Spannungsfeld von Besatzungs- politik und lokalpolitischem Neuanfang (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 5), UVK Verlagsgesell- schaft, Konstanz 2001,387 S., 34,- € Das Urteil über die Entnazifizierung durch die Zeitgenossen und die Wissenschaft ist einmü- tig: Ein Fehlschlag. In den letzten Jahren sind zahlreiche Regional- und Lokalstudien dazu erschienen. Ursache dafür ist das allgemeine Interesse an der Aufarbeitung diktatorischer Vergangenheit nach 1945 und 1989, das durch den Ablauf von Sperrfristen für die Quellen zudem befördert wird. Borgstedt fügt aber nicht einfach vorliegenden Regionalstu- dien für Bayern, oder (Süd-)Baden eine weite- re hinzu, sondern setzt einen bisher wenig beachteten Schwerpunkt, indem sie sich nicht auf die ,,Altlastenentsorgung" der politischen Vergangenheit beschränkt, sondern die Leis- tungen des Personals der Spruchkammern für Politik, Wirtschaft und für die Justiz der ent- stehenden Bundesrepublik analysiert. Auf der Basis sorgfältiger Auswertung des Quellenmaterials beschreibt die Autorin den Entnazifizierungsapparat in Nordbaden und Karlsruhe, der bei seiner Eintichtung im Früh- jahr 1946 über 350 Mirarbeiter umfasste. Die- ser personal- und kostenintensive Apparat ar- beitete trotz nachkriegsberlingter räumlicher, personeller und materieller Probleme zügiger als die Einrichtungen anderer Karnmerbezirke der US-Besatzungszone. Diesen Erfolg kann Borgstedt überzeugend auf die erfolgreiche Per- sonalpolitik zurückführen. Es war gelungen, trotz des begrenzten Kreises potenzieller Kandi- daten ein hohes Maß kompeteriter Juristen zu gewinnen, .. die den Prozess der Säuberung von den politischen in rechtliche Bahnen lenkten." Für die von den politischen Parteien gestellten Beisitzer wird das zeitgenössische Urteil wider- legt, wonach diese weitgehend unqualifiziert gewesen seien. Bestätigt wird dagegen rlie über- proportionale Aktivität von Sozialdemokraten und Liberalen als Beisitzer. Das juristische Per- sonal neigte dagegen mehr zur CDU. Bei der Analyse der ArbeitsWeise det Spruch- kammern wählt Borgstedt aus den ca. 54.000 vom Gesetz betroffenen Fällen (von ca. 200.000 Einwohnern Karlsruhes) rlie .. Haupt- schuldigen" (263 Personen, von denen 19 definitiv so eingestuft wurden) , Juristen (159 369 Fälle) und eine Stichprobe von 129 "norma- len" Entnazifizierungsfällen aus. Dabei irri- . tiert, dass im Anhang die aufgelisteten Entna- zifizierungsfälle anonymisiert, im Text aber in Übereinstimmung mit dem D atenschutzge- serz bei den einzeln behandelten Fällen nahezu alle Namen genannt werden. Das Ergebnis der Entnazifizierung ist auch für Karlsruhe ernüchternd. Wie überall mutier- ten die Spruchkammern mit fortschreitender Zeit zu "Mitläuferfabriken". Dennoch über- zeugt aufgrund der differenzierenden und de- taillierten Darstellung die Feststellung, dass mit Internierungshaft, mit Verlusten von Ver- mögen und Beamtenbezügen sowie durch vorübergehenden Beschäftigungseinschränkun- gen auch Erfolge in der Entnazifizierung zu sehen sind. Die Leistungen der Mitarbeiter sind daher nicht gering zu achten, zumal sie im Spannungsfeld von Besatzungspolitik, 10- kalpolitischem Neubeginn und öffentlicher Kritik zu erbringen waren. Die Autorin geht in ihrer gut lesbaren Ar- beit schließlich den Karrieren des Spruchkam- mer-Personals nach. Dass die verdienten Mit- arbeiter bei ihrer Rückkehr in meist juristische Berufe oder politische Funktionen des demo- kratischen Staares nicht selten auf entnazifi- zierte Kollegen und sogar Vorgesetzte trafen, war jedoch nicht eine Folge der wenig erfolg- reichen Entnazifizierung, sondern der Amnes- tierungen durch die Gesetzgebung der frühen Bundesrepublik. Für die an Karlsruher Lokalgeschichte in- teressierten Leser bietet das Buch eine Fülle biografischer Details und Einsichten in Vor- gänge des Dritten Reiches und der Nach- kriegszeit. MANFRED KOCH Alfred Hanser 1858-1901. Ein badischer Architekt. Katalog einer Sonderausstellung der Fachhochschule Karlsruhe - Hochschule für Technik. Karlsruhe 2001 , 123 S., 103 Abb., 14,- € Mit der von W. Förster konzipierten und durch eine biographische Skizze eingeleiteten Publikation würdigt die Fachhochschule an- lässlich des 100. Todestages das Werk eines ihrer Professoren, der bei seinem Tod mit 43 Jahren als einer der kommenden Baumeister des Landes galt. Der Blick auf das eher kleine Werk ist deshalb so interessant, weil es an der Schwelle des Wandels vom Stil der Renais- sance zu einem Formenvokabular mit neuro- manischen, neubarocken und Jugendstilmo- tiven stand. Hanser hatte seine Ausbildung ganz im Stil der Neurenaissance 1875-81 am Karlsruher Polytechnikum erhalten. Diese srilistische Prä- gung wurde durch erste praktische Tätigkeit bei der Mitwirkung an dem preisgekrönten Projekt des Berliner Reichstagsbaus durch Paul Wallot vertieft. Bereits nach sechs Jahren Tätigkeit als Architekt in Mannheim (sein dortiges Wirken schildert C. Präger) erhält er 1890 den Ruf als Professor an die Karlsruher Baugewerkeschule, an der er bis 1898 lehrte und seine Arbeit als Architekt fortführte. Zwei Beiträge befassen sich mit bis heute stadtbildprägenden Bauten Hansers in Karls- ruhe. In der 1895 fertiggestellten Rheinischen Kreditbank, heute Badische Beamtenbank, Ecke Waldstraße/Zirkel sieht R. Fath einen Bau mit "imperialer Geste", der städtebauliche Akzente serze. Dem 1896 fertiggestellten Bau der Karlsruher Lebensversicherung, heute Rathaus West am MühlburgerTor bescheinigt U. Plate "mit großem künstlerischem Können inszenierte repräsentative Architektur". Mit beiden Bauten führte Hanser, wie Rößling in 370 seinem Beitrag über dessen Rang als Architekt feststellt ... den preußisch-barocken Stil in Karlsruhe ein." Wie dieser Baustil in Kontrast geriet zu neueren architekturästhetischen Auffassungen. verdeutlicht die ausführliche Schilderung der Planungsgeschichte des Behördenkomplexes Rechnungshof / Verwaltungsgerichtshof / Generallandesarchiv an der Hildapromenade von K. Krimm. Hansers Pläne dazu stießen auf heftige Kritik von Josef Durm. der die klassischen Regeln der Herrschaftsarchitektur vernachlässigt sah. Die entsprechenden Doku- mente sind dem Beitrag beigefügt. Die Reali- sierung des Bauvorhabens bis 1905 (nach Hansers Tod) durch F. Ratzel verdeutlicht dann die Anpassung an die neue architektoni- sche Formensprache. Der Band wird abgerundet durch eine Schilderung von Karlsruher Architekturdomi- zilen (1. Brunner II~ Brunner) und einen fikti- ven Rundgang durch die Stadt in den 1890er Jahren (P. Prersch). MANFRED KOCH Pau! Ludwig Weihnacht (Hrsg.): Die badischen Regionen am Rhein Nomos Verlagsgesellschafr Baden-Baden. 2002. 554 Seiten. 34.- € Ein Resumee. keine Kampfschrift. Der Polito- loge Weihnacht. Professor in Würzburg. hat 51 Mitarbeiter gewonnen. um zum 50-jähri- gen Landesjubiläum eine Bilanz zu ziehen. Das heißt nicht. nur zu jubilieren. aber auch nicht nur zu jammern. denn Baden hat auch genügend Anteil an der positiven Entwicklung dieses Landes gehabt. Dabei wird auf 1945 bzw. 1952 zurückgegriffen. z. B. bei der Bil- dung der Regierungspräsidien und deren Wirksamkeit. Mittelbehörden. die man im- mer wieder abschaffen wollte. die sich aber als 371 Mittler und Initiatoren zwischen landesregie- rung und Bevölkerung bewährt haben. wie auch andere Sonderbehörden. Die Bilder von Mannheim. Heidelberg und Karlsruhe zeigen die eigene Handschrift dieser Städte. zumal man sich im Norden eher als Kurpfälzer denn als Badener versteht. Manfred Koch hat das Porträt Karlsruhes ausgewogen gezeichnet. Die Mängelliste aufgrund von Fusionen ist bekannt. Doch auch die Positiva werden ge- nannt: die Förderung der Hochschulen und Kulturstätten. die Leistungen für die industri- elle Entwicklung. der Handel. der Verkehr. Das Bild Mannheims weist größere Ausfalle auf, und der Schuldenstand pro Einwohner ist in Karlsruhe erträglicher. Fast alle Gebiete werden von Fachleuten komprimiert beschrieben: IHK. Universitäten. Kirchen. Genossenschaft. Sportbund. Schul- wesen. Archive. Bibliotheken. Rundfunk und manches mehr. Wo Konzentrationen sinnvoll waren, wird dies bestätigt, wo sie unsinnig wä- ren wie beim Landeswohlfahrtsverband Baden deutlich pointiert. weil eine solche Fusionitis das .. ehrenamtliche Element" einschränken würde und zur Verteuerung der ständig wach- senden Leistungen führte . Die Kritik am SWR und dem politischen Einfluss in den Räten kann nicht deutlicher betont werden. wenngleich die Zusammenarbeit der ehern. Rundfunkanstalten verbesserungswürdig war. Insgesamt stellen die Beiträge ein farbiges Bild einer fazettenreichen Landschaft dar. Man fragt zum Schluss nach der .. badi- schen Identität" - wohl keine politische mehr. aber eine emotionale. wenn auch nur 20% beim Freiburger SC das Badnerlied im Stadi- on singen. In Karlsruhe mehr? Wichtig ist freilich die GrenzÜberschreirung. nach der Schweiz. nach Frankreich. in vielen Kapiteln angeschnitten: Baden eingefügt in die europä- ische Metropolachse der .. blauen Banane" von Liverpool bis Florenz. So klingt das nützliche wie gut lesbare Sammelwerk positiv aus. Baden hat Zukunft- um die es sich freilich tummeln muss, soll sie positiv sein. LEONHARD MÜLLER Gudrun Kling: Frauen im öffentlichen Dienst des Großherzogtums Baden. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg (Veröffentlichungen der Kommission für Ge- schichtliche Landeskunde in Baden-Württem- berg Reihe B Forschungen 142. Band). Kohlhammer, Stuttgart 2000, 250 5., 25,- € Lehrerinnen, Post- und Bahnangestellte, Ma- schinenschreiberinnen. aber auch Gefängnis- aufseherinnen und Haushältetinnen in öffent- lichen Einrichtungen - überall erobern sich im 19. Jahrhundert Frauen Arbeitsfelder im staat- lichen öffentlichen Dienst. Der Titel von Gudrun K1ings Buch könnte vermuren lassen, dass hier eine Erfolgsgeschichte des wachsen- den Arbeitsmarktes fürFrauen im 19. Jahr- hundert erzählt wird. Doch das täuscht. Kling legt mit dieser Dissertation die fundierte und umfassende Erarbeirung eines wichtigen Kapitels der Ge- schlechtergeschichte vor. Hier wird nicht nur aufgefuhrt, wann und wo Frauen im öffentli- chen Dienst auftauchen und damit eine For- schungslücke in der bisherigen Verwaltungsge- schichte Badens gefüllt. Es wird auch keine Erfolgsgeschichte der weiblichen Emanzipati- on erzählt in der Art, dass sich Frauen zuneh- mend den Arbeitsmarkt erobern. Vielmehr zeigt Gudrun Kling vor dem Hintergrund der allgemeinen Enrwicklung der badischen Lan- desverwalrung und mit vergleichendem Blick auf andere Bundesländer und andere europä- ische Staaten, wie sich die Integration weibli- cher Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Herausbil- dung geschlechtsspezifisch typisierter Berufs- bilder vollzog. Auf breiter Quellenlage und über einen Zeitraum von über 100 Jahren zeichnet sie präzise die Strategien nach, die mit der Aufnahme von Frauen in dem bis dahin fast ausschließlich männlich besetzten Staats- wesen einhergingen, durch Regelungen und Gesetze sowie durch die Definition von Ein- stellungsvoraussetzungen und Arbeitsfeldern Hierarchien zwischen den Geschlechtern zu schaffen und festzuschreiben. Der von ihr gewählte Zeitraum von 1806 bis zum Ersten Weltkrieg, in dessen Mitte die Integration Badens in das sich bildende Deut- sche Reich und damit die teilweise Anglei- chung an preußische Verwalrungsstrukruren liegt, ermöglicht es, nachzuweisen, wie sich auf dem Weg von der Hoheits- zur Leistungs- verwaltung innerhalb des öffentlichen Diens- tes typisch weibliche Berufsbilder herausbilde- ten, die hierarchisch niedriger eingestuft wa- ren und weniger Einkommen und Prestige brachten. Dazu zählten z. B. die exklusiv weib- lichen Tätigkeitsfelder wie die im Telegrafen- , Telefon- und Schreibdienst, die von der Ver- beamtung ausgeschlossen wurden. Bei Ar- beitsfeldern wie der Lehrtätigkeit, in denen es Frauen gelang, die Verbeamtung zu erreichen, ist die - wie Kling es nennt - "Konstruktion des weiblichen Beamten" festzustellen. Der weibliche Beamte unterlag der Zölibatsklausel und hatte ab 1888 in Baden grundsätzlich nur 75 % des Einkommens der jeweiligen Gehalts- stufe. Die Trennung des Arbeitsfeldes in männli- che und weibliche Bereiche und die rechtlich festgelegte Diskriminierung der Beamtin wur- den ideologisch begründet mit häuslichen Verpflichtung der Frau und zementierten da- mit eine Arbeitsteilung der Geschlechter, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts allgemein durchsetzte. Dem Staatsdienst als "Schnittstel- le zwischen Gesellschaft und staatlicher Herr- schaft, zwischen staatlichem und privatem 372 Arbeitsmarkt und zwischen gesellschaftlichen Ideologien, kulturellen Mentalitäten und de- ren gesetzlicher Umsetzung" kam bei der Durchsetzung dieses Modells des männlichen Familienernahrers eine Art Vorbildfunktion für den privaten Arbeitsmarkr zu. Dabei zeigt Kling, indem sie traditionelle Arbeitsfelder von Frauen im öffentlichen Dienst wie z. B. in den staatlichen Anstalten als Aufseherinnen mit neu entstehenden Ar- beitsbereichen wie dem Eisenbahn- und Post- wesen vergleicht, dass sich etwa ab 1860 eine Geschlechtstypisierung in der Verwaltung zeigte. Damit ist erneut erwiesen, dass erst in der Zeit der Industrialisierung geschlechtsspe- zifische Arbeitsmärkte gebildet werden. Da dies mit der gesetzlichen Festschreibung ge- schlechtsspezifischer Diskriminierungen ein- hergeht, kann die Eroberung des öffentlichen Dienstes durch Frauen nicht als ein langsam voranschreitender Prozess der Gleichstellung bewertet werden. Vielmehr trug die Positio- nierung der Frauen im öffentlichen Dienst wesentlich zu der Zuweisung von außerhäus- licher als männlicher und häuslicher als weib- licher Arbeit bei und damit zur Manifestie- rung eines frauendiskriminierenden Arbeits- marktes. SUSANNE ASCHE Kerstin Lutter: Der Badische Frauenverein 1859-1918. Rotes Kreuz, Fürsorge und Frauenfrage (Veröffentlichungen der Kommission für Ge- schichtliche Landeskunde in Baden Württem- berg Reihe B Forschungen 146. Band), Kohlhammer, Stuttgart 2002, 503 S. In Baden wurde 1859 ein Verein gegründet, der um die Jahrhundertwende reichsweit lo- bende Aufmerksamkeit fand und als vorbild- lich empfunden wurde - der Badische Frauen- verein. Unter dem tätigen Protektorat der Großherzogin Luise entwickelte dieser vater- ländische Verein, der auch ein Frauenverein vom Roten Kreuz war, neben der Unterstüt- zung der Sanitätsdienste im Kriegsfalle oder bei außerordentlichen Notfällen eine umfas- sende Tätigkeit im zivilen Fürsorge- und Ar- menwesen, in der Krankenpflege und bei der Schaffung von weiblichen Ausbildungsplät- zen- und Berufsfeldern. Dieser Verein, der 1908 über 75.000 Mitglieder hatte, wurde zu einem Stützpfeiler bei der Herausbildung moderner Sozialpolitik auf kommunaler Ebe- ne und eröffnete dabei seinen weiblichen Mit- gliedern den Weg in die außerfamiliale Öf- fentlichkeit. Lange Zeit waren die Bedeutung und die Leistungen dieses 1937 von den Na- tionalsozialisten aufgelösten Frauenverbandes in Vergessenheit geraten, erst in den letzten Jahren entstanden erste Forschungen über sein Wirken. Nun endlich liegt eine umfangreiche, detailgenaue und umfassende Darstellung von Entwicklung, Aufbau, Tätigkeit, Mitglieder- struktur und Tätigkeitsfelder des Badischen Frauenvereins bis zum Ende des ersten Welt- krieges vor. Kerscin Lutzer hat mit ihrer Dis- sertation eine schon lange zu spürende For- schungslücke geschlossen und ein Kapitel ba- discher Geschichte geschrieben, ohne das die badische Innenpolitik und Sozialpolitik nur unvollständig dargestellt ist. Sie zeichnet die Entwicklung der Organisation nach, beschreibt das zeitweise auch spannungsvolle Verhältnis zwischen der Karlsruher Zentrale und den zahlreichen Zweigvereinen, analysiert die Mit- gliederscruktur und die soziale Herkunft der Betreuten bzw. der Nutzerinnen der Vereins- institutionen. Lutzer stellt die einzelnen Ar- beitsgebiete dar, benennt die auch konfessio- nell begründeten inneren Konflikte, verdeut- licht die Rolle der Männer in der Organisati- on und erläutert die distanziert-freundliche Haltung dieser sehr staatsnahen Organisation 373 gegenüber der damaligen bürgerlichen Frau- enbewegung. Ein Unterkapitel ist dem Ersten Weltkrieg gewidmet, während dem der Badi- sche Frauenverein als Verein vom Roten Kreuz nach der langen Friedensphase wieder Lazaret- te unterhielt und die Fürsorgetätigkeit auf die Erfordernisse der Kriegswirtschaft einstellte. Ein ausführliches Registet ermöglicht es, den sehr umfangreichen Band auch als Nachschla- gewerk zu nutzen. Lutzer kann die Bedeutung des Vereins für den Wandel von der traditionellen Armenfür- sorge zur modernen kommunalen Daseinsvor- sorge sehr überzeugend nachzeichnen und lie- fert einen erneuten Nachweis dafür, dass sich die vielfältigen Strategien der Frauen und ih- rer Organisationen den eindeutigen Bewer- tungen wie konservativ oder fortschrittlich häufig entziehen. So argumentierte der Verein immer mit der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die dem jeweiligen männli- chen und weiblichen Wesen entspreche. Doch mit dem Hinweis auf den pflegenden und behütenden weiblichen Charakter wurden den Frauen neue gesellschaftlich relevante Hand- lungsspielräume eröffnet. Kerstin Lutzer leistet einen wichtigen Bei- trag zur Frauen- und Geschlechtergeschichte und zum bürgerlichen Vereinswesen. Ebenso wie im Werk von Gudrun Kling ist dies bei der Kommission für geschichtliche Landes- kunde Baden-Württemberg in guten Händen, die damit erneut bewiesen hat, dass sie aktuelle Forschungstendenzen im Blick hat und damit die Landesgeschichtsschreibung als Beitrag zur allgemeinen Geschichte voranbringt. SUSANNE ASCHE J ürgen Spanger: Aus der Schulstube ins Leben. Die Karlsruher Volksschulen 1716 -1952 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 25), Info Verlag 2002, 304 S., 29,80 € Heimatgeschichte anschaulich zu präsentieren beweist erneut das Karlsruher Stadtarchiv mit dem Band 25 seiner Veröffentlichungen. J. Spanger hat sehr sorgfaltig das Quellenma- terial über die Entwicklung der Karlsruher Volkschulen zusammengetragen und mit zahl- reichen Abbildungen verdeutlicht. Die Disser- tation an der hiesigen Pädagogischen Hoch- schule ist für den Laien aufbereitet und den- noch mit zahlreichen Anmerkungen und Lite- raturangaben auch für den Fachmann weiter- führend. Spanger schließt mit der Gründung des Südweststaats, weil dann erst die bildungspo- litische Landeszentralität vorherrschte und die Aufgliederung in Grund- und Hauptschulen begann. Bis dahin hatten die Städte noch grö- ßeren Einfluß auf das Volksschulwesen, sieht man von der Zentralisierung des NS-Regimes ab. Doch der Schulhausbau ist bis heute eine Domäne der Kommunen. "Der Raum ist der dritte Pädagoge", zitiert Spanger, und das ent- sprechende Bemühen der Stadt auch in schwierigen Zeiten zeichnete Karlsruhe schon immer als Schulstadt aus. Dies freilich dem jeweilgen Zeitgeist entsprechend. Große Klas- sentäume für 40 bis 50 Schüler, die in Zwei- erbänken hintereinandergereiht für den Fron- talunterricht bereit waren, gab es freilich nicht nur im wilhelminischen Deutschland, son- dern um 1900 auch anderswo. Der kasernen- artige Eindruck der Gebäude erinnert, dass "Kaserne" damals nicht von vornherein nega- tiv besetzt war, und die Einrichtung von Duschbädern in den Schulen galt als Fort- schritt angesichts der damaligen Wohnverhält- 374 nisse. Vom Zeitgeist bestimmt war auch das Schulleben: Ordnungsformen. Schulfeste und -feiern. vom Regierungsjubiläum des Kaisers bis zur Flaggenhissung im "Dritten Reich". Bei Schulwanderungen und Landheimaufent- halten wird das Landschaftspezifische deut- lich. Nachdenkenswert ist das Kapitel der Er- innerungen ehemaliger Schülerinnen und Schüler an Karlsruher Volksschulen. Dabei reflektiert d. Verf. durchaus das Problema- tische einer oral hisrory. wo man die Rückbli- cke nicht immer als Tatsachenbeschreibung werten darf. wohl aber als "wirkungsvollen Prozess von Erinnerung. Verdrängung und nachträglicher Bewertung". der damit die Wirkungsgeschichte der Volksschule verdeut- lichen kann. Das Buch ist aus der Sicht der Volksschu- le geschrieben und damit durchaus stimmig. Schulhistorische Darstellungen anderer Insti- tutionen kommen zu anderen Ergebnissen. Alle helfen aber die Gegenwart zu verstehen und machen den Wechsel bezug von Zeitgeist und Schule deutlich. der auch für unsere Tage gilt, ein Phänomen, das mancher zeitgenössi- sche Kritiker nach der Pisa-Studie übersieht. wenn er den Idealtyp des Schulwesens einfor- dert. Spanger macht am Beispiel eines Schul- orts deutlich. wie viele Kräfte auf die Schul- wirklichkeit einwirken, und das ist ihm mit einer farbigen Darstellung und solider Recher- che gelungen. LEONHARD MÜLLER Die Orgelstadt Karlsruhe innerhalb der Orgellandschaft am Oberrhein Eine Ausstellung der Europäischen Orgel- akademie am Oberrhein Ettlingen in der Badischen Landesbibliorhek in Zusammen- arbeit mit der Vereinigung der Orgelsachver- ständigen Deutschlands (VOD). hrsg. von Michael Gerhard Kaufmann und Marrin Kares. Karlsruhe 2001. 100 Seiten. 9.50 € Orgelfärdervereine haben Konjunktut. Aller- orten kann man Patenschaften für Orgelpfei- fen übernehmen und es wird um finanzielle Mittel für neue Register geworben. Hat dem- nach auch der Orgelbau Konjunktur? Mit- nichten. in den Orgelstädten Karlsruhe und mehr noch in Durlach. wo einst zahlreiche Orgelbaufirmen mit klangvollen Namen an- sässig waren. ist heute kein Betrieb mehr aktiv. Auch von den früher vorhandenen histori- schen Orgeln unter anderem des Straßburgers Johann Andreas Silber mann in den beiden Hauptkirchen der Stadt ist auf Grund der tra- gischen Kriegsverluste keine einzige erhalten ge- blieben. Dennoch darf Karlsruhe auch heute noch als eine der großen Orgelstädte Deutsch- lands gelten. Diese "Orgelstadt Karlsruhe in- nerhalb der Orgellandschaft am Oberrhein " beleuchtet das Begleitbuch zu einer Ausstel- lung. die im Herbst 2001 in der Badischen Landesbibliorhek zu sehen war. Das hundert- seitige Buch wurde von Michael Gerhard Kaufmann und Martin Kares herausgegeben und ist - auch ohne die Ausstellung gesehen zu haben - ein Lesegenuss. beschreibt es doch in umfassender Weise ein kulturhistorisches Phänomen. das monographisch untersucht für kaum eine weitere Stadt Deutschlands vor- liegt. Die mehr als zweihundertjähtige Orgel- bautradirion Karlsruhes wird in Beiträgen von M. G. Kaufmann ("Orgelgeschichte in Karls- ruhe"). M. Kares G ("Karlsruhe - Schmelztie- gel deutscher Orgelbau-Technologie") und 375 Martin Kölle ("Die Orgelbauerfamilie Stein") gewürdigt. Das zum Teil schwierige Verhältnis der Menschen zum Kircheninstrument Orgel stellt Kaufmann in seinem Beitrag "Herausfor- derung ungeliebte Orgel" dar, und leitet damit zum Thema des Symposiums über, das sich mit diesem Phänomen auseinander setzte. Auch Kares weist auf die Problematik der Orgeln der fünfziger Jahre hin, deren große Exemplare sich alle in Kirchen an der Karlsru- her Tramlinie 1 befinden (Stadtkirche Dut- lach, Lutherkirche, Sr. Bernhard, Stadrkirche und Sr. Stephan, Christuskirche). Wie unter- schiedlich die Lösungsansätze für diese Zeug- nisse der Wirtschaftswunderzeit sein können, stellt er an den beiden Instrumenten der Stadt- kirehe und von Sr. Stephan dar. Beide Orgeln stammen aus den fünfziger Jahren, und wäh- rend in St. Stephan in jüngster Zeit über den Verkauf der alten Orgel Uohannes Klais, Bonn, 1959) und einen Neubau nachgedacht wurde - über den in der Durlacher Stadrkir- ehe bereits entschieden ist -, steht die Orgel der Stadtkirehe (Steinmeyer, Oettingen, 1958) heute unter Denkmalschutz. Ein "Karlsruher Orgelspiegel" , der in Form eines Inventars alle Orgeln der Stadt und der Stadtteile auflistet (erarbeitet von Andreas Schröder, Kaufmann und Kares), rundet die Beiträge des reich be- bilderten Buches ab, das über die Badische Landesbibliothek zu erwerben ist. MATTHIAS MILLER Stadtplätze in Karlsruhe. Hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe durch Manfred Koch (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 26), Info Verlag Karlsruhe 2003, 424 Seiten, rund 400 Abbildungen, 36,- € (Mit Beiträgen von: S. Asche, E. O. Bräunehe, G. Everke, G. Kabierske, M. Koch, M. KühneI, Th. Meyer, A. Mührenberg, D. Neumeister, P. Pretsch, H . Ringler, W Rößling, K. Schmal- holz, R. ]. Schott, S. Stephan-Kabierske) Ein Buch über Karlsruher Stadtplätze? Haben unsere Stadtplaner, Stadthistoriker, Stadtarchi- vare und Kunstgeschichtler nichts Wichtigeres zu tun? Gemach - und ungeniert gleich zu Beginn gesagt: Den 15 Autoren der soeben erschienenen Publikation ist ein hervorragen- des Werk gelungen. Was immer man wissen will über das Zustandekommen, die Entwick- lung, Funktion oder Nichtfunktion Karlsru- her Stadtplätze: In den gründlichen, mit histo- rischen und aktuellen Bildern lebhaft unter- stützten Beiträgen ist es nachzulesen. Das Werk ist die folgerichtige, historisch- wissenschaftliche Untermauerung der von Oberbürgermeister Fenrich in Auftrag gege- benen Erarbeitung eines Gesamtkonzepts "Karlsruher Stadtplätze". Dessen ebenso einfa- ches wie ehrgeiziges Ziel ist, auf einen Begriff gebracht, die "Revitalisierung" der Stadtplät- ze zu Gunsten der Bevölkerung. Bei Licht be- sehen ist die Stadtplätze-Publikation ein auf- rüttelndes Plädoyer zur Wiederaufnahme des in den siebziger Jahren von Oberbürgermeis- ter Dullenkopf aufgelegten Programms einer "menschengerechten Stadt" mit der dank Egon Martin und Theo Schlüter erfolgreichen Neugestaltung von Räumen wie dem Markt-, dem Friedrichs-, Lidell- oder Ludwigsplatz, Fußgängerzonen inklusive. Mit dem Schloss- platz fing Karlsruhes Platzhistorie an, mit den als Nebenprodukt der Altstadtsanierung ge- 376 wonnenen Plätzen - Berliner-, Kronen- und Waldhornplatz - hört es vorerst auf. 34 Plät- ze im Stadtinnern, neun in Mühlburg und Durlach nahmen die Autoren in ihrem histo- rischen Herkommen, in ihrer raumbildenden Bebauung und ihrem Nutzen oder Schaden für die Bevölkerung unter die Lupe. ,,Außen vor" geblieben sind die 14 Plätze in den wei- teren zur Stadt gekommenen Gemeinden, ebenso die Plätze ohne Fassung wie der Mess- oder Engländerplatz. Unabhängig von dem Willen, Überzeugungsarbeit für eine Zurück- gewinnung oder Neugewinnung urbaner, also menschendienlicher Plätze zu leisten, besticht "Stadtplätze in Karlsruhe" durch spannende Schilderungen der jeweiligen Platzgeschichte. Ob Schlossplatz, der erste, größte, bedeu- tendste Platz in Karlsruhe, oder der kleine Dreiecks-Lidellplatz: Alle haben ihre eigene Historie, die zu lesen allein schon größtes Vergnügen bereitet. Fachkundig erläutert wird dabei das Zustandekommen der den Platz- raum säumenden gebauten Umgebung. In diesem Zusammenhang geradezu als ein Juwel unter den Karlsruher Plätzen erscheint der - inzwischen samt allen Gebäuden unter Denk- malschutz gestellte - Gutenbergplatz, das Herz der Weststadt. Jeder Karlsruher Stadtplatz hat narurge- mäß seine ganz individuelle Struktur. Der Bogen spannt sich vom gemütvollen Platz hin- ter der Kleinen Kirche bis zum Ludwigsplatz, dem vor allem unter jungen Menschen belieb- testen Treffpunkt, von dem gerade noch als Verkehrskreisel nützlichen Yorckplatz bis zum anmutigen Haydnplatz, von der Verkehrs- drehscheibe Karlstor bis zum Wohlgefühl ver- heißenden Friedrichsplatz. Das Durlacher Tor lädt in seiner heutigen Gestalt "kaum zum Verweilen" ein, und die Qualität des Etdinger- Tor-Platzes beschränkt sich nach Auffassung eines Nichtkarlsruher Spötters "lediglich auf die Flüssigkeit der Ampelschalrung". Die selbstgefällig noch immer "Via Trium- phalis" benannte Strecke und Platzfolge vom Schlossplatz über Markt- und Rondellplatz zum Ettlinger Tor - des unentschuldbaren Umgangs mit dem Markgräflichen Palais und anderer Bausünden wegen in der Presse schon vor Jahren "Via Miserabilis" benannt -, ist Ge- genstand besonders subtiler Untersuchungen. Die Herren Everke und Kabierske, stadtunab- hängig, wie sie sind, sparen in ihren Beiträgen nicht mit Kritik. Neben Mäkeleien wegen der Marktplatzgastronomie stellt sich für Everke "auf ewig die Frage", warum das Theater am Schlossplatz nicht wiederaufgebaut wurde, und Kabierske klagt in Erinnerung an das ab- gebrochene Hotel "Germania", einst ein Schmuckstück des Etdinger-Tor-Platzes: ,,Alte Bausubstanz, war sie noch so bedeutsam, hatte zwischen 1950 und 1970 keine Chance". Gnädige Zensuren erhält dagegen das neue Hotel, das dem Festplatz doch seine Unschuld nahm, und Everke preist das jetzige Bild des Bahnhofplatzes mit solchem Enthusiasmus, dass man Gefahr läuft, ihm Recht zu geben. Man sieht: "Stadtplätze in Karlsruhe" ist ein Werk, das über ein Riesenmaß an Infor- mationen hinaus Diskussionen geradezu pro- voziert. Angereichert mit Gtundsatzbeiträgen von Ringler und Schott, ist dies eine unge- wöhnlich interessante, als Grundlage jeder bürgerdienlichen Stadtplanung unverzichtbare Veröffendichung. Manfred Koch, Motivator, Organisator und Mitautor der vorzüglichen Arbeit, ist ein großer Wurf gelungen. JQSEF WERNER 377 Gottfried Leiber: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen für Karlsruhe Teil II: Der Stadtausbau und die Stadter- weiterungsplanungen 1801-1826, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2002, 454 Seiten, 75,- € Mit diesem Band über Friedrich Weinbrenner als Stadtplaner und Baumeister des Klassizis- mus ist nun das grundlegende Werk zur Karls- ruher Sradtplanungs- und Baugeschichre von der Gründung 1715 bis 1826 abgeschlossen. Es basiert auf der akribischen Auswertung al- ler erreichbaren Quellen und bietet eine syste- matische und detaillierte Gesamtdarstellung der baulichen Stadtentwicklung vor den Ver- änderungen des Städtebaus seit der Indus- trialisierung. Gottfried Leiber ist damit ein Werk gelungen, das die ältere Weinbrenner- Forschung zu dessen Karlsruher Schaffen weit- gehend obsolet macht und für die stadtge- schichrIiche Arbeit unverzichtbar bleiben wird. Teil II besticht durch die gleiche editorische Qualität wie Teil I mit zahlreichen Abbildun- gen, einem Anhang mit 14 wichtigen Doku- menten sowie u. a. einem Orrs-, Personen- und Sachregister. Im vorliegenden Band behandelt Leiber Weinbrenners Wirken als Leiter der badischen Bauverwaltung, der mit den Stadterweiterun- gen betraut war, die sich aus dem Bedeutungs- und Bevölkerungszuwachs der Residenz des neu geschaffenen Großherzogrums ergaben. Der Ausbau der Stadt sollte 25.000 bis 30.000 Menschen Wohnraum bieten, 1801 waren es 8.700 und als Weinbrenner 1826 starb knapp 19.000. Leiber untersucht im ersten Viertel des Buches die Planungen zur Stadterweite- rung, die sich im Wesentlichen auf drei Quar- tiere im Anschluss an die bestehende Bebau- ung erstreckten. Im Westen waren die Bebau- ungsgrenzen die heurige ReinhoId-Frank-, Moltke- und Kriegsstraße. Das östliche Erwei- terungsquartier lag nördlich der Kaiserstraße im herrschaftlichen Fasanengarten und hatte daher keine Verwirklichungschance. Südlich davon verhinderte das "Dörfle" eine grundle- gende Neuplanung. Aber auch im Westen war Weinbrenner bei der stadtplanerischen Gestal- tung zu Kompromissen gezwungen durch Rücksichtnahmen auf Privatinteressen. Nach- vollziehbar wird das am heurigen Europaplatz. Wein brenners Sradrcrweirerungspläne von 1802 und 1809 erhielten auch keine Verbind- lichkeit, sondern nur den Status von Leitlini- en für das Bauen. Hauptstreitpunkt mit staat- lichen Behörden war der Konflikt zwischen Stadterweiterung und Stadtverschönerung durch Ausbau im bestehenden Sradtgebiet. Das gleiche Schicksal erfuhr auch Wein- brenners grandioser Stadterweiterungsplan von 1812/1818, mit dem er das Gebiet süd- lich der Kriegsstraße bis etwa zum heutigen Bahnhof halbkreisförmig überplante. Er sieht neue Stadttore und große Platzanlagen vor, die besrimmte Funktionen übernehmen sollten. Belegt wird vom Autor auch die Detailpla- nung, in der Häuser mit bis zu fünf Geschos- sen vorgesehen waren. Die Alb sollte durch diesen neuen Stadtteil geführt werden und vor dem Ettlinger Tor ein Hafenbecken bilden. Dieser Plan scheiterte vor allem an der nach- lassenden Bautätigkeit und an der Tatsache, dass das Gelände zum Großteil der Gemeinde Beiertheim gehörte. Mit seinen Plänen zur Stadterweiterung in der Tradition barocker Planung war Wein- brenner, das verdeutlicht Leiber anschaulich, nur bedingt erfolgreich. In den in drei Vierteln des Buches ausgebreireten Planungen für sie- ben Stadtbereiche kann aber das erfolgreiche Wirken Weinbrenners als Stadtbaumeister nachvollzogen werden. Wobei zum Beispiel auch erklärt wird, warum die Zähringersrraße nicht gradlinig zur Rittersrraße verläuft und dort endet, oder warum die Blumenstraße 378 nicht komplett parallel zur Erbprinzenstraße verläuft. In der Darstellung des mittleren Stadt- bereichs findet sich dann auch die Beschrei- bung des Marktplatzes, jenes großen stadt- räumlichen Erbes, das Weinbrenner hinterlas- sen hat. Dazu zitiert Leiber A. Tschira, der den Platz als "das schönste Beispiel eines klassizis- tischen Platzes in Deutschland und in seiner Geschlossenheit eine der größten Leistungen des europäischen Städtebaus" bezeichnete. Leiber würdigt Weinbrenner als den Stadt- planer, der "bewusst der Tradition folgend, die Karlsruher Stadtanlage im Sinne des barocken Städtebaus" fortführte, in seiner Architektur aber ein entschiedener Vertreter des modernen Klassizismus war. 900 Jahre Rüppurr. Geschichte eines Stadtteils MANFRED KOCH Hrsg. Bürgergemeinschaft Rüppurr, Info Verlag, Karlsruhe 2003, 400 Seiten, 27,- € Ortsgeschichten können unter einer überbür- denden Faktenfülle eine schwer genießbare Kost sein. Diese Chronik ist dagegen gut les- bar, weil sie, wie der Sprecher der "Geschichts- werkstatt Rüppurr", F. Kessel, betont, mit dem "Mut zur Lücke" verfasst wurde, intensiv bera- ten durch den Stadthistoriker M. Koch. Zu- dem hat der Herausgeber Mitarbeiter gefun- den, die fundierte Kapitel geschrieben haben. So sind zum Beispiel die Abschnitte von E. Schulz und G. Philipp mit sorgfaltiger Quellen- und Literaturkenntnis von den Anfangen 1103 bis zur Eingemeindung 1907 flüssig dargestellt worden. Aber auch die anderen Autoren zeigen Anschaulichkeit und Sachkunde. Die Wand- lung vom Bauerndorf zum Wohnort von In- dustriearbeitern und Handwerkern bis zur heu- tigen gesuchten Wohnsiedlung wird an vielen Beispielen und reich an Akzenten beschrieben. In der Einleitung wird betont, dass "die Auffassungen und Interpretationen zur Ge- schichte Rüppurrs und einzelnen Vorgängen und Phänomenen" unterschiedlich seien. In der Tat kann dies oft für den Leser zu einer "Verlebendigung des Sammelbandes" beitra- gen, und er fühlt sich zu einer eigenen Sicht aufgerufen. Dabei helfen die sorgfältig ausge- wählten Fakten, die überlegt gewählten Schwerpunkte, die vielen sinnvollen Abbil- dungen und manches mehr. Der überschauba- re Band soll durch eine "Schrifteneeihe zu Rüppurr" fortgesetzt werden. Hier könnte man noch weitere Zeitzeugen zu Wort kom- men lassen, die neben den schriftlichen Quel- len werrvolle Einblicke in die Geschichte die- ses Stadtteils eröffnen. In summa: eine gelun- gene Publikation, deren Lektüre besonders den Rüppurrern sehr angelegen sein sollte, denn sie kann "das Wohlgefühl steigern, in dem bevorzugten Karlsruher Vorort" zu leben. LEONHARD MÜLLER Elga Roellecke: Bildung auf dem Land, Lehren und Lernen in der Volksschule Chronik Wolfartsweier, Heft 6, hersg. vom Verein für Geschichte, Selbstverlag des Geschichtsvereins, 2003, 219 Seiten, 16,- € Bei der auf 16 Hefte angelegten Chronik, von denen neben anderem Elga Roellecke bisher fünf verfasst hat, ist dieser Beitrag - schon vom Thema her - besonders gelungen. Schul- geschichten, von Pädagogen geschrieben, merkt man oft an, so sorgfältig sie auch erar- beitet sein mägen, dass sie zuweilen von einem standespolitischen Gesichtskreis her konzi- piert wurden, den bestimmte Leser bejahen, andere aber anders betrachten. Darum ist es 379 wohltuend, mal keine Fachfrau am Werke zu sehen, die jedoch einen großen Bogen zu spannen weiß, dabei sich freilich sorgsam um die Quellen gekümmert hat. So stieß man auf "Befehlsbücher" der heutigen Grundschule Wolfartsweier, die es möglich machten, "die Entwicklung des Volksschulwesens auf dem Land im 19. und 20. Jahrhundert bis 1933 im Detail nachzuspüren". Doch auch für das "Dritte Reich" fanden sich drei Aktenbündel, und so war die Ausgangslage besser als in man- chen zerbombten Städten mit ihrem Quellen- rest. Die Verfasserin hat zudem Zeitzeugen befragt, Aussagen die farbig sind, aber auch zuweilen von der Erinnerung geschönt klin- gen wie bei aller oral history. Die Darstellung hat natürlich ihren Schwerpunkt in Wolfartsweier, greift aber immer wieder allgemeine Tendenzen auf, wirkt nicht eng, ja kleinkariert, wie dies in der Heimatforschung zuweilen anzutreffen ist. Der Atem der allgemeinen Geschichte weht durch die meisten Kapitel, und das macht die Schrift so lesenswert. Die Verfasserin schildert die Entwicklung problem bewusst, stellt die Fakten in den jeweiligen Zusammenhang und greift auch gelegentlich auf eigene Schulerfah- rungen zurück. Schon die Gliederung erleichtert die Lek- türe, zwar chronikalisch, aber nicht zersplit- tert, weil unter spezifischen Gesichtspunkten immer wieder neu beginnend Themen über Jahrzehnte zusammengefasst werden. Die Bildauswahl ist sinnvoll und ausreichend, und das muss auch so sein, wenn man sich auf219 Seiten beschränken will, damit diese Publika- tion zu einem Preis verkauft werden kann, der tragbar ist. Nur beim ersten Heft hat diese Chronik eine Anschubfinanzierung durch die Stadt Karlsruhe erfahren. Bis heute versteht es der Geschichtsverein, deren Vorsitzende Elga Roellecke ist, seine Veröffentlichungen selbst zu tragen. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn Hefte wie das vorliegende angeboten werden, wo "viele Menschen die Geschichte ihrer Heimat besser verstehen und pflegen ler- nen." Doch auch der Fachmann dürfte gern zu dieser Schrift greifen, nützt ihm doch nicht nur ein Glossar bei diversen Fachbegriffen, sondern auch eine sorgfältige Bibliographie zur weiteren Vertiefung. So wartet man mit Interesse auf neue Hefte dieser Chronik, die am Ende ein respektables Werk für die erwei- terte Geschichte der Stadt Karlsruhe sein wird. Die Verfasserin erhält den 1I. Preis des Landes- wettbewerbs für Heimatforschung Baden- Württemberg 2003. LEONHARD MÜLLER Monika Bachmayer - Robert Dreikluft: Jugendstil in Karlsruhe. Formen - Vielfalt - Fantasien. G. Braun-Buchverlag Karlsruhe, 199 Abbildungen, 108 Seiten, 24,80 € Ein prachtvolles Buch! Allein das Durchblät- tern mit Blick auf die vielen Fotos ist ein Ver- gnügen. R. Dreikluft, der auch souveräner Gestalter dieses Bandes ist, hat fast ein Jahr- zehnt lang mit der Kamera das spezifische Material zusammengetragen. Schon das Auf- finden der Objekte war mühevoll. Aber das jeweilige Licht abzupassen, in engen Straßen die richtige Perspektive zu finden, beweist nicht nur die dokumentarische Sorgfalt, son- dern auch ästhetisches Feingefühl für Kunst- schätze, die vielen Karlsruhern und Besuchern bisher verborgen blieben. Der Text der versier- ten Kunsthistorikerin M. Bachmayer steht dem nicht nach. Der Abriss der "Stadt im Wandel" führt zur Leitzahl 1900 hin, ein Jahr, in dem in der Residenzstadt der Jugendstil 380 viele Gebäude zu prägen beginnt. Karlsruhe muss um diese Zeit angesichts deutlich stei- gender Einwohnerzahlen eine gewaltige Bau- stelle gewesen sein. In der bisher von einem barock-orientierten Grundriss geprägten Stadt waren neue Viertel in der Süd-, Südwest- und Nordweststadt entstanden. Die Verfasserin ordnet die Jugendstilelernente nach den "Ver- wandlungen von Naturformen ", nach Darstel- lungen von "Mädchen, Frauen und Medu- sen u, "Männern, Mythen, Masken", nach Tie- ren wie "Dämonen, Drachen, Fabelwesen CI in etwas modischen Überschriften, schließlich nach ornamentalen Abstraktionen. Das Kapi- tel über die "neue Kunst auf Straßen und Plät- 381 zen" rundet den Überblick zur Architektur und Formengestaltung des Jugendstils ab, kundig, aber ohne Fachjargon beschrieben, einfuhlsam, aber ohne verstiegene Interpreta- tionen. Im ausfuhrlichen Anhang sind die betref- fenden Häuser und Objekte nach Straßen geordnet, und in Kurzbiografien werden die Künstler vorgestellt. Gerade fur Laien stellt dieser Band eine gute Einführung in die Ar- chitekrurgeschichte Karlsruhes dar, birgt sie doch mehr Überraschungen, als man auf den ersten Blick glaubt. LEONHARD MÜLLER S. 20 S"dtAK 8/PBS 01 239 S. 24 Privat: Harald Ringler S. 25 Stadt Karlsruhe. $tadtplanungs- amt 1II 0633 S. 26 Stadt Karlsruhe. Stadt planungs- amt IIl 24 11 S. 27 Privat: Harald Ringler . S. 29 Bildstelle der Stadt Karlsruhe S. 30 Lufrfoto Brugger 1969/27996 S. 31 Privat: Harald Ringler S. 36 Privat: Holger Reimers S. 41 Stadtmuseum Karlsruhe S. 42 (0. und u.) Stadtmuseum Karlsruhc S. 4S Landesmedienuntrum Baden- Württcmbcrg, Karlsruhe S. 46 LandesmedienU'nlrum Baden- Württcmbcrg, Karlsruhe S. 51 S"dtAK 8/PBS oXlllc 4 I 7 S. 55Suhrkamp Verlag, brecht erben S, 58 $tadrrnuscum Karlsruhe S. 63 S"dtAK 8/PBS 0111 683 S. 64 SudtAK B/PBS IV 186 S. 65 S"dtAK 8/ PBS XIV, 3 S. 67 5tadtAK 8/PBS oXlVa 77 S, 68 StadtAK 8/Diaslg. XJVa 913 S. 69 Sradtrnuseum Karlsruhe, Foto: Fdix Groß S. 73 Regierungspräsidium Karlsruhe S. 76 Universität Karlsruhe, Instimt rUf Sport und Sportwissenschaft S, 79 StadrAK 8/PBS oXJVa 1582 S, 82 StadrAK 8/BA Schlesiger A3 951 5/IA S, 83 StadrAK 8/BA Sch lesiger A30 42/4/1 9 382 Bildnachweis S. 8-4 StadrAK 8/BA Schlesiger A 13a 26/3/9 S. 85 StadrAK 8/BA SchIcsiger Alla 26/3/5A S. 87 S"dtAK 8/0, F XIV 7.14 S. 17 S. 89 S"dtAK 8/PBS oXIVd 176 S. 91 StadrAK 8/PBS XlIIa 144 S. 94 (li.) Archiv der Universität Karlsruhe S. 94 (",.) S"dtAK 8/PBS 0111 674 S. 98 Privat S. 103 S"dtAK 8/PBS oXIVb 301 S. 105 Archiv der Universität Karlsruhe S. 107 Eidg. Archiv fUf Denkmalpflege Bern, Sammlung Wehrli S. 109 Privat: M. Fertig S. 113 FotO: lUZ.Zimmermann S. 117 StadrAK 7/N I Hammann 79 S. 118 StadrAK 7/NI Hammann 79 S. 120 (0. und u.) Priv.: FrithjofKesscl S. 123 Privat: FrithjofKessd S. 126 Gemcindearchiv Christuskirche S. 133 Universitätsbibliothek Karlsruhe S. 135 S"dtAK 8/PBS olV 175 S. 141 Aus: Ernst Schneider. General· bebauungsplan der landeshaupt- stadt Karlsruhe in Baden. Karlsruhe 1926. Anlage 4 S. 143 StadtAK 8/PBS oXJVa 2199 S. 147 (0. und u.) landcsmedienzen· trum Baden-Wümemberg. Karlsruhe S. 148 landesmed ienzemrum Baden· Wümemberg. Karlsruhe S. 151 StadrAK 8/Alben 5 Bd. I , S. 109/2 S. 153 BNN vom 18. April 1946 S. 156 Foto aus: Elisabeth Marum- Lunau: Auf der Flucht in Frank- reich. Der BriefWechsel einer deut· schen Familie im Exil 1939-42, Teen 2000. S. 159 Badisches landesmuscurn S. 161 Badisches landesmuscum S. 165 Staatl iche Majolika.Manufak. tur R 38894 S. 166 Staatliche Majolika-M.:mufaktur S. 167 Badische Landesbibliothek Karlsruhe S. 168 Badische landesbibliothek Kaclsruhe S. 169 (0. und u.) Badische Lmdes- bibliothek Karlsruhe S. 171 Der Volksfreund vom 25. August 1917 S. 172 Der Volksfreund vom 25. August 1917 S. 173 S .. dtAK 8/PBS oVI208 S. 174 S .. dtAK 8/PBS oVI 399, S. 179 (0.) Bildarchiv Rheinhäfen l lufbilddienSl S. 179 (u.) S"dtAK 8/PBS oXIVf 411 S. 183 StadtAK 8/PßS olV 3 11 S. 185 S"dtAK 8/PBS IV 164 S. 189 landcswohlfahnsverband Baden S. 193 S"dtAK 8/PBS 111 312 S. 198 Aus: e h. A. Vulpius: Rinaldo Rinaldini. der Räuber Hauptmann. Eine romantische Geschichte in 3 Teilen oder 9 Büchern. Lcpzig 1799-1801, Nachdruck Hildes- heim INew Yock, O lms, 1974 S. 20 1 S"dtAK 8/PBS 0111 45 S. 202 Daimler-Chrysler~Archiv, Stungan U 53459 s. 205 S"dtAK 8/PBS oXlV, 684 S. 209 StadtAK 8/PBS 0111 674 S. 211 StadtAK 8/Alben 329/2 S. 213 (0. und u.) StadtAK IIAEST 1237-1239 S. 219 StadtAK IISJB 102 S. 224 StadtAK 8/PBS XVI 132 S. 225 St:l.dtAK 8/PBS XVI 187 S. 231 Eberhard-Gothein-Schule, Mannheim S. 233 Karlsruher Schlachthof- Beniebsgcsellschaft mbH S. 235 Karlsruher Schlachthof- Bcniebsgcsellschaft mbH S, 237 Büro Asscm, Karlsruhe S. 238 Foto: A. Fabry, E([lingen . S. 24 1 StadtAK 8/PBS oXIVa 1592 S. 243 Aus: S. Oemrmann, Das Pa- norama, Frankfurt IM. 1980. S. 41 S. 245 (0. und u,) Sradtbibliothek Karlsruhe S. 250 S"dtAK 8/PBS IV 227 S. 254 (0. und u.) Pfarrarchiv SL Bernhardus-Kirche S. 258 Privat S. 259 St:l.dtAK 81BA Schicsiger A 32 1611113 S. 260 SradtAK 8/BA Schlesiger A 29 154/6/27 S. 261 Privat S. 263 Privat S. 266 Bildstelle der St:l.dt Karlsruhe. Foto: Fränkle S. 270 StadtAK 8/PBS 0111 296 S. 27 1 Foto: Reiner Haehling von unzenauer S. 273 S"dtAK 8/PBS 0111 1786 S. 275 S"dtAK 8/A1bcn 12 S. 48 S. 276 StadtAK 8/Diaslg, 111 105 5.277 StadtAK Foto CD 0742, Nr. 34 5.279 StadtAK 8/PBS 0111 1814 S. 280 Aus: Margarethe Hormuth- Ka1lmorgen. Lebensbild einer Blu- menmalerin. Karlsruhe 1994, S. 6 5, 282 Privat S. 283 BNN vom 2. August 1949 S. 284 S"d,AK 8/PBS 1111368 S, 286 Aus: Rahe! Varnhagen. Ein Frauenle~n in Briefen, Pmsdam 1925, S. 136 S. 288 SradtAK 8/PBS 01 167 S. 289 S"dtAK 8/Albcn 186 (Landtagsabgeordnete GLA 851) S. 291 Badische Llndesbibliothek Karlsruhe S. 292 Staatsarchiv Freiburg. W I8 1 S. 293 S"d,AK 8/PBS Jll 249 S. 295 Aus: Ernst Fuchs, Gerechrig- kcicswissenschaft. Ausgewähhe Schriftcn zur Freiheitslehre. Karlsruhe 1965 S. 296 Badisches Llndesmuseum Karlsruhe S. 297 Bibliothek des Bundes· gerichtshofes S. 301 Foto: Privat S, 302 Foto: Andreas G:l.belmann S. 304 LandcsdenkmalanH Karlsruhe 457/3 S. 306 Foto: Privat S. 307 Stadt Karlsruhe, Bauordnungsamt. Akte Waldm. 6 S. 309 Landesdenkmalamt Karlsruhe 46/4 S. 311 Südwesrdeursches Archiv für Architektur und Ingenieurbau S. 313 Badische Landesu:itung vom 20. Juni 1908 S. 315 Foto: Ulrich Schneider S. 316 Badisches Landesmuscum Karlsruhe Inv. Nt. 65/36 S. 3 18 (re. und Ii.) Fotos: Ralf Leder~ bogen. aus: R. Lederhogen/V. Mer- ke!: Kunstwerke und Tcchnikobjek- re der Universitär Karlsruhe 1825- 2090, Info Verlag Kar/sruhe 2001. S. 320 Privat S. 322 Privatarchiv Reiner Hachling von Lanzen:l.uer S. 324 Badisches Landesmuseum. Inv. Nr.: M6432 S. 326 Foto: Rolf Lcderbogen. aus: R. Lederbogen lU. Merkcl: Kunstwerkc und Tcchnikobjekte der Universität Karlsruhe 1825- 2000. Info Verlag Karlsruhe 200 I. S. 327 SradtAK 8/PBS oXIVa 1628 S. 329 Südwestdeutsches Archiv fur Architektur und Ingenieurbau S. 330 $tadtAK 8/PBS oXIVb 524 S. 331 Foto: Näher, Rcudingen (Staatliche Kunsth. lle Karlsruhe) S. 332 Foto: Roben Dn=ikluft S. 333 Foto: Robert Dn=iklufr S. 335 StadtAK 8/PBS oXIVa 2376 S. 366 Foto: Peter Wannet 383 Adcnaucr, Konrad 81.84 Adolf. Herzog von Nassau/Großher· zog v. Luxemburg 287 Ahlborn, Knud 86, 88 Alexander 1., Za r von Rußland 11 9, 364 Allegri 61 Amann, Robert 144. 146 App, OttO 315 ~e,Su~nne 340,376 Aue, Haremann von 99 Auerbach. Max 144 Augenstein, Karl 241 Augusta, deutsche Kaiserin 278 Babbcrger. AuguSt 301-303 Babo, Freiherr August von 70 Bach. Johann Sebastian 291.293 Bachmayer. Monika 166,380 Baden, von - Amalic, Markgräfin 222, 361 - Bernhard. Markgraf 253. 254 - Bcrnhard. Prinz von 45 - Christoph 1., Markgraf 167,168 - Eli~beth, Prinzessin 119 - Friedrich. Markgraf 284 - Friedrich 1., GroßheJ"ZOg 21, 45 , 57.61.94.110.192.194.195. 252-254.256.277.287.279.287. 293.313.351.355 - Friedrich 11., Großherzog 20-22, 196.287.288.314.362 - Hilda. GroßheJ"ZOgin 20,287.288. 361 - Kar!, Großherzog 312 - Kar!, Prinz 248 - Karl Friedrich. Markgraf/Großher. wg 70.91. 181.198.204.285. 296.312.316.328.329.340.362 - Leopold, Großherzog 248,316, 346 - Ludwig 287 - Ludwig, Markgraf 222 - Ludwig I. 44.312.318.319.321 384 Personenregister BEARBEITET VON KATJA SCHMALHOLZ - Luise. Großherzogin 22,57,61, 252.273.279.288.298.361.373 - Max, Markgraf 252 - Philipp 1. . Markgraf 167 - Sophie. GroßheJ"ZOgin (Prinz.essin von Schweden) 248.361 - Stephanie de Beauharnais, Großher- zogin 182.361 - Valerie. Markgräfin 252 - Viktoria, Prinzessin 61.288 - Wilhe1m, Prinz 241 Baden-Baden, von - Bernhard 111., Markgraf 167 Baden-Durlach, von - Ernst. Markgraf 167 - Friedrich Magnus. Markgraf 349 - Kar! Il .• Markgraf 167·169,327. 328 - Karl Wilhe1m. Markgraf 44.45, 47.90.296.312-314.359 Karoline Luise, Markgräfin 296, 329.361 Luise Karolinc, Freiin Geyee von Geyersberg/Reichsgräfin von Hoch- b<'g 222.361 Magd:!..!ena Wilhdmina. Markgräfin 91 - Maria Augusta. Markgräfin 363 Bader, Joscph 327 Ball. Hermann 137 Barker. Roben 240 Baum. Marie 63. 231 Baumann, Hans Theo 163,164 Baumeister. Reinhard 106-108 Bäumer, Gemud 231 Baumgarten. Paul 84 Baumgolften. Hermann 94,95,98, 229 Baumgärtner, Walter 348 Bauser, Heinrich 328 Bayer, Adolf 25,75 Bayer, August von 327 Becher, Johannc:s R. 56 Bechtold, Gerhard 243 Beck, Josef 98 Becker. Carl 241 Becker, Joscf 352 Behrens, Peter 103 Beichel, Friedrich 136, 146,360 Benz, Josef 253 Benz, Benha 203 Beßl., Carl 200-203 Bcnz, Clara 202 Benz. Ellen 202 Benz, Eugen 202 Benz, Johann Georg 200 Bcnz, Richard 202 Bcnz, Thilde 202 Bcrblinger, Auguste 249 Berblinger. Kar! 249 Berblinger. Wilhclmine 249 Bcrckmüller, Kar! 368 Berckm üller, Karl Jo.scph 345 Bergheim. Brigine 55 Berlioz. Hcetor 294 Bernheimer, Ernst 215 Bernheimer, Gerhard 215 Berschauer, Lina 63 Beyer, Joscph 249 Ikyer, Marie 249 Beyer, Magdalenc 249 Bieringer, Liane 236 Billing, Hetman n 323 Bindewald. Klaus 342.343 Bingner, Adrian 297. 298 Binz. Gustav 250 Birgin, Doris 252 Bischoff, Maria 249 Bismarck, Ouo von 60,94, 194. 195. 240.277.278.341 .352 Blankenhorn, Erich 38 Blart, Oskar Gottlieb 125 Bleidorn, Gustav AdolE 92 Bodman, Heinrich Freiherr von 20. 21.22 Bochle, Fritz 314 Boehdingk. Arthur 95. 98 , 99 Bollmann. Beate 343 Bonifaz VIII., Papst 50 Borchardt-Wcnzel, Anncne 361 Borgscedr, Angela 369 Bös, Klaus 77 Boucher, Frano;:ois 296 Brahms. Johannes 230 Brandenburg-Ansbach-Kulmbach von, - A1brccht. Markgraf 168 - Kasimir, Markgraf 168 Katharina 168 - Kunigunde 168, 169 - Maria 168 - Susanna, Markgräfin 168,169 Brandr. Harm-Hinrich 350 Braun, Louis 240, 242 Bräunche, Ernst Ona 339-341. 354, 358, 376 Brecht. Benhold 53-56. 100 Brentano. Lorenz 346 Breuhaus. Frin August 323. 325 Bronner. Emil 139 Bruch. Max 290 Brüning, Heinrich 275 Brunner, holde 371 Brunner, Paul 371 Buback, Sicgfried 266 Bublies-Godau, Birgit 350 Buchberger. Adolf 194 Büchner, Ursula 41 Bühl, A1fons 210 Bühler, Hans Adolf 203 Buhmann. Wolfgang 115 Burckhardt, Jacob 101 Burger, Roben 89 Burkard, Erwin 188 Bußmann, Walter 97 Caesar. Julius 49 Calmez, Isaac 197 Camphausen, Octa 194 Celtis, Konrad 50 Chamoff, Rita 116, 118 Clay, Lucius D. 151 Collum, Wolfgang H. 348, 349 Compter, Theodor 307 Cratander, Andreas 167 Curjel, Roben 126, 307 Curtius, Ernst 101 Dame Alighieri 279 Däubler-Gmelin, Herta 265 Dchler, Thomas 81, 84 Denny, Christian 249 Devrienr, Eduard 293. 294 Oevrient, Emil 293 Oewald. Franz 162 Diemer, Michael Zeno 242 Dietsche. Fridolin 254,313,314 Dionysius Exiguus 48 d'Occhieppo. Ferrari 48 Dollmätsch. Johann Gottlieb 184 Douglas. Christoph Graf 22 Draheim. Heinz 258-260 Drais von Sauerbronn, Carl Friedrich Freiherr 78 Drechsler, Friedrich 52 Dreikluft, Roben 333. 380 Duchardt, Michael 55 Dullenkopf.Ono 164.187.265. 267, 349, 353 Dürer, A1brechr 50 Durm,Josef 79, 102, 195,321,322. 371 Eberle. Friedrich 67,328 Eben, Friedrich 22 Eck, Doris 118 Egler. Carl 203 Ehmcr. Hermann 349 Ehrenberg 222, 224 Eiermann, Egon 308-310 EisenIohr, Wilhe1m 194. 278, 279 Eil. Ernsr 220.221 ElIsläner, Moritz 191 -195 Ellstäner. Ono 193 Engel, Heinrich 42 Engelhardt, Klaus 265 Engler, earl 111 Engler, Helmut 260 Erdmann. Dieter 115 Erzberger, Manhias 231 Eschenbach, Wolfram von 99 Everke, Gerhard 376. 377 Fahnenberg. Freiherr von 182 Fahrenkamp, Emil 323 Fahrner, Rudolf 99 Faisst, Clara 290, 291 Farh, Ralf 370 Fedorov, Sergcj G. 364 Fehringer, Prof. 144 Feim. Karl Heinz 162 Fenrich, Heinz 45,362.376 Fenske, Hans 351 Finrer,Julius 139. 202.218 Fischer. Friedrich 248 Fischer. Friedrich Theodor 312,319 Fischer. Horst 356 Fischer. Joschka 265 Fischer, Kunigunde 64 Fischer. Ulrich 125,265 Fischer. Werner 113 Förster, Wolfram 370 Frank, A1ex 42 Frank, Leopold 42 Fribolin. Hermann 136 Frick, Wilhe1m 38 Friedmann, Hugo 116 Friedrich Wilhdm IV., König von Preußen 341 Friedrich IU .• deutscher Kaiser 278 Fromm, August 43 Frommcl, Emil 125 Frosch. Kar! Huben 242 Fuchs.' Ernst 294. 295 Fuchs, Stefan 354 Fuchs, Wahher Peter 97 Funck. Rolf 108 Furrer. August 368 Furtwängler, Wilhclm 230, 290 Gamber. Gerhard 188 Gärtner, Friedrich von 207 Gauly. Kun 266. 267 Geibel, Emanuel 290 Geiß. Anton 20, 22, 274 Gersmer. Wilhdm 98 Gervinus. Georg Gonfried 94. 110. 114,277,35 1 Gilg. Jakob 117 Glatzlc. Fridegan 162.166 Göderin, Johannes 26 Goebbels, Joscph 210 Goenz. Jürgen 164 Goethe. Johann Wolfgang von 99. 184,284,294 Göler, Sigmund von 22 Goll. Anton 165 Gorbmchow. Michail 121 Görtz, Franz Josef 54 Gotein, Gabor 275 385 Gotein geb. Löwenfeld, Ida 275 Gotdn, Rahe!, s. Stroms Gothein , Eberhard 228-232 Gradenwitz, Sophic 155 Grau, Ute 344, 359. 362 Grcgor XlII. , PapSt 49 Grcgor, Adalbert 218,219 Gricshaber, HAP 330, 331 Gropius, Walter 26. 145 Groß, Josef 24, 188 Großkinsky. Manfred 59 Grossmann, Hans 323 Großwendt, EJisabcth 136 Grothmann. Karl 129 Grüningcr, B. 255 Gschcidtlcn, Theodor 250 GÜdc. Max 266 Gurk. Franz 260 Güß, Pcter 306 Gustav Adolf, Kronprinz/König von Schwcdcn 61, 242 Gutenbcrg. Johanncs 167 Gmjahr, Rainer 346 Guttenberg, Baron von 265 Gunmann, Barbara 338. 355, 356, 359 Haas. Ludwig 21 Habcrstroh. Joseph 320 HafTner. Sebastian 265 Hainau, von (Polizcidircktor) 182 Hammann , Gertrud 116-1 19 Hanauer, Anton 42 Hanscmann , David 192 Hanscr, Adolf 344 Hanscr, AJfred 370, 371 Haupt, Dorothca 27 Haupt, Pc[cr 27 Hauptmann , Gcrhard 99. 290 Hauser. Carolin 249 Haußer, Paul 38 Hcbel, Johann Perer 316 Hecht, Werncr 53, 54 Heck. Michael 53 Heck. Stanislaus 43 Hecke!, Erich 330 Hecker, Friedrich 358 Hccr, Adolf 59 Heiligcr, Bernhard 326 Heinrich 1.. König 119 Heinrich. Josef 137 386 Heinrich, Willi 121 Held, Fried rich 206 Hcmbcrger. Jakob Friedrich 45 Hertenstein, Adolf 249 Henweck, Georg 358 HeB, Rudolf 151 Hesse, Hermann 290 Heurich, Fridolin 137,270, 271 Heuss, Theodor 81, 84, 23 1 Heyse, Paul 230 Hildenbrand, Hermann 307 Hillerbr:and , Josef 323 Himmelhebcr, Gustav 273 Himmel hcbcr, Kar! 273 Himmelheber, Karhinka 274, 355 Himmelhebcr, luitgard 273, 274 Himmler, Heinrich 368 Hirsch, Felbt 97 Hirsch, Friedrich 113 Hirsch, Wolfgang 326 Hider, Adolf 75, 111, 155, 156, 210 Hochstuhl, Kun 348 Hoeneß. Vii 265 HofTner, Hans Joachim 26 1,262 HofmannsthaI, Hugo von 99 Hohen lohe-Schillingfürst. Chlodwig. Fürst zu 52 Hohkamp. Michaela 196 Hohnstein, Andre 196 Hölderlin, Friedrich 99 Holdcrman n, Karl 98 Holl. Kar! 99 Hollaender. Peter 1 55~ 1 57 Homberg, Rüdiger 358.359 Honsdl. Mn 273 Höpke. KJaus-Perer 128 Hormu th , Anna 280.28 1 Hormuth-Kallmorgen. Helene 280 Hormulh-Kallmorgen. Margarethe 280.281 Hormuth-Kallmorgen, Walrher 280 Hörner, Heinrich 40 H örnle. Carl Christian 249 Horras. Katharina 251 Horter, Richard 289.290 Hon. Joachim 100 Hübsch, Hei nrich 204, 206, 207. 224.253.310.311.318.319.346. 360 Hüchtkcr.Dicrlind 197 Hugencst, Melchior 329 Hundt, Hermann 216 H üssy,Oskar 137 Ihle, Julius und Franz 249 ]agemann, Eugen von 321 Jäger, AdolfFriedrich 136 Jann.sch, Georg 334 Japp, Uwe 99 Jaspers, Kar! 210 Jellinek, W.her 210 Joachim. Joscph 290 JoUy, Julius 192 Joseph H. , Kaiser 285 Jung, Ernst 27 K. bierske. Gerhard 362,363,376. 377 Kallmorgen, Friedrich 24 1, 280, 281 Kam.ler, Alfrcd 216 Kares. M.u in 375.376 Kalharina die Große 119.36 1 Kaufmann. Michael Gerh2fd 375. 376 Kehr, Kar! 24 1 Keidel , Eugen 138 Kei l. Wilhe1m 283 Keller. Ferdinand 280 Kenntner. Gcorg 76 Kepler, Johannes 311 ,312, 318,319 Kessel, Frilhjof 379 Keßler, Emil 200 Kiefer. Karl 249 Kiefer. Ludwig 249 Kiefer, Luise 249 Kiesinger, Kurr-G eorg 264 Kim mclmann, Alois 291- 293 Kindermann, Hans 325, 326 Kin keI, KJaus 265 KJais. Johannes 376 KJing, Gud run 372-374 Klingmüller 97 KJipfel, ludwig 41 Klose, August 226 Klon. GÜnlher 24,45, 138,203, 267.349.353. 368 KJumpp, Heinrich 22 Knecht, Friedrich 253 Knörzer, Anten 253 Koch, M.nfred 340.34 1,347,348. 352.353.367.371.376.377.379 Koch. Peter F. 31 5 Koelle. Eduard 346 Köhler. Heinrich 151, 153.2 12.274, 275,283,284 Köhler. Walter 153 Kolb. Wilhdm 367 Kölle. Manin 376 Korn 92 Kran, Wilhdm 339 Krause, Burkhardt 99 Krause. Karl-Heinz 326 Kremer. Egon 54 Krieger, Josef 242 Krimm. Konrad 371 Kühlenthai, Kar! Christoph 93,98 Kühncl, Miriam 376 Kunle, Heim .. 53. 260. 354 Künnle, Cul 224 La Fontaine. Jean de 184 Lamprccht, Familie 306 Lang, Heinrich 360 Lankheit, K1aus 97. 103 Lanunauer. Reiner Haehling von 348 Lassalle. Ferdinand 58 Laßberg, Joseph von 167 Lcchleirner. Georg 368 Lehmann, Ono 87 Leiber, Gonfried 378.379 Leiser, Wolfgang 176 Lcnard, Philipp 210 Lender. Franz X. 274 Lenin, Wladimir 97 Lw Xlii., P'p" 47, 253 Lconhard, Heinrich 78 Lermontow. Michail 11 9 Lessing, Gotthold Ephraim 99 Leunbach. Wilhdm 108 Levi. Hermann 294 Lewin, Chaie 286 Lewin, Markus 286 Liedke. Dietmar 162 lill, Rudolf 97 Limbach, Juna 64,265 Linde 97 Lählein, Theodor 98 Loo, Carle van 296 Lorenz 41 Löwemhal. Hans Hcinz 213 Lübke. Wilhclm 102, 103 Lüders. Marie EliS3.bcth 281 Ludin. Hanns 38 Ludwig XIV .. , König von Frankreich 90 Ludwig XV .. , König 296 Ludwig. Dierer 109.352 Lunau. Heinz 155,156 Lurz, Meinhold 59 luner. Kerstin 373, 374 Luz. Hans 27 Maaß, Hans 116 Maillol. Aristide 326 Mann, Thomas 155 Mao Tse-tung 55 Marriensen, Theodor 200 Manin, Egon 376 Marum. Brigine 155- 157 Marum. Elisabcth 155-157 Marum. H ans 154-157 Marum. Johanna 155. 156 Marum. Ludwig 40.154. 155,367 Marum. Pierre 157 Marum, Sophie, geb .. Gradenwin 155-1 57 Mau, Karl 58, 97 Mathy, Karl 108, 192 Manka, Georg 362,363 Maul, Heinrich 122 Maurer. Gustav 42 Maximilian 1.. Kaiser 168 May, Ernst 145 Mayer, Car! 206 Mayer-Vorfc1der, Gerhard 367 Meckd, Mn 253, 254 Mecrwein. Carl Friedrich 348 Mehnere, K1aus 265 Mdling, Chrisroph 296 Mdling. Jean 296 Mdling, Joseph 296, 297 Mdling. Nicolas 296 Mendc1ssohn-Bartholdy, Felix 293 Mertens, Heinrich 28 Merz. Florian 163-165 Merz, Waher 144- 146 Metzger. Marie 215 Metzger, Simon 215 Meyer. Bruno 101. 102 Meyer, Thomas 338, 376 Miller, Wolfgang 27 Mittenzwei, Wemer 53. 54 Möckd, Klaus 25 Moesr, Hermann 300 Mohr, Alcxande.r 340 Molihe 294 Möller, Alex 368 Morin. Karl Philipp 99 Morlock. Jürgen 347 Moser. Kar! 126, 307 Moue. Fouque, Friedrich de la 184 Monl, Fdix 230 Mühre.n~rg, Ankc= 376 Müller, David 98 Müller, Gc=bhard 84, 264 Müller, Jeremias 204 Müller, K1aus-Detlef 54 Müller, Wilhdm Jeremias 329 Müller·Hufschmid, Willi 33 Münch. Jaoob 39. 40 Mürb, Roben 264 Mutter 61 Napoleon Bonapartc= 361 Napoleon IlI .. , Kaiser von Frankreich 240 Ne~nius, Carl Friedrich 98 Neef, Gerhard 252 Neef, Margot 252 Nestle, Karl Theodor 210 Neuburger. August 151,152 Neumann, Erik 338 NeumeisIer, Dirk 376 Nikiforowa,Sweriana 124 Nippe.rdey, Thomas 97,350 Nokk, Franz Wilhdm 228 Nolde, Emil 33 Nörbcr, Thomas 252, 253 Oberle. Wilhdm 248 Obermüller.Vc=ncdey. He.nrieIle 350 Ooolampad ius. Johannes 167 Oechdhäuser. Adolf 102 Oehme, Ruthard 129 Oelsner, GUSIav 145 Ohlbaum, !solde 365 Ohndotf, Mathias 164 Oncken. Hermann 94 On. Frieda 219.220 On, Kar! 86-89 Paulcke, Wilhdm 74 PaulI, Hermann 63 Pestalozzi. Heinrich 217 387 Peter IIL. Zar 119 Pe:te:r. Jose:ph 346 Pe:te:rse:n. Hans 242 Pfarr, Adam 95.98 Pf'iste:re:r, Ge:rhard 31 Pfiste: re:r. Karl 249 Pfläste:re: r, Karl 137. 139 Pflaume: r. Kar! 38. 153 Philipp. Günthe:r 379 Piglhdn. Bruno 242 Plate:. Ulrike: 344. 370 Pogge:ndorf. Die: trich 129 Pompadour (Madame: de:) 296 Possdt. Gottfricd 197 Possdt. Ernst Ludwig 92. 199 Präge:r. Christmut 370 Pre:slinari. Sophie: Amalie: 273 Pre:tsch. Pe:le:r 358.359. 37 1. 376 Prinn 31 Raab, Frie:drich 108 Ramspc=ge:r. He:rmann 38 Ranke:. Lropold 228 Rasch, Wolfdiwich 99 Rathe:nau. Wahe:r 367 Rand. Frie:d rich 3 13. 3 14.371 Räube:r. Manin 249 Rauch, Christian Danid 330 Raufe:r. A10ys 3 11 . 319 Rauh ul. Christa 220 Rausch, Jan-Dirk 121, 124 Re:bmll.nn. Edmund 62 Re:bmll.nn. Marie: 62 Re:dt e:nbache:r, Ferdinll.nd 279 Rc=ichard. Frirorich 134 Rdme:rs. Holge:r 362.363 Re:nne:r, Narziss 168 Re:uchlin. Johanne:s 167 Rhott 197 Rie:dinge:r. Be:rthold 137 Rie:dne:r, Pe:t e:r 149.25 1 Rilke:. Raine:r Maria 99 Rinck. Christoph Frie:drich 181 Ringlu, Harald 339. 376 Ritte:r. August 200 Rodlc=cke:. Elga 346. 365. 379. 380 Roggenbach. Franz von 277.278. 352 Rosc=nbcrge:r, Adolf 3 14.3 15 Rose:nbcrge:r. Sophie: 3 14.3 15 Roßkonen, He:inrich 28 388 Rößling, Wilfrie:d 376 Rothfuß. Christi'lR 332 Rüdt von Colle:nbcrg. Fd ix 78 Ruhland, Michad 360 Rumpf. Hans 76 Rürup. Re: inhard 100 Sack. Erwin 367 Salomon. Else: 136 Sa!omon. Ernst 152 Samojknko. VlI.lcrij 122 Saue:r. K.u l 38. 40 Sax, He:rbe:n 2 15 Schäfe: r, ClI. r1 102 Schäuble:. Wolfgang 265 Sche:ide:mann, Philipp 22 Schdl, Wilhdm 128, 129 Schdling. Erich 3 1,83 Schd ling. Friedrich 184 Schilb, Christof 80 Schille:r. Fric=drich von 99. 184. 198. 276.294 Schinde:rhanne:s 198 Schinkd, Kar! Frie:drich 205, 207 Schirme:r. Wulf 345 Schlc=sige:r. Horst 349 Sch!osse: r. Corndia 284, 285 Schlosse:r, Frie:drich Christoph 277 Schlomr, Johann Ge:org 284, 285 Schlüte:r, The:o 376 Schmalho!z, Katj ll. 354, 376 Schmid. Carlo 284 Schmidt 25 - Car1 316 - Gc=org 3 16 - Gustav 3 16,317 - Jacob 316 - Johann Jacob 316 - Karl-Throdor 129 - Norbe:rt 221 Schmidt-Staub, He:rmann 317 Schmidt-Sraub. Rudolf 3 17 Schmitt. He:inz 61 .340 Schmitt, Jose:f 253 Schmiu , Pe: te: r 166 Schmoller. Gustav von 230 Schnabel. Franz 94,96,99. 100, 208- 212 Schndde:r, August 39.40 Schneider. Hermann 139, 140, 142, 145 Schne:tz.ler, Karl 59, 107. 134, 177 Schoch, Emmy 63 Schöpf, Karl 28 1 Schöpf, Mc:1irra 281, 282 Schon. Rudolf 376 Schrag, P:ml 156 Schrag, Susie 156 Schreibe:r 184 Schröde:r, Andreas 376 Schröde:r, Ge:rhard 265 Schr()(:dte: r, Adolf 183 Schroll-Vom.Onmar 203 Schubart. Ulrike 358.359 Schubladen-Kräme:r, Jürgen 354,358 Schulz. Ekke:hard 379 Schumache: r, Frirz 145 Schütz., Pau! 26 Schwarz 186, 224 Schwarur. Ale:xande:r 358 Schwarzmaier, Hansmartin 365 Schwdckhardr, Emi! 250 Schwdne:r, Albert 290 Schwörc=r, Hans 188 Sd ler. Ge:rhard 45, 122-124, 265, 267.355 Sdterich. Eugen 255 Sdmayr, Gerhard 53 Shakc=spcare: , William 55, 279, 294 Shd lq . Percy Bysshe 55 Sie:bw. Clara 64 Sie:gmann, Wolfgang 27 Sie:grist, Kar! 108. 134, 177.353 Silbermann, Johann Andrcas 375 Silbcrstdn, Max 81 Sinclair, Upton 55 Sombart, Nicolaus 230 Spanger, Jürge:n 374, 375 Spcye:r. Sie:gfri ed 215 Spin bll. rt , Elisabc(h 345 Spirzmülle:r 66 Spö rli ng, Magdale:ne: 249 Staige:r 3 10 Staub. Luise: 317 Stein . Frdherr von 182 Stcinbach, Erwin von 3 11 , 312. 318. 319 Steiner, Jacob 77. 99 Ste:phan-Kabierske:, Susanne 376 Stie:fcl, Philipp 128 Stock. Christian 283 Stolle, Michad 368 Strack. Heinrich 205 Straus, Elis 276 Straus, Isa 277 Straus geb. Gorein, Rahel 275-277 Strieder, Wil hclm 233, 360 Stüler, Friedrich August 205 Stürzenacker. August 360 Sulzer. Marie 220 Teufel, Manhäus 42, 43 Thierfclder, J örg 116 Thode, Henry 102 Thoma, Hans 290,3 14, 323 Thum, Bernd 99 1111, Karl 162 Tolsroi, Leo 99 Töpper, Friedrich 137,359.367 Traitteur, Wilhelm von 364 Trammann, Theodor 307 Trippmacher, Elisabeth 202, 203 Tröndle, Franz 249 Trunk, Josef Ludwig Gustav 87, 274, 275 Tschira, Arnold 329, 379 Tulla, Johann Gottfried 273, 318, 320 Turban , Ludwig 194 Twele, August 74 Uehlin , Theodor 43 Uhland, Ludwig 290 Ulbrich, Claudia 196 Unscld, Siegfried 53 Yaillant, Johanna 200 Yaillant, Kar! Friedrich Michael 200 Yarnhagen, Kar! August 286 Yarnhagen, Rahe! 286 Yarerrodt, Franz 38 Yeit, Hermann 137,210,367 Yenedey, Jakob 350 Vestner, Dieter 339, 340 Victoria, Königin von Schweden 22 Vigener, Gerhard 188 Viktoria, Königin von England 287 Vischer, Friedrich Theodor 101 Vogel, Heim 44,45.47 Vulpius, Christian 198 Waag, Maximilian 92 Wach . Kar! 28 Wagner, Christina 340 Wagner, Ernst 327,328 Wagner, Ludwig 249 Wagner, Manin 145 Wagner, Richard 99 . 294 Wagner, Roben 38,40,75, 149, 153, 368 Wallner, Gemot 164 Wallor, Paul 370 Wapllewski, Peter 99 Wätjen, Herrmann 96 Weber, Alfred 23 1 Weber, Max 230,231 Weech . Friedrich von 57,66,67,69. 226,248, 286 Wehler, Hans-Ulrich 350 Weigel , Rudolf 210 Weihnacht, Pau! Ludwig 371 Weil, Lcopold 213 WeiH. Heinrich 149, 150 Weinbrenner, Adolf 253 Wein brenner. Fried rich 31,44-46, 182,204,222,223,264,310-312, 317,318, 320,321,329,345,346, 360,364,378,379 Weinkauf, Hermann 82, 83 Wels,Orto 154 Wehring, Heinrich 102 Wendt, Gustav 110, 114,230,294 Werber, Friedrich 266 Wemer, Anton von 240, 24 1 Werner, Josef 263-265, 349 WenIar, Heinrich 27 1,272 Wcysscr, Kar! 328 Widmer, Kar! 332 Wieland, Chrisroph Manin 184 Wien, Bernhard 357 Wilamowirz-Moellendor/T, Ulrich von 111 Wil hclm 1., deutscher Kaiser 59, 125, 277,278,287,313,346 Wilhe1m 11., deutscher Kaiser 21,47, 52, 57, 60, 111, 231, 241 , 278, 287 Wilhe1m llJ., König von Eng!and 349 Wilhe1m, Rudolf 215,216 Wilhe1m, T hekla 216 Willard. Adolf 253 Wimmer. Brigirte 367 Witkowski, Hclga 164 Winmann, Heinrich 210 Wölffiin, Heinrich 102 Wohmann, Alfred 101 Worch, W illi 153,338 Worri nger, Wilhclm 103 Wulzinger, Kar! 103 Würz. Bcrnhard 188 Zahn , Kar! 365-367 Zimmermann, Guslav 283, 284 389 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Viktori:a Adam Schülerin, Bismarckgymnasium Karlsruhc: Andre:!. Ahcnburg Presse· und Informationsamt Stadt Karlsruhe Oe. Susanne Asche Instirut rUf Sudtgcschichte. $tadrarchiv Oe. Monika Bachmayer Kunsthislorikerin. Karlsruhe Oe. Brigittc Baumstark Städlische Galerie Karlsruhe ArnulfBttg LId. Reg. Landw. Dir., Rcgierungspräsidiuffi Karlsruhe Oe. Angc:la Borgslcdt Universität Karlsruhe Oe. Ernst Otto Bräunehe Leiter des Instituts fü r Stadtgeschichte. $tadtarchiv Oe. Kristiane Burckhardt Badisches Landesmuseum Karlsruhe Sven ia Diefenbachcr Schülerin. Bismarckgymnasium Karlsfuhe Oe. Juna Dresch Badisches Landesmuseum Karlsruhe Oe. Konrad Dussel Kunsthistoriker, Forst Jan Ernc:rn.ann Schüler. Bismarckgymnasium Karlsruhe Prof. Dr, Hans Fenskc Universität Freiburg Dr. Dellev Fischer Vorsincnder Richter am Landgerichl Karlsruhe Andreas Gabelmann M.A. Kunsthismriker, Karlseuhe Si mi na German Schülerin, Bismarckgymnasium Karlsruhe üstR Helmut G rimm Bismarckgymnasium Karlsruhe Sabine Groh Schülerin, Bismatckgymnasium Karlsruhc OstR Rainet Gut jahr Humboldtgymnasium Karlsruhe Oe. Barbara Gunmann Historikerin, Karlsruhc 390 Dr. Reiner Haehling von Lanzc:nauer Jurist und Historiker, Baden-Baden Dr. Gisela von Hc:gel Direktorin des Zoologischen Gartens Karlsruhe D r. Brigilte Herbach-Schmidt Oberkonservatorin, Badisches Landesmuseum Karlsruhe Priv. Doz. Dr. Klaus-Peter Hoepke Universi tät Karlsruhe Oe. Annemarie Jaeggi Universität Karlsruhe Prof. Dr. Uwe Japp Universität Karlsruhe Sandra Ju ng Schülerin, Humboldtgymnasium D irekto r Klaus Dietet Justen Studienkolleg der Universität Karlsruhe Dr. Gerhard Kabierske Südwesldeutschcs Archiv Hir Archileklur und Ingenieurbau, Universitäl Karlsruhe Hanna Kaiser Schülerin, Bismarckgymnasium Karlsruhe Frilhjof Kessel Alt-Stadrrat, Karlsruhe Dr. Clemens Kieser Landesdenkmalamt Baden-Württemberg Dr. Christina Klausmann Haus der Gcschichle Baden-Würnemberg, Stuttgarr Prof. Dr. Manfred Klinkon Universität Karlsruhe Yps Knauber Journalisti n, Karlsruhe Prof. Dr. Jan Knopf Universilät Karlsruhe Dr. Manfred Koch Inslitut fu r Stadlgeschichte, Stadl2Tchiv Richard Kohlmann Abt. Direktor a. 0., Karlsruhe Andrea Krieg Leiterin der Stadtbibliothek Karlsruhe Prof. Dr. Jürgen Krüger Universität Karlsruhe David Kuhs Schüler, Bismarckgymnas ium Karlsruhc Prof. Dr. h. c. Heinz Kunle Un iversität Karlsruhe Tomen Liesegang M.A. Literarische Gesel lschaft Karlsruhe Almur Maaß M.A. Badisches Landesmuseum Karlsruhe Dr. Ursula Merke! Sräddsche Galerie Karlsruhe Thomas Meyer Historiker, Karlsruhe Matthiu Miller M.A. Universitätsbibliothek Heidclberg Dr. uonhard Müller Forum fur Stadtgeschichte und Kultur Dr. Ute Obhof Leiterin der Handschriftenabtcilung, Badische Landesbibliothck Karlsruhc Dr. Ulrike [>1:1[e L:lRdesdenkmalamt Baden-W~memberg Olivcr Porticz STUdienreferendar, Scminar für Schul pädagogik Oe. Peter Pretsch InstiTUt fu r Stadtgeschichte, Stacltmuseu m Dr. Frank R.3berg Historiker; Kommission für geschichtl iche Landeskunde Baden-Württemberg Dr. Manina Rebmann uiterin der Musikalienabteilung, Badische Landesbibliothck Karlsruhe Oe. Clemens Rehm Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe Dr. Hoiget Reimcrs Universität Karlsruhe Dr. Harald Ringler Stellven rctcnder uitcr des Stadrplanungsamrs Karlsruhe Prof. Dr. Erika Rödiger-Diruf Leiterin der Städtischcn Galerie Karlsruhe Angelika Sauer Sradtarchiv Karlsruhc Heinrich Alo is Sch illinger Architekt, Karlsruhe Dr. Heinz Sch mitt Leitender Bibliomcksdirekror a. D. Pctcr Schmilt M. A. Badisches Landesmuseum Karlsruhe Oe. Do rothca Schmin-Hollsrei n Journalistin, Karlsruhe Oe. Ulrich Schneider Südwestdeutschcs Archiv fu r Architektu r und Ingenieurbau, Universität Karls ruhe Dr. Christoph-Huben Schüne Ltd, BibI. Dir., Universität Ka rlsruhe Asysa Schwehn Schülerin, Bismaeckgymnasium Karlsruhe Prof. Dr. Gerhard Seiler Oberbürgermeister a. 0., Karlsruhe Dr. Jürgen Spanger Stellvertretender Leiter des Staatl ichen Scminars für schulprakrische Ausbildung, Mannhcim Eva Spindler M. A. Badisches Landesmuscum Karlsruhe Oe. Dirk Stegen Geschäftsfl1hrcr der Karlsruher Schlachthof- Iktriebsgescllschaft mbH Dr. Günter Stegmaier Landesbildstelle Baden. Karlsruhe Dr. Claudia SlOckingcr Universität Karlsruhe Dr. Michael Stolle M.A. Universität Karlsruhc Mathias Trä ndie Presse- und Informationsaffit Stad t Karlsruhe Hans-Ouo Wallet Direktor a. 0 .• Badischer LandeswohlF..thnsverband Josef Werner Journalist, Enlingen Manud Wittek Abiturien t, Humboldtgymnasium, Karlsruhc 391 www.infoverlag.de P-ESE-06L88-E NBSI
https://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/literatur/stadtarchiv/HF_sections/content/ZZmmCkfzTfr4ZR/Blick%20in%20die%20Geschichte%201998-2003.pdf
pbook_korrektur2a.indd INHALT Grußworte 2 Zum Geleit 18 Boris Groys: Postkommunistische Privatisierungen 26 Susanne Laugwitz: Von Katalonien nach Moskau Innere und äußere Wege eines Festivals 28 Programmteil des Badischen Staatstheaters 32 Programmteil der Stadt Karlsruhe 60 Bildende Kunst / Ausstellungen 64 Musik 86 Literatur / Vorträge & Lesungen 118 Wissenschaft / Symposion 140 Varieté / Lebensart / Mode 148 Film 154 Sponsoren 178 Veranstaltungsorte 180 Kartenvorverkauf 182 Bildnachweis Impressum 18. EUROPÄISCHE KULTURTAGE KARLSRUHE 2006 1 > Grußwort Als die Europäischen Kulturtage Karlsruhe 1983 voller Optimismus, Wagemut und Neugier an den Start gingen, bewiesen die Initiatoren des Festivals fast visionären Weitblick. Wer konnte voraussehen, dass unser Kontinent einmal mit solcher Dynamik und Geschwindigkeit zusammen- wachsen würde: Eiserne Grenzen trennten Ost und West, die deutsche Teilung war noch längst nicht überwunden. Wer die heutigen politischen Verhältnisse mit denen der 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts ver- gleicht, spürt den atemberaubenden Hauch der Geschichte. Diese spannende Erfahrung war es auch, die den Geist der Europäischen Kulturtage in Karlsruhe von Anfang an beflügelte und durch die gemein- same Trägerschaft mit dem Badischen Staatstheater als hochgeschätz- tem Festivalpartner ihren beständig wachsenden Erfolg erklärt. Aktuell in ihrer Themenwahl und kreativ in ihrer Programmvielfalt haben die Kulturtage in über 20 Jahren den Gang der europäischen Entwicklung ideenreich mitverfolgt. So hat sich Karlsruhe als idealer Standort für ein Festival diesen Zuschnitts erwiesen, zumal das Stichwort Wachstum auch einen kultu- rellen Begriff in unserer Stadt markiert. Nicht zuletzt mit dem fabelhaf- ten Zentrum für Kunst und Medientechnologie verzeichnet Karlsruhe im Zeitraum seit Beginn der Europäischen Kulturtage einen signifikanten Zuwachs an leistungskräftigen Kulturträgern, die das geistige Profil des Zentrums am Oberrhein geschärft und bereichert haben. So kann das Festival buchstäblich aus dem Vollen schöpfen. Um das große Konzert der Institutionen, die sich am Programm beteiligen, dürfte Karlsruhe von vielen Städten beneidet werden. Auch der mustergültigen Unterstützung durch das Land Baden- Württemberg verdanken die Europäischen Kulturtage ihren sicheren Bestand. Die Zusage der neuen Landesregierung, das Festival auch in Zukunft ohne jedes Wenn und Aber zu fördern, löst in Karlsruhe große Freude aus und wird auch 2006 mit einem ebenso umfangreichen wie anspruchsvollen Angebot gerechtfertigt. Das Thema »Moskau« ver- spricht in Korrespondenz mit früheren Festspielthemen, die den Blick auf den Osten Europas richteten, ein innovatives Kulturerlebnis mit vielen Facetten, mit spannenden Gastspielen, einem weitreichenden Panorama mit Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten und Symposien. Die 18. Auflage des florierenden Festivals untermauert Karlsruhes Ruf als Kulturstadt Ersten Ranges. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei! Heinz Fenrich Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe Приветственное слово В 1983-ем году, когда с большим оптимизмом, со смелостью и с любопытсвом впервые были проведены Дни европейской культуры, их организаторы оказались довольно дальнозоркими. Кто тогда мог угадать, что наш континент может слиться с такой динамикой и скоростью: железный занавес разделял Запад и Восток, а воссоединение обеих немецких республик было еще далеко впереди. Тот, кто сравнивает сегодняшние политические отношения с ситуацией восьмидесятых годов прошлого века, чувствует захватывающее дыхание истории. Этот занимательный опыт с самого начала являлся духом Дней европейской культуры. А сотрудничество с Баденским государственным театром – нашим многоуважаемым партнером – принесло еще больший успех фестивалю. Актуальность в выборе тем, творческая многогранность программ, множество идей сопровождают более двадцати лет течение и развитие Дней европейской культуры. Город Карлсруэ оказался идеальным местом для проведения такого фестиваля, тем более что в понятии «развитие» в нашем городе подразумевают понятие «культура». Не последнюю роль сыграл заме- чательный Центр Искусства и Медиатехнологии Карлсруэ в значительном увеличении числа участников – различных культурных организаций, которые подчеркивают и обогащают дух нашего центра на Верхнем Рейне. Таким образом фестиваль может черпать из многих источников. Я уверен, что многие другие города завидуют городу Карлсруэ, а именно – тому множеству учреждений, которые участвуют в программе. Благодаря щедрой поддержке со стороны земли Баден-Вюртемберг, Дни европейской культуры имеют солидную базу. Обещание правительства земли способствовать фестивалю и в будущем без всяких ограничений, очень радует нас, что подтверждается богатой и отвечающей самым взыскательным требованиям программой. Тема «Москва» обещает нам в диалоге с предыдущими темами, которые направили наш взгляд на Восточную Европу, новые многогранные впечатления, с интересными гастролями, богатой панорамой выставок, докладов, концертов и симп- озиумов. 18-ые Дни европейской культуры подчеркивают имя города Карлсруэ как города культуры первого ранга. Я желаю Вам приятного пребывания на фестивале! Хейнц Фенрих Обербургомистр города Карлсруэ 3 >< 2 5 > Mot de bienvenue Lorsque les initiateurs des Journées européennes de la culture, rem- plis d’optimisme, d’audace et de curiosité, les lancèrent en 1983, ils firent preuve d’une clairvoyance quasiment visionnaire. Qui aurait alors pu prévoir que l’est et l’ouest se rapprocheraient avec une telle dynamique et une telle rapidité ? Un rideau de fer séparait notre continent et la division de l’Allemagne était loin d’être surmontée. Celui qui compare la donne politique d’aujourd’hui avec celle des années 1980 du siècle précédent sent le souffle de l’Histoire plein de suspense. C’est précisément cette expérience tout à fait passionnante qui, dès le début, a donné des ailes à l’esprit des Journées européennes de la culture de Karlsruhe et qui explique le succès grandissant sans cesse de ce fes- tival porté conjointement avec notre très estimé partenaire le Badisches Staatstheater. En plus de 20 ans, les Journées de la culture, au faîte de l’actualité dans leurs choix thématiques et faisant preuve d’une créativité exemplaire dans la variété de leur programme, ont accompagné l’évolution de l’Europe avec une grande richesse d’idées. Ainsi, Karlsruhe s’est avérée être idéale comme lieu pour organiser un festival de cette envergure puisque, dans notre ville, le mot-clé « crois- sance » peut aussi être consacré à la culture. En effet, depuis les débuts des Journées européennes de la culture, Karlsruhe a connu une augmentation notable du nombre d’institutions culturelles performantes, qui renforcent et enrichissent le rayonnement spirituel de ce centre du Rhin Supérieur, à commencer par le fabuleux Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Nombre de villes doivent envier Karlsruhe au vu du grand nombre et de la qualité des institutions qui contribuent à cette programmation. Le soutien financier exemplaire du Land de Bade Wurtemberg garan- tit la pérennité des Journées européennes de la culture. La promesse du nouveau gouvernement du Land de poursuivre, sans hésitation aucune, le financement de ce festival a suscité une joie immense à Karlsruhe qui se montre cette fois encore digne de cet engagement avec une offre caracté- risée par une variété et une qualité remarquables. Le thème « Moscou » tisse un lien avec les thèmes de festivals précédents consacrés à l’est de l’Europe et promet une expérience culturelle sans pareille aux multiples facettes avec des spectacles passionnants par des troupes invitées, un large éventail d’expositions, de conférences, de concerts et de symposiums. La 18ème édition de ce festival au succès florissant consolide la répu- tation de Karlsruhe comme ville culturelle de premier ordre. Je vous souhaite d’agréables moments. Heinz Fenrich Maire de la Ville de Karlsruhe < 4 Words of welcome When the first European Culture Days was staged in Karlsruhe in 1983, illustrating a great deal of optimism, boldness and curiosity, the festival‘s initiators proved nearly visionary far-sightedness. Who could then have foreseen that at some point in the future our continent would grow together with such dynamics and speed: An Iron Curtain separated East and West, and the German division was not overcome by a long shot. Anyone comparing today‘s political situation to that of the 1980s certain- ly feels the breathtaking breeze of history blowing. It was precisely this exciting experience that has given wing to the spirit of the European Culture Days in Karlsruhe right from the start, its growing success certainly due to the effective cooperation with our esteemed festival partner, the Baden State Theater. In the twenty years of its existence, the European Culture Days in Karlsruhe has resourcefully paid tribute to recent European history with current topics and creative program diversity. Karlsruhe has proven to be the ideal venue for a festival of this cha- racter, as our city‘s cultural sector is ever expanding. And the magnificent Center for Art and Media (ZKM) is only one of a number of strong cultural entities that have sharpened and enriched the intellectual profile of this cultural center on the Upper Rhine. Thus, the festival literally draws on powerful resources. When looking at the concert of institutions involved in the program, Karlsruhe will certainly be the envy of many other cities. The reliable continuity of the European Culture Days is also due to the exemplary backing provided by the state of Baden-Württemberg. Our new state government’s promise to definitively continue to support the festival in the future was received in Karlsruhe with great joy and will also be validated in 2006 with an extensive and demanding program. This year’s topic, »Moscow«, compared to earlier festival topics with a focus also placed on Eastern Europe, again promises an innovative, multi-faceted cultural event with a myriad of guest performances and a far-reaching panorama of exhibitions, lectures, concerts, and symposia. The 18th edition of this flourishing festival confirms Karlsruhe’s repu- tation as a first-class cultural city. May you enjoy the festival! Heinz Fenrich Mayor of the City of Karlsruhe 7 > Приветственное слово Уважаемые участники и гости Дней европейской культуры в городе Карлсруэ! Позвольте поприветствовать Вас по случаю проведения Дней европейской культуры в городе Карлсруэ. Искренне рад тому что именно Москва стала в этом году центральной темой этого масштабного фестиваля. Программа Дней предусматривает множество театральных постановок, художественных выставок, кинопоказов, концертов, литературных чтений. Через призму произведений российских и московских авторов жители Карлсруэ и других европейских городов смогут познакомиться с прошлым и настоящим культурного облика Москвы. Москва – это город, который не стоит на месте, он постоянно изменяется, он растет по всем направлениям, приобретает новые черты, сохраняя при этом старинные традиции и присущие только ему своеобразие. Правительство Москвы уделяет большое внимание развитию и поддержке культуры, в нашем городе ежедневно проходит большое количество различных выставок, театральных премьер и концертов. Неотъемлимой частью современной культурной жизни города стали мероприятия, проводимые в рамках Дней городов мира в Москве. Ежедневно московские артисты и деятели искусства участвуют в международных выставках, фестивалях, семинарах. За последние годы при поддержке Правительства Москвы бвло отремонтировано и построено большое количество учреждений культуры, в том числе Московский междугародный дом музыки, новые театры и картинные галереи. Познакомиться с современным обликом столицы России и последить, как он менялся с течением времени, все интересующиеся смогут, посетив фотовыставку «Москва. Портрет столицы», которая включает в себя большое количество документальных фотографий из жизни города и его жителей. Пользуясь случаем, желаю всем участникам и гостям фестиваля получить удовольствие от этого культурного события, которое, по моему мнению, должно надолго остаться в памяти посетителей и подтолкнуть многих посетить Москву и увидеть воочию всю красоту и многообразие нашего города. Ю. М. Лужков МЭР МОСКВЫ < 6 Grußwort Sehr geehrte Teilnehmer und Gäste der Europäischen Kulturtage Karlsruhe, anlässlich der Europäischen Kulturtage Karlsruhe darf ich Sie herzlich begrüßen. Ich freue mich aufrichtig, dass in diesem Jahr gerade Moskau Hauptthema dieses bedeutenden Festivals geworden ist. Das Programm der Kulturtage sieht eine Vielzahl von Theaterauffüh- rungen, Kunstausstellungen, Filmvorführungen und literarischen Lesungen vor. Durch die Werke russischer und Moskauer Künstler und Schriftsteller können die Bürgerinnen und Bürger von Karlsruhe und anderen euro- päischen Städte die Vergangenheit und die Gegenwart des Kulturlebens Moskaus kennen lernen. Moskau ist eine Stadt, die nicht stehen bleibt, sie verändert sich ständig, wächst in jeder Hinsicht, nimmt neue Züge an und bewahrt dabei doch ihre alten Traditionen und ihre ureigenen Besonderheiten. Die Stadtverwaltung von Moskau widmet der Entwicklung und Förderung der Kultur große Aufmerksamkeit. In unserer Stadt findet jährlich eine große Anzahl ver- schiedenster Ausstellungen, Theateraufführungen und Konzerte statt. Die Veranstaltungen im Rahmen des Festivals »Die Städte der Welt zu Gast in Moskau« sind ein unverzichtbarer Teil des derzeitigen kulturellen Lebens der Stadt geworden. Und alljährlich nehmen Moskauer Kunstschaffende aller Art an internationalen Ausstellungen, Festivals und Seminaren teil. Im Lauf der letzten Jahre wurde mit Unterstützung der Stadt Moskau eine große Anzahl von Kultureinrichtungen renoviert oder neu erbaut, so z. B. das Moskauer Internationale Haus der Musik sowie mehrere neue Theater und Kunstgalerien. Alle, die daran interessiert sind, haben mit dem Besuch der Ausstellung »Moskau – Porträt einer Hauptstadt« Gelegenheit, das moderne Gesicht der russischen Hauptstadt kennen zu lernen und zu verfolgen, wie es sich im Lauf der Zeit verändert hat. Diese Ausstellung beinhaltet viele Dokumentarfotografien aus dem Leben der Stadt und ihrer Bewohner. Hiermit darf ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, allen Gästen des Festivals wünschen, dass sie dieses kulturelle Ereignis genießen kön- nen, das meines Erachtens den Besucherinnen und Besuchern lange im Gedächtnis bleiben wird und das vielen Anreiz sein wird, Moskau zu besu- chen, um mit eigenen Augen die ganze Schönheit und Mannigfaltigkeit unserer Stadt zu sehen. Ju. M. Luschkov Der Bürgermeister der Stadt Moskau 9 > Mot de bienvenue Chers participants et hôtes des Journées européennes de la culture de Karlsruhe, A l’occasion des Journées européennes de la culture, j’ai le plaisir de vous souhaiter à tous la bienvenue. Je suis vraiment très heureux que le thème choisi cette année pour ce festival d’envergure soit Moscou. Le programme de ces journées culturelles prévoit un grand nombre de représentations théâtrales, d’expositions artistiques, de projections de films et de lectures. Les citoyennes et citoyens de Karlsruhe et d’autres villes européennes auront ainsi, par le biais des œuvres d’artistes et d’écrivains russes et moscovites, l’opportunité de découvrir la vie culturel- le de Moscou d’hier et d’aujourd’hui. Moscou est une ville perpétuellement en mouvement, qui évolue sans cesse et croît à tous points de vue, et qui revêt une nouvelle apparence tout en conservant ses anciennes traditions et ses traits distinctifs. La munici- palité de Moscou accorde une grande attention au développement et à la promotion de la culture. Chaque année a lieu dans notre ville un nombre important d’expositions, de représentations théâtrales et de concerts d’une grande variété. Les manifestations organisées dans le cadre du festival « Les villes du monde invitées à Moscou » font partie intégrante de la vie culturelle actuelle de la ville. Et chaque année, les artistes, tous genres confondus, participent à des expositions, des festivals et des séminaires internationaux. Au cours des dernières années, grâce au soutien de la ville de Moscou, de nombreuses structures culturelles ont pu être rénovées, d’autres construites telles que la Maison Internationale de la Musique de Moscou ainsi que plusieurs nouveaux théâtres et galeries d’art. Toutes celles et tous ceux que cela intéresse auront la possibilité de découvrir le visage moderne de la capitale russe et de suivre son évolution au cours du temps en visitant l’exposition « Moscou – portrait d’une capi- tale ». Cette exposition, composée de nombreuses photographies, docu- mente la vie de la ville et de ses habitants. Ainsi, je souhaite à toutes les participantes et à tous les participants de ce festival et à tous les hôtes qu’ils puissent profiter pleinement de cet événement culturel dont les visiteurs garderont longtemps, selon moi, un excellent souvenir. J’espère également que cela suscitera le désir de nom- bre d’entre eux de venir découvrir de leurs propres yeux toute la beauté et la diversité de notre ville Moscou. Iouri M. Loujkov Le Maire de Moscou < 8 Words of welcome Dear Participants and Guests of Karlsruhe’s European Culture Days, I heartily welcome you to the European Culture Days in Karlsruhe. I am truly pleased that Moscow has become the main topic of this impor- tant festival this year. The Culture Days’ program includes numerous theater performances, art exhibitions, film presentations, and literary readings. The residents of Karlsruhe and other European cities will be able to get to know the past and present of Moscow’s cultural life through the works of Russian and Muscovite artists and authors. Moscow is a city that doesn’t stand still; it changes constantly, growing in every way, taking on new elements while continuing to retain its old traditions and its very own characteristics. Moscow’s city council dedica- tes a great deal of attention to the development and support of culture. Every year, a great number of the most diverse exhibitions, theater per- formances, and concerts take place in our city. The events that take place during the festival »The Cities of the World in Moscow« have become an indispensable part of the current cultural life of the city. And every year, all kinds of Moscow’s artists take part in international exhibitions, festi- vals, and seminars. During the last few years, a great number of cultural facilities were renovated or rebuilt with the support of the city of Moscow – Moscow’s International House of Music and several new theaters and art galleries to name a few. All those who are interested in getting to know and follow the modern face of the Russian capital city and how it has changed over the course of time now have the opportunity to do so by visiting the exhibition »Moscow – Portrait of a Capital City.« This exhibition contains much documentary photography from life in the city and its residents. I would like to wish all participants and guests of the festival much enjoyment at this cultural event, which in my opinion will remain in visitors’ memories for a long time, sparking an impulse for many to visit Moscow in order to see the entire beauty and diversity of our city with their own eyes. Ju. M. Luschkov The Mayor of Moscow 11 > Приветственное слово С 1983 года город Карлсруэ совместно с Государственным театром в Карлсруэ регулярно проводит Дни европейской культуры. В этом году центральной темой является Москва. По этому поводу я сердечно приветствую всех зарубежных гостей и наших соотечественников, посетивших фестиваль. Устроителям Дней европейской культуры каждый раз удается по- новому познакомить людей с богатой панорамой европейских культур. Значительное количество художественных произведений из области музыки, литературы, кинематографии и изобразительного искусства свидетельвуют в этом году о многосторонней культурной жизни в Москве. Как столица Москва является фокусом различных культурных влияний и одновременно местом зарождения новых художественных форм. Прошлое и традиции встречаются там с модерном и авангардом. Дни европейской культуры в Карлсруэ дают русским деятелям искусства и культуры возможность по-новому истолковать произведения старых русских художников, писателей и композиторов или представлять новые собственные формы искусства. В дискуссиях за круглым столом самые компетентные специалисты смогут общаться с компетентной публикой или просто с заинтересованными людьми. Земля Баден-Вюртемберг открыта для всех. Международные праздники и фестивали пользуются всегда большим успехом. Дружеская атмосфера и интернациональный колорит делают Дни европейской культуры выдающимся событием в богатой панораме культуры земли Баден-Вюртемберг. Я желаю всем нашим гостям приятного пребывания в земле Баден- Вюртемберг. Всем посетителям хочется пожелать интересных и наполненных впечатлениями моментов в сердце нашей земли. Гюнтер Х. Еттингер Премьер-министр земли Баден-Вюртемберг < 10 Grußwort Seit 1983 präsentieren die Stadt Karlsruhe und das Badische Staats- theater Karlsruhe regelmäßig die Europäischen Kulturtage Karlsruhe. In diesem Jahr steht Moskau im Mittelpunkt. Ich grüße dazu alle Gäste aus dem In- und Ausland sowie alle Besucherinnen und Besucher des Festivals sehr herzlich. Mit den Europäischen Kulturtagen gelingt es den Veranstaltern immer wieder aufs Neue, den Menschen die große Vielfalt der europäischen Kulturen nahe zu bringen. Eine bedeutsame Zahl musikalischer, literari- scher, cineastischer und malerischer Kunst zeigt in diesem Jahr das viel- seitige kulturelle Leben in Moskau. Als Metropole ist sie Brennpunkt ver- schiedener kultureller Einflüsse und gleichzeitig Geburtsort neuer Kunst. Vergangenheit und Tradition treffen dort auf Moderne und Avantgarde. Mit dem Karlsruher Festival bietet sich russischen Kunstschaffenden und Kulturleuten ein Forum, auf dem sie die Werke alter russischer Maler, Schriftsteller oder Komponisten neu interpretieren oder neue, eigene Kunst präsentieren werden. In Diskussionsrunden werden sich ausgewie- sene Fachleute mit dem Fachpublikum sowie interessierten Laien austau- schen können. Baden-Württemberg ist ein weltoffenes Land. Internationale Feste und Festivals finden immer wieder einen breiten Anklang. Die freundli- che Atmosphäre und das internationale Flair machen die Europäischen Kulturtage zu einem besonderen Ereignis der Kulturlandschaft Baden- Württembergs. Ich wünsche allen unseren Gästen eine schöne Zeit in Baden- Württemberg. Allen Besucherinnen und Besuchern wünsche ich interes- sante und kulturreiche Stunden in der badischen Residenzstadt. Günther H. Oettinger Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. 13 > Mot de bienvenue Depuis 1983, la Ville de Karlsruhe et le Badisches Staatstheater Karlsruhe proposent régulièrement les Journées européennes de la culture. Cette année, Moscou est à l’honneur. Pour cet événement, je souhaite la bienvenue à tous nos hôtes venus d’Allemagne et de l’étranger ainsi qu’à toutes celles et à tous ceux qui vont assister au festival. Grâce aux Journées Européennes de la culture, les organisateurs parvi- ennent, à chaque nouvelle édition, à faire connaître aux hommes la grande diversité des cultures européennes. Un nombre considérable d’œuvres d’art musicales, littéraires, cinématographiques et picturales révèle cette année les multiples facettes de la vie culturelle à Moscou. Cette métropole est le carrefour passionnant d’influences culturelles différentes et en même temps le berceau d’un art nouveau. Le passé et la tradition y rencontrent la modernité et l’avant-garde. Le festival de Karlsruhe offre aux acteurs de la vie culturelle et aux artistes russes un forum où ils vont proposer de nouvelles interprétations d’œuvres créées par des peintres, des écrivains ou des compositeurs du passé ou présenter un art nouveau qui leur est propre. Lors de tables ron- des, des spécialistes reconnus pourront échanger leurs idées avec un public d’experts et avec des amateurs de culture avertis. Le Bade Wurtemberg est un Land ouvert sur le monde. Les manifes- tations et les festivals internationaux y rencontrent toujours une large audience. L’ambiance amicale et la dimension internationale font des Journées européennes de la culture un événement particulier du paysage culturel en Bade Wurtemberg. Je souhaite à tous nos hôtes un séjour agréable en Bade Wurtemberg. À toutes celles et à tous ceux qui vont suivre le Festival, je souhaite des moments intéressants et riches en culture dans la ville de résidence bado- ise. Günther H. Oettinger Ministre-Président du Land de Bade Wurtemberg < 12 Words of welcome The city of Karlsruhe and the Baden State Theater Karlsruhe have been staging the European Culture Days on a regular basis since 1983. This year, our center of attention is Moscow. I would like to extend a heartfelt welcome to all Festival visitors from near and far. Our festival coordinators have once again accomplished the task of conveying the great variety of European cultures to visitors within the framework of the European Culture Days. This year, a significant number of musical, literary, cinematic and artistic events will portray the multi- faceted cultural life found in Moscow. A metropolis, Moscow is the focus of various cultural influences, while simultaneously the birthplace of new art. It is here that tradition and the past join modern and avant-garde elements. This Karlsruhe Festival offers Russian artists in various fields and those active in the cultural sector a forum for reinterpreting the works of old Russian masters, authors, and composers as well as for presenting their own new art. Discussions will give interested laypersons the opportu- nity to exchange thoughts with recognized experts. Baden-Württemberg is a cosmopolitan state in which international festivals have found great favor time and again. A friendly atmosphere and international flair make the European Culture Days a very special event within Baden-Württemberg’s cultural makeup. I hope you enjoy your time in Baden-Württemberg and that you are able to participate in interesting and culturally enriching hours in Baden’s residence city. Günther H. Oettinger Prime Minister of the State of Baden-Württemberg 15 > Приветственное слово В этом году в г. Карлсруэ проводятся 18-ые Дни европейской культуры. Богатая панорама культурных событий представлена на этом фестивале, где деятели искусства, организаторы и гости могут общаться и дискутировать на исторические, общественные и политические темы. Множество тематических рубрик предыдущих Дней европейской культуры расширяется сегодняшним кульминационным пунктом форума, темой которого будет русский мегаполис Москва, город, занимающий именно на Востоке особое место в бурной истории Европы и в эпохальных изменениях на всем континенте. Чтобы освещать значение этого центра культуры, промышленности, финансов и научных исследований, организаторы фестиваля составили разностороннюю программу, в числе которой гастроли известных театров, красочные панорамы искусств, выдающиеся концерты, доклады самых компетентных референтов и интересные встречи с литераторами. Научный симпозиум, который затронет различные общественно-политические темы современности и культурно-исторические процессы прошлого, даст нам возможность общаться на международном уровне. Дни европейской культуры стали неотъемлемой частью культурных событий земли Баден-Вюртемберг. Тщательно подобранное сочетание актуальности, историзма, тематическое разнообразие сделали прочным и плодотворным проект, который пользуется большим уважением и за пределами нашей Земли. Кроме того, Дни – результат тесного и творческого сотрудничества между землей Баден-Вюртемберг в лице Баденского государственного театра, который дополняет фестиваль, как всегда, важной собственной программой, и муниципалитетом города Карлсруэ. Поэтому Дни заслуживают финансовую поддержку правительства Земли. Этими словами я приветствую всех гостей 18-ых Дней европейской культуры и желаю им множества глубоких впечатлений! Проф. д-р Петер Франкенберг Министр наук, исследований и искусств земли Баден-Вюртемберг < 14 Grußwort Zum 18. Mal finden in Karlsruhe die Europäischen Kulturtage statt. Charakteristisch für dieses hochkarätige Festival ist die enorme Bandbreite der künstlerischen Gattungen, mit denen sich Kunstschaffende, Veranstalter sowie die Besucherinnen und Besucher mit historischen, gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen auseinandersetzen. Der große Kreis der bisherigen Kulturtagethemen wird nun um einen Höhepunkt erweitert. Thema wird die russische Metropole Moskau sein, eine Stadt, die im Osten in ganz besonderer Weise für die wechselvolle Geschichte Europas und den epochalen Wandel des Kontinents steht. Um den Stellenwert dieses großen Kultur-, Industrie-, Finanz- und Forschungszent- rums zu beleuchten, haben die Festival-Verantwortlichen wieder ein vielfäl- tiges Programm zusammengestellt, darunter profilierte Theatergastspiele, farbige Panoramen der Kunst, erstklassige Konzerte, Vorträge mit hoch- rangigen Referenten und anregende Literaturbegegnungen. Das wissen- schaftliche Symposium, das verschiedene gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart mit kulturgeschichtlichen Abläufen der Vergangenheit in Beziehung zu setzen versucht, bietet eine weitere Plattform für den inter- nationalen Diskurs. Mit ihrem unverwechselbaren Profil sind die Europäischen Kulturtage zu einem wichtigen Eckpfeiler der Kulturlandschaft Baden-Württemberg geworden. Ihre pointierte Mischung aus gezielter Aktualität, historischer Betrachtung und thematischer Vielfalt hat sich als höchst tragfähiges und ertragreiches Konzept bewährt und genießt über die Landesgrenzen hinweg großes Ansehen. Die Kulturtage sind außerdem das Ergebnis reibungs- loser Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg – und zwar in Gestalt des Badischen Staatstheaters, das traditionell wesentliche eigene Programmpunkte beisteuert – mit der Stadt Karlsruhe. Darum verdienen sie auch die Unterstützung der Landesregierung. In diesem Sinne wünsche ich den Besucherinnen und Besuchern der 18. Europäischen Kulturtage in Karlsruhe viele nachhaltige Kulturerlebnisse! Professor Dr. Peter Frankenberg Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg < 16 17 > Words of welcome The European Culture Days in Karlsruhe is being staged for the eigh- teenth time this year. One main feature of this high-profile festival is the enormous breadth of artistic genres with which the artists, organizers, and festival visitors are approaching historical, social, and political questions. The broad range of previous topics is now to be topped by yet another highlight. This year‘s main topic will be the Russian metropolis Moscow, a city that, especially in the East, is a symbol of Europe‘s turbulent his- tory and the momentous changes occurring on this continent. In order to illustrate the significance of this great cultural, industrial, financial and research center, the festival organizers have once again put together a multifarious program, including distinguished guest performances by theater companies, colorful art panoramas, first-class concerts, lectures by high-ranking speakers, and inspiring literary encounters. The scientific symposium seeking to relate various sociopolitical topics of the present to cultural-historical developments of the past offers yet another platform for international discourse. Thanks to its distinctive profile, the European Culture Days has become an important cornerstone in Baden-Württemberg’s cultural landscape. Its carefully selected mixture of deliberate topicality, historical considerati- on, and thematic variety has proven to be a highly sustainable and fruit- ful concept, enjoying high standing near and far. The European Culture Days owes its success to the smooth cooperation between the State of Baden-Württemberg – represented by the Baden State Theater, which traditionally contributes a considerable number of its own productions to the program – and the city of Karlsruhe. Therefore, backing by the state government is well deserved. I wish all visitors to the 18th European Culture Days in Karlsruhe many lasting cultural experiences! Prof. Dr. Peter Frankenberg Minister for Science, Research and Art of the State of Baden-Württemberg Mot de bienvenue C’est la dix-huitième fois que les Journées Européennes de la culture ont lieu à Karlsruhe. La marque distinctive de ce festival exceptionnel est l’impressionnante variété de formes d’expression artistique, grâce aux- quelles les créateurs, les organisateurs ainsi que celles et ceux qui assis- tent aux manifestations s’interrogent sur des questions de société et des problèmes historiques et politiques. La large palette de thèmes abordés jusqu’à présent s’enrichit d’un nou- veau point d’orgue. Moscou est à l’honneur, cette métropole russe qui est, à l’est, le symbole tout particulier de l’histoire agitée de l’Europe et du changement d’époque qu’a connu le continent. Pour éclairer l’importance de ce grand centre culturel, industriel, financier et scientifique, les respon- sables du festival ont une fois encore prévu un programme diversifié, qui comprend des représentations théâtrales originales par des troupes invi- tées, des aperçus tout en couleurs de l’évolution artistique, d’excellents concerts, des conférences données par des spécialistes prestigieux et des rencontres littéraires passionnantes. Le colloque scientifique, qui tente de mettre en relation des sujets de société actuels avec des problématiques culturelles empruntées au passé, offre un forum supplémentaire pour les échanges internationaux. Par leur caractère incomparable, les Journées Européennes de la cul- ture sont devenues un élément important du paysage culturel du Bade- Wurtemberg. La synthèse judicieuse entre actualité ciblée, perspective his- torique et diversité thématique s’est imposée comme un concept pertinent et fructueux et connaît une renommée qui dépasse les frontières du Land. Les Journées de la culture sont en outre le résultat d’une parfaite coo- pération entre le Land de Bade-Wurtemberg – par le biais du Badisches Staatstheater, qui, respectant ainsi la tradition, apporte ses contributions propres au programme – et la ville de Karlsruhe. C’est pourquoi ces Journées méritent aussi le soutien du gouvernement du Land. C’est dans cet esprit que je souhaite à celles et ceux qui assistent aux 18èmes Journées Européennes de la culture beaucoup de moments inou- bliables! Professor Dr. Peter Frankenberg Ministre chargé de la promotion des sciences, de la recherche et des arts du Land de Bade-Wurtemberg 19 >< 18 Zum Geleit »Jeder russische Mensch fühlt, wenn er auf Moskau blickt, dass es seine Mutter ist«, sagte der große russische Schriftsteller Lew Tolstoi. Diese Stadt hat denn auch viel mit Herz zu tun, sie ist das Herz eines großen Landes, sie präsentiert sich herzlicher denn je – kein Wunder, dass uns der Musiker und Schriftsteller Misha Feigin »Moscow by heart« im Jazzclub näher bringen möchte. Auch wir haben uns der alten russischen Kapitale mit Herzblut gewidmet, denn sie hat sich uns bei den Besuchen zur Vorbereitung der Europäischen Kulturtage Karlsruhe von ihrer faszi- nierenden Seite dargeboten, als pulsierende, lebendige, florierende Stadt, hungrig nach Veränderung, nach Kultur, nach Neuem. Moskau wandelt sich: keine Spur mehr vom Einheitsgrau der sowjetischen Vergangenheit. Selbst der Kreml scheint jetzt zu lächeln. Moskau ist eine Stadt, die ihre eigene Neugier unmittelbar auf den Besucher überträgt. Zum Beispiel Neugier auf das Thema Oper. Statt der staubigen Bolschoi-Tradition von einst setzen die Moskauer jetzt auf jugendliches, experimentierfreundliches Musiktheater. Mit dem Ensemble der »Novaja Opera« Moskau kommt eine Truppe nach Karlsruhe, die zu den vielversprechendsten Häusern ihrer Art in Russland zählt und mit der fantastischen Oper »Der Dämon« von Anton Rubinstein eine gera- dezu sensationelle Wiederentdeckung in einer ambitionierten, dynami- schen und musikalisch hochrangigen Inszenierung verspricht. Sie bietet zugleich die Gelegenheit zur spannenden Korrespondenz mit einer nicht minder anspruchsvollen Eigenproduktion des Badischen Staatstheaters: »Mazeppa« von Peter Tschaikowski bildet den glanzvollen Auftakt des Festivals und zugleich die überfällige Würdigung eines leider vernachläs- sigten Werks. Überhaupt: Prallvoll ist das russische Theaterangebot. Das Gastspiel des Moskauer Theaterstudios Pjotr Fomenko mit »Ein absolut glückliches Dorf« von Boris Wachtin und Lew Tolstois »Krieg und Frieden« setzt ebenso spannende Akzente wie die Uraufführung von Terence Kohlers Ballettnovität »Anna Karenina« als weitere Frucht der höchst erfolgreichen Karlsruher Compagnie unter Birgit Keil. Gefolgt von Anton Tschechows »Platonow«, ebenfalls ein Karlsruher Eigengewächs wie der bereits im Repertoire befindliche »Eugen Onegin«, der nunmehr aufschlussreiche Vergleiche mit »Mazeppa« erlaubt. Auch die russischen »NachtKlänge« mit Neuer Musik, das Filmspektakel »Panzerkreuzer Potemkin« mit der Filmmusik Schostakowitschs und der Badischen Staatskapelle sowie ein von kräftigen russischen Klangfarben getöntes Sinfoniekonzert der Gäste der »Novaja Opera« markieren einen entdeckenswerten Streifzug durch russische Musik und Opernkunst. Wie in den Vorjahren fügt sich das Theaterprogramm wieder nahtlos in das von städtischer Seite konzipierte Angebot der anderen Sparten. Auch hier locken attraktive und einzigartige Projekte wie etwa die Sonderausstellung »Bilder eines Reiches« im Zentrum für Kunst und Medientechnologie, wo das Leben im vorrevolutionären Russland in einer faszinierenden Bilderserie dokumentiert wird. Zusammen mit der ersten internationalen Einzelausstellung Victor Alimpievs, des großen Moskauers und Meisters eindrucksvoller Inszenierungen, im Badischen Kunstverein und einer ganzen Reihe weiterer Expositionen russischer Bilderwelten. Mit der führenden Pianistin und Klavierpädagogin Professor Elena Kuznetsova vom berühmten Moskauer Tschaikowski-Konservatorium als Gast der Musikhochschule, dem Jazz-Pendant Simon Nabatov im Jazzclub, dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg mit einem philharmo- nischen Exkurs zu Mussorgski und Tschaikowski über Rachmaninows »Ganznächtliche Vigil« bis hin zur 3. Karlsruher Komponistennacht im Zeichen von Schostakowitsch: Das Festival bietet Ihnen ein breitgefächer- tes musikalisches Panorama im Zeichen russischer Klangkunst! Viel Gewicht hat erneut die Literatur als weiterer Schwerpunkt. Le- sungen z.B. mit Wladimir Kaminer, Vorträge aller couleur und schließlich das Internationale wissenschaftliche Symposium, das mit dem zentralen Thema »Moskau – das Dritte Rom« den historischen Kern des Festivals trifft. Erneut wurden namhafte und kompetente Teilnehmer aus Kunst und Wissenschaft dazu eingeladen, um einen ausgesprochen komplexen Themenkreis zu diskutieren. Das deutsch-russische Verhältnis bildet dabei nur eine von vielen spannenden Fragestellungen. Die Filmstadt Moskau soll reflektiert werden, bei der Volkshochschule reichen die Beiträge vom Ikonen-Mal-Workshop bis zum Literaturcafé, Varieté der Weltklasse im Tollhaus und eine Designer-Modenschau im Modehaus Schöpf setzen schillernde Facetten. Die Europäischen Kulturtage gehen tatenfroh, ideenreich und opti- mistisch in ihre 18. Runde. Allen Beteiligten, sowohl unseren zahlreichen russischen Gästen, den Künstlern und Wissenschaftlern aus Karlsruhe und allen Besucherinnen und Besuchern wünschen wir unvergesssliche Fest- spielerlebnisse! Dr. Michael Heck Achim Thorwald Kulturreferent Generalintendant des der Stadt Karlsruhe Badischen Staatstheaters Karlsruhe 21 >< 20 К содержанию фестиваля «Глядя на Москву каждый русский человек чувствует, что она его мать» сказал великий русский писатель Л. Н. Толстой. В самом деле этот город – сердце огромной страны, он проявляется нам со всей сердечностью. Нас поэтому не поражает, что музыканту и писателю Михаилу Фейгину хочется познакомить нас в джазовом клубе с «Moskow by heart». И мы посвящаем себя с большой страстью старой русской столице так как во время нашего пребывания при подготовке к Дням европейской культуры мы имели возможность познакомиться с этим бурным, живым, цветущим городом, который жаждет изменений, культуры, нового. Москва изменяется: полностью исчезла монотонность советского прошлого. Кажется, что даже Кремль улыбается. Москва это город чье любопытство отражается в его гостях. Например, любопытство на тему «опера». Вместо старых традиций Большого театра москвичи предпочитают молодой музыкальный театр, открытый для экспериментов. Московский ансамбль «Новая опера», который приедет в Карлсруэ, считается одним из самых многообещающих трупп своего рода в России. Он продемонстрирует нам настоящую сенсационную находку в амбициозной, динамичной и чрезвычайно музыкальной постановке фантастической оперы Антона Рубинштейна «Демон». Одновременно это даст возможность сравнения с одной не менее замечательной постановкой Баденского государственного театра, «Мазепа». Эта опера Чайковского является блестящим открытием фестиваля и одновременно заслуженным поздним признанием этого за долгое время забытого произведения. В самом деле, панорама театральных постановок очень богата. Гастроли московского театра Петра Фоменко, который познакомит нас с пьесами «Одна абсолютно счастливая деревня» Бориса Вахтина и «Война и мир» Льва Толстого, будут кульминационными пунктами Дней наряду с премьерой балета Теренса Колера «Анна Каренина» результатом работы успешного балетного ансамбля под руководством Биргит Кайл. Дальше исполняется опера «Платонов» которая как и «Евгений Онегин» является собственной постановкой Баденского государсвенного театра Карлсруэ. «Евгений Онегин» уже находится в нашем репертуаре и позволяет интересные сравнения с постановкой «Мазепы». Русские «Ночные звоны» т. н. Новой музыки, показ фильма «Броненосец Потемкин» с музыкой Шостаковича в исполнении Баденского государственного оркестра, симфонический концерт с выразительными русскими звуковыми оттенками в исполнении гостей «Новой оперы» подарят нам интересные моменты при посещении русских опер и концертов. Как и в прошлые годы театральная программа гармонично сочетается с организованной муниципалитетом Карлсруэ программой в других областях. Есть увлекательные и уникальные проекты, как напр., специальная выставка «Картины империи» в Центре Искусства и Медиатехнологии, где изображается в захватывающих картинах «Жизнь в дореволюционной России». В Баденском объединении искусств показывается первая персональная выставка Виктора Алимпиева, великого московского автора выразительных инсценировок вместе с некоторыми выставками русского быта. Фестиавль предлагает Вам крайне богатую панораму русского музыкального искусства: выдающегося педагога по фортепьяно, профессора Елену Кузнецову из знаменитой московской консерватории им. Чайковского; Симона Набатова в джазовом клубе; молодежный оркестр земли Баден-Вюртемберг с филармоническим экскурсом по Мусоргскому и Чайковскому о «Всенощном бдении» Рахманинова; «Третью ночь композиторов», посвященную Шостаковичу. Литература по-новому является важной программой Дней. Чтения Владимира Каминера, разные доклады и в конце концов международный научный симпозиум на центральную историческую тему: «Москва – Третий Рим». Опять приглашены известные компетентные участники из областей искусств и наук чтобы общаться на эту крайне сложную тему. Русско-немецкие отношения обсуждаются здесь лишь как один из многих интересных вопросов. Отражена и роль Москвы как центра кинематографии. Народный университет города Карлсруэ предоставляет разные проекты, от курса «Как писать иконы» до «Литератуного кафе». Дальше театр-варьете мирового ранга в Толлхаузе и показ моделей в Доме мод Шепф. Устроители фестиваля со смелостью, с большим энтузиазмом и со многими новыми идеями осуществляют реализацию Дней европейской культуры. Всем участникам, всем нашим многочисленным русским гостям, всем художникам, артистам и ученым из Карлсруэ, всем нашим посетителям желаем мы незабываемых моментов. Д-р Михаил Хек Ахим Торвальд Заведующий отделом Главный управляющий культуры государственным театром земли Баден-Вюртемберг 23 >< 22 Foreword «When looking at Moscow, every Russian person feels that it is his or her mother,« the great Russian author Leo Tolstoy once said. It is obvious that this city thus has much to do with the heart; it is the heart of a large country, presenting itself more wholeheartedly than ever – no wonder then that musician and author Misha Feigin would like to introduce us to «Moscow by Heart« at Jazzclub. We have also heartily dedicated oursel- ves to this old Russian capital, a city that showed itself from its most fascinating side during our visits to it in preparation for the European Culture Days in Karlsruhe – as a pulsating, lively, flourishing city, hungry for change, for culture, and for that which is new. Moscow is changing: There is no longer any trace of the uniform grey of its Soviet past. Even the Kremlin seems to be smiling these days. Moscow is a city that relays its own curiosity directly to the visi- tor. A good example is its curiosity with regard to opera. Instead of the dusty Bolshoi tradition of yore, Moscow now puts its money on youthful, experimental musical theater. The Novaja Opera Moscow is an ensemble coming to Karlsruhe that is one of the most promising of its kind in Russia, and with Anton Rubinstein’s fantastic opera The Demon, it promises the absolutely sensational rediscovery of an ambitioned, dynamic, and musi- cally high-quality production. At the same time, it offers the opportunity of exciting correspondence with a no less demanding production of the Baden State Theater: »Mazeppa« by Peter Tchaikovsky fervently marks the festival’s opening, at the same time doing long overdue honor to an unfortunately overlooked work. And in general, our Russian theater offerings are absolutely bursting at the seams. The guest performance of the Moscow theater studio Piotr Fomenko with »An Absolutely Happy Village« by Boris Vachtin and Leo Tolstoy’s »War and Peace« are just as exciting as the premiere of Terence Kohler’s new ballet »Anna Karenina«, another of the highly successful Karlsruhe Compagnie’s performances under Birgit Keil. Followed by Anton Chekhov’s »Platonov«, another of Karlsruhe’s own productions, as is »Eugen Onegin«, already found in the repertoire, a work that allows instructive comparisons with »Mazeppa«. Russian »night sounds« fea- turing new and modern music, the film spectacle »Battleship Potemkin« with film music by Shostakovich and the Badische Staatskapelle as well as a symphony concert full of strong Russian tone coloring by Novaja Opera comprise an expedition through Russian music and opera well worth discovering. As in previous years, the theater program fits in seamlessly with the festival’s other sections as conceived by the city. Here, as well, one will find attractive and unique projects such as the special exhibition «Pictures of an Empire« at the ZKM Center for Art and Media, where life in pre-revo- lution Russia is documented in a fascinating series of pictures. Together with the first international individual exhibition of Victor Alimpiev, that great Muscovite master of impressive productions, at the Badische Kunst- verein (Baden Art Society) and a whole row of other expositions featuring Russian photographic worlds. Leading pianist and piano pedagogue Professor Elena Kuznetsova of the famed Tchaikovsky Conservatory in Moscow performs as a guest of the college of music, jazz counterpart Simon Nabatov plays at Jazzclub, the State Youth Orchestra Baden-Württemberg features a philharmonic excurse to Mussorgski and Tchaikovsky via Rachmaninoff’s «All-Night Vigil,« and the third Karlsruhe Composer Night falls under the sign of Shostakovich. You see that the festival offers a wide musical panorama under the sign of Russia’s art of melody-making! Literature is once again a weighty topic with readings such as that of Vladimir Kaminer, lectures of every shape and size, and finally the International Scientific Symposium, which hits the historical core of the festival with its central topic «Moscow – the Third Rome.« Once again, reputable and competent participants from the worlds of art and sci- ence were invited to discuss a pronouncedly complex circle of topics. The German-Russian relationship is only one of the many exciting topics to be parleyed here. Moscow as a city of film will also be reflected upon; the adult education center’s contributions extend from an icon painting workshop to a litera- ture café; Tollhaus will show world-class variety theater; and Modehaus Schöpf will hold a designer fashion show, each adding interesting facets to the whole. The European Culture Days go actively, full of ideas, and optimistically into its eighteenth edition. We hope for an unforgettable festival experi- ence for all participants, our numerous Russian guests, Karlsruhe’s artists and scientists, and all visitors! Dr. Michael Heck Achim Thorwald Head of Culture Director of the Badisches Staatstheater Karlsruhe 25 > ment l’intérêt, comme par exemple l’exposition temporaire »Images de l’Empire« au Zentrum für Kunst und Medientechnologie, où la vie dans la Russie pré-révolutionnaire est représentée dans une série fascinante de projets photographiques. En même temps que la première exposition inter- nationale consacrée à Victor Alimpiev, le grand artiste moscovite passé maître pour les installations impressionnantes, au Badischer Kunstverein et parallèlement à beaucoup d’autres expositions dédiées aux mondes russes des images. Avec l’éminente pianiste et professeure de musique Elena Kuznetsova, du célèbre conservatoire moscovite Tchaïkovski, invitée par le conserva- toire supérieur de musique, avec son pendant en jazz, Simon Nabatov, au Jazzclub, avec l’orchestre de jeunes talents du Land de Bade-Wurtemberg avec un itinéraire philharmonique qui mène à Moussorgski et Tchaïkovski en passant par les »Vêpres« de Rachmaninov et, enfin, avec la Troisième nuit des compositeurs de Karlsruhe, placée sous le signe de Chostakovitch: Le festival vous propose un panorama musical aux multiples facettes pour découvrir la virtuosité sonore russe ! Une fois encore, la littérature occupe une place de choix. Des lectures, comme par exemple celle de Vladimir Kaminer, des conférences innom- brables et enfin le congrès scientifique international qui est consacré au thème central »Moscou – La troisième Rome« et qui traite du noyau historique du festival. Une nouvelle fois, on a pu inviter des participants réputés et compétents, venus du domaine artistique et scientifique, pour discuter d’un ensemble de thèmes particulièrement complexes. Les rela- tions germano-russes ne seront qu’une des nombreuses problématiques passionnantes qu’on y abordera. Moscou, ville du film, fera l’objet de manifestations ; à la Volkshoch- schule, les activités iront de l’atelier de peinture consacré aux icônes jusqu’au café littéraire ; un spectacle de music-hall de grande classe au Tollhaus et un défilé de mode de grands couturiers au Modehaus Schöpf constitueront d’autres événements exceptionnels. Les Journées européennes de la culture sont en route pour leur 18e édi- tion, avec enthousiasme, d’innombrables idées et beaucoup d’optimisme. À tous les participants, aussi bien à nos nombreux hôtes russes, aux artistes et aux scientifiques de Karlsruhe et à toutes celles et ceux qui assisteront aux manifestations, nous souhaitons des moments inoubliables lors de ce festival ! Dr. Michael Heck Achim Thorwald Directeur du service Directeur du culturel de la ville de Badisches Staatstheater Karlsruhe de Karlsruhe < 24 Avant-propos »En regardant Moscou, chaque Russe sent au fond de lui-même que la ville est sa mère«, disait le célèbre écrivain russe Léon Tolstoï. D’ailleurs, la ville est vraiment une affaire de cœur, puisqu’elle constitue le cœur d’un pays immense et qu’elle ne s’est jamais présentée sous un visage aussi cordial qu’aujourd’hui. Il n’est donc pas surprenant que le musicien et écrivain Misha Feigin veuille nous faire découvrir »Moscow by heart« au Jazzclub. Nous aussi, nous nous sommes consacrés de tout cœur à la capitale russe, dans la mesure où, lors de chacun de nos déplacements en vue de préparer les Journées européennes de la culture de Karlsruhe, elle s’est présentée sous ses atours les plus fascinants – une ville trépidante, vivante, florissante, assoiffée de changements, de culture, de nouveauté. Moscou est en pleine mutation : il ne reste plus aucune trace de la grisaille uniforme de son passé soviétique. Même le Kremlin semble sourire. Moscou est une ville qui partage sa propre curiosité avec le spectateur. La curiosité que suscite l’opéra, par exemple. Laissant derrière eux la tradition poussiéreuse du Bolchoï en vigueur jadis, les Moscovites misent sur un théâtre musical jeune et expérimental. Ainsi, en invitant la troupe du Novaïa Opera de Moscou, Karlsruhe accueille l’un des ensembles russes les plus prometteurs, qui propose, avec l’opéra fantastique »Le Démon« d’Anton Rubinstein, une redécouverte tout simplement sensationnelle dans une mise en scène ambitieuse, dynamique et d’une qualité musicale remar- quable. Cette représentation sera l’occasion d’établir des correspondances passionnantes avec une production tout aussi exigeante du Badisches Staatstheater : »Mazeppa« de Piotr Tchaïkovski constitue la somptueuse ouverture du festival qui permettra en outre de rendre hommage à une œuvre trop longtemps négligée. De manière générale, la sélection de spectacles théâtraux est très riche : la production du studio théâtral Piotr Fomenko »Un village abso- lument heureux« d’après Boris Vakhtine et »Guerre et paix« de Léon Tolstoï sont aussi passionnants que la création d’»Anna Karénine«, un ballet novateur de Terence Kohler, qui est une nouvelle fois le fruit du travail fourni par la compagnie de Karlsruhe sous la direction de Birgit Keil. Suivis de »Platonov« d’Anton Tchékov, également une production locale au même titre qu’ »Eugène Onéguine«, qui est déjà au répertoire, qui permet désormais des comparaisons éclairantes avec »Mazeppa«. De même, le cycle »NachtKlänge« avec de la musique contemporaine russe, le spectacle cinématographique »Le Cuirassé Potemkine« avec la musique de Chostakovitch et de l’orchestre Badische Staatskapelle ainsi qu’un concert symphonique aux puissantes sonorités russes donné par les hôtes du Novaïa Opera présentent un bel aperçu pour partir à la découverte de la musique et de l’opéra russes. Tout comme lors des éditions précédentes, le programme théâtral s’intègre à nouveau parfaitement dans l’offre culturelle génerale, conçue par la Ville. D’autres projets séduisants et originaux suscitent égale- 27 >< 26 BORIS GROYS Postkommunistische Privatisierungen Die heutige russische Kunst operiert weitgehend mittels der indivi- duellen Appropriierung des kollektiven seelischen und symbolischen Erbes der sowjetischen Kultur. Dadurch ist sie freilich der westlichen Kunst der Postmoderne nicht unähnlich. Denn die Appropriation, oder Aneignung oder, wenn man will, Privatisierung fungiert ohnehin als lei- tendes Kunstverfahren im Kontext der internationalen Gegenwartskunst. Die meisten Künstler appropiriieren heute unterschiedliche historische Stile, religiöse oder ideologische Symbole, massenproduzierte Wahren, weitverbreitete Werbung, aber auch die Arbeiten der einzelnen berühmten Künstler. Die Kunst der Appropriation versteht sich dabei als Kunst nach dem Ende der Geschichte: Es handelt sich nicht mehr um die individu- elle Produktion des Neuen, sondern um die Verteilungskämpfe, um den Streit über die Eigentumsrechte, um die Chance des Individuums auf die Akkumulation des privaten symbolischen Kapitals. Alle von der heuti- gen Kunst appropriierten Bilder, Objekte, Zeichen und Stile zirkulieren nämlich ursprünglich als Wahren innerhalb eines Marktes, der von pri- vaten Interessen immer schon dominiert wird. So wirkt die künstlerische Appropriation in diesem Kontext aggressiv und subversiv – als eine Art symbolischer Piraterie, die sich an der Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem bewegt und die Umverteilung wenn nicht des realen, dann zumindest des symbolischen Kapitals erprobt. Die russische post-kommunistische Kunst appropriiert dagegen aus dem riesigen Fundus der Bilder, Zeichen und Texte, die eigentlich nie- mandem mehr gehören – und als kollektives Erbe aus den Zeiten des Kommunismus ganz ruhig auf dem Müllhaufen der Geschichte liegen, statt in kommerziellen Informationsnetzen heftig zu zirkulieren. Die postkom- munistische Kunst hat nämlich ebenfalls ein Ende der Geschichte hinter sich aber es handelt sich nicht um das liberal-kapitalistische, sondern um das sozialistische Ende der Geschichte. Die eigentliche Zumutung des realen Sozialismus stalinistischer Prägung bestand doch gerade in der Behauptung, dass in der Sowjetunion der Klassenkampf, die Revolution und sogar jede Art gesellschaftlicher Kritik an ihr historisches Ende ange- langt sind dass die Erlösung aus der Hölle der Ausbeutung und des Krieges immer schon stattgefunden hat. Die realen Zustände in der Sowjetunion wurden als identische mit den idealen Zuständen nach dem Endsieg des Guten über das Böse proklamiert. Der reale Ort, an dem sich der sozi- alistische Lager etabliert hat, wurde zum Ort der realisierten Utopie ausgerufen. Man braucht und brauchte schon damals keine besondere Anstrengung oder Einsicht, um zu beweisen, dass diese Behauptung eine kontrafaktische ist, dass die offizielle Idylle staatlich manipuliert ist, dass der Kampf weiter geht, sei es der Kampf für das eigene Überleben, sei es der Kampf gegen die Repression und Manipulation, sei es die permanente Revolution. Und trotzdem: Die berühmte Behauptung »Es ist vollbracht« ist genau- so unmöglich mit dem bloßen Verweis auf die faktischen Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten aus der Welt zu schaffen, wie die nicht weniger berühmten Lehrsätze »Athman ist Brahman« und »Sansara ist Nirvana«. Nun ist die postkommunistische Kunst eine solche, die aus dem einen Zu- stand nach dem Ende der Geschichte in den anderen Zustand nach dem Ende der Geschichte geraten ist – aus dem realen Sozialismus in den postmoder- nen Kapitalismus. Oder: Aus der Idylle der universalen Enteignung nach dem Ende des Klassenkampfes in die endgültige Resignation hinsichtlich der schlechten Unendlichkeit, in der sich die immer gleichen Verteilungs-, Appropriations- und Privatisierungskämpfe permanent wiederholen. Die westliche künstlerische Postmoderne, die diese schlechte Unendlichkeit reflektiert und zugleich genießt, will sich manchmal kämpferisch, manch- mal zynisch – aber auf jeden Fall kritisch zeigen. Die postkommunistische Kunst erweist sich dagegen als immer noch in der kommunistischen Idylle tief verankert – sie privatisiert und erweitet diese Idylle, statt ihr zu ent- sagen. Deswegen scheint die postkommunistische Kunst oft zu harmlos, zu wenig kritisch und radikal zu sein. Und in der Tat: Sie folgt der uto- pischen Logik der Inklusion, nicht der realistischen Logik der Exklusion, des Kampfes, der Kritik. Es handelt sich hier um die erweiterte Logik der kommunistischen Ideologie, die international sein wollte und eine dialek- tische Einheit aller Gegensätze angestrebt hat – aber letztendlich doch in den Konfrontationen des Kalten Krieges steckengeblieben ist, indem sie sich gegen alle Zeichen des westlichen Kapitalismus gewehrt hat. So wollte schon die unabhängige, inoffizielle Kunst des späten Sozialismus das Ende der Geschichte noch konsequenter denken und die Utopie der friedlichen Koexistenz aller Völker, Kulturen und Ideologien sowohl auf den kapitalistischen Westen, wie auch auf die vergangene, vorkommunis- tische Geschichte ausdehnen. Solche russischen Künstler der 60er-70er Jahre, wie Ilya Kabakov oder Vitali Komar und Alexander Melamid, ver- folgten immer schon die Strategie einer solchen konsequenten Inklusion: Sie schufen Räume einer künstlichen Idylle, in denen Zeichen, Bilder und Texte friedlich koexistieren konnten, die in der politischen Realität des Kalten Krieges als unvereinbare empfunden wurden. Die künstlerischen Strategien der ideologischen Versöhnung jenseits der Gräber des Kalten Krieges haben damals eine erweiterte und radikalisierte Utopie angekün- digt, die auch ihre Feinde in sich miteinschliessen wollte. Diese Politik der Inklusion haben viele russische und osteuropäische Künstler auch nach der Auflösung der kommunistischen Regime weiterverfolgt. Diese Art radika- lisierter utopischer Inklusivität wurde oft als Ironie missverstanden – es handelte sich aber vielmehr um eine posthistorische Idylle, die nicht nach den Differenzen, sondern nach den Analogien suchte. < 28 29 > SUSANNE LAUGWITZ Von Katalonien nach Moskau Innere und äußere Wege eines Festivals Bis in unwegsames Gelände führten sechs Wochen Kulturprogramm. Entlegene Pyrenäentäler öffneten sich für mystische Entdeckungen, Sprache entpuppte sich als linguistisches Abenteuer, Politik als Folge tragischer Wechselfälle, Konflikte und Zuspitzungen, Kunst und Musik als vitaler Spiegel eines spannenden Kapitels unseres Kontinents. Das außergewöhnliche Thema »Katalonien« 1983 als Programm an sich: keine ausgetretenen Pfade, keine vordergründigen Effekte, kein Starrummel, kein kultureller Massenkonsum, keine organisatorische Bequemlichkeit – stattdessen Lust auf Neuland, beflügelnde Neugier, Offenheit für alles Fremde, thematische Vielfalt mit kritischem Weitblick. Ein Anfang war gemacht, ein Festival geboren: die Europäischen Kul- turtage Karlsruhe. Das Wagnis des Jahres 1983 hat sich im Rückblick mehr als gelohnt, auch strukturelle Täler und wirtschaftliche Prüfstände wurden bewältigt in all den Jahren bis heute. Es gab ein erstes Emblem: Ein bunter Leuchtpfeil vor offenem Him- mel, zuversichtlich und selbstbewusst. Er prägte sich ein und stand für Kreativität, Kontinuität, Kompetenz, Kooperation. Nur diesen Konstanten verdankt die Reihe ihre beständige Präsenz im kulturellen Spektrum von Karlsruhe. Kreativität: Die Europäischen Kulturtage stecken geistige Räume ab. Der Wechsel zwischen örtlich definierten Themen und übergeordneten Größen europäischer Geschichte ermöglicht mehrdimensionale Perspektiven. Und damit auch Programme, die viele Menschen, jung und alt, aus nah und fern ansprechen. Die wachsenden Besucherzahlen belegen, dass die Europäischen Kulturtage von Jahr zu Jahr auf größeres Interesse stoßen. Im breiten Panorama zwischen Klassik und Jazz, alter und neuer Kunst, wissenschaftlichen Symposien und zeitgenössischem Theater findet ein bunt gemischtes Publikum jeglicher Herkunft spezifische Anregungen. Das Spektrum soll allen zugänglich sein. Und so ergeben sich im Konzert der Künste immer neue, anregende und herausfordernde Festspielfixpunkte. Und neue Formen der Vermittlung, die seit dem Start des Großevents hinzu gekommen sind. Modernes Stadtmarketing hat längst erkannt, dass die Kultur zu den wesentlichen Faktoren florierender Stadtentwicklung gehört. Die Europäischen Kulturtage haben in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleis- tet, von der Kinowerbung bis zum Internetauftritt erstreckt sich ein detail- lierter Werbeplan, der die interessierte Öffentlichkeit frühzeitigst infor- miert und die eher Kultur-Abstinenten mit neuen Präsentationsangeboten auf unbekanntes Terrain lockt. Kultur ist der Motor der Zukunft, erst recht im Image-Profil dieser Stadt und im reichen Panorama des Landes Baden-Württemberg. Kontinuität: Der Weitblick der Initiatoren der frühen achtziger Jahre, die Europäischen Kulturtage Karlsruhe als Gegenmuster zu flüchtigen Event-Konzepten als dynamische Kulturplattform im Reigen des Karlsruher Kulturpanoramas zu verankern und sie damit zu einem entwicklungs- und ausbaufähigen Kernelement städtischer Kulturpolitik zu machen, wurde mit reicher Ernte belohnt. Im Rückblick ergibt sich ein komplexer the- matischer Zusammenhang europäischer Geschichte und Gegenwart, der dank nachhaltiger Strukturen im Lauf nahezu eines Vierteljahrhunderts zusehends an Dynamik gewonnen hat. Erst im Kontext früherer Festivals schärft sich das Profil des aktuellen Programms: »Moskau«, Mittelpunkt der Europäischen Kulturtage 2006, gerät vor dem Hintergrund früherer thematischer Schwerpunkte wie etwa »Gegenwart« (1988), »Widerstand« (1994), »St. Petersburg« (1996) und auch den gleichsam synoptischen Zyklen um das »KunstStück Zukunft« (2000) und »Mythos Europa?« in ein noch brisanteres Schlaglicht. Aber Kontinuität bedeutet nicht bloß die Wiederholung erfolgreicher pro- grammatischer Grundmuster, sondern auch Zuwachs und Wandel. Gerade aus dem Prinzip der Verzahnung städtischer Kulturressourcen beziehen die Kulturtage nunmehr seit mehreren Jahrzehnten fließende Quellen. Der Versuch, auf aktuelle Prozesse der Stadtentwicklung und der Kulturszene einzugehen, auch neue Partner für die gemeinsame Anstrengung höchster Vielfalt zu gewinnen, machen Flexibilität zur Grundvoraussetzung. Ein zentrales Beispiel hierfür ist das in wenigen Jahren zur Weltspitze aufge- stiegene Zentrum für Kunst und Medientechnologie, das sich dem Festival immer bereitwillig öffnete, Gastgeber und Gast zugleich war. Das ZKM, in einem sowohl funktional wie architektonisch vorbildlich wiederbelebten Industriedenkmal und in einem Stadtteil angesiedelt, der dadurch erheb- lich an Bedeutung gewonnen hat, markiert zugleich eine ideelle urbane Kulturlandschaft. Somit berühren die Europäischen Kulturtage nicht nur die historisch-politischen Koordinaten Europas, sondern auch den dynami- schen städtischen Kulturraum. Kompetenz und Kooperation: Der vorzügliche Ruf und die führende Position vieler Karlsruher Kulturinstitutionen gehören zum Fundament des Festivals, das durch den Beteiligten-Kreis aus städtischen und landeseige- nen Institutionen das vom Deutschen Städtetag formulierte Ideal der Ver- netzung städtischer Kulturkräfte kongruent erfüllt. An erster Stelle steht hierbei ein außergewöhnliches Trägerschaftsmodell des Gesamtereignisses: Die Stadt Karlsruhe und das Badische Staatstheater präsentieren die Kul- turwochen als gemeinsam Verantwortliche für Programminhalt wie Ma- nagement. Jahrelange vertrauenschaffende Zusammenarbeit haben zur Potenzierung dieser partnerschaftlichen Kräfte geführt. Ein empfehlens- wertes Modell für viele Bereiche! In ihren Themenstellungen reflektieren die Europäischen Kulturtage auch die Brüche, Widersprüche und Kontraste des Kontinents Europa. Es bieten sich nicht nur Podien zur geistigen Auseinandersetzung, son- < 30 31 > dern auch Orte der menschlichen Begegnung. Die Weltoffenheit einer Stadt spiegelt sich auch in der Vielfalt der Völker und Nationen, die sie bereits als Gäste empfangen hat. Katalonien war das erste von vielen Beispielen, zu denen auch die Slowakei, die Türkei und Russland gleich mehrfach gehören. Ebenso Estland, 1992 Thema des Festivals. Aus der Begegnung mit dem kleinen baltischen Staat, der damals ums politische Überleben kämpfte, entwickelte sich ein dauerhafter, fruchtbarer und freundschaftlicher Austausch: Die damaligen Europäischen Kulturtage führten zur Gründung der Deutsch-Estnischen Gesellschaft in Karlsruhe, die bis heute die internationalen menschlichen Kontakte pflegt – und nütz- liche, in Form von Stipendien für junge Esten, die in Deutschland studie- ren. Nachhaltigkeit in Reinform. In den Programmzyklen spiegelt sich auch ein »gehen mit der Zeit«. Dafür steht beispielhaft St. Petersburg, Modellfall für einen thematischen roten Faden. 1990, als es um das Themendoppel »Städtegründungen – Gründungs- städte« ging, gehörte die faszinierende Zarenstadt an der Newa schon ein- mal zum Gegenstand des Programms, hieß damals aber noch Leningrad. In den Programmbüchern, die ein kleines und aufschlussreiches Kompen- dium geraffter Europäischer Kulturgeschichte bieten, lässt sich die Spur der stürmischen Entwicklung dieses Knotenpunkts jüngster kontinenta- ler Zeitgeschichte verfolgen. Wie eine geseufzte Liebeserklärung klang 1990 die poetische Huldigung des Schriftstellers und Wissenschaftlers Lev Uspenskij an seine Heimatstadt, die mit der Erfahrung des chao- tischen Revolutionsjahrs 1917 und der katastrophalen Blockade wäh- rend des Zweiten Weltkriegs wie kaum eine andere Metropole noch heute die Narben der Welthistorie trägt. Sechs Jahre später schon fügte Karl Schlögel in seinem ausführlichen Aufsatz »Ach, Sankt Petersburg« dem melancholisch-verzaubernden Porträt dieser Stadt einen weiteren Stoßseufzer hinzu, nunmehr im Lichte der plötzlich und radikal veränder- ten Verhältnisse. Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend betraten auch die Europäischen Kulturtage Neuland. Das äußere Erscheinungsbild, nunmehr im Zeichen von Rottönen im Baukastensystem von Überschneidung und Verflechtung, deutete den Willen, die Dynamik veränderter Zeitströmungen und immer neue Formen der Kulturvermittlung aufzugreifen. Das Stichwort »KunstStück Zukunft« markierte im Jahr 2000 zugleich auch die Neuori- entierung des Festivals, das seinen Fokus verstärkt auf »Künftige Optionen und Konditionen der Kunst« (so ein Aufsatz von ZKM-Vorstand Peter Weibel) richtet. Mit dem Schwerpunkt »Mythos Europa?« trat 2002 die Herausforderung des Generalthemas auf den Plan. Mehr denn je geht es dabei um den Dialog der Künste. Das Badische Staatstheater, das seit je die interessantesten Blüten der zeitgenössischen europäischen Theaterszene sondierte und nach Karlsruhe brachte, berei- chert damit künstlerische Tiefe und Internationalität der Reihe. Bleibenden Eindruck hinterließen spektakuläre Uraufführungen wie etwa die Oper »Graf Mirabeau« von Siegfried Matthus zum Thema »Französische Re- volution« 1989. So ermöglichten die vielfältigen Kontakte des Badischen Staatstheaters, aber auch der Musikhochschule und zahlreicher ambi- tionierter Ensembles der Stadt Querschnitte durch die Musikpflege der Zeit und des Kontinents. Singuläre Größen wie Wolfgang Rihm haben das Klang-Gesicht des Festivals ebenso mitgeprägt wie die zahllosen zeit- genössischen Komponisten aus aller Herren Länder, die unmittelbares Erleben Neuer Musik ermöglichten. Hort der Konzentration war und ist der Brückenschlag von West nach Ost. Nach dem beziehungsreich im Tableau europäischer Zentralpunkte beleuchteten Thema »Istanbul« vor zwei Jahren ergibt sich nun, zu dem vor über 20 Jahren begonnenen Prozess europäischer Erkundungen im Osten, mit »Moskau« die konzentrische Zuspitzung dieser Programmlinie und zugleich die Öffnung der Perspektive auf eine machtvolle »Trilogie der europäischen Geistesgeschichte« (Michael Heck), die später mit dem Thema »Rom« gekrönt werden soll. Moskau nun selbst, der Leuchtturm des Festivals 2006, ist die größte Stadt Europas. Sie hat 11 Millionen Einwohner, 15 Millionen mit den Randbezirken, der Autobahnring um die Stadt ist 109 km lang, es gibt dort 7 Kopfbahnhöfe und 4 Internationale Flughäfen. Als Kulturmetropole wartet die russische Hauptstadt z.B. mit 600 Theatern auf, darunter sieben Opernhäusern. Ein unüberschaubares Geflecht aus kunstvollen Strömungen und kreativen Gedankenflüssen, an dessen Ufer wir uns 23 Jahre nach »Katalonien« gemeinsam stellen wollen, um im Banne des vermittelnden Mediums der Kunstsparten diesen irisierenden Geist aufzu- nehmen, und einer prägenden Sprache europäischer Kultur und Identität zu lauschen, die sich mit unseren eigenen inneren Stimmen mischt. < 32 33 > BADISCHES STAATSTHEATER KARLSRUHE < 34 35 > THEATER Badisches Staatstheater Karlsruhe 18. Europäische Kulturtage Karlsruhe 2006 »Moskau« 22. April - 13. Mai 2006 Badisches Staatstheater Karlsruhe Generalintendant Achim Thorwald Verwaltungsdirektor Wolfgang Sieber Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Organisation: Dr. Jörg Rieker Simone Voggenreiter Petra Clemens Ingeborg Falke Gastspielkoordination: Sabine Bergmann M.A. Wolfgang Hilsenbek In Zusammenarbeit mit: < 36 37 > Eröffnung der Foto-Ausstellung Das neue Moskau Новая Москва Die Fotografien dieser Ausstellung vermitteln einen einzigartigen Eindruck, in welch kurzer Zeit sich das Erscheinungsbild Moskaus gewan- delt hat. Dabei hat sich der moderne Städtebau immer am Erhalt der architektonischen Besonderheiten und der Natur Moskaus orientiert. Musikalische Umrahmung: Balalaika-Orchester Iwuschka Mazeppa Мазепа Oper in drei Akten von Peter I. Tschaikowski – in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln Text von Wiktor Burenin nach dem Poem »Poltawa« von Alexander Puschkin, überarbeitet vom Komponisten Musikalische Leitung: Uwe Sandner Regie: Dominik Neuner Bühne: Roland Aeschlimann Kostüme: Ute Frühling Choreografie: James Sutherland Chor: Carl Robert Helg Mit: Mazeppa (Walter Donati / Edward Gauntt), Wassilij Leóntjewitsch Kotschubéj (Konstantin Gorny / Luiz Molz), Ljubóff, dessen Frau (Wilja Ernst-Mosuraitis), Maria Wassiljewna, seine Tochter (Barbara Dobrzanska / Rosita Kekyte), Andrej (Ks. Klaus Schneider / Mauro Nicoletti), Filipp Orlik, Vertrauter und Geheimagent Mazeppas (Mika Kares / Ulrich Schneider), Iskra, Oberster von Poltáwa (Ks. Hans-Jörg Weinschenk / John Pickering), Ein betrunkener Kosak (Michael Berner) Eintritt: 13,50 D bis 46,50 D (Premiere A) 8,50 D bis 30 D Die Handlung dieser selten aufgeführten Tschaikowski-Oper spielt zu Anfang des 18. Jahrhunderts in der Ukraine. Maria, die junge und schöne Tochter Kotschubejs, hat ein Liebesverhältnis mit dem wesentlich älte- ren Hetman Mazeppa. Der junge Andrej hingegen stößt bei Maria auf keine Gegenliebe. Mazeppa wirbt bei seinem Freund Kotschubej um die Hand der Tochter, wird jedoch auf Grund seines hohen Alters abgewiesen. Maria verlässt daraufhin mit Mazeppa gegen den Willen der Eltern ihr Zuhause. Jetzt will Kotschubej nur noch eines: Mazeppa vernichten. Als Hetmans langjähriger Freund und Vertrauter besinnt er sich auf dessen Wunsch, Alleinherrscher der Kosaken zu werden, was eine Lossagung vom Moskowiter-Zaren bedeuten würde sowie einen Anschluss an dessen Feind, den Schwedenkönig. Der von Maria zurückgewiesene Andrej ist es nun, der Zar Peter I. von Mazeppas geplantem Verrat unterrichten will. Doch Mazeppa kommt ihnen zuvor und verleumdet Kotschubej bei Peter I., was Marias Vater den Kopf kostet. Nachdem in der Schlacht von Poltawa die Schweden von Peter I. vernichtend geschlagen wurden, erscheint zum verhängnisvollen Schluss die wahnsinnig gewordene Maria, die in dem > Sa, 22. April 2006 18 Uhr Foyer THEATER > Eröffnung der 18. Europäischen Kulturtage Karlsruhe 2006 > Premiere A: Sa, 22. April 2006 18.30 Uhr Großes Haus Premiere B: Di, 25. April 2006 20 Uhr Großes Haus Weitere Vorstellungen: 27. April, 20 Uhr 29. April, 15 Uhr 3. Mai, 20 Uhr 5. Mai, 20 Uhr M AZ EP PA < 38 39 > lebens müden Mazeppa ihren Geliebten nicht mehr erkennt und dem sterbenden Andrej ein Wiegenlied singt. »Puschkins “Poltawa” wirft die Frage auf nach dem Verhältnis des Individuums – mit seinen Wünschen und Vorstellungen – zum unaufhalt- samen Lauf der Geschichte. Bei Tschaikowskis Aneignung von Puschkins Poem verlagerte der Komponist allerdings die Gewichte zugunsten der Figur der Maria, deren unbedingte, die Grenzen der gesellschaftlichen Konvention sprengende Liebe zu Mazeppa in den Mittelpunkt rückt. Am Ende, in Marias Wahnsinnsszene, wenn sie sich über ihre Mutter beklagt und das abgeschlagene Haupt ihres Vaters für sie zu einem Wolfskopf mutiert, wird deutlich, dass es die Strenge und der Starrsinn der Eltern waren, vor deren Druck die Tochter im Wahnsinn Schutz sucht.« (Sigrid Neef) Tschaikowski hat in »Mazeppa« (Uraufführung: 15. Februar 1884, Bolschoi Theater Moskau) mehrfach originale russische und ukrainische Volkslieder verarbeitet, jedoch ging es ihm nicht in erster Linie um eine realistische Schilderung der Lebensumstände des Volkes. Tschaikowskis motivisch-thematische Arbeit hebt die den Volksliedern verpflichteten Szenen aus der Sphäre des rein Realistischen heraus und verleiht ihnen so eine allgemeingültigere, tiefere Dimension. Die Geschichte der Menschheit ist immer auch eine Geschichte der Unmenschlichkeit. THEATER < 40 41 > ANTON TSCHECHOW Wilder Honig / (Platonow) Дикий мед/Платонов Anton Tschechows erstes Stück in einer Neufassung von Michael Frayn Deutsch von Ursula Lyn und Andreas Pegler Regie: Albert Lang Ausstattung: Peter Schubert Eintritt: 8 D bis 23 D Ein südrussisches Gut um 1875: Vor wenigen Jahren noch war Platonow ein lebenshungriger, zuversichtlicher junger Mann, übervoll mit Ideen für eine bessere Welt. Jetzt ist er ein desillusionierter und zynischer Dorfschullehrer, der sich zusammen mit seiner ungeliebten Frau Sascha in die Provinz zurückgezogen hat. Auf einem Sommerfest im Haus der rei- chen Witwe Anna Petrowna lässt er die Nachbarn, die ebenso wie er ori- entierungslos durch ihr Leben stolpern, seine intellektuelle Überlegenheit spüren: Er gibt den sarkastischen Hofnarren und spielt den charman- ten Verführer. Und hat damit auch noch Erfolg. Sein melancholischer Lebensekel weckt Begehrlichkeiten bei den Frauen. Die selbstbewusste Anna Petrowna will ihn zum Geliebten und seine ehemalige Jugendliebe Sofia möchte ihren Mann verlassen, um mit ihm anderswo neu anzu- fangen. Doch Platonow, der auch von einem wahren, sinnvollen Leben träumt, kann sich nicht entscheiden. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Langeweile, Eitelkeit und Selbstekel scheut er vor den Konsequenzen zurück, bis sie ihm aus der Hand genommen werden... Tschechows Jugendwerk, zwischen 1877 und 1881 entstanden, ist erst in seinem Nachlass als »Werk ohne Titel« entdeckt worden. Meist unter dem Namen seiner Hauptfigur »Platonow«, aber auch unter dem Titel »Die Vaterlosen« gespielt, hat Michael Frayn 1985 das Stück ent- schlackt und es unter dem Titel »Wilder Honig« für die Bühne neu bear- beitet. In einem tragikomischen Zeitportrait beschreibt Tschechows frühes Stück Figuren ohne Ideale, zeigt ihren Fatalismus und ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und einem erfüllten Leben. Tschechows lakonische Wirklichkeitsdarstellung der überlebten russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts liest sich heute wie eine prophetische Diagnose der zeitgenös- sischen Orientierungslosigkeit. Denn die Frage Platonows »Warum leben wir nicht so, wie wir leben könnten?« droht in medialer Oberflächlichkeit, öffentlicher Lethargie und allgemeiner Resignation unterzugehen. Anton Pawlowitsch Tschechow, 1860 in Tanganrog geboren, revolu- tioniert als »Dramatiker der vertanen Chancen, der Stagnation und der Lebenslügen« die dramatische Dichtung des 20. Jahrhunderts. Er stirbt 1904 in Badenweiler an einem jahrelangen Lungenleiden. THEATER > Premiere: So, 23. April 2006 19 Uhr Kleines Haus Weitere Vorstellungen: 30. April, 19 Uhr 4. Mai, 20 Uhr 7. Mai, 19 Uhr 10. Mai, 20 Uhr < 42 43 > THEATERSTUDIO PJOTR FOMENKO, MOSKAU Ein absolut glückliches Dorf Одна абсолютно счастливая деревня von Boris Wachtin – in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln Regie: Pjotr Fomenko Eintritt: 8 D bis 23 D Das Theaterstudio Pjotr Fomenko setzt sich erstmals mit der wenig bekannten Prosa des St. Petersburger Schriftstellers Boris Wachtin ausein- ander. In der Inszenierung von Pjotr Fomenko geht es um Krieg, Frieden, Geburt, Tod und Liebe. Um viel Liebe und wenig Hass. Um die Liebe zum Dorf aus der Vorkriegszeit und zu seinen wunderlichen Bewohnern, um die Liebe zu einem Flüßchen, um die Liebe zu Feldern, die von Dorfmädchen gemäht werden, um die Liebe der Lebenden zu den Toten, um die Liebe der Toten zu den Lebenden und letztendlich um die Liebe der Haupthelden der Aufführung, die so gewaltig ist, dass sie die Grenzen des Lebens und des Todes, des Raumes und der Zeit überwindet. Und um Hass – aber höchs- tens auf die Dummheit der Menschen, die nun schon viele Jahre schreiben und schreiben, sich immer neue Dinge ausdenken und sich dennoch nichts ausgedacht haben, damit kein Blut mehr fließt und die Kriege aufhören. Die Inszenierung hat den Internationalen Stanislawski-Theater-Preis in der Kategorie »Beste Inszenierung der Saison« und den Preis der »Gol- denen Maske« für die Beste Kammertheaterinszenierung erhalten. Das Moskauer Theater Theaterstudio Pjotr Fomenko ist 1993 aus dem Studio von Pjotr Naumowitsch Fomenko an der Russischen Akademie für Theaterkunst hervorgegangen. Das Moskauer Theater »Theaterstudio P. Fomenko«, zu dessen Repertoire neue Autoren und russische Klassiker gehören, arbeitet eng mit dem Kulturkomitee der Regierung Moskaus zusammen. Das jetzige Theater ist quasi ein Kulturzentrum, wo die The- ateraufführungen nicht nur entstehen und aufgeführt werden, sondern wo auch die Studenten unterrichtet werden. Das Theater ist auf mehreren internationalen Festivals aufgetreten, u.a. bei den Berliner Festwochen, dem Festival in Avignon und der Bonner Biennale. Zahlreiche Gastspiele führten das Theater u.a. nach Italien, England, Israel, Frankreich, Öster- reich, in die Schweiz, nach Brasilien, nach Serbien, Belgien, in die Ukra- ine, sowie nach Spanien und Japan. THEATER > Mi, 26. April 2006 20 Uhr Kleines Haus Weitere Vorstellung: Do, 27. April 20 Uhr GAST SPIEL > EIN ABSOLUT GLÜCKLICHES DORF, Szenenfoto < 44 45 > NachtKlänge 2. Konzert Звуки ночи 2.концерт Neue Klänge aus Russland Werke von Boris Yoffe, Edison Denissow und Sofia Gubaidulina Sofia Gubaidulina: Quasi Hoquetus (1984) und Concordanza für Kammerensemble (1971) Edison Denissow: Hommage à Pierre (1985) Boris Yoffe: Kirchenfenster bei Nacht (2005) – Deutsche Erstaufführung – und Variationen (1998) – Uraufführung Mit Mitgliedern der Badischen Staatskapelle Musikalische Leitung und Moderation: Ulrich Wagner Eintritt: 9,50 D Für die Neue Musik der ehemaligen Sowjetunion gelten neben dem 1996 verstorbenen Edison Denissow die heute in Deutschland lebende Sofia Gubaidulina als mit die profiliertesten Vertreter. Sofia Gubaidulina wurde für kompositorisches Schaffen sowohl mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland als auch mit dem französischen Orden »Pour le mérite« ausgezeichnet. Dmitri Schostakowitsch prägte zu Sowjetzeiten entscheidend ihre kompositori- sche Haltung: Expressivität und Innerlichkeit sind in ihrer Musik kein Widerspruch. Das mag auch an der Einbeziehung zahlreicher literarischer, philosophischer und religiöser Inspirationsquellen liegen. Auch der ausgebildete Mathematiker Denissow betonte in seinem Schaffen den Einfluss der Intuition und den Reichtum atmosphärischer Klangfarben. Einst von Schostakowitsch entscheidend gefördert, löste er sich in seinem Werk zunehmend von seinem Lehrmeister wie von folklo- ristischen Einflüssen und wandte sich schließlich westlichen kompositori- schen Vorbildern zu. Im spannenden Vergleich zu diesen beiden international etablierten Künstlern präsentiert das Konzert der Nachtklänge auch ein Werk der jungen russischen Generation: Boris Yoffe wurde 1968 in St. Petersburg geboren, studierte Violine und Komposition u.a. in Tel Aviv und besuchte ab 1997 die Kompositionsklasse von Prof. Wolfgang Rihm – er ist also mittlerweile ein echter Karlsruher. Die kritische Auseinandersetzung mit musikalischer Intuition, literarischer Dichtung und traditioneller Mystik sind jedoch auch bei ihm Grundlage seines kompositorischen Universums. THEATER > Fr, 28. April 2006 21 Uhr INSEL > SOFIA GUBAIDULINA < 46 47 > THEATERSTUDIO PJOTR FOMENKO, MOSKAU Krieg und Frieden Teil I Война и мир.1.часть nach Lew Tolstoj – in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln Regie: Pjotr Fomenko Bühne: Wladimir Maksimow Kostüme: Maria Danilowa Eintritt: 8 D bis 23 D Der Aufführung des Moskauer Fomenko-Theaters liegt eine Drama- tisierung von Everett Christopher Dixon des ersten Teils des Tolstoj- Romans zugrunde. In ausgewählten Szenen spiegeln sich all die Momente wider, die den ganzen Roman prägen: das Zusammenspiel der persönlichen Erlebnisse der Protagonisten vor einem komplexen politischen Hinter- grund. Die Inszenierung, die 2002 auf dem Festival »Goldene Maske« in den Kategorien »Beste Kammertheater-Inszenierung«, »Beste Regie« und »Beste weibliche Rolle« ausgezeichnet wurde, gliedert sich je nach Ort des Geschehens in drei Teile: St. Petersburg, Moskau und Lyssyje Gory. Der Krieg hat noch nicht begonnen, doch die Welt ist bereits voller dunkler Vorahnungen. THEATER > Sa, 29. April 2006 19.30 Uhr Kleines Haus GAST SPIEL > KRIEG UND FRIEDEN TEIL I, Szenenfotos < 48 49 > OPERNGALA Eugen Onegin Евгений Онегин Lyrische Szenen in drei Akten von Peter I. Tschaikowski Text von Peter I. Tschaikowski und Konstantin S. Schilowski, nach einem Versroman von Alexander Puschkin (1830) – in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln Musikalische Leitung: Oleg Caetani (als Gast) Regie: Robert Tannenbaum Bühne: Peter Werner Kostüme: Ute Frühling Choreografie: Rosemary Helliwell Chor: Carl Robert Helg Gäste: Maria Fontosh (Tatjana), Dalibor Jenis (Onegin), Evgeny Akimov (Lenskij) Badischer Staatsopernchor, Badische Staatskapelle, Extra-Chor, Extra-Ballett Eintritt: 21 D bis 84,50 D Bewusst verzichtete Tschaikowski 1878 mit seiner Vertonung lyri- scher Szenen auf eine verzweigte Handlung, auf Exotik und pathetischen Ausdruck sowie auf alle sonst so üblichen Opern-Ingredienzien wie Gift, Intrige und Mord. »Ich suche ein intimes, aber starkes Drama, das auf Konflikten beruht, die ich selber erfahren oder gesehen habe, die mich im Innersten berühren können.« Die Librettisten gingen mit der strengen Auswahl einiger weniger Passagen aus der Versvorlage sogar noch einen Schritt weiter als Puschkin: widmete sich jener allein dem Ablauf des Denkens und Fühlens seines Titelhelden, entstanden bei Tschaikowski und Schilowski emotionale Momentaufnahmen dreier Protagonisten – die Oper vereint in drei Akten gleich drei in sich abgeschlossene Tragödien. Die starke innere Anteilnahme des Komponisten und sein eigenes Zerbrechen am bürgerlichen Moralanspruch machen »Eugen Onegin« zu einem seiner persönlichsten Zeugnisse. THEATER > Galavorstellung So, 30. April 2006 19 Uhr Großes Haus > EUGEN ONEGIN, Szenenfoto , < 50 51 > TIMNA BRAUER & ELIAS MEIRI ENSEMBLE »Der jüdische Liederschatz Osteuropas« Сокровищница еврейской песни восточной Европы Eintritt: 8 D bis 19,50 D Die ersten Pioniere des Staates Israel waren russische Einwanderer. Bis heute sind die beliebtesten Volkslieder dieses Landes ins Hebräisch übersetzte russische Lieder. Das Ostjudentum hat aber auch Westeuropa sehr stark geprägt. Jiddische Lieder und Klezmermusik erleben derzeit eine Blüte. Herausgerissen aus ihrem ursprünglichen Kontext, Hochzeiten und andere jüdische Feste zu begleiten, werden sie immer mehr fixe Bestandteile diverser Festivals und Konzertreihen. Sie finden einen Ehrenplatz in der Europäischen Kultur der Jahrtausendwende. Timna Brauer, Österreich-Israelin mit jemenitischer und russischer Herkunft präsentiert diese Tradition im Wandel der Zeit in dem sie etliche neue Klänge einfließen lässt, ob nun aus dem Jazz oder dem Orient, ohne dabei die ursprüngliche Essenz zu verlieren. »Jiddisch singen ist ein Bekennen zu seinen osteuropäischen Wurzeln«, meint Timna Brauer. > Di, 2. Mai 2006 20 Uhr Kleines Haus Weitere Vorstellung: Mi, 3. Mai 20 Uhr THEATER > TIMNA BRAUER < 52 53 > Anna Karenina Анна Каренина Ballett nach dem Roman von Lew N. Tolstoj, erschienen 1875–1877 Musik: Dmitri Schostakowitsch, Sergei Rachmaninow, Aram I. Chatschaturjan Choreografie: Terence Kohler Bühne und Kostüme: Michael Scott Klavier: Inna Martushkevich Es tanzt das Ballettensemble des Badischen Staatstheaters Karlsruhe Eintritt: 11 D bis 34 D »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich«. So der berühmte Eingangssatz zu Tolstojs großem Roman der Liebe »Anna Karenina«, der die Geschichte der leidenschaftlichen Beziehung zwischen einer verheirateten Frau und einem jungen Offizier im zaristischen Russland erzählt. Eingebunden in die Engherzigkeit einer in ihren Normen erstarrten aristokratischen Gesellschaft findet nach längerem Sträuben die sensible Anna Karenina in der aufrichtigen Zuneigung des jungen Grafen Wronskij die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach rückhaltloser Liebe. Die schöne junge Mutter eines Sohnes, mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebt, aber achtet, ist Mittelpunkt der höchsten Moskauer und St. Petersburger Hofgesellschaft, der ihre »liaison fatale« nicht verborgen bleibt. Hin und her gerissen zwischen Lüge und Wahrheit verkehrt sich ihre Liebe zu Wronskij in Eifersucht und Hass. Lösung aus diesem Dilemma findet sie nur in der Selbstauslöschung. Wie in vielen seiner Werke hat auch hier Tolstoj Menschen und Be- gebenheiten seiner unmittelbaren Umgebung und nicht zuletzt seiner eigenen weitverzweigten aristokratischen Familie literarisch verdichtet. Mit Lewin, dem Gutsbesitzer, der das tätige Leben auf dem Lande und die nicht krisenfreie, doch stetig wachsende Liebe zu seiner Frau Kitty dem oberflächlichen Müßiggang der Großstädte vorzieht, hat Tolstoj sei- nem Ideal eines sozial handelnden Menschen ein überzeugendes Denkmal gesetzt. In diesem Spannungsfeld eines ruhigen, verantwortungsvollen Daseins und dem zum Scheitern verurteilten Versuch eines Paares, gegen alle vorherrschenden Konventionen persönliches Glück zu erringen, ent- wirft Tolstoj seine Dichtung, die auch 130 Jahre nach ihrem Erscheinen nichts an Eindringlichkeit verloren hat. THEATER > Uraufführung / Premiere: Sa, 6. Mai 2006 19.30 Uhr Großes Haus Einführung: Sonntag vor der Premiere, 30. April 2006 11 Uhr Kleines Haus Weitere Vorstellungen: 21. Mai, 19 Uhr 15. Juni, 19 Uhr 2. Juli, 19 Uhr 20. Juli, 20 Uhr > ANNA KARENINA, Probenfotos < 54 55 > FILMKONZERT 4. Sonderkonzert 4. Специалный концерт Filmvorführung »Panzerkreuzer Potemkin« Regie: Sergei Eisenstein mit der Filmmusik von Dmitri Schostakowitsch Badische Staatskapelle Dirigent: Jochem Hochstenbach Eintritt: 11 D bis 34 D Sergei Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« von 1925 ist für Filmhistoriker und Kritiker unterschiedlichster ästhetischer wie ideolo- gischer Überzeugungen noch immer der »beste Film aller Zeiten«. Das Werk entstand als Auftragsarbeit für die Jubiläumsfeiern der ersten russischen Revolution von 1905, die ein Matrosenaufstand auf einem Kriegsschiff ausgelöst hatte. Der Stummfilm ging nicht nur wegen der berühmten »Treppenszene von Odessa« in die Filmgeschichte ein: Eisensteins ungewöhnliche Bildeinstellungen und sein virtuoser, theore- tisch fundierter Einsatz damals möglicher Montagetechniken zeichnen eine neue Filmästhetik aus. Auch der kulturelle Austausch mit der auf internationale Anerkennung hoffenden Sowjetunion wurde Ende der zwan- ziger Jahre vom Erfolg dieses Films geprägt: Eisensteins Ästhetik wurde zum Modell des sowjetischen Films erklärt, »Panzerkreuzer Potemkin« zu einer modernen Ikone des Sowjetstaates stilisiert. Das Badische Staatstheater zeigt die erst im Jahr 2005 von der Kulturstiftung des Bundes fertiggestellte rekonstruierte Urfassung des Filmes. Die Filmmusik, eine Kompilation aus Schostakowitschs Sinfonien, ist eine Hommage zum 100. Geburtstag des Komponisten und wurde von der Presse mit ihren klingenden Episoden und kraftvoll-plastischen Gebärden »als kongeniale Ergänzung« bejubelt. THEATER > So, 7. Mai 2006 20 Uhr Großes Haus > Sergei EISENSTEIN, Panzerkreuzer Potemkin < 56 57 > NOVAJA OPERA MOSKAU Der Dämon Демон Phantastische Oper in drei Akten von Anton Grigorjewitsch Rubinstein Libretto von Pawel Wiskowatow (und Apollon Maikow) nach dem gleichnamigen Poem von Michael Lermontow – in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln Dirigent: Valery Kritskov Regie: Mikhail Efremor Bühne und Kostüme: Victor Gerasimenko Eintritt: 8,50 D bis 30 D Von Rubinsteins 20 Bühnenwerken scheint einzig seine neunte Oper »Der Dämon« (1875 in St. Petersburg uraufgeführt) im Bewusstsein der Opernwelt geblieben zu sein. Das Stück nach einem Gedicht von Michael Lermontow verbindet in der Gestalt des Titelhelden die Tragödie des Faust und die Luzifer-Legende: Der Dämon, gefallener Engel, liebt die Jungfrau Tamara, doch er bringt ihr Unheil und Tod. Während sie aber erlöst wird, sieht der Dämon sich zur ewigen Einsamkeit verdammt. Die Moskauer Novaja Opera wurde 1991 auf Initiative des Moskauer Bürgermeisters Yuri Luzhkov sowie des Künstlerischen Leiters Evgeny Kolobov gegründet. Mit seinem zeitgenössischen Auftrag gehört das Theater seit den Anfängen zu den führenden Häusern Russlands. Das variations- reiche Repertoire reicht von der Interpretation klassischer bis moderner Meisterwerke der russischen wie der internationalen Oper. In ihrer künst- lerischen Zielsetzung hat sich die Novaja Opera vor allem der Innovation und Interpretation verschrieben. Mehrfach wurden Inszenierungen mit nationalen Preisen ausgezeichnet und konnten sich bei Gastspielen inter- national etablieren. Die Moskauer Regierung verlieh der Novaja Opera 1996/97 für Tschaikowskis »Eugen Onegin« den Theaterpreis »Goldene Maske« für besondere künstlerische Leistungen. > Di, 9. Mai 2006 20 Uhr Großes Haus Weitere Vorstellung: Mi, 10. Mai 20 Uhr GAST SPIEL THEATER > DER DÄMON, Szenenfoto < 58 59 > NOVAJA OPERA MOSKAU Sinfoniekonzert Симфонический концерт »Bilder einer Ausstellung« von Modest Mussorgski »Frühlingskantate« von Sergei Rachmaninow »Kantate Moskau« von Peter I. Tschaikowski Dirigent: Evgeny Samoilov Mit: Solisten, Chor und Orchester der Novaja Opera, Moskau Eintritt: 11 D bis 34 D Einen ganzen Bilderbogen russischer Kunst, russischen Lebensgefühls und russischer Geschichte fächert das Konzert der Moskauer Novaja Opera auf. Mussorgskis »Bilder einer Ausstellung« gilt als eines der populärsten Stücke der Konzertliteratur überhaupt. Die musikalischen Tableaus sind von den Bildern des Malers Viktor Hartmann angeregt und verewigen Eindrücke russischer Architektur, possierlicher Märchenfiguren und eigentümlicher Begegnungen. Als ein ganz persönliches Zeugnis des Komponisten schildert Sergei Rachmaninows »Frühlingskantate« basie- rend auf dem Gedicht »Das grüne Rauschen« von Nekrassov die mannig- faltigen Naturerscheinungen und die bewusstseinsverändernde Kraft des beginnenden Frühlings. Bei Peter I. Tschaikowski wurde anlässlich der Krönung Zar Alexander III. ein ganzes Konvolut von Werken in Auftrag gegeben, als dessen gelungenstes die Kantate »Moskau« gilt. In epischer Prachtentfaltung präsentiert sie die Geschichte Moskaus als des Dritten Roms. 23. Opernball im Badischen Staatstheater 23 Оперный бал Zum Abschluss der Europäischen Kulturtage findet unter dem Motto »Ball im Bolschoi« der 23. Opernball statt. Von 20 Uhr bis morgens um 4 Uhr verwandelt sich das Staatstheater in einen Tanztempel. Dafür sorgen auf der Großen Bühne Solisten, Chor, Ballett und die Badische Staats- kapelle sowie die Mozartband aus Wien und Andrej Hermlin mit dem Swing Dance Orchestra aus Berlin. In der Tretjakow-Galerie (Kleines Haus) wird die »Scheherazade des musikalischen Kabaretts«, Annette Postel und das SalonOrchester Schwanen, »Für eine Nacht voller Seeligkeit« sorgen. Im Dostojewski-Salon (Probebühne) spielt Peter Wassiljewski & Das Leschenko-Orchester und einer der zahlreichen Clous des Abends wird das »Duo Flügzüg« sein, wenn es um Mitternacht auf dem Roten Platz landet. > Do, 11. Mai 2006 20 Uhr Konzerthaus GASTSPIEL > Sa, 13. Mai 2006 19 Uhr Einlass 20 Uhr Beginn THEATER 61 >< 60 STADT KARLSRUHE < 62 63 > Stadt Karlsruhe 18. Europäische Kulturtage Karlsruhe 2006 „Moskau“ 22. April – 13. Mai 2006 Stadt Karlsruhe Kulturamt Kulturreferent Dr. Michael Heck Festivalleitung und Programmgestaltung: Susanne Laugwitz M.A. Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Organisation: Claudia Lahn M.A. Gabi Glutsch Anna-Renate Sörgel Martha Banasch B.A. Monika Haidt-Nass Internet: Claudia Lahn M.A. Mitwirkung bei der Programmkonzeption der Stadt Karlsruhe: Martina Bartsch Bernd Belschner Dr. Melitta Büchner-Schöpf Prof. Dipl.-Ing. Alex Dill Renate Effern Prof. Vitaly Gorokhov Prof. Boris Groys Dr. Françoise Hammer Dr. Christa Hartnigk-Kümmel Alexander Kaschin Alfred Knecht Alfred Meyer Prof. Wolfgang Meyer Hildegard Müller-Jensen Werner Pfaff PD Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha Lothar Rumold Prof. Dr. Hansgeorg Schmidt-Bergmann Dr. Dieter Splinter Angelika Stepken Prof. Saule Tatubaeva Robert Walter Prof. Peter Weibel Elke Wiedemann Peter M. Wolko Christof Wyneken In Zusammenarbeit mit: Amt für Internationale Beziehungen der Stadt Moskau Stadtregierung Moskau Russisch-Deutsche Philharmonische Gesellschaft Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau Goethe-Institut Moskau Turgenev-Gesellschaft Deutschland Badische Bibliotheksgesellschaft Karlsruhe Badischer Kunstverein Karlsruhe e.V. BBK/Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler in Karlsruhe Centre Culturel Franco-Allemand Hochschule für Musik Karlsruhe Evangelische Stadtkirchengemeinde Fakultät für Architektur der Universität Karlsruhe (TH) Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaft der Universität Karlsruhe (TH) Galerie Alfred Knecht Galerie Rottloff GEDOK-Künstlerinnenforum e.V. Internationale Akademie für Nachhaltige Entwicklungen und Technologien (IANET) an der Universität Karlsruhe (TH) = Gorbachov-Akademie Jazzclub Karlsruhe Kinemathek Karlsruhe e.V. Kulturzentrum Tollhaus Literarische Gesellschaft Karlsruhe e.V. Modehaus Schöpf Richard-Wagner-Verband Karlsruhe Südwestrundfunk, Studio Karlsruhe Volkshochschule Karlsruhe ZAK/Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale der Universität Karlsruhe (TH) ZKM/Zentrum für Kunst und Medientechnologie 65 > BILDENDE KUNST / AUSSTELLUNGEN > Ausstellung: Bilder eines Reiches (ZKM), M. BURKAR, Sartianka, 1972, aus dem Album Ansichten und Men- schen der Orenburg-Region, Fotografie, Albuminpapier, Aquarell (21,4 x 17,6 cm), Sammlung Khoroshilv, Moskau 67 >< 66 Bilder eines Reiches. Das Leben im vorrevolutionären Russland Картины империи Жизнь в дореволюционной России Kuratoren: Prof. Dr. Boris Groys und Anastasia Koroshilova Mit Unterstützung der KARLSRUHER VERSICHERUNGEN Öffnungszeiten: Mo und Di geschlossen Mi - Fr 10 - 18 Uhr Sa und So 11 - 18 Uhr Eintritt: 5 D / 3 D ermäßigt Kinder/Schüler (7 - 18 Jahre): 2 D Familie (max. 2 Erwachsene + 3 Kinder): 10 D In den 60er-70er Jahren des 19. Jahrhunderts haben einige russische Fotografen versucht, das für die damalige Zeit neue Medium Fotografie dazu zu benutzen, um auf eine systematische Weise das Leben im rus- sischen Reich darzustellen: verschiedene Bevölkerungsschichten, unter- schiedliche Völker, Landschaften, Städte, industrielle Projekte, traditio- nelle Bräuche, Kriegsereignisse und Gefängnisse. In der Zeit, in der die Fotografie meistens im engen privaten und kommerziellen Rahmen ver- wendet wurde, bilden diese Fotoprojekte einen interessanten Sonderfall, da sie das Ziel hatten, nicht nur private Personen, sondern das ganze Land zu porträtieren. In gewisser Weise fungieren diese Projekte als visuelle Fortschreibungen der russischen realistischen Literatur damaliger Zeit, wie sie von Autoren wie Tolstoi, Turgenev, Gontscharow repräsentiert wurde. Obwohl diese Projekte von verschiedenen offiziellen Stellen unterstützt und gefördert waren, praktizieren sie einen illusionslosen, objektivierenden, realistischen Blick auf das vorrevolutionäre Russland – den Blick, der ein rein beschrei- bender, wissenschaftlicher Blick sein will. Die Ausstellung stellt einige dieser Foto-Projekte vor, die gleichzeitig eine hohe ästhetische Qualität haben. Damit will die Ausstellung nicht nur einen Einblick ins russische Leben im 19. Jahrhundert gewähren, son- dern auch und vor allem eine immer noch wenig bekannte Epoche in der Entwicklung des Mediums Fotografie erschließen. > So, 23. April - So, 6. August 2006 Vernissage und Eröffnung des städtischen Festival- programmes: So, 23. April 2006 11 Uhr ZKM|Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Lorenzstr. 19 Info-Tel. (0721)8100-1200 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > MIGURSKIJ KARL IOSIFOWITSCH, Triumphbogen mit der Inschrift »Ty owejal ljubowju zarskojo wsech pod- dannych swoich« (»Du hast all deine Untertanen mit Zarenliebe umgeben«), 1869 aus dem Album »Ansichten der Stadt Akkerman«, Fotografie, Albuminpapier, 25,5 x 25,5 cm, © The National Liberary of Russia, St. Petersburg < 68 69 > Der Architekt Konstantin Stepanovic Mel’nikov Архитектор Константин Степанович Мельников Projekte und Bauten, Architekturmodelle / Rekonstruktionen Öffnungszeiten: Mo - Fr 9 - 18 Uhr Führungen nach Vereinbarung Eintritt frei Die Fakultät für Architektur beteiligt sich im Rahmen ihrer Forschungs- initiative zum architektonischen Erbe in Ost- u. West-Europa, insbesondere den Bauten der Avantgarde in Russland, an den Europäischen Kulturtagen in Karlsruhe 2006 mit folgendem Projekt: Der Architekt Konstantin Stepanovic Mel’nikov, 1890 – 1974, gilt als der individualistischste, innovativste und international am meisten beach- tete Architekt des postrevolutionären Russlands. Er war einer der herausragendsten und meistbeschäftigsten Architekten in dem kurzen Zeitraum des russischen Konstruktivismus in Moskau. Konstantin Mel’nikov hat die Entwicklung innovativer Projekte in Kunst und Kultur entscheidend mitgeprägt in einer Zeit der »Moderne« im Westen und der »Avantgarde« im Osten, die zu den interessantesten Peri- oden der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt. Nach Erfolgen in Architekturwettbewerben in Moskau 1922-1925, Pro- jekten zu Arbeiterquartieren, zum »Palast der Arbeit«, dem Ausstellungs- pavillon zur »allrussischen Landwirtschaftsausstellung« gelang ihm erste internationale Anerkennung mit seinem innovativen Wettbewerbsprojekt für den russischen Pavillon für die »Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes« in Paris 1925. Sein eigenes Haus in Moskau (1927) bestehend aus zwei sich über- schneidenden Zylindern unter Anwendung völlig neuer baukonstruktiver Techniken und die 1927-1929 entstandenen fünf berühmten Moskauer Arbeiterclubs stehen beispielhaft für seine große künstlerische Ambition und seine herausragende architektonische Leistung. Seine Entwurfsprinzipien mit Raumfolgen, Durchdringungen von geo- metrischen Grundformen, großen Auskragungen der Volumen, mit Reihung von Grundformen, mit Symmetrie und Asymmetrie eine Dynamik von Raum und Form und einen unverwechselbaren Ausdruck zu erzielen, geht soweit, dass sich Räume flexibel erweitern oder kombinieren lassen wie z.B. im »Rusakov Club«. > Mo, 24. April - Do, 11. Mai 2006 Eröffnung Mo, 24. April 2006 18 Uhr Fakultät für Architektur der Universität Karlsruhe E 6 des Kollegien- gebäudes am Ehrenhof Info-Tel. (0721)608-2188 In seinem Entwurf der »Leningradskaja Prawda« sind schließlich sich unabhängig voneinander bewegende, rotierende Geschosse übereinander geschichtet als rotierendes Presse-Hochhaus, ein ähnlich dem Tatlin-Turm für die Internationale entworfenes, seiner Zeit weit vorauseilendes, nicht realisiertes Projekt. Kuratoren der Ausstellung: Otakar Máel (Delft), Maurizio Meriggi (Mailand), Dietrich Schmidt (Stuttgart) BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > RUSAKOV CLUB, Historisches Foto, Architekt: Konstantin Mel’nikov > GRUNDRISSE DES RUSAKOV CLUB, Moskau, Archivbild > RUSAKOV CLUB MOSKAU, 2003/2004, Foto: A. Dill < 70 71 > Russische Emigration in Fotografien 1917 - 1947 Русская эмиграция в фотографиях 1917 - 1947 aus dem Fonds Andrei Korliakov Öffnungszeiten: Mo - Fr 10 - 12.30 Uhr Mo - Do 14 - 18 Uhr Eintritt frei Mit Vortrag des Historikers Andrei Korliakov (in französischer Sprache) Andrei Korliakov hat es sich zum Ziel gesetzt das Leben der Russen im französischen Exil nach der bolschewistischen Revolution 1917 oder nach dem anschließenden Bürgerkrieg zu dokumentieren, konservieren und bekannt zu machen. Die Ausstellung zeigt Fotografien von Unbekannten (russischen Ar- beitern bei Renault, Taxifahrern, Kosaken...) aber auch von bekann- ten Leuten (dem Maler Poliakov, dem Schriftsteller Bounine, Tänzern, Wissenschaftlern). Doch gezeigt werden nicht nur Porträts, sondern auch Orte wie die »russischen Dörfer« (Rives bei Grenoble oder Colombel in der Normandie), Internate, Schulen... Seit Jahrhunderten pflegen Russland und Frankreich intensive Kontakte unter anderem im kulturellen und intellektuellen Bereich. Schon im 18. Jahrhundert verwendete die von französischen Hauslehrern ausgebildete russische Aristokratie Französisch als zweite, beizeiten auch als erste li- terarische und mondäne Sprache. Nach der Revolution 1789 wurde Frankreich zum unumgänglichen geis- tigen Vorbild aller russischen Oppositionsbewegungen – von den Liberalen bis hin zu den Bolschewiken. Während die kaiserliche Verwaltung sich aus deutschen Elementen zusammensetzte, zogen es die Intellektuellen vor, sich an der französischen Kultur zu orientieren. So zum Beispiel Puschkin, der von seinen Schulkollegen als »der Franzose« bezeichnet wurde oder auch der Roman »Krieg und Frieden« von Tolstoi, der mit zwei Seiten französischer Konversation in einem aristokratischen russischen Salon beginnt. Nicht zuletzt haben die größten Namen des kulturellen Lebens im Russland des beginnenden 20. Jahrhunderts, die 1917 von der kommunis- tischen Revolution vertrieben wurden, in Paris Zuflucht gefunden, genau so wie die Dissidenten der 60er und 70er Jahre. > Di, 25. April - Fr, 26. Mai 2006 Eröffnung: Di, 25. April 2006 18 Uhr Centre Culturel Franco-Allemand, Kaiserstr. 160-162 Info-Tel. (0721) 16 03 80 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN < 72 73 > »High Culture« und »warZeichen« »Хай калчер« и достопримечательности Fotografien von Uta Süße-Krause Öffnungszeiten: Mi, Do, Fr 17 - 19 Uhr Sa 14 - 16 Uhr Eintritt frei Das Projekt »High Culture« spielt mit der Möglichkeit der Mehrdeu- tigkeit. Zum einen evoziert der Titel die Direktübersetzung von Hochkultur, zum anderen (phonetisch) eine typisch englische Begrüßungsfloskel oder in der bildlichen Übertragung: Die hochgeworfene Kultur. Der rote Cellokasten: Aktiv wird er hochgeworfen vor den Wahrzeichen der jewei- ligen Metropole: High Culture! Der rote Cellokasten symbolisiert auch die weltumspannende Sprache der Musik. Sie ist unabhängig von der Nationalität, von gesproche- nen Sprachen – eine Verständigungsebene für sich..... ein Appell gegen Abgrenzung, für Toleranz und Verständigung. Aber es gibt noch weitere Betrachtungsaspekte: Passiv steht er da, als stummer Beobachter, als das Fremde an sich, als Außenseiter, als Zeuge im Geschehen. Er wartet, was passiert. Meist wird er nicht beachtet. Die Menschen ziehen vorbei, sie befinden sich im Fluss. Er aber steht, ist rot und eigentlich nicht zu übersehen, - aber so recht mag sich keiner mit ihm beschäftigen, sei es in Moskau, Paris, Berlin oder London (mit je einer Fotografie aus Berlin, Paris und London wird Moskau in die Reihe der europäischen Metropolen gestellt). Er steht vor Putins Palast, vor Lenin einsam auf dem Roten Platz, er mischt mit im Verkehr, beim einsamen morgendlichen Straßenfegen und im Kaufhaus GUM auf der Rolltreppe, im Untergrund oder im feinen Moskauer Ambiente. Das Fremde, was immer es ist, ist eben doch mitten unter uns. Auch die Farbe hat eine eigene Sprache. Rot steht in allen Kulturen als Metapher für Liebe, Sinnlichkeit und Lebensfreude, aber auch für Aggression und Kampfeslust. Keine Farbe in der Farbenskala hat diese extreme Ambivalenz. Das Projekt »warZeichen«, das zuletzt in Berlin im Museum für Kommunikation (2004) und in der Südwest Bank Stuttgart (2005) aus- gestellt wurde, zeigt eine Auswahl von großformatigen fotografischen Abstraktionen, die mit der Symbolkraft signifikanter Gebäude spielen. Sinnzusammenhänge verändern sich, die Zeichen lösen sich auf und aus Wahrzeichen werden »warZeichen«. Ohne digitale Veränderung gelingt es Uta Süße-Krause, eine neue Abstraktionsebene zu erreichen an der Schnittstelle zwischen Malerei und Fotografie. > Di, 25. April - Fr, 26. Mai 2006 Eröffnung: Di, 25. April 2006 17 Uhr GEDOK- Künstlerinnen- forum Markgrafenstr. 14 Info-Tel. (0721) 37 41 37 Uta Süße-Krause transportiert viele »offene« Botschaften. Der Be- trachter muss selber hinschauen, wird dabei sowohl von der Ästhetik als auch vom Inhalt der Arbeiten zu weiteren Gedanken angeregt. Hinweis: Ergänzend zu dieser Ausstellung wird Uta Süße-Krause weitere fotografische Arbeiten in der Galerie Schrade & Blashofer, Markgrafenstr. 25, zeigen. Informationen dazu unter (0721) 3 54 85 70 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > Foto: UTA SÜßE-KRAUSE < 74 75 > Russisch Brot Русский хлеб Installation von Bernhard Garbert Öffnungszeiten: Di - Fr 14.30 - 19 Uhr Eintritt frei Mit dem Titel »Russisch Brot« konzipiert Bernhard Garbert (geb.1957) eine Installation mit Wortkombinationen in lateinischen und kyrillischen Buchstaben für die Räume der Galerie in der Sophienstraße, wobei die Er- scheinungsform des gleichnamigen Keks-Gebäckes unter Verwendung von Karlsruher Majolika beabsichtigt ist. Dabei geht er von dem modulen Material seiner ROTKREUZGEDICHTE aus, wie der in Berlin wohnende Künstler seine Zweierkombinationen von Dreibuchstabenwörtern ursprünglich nennt. So z.B. überzog er die 32 weißen Werbeflächen des Berliner U-Bahn- hofes der Linie 2 am Alexanderplatz mit einer Vielzahl dieser kreuzförmi- gen roten Wortmodule, in verschiedener Größe und aus unterschiedlichen Sprachen. (PUR-PUR, 2002/03). Sprachliche Kurzformeln, die er als visuell-begriffliches Kontrastmittel in wechselnder Form und an ganz unterschiedlichen Orten – vor allem auch des öffentlichen Raumes – einsetzt. Bernhard Garbert 1957 geb. in Vardingholt/Westfalen, lebt in Berlin 1978/85 Studium an der Hochschule der Künste/Berlin 1988 Arbeitsstipendium des Kultursenats/Berlin 1989/90 Stipendium für das P.S.I, New York 1990 Förderpreis des Deutschen Künstlerbundes 1994 Arbeitsstipendium des Kultursenats/Berlin 1996 Kunstpreis der Grundkreditbank/Berlin 1997 Arbeitsstipendium des Kunstfonds/Bonn 2003 »Torreao«, Artist-in-Residence, Porto Alegre/Brasilien »Onufri 2003«, Nationalgalerie Tirana, 2. Preis seit 2002 Professur für Plastik, Fachhochschule Hannover, Fachbereich Bildende Kunst Ausstellungen (seit 2000) 2000 »Wortstücke«,Robert-Koch-Hörsaal /Berlin; »Grosse Schleife«, Galerie Inga Kondeyne, Berlin > Fr, 28. April - Mi, 24. Mai 2006 Eröffnung: Fr, 28. April 2006 18 Uhr Galerie Rottloff Sophienstr. 105 Info-Tel. (0721) 84 32 25 2002 »Kommen und Gehen«, HO-Galerie/Berlin-Hellersdorf »PUR-PUR«,Wettbewerb Berlin-Alexanderplatz, Bahnhof der U-Linie 2; (bis Juni 03) 2003 »small«, Torreao, Porto Alegre /Brasilien »Ordentliche Kunst«, Art Acker /Berlin 2004 »Öffentliche Lesung«, Kunstverein Schwerin in der Turmhalle des Schweriner Doms; »Ordentliche Kunst«; Kunsthalle Rostock BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > BERNHARD GARBERT, Russisch Brot < 76 77 > In die Puppenkiste gegriffen Из мира кукол Fotografie und Malerei von Irina Polin Öffnungszeiten: Mi - Fr 16 - 19 Uhr Sa 11 - 13 Uhr und n.V. Eintritt frei Die Russin Irina Polin, die 1971 in Moskau geboren wurde, lebt seit 1995 in der Schweiz, hat jedoch den Kontakt zu ihrer Heimatstadt nie abreißen lassen und besucht mehrmals jährlich Moskau, wo sie ihre künst- lerische Ausbildung bekam. Als Fotografin wird Irina Polin meist bezeichnet. Sie selbst will sich keinem künstlerischen Medium zuordnen lassen. Die Ausstellung in der Galerie Alfred Knecht trägt dem Rechnung. Großformatige Fotografien werden zusammen mit Ölbildern gezeigt. «Private Things» lautete der Titel einer Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen (CH) 2004. Dieser Titel ist eine klare Leseanweisung und wird auch in der Karlsruher Aus- stellung der Tenor sein. Zum Werk: Irina Polin greift tief in die Puppenkiste und entdeckt das Benutzte, das Abgelebte mit seiner eigenen verborgenen Geschichte. Diese Objekte arrangiert sie zu oft aberwitzigen Bildern, die sie fotografisch festhält - absurd, grotesk, detailreich, mondän, provokant, sinnlich. Dies sieht aus wie eigene Mikrowelten, voll von Spiel und Lust. Das Bekannte ist immer Bestandteil der Spielwelten von Irina Polin, rückt das Spiel in seinen richtigen Maßstab zurecht und konfrontiert nicht selten das Provokante mit dem Biederen des Alltags. Alltag und Spiel, Realität und Traum balancieren gemeinsam zu opulent ausgestatteten Erzählungen, in denen Grenzen keine Rolle mehr spielen. In ihren großformatigen Gemälden (ent)wirft Irina Polin Blicke auf eine reale Welt, die sie mit verführerisch leichtem Pinselstrich in Öl auf kühlem Alu festhält, es sind lasziv-kühle Huldigungen der Schönheit. Irina Polin geboren in Moskau, lebt seit 1995 in der Schweiz 1986 –1991 Studium an der Kunstakademie »After The Memory Of Year 1905«, Moskau 1996 –1999 Schule für Gestaltung, Luzern, (HFG) CH 2004 Edition für die KunstKöln D > Fr, 28. April - Sa, 27. Mai 2006 Eröffnung: Fr, 28. April 2006 19 Uhr Galerie Alfred Knecht Baumeisterstr. 4 Info-Tel. (0721) 9 37 49 10 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > IRINA POLIN, Meerestiere, Foto, 60x40 cm > IRINA POLIN, ohne Titel, 2003, Öl auf Alu, 125 x 83 < 78 79 > Ausstellungen (Auswahl) 2005 »private things« Kunstraum Kreuzungen, CH Ausstellungsprojekt »Europäische Künstler Baden- Württembergischer Galerien« im Kunstverein Karlsruhe für Galerie Vayhinger 2004 Auswahlausstellung Fotopreis 2004 des Kantons Bern Musée Jurassien des Arts, Moutier, CH (Einkauf Kunstkommission Bern) »Love« GA u.a. mit Basquiat, Lichtenstein, Warhol, Indiana Rudolf Budja Galerie, Salzburg, A KunstKöln 2004, D 2003 Galerie Rigassi, GA,Bern, CH KunstKöln 2003, D 2002 Galerie NN-Fabrik, GA, Wien, A »Begegnungen-Beziehungen«, Galerie Vayhinger, Radolfzell KunstKoeln 2002, Art Bodensee, A 2001 »Transitit« GA mit der Kunstakademie Düsseldorf in der Ausstellungshalle des Hafens von Nagoya, Japan »Künstlerpaare«, Artforum Rubigen, CH Galerie Rigassi, EA.Bern, CH ART Frankfurt D Art Innsbruck, Österreich, A 2000 Galerie Kabinett, EA, Bern, CH Galerie der Gegenwart, EA. Wiesbaden, D Parade Gallery, Amsterdam, Holland Ausstellung u.a. mit Yoko Ono, Rauschenberg, Warhol, One artist show mit Projects United Kunst 2000, Kunstmesse Zürich, »Tasty«, Art Frankfurt 2000, D »Mi-Art«, Kunstmesse Mailand, Italien Kunst-Rai, Kunstmesse Amsterdam, Holland 1999 »Prlvacy« mit Projects United Kreuzlingen, CH Kunst 99, Kunstmesse Zürich, CH 1998 »life is sweet« Galerie Kai Hiigemann, EA, Berlin, D Ausstellung der Aeschlimann-Corti Stipendiaten, Kunsthaus Thun, CH Galerie Contempo, Grenchen CH 1997 Ausstellung der Aeschlimann-Corti Stipendiaten, Kunsthaus Langenthal, CH 14. Internationale Graphik-Trienale, Grenchen, CH 1996 Maison Item Galerie, EA, Biel, CH, 1995 Contre Pasquart, Biel, CH 1994 Galerie Contempo, EA, Grenchen, CH Contre Pasquart, Biel, CH > So, 30. April - Mo, 5. Juni 2006 Krypta der Evangelischen Stadtkirche am Marktplatz Eröffnungs- gottesdienst: So, 30. April 2006 10.30 Uhr Evangelische Stadtkirche Info-Tel. (0721) 2 83 42 Himmel auf Erden – Russische Ikonen Земной рай – Русские иконы Öffnungszeiten: Täglich von 12 - 18 Uhr Eintritt frei Im Rahmen der im Frühjahr stattfindenden Europäischen Kulturtage Karlsruhe, die sich dieses Mal dem Thema »Moskau« widmen, führen die evangelischen Stadtkirchengemeinden in der Krypta der Stadtkirche eine Ikonenausstellung durch. Gezeigt werden Ikonen aus der Romanowzeit. Das Zentrum russischen Lebens war zur Romanowzeit (1613-1917), das durch Iwan III. (1440-1505) und Iwan IV. (1533-1584) aus kleinen Teilfürstentümern und durch Eroberung von Kasan und Astrachan zusam- mengefaßte Zarenreich mit der Hauptstadt Moskau. Es ist im wesentli- chen der Teil der heutigen GUS, der bis zum Ural reicht und allgemein als »europäisches Russland« bezeichnet wird. Dieses Gebiet hatte von ca. 1600 bis 1917 ca. 40 eigenständige Ikonenmalschulen, von denen die Moskauer Zarenwerkstätten, die Stroganow-, die Jaroslawer- und die Uschakowschule die wichtigsten sind. Ferner sind Sondergruppierungen wie die Altgläubigenateliers (seit ca. 1670), die Petersburgerschule (seit ca. 1700) und die relativ kleinen Künstlerbünde um 1900 erwähnens- wert. Gezeigt werden in der Ausstellung ca. 100 Ikonen, die hauptsächlich aus den Arbeiten aus den Moskauer Zarenwerkstätten, aber auch aus den Arbeiten der genannten Sondergruppierungen bestehen. Es handelt sich dabei teilweise um großflächige Ikonen, aber auch um kleinere Arbeiten. Der Leihgeber ist das Ikonenmuseum Schloß Autenried (bei Günzburg/ Donau). Dieses Ikonenmuseum ist das größte seiner Art außerhalb der slawischen Welt und Griechenland. Den Leihgebern, insbesondere Bischof Boris Rothemund, sei für das freundliche Überlassen der teilweise sehr wertvollen Ikonen gedankt. Die Ausstellung wird am 30. April mit einem Gottesdienst, der um 10.30 Uhr in der Stadtkirche beginnt, eröffnet. An den Gottesdienst schließt sich die Vernissage (mit Empfang) in der Krypta der Stadtkirche an. BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN < 80 81 > Irina Nakhova – Moskau-Installation Ирина Нахова – инсталлация «Москва» Öffnungszeiten: Di - Fr 16 - 18.30 Uhr Sa, So und Feiertag 11 - 14 Uhr Eintritt frei Die vom BBK eingeladene Moskauer Künstlerin Irina Nakhova wird während des Festivals im Laufe von 2 Wochen eine Installation erarbeiten, die Bezug zum Thema Moskau nimmt. Irina Nakhova wurde 1955 in Moskau geboren. Sie studierte am Moskauer Polygraphischen Institut und gehörte zur jüngeren Generation russischer Nonkonformisten, bekannt geworden unter dem Namen Moskauer Konzeptuelle Schule. Ihre erste Einzelausstellung außerhalb Russlands hatte sie 1989 mit »Partial Triumph I« in der Vanessa Devereux Gallery in London. 1990 folgte »Momentum Mortis« in der Phillis Kind Gallery, New York. Unter ihren jüngsten Projekten sind »Artificial Shrubbery« in der Staatlichen Tretyakov Galerie in Moskau (2005), »Alert: Code Orange« im Nationalen Zentrum für Zeitgenössische Kunst, Moskau (2004), »Silence« in der Galerie im Trakelhaus in Salzburg (2004) und »Moskau-Berlin« im Martin-Gropius-Bau, Berlin (2004). Irina Nakhova lebt und arbeitet in Moskau und New York. »Zwischenspiel« – ein musikalisch unterstrichenes Gesprächsangebot Am Sonntag, dem 7. Mai 2006 um 16 Uhr, steht die Künstlerin Irina Nakhova in entspannter Atmosphäre in der Künstlerhaus-Galerie für Gespräche zur Verfügung. Musikalisch begleitet wird der Nachmittag von Dimitri Dichtiar (Violoncello) und Cornelia Menke-Gengenbach (Klavier). Für die Überwindung sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten sorgt Irmtraut Gengenbach. Der Eintritt ist frei. > So, 30. April - Fr, 12. Mai 2006 Eröffnung: So, 30. April 2006 11 Uhr Finissage: Fr, 12. Mai 2006 19 Uhr BBK / Berufsver- band Bildender Künstlerinnen und Künstler Am Künstler- haus 47 Info-Tel. (0721) 3 84 84 80 Victor Alimpiev Виктор Алимпиев Öffnungszeiten: Di - Fr 11 - 19 Uhr Sa, So und Feiertag 11 - 17 Uhr Eintritt: 3 D / 1,50 D ermäßigt Für Mitglieder des Badischen Kunstvereins frei Der Badische Kunstverein widmet dem Moskauer Künstler Victor Alimpiev (geb. 1973) eine erste internationale Einzelausstellung. Alimpiev nahm mit Filmbeiträgen an den Kurzfilmtagen in Oberhausen (2001, 2003 - 2005) und dem Filmfestival Hannover (2001) teil, jedoch nicht an den deutschen Überblicksausstellungen zur jungen russischen Kunstszene der letzten Jahre. Einzelne Arbeiten von ihm wurden auf der Manifesta 5 in San Sebastian (2004) und auf der Biennale in Venedig (2003) gezeigt. Alimpiev arbeitet im Medium Video wie Malerei und Installation. Seine Filme thematisieren das Verhältnis von individuellem und sozialem Körper sowie dessen skulpturale und performative Qualitäten in eindrucksvollen Inszenierungen, die nicht zuletzt auch die Macht der (filmischen) Regie reflektieren. In seinen Malereien beschäftigt er sich mit Schlachtfeldern der Gegenwart, angesiedelt zwischen romantischen Horizontperspektiven und einer »panischen Geografie«: »It´s a purely dream image. These are clouds at war.« (V. Alimpiev) > Do, 4. Mai - So, 2. Juli 2006 Eröffnung: Do, 4. Mai 2006 19 Uhr Badischer Kunstverein Waldstr. 3 Info-Tel. (0721) 2 82 26 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN < IRINA NAKHOVA > VICTOR ALIMPIEV, »Sweet nightingale« 2005, one channel video, loop, 6'36'' < 82 83 > Victor Alimpiev 1973 in Moskau geboren, lebt dort Studium an der »Art School of Memory of 1905«, Pädagogische Universität Moskau V. I. Lenin (Kunst und Grafik Fakultät), anschl. »New Strategies in Contemporary Art« des »Open Society Institute« der Soros Foundation in Moskau und an der Valand High School of Arts in Goteborg, Schweden (im Rahmen des Programms »New Art Strategy for International Partnership«) Ausstellungen (Auswahl): 2004 Manifesta 5, Donostia – San Sebastian, Spanien »Seven sins«, Ljubljana »The far off fight« (EA), Guelman Gallery, Moskau 2003 »Individual systems«, Biennale di Venezia »Body display«, Secession, Wien »Born to be a star«, Künstlerhaus, Wien »Russian video art«, Chelsea Art Museum, New York »To Oleg« (EA), Guelman Gallery, Moskau »Horizon of reality«, MUHKA, Antwerpen 2002 »The Urgent reporting« (»Aktualny reportazh«), mobile Ausstellung in verschiedenen russischen Städten »SON UN ARTISTA ITALIANO - IT IS VERY PLEASANT! THE RUSSIAN ARTIST - PIACERE!«, NCCA, Moskau; The centre of contemporary art Spazio Umano, Mailand »Ode« (gemeinsam mit Marian Zhunin), V Gallery, Moskau »Pavilion ‘Solar’«, Festival of Contemporary Art in the Bay of Pleasure, »Klyazma Reservoir«, Moskau 2001, Internationales Kurzfilmfestival 2003, 2004 Oberhausen 2001 »SuperVision« Yugnosakhalinsk - Moskau »Out/in the cold«, Art Moscow, Zentrales Künstlerhaus, Moskau »Up-and-coming«, Film Festival Hannover Week of Russian Cinema, Forum Stadtpark, Graz New York Festival of Russian Films, New York, USA 1999 »Last generation«, Spider & Mouse Gallery, Moskau »Oleg, videoversion« (gemeinsam mit Sergey Vishnevsky), Spider & Mouse Gallery, Moskau BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN > VICTOR ALIMPIEV, »Deer« (with Sergey Vishnevsky), 2002, two channel video, loop, 3'40'' < 84 85 > Moskau - New York Double Exposure Express Ein lomographisches Doppelbelichtungsprojekt Eine Ausstellung der Lomographischen Botschaft Deutschland, Böblingen Öffnungszeiten: Di, Fr, So 10 - 18 Uhr Do 10 - 19 Uhr Sa 14 - 18 Uhr Mo und Mi geschlossen Eintritt frei 2005 startet die Lomographische Botschaft Deutschland mit einer kleinen, feinen, ausgewählten Crew zu einem binationalen Doppelbelich- tungsprojekt gen Moskau und New York. Newskij Prospekt hinter 42nd street? Christos Gates auf dem Roten Platz? Coca Cola über Stolichnaja? Blinis mit Teenies? MOMA meets Matrjoschka? Gesucht wird der farb- explosive Mix aus Kreml und Freiheitsstatue. 2 Städte auf einen Blick, 2 Länder auf 1 Print. Erinnern wir uns zurück: Berlin. Sommer 1995. Lothar Schmidt arbeitet mit einem Bulgaren namens Christo Yavacheff am Projekt »Wrapped Reichstag« und nimmt dort erste Kontakte zur noch jungen Lomographischen Bewegung auf. Ein Jahr zuvor hatte ein Team um die heutigen lomographischen Weltpräsidenten Fiegl und Stranzinger eine wagemutige Doppelausstellung namens »Moscow – New York« ausge- richtet. In beiden Städten wurden riesige Lomowände präsentiert, die jeweils Bilder der anderen Stadt zeigten. International, genial, ein Ausstellungsevent, das allerorten für Furore sorgte. Winter 2005. Längst als Lomographische Botschafter für Deutschland aktiv, reisen Lothar Schmidt und Ingeborg Jaiser nach New York. Direkt zu Christo, zurück zu den Anfängen. Kiloweise Filme und tolle Stories im Gepäck. Stets einen Finger am lomographischen Auslöser. Nun zischt der Express weiter ins frostklirrende Moskau, um dort bei Wodka und Soljanka das aus New York mitgebrachte Filmmaterial ein zweites Mal zu belichten. Künstler des Projektes »Moskau – New York Double Exposure Express« sind die beiden Lomographischen Botschafter Deutschlands, Lothar Schmidt und Ingeborg Jaiser, sowie die Lomographen Udo Meixner, Charlotte Sachter und Neil Davidson. > Mi, 10. Mai - Mo, 29. Mai 2006 Eröffnung Mi, 10. Mai 2006 17 Uhr PrinzMaxPalais Literaturhaus Karlstr. 10 Info-Tel. (0721)133-4087 BILDENDE KUNST/ AUSSTEL- LUNGEN 87 > MUSIK < LANDESJUGENDORCHESTER BADEN-WÜRTTEMBERG MUSIK 89 > Mazeppa, der Dämon und Lady Macbeth… Мазепа – Демон – Леди Макбет ... SWR-Treff im Sendesaal Mit kleinem Begrüßungsumtrunk ab 16.15 Uhr Eintritt: 10 D, Vorverkauf 8 D, SWR2-Club 5 D Dr. Michael Heck, Kulturreferent der Stadt Karlsruhe und Dr. h.c. Hans C. Hachmann, SWR-Musikredakteur, unterhalten sich über die rus- sische Oper und ihre Stellung in der europäischen Musikgeschichte – mit klingenden Beispielen! > So, 23. April 2006 17 Uhr SWR Studio Karlsruhe Sendesaal Kriegsstr. 166 - 170 Info-Tel. (0721) 176 - 0 < 88 Klavier-Meisterkurs mit Professor Elena Kuznetsova Фортепьянный мастеркласс у профессора Елены Кузнецовой Leiterin der Klavier-Fakultät des Moskauer Tschaikowski-Konservatoriums Öffentliche Meisterklasse an der Hochschule für Musik Karlsruhe Seit ihrem ersten Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in Belgrad 1972 gehört die Pianistin Elena Kuznetsova zu den herausra- genden russischen Pianisten ihrer Generation. Ihre Ausbildung erhielt sie am Tschaikowski-Konservatorium ihrer Heimatstadt Moskau. Neben ihrer internationalen Karriere als Pianistin widmet sich Elena Kuznetsova inten- siv ihrer Lehrtätigkeit als Professorin und Leiterin der Klavierabteilung am Tschaikowski-Konservatorium in Moskau. Aus ihrer Klasse gingen zahlreiche herausragende Pianisten hervor, die regelmäßig bei renom- mierten internationalen Klavierwettbewerben als Preisträger reüssierten. Abschlusskonzert des Meisterkurses Eintritt frei > Di, 18. April - Sa, 22. April 2006 Schloss Gottesaue Am Schloss Gottesaue 7 Velte-Saal Info-Tel. (0721)6629-253 > So, 23. April 2006 19.30 Uhr Velte-Saal > ELENA KUZNETSOVA < 90 91 > Klavierabend Anna Zassimova Фортепьянный концерт – исполнитель: Анна Засинова In Zusammenarbeit mit dem Richard-Wagner-Verband Karlsruhe Eintritt frei »Zerbrochene Zeiten« Russische Musik vor und nach der Revolution 1917 Nicolai Medtner Aus: Vergessene Weisen op. 38 (1880-1951) Sonata reminiscenza Komponiert: 1918-20 George Catoire Aus: Quatre Morceaux op. 12 (1861-1926) Nr. 1 Chant du Soir Nr. 2 Meditation Aus: Quatre Morceaux op. 34 Nr. 1, Nr. 2 Poemen, Nr. 3 Prelude. (komponiert 1924-26) Nicolai Roslawez Aus: Drei Etüden (komponiert 1914) (1880-1944) Pianissimo - Con Dolce Maniera, Burlando Pause Nicolai Mjaskowski Aus: Vergilbte Blätter op. 31 (1881-1950) (Komponiert 1928) Ivan Wyschnegradsky Étude sur le »Carre Magique Sonore« op. 40 (1893-1979) Sergei Prokofjew Sonata c-moll op. 29 (komponiert 1917) (1891-1953) > Mo, 24. April 2006 20 Uhr Wohnstift am Rüppurrer Schloss Josef-Keilberth- saal Erlenweg 2 Info-Tel. (0721) 9 09 54 19 Anna Zassimova wurde 1976 in Moskau geboren. Nachdem sie als 15- jährige bereits eine Ehrenurkunde beim 1. Frederik-Chopin-Wettbewerb für Junge Pianisten in Moskau erhalten hatte, studierte sie von 1994 bis 2002 Klavier und Klavierkammermusik an der Gnessin-Akademie für Musik in Moskau bei Vladimir Tropp, wo sie ihre Abschlussprüfungen mit Auszeichnung absolvierte. 1996 war sie »die beste Studentin des Jahres« an der Gnessin Akademie und erhielt dort ein Diplom der Russischen Gesellschaft der Institutionen. Ab 2002 studierte sie als Stipendiatin des DAAD Klavierkammermusik und Klavier Solo an der Musikhochschule Karlsruhe in der Klasse von Prof. Michael Uhde und Markus Stange und erhielt ihr Konzertexamen mit Auszeichnung. Zusätzlich besuchte sie Meisterkurse bei Vitalij Margulis, Dimitri Bashkirov, Natalia Trull, Nahum Shtarkmann, Sedmara Zakarjan- Rutstein und Eduardo Hubert in Russland, Italien, Deutschland und USA. Neben ihrer Ausbildung als Pianistin studierte sie Kunstgeschichte an der Russischen Akademie für Malerei, Bildhauerei und Baukunst, Moskau, wo sie 2002 ebenfalls mit Auszeichnung abschloss. 2004 gewann sie den ersten Preis im Karlsruher Kammermusikwett- bewerb und im Freundeskreis-Wettbewerb der Karlsruher Musikhochschule im Fach Klaviertrio. Als Solistin der Staatlichen Moskauer Philharmonischen Gesellschaft gab sie Konzerte in renommierten Konzertsälen von Moskau, (u.a. Rachmaninow Saal, Großer Saal des Moskauer Konservatoriums), Sankt Petersburg, Minsk, London und Warschau. Sie hat an verschiedenen Musikfesten teilgenommen, u.a. am 15. Internationalen Festival Roslavez und Gabo für zeitgenössische Kunst in Brjansk (Russland), am Festival »Grenzen der Zeit« in Moskau, an der Konzertreihe »Brücken« in St. Petersburg, am Festival »Summer Music in Italy« in Casalmaggiorre, am Festival für Neue Musik »Klangriffe« in Karlsruhe und am Projekt »Nouvelles Aventures« in Stuttgart. Im Jahr 2004 war sie Teilnehmerin an dem internationalen Projekt der Stiftung Villa Musica und gab mehrere Trio-Abende zum 100. Todesjahr Anton Dvoraks in dessen Geburtshaus in der Tschechischen Republik. Sie konzertierte als Solistin mit Orchestern wie dem Moskauer Bach Zentrum Orchestra, dem Gnessin-Virtuosen Orchestra. 2005 spielte sie als Pianistin im Radio-Sinfonieorchester Stuttgart auf dem Festival für neue Musik ECLAT. Mit demselben Orchester gastierte sie im gleichen Jahr bei den Salzburger Festspielen. Seit Oktober 2004 ist sie Doktorandin an der Musikhochschule Karlsruhe. MUSIK > ANNA ZASSIMOVA < 92 93 > Moscow by heart Проект о московском Ein Projekt um den Moskauer Musiker und Schriftsteller Misha Feigin Misha Feigin: Gitarre, Balalaika, Stimme und Texte Helmut Bieler-Wendt: Geige, Elektronik Johannes Frisch: Kontrabass, Elektronik Eintritt: 11 D / 9 D ermäßigt / 7,50 D Mitglieder > Mi, 26. April 2006 20.30 Uhr Jazzclub Kronenplatz 1 Info-Tel. (0721) 61 14 93 Ein Laboratorium, in dem Musik und Literatur, Improvisation und Konzept, Biographie und Fiktion, Sprache und Klang, Hören und Sehen, akustische und elektronische Momente ineinandergreifen, verspricht »Moscow by Heart«. Das speziell für die Europäischen Kulturtage »Moskau« erarbeitete Projekt des aus Moskau stammenden, mittler- weile in den USA lebenden Musikers und Schriftstellers Misha Feigin knüpft an die Zusammenarbeit mit den Musikern Helmut Bieler-Wendt und Johannes Frisch an, die in wechselnden, literarisch-musikalischen Kontexten seit den späten 90er Jahren in Deutschland besteht. Die Materialien von »Moscow by Heart« sind Dichtungen von Daniil Charms, Fragmente von Paul Celan und Osip Mandelstam, Gedichte und Prosatexte von Misha Feigin, Erinnerungen und Mutmaßungen, Geige, Balaleika, Gitarre, Kontrabass und Stimme, vom Experiment bis hin zur russischen Zigeunermusik, Schreibgeräusche, die deutsche, russische und hebräische Sprache, das Schreiben und die Musikalität der Feder und ihre akustische Mikroskopierung. Misha Feigin ist geboren und aufgewachsen in Moskau. Dort genoss er in der Kunstszene großes Renomee, als er 1990 in die Vereinigten Staaten auswanderte. Vier Schallplatten waren bereits auf dem staatli- chen »Melodia«-Label erschienen, Radio und Fernsehen hatten ihn mehr- fach porträtiert. Außerdem hatte er erfolgreiche nationale und internati- onale Tourneen hinter sich. Seit er im Westen lebt, spielte Misha Feigin in den USA, Kanada, England, Schottland, Israel, Deutschland, Schweden, der Schweiz, Norwegen und Dänemark. 2003 wurde sein Ruf als vielseitig talentierter Künstler mit dem Erscheinen des Buches »Auf der Suche nach Irina« bestätigt, einer kraftvollen und eindrücklichen Erzählung aus der Zeit, als die politischen Prozesse den Blick auf Stalins Schrecken freigaben, während Sex, Drogen und Rock'n'Roll durch den eisernen Vor- hang drangen und mit dem scheinbar undurchdringlichen System zusam- menstießen. Nach dem Erfolg des nach kurzer Zeit vergriffenen Buches hat Fleur Publishing mit »Das letzte Wort der Astronomie« Misha Feigins Gedichtesammlung veröffentlicht, die Werke aus den vergangenen bei- den Jahrzehnten umfasst. Im Jahre 2000 war Misha Feigin Träger des Thomas Merton Prize for Poetry. MUSIK > MISHA FEIGIN < 94 95 > Das Goldene und Silberne Jahrhundert Золотой и серебрянный век Musikalische Welt, russische Poesie und deren Begegnungen mit Deutschland Mit Musik von Sergei Rachmaninow und Peter Tschaikowski sowie Lyrik von Iwan Bunin und Alexander Puschkin Stephan Skiba, Violine Alexander Kaschin, Violoncello Anna Zassimova, Klavier Sprecherinnen: Simone Petri und Anne-Kathrin Bartholomäus In Koproduktion mit dem Schauspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe Eintritt: 15 D / 10 D ermäßigt Programmabfolge: Iwan Bunin (1870-1953) als Vertreter des Silbernen Jahrhunderts der russischen Poesie. Seine Zeitgenossen. Sein Lebensweg und Begegnungen zu Deutschland. Gedichte: »...Nur die Trauer tröstet ganz!« »Es wurde kahl der Wald und arm,...«, »Im Weinberg«, »Hoffnungslosigkeit«, »Der Ruf«, »Bretagne« und andere. Sergei Rachmaninow (1873-1943) Sonate für Klavier und Violoncello g-Moll, Op. 19 Zeitgenosse von Bunin. Ihre Begegnungen. Die Bedeutung von Rachmaninow für die russische Musik und die Bedeutung von Bunin für die russische Literatur. Pause Alexander Puschkin (1799-1837) als Vertreter des Goldenen Jahrhunderts der russischen Poesie. Seine Zeitgenossen, Lebensweg und Begegnungen zu Deutschland. Dramatisches Werk: Szene aus »Faust« Peter Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) und seine Begegnungen mit Puschkin. Trio »A la memoire d‘un grand artiste« für Klavier, Geige und Violoncello Op. 50, a-Moll. Das literarisch-musikalische Programm rund um Bunin, Puschkin, Rachmaninow und Tschaikowski beleuchtet bedeutende Kapitel russischer Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und deren Berührungspunkte mit der deutschen Literatur. Iwan Alexejewitsch Bunin, der 1870 in Woronesch geborene Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer, erhielt 1933 als erster Russe den Nobelpreis für Literatur. Er entstammte einer ver- armten Adelsfamilie, studierte in Moskau, arbeitete als Zeitungsredakteur und wurde später für seine Übersetzungen aus dem Englischen (darun- ter Henry Wadsworth Longfellow und Lord Byron) mit dem Puschkin- Preis der russischen Akademie ausgezeichnet. Reisen führten den Freund Tschechows und Gorkis quer durch Europa, nach Nordafrika und bis nach Indien. Nach der Oktoberrevolution lebte Bunin zunächst zwei Jahre im Süden Russlands, bevor er 1920 nach Frankreich floh. Erst nach seinem Tod 1956 wurde der entschiedene Gegner des Bolsche-wismus von den Sowjets rehabilitiert und durfte wieder erschei- nen. Sein Name steht für das sog. Silberne Zeitalter der russischen Poesie: Bunin prägte mit seinem Stil maßgeblich die russische Literatursprache. Er interessierte sich intensiv für Schopenhauer und wurde von Thomas Mann hoch geschätzt. Mit seinem Zeitgenossen Sergei Rachmaninow tei- lte er das Schicksal des Lebens in der Fremde, das sowohl in seiner Lyrik wie auch in der Musik Rachmaninows – hier in seiner Sonate für Violoncello und Klavier – ein zentrales Schaffensmotiv mit dem Unterton der Sehnsucht bildet. Als Begründer der modernen russischen Literatur schlechthin und als eine ihrer schillerndsten Gestalten gilt Alexander Sergeiewitsch Puschkin, der 1799 in Moskau geboren wurde. Große Ereignisse der russischen Geschichte wie der Krieg gegen Napoleon (1812) hinterlassen in sei- nem Werk ebenso tiefe Spuren wie nachhaltige Theatererlebnisse. Seine Spottgedichte bringen ihn in Konflikt mit dem Zarenregime, das ihn zwi- schenzeitlich zu einem Aufenthalt auf der Krim zwingt. Puschkin, der einen russischen »Faust« dichtete, duelliert sich häufig, auch aus trivialen Gründen. Ein Duell gehört auch zu seinem bedeutendsten Versepos, dem Peter Tschaikowski, der mit Puschkin einen anregenden Austausch pflegte, mit seiner großen Oper ein Denkmal setzt: Eugen Onegin. Tschaikowskis großes Klaviertrio op. 50 steht in seiner selbstbewussten Virtuosität und Reife für den beflügelnden Geist jener Zeit. Der Abend, der Leben und Werk der genannten Dichter und Komponisten nachzeichnet, möchte das Goldene und Silberne Jahrhundert in der russi- schen Poesie mit Musik und Rezitationen lebendig machen. > Do, 27. April 2006 20 Uhr Stephanssaal Ständehausstr. 4 Ticket-Tel. (0721) 93 33 33 MUSIK < 96 97 > Stephan Skiba Stephan Skiba, 1956 in Berlin geboren, erhielt seine musikalische Grundausbildung am Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen. Danach studierte er an der Musikhochschule München beim Professor Otto Büchner und schloß seine Studien bei Arthur Grumiaux in Brüssel ab. Während seiner Münchner Zeit war er Mitglied des Münchner Bachorchesters unter Karl Richter. Als Erster Konzertmeister gehörte er 1977-1984 dem Philharmonischen Orchester der Stadt Freiburg an. Seit 1984 ist Stephan Skiba Erster Konzertmeister der Badischen Staatskapelle Karlsruhe. Konzertreisen führten ihn durch Europa, nach Japan und Russland, wobei er sich neben dem klassischem Konzertrepertoire selten aufgeführten Werken, wie z.B. den Violinkonzerten von P. Hindemith, B. Britten, Rudi Stephan u.a. widmet. Neben zahlreichen Produktionen mit dem Süddeutschen Rundfunk hat er das Violinkonzert von Mendelssohn, sowie das Klaviertrio von P. Tschaikowski auf CD aufgenommen. Alexander Kaschin Alexander Kaschin wurde 1972 in Moskau geboren. Von 1990 bis 1995 studierte er am Moskauer Staatlichen Konservatorium bei Prof. W. Fejgin. Von 1995 bis 1998 setzte er seine Ausbildung (Diplom-Studiengang) an der Hochschule für Musik in Hamburg bei Prof. Wolfgang Meh fort und erhielt sein Diplom mit Auszeichnung. Von 1996 bis 1998 besucht er mehrere Meisterkurse bei Prof. David Geringas, Prof. Wolfgang Boettcher und Prof. Boris Pergamenschikow. Von 1998 bis 2001 studierte er im Aufbaustudium (Konzertexamen) bei Prof. B. Gmelin an der Hochschule für Musik in Hamburg. Er ging aus zahlreichen Wettbewerben als Preisträger hervor: 1987 2. Preis beim Internationalen Wettbewerb »Concertino Praga« (Tschechien). 1988 Diplom beim Nationalen Cellowettbewerb in Russland. 1996 2. Preis beim Internationalen Elise-Meyer Wettbewerb in Hamburg. 1997 4. Preis beim Internationalen Kammermusikwettbewerb »Sonaten« in Vierzon (Frankreich). 1999 Auszeichnung in Form einer Instrumentenleihe für 5 Jahre von der SINFONIMA – Stiftung der Mannheimer Versicherung AG. 2004 Auszeichnung in Form Instrumen- tenleihe von der Stiftung des Landes Baden-Württemberg. Seit 1987 trat Alexander Kaschin in vielen Konzerten in Russland, der Ukraine, Armenien, Tschechien, der Slowakei, Bulgarien, Deutschland, Italien und Frankreich auf. Er konzertierte als Solist mit Orchestern wie den Hamburger Symphonikern, dem Mozart-Orchester Hamburg, dem Landessinfonieorchester Flensburg, dem Orchester Lu (Ukraine), dem Odessa Kammerorchester und dem Kammerorchester des Moskauer Konservatoriums. Er war zu Gast bei Festivals wie dem P. Casals Cello Festival in Kronberg/Taunus dem Schleswig-Holstein-Musik-Festival und dem Musikfestival »Hanns Eisler und seine Schüler« (NDR Hamburg). Das Repertoire von Alexander Kashin umfasst Werke vom Barock bis zur Gegenwart und ist auf mehreren Schallplatten- und CD-Produktionen dokumentiert. Seit 2003 ist er Stellvertretender Solo-Cellist der Badischen Staatskapelle Karlsruhe. Simone Petri Simone Petri wurde 1976 in Zürich geboren, wo sie (unterbrochen von einem einjährigen Sprachaufenthalt in Moskau 93/94) bis zur Matura lebte und zur Schule ging. Nach einem sechsmonatigen Sprachaufenthalt in Kuba und einem abgebrochenen Geschichtsstudium in Genf, Jobs als Altenpflegerin und Übersetzerin, besuchte sie von 1997 bis 2001 die Hochschule für Musik und Theater in Bern. 2001 ging sie ins Festengagement ans Landestheater Tübingen und wechselte 2002 ans Badische Staatstheater Karlsruhe, wo sie immer noch Ensemblemitglied ist. Daneben war sie ein Jahr lang als Kolumnistin für das Schweizer Reisemagazin »via« tätig, leitete den Theater-Jugendclub des Badischen Staatstheaters und spielte in verschiedenen Fernseh- und Kinospielfilmen mit. 2003 erhielt sie den Schweizer Filmpreis als beste Darstellerin und war european shooting-star an der Berlinale. Simone Petri ist verheiratet und hat eine Tochter (geb. 2004). Anne-Kathrin Bartholomäus 1962 in Köthen/Anhalt geboren. Nach der Polytechnischen Oberschule der DDR eine zweijährige Ausbildung zur Bibliothekarin abgeschlossen. Beruflich tätig als Bibliothekarin und Museumsvolontärin in Dessau An- halt. 1983-87 Studium an der Hochschule für Schauspielkunst, Rostock. Erstes Engagement als Schauspielerin am Theater Stralsund. Weitere Engagements an den Theatern Celle, Gera, Altenburg, Aachen. In Gastrollen an den Theatern Detmold, Oldenburg und ein Jahr Tourneetheater in der Rolle der Krimhild von Hebbels »Nibelungen«. Verschiedene Rollen bei Funk und Fernsehen. Tätigkeiten als Lehr- beauftragte für Schauspiel an den Theaterhochschulen in Rostock und Leipzig. Seit 2002 festes Ensemblemitglied am Badischen Staatstheater Karlsruhe. MUSIK < 98 Studio Vocale Karlsruhe Хор «Студио Вокале» Карлсруэ Leitung: Werner Pfaff Eintritt: 10 D / 7 D ermäßigt Sergei Rachmaninow (1873 – 1943): Ganznächtliche Vigil op. 37 »Ich bin ein russischer Komponist, und meine Heimat hat mein Temperament und meine Anschauungen geprägt. Meine Musik ist Ausdruck meines Temperaments, und also ist sie russische Musik.« Sergei Rachmaninow Am 7. Mai 1933, seinem 60. Geburtstag, wurde Sergei Rachmaninow in Paris in einem öffentlichen Festakt geehrt. Die russischen Exilanten rühmten ihn in einem Grußwort, das unter anderen auch Komponisten wie Alexander Glasunow und Nicolai Medtner unterzeichnet hatten, ausdrück- lich dafür, dass er auch im Exil seine russische Vergangenheit nie geleug- net hatte. Dieses Grußwort endete mit dem Satz: »Was wir Ihnen und auch uns noch wünschen: dereinst in Moskau Rachmaninows »Ganznächtliche Vigil« in Anwesenheit des Komponisten zu hören.« Dieser Wunsch war Ausdruck einer tiefen Sehnsucht der Unterzeichner nach einer – allerdings unmöglichen - Rückkehr in eine nicht nur geogra- phische, sondern auch kulturelle und religiöse Heimat. Damals war in der Sowjetunion die Aufführung religiöser Musik strikt verboten; außerdem war Rachmaninow seit 1931 »persona non grata«, da er in der »New York Times« einen Artikel mitunterzeichnet hatte, der den ideologischen Terror der Kommunisten anklagte. Als er im Januar/Februar 1915 seine »Ganznächtliche Vigil« kompo- nierte, war er allerdings noch einer der populärsten Komponisten Russlands. Schon während seiner Studienzeit hatte er sich für die ursprüngliche Musik der orthodoxen Kirche interessiert, ohne allerdings im eigentlichen Sinne religiös zu sein. Die im Gottesdienst verwendete Musik orientierte sich damals an westeuropäischen Vorbildern; es waren italienische und auch deutsche Musiker an den Zarenhof geholt worden, deren Einfluss noch lange spürbar gewesen war und die eigenständige Entwicklung der russischen Musik lähmte. Die Petersburger Hofkapelle und ihre strikte Zensur trug zur Ermutigung der Komponisten nicht viel bei, und erst der Rechtsstreit um ein geistliches Werk Tschaikowskis (Die Liturgie op.41) – der zugunsten des Komponisten ausging - brach den Bann. Eine neue »Russische Schule des Kirchengesangs« konnte beginnen. Diese »Neue Schule« besann sich auf die alte orthodoxe Kirchenmusik, die teilweise dem Volksgesang sehr nahestand. Schon mit seiner > So, 30. April 2006 19 Uhr Christuskirche Riefstahlstr. 2 am Mühlburger Tor Info-Tel. (0721) 69 42 18 »Liturgie des Johannes Chrysostomos« op.31 aus dem Jahre 1910 hatte sich Rachmaninow dieser Musik genähert. Ihn reizte das Archaisch- Ursprüngliche, das dem Kirchengesang im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend abhanden gekommen war und durch die »verwestlichten« Hörgewohnheiten ganz verloren zu gehen drohte. Der ehemals einstimmi- ge Kirchengesang war zum mehrstimmigen Choralsatz geworden; die alten liturgischen Melodien waren teilweise als tragende Stimmen beibehalten worden, aber die Musik hatte ihre Eigenart verloren. Im 19. Jahrhundert kam die Rückwendung; dabei spalteten sich die Musiker in zwei Lager. Die einen wollten an der reinen liturgi- schen Funktion festhalten und lehnte jeden individuellen künstlerischen Einfluss ab; führend in dieser Gruppe waren Kreise der russischen Or- thodoxie. Die andere Gruppe, hauptsächlich vertreten durch junge Mu- siker und Komponisten, forderte künstlerische Freiräume und hoff- te, die Liturgie werde sich den Erneuerungsbestrebungen öffnen. Dies war jedoch zunächst nicht der Fall: geistliche Kreise bekämpften jeg- liche Modernisierungsversuche, man untersagte außerdem das Singen liturgischer Texte außerhalb des Gottesdienstes. Lange vermochte die orthodoxe Kirche diese Verweigerungshaltung nicht durchzuhalten, und ausgerechnet eine ihrer eigenen Institutionen, die »Moskauer Schule für Kirchengesang« und der ihr angeschlossene Synodalchor öffneten sich der neuen Musikbewegung. Am Anfang dieser Erneuerungsbewegung standen Peter Iljitsch Tschaikowskis »Liturgie« (1878) und »Nachtvigilie« (1881), die beiden gleichnamigen Werke von Sergei Rachmaninow bilden Höhepunkt und Schluß einer musikalischen Bewegung, die durch die Oktoberrevolution jäh beendet wurde. Die orthodoxe Kirche kennt ebenso wie die römische das Stundengebet; an Vorabenden von Sonn- und Feiertagen werden die Abend- und Morgen- gebete zu einer rituellen Einheit zusammengefaßt (Vigil und Matutin). Anders als die römische Kirche hat die orthodoxe Kirche wechselnde Kom- binationen fester und beweglicher liturgischer Texte und Melodien, darü- ber hinaus muss noch ein Achtwochenzyklus von Kirchentonarten beach- tet werden, der das gewöhnliche Kirchenjahr überlagert. Tschaikowski hatte sich bitter beklagt, daß die Geistlichen ihm keine Auskunft über die Liturgiefolge geben könnten, da sie selber die Regeln nicht verstünden und willkürlich Gesänge auswählten. Rachmaninow suchte und fand Hilfe bei Alexander Kastalskij, der an der Moskauer Schule für Kirchengesang tätig war. Aus der verwirrenden Vielfalt von Details, die bei einer so komplexen Komposition wie der Vigil zu beachten wäre, vertonte Rachmaninow nur ein »Grundgerüst«; die den jeweiligen liturgischen Gegebenheiten ent- sprechenden Ergänzungen überließ er den Geistlichen und Kirchenchören. Diese Beschränkung erleichtert die konzertante Aufführung der Vigil – sie ist nach ihrer Uraufführung am 10. März 1915 in Moskau auch nur sehr selten im Gottesdienst erklungen. Es sind nicht nur die liturgisch-musikalischen Elemente beziehungs- MUSIK 99 > < 100 weise deren Fehlen, die eine Aufführung so schwierig machen; auch die Ansprüche an die Sänger sind für einen einfachen kleinen Kirchenchor nur schwer zu bewältigen. Rachmaninow komponierte für den Moskauer Synodalchor und hatte somit eines der besten Ensembles überhaupt zur Verfügung – für manche Partien holte er sich auch Sänger der Moskauer Oper. Er verwendete die alten liturgischen Texte von Vesper (Abendgebete, Nr. 2 - 6) und Matutin (Morgengebete, 7 -15). In zehn der fünfzehn Sätze griff er auch auf die alten Kirchengesänge zurück, allerdings erklingen sie hier nicht in der Originalgestalt. Rachmaninow veränderte Details: er kürz- te, transponierte, und er bereicherte die Sätze um harmonische Varianten. Die fünf Sätze aus seiner eigenen Feder (die Nummern 1,3,6,10 und 11) unterscheiden sich stilistisch nicht von den »Zitaten«, Rachmaninow nann- te sie mit einem Augenzwinkern »Stilfälschungen«. Die Vielfalt seiner Stilmittel reicht vom archaischen Unisono bis zu individuellen Klangmalereien, z.B. der Evokation von Glockenklängen in Nr. 7 und 8 (Beginn der Matutin). Der Text wird nicht in ein starres Me- trum gezwängt, sondern kann frei fließen – so kann auch die Melodie dem Text nachgeben, jedes Wort wird sinngemäß betont. Er erfand eine reiche Klangfarbenpalette: vom Solo und Unisono über kleine Chorgruppen und homophonen Satz spannt sich der Bogen bis zum achtstimmig aufgefä- cherten Chor in der Großen Doxologie (Ehre sei Gott in der Höhe, Nr. 12). Die Harmonik verbindet Wendungen aus der Volksmusik (Terz- und Sextklänge) mit modalen Klängen; Rachmaninow vermied aber weitge- hend »moderne« Chromatik, da er alte diatonische Melodiestrukturen benutzte. Der erste Teil, die »Nachtwache«, ist eher lyrisch geprägt, die Gebets- texte sind betrachtend und meditierend. Im zweiten Teil kommen erzäh- lende Elemente zum Tragen (vgl. Nr. 9, Gelobt bist Du, o Herr – eine Schilderung aus der Oster- und Auferstehungsgeschichte). Höhepunkt des zweiten Teils ist die Große Doxologie, die danach folgenden Stücke bil- den quasi das Finale. Sie sind weniger konzertant angelegt, sie bauen die zuvor aufgestaute Spannung langsam wieder ab und lassen die Matutin ausklingen. Die Uraufführung der Vigil fand am 10. März 1915 als Benefizkonzert für die Kriegsopfer statt. Der Moskauer Synodalchor sang unter der Leitung von Nicolai Danilin. Nicht zuletzt durch die hervorragende Leistung des Chores war die Vigil zunächst sehr erfolgreich, duch das Verbot aller Kirchenmusik nach der Revolution geriet sie in Vergessenheit. »Das große Abend- und Morgenlob« war eines der beiden Lieblingswerke Rachmaninows (das zweite war die Sinfonie »Die Glocken« nach einer Dichtung von Edgar Allan Poe). Am meisten liebte er die Nr. 5, Nunc dimittis (Herr, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren), von dem er wünschte, daß es auf seiner Beerdigung gespielt werde. Eigentlich hatte er auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof begraben sein wollen, dort, wo auch Alexander Skrjabin zur letzten Ruhe gebettet worden war. Nachdem er über zwanzig Jahre lang ein Emigrantendasein geführt hatte, wollte er wenigstens im Tode wieder in die Heimat zurückkehren, doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Im Frühjahr 1943 starb er, wenige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag, in Kalifornien und wurde in Westchester County/ New York beerdigt. »Ich fühlte mich wie ein Geist, der in einer Welt herumirrte, die ihm fremd geworden war. Ich kann die alte Art zu schreiben nicht ablegen und mir die neue nicht zu eigen machen.« Sergei Rachmaninow Werner Pfaff studierte Klavier und Komposition in Trossingen, Dirigieren und Ge- sang in Karlsruhe sowie Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Freiburg. Sein wichtigster Lehrer war Hans Michael Beuerle (Chorlei- tung). Andere wichtige künstlerische Erfahrungen sammelte er bei der Zusammenarbeit mit u.a. Solti, Sinopoli, Chailly, Inbal, Harnoncourt, Gielen, Marriner, Rostropowitsch, Penderecki und Ericson. 1980 gründete er den Kammerchor Studio Vocale Karlsruhe, mit dem er mehrere internationale 1. Preise gewann. Einladungen zu Festivals in Europa, Amerika und Asien sowie zahlreiche Fernseh- und Rundfunk- und CD-Produktionen folgten. 2003 wurde Werner Pfaff beim Internationalen Chorwettbewerb »Habaneras y Polifonia¡« in Torrevieja/ Spanien mit dem Sonderpreis als bester Dirigent ausgezeichnet. Von 1989-1996 hatte Werner Pfaff einen Lehrauftrag für Dirigieren an der Musikhochschule Frankfurt am Main, von 1992-1995 zusätzlich an der Hochschule für Musik »Franz Liszt« in Weimar inne. Er arbeitet regelmäßig mit Orchestern aus Deutschland, Frankreich, Polen und der Tsche-choslowakei sowie Barockorchestern zusammen. Häufige Einladungen als Gastdirigent ermöglichen Werner Pfaff die Zusammenarbeit mit Rundfunkchören im In- und Ausland (Stuttgart, Köln, Leipzig, Krakau) und anderen professionellen Chören weltweit. Werner Pfaff ist ein gesuchter Leiter von internationalen Chorateliers, er gibt regelmäßig Dirigierkurse und Meisterklassen in der ganzen Welt. Seit 1991 gehört er zusammen mit Jan Szyrocki zu den ständigen Diri- genten der Deutsch-Polnischen Chor-Akademie »In terra pax«. Berufungen in die Jury bei internationalen Chorwettbewerben führten Werner Pfaff u.a. nach Tours, Tolosa, Riva del Garda, Argentinien, Israel, Polen, Belgien und Slowenien. MUSIK 101 > < 102 103 > Studio Vocale Karlsruhe wurde 1980 von Werner Pfaff gegründet und besteht aus ca. 32 aus- gebildeten SängerInnen. Bereits nach wenigen Jahren gewann der Chor einige der bedeutendsten internationalen Chorwettbewerbe, u.a. in Gorizia (Gesamtsieger 1987), Tolosa (1. Preisträger 1988, 2. Preisträger 1999) Marktoberdorf (1. Preisträger 1989), und hat sich seitdem kontinuierlich weiter entwickelt. 2003 errang das Studio Vocale Karlsruhe einen 1. und 2. Preis beim Internationalen Chorwettbewerb »Habaneras y Polifonia« in Torrevieja/ Spanien. Aufgrund dieser Erfolge hat sich der Chor nicht nur im europäischen Raum einen bedeutenden Ruf erworben und erhält regelmäßig Einladun- gen zu Gastkonzerten und Festivals in aller Welt, so unter anderem nach St. Petersburg, Seoul, Riga, San Sebastian, Buenos Aires, Legnano, Va- lencia und Manila. In Deutschland gastierte der Chor u.a. im Jahr 2000 beim Schwarzwaldmusikfestival (H-Moll-Messe unter Mark Mast) und beim Rheingau Musikfestival (Messias unter L. Güttler). Der Schwerpunkt der musikalischen Arbeit von Studio Vocale Karls- ruhe liegt auf der Gestaltung anspruchsvoller A-Cappella-Programme, deren stilistische Bandbreite von der Renaissance bis zur zeitgenössischen Musik reicht. Neben der Auswahl besonders lohnender, oft wenig bekann- ter Literatur stellt Werner Pfaff dabei stets einen musikalisch-dramaturgi- schen Zusammenhang der Werke in den Vordergrund. Regelmäßig widmet sich der Chor auch der Interpretation oratorischer Werke. Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen dokumentieren die Arbeit von Studio Vocale Karlsruhe. In den letzten Jahren fand in Zusammen- arbeit mit dem SWR und dem Renner Ensemble Regensburg eine CD- Gesamteinspielung der Chorwerke von Robert Schumann statt. Simon Nabatov Симон Набатов Solopiano Eintritt: 11 D / 9 D ermäßigt / 7,50 D Mitglieder Der in Moskau geborene Simon Nabatov gilt als eines der bedeutends- ten Talente der aktuellen Jazz-Szene. Seine erste Ausbildung erhielt er am Konservatorium in Moskau; später wechselte er in die Vereinigten Staaten und studierte u.a. an der Julliard School of Music in New York. Seit 1984 gewinnt Nabatov regelmäßig Preise in seinem Fach. Neben seinen zahlrei- chen Zusammenarbeiten mit Jazzgrößen wie Paul Motian, Ray Anderson, Chet Baker und Barry Altschul profilierte sich Nabatov als virtuoser und phantasievoller Pianist. In seinem aktuellen Programm verbindet Simon Nabatov Improvisation mit der europäischen Klassik und bezieht Komponisten wie Bach, Brahms oder Chopin in seine Ausflüge mit ein, auf deren Grundlage er sich zu lustvollen Soloritten aufmacht. Gleichzeitig schafft er in der Verbindung von Klassik und Gegenwart eine klangvolle Brücke zwischen gestern und heute. > Mi, 3. Mai 2006 20.30 Uhr Jazzclub Kronenplatz 1 Info-Tel. (0721) 61 14 93 MUSIK > STUDIO VOCALE KARLSRUHE > SIMON NABATOV < 104 Musik und Mysterium Музыка и мистерия Der russische Komponist Alexander Skrjabin in Deutschland, sein Leben und sein Zeitgenosse Boris Pasternak in Musik und Texten Solist: Juri Bogdanow am Flügel Sprecherin: Teresa Trauth In Koproduktion mit dem Schauspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe Eintritt: 15 D / 10 D ermäßigt Programmabfolge: Alexander Skrjabin (1872-1915): Besonderheiten seines Schaffens. Sein Leben in Deutschland. Sonate-Fantasie, Op. 19, gis-Moll. Vierundzwanzig Präludien, Op. 11. Pause Drei Masurkas aus Op. 3: Nr.5, es-Moll; Nr. 6, cis-Moll; Nr.7, e-Moll. Fantasie Op. 28, h-Moll. Zwei Tondichtungen Op. 32: Fis-Dur und D-Dur Tondichtung »K Plameni« (»Zu Flamme«) Op.72 Zwei Etuden: Op. 42 Nr. 5 cis-Moll und Op. 8 Nr. 12 dis-Moll Alexander Nikolajewitsch Skrjabin gilt als der große Mystiker der rus- sischen Musik. 1872 in Moskau geboren, schloss der Pianist 1892 seine Studien am Moskauer Konservatorium mit der »Kleinen« Goldmedaille an (die »Große« erhielt sein Kommilitone Rachmaninow). Ausgedehnte Konzertreisen machten den großen Tastenkünstler in Europa und inter- national bekannt. Skrjabin pflegte bei seinen Auftritten ausschließlich eigene Kompositionen zu spielen. Ausgehend von der Romantik Chopins und Liszts fand er über die Chromatik von Wagners Tristan-Musik zu einem eigenen harmonischen System, das den Moll-Dur-Bezirk verlässt und auf dem aus Quartschichtungen konstruierten »Mystischen Akkord« oder »Prometheus-Akkord« aufbaut. Aus diesem System heraus und durch den Kontakt mit den Schriften > Do, 4. Mai 2006 20 Uhr Stephanssaal Ständehausstr. 4 Ticket-Tel. (0721) 93 33 33 der Theosophischen Gesellschaft reifte Skrjabins Vision eines beson- deren Gesamtkunstwerks, das in Indien als »Mysterium« unter einer Halbkugel mit 2000 Mitwirkenden das Publikum zu kollektiver Ekstase führen sollte. Bevor er dieses kühne Projekt in Angriff nehmen konnte, starb er jedoch 1915 an den Folgen einer Blutvergiftung. Auch das von Skrjabin angestrebte Klangfarbenklavier ist bezeichnend für die esoteri- sche Klangästhetik des Komponisten, der zu den großen Erneuerern der russischen Tonkunst zählt. Mit Deutschland verband Skrjabin eine besondere Beziehung. Es war das erste Land, das Skrjabin besuchte. 1895 kam er nach Berlin und besuchte Mendelssohn, dort betrachtete er staunend ein Beethoven-Autograph aus dessen Besitz. In Deutschland begegnete er dem großen Pianisten Emil Sauer und lernte er den bedeutenden Bariton Karl Scheidemantel kennen. In Heidelberg suchte er bei dem Neuropathologen Wilhelm Erb Rat wegen seiner überanstrengten rechten Hand. Die gegenseitige Sympathie der bei- den Männer und die gemeinsame Liebe zur Musik führte zum anregenden Austausch. Heidelberg inspirierte Skrjabin zu vielen Klavierstücken. Teile seiner Préludes op. 13 und 15 entstanden in einem Kölner Hotel. In seiner Jugend spielte der begabte Pianist gerne Schumann, auch schätzte er den Pianisten Carl Reinecke. Die Verbindung zum Leipziger Verlag Beljaev, und die Firmen L. Hupfeld und Welte-Mignon, die Skrjabin zu Aufnahmen u. a. für die so genannten Phonola-Rollen einluden, markieren ebenfalls die intensive Verbindung des Komponisten zu Deutschland. Das Programm »Musik und Mysterium« folgt diesem spannenden Verhältniss in einer Koproduktion mit dem Schauspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe in Texten und Klaviermusik. Juri Bogdanow Juri Bogdanow wurde 1972 geboren. Er bekam seinen ersten Klavier- unterricht bei Frau Artobolewskaja als er vier war. Seine musikalische Ausbildung bekam er bei der Zentralen Musikschule des Moskauer Konser- vatoriums (bei Frau Artobolewskaja, bei Herrn Mdojanz und beim Herrn Prof. Nasedkin) und beim Moskauer Konservatorium (bei Frau Prof. Nikolaewa und Herrn Prof. Woskresenski). Juri Bogdanow hat u. a. fol- gende Auszeichnungen bei Internationalen Musikwettbewerben erhalten: 3. Preis beim Internationalen J.S.Bach Musikwettbewerb in Leipzig 1992 2. Preis beim Internationalen F. Schubert Musikwettbewerb in Dortmund 1993 3. Preis beim Internationalen F. Mendelssohn Musikwettbewerb in Hamburg 1994 1. Preis beim Internationalen F. Schubert Musikwettbewerb in Wien 1995 Konzertreisen führen ihn durch Russland, Österreich, Australien, Deutschland, Canada, Holland, Norwegen, Nord Korea, Frankreich, MUSIK 105 > < 106 107 > Schweiz und Japan. Auch bei zahlreichen Musikfestivals, wie z.B. »April Frühling« in Pjöngjang oder Skrjabin-Festival in Moskau hat er gespielt. Seit 1997 ist J. Bogdanow Solist der Moskauer Staatlichen Philharmonie. Als Solist hat er unter folgenden Dirigenten wie W. Ponkin, P. Sorokin, W. Dudarowa, S. Skripka, E. Serow, I. Goritski, M. Bernardi, A. Politkow und mit folgenden Orchestern gespielt: Moskauer Rundfunkorchester, Moskauer Philharmonisches Orchester, Deutsche Kammerakademie, Calgary Philharmonic und Moskauer Staatliches Sinfonieorchester. Seine CD mit Werken von F. Schubert wurde vom Schubert-Institut in Wien als die beste Schubert-Aufnahme 1996 ausgezeichnet. Der Pianist hat auch eine aktive pädagogische Tätigkeit inne – z.B. einen Lehrauftrag bei dem Musikinstitut Ippolitow-Iwanow in Moskau. J. Bogdanow hat als Jury-Mitglied bei mehreren Internationalen Musikwettbewerben mitge- wirkt. Er unterrichtete Meisterkurse in Russland und im Ausland. Er ist ein Mit-Gründer und Vizepräsident vom Musikfonds »Artobolewskaja«. Teresa Trauth Geboren 1975 in Altenburg (Sachsen), aufgewachsen in Berlin, besuchte sie dort die Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Ihr erstes Engagement hatte sie am Landestheater Tübingen von 1999 bis 2OO1, dann wechselte sie für eine Spielzeit ans Staatstheater Kassel und von dort zum Badischen Staatstheater Karlsruhe. Rockkonzert рок-концерт Va-Bank Alexander F. Sklyar (Gitarre, Gesang), Alik Ismagilov (Bass, Gesang), Egor Nikonov (Gitarre, Gesang), Andrei Belizov (Schlagzeug) Eintritt: 15 D VVK zuzügl. Gebühr, an der Abendkasse 18 D Vor 20 Jahren vom Gitarristen und Sänger Alexander F. Sklyar ge- gründet, ist Va-Bank eine der führenden und interessantesten Bands der Moskauer Alternative-Szene. Die Band hat viele verschiedene Stilistiken durchexerziert, die auch heute noch alle in ihrer stets aktuell gebliebenen Musik durchhörbar sind. In der jüngsten Zeit ist jedoch die betont harte und aggressive, zeitweise punkige Spielweise früherer Tage einem eher akustischen und melodischen Gewand gewichen. Zwischen Hardrock, New Folk und einem osteuropäischen Romanti- zismus ignorieren Va-Bank die klassischen Grenzen des Rock-Genres, sind so für unterschiedliche Geschmäcker interessant, immer für eine Überraschung gut und niemals langweilig. In ihrer Heimat füllen Va- Bank Stadien, Hallen und Clubs, aber auch im europäischen Ausland wie Skandinavien, Deutschland oder Frankreich tourte das Quartett in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg, gelegentlich auf Tour mit Bands wie The Stray Cats, der Rollins Band, Biohazard oder Rage Against the Machine. > Do, 4. Mai 2006 20.30 Uhr Kulturzentrum Tollhaus Schlachthausstr. 1 Info-Tel. (0721) 96 40 50 MUSIK > VA-BANK < 108 Streichquartettabend Струнный квартет – концерт Mit Werken deutscher Komponisten für russische Auftraggeber Josef Haydn Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello (1732 - 1809) op. 33 Nr. 5 G-Dur (dem Großfürsten Pawel Petrowitsch gewidmet) Sergei Prokofjew Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello (1891 - 1953) op. 50 h-Moll Pause Ludwig van Beethoven Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello (1770 - 1827) op. 59 Nr. 3 C-Dur (dem Fürst Andrej Rasumowski gewidmet) Janos Ecseghy, 1. Violine Diana Drechsler, 2. Violine Michael Fenton, Viola Alexander Kaschin, Violoncello Eintritt: 15 D / 10 D ermäßigt Das Interesse russischer Adliger für die deutsche Musik führte nament- lich in der Zeit der Klassik zu bedeutenden Auftragswerken, darunter die berühmten »Russischen Streichquartette« von Joseph Haydn, und die so genannten Rasumowsky-Quartette op. 59 von Ludwig van Beethoven. Haydn schrieb seine Quartette op. 33 für den 1781 in Wien weilenden Großfürsten Pawel Petrowitsch. Mit diesen Stücken schuf der Komponist Streichquartette eines völlig neuen Typs (»...auf eine ganz neue beson- dere Art...«): Die Kopfsätze haben eine Durchführung und folgen der Sonatenhauptsatzform. Das zuvor übliche Menuett ersetzte Haydn durch ein Scherzo. Die »Russischen Quartette« erregten großes Aufsehen. Mozart schrieb nach Haydns Vorbild sechs Quartette, darunter das so genannte »Dissonanzen-Quartett«. Beethovens Quartette op. 59 sind dem Grafen Andreas Kyrillowitsch Rasumowsky gewidmet, dem russischen Gesandten am österreichi- schen Hof, der als Freund und großzügiger Förderer Beethovens in die Musikgeschichte einging. Der Graf, selbst ein nicht unbegabter Geiger, hatte Mozart noch persönlich gekannt und war von Haydn in das Quartettspiel eingeweiht worden. 1808 richtete er in seinem Palais ein ständiges Streichquartett ein, in dem er selbst die zweite Geige spielte und dessen Primarius der berühmte Ignaz Schuppanzigh war. Gleichsam > Sa, 6. Mai 2006 19 Uhr ZKM|Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Lorenzstr. 19 Musik-Kubus Ticket-Tel. (0721) 93 33 33 als Verbeugung vor seinem Auftraggeber verwendete Beethoven russische Motive. Die beiden ersten Quartette der Reihe stießen bei der Presse auf Kritik: Sie seien »Sehr lang«, schrieb die Allgemeine musikalische Zeitung 1807, »und schwierig, tiefgedacht und trefflich gearbeitet, aber nicht allgemein fasslich«. Dagegen genoss das dritte Rasumowsky-Quartett von Anfang an größere Beliebtheit, die bis heute andauert – die Fuge des letzten Satzes diente lange Zeit im Fernsehen als Erkennungsmelodie des »Literarischen Quartetts«. Auch im russischen Musikleben des 19. Jahrhunderts, das sich vorwie- gend in wohlhabenden Bürgerhäusern abspielte, bildete das Quartettspiel einen Hauptbestandteil ambitionierter Übungen und Aufführungen. So berichtet Nikolai Rimsky-Korsakow über die häuslichen Kunstabende bei dem Verleger Belaev, der selbst ein mittelmäßiger Pianist war, über konsequent gestaltete Programme: »Meist wurde mit einem Quartett von Haydn begonnen, dann folgten Mozart, Beethoven und endlich ein Quartett der nachbeethovenischen Periode. Wenn an einem gegebenen Freitage mit dem ersten Quartett von Haydn begonnen worden war, kam am nächsten das zweite an die Reihe usw., bis man beim letzten angelangt war, dann begann man wieder von vorne«. Die ausgiebigen Musikabende endeten zumeist in nicht minder ausgiebigen Zechgelagen, bisweilen floss der Champagner in Strömen, um ein neues Werk zu begießen. Diana Drechsler Diana Drechsler, geboren 1972, erhielt ihren ersten Violinunterricht mit 8 Jahren an der Hoyerswerdaer Musikschule. Später studierte sie an der HfM »Franz Liszt« Weimar bei Prof. Ute Suckow sowie in Würzburg bei Prof. Klaus Lieb und erhielt dort im Jahr 2000 ihr Meisterklassendiplom. Während Ihres Studiums war sie bereits Praktikantin der Violinen bei den Nürnberger Symphonikern und am Staatstheater Kassel. Darüber hinaus bekam die Geigerin als Mitglied diverser Kammerensembles wich- tige musikalische Impulse durch Henry Meyer (La Salle Quartett) sowie in Meisterkursen beim Rosamunde-Quartett und dem Voces-Quartett. Diana Drechsler ist seit 1998 2. Geigerin in der Badischen Staatskapelle Karlsruhe. Seither widmet sie sich in vielseitigen Ensembles der Kammermusik, so ist sie Mitbegründerin des Düsseldorfer Trio Tanguero und Mitglied im Ensemble Sorpresa Karlsruhe. MUSIK 109 > < 110 Michael Fenton Michael Fenton, geboren in Hong Kong, aufgewachsen in Oakland, Kalifornien, spielte zunächst Klavier und Geige, bevor er zur Bratsche wechselte. Er studierte an der University of California, Berkeley und am Oberlin Conservatory in Ohio. Darauf folgten zwei Jahre Aufbaustudium bei Prof. Kim Kashkashian am New England Conservatory in Boston. 2002 erhielt er ein Fulbright-Stipendium und kam nach Deutschland, um sich bei Prof. Wolfram Christ in Freiburg weiterzubilden. Er nahm an zahlreichen Meisterkursen in Europa und Amerika teil und hat von der Lehre erfahrener Künstler(innen) wie Nobuko Imai, Karen Tuttle und Hartmut Rhode viel gelernt. Sommerakademien besuchte er auch regelmäßig, wie z.B. das Interlochen Arts Camp, die Schleswig-Holstein Orchesterakademie und das Tanglewood Music Center. Als Kammermusiker ist er aktiv im In- und Ausland. Er spielt oft in der Kammermusikreihe am Badischen Staatstheater und machte im Herbst 2005 eine Konzertreise durch Chile mit den Heidelberger Kammersolisten. Als Bratschist des Quadriga-Quartetts war er bei Aufnahmen für den SWR sowie für den CD-Verlag Hänssler Classic beteiligt. Auch beim Label Naxos ist er mit der Holst-Sinfonietta und der Musik Joseph Schwantners zu hören. Seit 2003 ist er stellvertretender Solo-Bratscher bei der Badischen Staatskapelle Karlsruhe. Janos Ecseghy Janos Ecseghy, geb. 1972 in Ludwigshafen a. Rh., erhielt mit 6 Jahren seinen ersten Violinunterricht beim Vater. 12-jährig debütierte er mit Orchestern in Deutschland und Spanien. Nach einem Vorstudium bei Prof. Roman Nodel an der Hochschule in Mannheim trat er das Studium in Freiburg an. Seine Lehrer dort waren Prof. Wolfgang Marschner und Prof. Nicolas Chumachenco. Nachdem er sein Studium mit dem Künstler- ischen Examen abschloss, wurde er im März 1998 an die Staatskapelle Dresden engagiert. Seit Sept. 2002 ist er 1. Konzertmeister am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Er besuchte Meisterkurse bei den Professoren Menahem Pressler, Franco Gulli, Thomas Brandis, Siegmund Nissel (Amadeus Quartett) und Herman Krebbers. Janos Ecseghy tritt regelmä- ßig international als Solist und Kammermusiker auf. Landesjugendorchester Baden-Württemberg Молодежный оркестр земли Баден- Вюртемберг Michail Glinka Ouverture zu »Russlan und Ludmilla« (1804 - 1857) Peter Tschaikowski Valse Scherzo für Violine und Orchester (1840 - 1893) op. 34 und Konzertfantasie »Romeo und Julia« Modest Moussorgski »Die Nacht auf dem kahlen Berge« (1839 - 1881) Alexander Arutunian Konzert für Trompete und Orchester (* 1920) Alexander Jussow, Violine Andre Schoch, Trompete Leitung: Christoph Wyneken Eintritt: 15 D / 10 D ermäßigt Für Mitglieder des Fördervereins LJO 50 % Ermäßigung Alexander Jussow wurde 1988 als Sohn einer Musikerfamilie in Kiew (Ukraine) gebo- ren. Mit fünf Jahren erhielt er seinen ersten Geigen-unterricht vom Vater. Von 1997 bis 2000 war er Schüler der Begabten Klasse in der Stuttgarter Musikschule. Mit elf Jahren hatte er die Aufnahmeprüfung an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe bestanden und wurde in die Violinklasse von Prof. J. Rissin aufgenommen. Er ist mehrfacher Preisträger beim Wettbewerb »Jugend Musiziert«. In den Jahren 2001 und 2004 gewann er auf Regional-, Landes- und Bundesebene in der Wertung Violine solo den 1. Preis mit Höchstpunktzahl. Für die herausragenden Leistungen bekam er jeweils einen Sonderpreis der Deutschen Stiftung Musikleben. Ebenfalls bekam er Preise bei mehreren internationalen Wettbewerben verliehen, u.a. beim 42. Kocian-Wettbewerb 2000 in Tschechien, beim »Rovere d’Oro Giovanni Talenti« 2003 in Italien sowie beim Louise-Hen- riette-Wettbewerb 2004 in Berlin. > So, 7. Mai 2006 11.30 Uhr Konzerthaus am Festplatz Info-Tel. (0711) 2 18 51 15 MUSIK > CHRISTOPH WYNEKEN 111 > < 112 Der junge Künstler wirkte mit großem Erfolg als Solist mit verschie- denen Orchestern, darunter mit dem Süddeutschen Kammerorchester, dem Jugendkammerorchester Stuttgart, dem Sinfonieorchester des Konservatoriums Nancy (Frankreich) und dem Philharmonischen Orchester der Stadt Kielce (Polen). Ebenso erfolgreich waren seine Auftritte im Duo mit seinem Bruder André am Klavier. Er wurde zu Rundfunk- und Fernsehaufnahmen beim SWR eingeladen und wirkte bei verschiedenen CD-Produktionen mit. Seit Herbst 2001 ist er Mitglied im Landesjugendorchester Baden-Württemberg. Don Kosaken Chor Wanja Hlibka Хор Донских казаков Вани Хлибки Leitung: Wanja Hlibka Eintritt: 24 D im Vorverkauf Unter der Leitung von Wanja Hlibka gibt der Solistenchor ein Kon- zert mit liturgischen Gesängen und sakralen Werken der russisch-ortho- doxen Kirche, mit weltberühmten russischen Volksweisen und klassischen Chorwerken, unter anderem von Bach-Gounod, Bortnijanskij, Tschaikowskij, Rachmaninoff, Glinka, Rimskij-Korsakow u.v.m. Ein Leckerbissen für Freunde einfühlsamen Chorgesangs und atemberaubender Klangkulisse. Ursprung Der Don Kosaken Chor Wanja Hlibka ist aus dem weltberühmten Original Don Kosaken Chor Serge Jaroff entstanden und ist legitimer Nachfolger des weltberühmten Original-Chores. Serge Jaroff gründete den Chor 1921 und verstarb 1985 in seiner Wahlheimat USA. In dieser Zeit waren es mehr als 10.000 Auftritte, mit denen der Chor sein Publikum weltweit begeisterte. Als Schüler Jaroffs hat Wanja Hlibka 1991 den Chor neu formiert und um weitere Spitzensolisten erweitert. Er sang von 1967 bis zur Chorauflösung 1979 als jüngster Solist im Original-Chor von Serge Jaroff und prägte diesen Chor bis zum letzten Konzert entscheidend mit. Hlibka fühlt sich daher der Tradition des Ensembles besonders ver- pflichtet und führt das musikalische Erbe seines Lehrmeisters in dessen Sinne fort. Impulse In dieser Zeit bekam er von Serge Jaroff die wichtigsten künstlerischen Impulse vermittelt, einen Chor in seinem Sinn zu leiten und den beson- deren, unvergleichlichen Sound dieses damaligen Chores zu erhalten. So gewann er u.a. Juri Shur, Anatoli Babykine, Oleg Kulyeshov, und Gen- nadiy Bryginets von den Staatsopern Moskau, Kiew, Lvov und Odessa. Diese Formation besteht aus bis zu 16 hochkarätigen Spitzensolisten, die einen fulminanten Chorklang und brillante Solovorträge garantieren. Das Repertoire ist fast identisch mit dem des Original-Chores, die Chorsätze sind ausschließlich handgeschriebene Partituren Serge Jaroffs, aus dessen privater Musikbibliothek, und wurden von Wanja Hlibka für seinen Chor bearbeitet. Klangfarben Unnachahmlich ist das einzigartige Spektrum von Klangfarben, begin- nend mit der spielerischen instrumental klingenden Untermalung eines Soloparts, bis hin zu einem stimmgewaltigen orchestralen Gesamtklang, der einem den Eindruck vermittelt, einen weitaus größeren Chor vor sich zu haben. Das Solistenensemble gastiert regelmäßig in allen großen Konzerthäusern und Kathedralen Europas. MUSIK > ANDRE SCHOCH > Mi, 10. Mai 2006 20 Uhr Evangelische Stadtkirche am Marktplatz Info-Tel. (0721) 2 83 42 > DON KOSAKEN CHOR WANJA HLIBKA > WANJA HLIBKA 113 > > ALEXANDER JUSSOW < 114 Komponistenportrait Dmitri Schostakowitsch Портрет композитора: Дмитрий Жостакович III. Karlsruher Komponistennacht Kinderkonzert Werke von Dmitri Schostakowitsch gespielt von Jungen Karlsruher Instrumentalisten Suite Nr. 1 op. 38 für Jazzorchester (1934) Eintritt frei Vortrag von Dr. Michael Heck, Kulturreferent der Stadt Karlsruhe Orchesterkonzert mit Moderation »Vorwort« op. 123 für Bass und Klavier (1966), Konzert Nr. 1 op. 35 c-moll für Klavier, Trompete und Streichorchester (1933), Kammersinfonie op. 110a für Streichorchester (nach dem Streichquartett Nr. 8) Eintritt: 15 D / 8 D ermäßigt Kammermusikkonzert mit Werkeinführung Sieben Romanzen op. 127 (1967) für Sopran und Klaviertrio, Klaviertrio Nr. 2 op. 67 e-moll (1944), Sonate für Viola und Klavier op. 147, C-Dur (1975) Kalle Randalu, Klavier Laura Vukobratovic, Trompete Sopran, N.N. Bass, N.N. Solisten der Kammerphilharmonie Kammerphilharmonie Karlsruhe (Konzertmeisterin Martina Bartsch) Carsten Wiebusch, Dirigent Junge Karlsruher Instrumentalisten Meinhard Saremba, Moderation Eintritt: 10 D / 6 D ermäßigt Kombikarte für Orchester- und Kammermusikkonzert 20 D / 12 D ermäßigt Dmitri Schostakowitsch Die Bratschensonate Film Regie: Semjon Aranovitsch und Alexander Sokurov Eintritt: 5,50 D / für Besucher des Orchester- und Kammermusikkonzerts Eintritt frei > Fr, 12. Mai 2006 18 Uhr Albert-Schweitzer- Saal Reinhold-Frank- Str. 48 a Info-Tel. (0721) 9 20 35 18 19 Uhr Christuskirche Riefstahlstr. 2 am Mühlburger Tor 21.30 Uhr Christuskirche 23.15 Uhr Das Kino im PrinzMaxPalais Karlstr. 10 Garteneingang Akademiestr. MUSIK > KAMMERPHILHARMONIE KARLSRUHE 115 > < 116 MUSIK > DMITRI SCHOSTAKOWITSCH Komponistenportrait Dmitri Schostakowitsch Die dritte Karlsruher Komponistennacht in der Christuskirche am Freitag, dem 12. Mai 2006, ist Dmitri Schostakowitsch gewidmet, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gedacht wird. In vier Programmblöcken werden charakteristische Werke des russischen Musikers vorgestellt, dem es gelang, trotz zahlreicher Widerstände durch den Terror der Stalinzeit, die Repressalien der nachfolgenden sowjetischen Machthaber und die see- lischen Krisen der inneren Emigration seine künstlerische Integrität zu wahren. Zum Auftakt bietet das Kinderkonzert (um 18.00 Uhr im Albert- Schweitzer-Saal) frühe Werke von Schostakowitsch u.a. für Jazzorchester. Ein Vortrag des Kulturreferenten der Stadt Karlsruhe Dr. Michael Heck, leitet das Orchesterkonzert ein (19.00 Uhr in der Christuskirche). Carsten Wiebusch, Kantor und Organist der Christuskirche Karlsruhe und die Kammerphilharmonie Karlsruhe machen sich Schostakowitschs Bekenntnis »Die Melodie ist die Seele der Musik« zu Eigen und präsen- tieren die Kammersinfonie op. 110 a für Streichorchester, die nach dem autobiographisch geprägten 8. Streichquartett von Schostakowitsch ent- stand; ferner dessen selbstironisches »Vorwort zu meinem Gesamtoeuvre und einige kurze Gedanken hinsichtlich dieses Vorworts« sowie das popu- läre Konzert Nr. 1 op. 35 für Klavier, Trompete und Streichorchester mit der renommierten Trompetensolistin Laura Vukobratovic und dem inter- national gefragten Pianisten Kalle Randalu. Durch die Repressalien des Sowjetstaates sah sich Schostakowitsch gezwungen, durch raffiniert eingesetzte musikalische Chiffrierungen seine künstlerischen Ideale zu verwirklichen. Dies dokumentiert das Kammermusikkonzert (21.30 Uhr in der Christuskirche), in dem Solisten der Kammerphilharmonie und Gäste das Klaviertrio Nr. 2 op. 67, den Zyklus von sieben Romanzen nach Versen von Aleksander Blok op. 127 sowie die Sonate für Viola und Klavier op. 147 interpretieren. Anschließend ist im Kino des Prinz-Max-Palais der Film die Bratschensonate (23.15 Uhr) zu sehen. Schostakowitschs letzte Komposition ist Ausgangspunkt für dieses 80-minütige Filmportrait, das 1980 entstand und bis 1986 in der UdSSR verboten war. Alexander Sokurov vollendete das von Semion Aranovitsch begonnene Projekt in dem Dokumentaraufnahmen verknüpft werden mit Schostakowitschs Lebensweg und seiner entlarvenden Musik. Durch das Programm des Abends führt der Musikschriftsteller Meinhard Saremba. Während der Besuch des Kinderkonzertes kostenlos ist, können für die anderen Programmteile Einzelkarten oder eine Kombikarte erwor- ben werden. Für Besucher des Orchester- oder Kammerkonzertes ist der Eintritt zum Film frei. Weitere Informationen unter www.europaeische-kulturtage.de 117 > < 118 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN < WLADIMIR KAMINER 119 > < 120 Moskau: Der Exerzierplatz des neuen Menschen Москва – учебный плац нового человека Die Künstler als Avantgarde der Gesellschaft 1917 – 1936 Vortrag von Dr. Eckhart Gillen, Museumsdienst Berlin Eintritt frei Eckhart Gillen, geboren 1947 in Karlsruhe. Studium der Kunstgeschich- te, Germanistik, Anglistik und Soziologie in Heidelberg und Berlin. 1966- 1972, Promotion in Kunstgeschichte. Ausstellungen und Publikationen zur Kunst des 20. Jahrhunderts, u.a. »Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934« (zusammen mit Hubertus Gaßner); »Deutschlandbilder – Kunst aus einem geteilten Land«; »Wahnzimmer Deutschland« und »Das Kunstkombinat DDR. Zäsuren einer gescheiterten Kunstpolitik« (Köln 2005). Mitglied der Internationalen Assoziation der Kunstkritiker (AICA); Bürgerpreis zur deutschen Einheit in der Kategorie »Vielfalt in der Einheit« für Kulturelle Initiativen (Oktober 2003). Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Museumsdienst Berlin (MD Berlin). Moskauanhänger und Moskaufeinde im Kalten Krieg Мосв любящие Мосв ненавидящие Vortrag von Vladimir Fisera Eintritt frei Seit Oktober 1917 wurde die neue russische Hauptstadt Moskau als »der Kreml« mit seinen Türmen, die nun von Granaten in Form von roten Sternen und nicht mehr von orthodoxen Kreuzen dominiert wurden, dargestellt. Abwechselnd haben jeweils die Pazifisten, die Schöpfer der Moderne, die Anhänger des Plans, die Antifaschisten, die Slawen, die von Rassenvernichtung bedrohten Juden und die jungen Stalinisten der Nach- widerstandszeit in den 30er die Stadt als »Licht im Osten« (Jules Romain) bezeichnet. Vladimir Claude Fisera Historiker, Politologe, Übersetzer von Gedichten aus slawischer und englischer Sprache. Als Dichter unter dem Namen Claude Vancaux be- kannt. Lange Zeit war er Redakteur bei der Lettre Internationale, bei den Diagonales Est Ouest, und beim Journal of Area Studies; zur Zeit koordi- niert er die Zeitschrift Histoire et Anthropologie/Le détour. > Mo, 24. April 2006 20 Uhr PrinzMaxPalais Literaturhaus Karlstr. 10 Info-Tel. (0721)133-4087 > Do, 27. April 2006 19 Uhr Centre Culturel Franco-Allemand Kaiserstr. 160 - 162 Info-Tel. (0721) 16 03 80 Moskau – Napoleon – Europa Москва – Наполеон – Европа eine literarisch-musikalische Collage Idee, Konzeption und Sprecherinnen: Rita Fromm und Dr. Françoise Hammer Musikalische Gestaltung und Interpretation: Prof. Sontraud Speidel Kooperationspartner: Literarische Gesellschaft Karlsruhe, Badische Bibliotheksgesellschaft Karlsruhe Eintritt: 8 D / 5 D ermäßigt Moskau 1812, ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte! Davon berichtet die TextMusikCollage. Sie erzählt vom Leben in der »Wunderstadt«, schildert den spannungsreichen Aufstieg der Stadt »zum Dritten Rom« und ihre europäische Bedeutung. »Beim Anblick dieser goldenen Stadt, dieses Diamantenknotens zwischen Asien und Europa, dieses glanzvollen Zusammentreffens von Luxus, Kunst und Sitten der zwei schönsten Teile der Welt, blieben wir ste- hen, wie von einer stolzen Bewunderung benommen.« (Augenzeuge der Grande Armée in Moskau, 14.Sept. 1812) »Ich habe die Wunderstadt nur zwei Tage gesehen. Mir deuchte ich sah Asien: Armut und Pracht,... der Kreml mit seinen goldenen Toren, Türmen und Zinnen. Dazu das ungewöhnliche Wimmeln der Menschen in jener außerordentlichen, wild bewegten Zeit. Ich konnte nichts sehen in zwei Tagen, ich konnte nur staunen.« (Ernst Moritz Arndt) »Denn das Alte Rom ist gefallen durch die apollinarische Häresie. Das zweite Rom, das ist Konstantinopel, ist von den Hagarsöhnen, den gottlosen Türken, unterjocht. Dein großes Reich, o frommer Herrscher, das Dritte Rom, überragt sie alle an Frömmigkeit, und alle frommen Reiche sind allein in deinem vereint, und du allein wirst unter dem Himmel christlicher Car genannt in der ganzen Welt bei allen Christen.« (Urkunde von 1589) Mit dem Einmarsch Napoleons kam 1812 die schreckliche Vernichtung: »Die Stadt stand in Flammen. Kein Wasser, keine Pumpen in der ganzen Stadt. Bei Tagesanbruch des 17. September lagen nur noch Trümmer und Asche, wo einst eine prachtvolle Stadt stand.« (Albrecht Adam) > Fr, 28. April 2006 20 Uhr PrinzMaxPalais Literaturhaus Karlstr. 10 Weiterer Termin am 19. Mai 2006 20 Uhr Info-Tel. (0721)133-4087 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN 121 > < 122 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN »Trotz aller Poesie erreichen alle Darstellungen des Brandes von Troja niemals die Wirklichkeit des Brandes von Moskau.« (Napoleon) »Der Einzug Napoleons in Moskau mit all seinen Folgen bildet einen Abschnitt in der Weltgeschichte.« (Herzog Eugen von Württemberg, 1812 Offizier im russischen Militärdienst gegen Napoleon) Napoleons Rückzug aus dem zerstörten Moskau und seine Niederlagen führen durch den Wiener Kongreß zu einer Neuordnung Europas. Moskau erstarkt wieder und steigt wie ein Phönix aus der Asche. Die TextMusikCollage enthält Augenzeugenberichte, Briefe und Tagebücher von russischen, deutschen und französischen Autoren. Zu Worte kommen u.a. der Gouverneur von Moskau Graf Rostopschin, der Dichter Kotzebue, die Schriftstellerin Germaine de Staël, der Berater des Zaren Freiherr vom Stein sowie Zar Alexander I., Napoleon, einfa- che Beobachter und sogar ein »Sonntagsdichter«. Kompositionen von Peter Tschaikowski (1840-1893) 1812 (Ouverture solennelle) op. 49. Für Klavier zu zwei Händen gesetzt von Stefan Esipoff Aus den »Jahreszeiten«: »Oktober« (Herbstlied) Michail Glinka (1804-1857) Variationen a-moll über ein russisches Lied Ludwig van Beethoven (1770-1827) Auszug aus dem letzten Satz der 9. Sinfonie d-moll op. 125 in der Transkription für Klavier von Franz Liszt (1811-1886) Maria Szymanowska (1789-1831) Polonaise f-moll Louise Farrenc (1804-1875) Air russe varié op. 17 verwandeln die vorgetragenen Schilderungen zu einem bildhaften Hören. Die literarisch-musikalische Lesung bietet Raritäten aus Literatur und Musik. Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause Rita Fromm seit 1985 als freiberufliche Seminarleiterin und Dozentin in der Erwachsenenbildung tätig, konzipiert und leitet Seminare und Workshops zur Frauengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zur Gesell- schaftspolitik. Seit 1989 schreibt sie Textbücher für literarisch-musikali- sche und szenische Lesungen; darin porträtiert sie bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten der Frauengeschichte und integriert Musik von Komponistinnen. Von Musik untermalt und begleitet, gewinnen die gespro- chenen Worte eine enorme Intensität. Bettina von Arnim – ein Leben zwischen Romantik und Revolution; Louise Otto-Peters – ein Leben für Frauenrechte; »Flammend stieg die junge Morgensonne empor, himmlisch die junge Freiheit« – ein literarisch-musikalisches Porträt über Mathilde Franziska Anneke; »Wir wollen unser Theil verdienen...« – zur Geschichte der Frauenerwerbsarbeit; »Aus dem Salon auf die Barrikade« – freche Frauen einst und jetzt; »Wenn die Zeiten gewaltsam laut werden ...« – von Bürgerinnen, republi- kanischen Weibern und Freischärlerinnen in der Revolution von 1848/49; »Mein Geist macht sich Luft in Worten ... und mein Herz in Tönen« – unangepaßte Frauen im Biedermeier und der Gründerzeit; »Der Geist weht, wo er will...« – gesprochene und musikalische Fragmente zur Malerei und Literatur der 1960er und 1970er Jahre; Dem Dichterfürsten entgegnen ... Frauenstimmen aus der Goethezeit; »Fesseln will man mich am eignen Herde, unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum! – Frauenstimmen SCHILLERn in Literatur und Musik. Seit Dezember 2002 trifft sie gemeinsam mit Ana Maria Campistrús die Musikauswahl. Einige dieser Collagen haben beide als CDs produzieren lassen. Seit 1999 erarbeitet Rita Fromm mit Dr. Françoise Hammer Collagen, z.B. »Freiheit als Skandal« - aus dem Leben der Louise Aston und George Sand; »Über Weiber, die da Herren im Hause sind...« – Frauenalltag im Spätmittelalter; »Mit der Hutschachtel auf den Spuren der Europa« – Reiseerfahrungen deutscher und französischer Frauen im 19. Jahrhundert; Die Grenzen überwinden ... neue Begegnungen mit Annette Kolb, René Schickele, Elly Heuss-Knapp, Louise Weiss; Istanbul - Sonne, Mond und Sterne. Multimedial inszenierte Begegnungen am Bosporus. Ihr Lebensmotto: Aus der Geschichte für die Zukunft lernen ... Neues wagen! 123 > < 124 125 > LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN Dr. Françoise Hammer in Frankreich (Bretagne) geboren, hat die französische und deutsche Staatsangehörigkeit und ist heute in Karlsruhe zu Hause. Nach einem Studium der Sprachwissenschaft, Germanistik und Romanistik promovier- te sie in Deutschland zum Dr. phil. Ihre vielseitige berufliche Erfahrung umfaßt Universitätslehre, Unterricht in der Übersetzer- und Erwachsenen- Ausbildung in der Lehre (z.B. im Programm »Lerne die Sprache des Nach- barn«), eigene Tätigkeit als Übersetzerin und Dolmetscherin wie auch wissenschaftliche Publikationen über deutsch-französische Sprach- und Kulturvergleiche. Ihr Ziel ist es, Brücken zu einem besseren Miteinander zu schlagen, so in ihrer interkulturellen Arbeit als Vorstandsmitglied der Deutsch-Französischen Gesellschaft und im Beirat der Literarischen Ge- sellschaft Karlsruhe. Ihr besonderes Interesse für die Situation der Frau in Deutschland und Frankreich hat zur Beschäftigung mit George Sand und Louise Aston geführt sowie zur ersten Zusammenarbeit mit Rita Fromm. Ihr Grundsatz im beruflichen und privaten Leben: Gegensätze aufde- cken und verstehen helfen. Sontraud Speidel studierte bei Irene Slavin und Yvonne Loriod-Messiaen in Karlsruhe, Branka Musulin in Frankfurt, Stefan Askenase in Brüssel und Géza Anda in Luzern. Sie ist Preisträgerin nationaler und internationaler Wettbewerbe (u.a. 1. Preis Internationaler Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb Washington/ USA, Jackson Prize des Boston Symphony Orchestra für Neue Musik). Fernsehauftritte, Konzerte und Meisterklassen führten sie durch Europa, in die USA, nach Kanada, Israel, Japan, Korea, Taiwan und Brasilien. Sie ist Professorin für Klavier, Leiterin der Klavierabteilung sowie der Studienkommission »Künstlerische Ausbildung« an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Sie war Gastprofessorin u.a. an der Rubin Academy of Music in Tel Aviv, an der Université de Montréal in Canada, am Concervatorio di Bologna/Italien, an der Yehudi Menuhin School in England, an der Royal Academy of Music in London, an der Janácek-Musikakademie in Brno/ CSR, an mehreren Universitäten in Japan und Korea sowie »Distinguished Visiting Professor« an der California State University. Regelmäßig gibt sie Meisterkurse in Deutschland, Wien, Israel und Korea. Sie leitet das »PIANO-PODIUM Karlsruhe e.V.«, eine Vereinigung von fast 700 Mitgliedern, die junge Pianisten fördert und sich der Erfor- schung der Klaviermethodik widmet. Sie ist regelmäßig Jurymitglied bei nationalen und internationalen Wettbewerben. Mehrere zeitgenössische Komponisten haben ihr Werke gewidmet und Uraufführungen anvertraut. Im März 2000 wurde ihr von der Wiener Landesregierung das »Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien« verliehen. Seit 2001 ist sie Musikdirektorin des neugegründeten Festivals »Clavissimo« in Seoul/Korea und seit 2002 Direktorin des International Piano Festival Taipeh/Taiwan. 2003 wurde ihr im Rathaus Wien die Goldene Josef-Dichler-Medaille ver- liehen. 2005 wurde Sontraud Speidel mit dem Bundesverdienstkreuz aus- gezeichnet. Die Kinder vom Arbat Дети Арбата Szenische Collagen von Peter M. Wolko mit Ausschnitten aus dem gleichnamigen Roman von Anatoli Rybakow und Live-Musik (Uraufführung) Aus dem Russischen von Juri Elperin Szenische Einrichtung und Bühne: Peter M. Wolko Musik: Judith Hafner Kostüme: Ulrike Wolko Es lesen und spielen: Ulrike Wolko, Selçuk Yurtsever-Kneer, Patrick Burkart (Sascha Pankratow) und Michael Müller Musik: Judith Hafner (Saxophon). Eintritt: 9,50 D / 7 D erm. / 6 D (Gruppen ab 15 Personen) > Sa, 29. April 2006 19 Uhr Theater »Die Spur« im Jubez am Kronenplatz Weitere Vorstellung am 30. April 2006 19 Uhr Info-Tel. (0721) 86 55 44 > THEATER »DIE SPUR«, Szenenphoto < 126 Theater »Die Spur« Das Theater »Die Spur« wurde im November 1961 von Peter M. Wolko als freie Gruppe gegründet. Das älteste, noch bestehende Amateur-Theater in Karlsruhe ist ein geschätzter Bestandteil der Kulturszene dieser Stadt sowie der von Baden-Württemberg. Es zählt zu den semiprofessionellen Bühnen dieses Bundeslandes. Es bringt pro Spielzeit zwei Inszenierungen sowie bis drei Wiederaufnahmen heraus und zeigt über 50 Aufführungen. Der Bühne gehören derzeit 17 Theaterleute an, die ihre kulturelle Arbeit neben der beruflichen Tätigkeit oder dem Studium ausüben. Sie verste- hen ihr künstlerisches Schaffen als Gegengewicht zum Alltag und leisten damit einen besonderen Beitrag zur Erreichung der Schlüsselkompetenz Kultur. »Die Spur« ist eine innovative Kleinbühne unter professioneller Leitung, deren Kompetenz und künstlerischer Anspruch sich nicht nur im Niveau des Spielplans, sondern auch in dessen breiter Palette mani- festieren. Der Spielplan spannte sich in den vergangenen 44 Jahren von Hans Sachs bis Heinrich Böll und enthält Stücke von Fernando Arrabal bis Thornton Wilder. Ein besonderes Augenmerk galt der Pflege des dra- matischen Schaffens von Günther Weisenborn, Anton Tschechow und Jean Tardieu. Als Grundtendenz des Spielplans hat sich eine Mischung aus absurden und zeitkritischen Stücken sowie anspruchsvoller Unterhaltung heraus kristallisiert. Daneben sind die Pflege des zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters sowie des literarischen Kabaretts Spielplan- Schwerpunkte. Bei nationalen und internationalen Festivals vertrat »Die Spur« bis- her 56 mal die Kulturszene der Stadt Karlsruhe, des Landes Baden- Württemberg bzw. Deutschlands und wurde mehrfach ausgezeichnet. Das Theater hat in 44 Spielzeiten insgesamt 163 Inszenierungen herausge- bracht, davon 23 als Uraufführungen, 48 als Karlsruher Erstaufführungen und 40 im Kinder- und Jugendtheater. Die bisher 2200 Aufführungen sahen über 153 000 Zuschauer in sieben Staaten. Zu den Autoren: Anatoli Rybakow wurde am 14. 1. 1911 in Tschernigow (Ukraine) geboren. Er arbeitete als Transportingenieur, nahm am 2. Weltkrieg teil und zog mit der Roten Armee in Berlin ein. 1948 veröffentlichte er seinen ersten Roman und arbeitete danach als Schriftsteller. Er begann mit Abenteuergeschichten für Kinder, Produktionsromanen und gehörte zu den entschiedensten Befürwortern von Gorbatschows Reformpolitik der Perestroika. Weltbekannt wurde er mit dem Roman »Die Kinder vom Arbat« (1987, dt. 1988) und der Fortsetzung »Jahre des Terrors« (1989). Um die Veröffentlichung dieser Werke hatte er sich seit den sech- ziger Jahren mehrfach vergeblich bemüht. Sein späteres Schaffen ist durch die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen gekennzeichnet. Charakteristisch für sein Werk ist die Einbettung von erfundenen Figuren in historische Ereignisse; teilweise begegnen diese Figuren realistischen Persönlichkeiten (z. B. J. Stalin). 1989 wurde Rybakow zum ersten Prä- sidenten des russischen PEN-Zentrums gewählt. Er starb 1998 und hin- terließ ein umfangreiches erzählerisches Werk, das in viele Sprachen übersetzt wurde. Peter M. Wolko, Diplom-Verwaltungswirt, Journalist, Pressereferent, Publizist, Re- feratsleiter sowie Theaterleiter, Autor, Regisseur, Schauspieler und Theater- pädagoge wurde am 11. 9. 1940 in Breslau geboren. Nach Schulbesuch in Halle/Saale, Berlin, Karlsruhe und Immenstaad gründete er 1961 in Karlsruhe das Theater »Die Spur«. Im Rahmen seiner beruflichen Tätig- keit in leitenden Führungsfunktionen veröffentlichte er als Autor bzw. Mit-Herausgeber 34 Publikationen und 80 Artikel in Fachzeitschriften. Daneben schuf er als Theatermacher 34 unveröffentlichte Bühnenfassungen und Bearbeitungen von Dramen, dramatisierte literarische Werke und ver- fasste Theaterpublikationen, auch zu theaterwissenschaftlichen Themen, war fast zehn Jahre Schriftleiter der Zeitschrift »Spiel & Bühne« und edierte im Eigenverlag von ihm verfasste Biografien und Fachbücher in Kleinauflagen. Zum Stück: Der Roman »Die Kinder vom Arbat« wurde in Moskau zu dem lite- rarischen Ereignis: Zum ersten Mal in der sowjetischen Literatur wird Stalin in Episoden dargestellt, die sein wirkliches Wesen offenbaren – ein kleinlicher, intriganter Machthaber, der unter Verfolgungswahn leidet und Andersdenkenden brutal nachstellt. Die szenischen Collagen von Peter M. Wolko handeln in den Jahren 1933 und 1934 und haben das Leben Sascha Alexander Pawlowitsch Pankratows in Moskau, sein »Vergehen« an der Hochschule für Verkehr, das Verfahren vor den Gremien der Hochschule sowie der Partei, seine Untersuchungshaft in Moskau und den Beginn der dreijährigen Verbannung in Sibirien zum Inhalt. Stalin und die anderen damaligen Parteibonzen erscheinen nur als Randfiguren. Wie im Roman beginnt die Handlung im traditionsreichen Moskauer Arbat-Viertel, wo der Protagonist und seine Freunde leben. Sie sind jung, verliebt und lebensfroh, Arbeiter und Studenten, die sich begeistert beim Aufbau des Sozialismus engagieren. Dann wird Sascha überraschend aus dem Komsomol ausgeschlossen, verhaftet und für drei Jahre nach Sibirien verbannt. Rybakow weiß sehr genau, wovon er redet; wie sein Held Sascha war er in Sibirien und kennt das Grauen jener Jahre. Er schrieb das Buch bereits während des Tauwetters der Chruschtschow-Ära. Es mussten jedoch mehr als 20 Jahre vergehen, bis Gorbatschows Reformpolitik die Sowjetunion zu verändern begann und der Roman erscheinen konnte. Das Buch ist eine mitreißende und bewegende Schilderung einer dunk- len Epoche der sowjetischen Geschichte. LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN 127 > < 128 Lesung mit Musik Чтение и музыка Kooperations-Veranstaltung der GEDOK Karlsruhe mit dem BBK Karlsruhe e.V. Eintritt frei Die Berliner Schauspielerin Johanna Krumstroh liest Texte der Schriftstellerin Marina Zwetajewa. Die aus Russland stammende Pianistin Angela Yoffe spielt u.a. Stücke von Galina Ustwolskaja Moskau als Exil В изгнании в Москве Vortrag von Prof. Wolfgang Leonhard Einer der letzten Zeitzeugen berichtet aus seiner Moskauer Exilzeit 1935 – 1945. Eintritt: 6 D / 4 D ermäßigt Wolfgang Leonhard Geboren am 16. April 1921 in Wien, lebte von 1935 bis 1945 in der Sowjetunion: 1940-41 Studium an der Moskauer Pädagogischen Hochschule für Fremdsprachen Herbst 1941 Zwangsumsiedlung in das Karaganda-Gebiet (Nordkasachstan) 1942-43 Ausbildung an der Kominternschule, der wichtigsten ideologisch-politischen Ausbildungsstätte für ausländische Kommunisten in der Sowjetunion ab 1943 Mitarbeiter des Nationalkomitees Freies Deutschland, Moskau Anfang Mai Rückkehr nach Berlin als Mitglied der Gruppe Ulbricht 1945 Juli 1945 bis Mitarbeiter der Abteilung Agitation und Propaganda des September Zentralkomitees der KPD (ab April 1946 SED) 1947 und Verfasser der Schulungsmaterialien 1947 bis Lehrer an der SED-Parteihochschule Karl Marx, Fakultät 1949 Geschichte. > So, 30. April 2006 17 Uhr BBK / Berufsver- band Bildender Künstlerinnen und Künstler Am Künstlerhaus 47 Info-Tel. (0721) 3 84 84 80 > Mi, 3. Mai 2006 20 Uhr PrinzMaxPalais Literaturhaus Karlstr. 10 Info-Tel. (0721)133-4087 Aus Opposition gegen die Sowjetunion floh Leonhard im März 1949 aus der Sowjetzone Deutschlands nach Jugoslawien. Er lebt seit Ende 1950 in der Bundesrepublik Deutschland als Kommentator für Fragen der Sowjetunion und des internationalen Kommunismus. Seit der Phase der Perestroika Gorbatschows besucht er regelmä- ßig die Sowjetunion, nach deren Zusammenbruch im Dezember 1991 Russland und andere GUS-Länder. Im Auftrag der OSZE war er mehr- fach als Wahlbeobachter in Nachfolgestaaten der Sowjetunion tätig. Orden und Ehrungen: Phi Beta Kappa, Yale University (1982), Bundesverdienstkreuz I. Klasse (1987), Ehrendoktorwürde der Universität Chemnitz (1998), Österreichischer Wissenschaftsorden I. Klasse (2002), Europäischer Wissenschafts-Kulturpreis (2004) Akademische Laufbahn und Tätigkeit: 1956 bis 1958 Post Graduate Studies am St. Antony`s College der Oxford University. 1963 bis 1964 Forschungstätigkeit als Senior Research Fellow am Institut für Russlandforschung der Columbia University, New York. 21 Jahre, von 1966 bis 1987, Lehrtätigkeit an der Historischen Fakultät der Yale University mit den Schwerpunktthemen: Geschichte der UdSSR seit 1917 und Geschichte der kommunistischen Weltbewegung außerhalb der Sowjetunion. Graduiertenseminare zu zahlreichen Themen aus den Bereichen Sowjetunion, sowjetische Außenpolitik und kommunistische Weltbewegung. Wolfgang Leonhard hatte Gastprofessuren an den Universitäten von Michigan (USA), Mainz, Trier, Kiel, Chemnitz und Erfurt. Veröffentlichungen: Exemplarisch seien hier genannt: - Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955 ff. - Die Dreispaltung des Marxismus, Düsseldorf 1970 - Was ist Kommunismus? Wandlung einer Ideologie, München 1976 - Eurokommunismus, München 1978 - Spurensuche-40 Jahre nach Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1992 - Spiel mit dem Feuer. Russlands schmerzhafter Weg zur Demokratie, B.-Gladbach 1998 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN 129 > < 130 Rund um den Roten Platz Вокруг Красной площади Ein literarischer Spaziergang durch Moskau mit Harald Schwiers Eintritt: 9,50 D mit Getränken Moskau ist in vielerlei Hinsicht eine der faszinierendsten Metropolen der Welt. Und es gibt eine Vielzahl literarischer Zeugnisse, die ein leben- diges Bild der Stadt über die Jahrzehnte und Jahrhunderte geben. Harald Schwiers kennt Moskau von einigen Theatergastspielen und hat eine per- sönliche Auswahl der schönsten Geschichten um Moskau und den Arbat zusammengestellt. Harald Schwiers Der Karlsruher Schauspieler, Moderator und Publizist hat sich als Badischer Geschichtenerzähler und Rezitator eine herausragende Stellung geschaffen. Der Fundus seiner Geschichten reicht vom ausgehenden Mittelalter bis in die Gegenwart, von Poesie bis Prosa, mit und ohne Mundart und erzählt vom Leben und den Menschen auf beiden Seiten und entlang des Rheins. Hier, wo man gerne gut ißt und trinkt, prägt die Freude am Leben auch einen sym-badischen Menschenschlag. Mit kabarettistischem Augenzwinkern schildert Harald Schwiers liebenswerte Typen, denen Weinstein näher steht als Nierenstein und die mit gleicher Kennerschaft und Genuss sich ein himmlisches Bier gönnen können... André Cabaret: ce qu´on entend sur la place rouge Андре Кабарэ: Что можно слышать на Красной площади Was einem auf dem Roten Platz zu Ohren kommt Lesung mit musikalischer Untermalung in französischer Sprache Dieser historische Roman ist ein Versuch, ein etwas weniger stereoty- pes Bild von Russland zu geben, als das der Fensehreportagen und das Gesamtbild eines Volkes zu zeichnen, dessen Lebens- und Denkweise nicht immer leicht zu verstehen ist. Die Lesung wird begleitet von russischer Gitarren- und Balalaika-Musik mit Youra, einem Musiker aus Paris. Eintritt frei Die russische Geschichte birgt eine Menge ungelöster Rätsel, so spricht man unter anderem von einem mysteriösen Apparat, der bereits Puschkin bekannt gewesen sein soll und augenscheinlich von ihm auch genutzt wurde. Dieses Buch zeichnet dessen verschlungene Pfade von Leningrad bis Stalingrad nach, schlägt zugleich einen Bogen von Alexander Puschkin bis Wladimir Putin. Im Dezember 1999 kommt am Ende einer langen im Verborgenen verlaufenden Entwicklung mitten in Moskau die Existenz dieses Apparats ans Tageslicht und sorgt für eine Sensation. Bedeutet dies für Russland das Ende eines historischen Kapitels – der Beginn einer neuen Ära – oder handelt es sich nur um einen politischen Coup? André Cabaret André Cabaret, geboren 1948 in Paris als Sohn eines französischen Vaters und einer russischen Mutter, arbeitete lange Zeit als Russischlehrer. Dieser Beruf erlaubte es ihm, parallel dazu seiner Leidenschaft für das Schreiben nachzugehen. Mit dreißig entstand sein erster Roman. Sein zweisprachiger Hintergrund prädestinierte ihn für Übersetzungsarbeit in Literatur, Film und Fernsehen. André Cabaret fühlt sich in verschiedenen Literaturgattungen wohl und veröffentlichte zwei Romane. Sein Roman »Ce qu’on entend sur la Place Rouge« (Was einem auf dem Roten Platz zu Ohren kommt) erschien 2004 bei Harmattan. > Fr, 5. Mai 2006 19 Uhr Centre Culturel Franco-Allemand Kaiserstr. 160 - 162 Info-Tel. (0721) 16 03 80 > Do, 4. Mai 2006 20.30 Uhr marotte- Figurentheater Kaiserallee 11 Info-Tel. (0721) 84 34 75 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN > HARALD SCHWIERS 131 > < 132 133 > Georges Cabaret Georges Cabaret, Bruder des Autors, hat eine Ausbildung zum Konzertpianisten am Conservatoire supérieur in Paris absolviert. Er hält Vorträge zur Musikgeschichte und arbeitet mit Schulen zusammen. Es entstanden bereits zwei Kinderstücke. »Youra«, so sein Künstlername, hat sich auf russische Musik spezialisiert, spielt auch Gitarre und Balalaïka. Seine vierköpfige Band Russki Kabak hat bisher zwei CDs aufgenommen. Dmitrij Prigow: »Lebt in Moskau!« Дмитрий Прогов »В Москве можно жить!« Literaturcafé der vhs Eintritt: 5 D Dmitrij Prigow, Avangardist, Sprachperformer, Postmodernist und einer der wichtigsten Vertreter des Moskauer Underground, erzählt seine frühesten Kindheitserinnerungen. ? Schmitz »in Moskau Pädagogik, Englisch und Deutsch studiert und mit Diplom als Lehrerin für Englisch und Deutsch abgeschlossen« »auch schwedische und serbokroatische Sprache erlernt« »in der Hauptsache als Übersetzerin und Dolmetscherin in den Sprachen Russisch, Englisch und Deutsch tätig« > So, 7. Mai 2006 11 Uhr Kaffeehaus Schmidt Kaiserallee 69 Info-Tel. (0721) 9 85 75 24 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN > ANDRÈ CABARET > GEORGES CABARET (YOURA) < 134 Russische Avantgarde-Architektur und die aktuelle, zeitgenössische Architekturszene in Moskau Русская авангардная архитектура и новейшие современные движения в московской архитектуре Vortrag von Prof. Dipl.Ing. Alex Dill, Gastprofessor an der Archi- tekturschule in Moskau und Initiator eines internationalen Workshops von europäischen Architekturschulen in der russischen Hauptstadt im Frühjahr 2006. Eintritt frei Alex Dill akad. Oberrat Dipl.-Ing. Alex Dill Architekt in Darmstadt Akad. Oberrat am Institut für Baugestaltung, Universität Karlsruhe lehrt »Entwerfen und Baukonstruktion« am Institut für Baugestaltung II. Schwerpunkte sind u.a. deutsch-französischer Vergleich zeitgenössischer Architektur u. Bauen mit Glas / Technologie und Materialanwendung im Konstruktiven Glasbau seit 1996 Mitglied des Atelier Europeen-Technologie de l’Architecture 2002 Gastprofessor an der Universität Bologna, Fakultät für Architektur / Cesena seit 2002 Forschungsreisen, Ausstellungen und Symposien zum Umgang mit den Bauten der Moderne in Ost- u. West-Europa Schwerpunkt »russ. Avantgarde Architektur« im Vergleich seit 2004 Mitglied von docomomo – international 2006 stellvertr. Vorstand docomomo-deutschland 2006 Gastprofessor am Moskau Institute of Architecture (MARCHI) Moskau als Zentrum der orthodoxen Kirche Москва как центр православной веры Vortrag von Prof. Dr. Rudolf Grulich, Leiter des Königsteiner Instituts für Kirchengeschichte von Böhmen – Mähren – Schlesien Mit anschließender Diskussion Eintritt: 4 D Als Kaiser Konstantin im Jahre 330 die Hauptstadt des Römischen Reiches an den Bosporus verlegte, bekam das alte Byzanz den Namen des Kaisers Konstantinopel. Die neue Hauptstadt sollte auch ein zweites Rom werden. Das führte dazu, dass der bis dahin unbedeutende Bischofssitz von Byzanz zu einem Patriarchat aufgewertet und in der Ehrenfolge der Patriarchate vor Alexandrien den zweiten Platz erhielt. Bis heute hat der in Istanbul residierende Ökumenische Patriarch den Titel eines Patriarchen des Neuen Rom. Die Reichsteilung unter Kaiser Theodosius, der Untergang des Weströmischen Reiches und seine Wiederbelebung unter Karl dem Großen verstärkten ebenso wie kulturelle und theologische Sonderentwicklungen in Ost und West die Entfremdung, sodass es zur Kirchenspaltung vom Jahre 1054 kam. Nach der Eroberung Konstantino- pels durch die Türken, war der Zar in Moskau der einzge Herrscher eines unabhängigen orthodoxen Staates. So wurde 1589 mit Zustimmung der übrigen morgenländischen Patriarchen der bisherige Bischofssitz Moskau zum Patriarchat erhoben. Ein Mönch in Pleskau schrieb damals: »Das erste Rom fiel wegen seiner Häresie, das zweite Rom unter den Beilen der Türken. Das dritte Rom wird bestehen, denn ein anderes wird es nicht geben.« Der Zar als orthodoxer Herrscher sah sich als Schutzherr aller orthodoxen Christen. Das wurde auch im Krimkrieg deutlich, der vor 150 Jahren mit dem Frieden von Paris 1856 beendet wurde. Der Referent wird diese Zusammenhänge vorstellen und aufzeigen, welche Auswirkungen die- ses kirchliche Selbsbewusstsein Moskaus bis heute auf die Ökumene hat. Prof. Dr. Rudolf Grulich hat 1998 den Preis für Völkerverständigung und grenzüberschreitende Kulturarbeit des Bukowina-Instituts und der Deutschen Jugend in Europa erhalten. > Mo, 8. Mai 2006 20 Uhr Roncalli-Forum Karlstr. 115 (Kolpinghaus) Info-Tel. (0721)9 32 83 30 > Mo, 8. Mai 2006 19 Uhr Fakultät für Architektur der Universität Karlsruhe Englerstr. 7 Info-Tel. (0721)608-2188 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN > PROF. DR. RUDOLF GRULICH 135 > < 136 Wladimir Kaminer Владимир Каминер Eine Text-Collage aus eigenen Werken u.a. »Die Russendisko«, »Küche Totalitär« und »Karaoke« In Verbindung mit der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe Eintritt: 6 D / 4 D ermäßigt Wladimir Kaminer Der Autor wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit 1990 in Ber- lin. Er veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, hat eine Sendung namens »Russendisko Club« beim RBB Radio MultiKulti sowie eine Rubrik im ZDF-Morgenmagazin und orga- nisiert Veranstaltungen wie seine mittlerweile international berühmte »Russendisko«. Mit der gleichnamigen Erzählsammlung sowie zahlrei- chen weiteren Büchern avancierte das kreative Multitalent zu einem der beliebtesten und gefragtesten Autoren in Deutschland. > Di, 9. Mai 2006 20.30 Uhr Jubez am Kronenplatz Info-Tel. (0721)133-4087 Russland heute: Die Erfahrung des Austausches zwischen dem Elsass und Russland im wirt- schaftlichen, wissenschaftlichen, universitären und kulturellen Bereich Россия сегодня: Обмен опытом между Россией и Эльзасом в областях экономики, науки, университетов и культуры Vortrag von Paul Tschaen, der die politische und wirtschaftliche Situation des heutigen Russlands beleuchten sowie an konkreten Projektbeispielen die Kooperation von Einrichtungen im Elsass und in Russland darstellen wird. Vortrag in französischer Sprache Eintritt frei Anhand von konkreten Beispielen wird Paul Tschaen, Projektleiter für den Bereich Wirtschaftskooperation bei der Agence de Développement de l’Alsace (Agentur für die Entwicklung des Elsass), auf 15 Jahre Partnerschaft zwischen der Region Elsass und Russland eingehen und ins- besondere folgende Themen behandeln: - Russland in Zahlen - Aufbau und Organisation des russischen Staates - Trümpfe und Herausforderungen Russlands - Russland: das Bestehen eines Marktes - Elsass und Russland Über die Darstellung der Beziehungen zwischen der Nachbarregion und dem russischen Staat hinaus wird er einen tiefen Einblick in die wirt- schaftliche Entwicklung Russlands in den letzten 15 Jahren geben. > Mi, 10. Mai 2006 19 Uhr Centre Culturel Franco-Allemand Kaiserstr. 160 - 162 Info-Tel. (0721) 16 03 80 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN 137 > < 138 139 > Moskau und Baden-Baden Москва и Баден-Баден Die Europäischen Kulturtage Karlsruhe zu Gast in der Region In Verbindung mit der Turgenev-Gesellschaft Deutschland e.V. Anmeldung und Information über das Hotel Steigenberger Europäischer Hof unter Tel. (07221)933-700 Eintritt: 42 D inkl. 3-Gänge-Menu Mit Ausschnitten aus der literarisch-musikalischen Collage »Moskau- Napoleon-Europa« von Dr. Françoise Hammer und Rita Fromm und dem Vortrag »Glücksspiele und Dichterschicksale: Baden-Baden und die rus- sische Kultur« von Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge, Universität Tübingen und Warschau Rolf-Dieter Kluge Dr. phil. habil., o. Prof. (Slavische Philologie); geb. 1937 in Pirna/ Elbe, Studium der Geographie, Germanistik, Philosophie und Slavistik, 1961 Staatsexamen, 1965 Promotion, 1975 Habilitation, 1975 Prof- essor an der Universität Freiburg, 1982-2002 Inhaber des Lehrstuhls für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen, Ver- anstalter dreier internationaler Cµechov-Symposien (1985, 1994, 2004) und eines Dostoevskij-Symposiums (2001), 1997 Verleihung des Bundes- verdienstkreuzes 1. Klasse, 2002-2005 Stiftungsprofessur für Russische Literaturgeschichte und deutsch-slavische Kulturbeziehungen an der Universität Warschau, seit Oktober 2005 o. Professur für Russische Literaturgeschichte und deutsch-slavische Kulturbeziehungen ebenda. Hinweis: Stadtführungen mit Renate Effern, Vorsitzende der Turgenev- Gesellschaft Deutschland, durch das »Russische Baden-Baden« finden wäh- rend der Festivallaufzeit jeweils mittwochs um 15 Uhr statt; Treffpunkt vor dem Theater Baden-Baden. Auf Anfrage auch in russischer Sprache; Preis p.P. 6 D. Anmeldung unter Tel. (07221) 79 79. > Mi, 10. Mai 2006 19.30 Uhr Hotel Steigenberger Europäischer Hof in Baden-Baden Salon Kaiserallee Kaiserallee 2 Russisches Tagebuch Русский дневник Vortrag von Thomas Roth, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin Eintritt: 6 D / 4 D ermäßigt Thomas Roth 1951 in Heilbronn geboren, Studium der Anglistik und Germanistik in Heidelberg. 1980 Volontariat beim SDR. 1981-1984 Redakteur und Moderator der Jugendfunksendung POINT (Hörfunk) des SDR. Bis 1986 landespolitischer Redakteur und Reporter (Fernsehen) des SDR. 1987 wechselte Roth in die SDR-Redaktion »Weltspiegel« und in das ARD-Studio Kairo. 1988 und 1991 arbeitete er als ARD-Korrespondent und Studioleiter des ARD-Büros Südliches Afrika in Johannesburg, 1991 wechselte er als ARD-Korrespondent in das ARD-Studio Moskau. 1992 übernahm Roth die stellvertretende Leitung des Programmbereichs Ausland im WDR Fernsehen. 1993 ging Roth erneut als ARD-Korrespondent und späterer Leiter des Studios nach Moskau. 1995 - 1998 Hörfunkdirektor des WDR. Zum 1. April 1998 zog es Thomas Roth als ARD-Korrespondent und Leiter des ARD-Studios nach Moskau. Seit Mai 2002 ist Thomas Roth Leiter des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin und Chefredakteur der Gemeinschaftsredaktion Fernsehen. > Do, 11. Mai 2006 20 Uhr PrinzMaxPalais Literaturhaus Karlstr. 10 Info-Tel. (0721)133-4087 LITERATUR / VORTRÄGE & LESUNGEN > THOMAS ROTH < 140 WISSENSCHAFT / SYMPOSION < LOMONOSSOW UNIVERSITÄT, Moskau 141 > < 142 Praxiswissen trifft universitäre Wissenschaft Столкновение примененного на практике знания с университетской наукой Studenten der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaft der Universität Karlsruhe entwickeln eine Homepage rund um Moskau, Russland und Karlsruhe Die Europäischen Kulturtage 2006 sind der Anlass für das Projekt- seminar »Europäische Kulturtage« des Studienzentrums für Angewandte Kulturwissenschaft (SZK). Ziel des Seminars ist die Veröffentlichung einer selbst programmierten Internetseite mit bildlichen Darstellungen und erläuternden, informativen Texten zur Kultur- und Landesgeschichte Russlands, Moskaus und auch Karlsruhes. Mit Unterstützung der Stadt Karlsruhe werden im Verlauf des Winter- Semesters viele spannende Themenbereiche erarbeitet, wobei die teilneh- menden Studierenden ihre Kreativität in Form eigener gestalterischer Ideen einbringen können. Die studentischen Teilnehmer können sich je nach individueller Fähigkeit und Interesse innerhalb des Projektseminars zwischen zwei Arbeitsgruppen entscheiden, wovon die eine sich mit der inhaltlichen Gestaltung, die ande- re mit der multimedialen Umsetzung befasst. Die inhaltliche Betreuung übernimmt Professor Burkhardt Krause, Leiter des SZK. In den die praktische Arbeit begleitenden Vorlesungen wird Prof. Krause auch mit Unterstützung externer Referenten die Studentinnen und Studenten in das Thema einführen und sie bei der Erarbeitung der Inhalte unterstützen. Darüber hinaus besteht für die Teilnehmer auch die Möglichkeit, Inter- views und kurze Filmbeiträge für die Website zu erstellen. Professor Jürgen Walter von der Hochschule für Wirtschaft und Technik wird inte- ressierte Studierende in die Kamera- und Schnittechnik einführen sowie ihnen bei der Erstellung von Film- und Audiobeiträgen hilfreich zur Seite stehen. In verschiedenen Arbeitsbereichen wie Design und Layout, Program- mierung oder Bildbearbeitung, können die Seminarteilnehmer je nach Interesse die Homepage entwickeln und gestalten. Gemeinsam mit dem Lehrbeauftragten für die multimediale Umsetzung, Dominique Steppeler, werden die Studierenden für die Internetseite ein ansprechendes und the- menverbundenes Design gestalten. > Wintersemester 2005 / 2006 Universität Karlsruhe (TH) Perspektiven der internationalen Kooperation in Forschung und Lehre zwischen Deutschland und Russland Перспективы международного сотрудничества в исследовании и обучении между Россией и Германией Veranstalter: Internationale Akademie für Nachhaltige Entwicklungen und Technologien (IANET) an der Universität Karlsruhe = Gorbachov- Akademie Wissenschaftliche Konferenz Di, 2. Mai 2006 »Probleme und Lösungen in der Kommunalwirtschaft in Russland und in Deutschland – Aus- und Weiterbildung« Leitung: Prof. Dr. Vitaly Gorokhov Vorträge: - Nachhaltige Entwicklung der russischen Immobilienwirtschaft in deutsch-russischer Kooperation - Aus- und Weiterbildung als Aktionsfeld - Wissenschaftsstädte in der Umgebung Moskau – ein neues Konzept für Forschen und Wohnen in Russland - Abfallmanagement und Abfallbeseitigung - Wasserzubereitung und Abwasserreinigung - City-Logistik - Anforderungen an die nachhaltige Entwicklung in der Wohnungswirtschaft und Ableitung von Anforderungen an die Weiterbildung von russischen Führungskräften - Nachhaltiges Bauen und Wohnen – Konzepte und Perspektiven Diskussionsrunde: »Probleme und Lösungen in der Kommunalwirtschaft in Russland und in Deutschland - ein Vergleich« mit der Teilnahme des Vertreters der Stadtverwaltung der Stadt Dubna1 des Moskauer Bezirks und Vertretern der Stadtverwaltung Karlsruhe, Universität Karlsruhe, Universität Bremen, Forschungszentrum Karlsruhe u.a. > Di, 2. Mai und Mi, 3. Mai 2006 10 Uhr Universität Karlsruhe (TH) Zentrum für Ost- und Mitteleuropa (ZOM) Straße am Forum 3 Geb. 30.96 Info-Tel: (07244) 15 73 WISSEN- SCHAFT / SYMPOSION 143 > < 144 Mi, 3. Mai 2006 »Internationale Kooperation in Forschung und Lehre – Probleme und Aufgaben« - Roundtable Moderation: Dr. Gotthard Bechmann, Forschungszentrum Karlsruhe / Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Vorstand der IANET, Prof. Dr. Vitaly Gorokhov - wissenschaftlicher Koordinator des Deutsch- Russischen Kollegs und der IANET an der Universität Karlsruhe (TH) Teilnehmer: Vertreter der Universität Karlsruhe, des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe, der Moskauer Lomonossow Universität, der Russischen Akademie der Wissenschaften u.a. 1 Die Stadt Dubna liegt 100 Km nördlich Moskau am Volga Fluss, gehört zum Moskauer Bezirk, hat ein Int. Kernforschungszentrum und eine Universität. Dubna hat den Status einer Wissenschaftsstadt Russlands erhalten. Moskau – das Dritte Rom Москва – Третий Рим Internationales wissenschaftliches Symposion Leitung: PD Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha, ZAK|Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale der Universität Karlsruhe (TH); Prof. Peter Weibel, ZKM|Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe; Generalintendant Achim Thorwald, Badisches Staatstheater Karlsruhe Organisation: Katrin Gebhardt M.A., ZAK|Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale der Universität Karlsruhe (TH); Thomas Thiel, ZKM|Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe; Tilmann Neuffer, Badisches Staatstheater Karlsruhe Der Eintritt für das gesamte Symposion ist frei Das ZAK|Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale veranstaltet gemeinsam mit dem ZKM|Zentrum für Kunst und Medientechnologie, dem Badischen Staatstheater und mit Unterstützung der Internationalen Akademie für Nachhaltige Entwicklungen und Technologie der Universität Karlsruhe (TH) das Internationale wissen- schaftliche Symposion im Rahmen der Europäischen Kulturtage 2006 unter dem Titel »Moskau – das Dritte Rom«. In Anlehnung an den Titel des Symposions wird sich die Veranstaltung vor dem Hintergrund der kulturgeschichtlichen Bedeutung Moskaus der Entwicklung des heutigen Russlands mit Fragestellungen aus Politik, Gesellschaft und Kultur wid- men. Die Kernthemen der Vortragsreihen betreffen die Rechtskultur und Zivilgesellschaft in Russland, die deutsch-russische Freundschaft sowie die Beziehungen Russlands zu seinen Randgesellschaften. Ergänzt wer- den die Vortragsreihen von zwei Podiumsdiskussionen, die zur aktuellen Presse- und Meinungsfreiheit und zur wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklung in Russland unterschiedliche Sichtweisen erörtern. Eröffnet wird das Symposion mit einem Vortrag des ehemaligen Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Moskau Dr. Ernst Jörg von Studnitz. 19 Uhr Begrüßung Prof. Peter Weibel, Vorstand des ZKM Ullrich Eidenmüller, Kulturbürgermeister der Stadt Karlsruhe PD Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha, Direktorin des ZAK, Universität Karlsruhe (TH) > Fr, 5. Mai - So, 7. Mai 2006 ZKM|Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Lorenzstr. 19 und Badisches Staatstheater Baumeisterstr. 11 (am 7. Mai 2006) Info-Tel. (0721)608-4384 > Fr, 5. Mai 2006 ZKM|Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Medientheater WISSEN- SCHAFT / SYMPOSION > PROF. DR. VITALY GOROKHOV 145 > < 146 Festvortrag: Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, Vorstandsvorsitzender des Deutsch- Russischen Forums e.V., ehem. Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau 21 - 22.30 Uhr Podium: Pressefreiheit im Zeichen neuer politischer Zensur? Prof. Dr. Galina Woronenkowa, Direktorin des Freien Russisch-Deutschen Instituts für Publizistik der Lomonossow-Universität, Moskau Dr. Marina Schishkinka, Leiterin der Fakultät Journalistik, Universität St. Petersburg Hermann Krause, ARD/WDR-Auslandskorrespondent, Moskau Jelena Fjodorowa, ehem. Chefredakteurin des Moskauer TV-Senders Ren Moderation: Johannes Voswinkel, Moskauer Redaktion DIE ZEIT 10 Uhr Themenblock 1: Rechtskultur und Zivilgesellschaft in Russland Prof. Margarita M. Balmaceda, PhD, Harvard Ukrainian Research Institute, Harvard University, Mass. Prof. Dr. Angelika Nußberger, Direktorin des Instituts für Ostrecht, Universität Köln Prof. Dr. Gennady D. Yanovsky, St. Petersburg State University of Telecommunications, St. Petersburg Gesprächsrunde zum Thema: Wissenschaftsentwicklung, Innovationspolitik und Öffentlichkeit – zivilgesellschaftliche Perspektiven Russlands Prof. Dr. Viatcheslav Stjopin, Direktor des Instituts für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften, Ehrendoktor der Universität Karlsruhe (TH) Prof. Dr. Vladimir Mironov, Dekan der Fakultät für Philosophie und Prorektor der Lomonossow Universität, Moskau Dr. Gotthard Bechmann, Forschungszentrum Karlsruhe / Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, IANET-Vorstand Prof. Dr. Vitaly Gorokhov, wissenschaftl. Koordinator des Deutsch- Russischen Kollegs und der IANET an der Universität Karlsruhe (TH) 12.45 Uhr Mittagspause 14 Uhr Themenblock 2: Deutschland-Russland: eine besondere Freundschaft? Dr. Peter Danylow, Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung, Köln Dr. Matthes Buhbe, Leiter der Friedrich Ebert Stiftung, Moskau Ottilie Bälz, Robert Bosch Stiftung, Stuttgart Dr. Thomas Kunze, Leiter der Außenstelle der Konrad Adenauer Stiftung in Russland, Moskau 15.30 Uhr Kaffeepause 16 Uhr Themenblock 3: Russland und seine Ränder Vadim V. Danilin, stellvertr. Leiter des Amtes für internationale Beziehungen der Stadt Moskau Michael Thumann, Außenpolitik DIE ZEIT Hamburg 17 Uhr Podium: Wirtschafts- und Sozialpolitik in Russland Oliver Wieck, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Berlin Prof. Dr. Hans-Henning Schröder, Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen 21 Uhr Film »Out of the Present« Regie: Andrei Ujica anschließendes Gespräch mit Prof. Dr. Peter Sloterdijk, Rektor der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe Prof. Dr. Boris Groys, Professor für Kunstwissenschaft, Philosophie und Medientheorie, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Prof. Dr. Andrei Ujica, Professor an der Hochschule für Gestaltung, Leiter des Filminstituts am ZKM| Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe Themenblock 4: Subkulturen und Gegenkulturen Performance und Videos aus Moskau Olga Chemyschowa, Dmitri Gutov, Anatoli Osmolovski, Dmitri Prigov und Viktor Misiano > Sa, 6. Mai 2006 ZKM|Zentrum für Kunst und Medientech- nologie Medientheater Lorenzstr. 19 Info-Tel. (0721)608-4384 > So, 7. Mai 2006 11 - 15 Uhr Badisches Staatstheater Karlsruhe Baumeisterstr. 11 WISSEN- SCHAFT / SYMPOSION 147 > < 148 VARIETÉ / LEBENSART / MODE < DESIGN: NINA KULIKOWA 149 > < 150 La Saison Russe Ла Сэзон рюс Varieté mit den Stars der russischen Akrobaten-Szene Moderation: Karl-Heinz Helmschrot Eintritt: 15 D + VVG / 18 D an der Abendkasse »La Saison Russe« vereinigt mit der Luftakrobatin Olena Yakimenko, dem Handstandequilibristen Maxim Bondarenko, dem exzentrischen Akrobatenduo Novruzov, dem Jongleur Semen Krachinov, Oktay Novruzov als Maestro auf dem Schlappseil sowie der Partnerakrobatentruppe Atlantis einige der derzeit führenden russischen Varieté-Attraktionen. Für einen Abend kommen sie in Karlsruhe zusammen, um eine Symbiose zwi- schen Klassik und Avantgarde, Ballett und Akrobatik, Schatten und Licht, Schweigen und Musik zu suchen, die nicht zufällig an den unvergesslichen und legendären Ballettimpressario Serge Diaghilev und seine »Ballets Russe« erinnert. Moderiert wird der Abend vom Artisten, Komiker, Bauchredner, Schauspieler und Entertainer Karl-Heinz Helmschrot. Tatort Gärkeller Что случается в пивоваренном подвале Ein genussvoller Abend rund um die russische Küche und den Gerstensaft Monika Hausvalter, Gesang Natalia Zagalskaia, Klavier Die Veranstaltung findet im Rahmen der Initiative LebensART statt. Um Tischreservierung wird gebeten unter Tel. (0721) 61 83-0. Eintritt: 16,90 D incl. russischem Menu und korrespondierenden Bierspezialitäten. Wer kennt sie nicht, die leckeren Gerichte aus der üppigen rus- sischen Küche wie Borschtsch, Soljanka, Boeuf Stroganoff und Blinis. Sprichwörtlich ist auch die Freude Russlands am Feiern und Gäste bewir- ten. Der Burghofwirt Waldemar Fretz und sein russischer Koch Eugen Streifel präsentieren an diesem Abend besondere Spezialitäten. Dr. Friedrich Georg Hoepfner stellt zu dem exklusiven Menu einige der besten russischen Biere im Vergleich mit den Spezialitäten der Privatbrauerei Hoepfner vor und verkostet sie zusammen mit dem Publikum. Der Abend wird musikalisch begleitet durch ein russisches Studierenden-Ensemble der Musikhochschule Karlsruhe. Natalia Zagalskaia Natalia Zagalskaia wurde 1978 in Moskau geboren. Sie begann 1984 ihre musikalische Ausbildung bei Ludmila Lyacker. Von 1990 bis 1996 studierte sie an der »Central Music School« am Moskauer Conservatorium bei Alexander Mndoyant und anschließend an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe, zunächst bei Prof. Hauer und seit 2001 bei Prof. Kalle Randalu. Sie trat viel solistisch auf und war Preisträgerin bei inter- nationalen Musikwettbewerben. > Mi, 26. April 2006 19.30 Uhr (Einlass 19 Uhr) Schalander in der Privatbrauerei Hoepfner Haid-und-Neu- Str. 18, Eingang durch den Biergarten > Mo, 24. April 2006 20.30 Uhr Kulturzentrum Tollhaus Schlachthausstr. 1 Info-Tel. (0721) 96 40 50 VARIETÉ LEBENSART / MODE > MAXIM BONDARENKO > DUO NOVRUZOV 151 > < 152 Modeträume aus Moskau Модные мечты из Москвы Modenschau der bekannten und vielfach ausgezeichneten russischen Designerin Nina Kulikowa. Mit Balletteinlagen und anschließendem Empfang. Anmeldung erbeten unter Tel. (0721) 38 00 06 > Di, 9. Mai 2006 19 Uhr Modehaus Schöpf am Marktplatz Gorodki-Jugendturnier Молодежное соревнование по городкам Mit Teams aus Deutschland, Russland und Weißrussland. Gorodki ist ein uraltes Spiel, besonders populär in der ehem. Sowjetunion, Schweden, Finnland und der Türkei. Berühmte Gorodkispieler waren Tolstoi und Schaljapin. > Fr, 21. April - So, 23. April 2006 Gorodki-Anlage in Karlsruhe-Oberreut Joachim-Kurzaj- Weg 5 Info-Tel. (0177) 5 82 15 34 VARIETÉ LEBENSART / MODE > MANIZER, »Gorodoschnik«, Gips, 1927, Staatliches Russisches Museum > Nobelpreisträger IWAN PAWLOW, Mediziner und Physiologe 153 > < 154 FILM < MARINA RASBEZHKINA, Erntezeit 155 > < 156 157 > Filmstadt Moskau Москва как центр кинематографии Neues Kino aus Moskau Essay von Julia Kuniß Russisches Kino im Aufbruch Spätestens seit dem »Goldenen Löwen« für Andrej Zvjaginzevs »Die Rückkehr« (Vosvrascenije, 2003) in Venedig macht der russische Film wie schon lange nicht mehr von sich reden. Das Regiedebüt eines aus- gebildeten Theaterschauspielers, von einem unabhängigen Moskauer TV-Studio mit einem kleinen Budget produziert, war der Hit am Lido und wurde erfolgreich in die ganze Welt verkauft. Das Jahr 2003 war für den russischen Film ein Jahr des Umbruchs, der Debüts, der neuen Namen, die von sich hören lassen sollten. Dabei wurden große Hoffnungen an einen Generationswechsel und damit an die neuen Talente geknüpft. Diese Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden, wie die jüngsten Festivalerfolge russischer Filme bewiesen. Das einst lebendigste Filmland der Welt meldete sich zurück und überraschte mit neuen Namen und Filmen, von denen auch der interessierte deutsche Kinozuschauer einige zu sehen bekam – neben dem Film »Die Rückkehr« waren noch weitere inter- national beachtete Debüts wie »Koktebel« (2003) von Boris Chlebnikov und Alexej Popogrebskij im regulären Verleih in Deutschland zu sehen. Auch kommerziell ist das neue russische Kino mittlerweile außerhalb der Landesgrenzen erfolgreich. Der erste russische Blockbuster, das High- Tech-Fantasy-Märchen »Wächter der Nacht« (Nochnoy dozor) von Timur Bekmambetov, seine erste selbständige Regie-Arbeit nach mehreren Jahren in der Werbung, machte bereits in den USA Furore. Auch hierzulande sorgte der Fantasy-Thriller während der Berlinale für Aufmerksamkeit. Im Herbst 2005 kam er in die deutschen Kinos und erreichte bereits nach einer Woche ein Einspielergebnis von 1,3 Mio. Euro. Die Resonanz in der Presse war für einen osteuropäischen Film enorm groß. Aber auch über die Festivalerfolge und die künstlerischen Spitzen- leistungen hinaus verdient die aktuelle Situation im russischen Film genauer unter die Lupe genommen zu werden. Nach einem Jahrzehnt des Niedergangs kommt das russische Filmwesen wieder in Schwung und ist gemessen an der Zahl der Produktionen wieder führend im gesamten ost- europäischen Raum. 139 Spielfilme wurden 2005 in Russland produziert, 715 Dokumentarfilme und 100 Animationsfilme. Dies ist viel mehr als in den besten Jahren während der sowjetischen Ära. Auch das russische Verleihsystem entwickelt sich rasant. 2005 starteten 26 russische Filme im GUS-weiten Verleih, die insgesamt über 53 Mio. $ einspielten, dies entspricht ca. einem Drittel der Gesamteinspielergebnisse dieser Saison. > Di, 25. April – So, 30. April 2006 Das Kino im PrinzMaxPalais Karlstr. 10 Garteneingang Akademiestr. Info-Tel. (0721) 9 37 47 14 Nach einer langen Pause kehrt der Zuschauer in die Kinos zurück. Der Bau von Filmtheatern boomt. Neue Multiplexe schießen wie Pilze aus dem Boden und alte Kinos werden mit dem neuesten Stand der Technik ausgerüstet. Und das bei Durchschnittspreisen von zweieinhalb Dollar pro Kinokarte. In Moskau sind es bei manchen Vorführungen in moder- neren Kinosälen 7 Dollar, bei Premieren bis zu 20 Dollar. Die Metropolen Moskau und St. Petersburg nehmen dabei einen besonderen Platz ein. Im Gegensatz zu den Regionen haben dort nicht nur Mainstream-Filme, ein- schließlich einheimischer Produktionen, sondern auch verstärkt russische Art-House-Filme eine Chance. Deren Verleih ist zwar sehr begrenzt, aber immerhin finden diese Filme, die oft im Westen besser bekannt sind, wie- der ihren Weg zum einheimischen Publikum. In der jüngsten Zeit erwiesen sich die Filme der namhaften Altmeister weder im internationalen Festivalbetrieb noch in der kommerziellen Auswertung als wettbewerbsfähig, ausgenommen vielleicht Alexander Sokurovs »Russische Arche« (Russki Kovtscheg, 2002) und Andrej Kontschalovskijs »Das Irrenhaus« (Dom Durakov, 2002). Diese Tatsache zog eine einschneidende Umorientierung der staatlichen Finanzierung nach sich. Der Schwerpunkt der Förderung verlagerte sich auf die Filme junger Regisseure, vorzugsweise Debüts. Immer mehr Augenmerk gilt dabei dem Filmmarketing. Bisher war in Russland für die staatliche Finanzierung ei- nes Filmprojektes einzig der Name des Regisseurs entscheidend. Nunmehr gewinnt das weltweit verbreitete Modell der Produzentenfinanzierung im- FILM > Marina Rasbezhkina, Erntezeit < 158 mer mehr an Bedeutung. Die jungen, am Geldrückfluss ihrer Filme orien- tierten Produzenten, werden in der staatlichen Förderung priorisiert. Hohe Ziele sind bereits gesteckt. Im Jahr 2006 sollen mindestens 150 Filme produziert werden. Weiterhin ist geplant, alle Filmstudios zu privatisieren. Mit der Entscheidung, dem europäischen Coproduktionsfond Eurimages beizutreten, will Russland seine nationale Filmproduktion möglichst rasch in die internationale Kinoindustrie integrieren. Künstlerisch wie wirtschaftlich kann nach der schwierigen postsow- jetischen Zeit von einer regelrechten Wiedergeburt des russischen Films gesprochen werden. Das aktuelle russische Kino überrascht mit neuen Bildern, innovativer Ästhetik und einer Vielfalt an formalen und sti- listischen Experimenten und thematischen Schwerpunkten. Nach einer schwierigen Übergangszeit und der Neuorientierung scheint das russische Kino neue Wege gefunden zu haben, die radikal veränderte Realität des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens im heutigen Russland mit adäquaten künstlerischen und technischen Mitteln auf der Leinwand zu reflektieren. Dabei wird die allgemein zu verzeichnende Aufbruchstimmung größ- tenteils von den ambitionierten Filmemachern und Produzenten der jun- gen Generation getragen, die ein breites Spektrum an aktuellen Trends repräsentieren. Der Bogen reicht vom patriotischen Film über modernes Art-House-Kino bis hin zum amerikanisch geprägten Genrekino. Jedoch schimmert durch den kosmopolitischen Genrekanon im jungen russischen Kino immer mehr die ästhetische Tradition des sowjetischen Films durch. Ob es sich dabei um die Metaphysik von Tarkovskij handelt, der sich der Regisseur des Films »Die Rückkehr« verpflichtet fühlt, oder um die stilisierten Dorffilme wie »Erntezeit« (Vremja Zatvy, 2004) von Marina Rasbezkina und »Alte Frauen« (Staruchi, 2003) von Gennadij Sidorov. Der neuen Generation gelingt es auf eine überzeugende Weise, die Traditionen des sowjetischen Films wiederzubeleben, nachdem sie sie vom Diktat der Ideologie befreit hat. »Dies ist der Anfang einer ganz neuen nationalen Filmmythologie«, wie der international renommierteste russi- sche Kritiker Andrej Plachov bemerkt. Filmstadt Moskau In den Moskauer Studios konzentriert sich der Großteil der russischen Filmproduktion. Das russische Zentrum der Macht und des Kapitals, von Rekonstruktions- und Bauboom beherrscht, ist nicht nur als Filmkulisse interessant. Die Metropole Moskau zieht aus dem ganzen Land die Krea- tiven an. Diese suchen nach neuen ästhetischen und formalen Wegen, die sich in der jüngsten Zeit so rasch verändernde Realität in Russland und in Moskau adäquat zu reflektieren. Die Moskauer Filmszene überrascht mit einer unglaublichen Vielfalt und Vitalität. Neue modern ausgerüste- te Filmstudios entstehen, die dem weltberühmten 85-jährigen Mosfilm- Studio Konkurrenz machen. Auch das alljährlich stattfindende Moskauer Internationale Filmfestival, das in der letzten Zeit auch international wieder an Bedeutung gewinnt, partizipiert an dieser Entwicklung. Als eines der elf «A-Festivals» wird das MIFF immer noch in einem Atemzug mit den Festivals in Cannes, Venedig und Berlin genannt. Doch das traditionsreiche, seit 1975 statt- findende Festival und einst wichtigste Filmereignis Osteuropas hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion mit immensen organisatorischen und finan- ziellen Problemen zu kämpfen. Den Veranstaltern gelang es jedoch, sich gegen ihre Konkurrenz in Karlovy Vary, die nicht nur in terminlicher Rivalität zum Moskauer Fest steht, zu behaupten und ein neues Image in der internationalen Festivalszene zu etablieren. Seit einigen Jahren legt die Festivalleitung besonderen Wert auf die Präsentation und Förderung des einheimischen Kinos. Mehrere Programme zeigen das aktuelle Kino Russlands in seiner ganzen Vielfalt. Die aktuellen Entwicklungen in der jungen Moskauer Filmszene, die einerseits nach neuen Ansätzen sucht und sich vom europäischen und amerikanischen Kino inspirieren lässt, sich andererseits jedoch zu den reichen Traditionen des weltberühmten sowjetischen Films bekennt und sich Themen aus der bewegten Geschichte ihres Landes sucht, schaffen ein Spannungsfeld, welches durch das vorliegende Filmprogramm anlässlich der Europäischen Kulturtage Karlsruhe 2006 »Moskau« näher beleuchtet werden soll. Präsentiert werden acht abendfüllende Spielfilme und zwei Kurzfilm- programme, die einen Einblick in die ganze Vielfalt von Film- und Videoproduktionen »Made in Moskau« gewähren. Die Palette reicht von Video-Artund Popkultur über den anspruchsvollen künstlerischen Autorenfilm bis zum jungen innovativen Kino, auf das bei dieser Retro- spektive besonderer Wert gelegt wird. Das Programm berücksichtigt die neuesten Entwicklungen in der Moskauer Filmszene und präsentiert ausge- wählte Produktionen aus den letzten vier Jahren, vor allem Debüts. Diese Filme spiegeln das facettenreiche Bild des aktuellen russischen Kinos im Allgemeinen wider und stellen die jungen aufstrebenden Filmemacher vor, die das Bild des aktuellen russischen Kinos prägen. Die Zuschauer erwar- tet ein thematisch und ästhetisch buntes und vielfältiges Programm. Mit einem bemerkenswerten Regiedebüt sorgte Gennadij Sidorov, Schauspieler, Produzent und Drehbuchautor, der in den 1990er Jahren nach seinem VGIK-Studium zum Film kam, für Aufmerksamkeit. Sein Film »Alte Frauen« (Staruchi, 2003) ist einer der wenigen Filme, der die seit Jahren im multinationalen Staat Russland hoch aktuelle Nationalfrage zum Thema macht. Schonungslos zeigt der Regisseur die harte Realität des alltäglichen Zusammenlebens in der russischen Provinz, bei der sich ein zunächst feindseliges, mit vielen Vorurteilen belastetes Verhältnis erst angesichts der menschlichen Tragödie in ein friedliches Miteinander umkehrt. Der Film sorgte in Russland für viel Diskussion und wurde beim nationalen Filmfestival in Sotschi mehrfach ausgezeichnet. Nahezu ausnahmslos mit Laiendarsteller gedreht, vermittelt der Film fast dokumentarisch Eindrücke vom ländlichen Leben in Russland. FILM 159 > < 160 Auf eine überzeugende Weise verbindet Sidorov dabei die Tradition des herausragenden russischen Regisseurs Vassilij Schukschin – einer der Gründerväter der sowjetischen »Dorfprosa« der 1970er Jahre – mit der Ästhetik eines Emir Kusturica. Der Krieg in Tschetschenien prägt nach wie vor das aktuelle russi- sche Kino, auch wenn das Thema in der letzten Zeit eher latent vertre- ten ist. Mit seinem jüngsten Film »Mein Stiefbruder Frankenstein« (Moj svodnyj brat Frankenstein, 2004) gelang Valerij Todorovskij, einem der interessantesten Regisseure der jungen Generation, eine einfühlsame und beängstigende gesellschaftliche Studie, in der das Wort »Tschetschenien« kein einziges Mal fällt und doch der Bezug zu diesem Thema eindeutig zu erkennen ist. In seinem sozial-psychologischen Drama konfrontiert Todorovskij den Zuschauer mit einer Welt, die die harte Realität außerhalb der Business- Metropole Moskau verdrängt und die von Ignoranz und Gefühllosigkeit gegenüber fremdem Leid geprägt ist. Dabei bricht er ein Tabu, indem er den fernen Kaukasus-Krieg in die gutbürgerliche Moskauer Wohnstube transferiert. In einer seltenen Art und Weise gelingt es dem Regisseur, das alltägliche Leben lyrisch und trotzdem sehr realistisch zu zeigen. Damit setzt er die Linie seines Vaters, Pjotr Todorovskij, des ungekürten Lyrikers des sowjetischen Films, fort. Valerij Todorovskij, der erfolgreiche Filmregisseur, Drehbuchautor und TV-Produzent – seit 2002 Leiter der Spielfilmproduktion des zweit- größten russischen Senders »Rossija« – ist ein typischer Vertreter der neuen Moskauer Filmelite. Diese junge und ambitionierte Generation der Filmregisseure, viele von ihnen aus Familien sowjetischer Kino-Prominenz stammend, alle etwa Mitte bis Ende 30, tragen zum wesentlichen Teil den Aufbruch im neuen russischen Kino. Todorovskij kam bereits in den 90ern zum Film und landete mit seinem Spielfilmdebüt »Ljubov« (Liebe, 1991) den ersten Postperestroika-Hit. Mittlerweile zählt er zu den aktivsten Filmschaffenden Russlands und hat neben fünf Regiearbeiten über 20 Filme und sechs Fernsehserien produziert. Ständig auf der Suche nach neuen Talenten und unentdeckten Namen ist die Moskauer Produzentin Elena Jatzura. Die ausgebilde- te Theaterwissenschaftlerin ist seit 1993 im Filmgeschäft und startete zunächst als Redakteurin bei Mosfilm. Mit ihren beiden Produktionsfirmen »Slovo« und »Non Stop Production« realisierte sie bereits etwa zehn beachtete Spielfilmprojekte. Die Philosophie der ambitionierten Jungproduzentin ist die bewuss- te Förderung des jungen, radikalen und alternativen Kinos. Sie riskiert gerne, junge Regisseure zu engagieren, die experimentierfreudig und auf der Suche nach einer neuen Filmsprache, nach neuen Formen und Genres sind. Viele der bemerkenswerten russischen Filmedebüts der letzten Jahre, die auf den Festivals in Berlin, Venedig, Rotterdam und Toronto liefen, wurden von ihr produziert, so u.a. die Filme »Aprel« (2001) von Konstantin Mursenko, »Glatteis « (Gololjod, 2002) von Michail Broschinskij, »You I Love« (Ja lublju tebja, 2003) von Dmitry Troitsky und Olga Stolpovskaja. Sie unterstützt Berufsanfänger und Quereinsteiger und dies mit Erfolg. Überhaupt gibt es unter den Debütanten der letzten Jahre enorm viele Quereinsteiger. Die meisten haben ihre ersten Erfahrungen in der Werbung, im Journalismus, im Fernsehen und im Theater gesammelt und versuchen sich nun in der Spielfilmregie. Diese junge Generation der Filmregisseure bringt die ihren Medien eigene Ästhetik und Sichtweise in den Spielfilm ein, was zu einem inhaltlich und formal radikal veränderten Kino führt. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das Regiedebüt des prominenten Moskauer Filmkritikers Michail Braschinskij, »Glatteis«. Diese glänzende Charakterstudie, die einen unorthodoxen Blick auf das neue Moskau eröffnet, sorgte bereits 2003 bei den Berliner Filmfestspielen für Aufmerksamkeit, wo der Film im Programm des Internationalen Forum des jungen Films lief. Seine radikale Ästhetik und technologische Machart macht den Film zu einem interessanten Experiment, dem ersten seiner Art im neuen russischen Kino. »Glatteis« hat gemessen an der Zahl der Schnitte pro Zeiteinheit alle Rekorde im russischen Kino gebrochen. Während 600 Schnitte pro 90 Filmminuten als dynamisch angesehen werden, haben die 70 Minuten von »Glatteis« ganze 1011 Schnitte. Die Frequenz der wechselnden Bilder unterstreicht die rasante Dynamik einer 10 Millionen Stadt mitten im Wirtschaftsboom. Der Film wurde auf DV gedreht, um dann mit großem Aufwand auf 35mm überspielt zu wer- den. »Die digitale Technologie schafft eine Illusion der Kurzlebigkeit der Ereignisse, eine Illusion des unmittelbaren Blicks, der nicht durch die Linse der Kamera getrübt wird«, so der Regisseur, »Moskau fehlt die Zeit, ihre Versprechungen zu halten. Im Winter bringen Schneeverwehungen und Eisglätte den Straßenverkehr zum Erliegen. Die Menschen schaffen es nicht, Geplantes zu erledigen. Der Stress verleitet dazu, die Spannung durch Alkohol und Psychopharmaka zu betäuben«. Bei der Realisierung des Projektes stieß die Produzentin Elena Jatzura auf große Schwierigkeiten, was allerdings nicht nur auf die radikale Ästhetik des Films sondern viel mehr noch auf sein Thema zurückzuführen FILM > Gennadij Sidorov, Alte Frauen 161 > < 162 Melodram in die heutige Zeit versetzt; geschrieben und gespielt von der Diva des neuen russischen Films, Renata Litvinova. Der Film war in Russland ein großer Erfolg, was nicht zuletzt auf die Mitwirkung von Renata Litvinova zurückzuführen ist. Hierzu muss man erwähnen, dass Litvinova eine besondere Stellung im neuen russi- schen Film einnimmt. Nach ihrem Studium an der VGIK erregte sie mit ihren ersten Drehbucharbeiten schon bald Aufmerksamkeit in der Branche und wurde von Kira Muratova entdeckt. Mittlerweile ist sie erfolgrei- che Regisseurin, Produzentin, Drehbuchautorin und auch Schauspielerin, die sich selbst gerne zur modernen russischen Ikone der Weiblichkeit stilisiert. Ihre entrückte Art wirkt auf manche aufgesetzt, jede Geste ist mit grenzenlos übertriebener Weiblichkeit aufgeladen. Die heute 38- jährige ist die erste und bisweilen wohl einzige Diva des neuen russischen Films. Sie erfand für sich die Divenrolle und schrieb sie sich selber auf den Leib. Spätestens in Vera Storozevas Film perfektionierte sie diese Rolle. Unnachahmlich mimt Litvinova hier eine überkandidelte, traum- tänzerische Stewardess. Ein fast ätherisches Wesen, durch die strenge Stewardessen-Uniform nur noch vage im Diesseits verankert. Mittlerweile macht Litvinova auch international von sich reden. 2002 war sie in der Jury der Berliner Filmfestspiele und präsentierte dort im Programm des Internationalen Forum ihren Dokumentarfilm »Für mich gibt es keinen Tod« (Net smerti dlja menja, 2000). Der 60. Jahrestag des Kriegsendes war in jüngster Zeit ein großes Thema im russischen Kino. Die Regisseure nehmen sich dieses Themas sehr unterschiedlich an, viele Filme sind dazu seit 2002 entstanden. Neben dem Bestreben, das in der ehemaligen Sowjetunion sehr beliebte Genre des patriotischen Kriegsfilm wiederzubeleben, mehren sich die Versuche, die menschlichen Tragödien aus der Perspektive Einzelner zu beleuch- ten, egal auf welcher Seite man im Krieg stand. Besonders die Motive der Völkerverständigung und Toleranz trotz der Grausamkeit des Krieges gewinnen an Bedeutung. Bemerkenswert ist, dass gerade junge Leute sich verstärkt dem Kriegsthema zuwenden und neue Ansätze entwickeln, um sich auf unkonventionelle Weise damit auseinander zu setzen. In diesem Programm sind zwei Filme zu sehen, die auf unterschied- liche Weise diese neue Herangehensweise repräsentieren. Zum einen das bemerkenswerte Filmdebüt »Der letzte Zug« (Poslednij poezd, 2003) von Aleksej German jr. Der Sohn des bekannten russischen Autorenfilmers Alexej German schloss 2001 sein Regie-Studium an der VGIK in Moskau ab. Das Drehbuch zu seinem ersten Film schrieb er selbst und verarbei- tete darin die Kriegserlebnisse aus seiner Familie. Er hat einen radika- len, pazifistischen Film in Schwarz-Weiß gedreht, der die Hilflosigkeit der in der Vernichtungsmaschinerie des Krieges eingespannten Menschen zum Ausdruck bringt. Ähnlich wie sein berühmter Vater Alexej German (Straßensperre/Proverka na Dorogach, 1985; Chrustalev, das Auto!/ Chrustalev, Maschinu!, 1998) und Alexander Sokurov gestaltete er eine völlig andere Art von Geschichtsfilm – experimentell, mit Elementen des war. »Glatteis« ist der erste russische Film, der unverhohlen über das Thema Homosexualität spricht. Ursprünglich war das Drehbuch mit staat- licher Förderung als Teil des TV-Mehrteilers »Das russische Dekameron« entwickelt worden. Jedoch wurde das Exposé vom Auftraggeber mit der Begründung abgelehnt, es entspräche nicht den ethisch-moralischen Normen des russischen Fernsehens, so dass der Film unabhängig finan- ziert werden musste. Auch nach Fertigstellung fand sich kein Verleih in Russland. Der Regisseur, Drehbuchautor und Cutter Michail Braschinskij ist der erste Filmkritiker in Russland, der die Seiten wechselte. Er ist Autor von mehr als 800 Texten über das Kino und schrieb für führende rus- sische und internationale Publikationen. Von 1994 bis 2002 war er Russlandkorrespondent des Variety International Film Guide. Ein weiter bemerkenswerter Trend, der sich im jüngsten russischen Film beobachten lässt, ist die Wiederbelebung des in den 1960er und 70er Jahren in der ehemaligen Sowjetunion außerordentlich beliebten Genres des Frauen-Melodrams. Wen wundert es, dass es meistens Regisseurinnen sind, die sich von dieser Tradition inspirieren lassen. Der international wohl bekannteste Film dieses Genres ist Larissa Sadilovas »In Liebe, Lilja« (S ljubovju Lilja, 2002), der bereits auf vielen internationalen Festivals zu sehen war. Ein weiteres Beispiel ist das Regiedebüt von Vera Storozeva »Himmel, Flugzeug, Mädchen« (Nebo Samoljot Devuschka, 2002), ein Remake des Klassikers aus den 60ern, als hochstilisiertes FILM > Valeri Todorovski, Mein Stiefbruder Frankenstein 163 > < 164 Autorenfilms, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts erforschend. Im Kontrast dazu ist der Film »Die Unsrigen« (Svoi, 2004) von Dmitrij Meshiev dem traditionellen Erzählkino verpflichtet. Er ist einer der her- ausragenden russischen Filme des Jahres 2004. Der Regisseur beleuchtet hier die Ereignisse des zweiten Weltkrieges aus einem für das russische Kino neuen Blickwinkel, indem er einen von der sowjetischen Ideologie zum Volksfeind Gestempelten zum Hauptprotagonisten und den drama- tischen Konflikt zwischen Antikommunismus und Vaterlandsliebe zum Hauptthema macht. »Die Unsrigen« ist großes Kino, einer der wenigen Filme über den Großen Vaterländischen Krieg, der ohne übertriebenes Pathos einerseits und Schwarz-Weiß-Malerei andererseits auskommt und zudem exzel- lent inszeniert, gespielt, fotographiert und geschnitten ist. Der 1963 in Leningrad geborene Dmitrij Meshiev lebt seit Anfang 1990 in Moskau und ist als ausgesprochen produktiver und vielseitiger Filmemacher bekannt, der seither bereits acht Filme realisiert hat. Der Umgang mit der Geschichte des Landes, die Verarbeitung der histo- rischen Erfahrungen auch über den Krieg hinaus ist ein wichtiges Thema, womit sich das russische Kino in der letzten Zeit sehr stark beschäftigt. Dazu gab es in den letzten Jahren zahlreiche Filme. Einen besonderen Platz nimmt das Spielfilmdebüt der Dokumentarfilmerin Marina Rasbezhkina, »Erntezeit« (Vremja Zatvy, 2003) ein. Eine beeindruckend fotografierte tragikomische Parabel, die rückblickend eine Geschichte aus den 1940ern erzählt, die die Tragik der bewegten Vergangenheit Russlands treffend zum Ausdruck bringt. Mit einer Prise bitterer Ironie, aber voll Poesie und Liebe öffnet Marina Rasbezhkina mit Hilfe von Irina Uralskaja, deren wunderbare Kameraarbeit diesen lakonisch-schweren Film auch zu einem ästhetischen Genuss macht, einen ungewohnten Blick auf das dörfliche Leben der 40er Jahre. Es ist dies der Blick des Sohnes auf die Mutter und auf sich selbst als Kind, der eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart versucht und Fragen an die Zukunft aufwirft. Marina Rasbezhkina drehte zahlreiche, zum Teil preisgekrönte Dokumentarfilme, bevor sie mit »Erntezeit«, der im In- und Ausland von den Kritikern mit Lob überhäuft wurde, ihr Spielfilmdebüt gab. Sie steht damit stellvertretend für einen bemerkenswerten Trend. Gerade in den letz- ten zwei bis drei Jahren wechselten viele Dokumentarfilmer ihr Fach und versuchten sich – nicht ohne Erfolg – in der Spielfilmregie. Unweigerlich wurde dabei die Ästhetik des Dokumentarfilms in den Spielfilm einge- bracht. Interessanterweise suchen sich die »Dokumentaristen« ihre Themen oft in der Vergangenheit und der Zeitgeschichte, so auch dieses unglaubliche, ja absurde Geschehen um eine rote Fahne, das sich in den 40er Jahren tatsächlich zugetragen haben soll. Die alternative Moskauer Filmszene von heute blickt nicht nach Westen. Im krassen Gegensatz zur Spaßgesellschaft westlicher Prägung, die sowie- so nur für eine hauchdünne Schicht der »neuen« Russen Wirklichkeit ist, bringt diese neue Kunstszene, hervorgegangen aus der Video-Art- Bewegung der 90er Jahre, ästhetisch radikale Strategien in den neuen rus- sischen Film hinein. Stellvertretend für diese Entwicklung steht der Film »Staub« (Pyl´, 2005). Dieses unabhängige Projekt wurde zum Geheimtipp des Moskauer Filmfestivals des vergangenen Jahres. Trotz seiner relativ simplen und schnörkellosen Machart ist der Film sehr interessant und vielschichtig, wenn man ihn als eine bitterböse, aber aktuelle und treffende Karikatur der gesellschaftlichen Realität in Russland sieht. Inhaltlich anspruchsvoll und stilistisch eigene Wege beschreitend über- zeugt das Projekt vor allem durch seine Ästhetik. Es wurde von einer unabhängigen Künstlergruppe ohne jegliche staatliche Finanzierung rea- lisiert. Diese bemerkenswerte Low-Budget-Underground-Produktion, auf- genommen mit Digicam und Darstellern, die keine Profis jedoch durchweg Kultfiguren der alternativen Szene sind, fand auch international viele Anhänger und wurde von der Kritik sehr gelobt. Die jungen Moskauer Sergei Loban, Dmitrij Model und Marina Pota- pova, die die experimentelle künstlerische Vereinigung »Svoi2000« bil- den, beschäftigen sich seit einigen Jahren mit Video-Art und Film und sind Ende der 90er aus der berühmten russischen Video-Art-Bewegung »Für anonyme und kostenlose Kunst« hervorgegangen, die die Ästhetik des Proletkults und der sowjetischen Avantgarde kultivierte und spontane, uneigennützige künstlerische Aktionen durchführte. Sie erkannte jedem das Recht zu, Kunst zu machen und zu präsentieren. Das Symbol der Gruppe war das durchgestrichene Copyright-Zeichen. Der Regisseur des Films, Sergei Loban, absolvierte das Moskauer Institut für Elektronik und Mathematik bevor er sich in der alternativen Jugendkulturszene engagierte. Über die experimentelle Videokunst kam er zum Jugendfernsehen, wo er bei der Sendereihe »Ab 16 und älter« Regie führte – die turbulente Zeit machte es möglich. Im Russland der 90er Jahre, als die moderne Kunst aus dem Underground kam, begann eine regelrechte Invasion des massenmedialen Raums durch die Videokünstler. Gerade das Fernsehen eröffnete ihnen exzellente Möglichkeiten, ein brei- tes Publikum zu erreichen und ihre soziokulturellen und ästhetischen Positionen zu präsentieren. Mehrere Kunst-Projekte sind im Zuge der Demokratisierung des Mediums Fernsehen entstanden. So auch dieses Fernseh-Projekt der Künstlergruppe. Jedoch führten provokante Beiträge und Sujet-Sketche immer öfter zu Konflikten mit der Sendeleitung. Daraufhin beendete die Gruppe ihr Engagement in diesem Medium und wechselte zum Aktionismus, drehte Kurzfilme, organisierte die ersten rus- sischen Street-Parties und inszenierte im Theater. 2005 folgte mit »Staub« der erste abendfüllende Film, für Sergei Loban sein Spielfilmdebüt als Regisseur. Traditionell gilt Moskau als filmische Nachwuchsschmiede Russlands – zwei der führenden Filmhochschulen des Landes sind hier ansässig. Einen Eindruck von dem hohen Niveau der Ausbildung geben zwei Kurzfilmprogramme mit aktuellen Arbeiten von Moskauer Filmstudenten. FILM 165 > < 166 167 > Das erste Programm widmet sich der ältesten Filmschule der Welt, der 1919 gegründeten Staatlichen Filmhochschule für Kinematografie »Sergei Gerassimov« (VGIK). Viele herausragende sowjetisch-russi- sche und osteuropäische Regisseure haben ihre ersten Filme in den Moskauer VGIK-Studios gedreht. Ganze Generationen sowjetischer Filmschaffender, viele international anerkannte und zurzeit noch aktive Filmemacher absolvierten diese renommierteste russische Filmhochschule. Die VGIK bildet Studenten in den Fachbereichen Schauspiel, Regie, Tonregie, Filmgeschichte, Drehbuch, Kamera, Ausstattung, Animation, Computergrafik und Produktion für Film und Fernsehen aus. Es gibt kaum ein internationales Kurzfilmfestival, auf dem Studenten dieser Hochschule mit ihren Arbeiten nicht vertreten sind. Seit 1961 veranstaltet die VGIK ein internationales Studentenfilmfestival. Fünf Kurzspielfilme werden vorgestellt, Studien- und Abschlussarbeiten. Die Auswahl zeigt einen repräsentativen Querschnitt von studentischen Kurzfilmen aus den letzten drei Jahren, die stilistisch und thematisch zum Teil sehr unterschiedlich sind. Einige von ihnen wurden bereits auf natio- nalen und internationalen Festivals ausgezeichnet. Das zweite Programm widmet sich der Höheren Schule für Drehbuch und Regie. Sie gehört zu den ältesten Filmausbildungsstätten Russlands und feierte 2004 ihr 40-jähriges Jubiläum. Anders als im VGIK ist die Ausbildung hier als Aufbaustudium zu begreifen. Es setzt eine abgeschlos- sene Hochschulbildung voraus und die Studenten dieser Kurse verfügen meist über größere Lebenserfahrung und konkret gesteckte Ziele. Die zwei Jahre des intensiven Studiums sind sehr praxisorientiert und viele der Absolventen dieser Kurse gestalten heute das aktuelle russische Kino maßgeblich mit. Vier Arbeiten aus den letzten beiden Jahren vermitteln einen Eindruck von der hohen Ausbildungsqualität dieser Filmschule. Das Programm zu den diesjährigen Europäischen Kulturtagen lädt ein zu einer spannenden Entdeckungsreise durch den neuen russischen Film »Made in Moskau«. Gespräche mit den Regisseuren Aleksej German jr. und Sergei Loban, die zur Eröffnung anwesend sein werden, bieten über die Filme hinaus Gelegenheit, ästhetische und ökonomische Bedingungen des aktuellen russischen Kinos näher kennen zu lernen. Julia Kuniß (Kuratorin der Filmreihe) FILM > Sergei Loban, Staub < 168 Staub (Pyl‘) 2005, Regie: Sergei Loban mit Aleksej Podolskij, Pjotr Mamonov, Psoi Korolenko, Dimitrij Pimenov DVD, 107 Minuten, englische Untertitel Lesha Sergeiev ist 24, dicklich, kurzsichtig und ziemlich infantil. Dies ist auch kein Wunder, denn er wird noch immer von der ihn liebenden Oma rundum versorgt. Als ihn eines Tages zwei Geheimdienstler ansprechen und ihn auffordern, an einem mysteriösen Experiment‚ im Dienste der rus- sischen Wissenschaft teilzunehmen, stimmt er zu. Weder Zweck noch Art des Experiments werden deutlich, doch seine Nebenwirkungen verändern Lesha vollkommen. Für einen Moment sieht er sich verwandelt in einen schlanken, muskulösen Supermann – von nun an ist er besessen davon, diesen Glücksmoment noch einmal zu erleben, egal um welchen Preis. »Wir sind nichts: Staub, Atome«, sagt der Arzt, als Lesha ihn bittet, das Experiment zu wiederholen, und »je tiefer wir in einen Menschen eindrin- gen, desto weniger existiert er.« »Staub« ist eine Low-Budget-Produktion, die von Mitgliedern der experimentellen Künstlergruppe »Svoi2000« für knapp 3000 $ reali- siert wurde. Beim letzten Moskauer Filmfestival wurde Sergei Lobans Spielfilmdebut von der Kritik gefeiert nicht nur als ein innovatives künst- lerisches Experiment, sondern als wegweisendes Werk des jungen, unab- hängigen russischen Kinos. Der letzte Zug (Poslednij poezd) 2003, Regie: Aleksej German jr. mit Aleksei Devotchenko, Natalya Lvova, Aleksei Merkuryev, Pyotr Merkuryev 35mm, 82 Minuten, englische Untertitel Russland, deutsche Ostfront, Winter. Der Arzt Paul Fischbach kommt mit dem letzten Zug an der Front an – doch niemand weiß hier, wo die eigentlich noch verläuft. Alles ist in Auflösung begriffen, von einer mili- tärischen Ordnung kann keine Rede mehr sein. Fischbach trifft nur noch desolate Soldaten, die ihre Haut zu retten versuchen. Einzig ein altge- dienter Unteroffizier bleibt, mit ihm irrt Fischbach orientierungslos durch > Di, 25. April 2006 19 Uhr Sa, 29. April 2006 23.15 Uhr > Mi, 26. April 2006 19 Uhr > Do, 27. April 2006 17 Uhr So, 30. April 2006 19 Uhr FILM Schnee Schnee und Sturm, ständig in der Gefahr, von Partisanen erschossen zu werden. Schonungslos werden beide Seiten beim sinnlosen Töten wie beim grausamen Sterben gezeigt. Dabei ist der Arzt, wie aus den Gesprächen mit seinem Kameraden hervorgeht, von der Sinnlosigkeit des Krieges und dessen, was er hier tun soll, überzeugt. Das rettet ihn nicht vor der abso- luten Verlorenheit, die schließlich bewirkt, dass er in der weißen Hölle verschwindet. Der junge russische Regisseur Aleksej German jr. hat die Geschichte aus Erzählungen seiner Familie entwickelt: Verwandte von ihm sind von den Nationalsozialisten ermordet, andere aber auch gerettet worden. Bereits sein berühmter Vater bekam für seine ungewöhnliche – und lange Zeit von offizieller Seite nicht gebilligte – Sicht des Krieges (Straßensperre/ Proverka na Dorogach) große Aufmerksamkeit. Der Sohn hat seinen radi- kalen Antikriegsfilm in Schwarz-Weiß gedreht. Seine Darstellung des Krieges ist für russische Verhältnisse brisant, da er die Verteidigung des Vaterlandes nicht wie üblich als heldenhaft feiert, sondern die Hilflosigkeit der in die Mechanik der Vernichtung eingespannten Menschen zeigt. (nach: Deutsches Filminstitut) Mein Stiefbruder Frankenstein (Moi Svodnyi Brat Frankenstein) 2004, Regie: Valeri Todorovski mit Leonid Iarmol‘nik, Elena Iakovleva, Daniil Spivakovskii, Sergei Garmash 35mm, 111 Minuten, englische Untertitel In »Mein Stiefbruder Frankenstein« lässt der Regisseur den an Körper und Seele versehrten Soldaten Pavlik von der Front zurückkehren. Als er behauptet, der Sohn des Familienvaters Julik zu sein – ein Unfall aus Studententagen – gewährt eine bürgerliche Moskauer Familie dem Fremden Asyl. Eine Weile lebt es sich gut unter einem Dach. Dann aber wird immer deutlicher, wie nachhaltig sich der Krieg dieses Heimkehrers bemächtigt hat: ein Auge hat er verloren, mit dem anderen zu viel gese- hen, weshalb Pavlik den Gedanken an den allgegenwärtigen Feind auch in der Normalität des Moskauer Alltags nicht los wird. Als seine verwüstete Psyche zunehmend das Familienleben der Krymovs belastet, versucht sich die Familie verzweifelt des Außenseiters zu entledigen – vergeblich. > Sergei Loban, Staub > Valeri Todorovski, Mein Stiefbruder Frankenstein > Aleksej German jr., Der letzte Zug > Sergei Loban, Staub 169 > < 170 1950 in einer kleinen Kolchose. Die Mähdrescherfahrerin Tosja, die ihren kriegsinvaliden Mann und zwei Kinder zu versorgen hat, wird zur Heldin der sozialistischen Arbeit gekürt. Als Preis erhält sie die rote Wanderfahne, doch wird diese zu Hause von Mäusen angeknabbert. Um nicht vor Gericht zu kommen wegen unsorgsamen Aufbewahrens der Trophäe, muss die Fahne für immer bei ihr bleiben. Ab sofort kennt sie nichts anderes als nur die Arbeit. Mit einer Prise bitterer Ironie, aber voll Poesie wirft Marina Rasbezhkina einen ungewohnten Blick auf das dörfliche Leben der 40er Jahre. Die Geschichte wird aus der Sicht des Sohnes erzählt, und es ist der Blick auf die Mutter und auf sich selbst als Kind, der eine Brücke zwi- schen Vergangenheit und Gegenwart versucht und Fragen an die Zukunft aufwirft. Himmel, Flugzeug, Mädchen (Nebo Samoljot Devuschka) 2002, Regie: Vera Storozeva mit Renata Litvinova, Inga Strelkova-Oboldina, Dmitrij Orlov, Michail Jefremov 35mm, 90 Minuten, englische Untertitel Lara arbeitet als Stewardess bei einer russischen Fluggesellschaft. Ihr halbes Leben verbringt die junge, hübsche Frau auf Reisen, in anonymen Hotels und auf trostlosen Flughäfen. Die Rastlosigkeit ihres Berufslebens findet eine Entsprechung in Laras Beziehungen. Zwar wird sie von zahl- reichen Männern verehrt, doch für eine dauerhafte Bindung war Lara bis- lang noch nicht bereit. Sie glaubt an die »große Liebe«. Ihre emotionale Verletzlichkeit verbirgt sie hinter einer Aura der Unnahbarkeit. Das ändert sich, als sie Gregory kennen lernt, einen bekannten Fernsehjournalisten mit Aussicht auf eine große Karriere. Schon nach der ersten gemeinsamen Nacht weiß sie, dass er der Mann ihres Lebens ist. Aber ihre Gefühle ängstigen ihn. Erst als sie droht, ihn zu verlassen, wird Gregory sich seiner Gefühle für Lara bewusst. Doch es ist zu spät... "»Himmel, Flugzeug, Mädchen« ist ein von Vera Litvinova geschriebe- ner, produzierter und gespielter Aufbruch in eine neue Kinoform, bei der die Narrativstruktur des herkömmlichen Films einer inneren Dramaturgie > Do, 27. April 2006 19 Uhr > Do, 27. April 2006 21.15 Uhr Sa, 29. April 2006 17 Uhr > Fr, 28. April 2006 17 Uhr So, 30. April 2006 21.15 Uhr Die Unsrigen (Svoi) 2004, Regie: Dmitrij Meskhiev mit Konstantin Khabensky, Sergei Garmash, Mikhail Evlanov, Natalya Surkova 35mm, 100 Minuten, englische Untertitel August 1941: Die deutschen Truppen dringen immer weiter nach Osten vor. Drei russischen Gefangenen gelingt es, während des Marsches zum Gefangenenlager zu entkommen: Tolja, ein KGB-Mann, Lifshits, ein jüdi- scher Politoffizier und Mitja, ein Scharfschütze. Mitja kommt aus der Gegend, die die Deutschen besetzt halten – und so sind die drei gleichzei- tig im eigenen wie in Feindesland. Sie suchen Zuflucht bei Mitjas Vater Ivan, der, aus einem Arbeitslager zurückgekehrt, als Dorfältester mit den Deutschen kollaboriert und aus seinen antisowjetischen Ansichten keinen Hehl macht. Doch er versteckt die drei, weil sie zu »uns« gehö- ren. Ein großer Druck lastet auf den Männern, denn auch die örtliche Polizei, Marionetten in der Hand der Deutschen, sucht sie und nimmt Ivans Töchter gefangen, um die Soldaten zur Aufgabe zu zwingen. Im Zweiten Weltkrieg spielende Filme waren ein etabliertes Genre im sowjetischen Kino, mit durchaus nationalistischen Untertönen und klaren Fronten. »Die Unsrigen«, der beim Moskauer Filmfestival mit dem Großen Preis ausgezeichnet wurde, geht andere Wege: Die drei Entkommenen sind, ganz unheroisch, nur darauf bedacht, von Tag zu Tag ihr Überleben zu sichern. »Die Unsrigen« konzentriert sich darauf, die Auswirkungen des Krieges auf Menschen zu zeigen, die Entscheidungen treffen und Kompromisse machen müssen. Der grobkörnig und mit ausgewaschenen Farben fotografierte Film zeichnet ein komplexes Bild der Sowjetunion unter der Okkupation, in der sich die Grenzen von Freund und Feind und Gut und Böse verschoben haben. (nach: Deutsches Filminstitut) Erntezeit (Vremja Zatvy) 2004, Regie: Marina Rasbezhkina mit Vjacheslav Batrakov, Dima Ermakov, Ljudmila Motornaja, Dmitrij Dima Jakovljev 35mm, 67 Minuten, englische Untertitel FILM > Marina Rasbezhkina, Erntezeit > Dmitrij Meskhiev, Die Unsrigen > Vera Storozeva, Himmel, Flugzeug, Mädchen 171 > < 172 weicht, die, zuerst unscheinbar, aber dann immer dramatischer, den Abstieg einer jungen Frau in den Selbstmord beschreibt." (EIKK) Alte Frauen (Staruchi) 2003, Regie: Gennadij Sidorov mit Valentina Beresuzkaya, Galina Smirnova, Zoya Norkina 35mm, 100 Minuten, englische Untertitel In einem kleinen Dorf in der Nähe von Kostroma, aus dem alle jüngeren Menschen weggegangen sind, weil es keine Arbeit gibt, wohnen nur noch ein Dutzend alte Frauen. Sie warten meist umsonst auf ihre schmale Rente und müssen sich irgendwie ernähren. Der Tauschhandel blüht, es gibt einen engen Zusammenhalt. Als eine von ihnen stirbt, heben die anderen das Grab aus. Mit den Frauen lebt auch Mikolka, der am Downsyndrom leidet. Ab und zu kommt Major Fyodor mit einigen Soldaten von der nahe gelegenen Kaserne vorbei und bringt Leben in den Ort. Fast ausschließlich mit Laiendarstellerinnen gedreht, mutet der Film streckenweise dokumentarisch an. Eine Spielhandlung entwickelt sich, als sich eine Flüchtlingsfamilie aus Usbekistan im Ort niederlässt (von Tadschiken gespielt und in den Untertiteln nicht übersetzt). Die Frauen beobachten das zunächst mit großer Skepsis. Mikolka, der ihr fremden- feindliches Gerede über »diese Asiaten« für bare Münze nimmt, steckt schließlich das Haus an, in dem die Familie sich gerade eingerichtet hat. Von der menschlichen Tragödie bekehrt, entwickeln die Dorfbewohner doch noch ein freundschaftliches Verhältnis. Das Regiedebüt von Gennadij Sidorov sorgte beim größten russi- schen Filmfestival in Sotschi für viele Diskussionen und wurde mit vier Hauptpreisen ausgezeichnet. Nahezu ausnahmslos mit Laiendarstellern und ohne Drehbuchvorlage entstanden, vermittelt der Film fast dokumen- tarische Eindrücke vom ländlichen Leben in Russland. Filme der Staatlichen Filmhochschule VGIK Fleisch (Mjaso) 2002, Regie: Slawa Ross 35 mm, schwarzweiß, 15 Minuten Das Leben ist grausam und hart und lässt für Liebe keinen Platz. Ein kleiner Junge muss erleben, wie seine Mutter für ein Stück Fleisch mit einem Fremden ins Bett geht. In der beliebten Retroästhetik gedreht, kehrt der Film in die schwere Nachkriegszeit zurück. Der Feigen Reisebegleiter (Poputschiki ingira) 2003, Regie: Jegor Anaschkin BetaSP, schwarzweiß, 10 Minuten Eine Reiseskizze als beeindruckende Charakterstudie. Ein Kadett kehrt aus dem Urlaub mit dem Schnellzug nach Moskau zurück. Auf einem Provinzbahnhof steigt eine Frau mit einem Kind und einer großen Kiste in sein Abteil zu... Für Mama (Mame) 2002, Regie: Dusan Gligorov miniDV, 13 Minuten Roter Platz und Tretjakov-Galerie, die erste Liebe, Zukunftspläne – ein Tag im winterlichen Moskau, wie ihn ein junger Soldat auf Urlaub erlebt. Sein erstes Video sendet er der Mutter als Geburtstagsgruß. Spaziergang (Progulka) 2002, Regie: Julija Kolesnik miniDV Ljoschka und Katherina wohnten einst in derselben Straße und waren seit ihrer Kindheit befreundet. Dann musste Ljoschka zur Armee. Ein Tag vor Katherinas Hochzeit taucht er plötzlich auf und sie machen einen Spaziergang… > Fr, 28. April 2006 19 Uhr So, 30. April 2006 17 Uhr > Fr, 28. April 2006 21.15 Uhr FILM > Gennadij Sidorov, Alte Frauen > Slawa Ross, Fleisch > Jegor Anaschkin, Der Feigen Reisebegleiter > Dusan Gligorov, Für Mama 173 > < 174 Angst (Strach) 2004, Regie: German Djukarev BetaSP, Farbe, 14 Minuten, englische Untertitel An einem dunklen und verregneten Abend versucht ein Reisender auf einer kleinen Bahnstation irgendwo in den Weiten Russlands ein Taxi zu bekommen um ins nächste Dorf zu gelangen. Endlich findet er einen Mann, der bereit ist, ihn mitzunehmen. Doch irgendwie kommt ihm der Fahrer unheimlich vor und das Auto droht schon beim Starten auseinander zu fallen. Die nächtliche Fahrt führt durch einen dunklen Wald. Um sich Mut zu machen, erzählt der total verängstigte Reisende dem Fahrer von einer Pistole in seiner Tasche und von seinen Freunden, mit denen nicht zu spaßen sei. Nunmehr bekommt es der Fahrer mit der Angst zu tun… Nach der gleichnamigen Erzählung von Anton Tschechov, urkomisch und sehr gut inszeniert. Glatteis (Gololed) 2003, Regie: Michail Braschinskij mit Viktoria Tolstoganova, Ilja Schakunov, Konstantin Juschkevitsch 35mm, 70 Minuten, englische Untertitel "»Sie« ist eine junge erfolgreiche Anwältin. Wie gewöhnlich wird sie auch diesen Fall gewinnen. Ihr jetziger Klient ist prominent. Während er bereits seinen Sieg feiert, gelangt sie in den Besitz einer Audiocassette, die seine Schuld beweist. Die gleiche Leidenschaft, die sie in die Arme fremder Männer treibt, bringt sie dazu, ihren Fund gleichzeitig der Staatsanwaltschaft und den Vertretern des Klienten zu übergeben. Sie will niemanden erpressen; ihr geht es um das Spiel mit dem Zufall. Dann wird sie von allen Seiten bedroht. »Er« ist selbstsicher, arrogant, schwul. Er glaubt, alles über sich zu wissen und will eigentlich nur in Ruhe gelas- sen werden. Noch sind beide sich nicht begegnet und keiner kennt die möglichen Konsequenzen ihres Zusammentreffens. Es herrscht Glatteis auf Moskaus Straßen. > Fr, 28. April 2006 23.15 Uhr Sa, 29. April 2006 21.15 Uhr »Glatteis« wurde auf DV gedreht und dann mit großem Aufwand auf 35mm überspielt. Die digitale Technologie schafft eine Illusion der Dring- lichkeit der Ereignisse, eine Illusion des unmittelbaren Blicks, der nicht durch die Linse der Kamera getrübt wird. Diese visuelle Komponente ist von großer Wichtigkeit für die Geschichte, in der zwei Paar Kontaktlinsen eine entscheidende Rolle spielen. Der Schriftsteller Vladimir Sorokin hat wohl die treffendste Bemerkung über diesen Film gemacht. Er sagte, »Glatteis« sei ein Film über einen Virus, der durch Blickkontakt übertragen wird. Eine ziemlich erschöpfen- de Inhaltsangabe. Ich würde mir wünschen, dass der Zuschauer sich nach dem Film nicht die Frage stellt, ob der Film ihm gefallen hat, sondern sich fragt, was das überhaupt war; dass er den Film wie einen Verkehrsunfall erlebt, bei dem der Schuldige, der Film, Fahrerflucht begeht und man – vielleicht – blutend zurückbleibt." (Michail Braschinskij) FILM > Julija Kolesnik, Spaziergang > German Djukarev, Angst > Michail Braschinskij, Glatteis 175 > < 176 177 > Filme der Höheren Schule für Drehbuch und Regie Der Fischer (Balyksyt) 2005, Regie: Vjatscheslav Semenov miniDV, 24 Minuten Ein alter Fischer rettet einen jungen Mann aus dem Wasser und pflegt ihn gesund. Nach einiger Zeit kehrt der junge Mann zurück, doch den Alten findet er nicht mehr... Sehr schön fotographiert. Der Regisseur lässt sich viel Zeit, um Visuelles zu zelebrieren und benutzt dabei viele ethnographische Motive. Die Tür (Dver) 2004, Regie: Vladimir Kott DVD, schwarzweiß, 20 Minuten, ohne Dialoge Ein Mann ist einen Tag lang mit einer Tür unterwegs... Stilistisch und dramaturgisch erinnert der Film sehr an Polanskis »Zwei Männer und ein Schrank«. Initiation (Posvjaschenije) 2004, Regie: Roman Filippov BetaSP, 14 Minuten Auf dem Weg zur Musikschule begegnet ein fünfjähriger Junge einer Bande von Straßenkindern. Den ganzen morgigen Tag (Ves zavtraschnij den´) 2004, Regie: Tatjana Jankevitsch BetaSP, 33 Minuten Sie sind beide verheiratet, aber nicht miteinander. Er trifft sie am Bahnhof, sie sind leidenschaftlich verliebt. Sie fahren weg aus Moskau in eine kleine Provinzstadt. Dort kennt sie keiner, der ganze morgige Tag gehört ihnen. Doch ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt. > Sa, 29. April 2006 19 Uhr FILM > Vjatscheslav Semenov, Der Fischer (oben) > Roman Filippov, Initiation (unten) > Vladimir Kott, Die Tür > Tatjana Jankevitsch, Den ganzen morgigen Tag < 178 Müssen sich die Beziehungen eines Unternehmens zur Kunst auf die Bilder beschränken, die an den Wänden hängen? Beweist ein Unternehmen bereits Kultur, wenn es diese sponsort? Ein Kulturschaffender und Ausstellungsmacher muss über ausgeprägte und unternehmerische Fähigkeiten verfügen und ein Unternehmer sollte starke kulturelle und kreative Seiten zeigen. So sehr eine kulturell fruchtbare Tätigkeit den schöpferischen Elan benö- tigt, so sehr benötigt ihn auch die Wirtschaft. So ist aus meiner Sicht ein umfassendes kulturelles Engagement unternehmerisch notwendig. Die 18. Europäischen Kulturtage Karlsruhe 2006 bieten erneut mit Kunst, Film, Theater, Musik und Literatur eine breite Vielfalt. Vor diesem Hintergrund fördert die Karlsruher Versicherungsgruppe die Europäischen Kulturtage Karlsruhe. Ich freue mich auf die kommenden Begegnungen im Rahmen der geplan- ten kulturmedialen Veranstaltungen und wünsche den Organisatoren und allen Mitwirkenden viel Erfolg und wie in den Vorjahren ein aufgeschlos- senes und hochinteressiertes Publikum. Dr. Bernhard Schareck Vorstandssprecher der KARLSRUHER VERSICHERUNGEN Seit vielen Jahren ist die Privatbrauerei Hoepfner Partner und Förderer der Europäischen Kulturtage. Mit positivem Denken und Handeln haben wir in den vergangenen Jahren frischen Wind in die alten Mauern der Hoepfner Burg gebracht. Unsere Strategie heißt dabei Qualität, Kontinuität und Partnerschaft, um auch im künftigen Wettbewerb beste- hen zu können. Vielleicht passen die Europäischen Kulturtage ja auch deshalb so gut zu uns, weil dieses hochkarätige kulturelle Ereignis ebenfalls für eine solche Strategie steht: Kunst auf höchstem Niveau und ein innovativer Geist in einem Klima der Partnerschaft. Für die Qualität bei der Privatbrauerei Hoepfner stehen die Brauer, die Biere mit besonderem Geschmack brauen. Für die Qualität der 18. Europäischen Kulturtage 2006 Moskau in Karlsruhe einmal mehr die außergewöhnlichen Macher und Künstler. Das Sponsoring für ein solch bedeutendes Projekt lässt sich nicht nur in Zahlen messen, es muss auch Spaß machen – genau so sehen wir das Engagement der Privatbrauerei Hoepfner bei den Europäischen Kulturtagen – ein Engagement, das von Herzen kommt. Dr. Friedrich Georg Hoepfner Die Stadt Karlsruhe bedankt sich bei den folgenden Firmen für die Unterstützung des Festivals: Privatbrauerei Hoepfner Karlsruher Versicherungen Sparkasse Knappe 1a Productions Das Festival ist Partner im Projekt 179 > < 180 8 > Fakultät für Architektur der Universität Karlsruhe E 6 des Kolleggebäudes am Ehrenhof 1-5 S1/S11, S2, S4, S5 Kronenplatz/Universität Parkleitsystem: Zentrum Nord Kronenplatz 9 > Galerie Alfred Knecht Baumeisterstr. 4 2, 5 S1/S11, S4 Ettlinger Tor / Staatstheater Parkleitsystem: Kongresszentrum Staatstheater 10 > Galerie Rottloff Sophienstr. 105 1 Sophienstraße 11 > GEDOK Künstlerinnenforum Markgrafenstr. 14 1- 5 S1/S11, S2, S4, S5 Mendelssohn- od. Kronenplatz Parkleitsystem: Zentrum Nord Kronenplatz 30 10 28 20 23 9 24 15 1 225 2117 11 8 2 25 7 4 3 6 18 16 26 27 29 12 19 13Kriegsstraße B10 Durlacher Allee Kaiserallee S tr aß e K ar ls tr aß e Ad en au er rin g Schlachthausstr. Br au er st ra ße Zirkel Kaiserstraße Yo rck str aß e R ei nh ol d- Fr an k- S tr aß e Ka pel len str . Schloss Kriegsstraße B10 E tt lin ge r Mathystraße B10 Haid-und-Neu-Str. Hbf Am Rüp purrer S chloss R üp pu rr er S tr aß e Stu ttg art er Str aß e Baumeisterstr. E rl en w eg Pulverhausstraße Joachim-Kurzaj-Weg Sc hw im m sc hu lw eg Lo re nz st ra ß e 1 > Albert-Schweitzer-Saal Reinhold-Frank-Str. 48 a 1- 3, 6 S1/S11, S2, S5 Mühlburger Tor 2 > Badischer Kunstverein Waldstr. 3 1, 3, 4, 6 S1/S11, S2, S5 Europaplatz od. Herrenstr. Parkleitsystem: Zentrum Nord Karstadt am Zirkel 3 > Badisches Staatstheater Baumeisterstr. 11 2, 5 S1/S11, S4 Ettlinger Tor / Staatstheater Parkleitsystem: Kongresszentrum Staatstheater 4 > Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Am Künstlerhaus 47 3 Mendelssohnplatz Parkleitsystem: Zentrum Nord Kronenplatz A t s y t y b t s y b A t s y b N K N 5 > Centre Culturel Franco-Allemand Kaiserstr. 160 - 162 1- 4, 6 S1/S11, S2, S5 Europaplatz Parkleitsystem: Zentrum West Breuninger 6 > Christuskirche Riefstahlstr. 2, am Mühlburger Tor 1- 3, 6 S1/S11, S2, S5 Mühlburger Tor Magdeburger Haus / Kaiserallee 11 7 > Ev. Stadtkirche am Marktplatz 1- 5 S1/S11, S2, S4, S5 Marktplatz Parkleitsystem: Zentrum Süd Marktplatz A t s y b A t s y b t s y b s t s y b K t y N 14 Kaiserallee Luisenstraße Leopoldsplatz Lichtentaler Lichtentaler Str. Allee Baden-Baden 12 > Gorodki-Anlage Oberreut Joachim-Kurzaj-Weg 5 1 50, 62 Hardecksiedlung 13 > Hochschule für Musik Am Schloss Gottesaue 7 1, 2 S4, S5 Gottesauer Platz 14 > Hotel Steigenberger Europäischer Hof Kaiserallee 2, Baden-Baden 201, 204-208, 214-216, 218, 243-245 Baden-Baden, Leopoldsplatz 15 > INSEL (Badisches Staatstheater) Karlstraße 49b 2, 4, 6 Karlstor 16 > Jubez Jazzclub u. Theater »Die Spur« Kronenplatz 1 1- 5 S1/S11, S2, S4, S5 Mendelssohn- od. Kronenplatz Parkleitsystem: Zentrum Nord Kronenplatz 17 > Kaffeehaus Schmidt Kaiserallee 69 2, 3 S1/S11, S2, S5 Yorckstraße 18 > Konzerthaus Festplatz 9 2, 5 S1/S11, S4 Kongresszentrum od. Konzerthaus Parkleitsystem: Kongresszentrum Kongresszentrum 19 > Kulturzentrum Tollhaus Schlachthausstr. 1 1, 2 S4, S5 Tullastraße 20 > marotte Figurentheater Kaiserallee 11 1- 3, 6 S1/S11, S2, S5 Mühlburger Tor Magdeburger Haus 21 > Modehaus Schöpf am Marktplatz 1- 5 S1/S11, S2, S4, S5 Marktplatz Parkleitsystem: Zentrum Süd Marktplatz 22 > PrinzMaxPalais Literaturhaus und Das Kino im PrinzMaxPalais Karlstr. 10 1- 4, 6 S1/S11, S2, S5 Europaplatz Parkleitsystem: Zentrum West Breuninger 23 > Privatbrauerei Hoepfner Schalander Haid-und-Neu-Str. 18 4 Hauptfriedhof 24 > Roncalli-Forum Karlstr. 115 (Kolpinghaus) 2, 4 Kolpingplatz 25 > Stephanssaal Ständehausstr. 4 1, 3, 4 S1/S11, S2, S5 Herrenstraße Parkleitsystem: Zentrum Süd Karstadt od. Friedrichsplatz 26 > SWR Studio Karlsruhe Sendesaal Kriegstr. 166-172 2, 4, 6 Karlstor Parkleitsystem: Zentrum West 27 > Universität Karlsruhe (TH) Kaiserstr. 12 1-5 S1/S11, S2, S4, S5 Kronenplatz/Universität Parkleitsystem: Zentrum Nord Kronenplatz 28 > Volkshochschule Kaiserallee 12 e 2, 3 S1/S11, S2, S5 Yorckstraße 29 > Wohnstift am Rüppurrer Schloss Erlenweg 2 S1/S11 Schloss Rüppurr 30 > ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Lorenzstr. 19 6 ZKM ZKM A t s y b A t s y A t y A t s y A s y A t y b A t s y b W A t s y b s t y W A t s y b s t s y b N A t y W t s y b t s y b N A t b y A t s y A b y A t y A t s y b N t s y A t s y b K info A t s b y b s W Bildlegende behindertengerechter Zugang Tram S-Bahn Bus Haltestelle Parkleitsystem Parkhaus N K 181 > < 182 Kartenvorverkauf Der Vorverkauf beginnt am 15. Februar 2006. Für Veranstaltungen, die mit gekennzeichnet sind, erhalten Sie Karten an allen CTS-Eventim-Vorverkaufsstellen (s.u.). oder bei www.eventim.de CTS-Eventim Hotline (01805) 57 00 00 (0,12 D / Min.) Für alle anderen Veranstaltungen erhal- ten Sie Informationen und Karten unter den im Programmteil angegebenen Telefonnummern. Ermäßigte Preise gelten gegen Vorlage eines gültigen Ausweises an der Abendkasse für Schüler, Studenten, Schwerbehinderte, Rentner, Helfer im freiwilligen sozialen Jahr, Arbeitslose, Wehr- und Zivildienstleistende. Die Abendkasse öffnet jeweils 1 Stunde vor Beginn der Veranstaltung. Vorverkaufsstellen Badisches Staatstheater Karlsruhe Baumeisterstr. 11, 76137 Karlsruhe Kassenöffnungszeiten: Mo bis Fr: 10 – 13 Uhr u. 16 – 18.30 Uhr Sa: 10 – 13 Uhr Telefonischer Vorverkauf: Mo bis Fr: 10 – 18.30 Uhr bzw. bis zum Beginn der Abendveranstaltung Sa: 10 – 13 Uhr Telefon: (0721) 93 33 33 Telefax: (0721) 3 55 73 46 E-Mail: kartenverkauf@bstaatstheater.de Karlsruhe Karlsruhe Stadtinformation Karl-Friedrich-Str. 9, Tel. (0721) 37 20 21 79 Musikhaus Schlaile Kaiserstr. 175, Tel. (0721) 2 30 00 Ticketoffice im Hauptbahnhof Tel. (0721) 3 84 87 72 Touristinformation Bahnhofsplatz 6, Tel. (0721) 37 20 53 83 Ticketforum Postgalerie Kaiserstr. 217, Tel. (0721) 16 11 22 Baden-Baden Ticket-Service im i-Punkt Kaiserallee 3, Tel. (07221) 93 27 03 Bretten Stadtinformation Marktplatz 12, Tel. (07252) 95 76 20 Bruchsal Bruchsal Tourismus Am Alten Schloss 22, Tel. (07251) 5 05 94 60 Bühl Bürgerhaus Neuer Markt Europaplatz, Tel. (07223) 93 16 11 Ettlingen TUI ReiseCenter der Sparkasse Marktplatz 1, Tel. (07243) 701-701 Frankfurt Frankfurt Ticket Hanauer Landstr. 417, Tel. (069) 1 34 04 00 Heidelberg Rhein-Neckar-Zeitung Hauptstr. 23, Tel. (06221) 16 30 83 Zigarren Grimm am Bismarckplatz Sofienstr. 11, Tel. (06221) 2 09 09 Heilbronn Heilbronn Marketing Kaiserstr. 17, Tel. (07131) 56 41 01 Heilbronner Stimme Allee 2, Tel. (07131) 61 57 01 info 183 > < 184 Impressum Herausgeber: Stadt Karlsruhe, Kulturamt und Badisches Staatstheater Karlsruhe Stadt Karlsruhe, Kulturamt Kulturreferent Dr. Michael Heck Festivalleitung und Programmgestaltung: Susanne Laugwitz M.A. Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Organisation: Claudia Lahn M.A. Gabi Glutsch Anna-Renate Sörgel Martha Banasch B.A. Info-Telefon: (0721)133-4033 Telefax: (0721)133-4009 E-Mail: susanne.laugwitz@kultur.karlsruhe.de claudia.lahn@kultur.karlsruhe.de gabriele.glutsch@kultur.karlsruhe.de anna-renate.soergel@kultur.karlsruhe.de Badisches Staatstheater Karlsruhe Generalintendant Achim Thorwald Verwaltungsdirektor Wolfgang Sieber Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Organisation: Dr. Jörg Rieker Simone Voggenreiter Petra Clemens Ingeborg Falke Gastspielkoordination: Sabine Bergmann M.A. Wolfgang Hilsenbek Info-Telefon: (0721)3557-122 oder -232 Telefax: (0721)373223 E-Mail: pressestelle@bstaatstheater.de Gestaltung: Susanne Saenger, Karlsruhe Druck: Engelhardt & Bauer, Karlsruhe Kaiserslautern Tourist Information Willy-Brandt-Platz 1, Tel. 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